Archiv der Kategorie: Interpretation

Konzertforschung

Nützliche Lektüre, besseres Zuhören

das Orchester

Eine Zeitschrift, die ich vom Briefkasten abhole und sofort zum Lesen vor mich auf den Tisch lege, – es ist garantiert einiges für mich drin, auch wenn ich nie fest in einem Orchester war (nur im Adhoc-Ensemble Collegium Aureum). Ein Lob in diesem Fall für die Autorin Frauke Adrians. Natürlich gibt es zunächst Stichworte, Namen, die etwas auslösen: Alban Gerhardt (Erinnerungen), Folkert Uhde (hier und hier).

Den Cellisten Alban Gerhardt (siehe auf dem Foto oben ganz rechts) schätze ich, seit ich seine Beethoven-Sonaten im Urlaub an der Algarve intensiver erforschte (= mit Kopfhörer), Flair des Südens. An seinen Vater erinnere ich mich, weil er zur gleichen Zeit wie ich an der Kölner Musikhochschule studierte (Beethoven Violinsonate c-moll in der Vortragsreihe der Rostal-Schüler) , aber auch an einen ihn privat beleuchtenden Fernsehfilm aus der Zeit, als er noch bei den Berliner Philharmonikern spielte.

Am Ende des Artikels gibt es glücklicherweise einen Hinweis, der es erlaubt, diese Initiative zur  Konzertforschung weiterhin zu beobachten:

„das Orchester“

Und dort geht es weiterhin um die Frage:

Wie könnte das klassische Konzert der Zukunft aussehen?

Das klassische Konzert ist in der Krise – so suggerieren es zumindest seit geraumer Zeit die Besucherforschung und die Feuilletons. Als Beleg dafür wird v.a. das steigende Durchschnittsalter des Publikums angeführt und das Wegbleiben jüngerer Hörerschichten. Öffentlich finanzierte Konzerthäuser und Orchester stehen dadurch unter großem Druck. Das gemeinschaftliche Anhören einer Aufführung von Kunstmusik scheint immer weniger attraktiv zu sein. Konzertveranstalter reagieren auf dieses Krisenszenario seit einer ganzen Weile mit verschiedenen Maßnahmen: Projekte zur Musikvermittlung setzen beim Publikum an, neue Konzertformate suchen das Konzert selbst zu reformieren.

Was wir erforschen wollen

Empirische Forschung zu Konzerterfahrungen, den Auswirkungen von Musikvermittlungsprojekten und alternativen Konzertformaten gibt es bisher kaum. Es gibt keinen Konsens darüber, was ein Konzert ist und welche Mechanismen hier zum Tragen kommen, und wir wissen nicht, was alternative Konzertformate erreichen können.

Am besten, Sie sehen sich das selbst genauer an: HIER

Screenshot

Beachten Sie bitte auch unten rechts den Hinweis auf eine unglaublich interessante Reihe im Pierre Boulez Saal: “EXPERIMENTAL CONCERT RESEARCH”

Ich habe mir arabische Konzerte im September vorgemerkt, Termine, zu denen ich aber unmöglich in Berlin sein kann……

E-dur (und kein Ende)

Zunächst einmal zur Schreibweise Ich konnte mich nie entschließen, dem neueren Brauch der Großschreibung von Adjektiven wie dur und moll zu folgen. Ich wollte nicht rechthaben, aber es widerstrebte mir. Und nun fühle ich mich dank der Lektüre des Henle-Artikels zwar nicht völlig ins „Recht“ gesetzt, aber doch zusätzlich berechtigt, so zu verfahren.

Warum aber übe ich seit einiger Zeit mit Vorliebe Werke mit E-dur-Vorzeichen? Auf der Geige – wie immer – die entsprechende Kreutzer-Etüde und die Bach-Partita BWV 1006 – am Klavier, dazu tendierend, die A-moll-Fuge des Wohltemperierten Klaviers nach monatelangem (lähmendem) Studium in der Übe-Praxis aufzugeben, stattdessen die große E-dur-Fuge mit Ernst und Liebe in die Finger zu locken. Man sollte sie auswendig können, indem man sie begreift. Als zweite Aufgabe bei Bach – nach der jetzt mit Vergnügen wiederholten Französischen Suite G-dur (dank der Anregungen durch Andreas Gilger) die in E-dur, die ich vor Jahrzehnten mal mit „Leimer-Gieseking“-Methode auswendig lernen wollte. Was mir im Kopf nicht recht gelungen ist, aber mit Fingern durchaus.

Neu aber wäre – nach Jahren der Enthaltsamkeit – aufs Neue: Beethoven, einer Neigung widerstehend, die späte E-dur zu wiederholen, lieber also die frühe, die mich in jungen Jahren aus nichtigem Grund gequält hat. Begeistert hatte mich nur die Durchführung des ersten Satzes („Sehnsucht“), wirklich studiert habe ich dann in Berlin nur das Finale, den Mittelsatz wohl zig-mal „vom Blatt“ gespielt. Woher kommt plötzlich die Anziehungskraft eines Beethoven-Werkes, das vor 1800 entstanden ist? Warum nicht meine Lieblingssonate, die wie mit seltsamen Vogelrufen beginnt (Pirol + Nachtigall), nämlich die in G-dur op.14, Nr.2 ? Nein, die davor, E-dur op. 14 Nr.1. Danach werde ich gewiss automatisch weiterüben. In Erinnerung an die 80er oder 90er Jahre, als ich auf Biegen und Brechen sämtliche Beethoven-Sonaten – nicht gespielt – aber geübt haben wollte, und zwar so, als wollte ich sie einmal im Ernst spielen. Ein frommer oder auch nur ehrgeiziger Wunsch. Die Zeiten sind vorbei…

maßgebliche Anregung: der Kommentar von Donald Francis Tovey – aber vorher: der eher zufällige Blick in die Noten. Das Sechzehntel-Motiv, das mich immer schon geärgert hat. Warum eigentlich? Nachdenken beim Blick auf diese verdammte Stelle brachte mich auf technische Gedanken. Das reibungslose Übersetzen der Hände. Langsam. Mit Körpergefühl. Sonst nichts. Fingersatzfragen vielleicht. Gut gelöst in der Ausgabe von Conrad Hansen (nicht bei Tovey), mit Bleistift ergänzt durch meinen älteren Bruder, dessen Fluchen mir in Erinnerung blieb. Mein Vater konnte kein geduldiges und wachsames Üben vermitteln. Nachsicht mit sich selbst zu haben, nein, – zu üben. Nachsicht üben eben. Keine Schlamperei. Man übt menschlicher, wenn man wirklich weiß, warum. Wie wunderbar menschlich Tovey das Üben der Takte 5-6 anmahnt! In einem Tempo, in dem „die zum Verzweifeln heimtückischen Takte“ ohne Symptome der Vergiftung gelingen, obendrein mit dem Ziel, das „ais“ am Ende des Taktes 6 absichtsvoll zu lancieren… Oder wie meint er das? Das Rätsel damals war: wie konnte der Komponist nur auf diese Idee kommen: diese sinnlosen Sechzehntel einzubauen, reine Schikane! Weiß ich es heute besser? (Das muss sich jeder fragen, ohne eine schnelle Antwort durchgehen zu lassen.) Im Hintergrund lauerte damals auch die Enttäuschung über das zweite Thema, es sagte mir gar nichts, „schön“ wird es erst, wenn es fast zuende ist. Und dann die Fortführung. Das war übrigens auch beim ersten Thema so: die erste Zeile nimmt man gern hin, aber dann beginnt die „Zerstückelung“, und erst wenn es wieder ins Fließen kommt, ist man positiver gestimmt. Er weiß also wie es geht. Aber muss man dies alles in Kauf nehmen, nur damit man zu dem Überschwang des Ausdrucks „nach dem Wiederholungszeichen“ (auch das noch!) kommt?

Da hilft nichts, man muss den Sinn der „Zerstückelung“ erfassen. Schon die enttäuschende Schlussgeste nach dem viertaktigen, doch wohl vielversprechenden Aufstieg:

Der Quartsprung des allerersten Taktes, der sich scheinbar erwartungsvoll in die Höhe streckt, wird am Ende ausgefüllt. Ein zu früher Schlusspunkt. Selbst beim bloßen Zuhören reagiert man leicht verdutzt, – das war’s schon? Man sollte aus Enttäuschung produktiv werden: die Sechzehntel üben, als sei es die Hauptsache, sie nun auch wirklich nebensächlich perfekt hinzusetzen, kurz: spielerisch. Ja, gewissermaßen nächäffend, perfekt, aber beiläufig. Und plötzlich ist es Ernst. Die Vorschlagsfigur links, der melodische Sextsprung rechts, Expression! Schwer auszudrücken…

Ich versuche mich also in einer Sprache auszudrücken, die ich damals, in der Zeit der Erstbegegnung, wohl verstanden hätte, aber nicht zu sprechen gewagt hätte. Zu simpel! Und heute bin ich entsetzt, wenn ich frühe Liebesbriefe lese, die den Namen nicht verdienen. Trennungsschmerz, sicher, das erkenne ich, aber was für ein Nebenhergerede, was für ein Misstrauen, was für ein Nicht-Wagen-Wollen.

Aber hätte ich mich ausgerechnet in der Musik – der Sprache der Gefühle – auf eine fundierte Musik-Text-Analyse eingelassen? Mein Bruder jedenfalls, der die Sonate vor mir studierte, lehnte das von vornherein ab, auch Gedicht-Analysen fand er unerträglich; „zergliedern“ – gar etymologischen Reflexionen folgen – ich hätte es anders genannt, konnte mich daran begeistern und liebte das Gedicht nachher um so mehr.

Es ist nicht leicht, die Menschlichkeit einer solchen Analyse wahrzunehmen; man hört ja nichts, die Stimme des Erklärers fehlt, vor allem die lebendige Stimme des Klaviers, das die Beispiele schon während des Redens beredt darstellt oder andeutet. Hier – im Buch der Analysen – regt sich etwas, sobald man auf den Satz stößt: „Echte Musik beginnt dort, wo es unmöglich wird, ihre Wirkung in Worten zu beschreiben.“ Dann dürfen gern weitere 10 Seiten folgen, das Vertrauen ist da, und es täuscht in diesem Fall durchaus nicht. (Quellenangabe folgt später.) Lediglich meine Lieblingsstelle seit Jugendzeiten, die Durchführungsmelodie, scheint mir etwas stiefmütterlich behandelt. Obwohl der Hinweis darauf, dass die Tonart C-dur, auf die es hier hinausläuft, in der Reprise wiederum als neue Schattierung (gegenüber der Exposition) auftritt, nicht gerade trivial ist. Im Klavierunterricht genügt ein Fingerzeig. Für uns sind harmonisch komplizierte Vorgänge seit Max Reger und Richard Strauss so normal geworden, dass man die Bedeutung der scheinbar einfacheren Modulationen oft nicht mehr adäquat würdigt, oder erst willentlich in den Fokus rücken muss. Worum ich mich hiermit bemühe: es geht um den „simplen“ Übergang von der Tonart des Hauptthemas (E-dur) in die des Seitenthemas (H-dur Mitte Takt 22):

Hier ist die Beschreibung des Vorgangs:

Die Modulation selbst hat den Effekt eines plötzlichen Umkippens des scheinbar so mächtigen Tonmassivs im Hauptthema (T.16). Je mehr die Tonika im Laufe von 12 Takten des Themas gefestigt wird, desto stärker ist der Eindruck ihrer plötzlichen willkürlichen Zerstörung: Nach einem drohenden Aufstieg in Takt 13-15 verschieben sich alle Töne plötzlich gleichmäßig um einen Halbton nach oben (T.16). Im Ergebnis wird die Haupttonart E-Dur (sic!) der ihr fremden und widersprüchlichenlokalen Tonika Fis-Dur gegenübergestellt – als hätte man dem Hauptthema seine Grundlage entzogen und als habe es nichts mehr, worauf es beruhen könnte. Es entstehen unwillkürlich revolutionäre Assoziationen: Erschütterung der Grundlagen, Thronsturz, revolutionäre Behauptung einer neuen Macht: E-Dur plus Fis-Dur bedeutet unvermeidlich eine neue herrschende Tonika H-Dur. Nach der Wirkungskraft kann man eine solche Umwandlungsmodulation mit dem Übergang nach G-Dur im Finale der 5. Symphonie (ebenfalls eine stürmische Umwandlung innerhalb von nur einem Takt) vergleichen (T.35-36).

Jeder kennt die Stelle,- ohne sie noch als Besonderheit zu vermerken („nur ’ne Modulation“). Aber wenn man vom Klavier aus, bei der „stillen“ Sonate in E, drauf verwiesen wird…

Ich höre mit gemischten Gefühlen zwei verschiedene Versionen der Sonate, finde die eine zu langsam, die andere zu schnell. Und mir ist klar, dass der Laie dazu neigt, sich nicht von Geschwindigkeit beeindrucken zu lassen; er hängt am Detail. Der Profi aber hasst es, wenn die Musik ausgewalzt wird, er hat den Zug zum Ganzen. Was will ich sein? Vielleicht ist es gut, sich als Interpret gar nicht festzulegen, ehe man die Sonate technisch perfekt kann (aber: gibt es das überhaupt?). – Noch eine weitere Möglichkeit gibt es, sich aufs Glatteis zu begeben: Beethoven hat ja auch eine Streichquartett-Fassung dieser Sonate geschaffen, – kann eine solche Interpretation, die sich gewissermaßen vom Material des „Klavierkastens“ gelöst hat, als Maßgabe dienen? (Zur Diskussion auch noch folgendes.)

ALFRED BRENDEL :  HIER (mit stehendem Bild)

DANIEL BARENBOIM : HIER („live“ Video)

MICHEL KORSTICK : HIER (mit Notentext)

Streichquartett: HIER 

(Fortsetzung folgt hier: Schrei nicht so!)

Bach E-dur, erster Schritt: neue, übersichtliche Analyse herstellen, nicht in der praktisch „erarbeiteten“ Ausgabe, dem dort gegebenen Hinweis auf Froberger aber sofort nachgehen, eigtl. als Nebensache:

Bach WTK II BWV 878

Nach einer genaueren Form-Betrachtung (mit Czaczkes‘ Hilfe, dazu später mehr) sehen die Noten dann, wenn ich es knapp fasse, folgendermaßen aus:

  Bach WTK II BWV 878

Fuga in E – (erwähnt bei Keller, Dürr, Czaczkes) eine Vorgängerin bei Johann Caspar Fischer:

Fuga 1715 Wiki (!!) Ariadne Musica

Und nun zu Froberger:

Froberger Ricercare IV

Vergleichende Studie zu verschiedenen (anderen) Ricercares siehe hier

Johann Jacob Froberger: Ricercare IV / Markus Märkl an der Orgel (extern hier)

(Fortsetzung folgt)

Weiteres E-dur-Stück, das in „meine“ Serie gehört: Chopin-Etüde in E, die ich seit einem Jahr als coole Technik zu begreifen suche (nicht als Schwärmerei, wie in der Zeit, als mein Vater sie noch bei Familienfeiern spielen musste, – wenn nicht gerade die „Harfen-Etüde“): nach der Entdeckung, dass die erste Seite eigentlich ohne rechtes Pedal legatissimo gelingen müsste. Erst dann wird sie sehr schwer, – und nicht erst im Mittelteil.

Shiva Shiva Shiva (Zeitsprünge)

Zur Welt der Violine 1989 – 2018

2018 hören: HIER

Fotos: WDR 1989 / Ensemble V.V.Subrahmanyam (s.a. hier) und Musica Antiqua Köln

Nachrufe und Würdigungen für Prof. Dr. Srinivasa Ayya Srinivasan und Dr. Pia Srinivasan HIER bzw. HIER

Es folgen Hinweise zu Interpretationen des Werkes, dessen Analyse weiter unten zu finden ist: „Shiva Shiva Shiva“ von Tyagaraja. Neben Prof. Dr. Josef Kuckertz (Universität Köln) war es vor allem Frau Dr. Pia Srinivasan (und – im Hintergrund wirkend – ihr Mann), die die Verbindung des WDR nach Südindien betreute und immer wieder für neue Anregungen sorgte. Davon zeugen zahlreiche Radio-Aufnahmen, wie auch die LP-Dokumentation in der Reihe Museum Collection Berlin: hier mit der Vina-Spielerin Rajesvari Padmanabhan und ihrem Bruder. Oder in den Konzerten mit Lalgudi G. Jayaraman sowie Sohn und Tochter in Köln, Brüssel und Paris. Oder auch in dem oben – neben dem Buch „il raga che porta la pioggia“ – annoncierten Dritten Kölner Geigen-Festival mit V.V.Subrahmanyam (und Sohn), für das zugleich der Beitrag über die Südindische Violine und den Komponisten Tyagaraja geschrieben wurde. Diese schöne Arbeit soll nicht vergessen sein.

HIER Shiva Tracks: https://mio.to/show/Raagam/Panthuvarali/tracks

HIER https://www.youtube.com/results?search_query=Siva+Siva+Siva+-+Pantuvarali+

Aus dem Programmheft West-Östliche Violine 1989 (Drittes Kölner Geigenfestival):

Über das Ensemble V.V.Subrahmanyam – sowie ein Essay von Pia und S.A. Srinivasan: Von der südindischen Violine, der Krti-Komposition und Tyagarajas religiöser Bedeutung

Anknüpfend an diese letzte Seite: Kolja Lessing, der mit Solowerken von Béla Bartók und Isang Yun ebenfalls beim WDR Festival West-Östliche Violine 1989 mitwirkte. Seine jüngst veröffentlichten Erinnerungen sind nicht leicht zu entdecken, gehören aber mit ihren Themen durchaus in den weitgefassten Interessenkreis der violinistischen Welt. Daher dieser Hinweis:

Zu den Städtischen Sammlungen Kamenz

Zurück zu dem Video ganz oben (es sollte im separaten Fenster vorbereitet sein), die Mitwirkenden sind: Violine – V.V. Subrahmanyam & V.V.S.Murari /  Mrdangam Trommel – Thiruvarur Vaidhyanathan / Kanjira Tamburin – K.V. Gopalakrishnan / Biographisches zu Vater & Sohn hier

1) Sri Ganapathini / Raga: Sourashtram  / Tala: Adi / Komponist: Thyagaraja / über den Raga siehe hier

Es handelt sich um gesungene Kompositionen von Tyagaraja (Thyagaraja); die Rolle der Violine war ursprünglich, den Gesang zu begleiten, Pausen zu überbrücken, ihm ansonsten tongetreu zu folgen, wie ein Schatten, aber nicht unbedingt synchron. Die Kenner im Publikum denken den Text mit: Tyagaraja war nicht nur Komponist, sondern auch Dichter, religiöse Autorität, – ein Heiliger.

Krti ab 1:19 (1:26) b ab 2:43 c ab 4:05 bis 6:09 / Applaus

2) ab 6:14 Raga Chandrajyoti / Alapana bis 7:25 / Krti: Bagayanayyana / Tala: Adi / Komponist: Thyagaraja / bis 12:38 / Applaus / über den Raga siehe hier / einmalig schön in diesem Raga: der – allmählich vollzogene – chromatische Schritt zum Grundton (vom darüberliegenden Nachbarton aus, Ri-Ri-Sa), z.B. gleich am Anfang von 6:14 aus, genau 6:28 bis 6:37 – und immer wieder. Das winzige Lächeln des Meisters bei 7:06 hat darin seine Ursache! („How great is your magic!“), sein Blick bei 7:20. Eigentlich eine Antwort auf die Vorgabe des Sohnes… Wunderbar!

3) ab 12:43 Raga Lalitha (siehe hier) Alapana bis 14:49 (Applaus) ab 14:50 Krti „Chindepoke O Manasa“ / Raga Lalitha / Tala: Adi / Komponist: Walajapettai Venkataramana Bhagavathar / bis 19:12 (Applaus)

4) ab 19:15 Raga Kapi (siehe hier und hier) Alapana bis 25:10 (Appl.) ab 25:12 Krti „Meevalla gunadosha“ / Raga Kapi / Tala Kanda Chapu / Komponist: Thyagaraja / bis 30:14 (Applaus) / andere Version mit Knabenstimme Rahul Vellal hier .

5) ab 30:19 Raga Kamboji (siehe hier und hier) Alapana bis 36:55 (Appl.) ab 37:00 Krti „O Rangasayee“ / Raga Kamboji / Tala Adi / Komponist: Thyagaraja /  ab 42:52 Neuansatz 48:15 (Appl.) + Mrdangam-Solo, ab 49:47 Kanjira-Solo 51:15 wieder Mrdangam + weitere Wechsel bis 58:10 Geigenschluss – Ende 58:33 (Applaus) / Gesungene Version mit T M Krishna hier, zu ihm siehe im Blog hier .

6) ab 58:34 Raga Sindhu Bhairavi (siehe hier und hier) Alapana bis 1:01:10 / Bhajan „Maathth Jaa Mathth Ja / Komponistin: Meerabai / Raga Sindhu Bhairavi / Tala: Adi / Ende: 1:03:53 (Applaus)

7) ab 1:03:54 Zugabe bis 1:05:11 (Applaus)

Die zitierten Texte der Kompositionen von Tyagaraja stammen aus dem Buch „The Spiritual Heritage of Tyagaraja“ von C. Ramanujachari mit einer Einführung von Dr. V. Raghavan. Vorwort von Dr. S. Radhakrishnan (President of India) Herausgegeben von SRI RAMAKRISHNA MATH Mylapore Madras-4  / Second Edition, 4300 copis, Oct. 1966

Albinonis Ohrwurm

Wo kommt er her, wo will er hin?

Eine Stoffsammlung (keine Bewertung)

Wikipedia hier Artikel „Adagio g-Moll (Giazotto)“

Im Artikel sind erstaunliche Beispiele abzurufen:

Passage aus dem ersten Satz von Mozarts Hornkonzert Es-dur KV 495

Thema des zweiten Satzes (Adagio sostenuto) aus dem Klaviertrio Nr. 1 Es-Dur op. 33 von Louise Farrenc

Adagio ma non troppo (Arioso dolente) des 3. Satzes von Beethovens Klaviersonate Nr. 31 As-Dur op. 110

Weitere Anklänge:

J.S.Bach Johannes-Passion Aria „Es ist vollbracht“

Im Zusammenhang mit dem „Albinoni“-Stück wird auch gern auf Bachs Air (BWV 1068) verwiesen, wohl nur wegen des Bass-Ganges (Pizzicato, schreitend, „walking“).

Beethoven: Cellosonate op.69 A-dur,1.Satz; Übergang zur Durchführung (bis Reprise)

Bei Beethoven in ähnlicher Funktion das neue „Thema“ der Durchführung der Klaviersonate Nr.9 op.14/1 E-dur  (abgeleitet aus dem zweiten Thema des Werkes).

Von Karajan zu Udo Jürgens

Commentary enthält irreführenderweise die Komponistenangabe: Samuel Barber (?), weil auch dessen berühmtes Adagio wohl auf der LP enthalten ist.

(Alternative Youtube-Wiedergabe mit biographisch auf U.J. bezogenen Fotos & Filmausschnitten https://www.youtube.com/watch?v=3kuu8xMO7k0)

In diesem Zusammenhang gern genannt: Adagio aus dem „Concierto de Aranjuez“ von Joaquin Rodrigo.

Wieder bin ich bei der Frage, ob die Sequenz vom Teufel ist. Oder ein Segen, wenn sie sich in Grenzen hält. Wie wärs mit einem Titel wie „Glanz und Elend der…“ etc.etc.

Seit kurzem liegt wieder (für frühe Morgenstunden) eine Lieblings-CD im Gerät: „Lieder, die mich meine Mutter lehrte“ mit Magdalena Kožená, ich würde gern definieren, weshalb ihre Stimme mich so ergreift, – oder ist es die Melodie eines bestimmten Liedes? Ich überlege, was mich meine Mutter gelehrt hat. Für Musik war sie absolut nicht zuständig, auch geschmacklich, deshalb vergesse ich es auch nicht: „Waldeslust“, – kitschiger geht es nicht. Der doppelte Schleifer „Lu-hu-hust“ und diese unselige Sequenz: „…meine Mutter, die liebt mich nicht, meinen Vater, den kenn‘ ich nicht, und sterben mag ich nicht, bin noch zu jung“ – das war so stark, es war Krieg, und sie dachte an ihre harte Kindheit mit dem überstrengen Vater. Heute habe ich immer wieder bei Tr. 23 angesetzt. (Reinhören? Bitte hier!) Diese Melodie erinnert mich an das „Motto“ der Frühlingssinfonie von Schumann, und an die Zeit, als ich aus der Violinsonate d-moll op.102 (1851) nur den Satz kannte, in dem eine schlichte einfache Choralmelodie, so schien es mir, in bloßen Pizzicato-Akkorden angedeutet wird… (siehe hier ab 18:14). Und ich übte in der Küche bei meiner Mutter. Das liegt wohl  70 Jahre zurück. Das Gegenteil von „Lu-hu-hust“. Handfeste Frage heute: ein Plagiat etwa, eine Anleihe von Dvořák bei Schumann?

„Abendlieder“ op.3 & op.31 (1876)

Dvořáks Lied entstand rund 25 Jahre später als Schumanns Sonate, und auch zufällige Überschneidungen sind bei einem so schlichten Duktus nicht unwahrscheinlich, zudem: Wendungen aus dem Abendlied schlechthin: „Der Mond ist aufgegangen“ bzw. „Nun ruhen alle Wälder“.

Zitat aus dem (auch für Laien sehr empfehlenswerten) Lehr- und Lernbuch „Abenteuer Musik“ von Clemens Kühn:

Bei allem Respekt: ich kenne seine Informantin („Musikliebhaberin“) nicht, aber ich wette, dass sie beim Grieg-Hören nicht diese Melodie am Anfang der „Moldau“ erinnert, sondern die später in demselben Werk auftauchende Version in Dur. Ohne diese Annäherung wäre eine Assoziation von der „kreiselnden Melodie“ zur geradlinig aufsteigenden plus Halbtonschritt (bei Grieg Ganzton!) kaum denkbar.

Mehr zu diesem „Melodietyp“, ja, vielleicht sogar mehr als genug, in diesem Blog an anderer Stelle: hier.

Und jetzt noch das Urbild aller aufsteigenden Sequenzen … … … …

Nein, im Ernst, das ist nur ein Blatt meiner täglichen Fingerübungen am Klavier von Andrej Stojanow. Aber erkennen Sie denn nicht auch das Gerüst der schönsten und berühmtesten Sequenz der neueren Musikgeschichte, ich meine in der zweiten Zeile, beginnend mit dem dritten Sechzehntel c“‘? Schimmert es nicht deutlich durch? Oder heraus? „Nessun dorma“, die Arie des Prinzen Kalaf aus Puccinis „Turandot“. Ich höre es innerlich fortwährend, es ist ein Ohrwurm sondergleichen, und ich kann nur staunen, wie er immer aufs Neue aufsteigt, um immer aufs Neue in einem Strahlen aufzugehen, dessen Fortgang rätselhaft bleibt. Schlafen Sie nicht, ich muss das doch wohl nicht verlinken. Sonst kommen Sie mir noch auf die Schliche.

*     *     *

Anregung: betr. Ohrwürmer nachzuhören WDR 3 hier von Michael Arntz (bis Mai 2023) z.B ab 00:11:03 „Mind Wandering“ (unzufrieden – die Gedanken kreisen lassen).

Schon wieder Bach

L. Kavakos und F. P. Zimmermann

Rheinische Post Düsseldorf 9. April 2022

Ich bin etwas spät dran. Das interessiert mich natürlich, bei aller Bewunderung für den Geiger Leonidas Kavakos habe ich mich von seinem Solissimo-Bach ganz vorsichtig distanziert (siehe hier). Jetzt aber musste ich mir eilends die von Frank Peter Zimmermann eingespielte CD bestellen (ich warte). Gegen inneren Widerstand werde ich sogar den Klang der Stradivaris vergleichen, obwohl ich die Provenienz der Geigen im Fall Bach für völlig unwichtig halte. Nicht der Ton entscheidet die Interpretation, sondern die Gesamtheit der Töne. Jedenfalls: von einem Duell zweier Stradivaris kann keine Rede sein! Immer wieder diese Sucht, eine Konfrontation zu konstruieren, wo es um bloßes Verstehen (Verständnis, ja, Einfühlung) ginge. In einer Rezension fände ich zunächst einmal angemessen, die Titel der Stücke bzw. die Bezeichnung als Sonata oder Partita ernstzunehmen, siehe gleich in den ersten oben wiedergegebenen Zeilen: in a-Moll geht es zweifellos um eine Sonate, in E-Dur dagegen zweifellos um eine Partita. Einfach zu erkennen: mit Fuga = Sonata, mit Tänzen = Partita. In d-Moll (von Allemanda bis Ciaccona) lauter Tanzformen, also korrekt „Partita“ oder sogar „Partia“, wie es bei Bach steht. Soviel Zeit muss sein. Auch wenn man als Geiger oft etwas salopp von Bachs „Solosonaten“ spricht und damit die „Sonaten und Partiten“ meint oder – mit Bachs Worten – alle „Sei Solo“ …

Zum Reinhören → jpc hier

Zum direkten Vergleich (Kavakos) → → → jpc hier

Bewerten Sie nicht, registrieren Sie nur: kann man bei soviel Hall-Anteil (Kavakos) überhaupt den Klang einer Geige beurteilen? Je nach Raum-Anteil verändert er sich – zumindest subjektiv – für das hörende Ohr enorm. Es kann nur also um Tempowahl, Phrasierung u.dgl. gehen. Abphrasierung (A-moll-Fuge) der Themen-Einsätze, eingestreute Atempausen oder striktes  Tempo (Beat)? Modellierung der Dynamik?

Allerdings, – ein fairer Vergleich ist auf diese Weise kaum möglich, da die kleinen Kostproben nicht die gleichen Ausschnitte wiedergeben: bei Zimmermann immer die Anfänge, bei Kavakos jeweils mitten im Stück. Vor allem aber: Kavakos hat die Geige einen Ton tiefer eingestimmt („alte Stimmung“), d.h. seine E-dur-Partita hören wir im Anschluss an Zimmermann in D-dur. Im übrigen sind seine „Kostproben“ technisch leicht übersteuert (einfach schlecht kopiert).

Endlich:

Donnerstag 12.5.22, 18 Uhr:  Die Version mit Frank Peter Zimmermann ist angekommen, und die Wirkung ist frappierend. Ich beginne mit E-dur. Tonlich (und aufnahmetechnisch) so zurückgenommen, dass man es kaum glauben will. Ein E-dur-Preludio, fast möchte man sagen: durchweg im Pianobereich, nirgendwo die virtuose Siegerpose, – hier stehe ich mit meiner Stradivari und zeig es euch! -,  stattdessen ein Glanz von innen, ein Vexierspiel von Akkorden und Läufen, überall durchsichtig, man ist verblüfft, wenn es (leider) schon vorbei ist. Die Loure um so lieblicher, überquellend von Liebenswürdigkeit und Grazie, ein Tanz, den Bach nur wenige Male in seinem Leben komponiert hat, vielleicht weil nur die Franzosen ihn erfüllen konnten, und er, Bach, an anderer Stelle wohl nur noch in der Französischen Suite G-dur, – zweimal einzigartig. Gewöhnungsbedürftig dagegen für mich: die Wiederholungsteile mit ihren variierenden Protuberanzen, warum nur? Ja, er kann das auch, wie die historisch Informierten, und vielleicht will man es eines Tages auch nicht mehr entbehren. Ich werde es wohl im Zusammenhang noch oft hören. Und mit unausweichlichem Vergnügen.

Eine andere Überraschung sei hier schon angedeutete: ein Booklettext, den es zu lesen lohnt, ich weiß nicht, wo ich das schon mal erlebt habe: keine Mystifizierung und keine Plattitüden, Signifikantes zum Hörverhalten, auch wenn man glaubt, die Kompositionstechniken seit langem zu kennen, selten wird es so präzise, einfach und so neu gesagt:

Es ist dieses Ineinandergreifen der Dimensionen der Melodik, der Rhythmik, der Harmonik und der Kontrapunktik, welche den Sei Soli spürbar Ausgewogenheit, Vielschichtigkeit und strukturelle Offenheit gewähren. Am deutlichsten tritt diese Verknüpfung der komplementären Dimensionen in den Fugen der drei Sonaten hervor. Dabei offenbart sich ein wesentlicher Grundzug des gesamten Bach’schen Komponierens. Seine subtile Balance zwischen den diversen Komponenten des Klangsatzes führt dazu, dass Töne, welche auf der einen Ebene bloß schmückende Funktion besitzen, auf einer anderen durchaus zu unverzichtbaren Elementen werden, dass also Strukturelles und Ornamentales in ein komplexes dialektisches Verhältnis zueinander treten.

Genau so ist es (und so wird es auch in der dritten Sonate sein, der in C-dur, die uns noch auf einer weiteren CD bevorsteht, mit der großartigsten Fuge, die je geschrieben wurde). Diese CD beginnt mit dem überwältigenden A-moll-Satz der Trauer – „Grave“ – der dem Adagio in G-moll, dem Portal der 6 Werke, so merkwürdig ähnlich ist – mit den drei zur Fuge überleitenden Schlusstakten, überzeugend, wenn auch mit der konventionellen Gestalt des Sexten-Trillers, der zu einem Bogen-Vibrato einlädt. Die Fuge mit dreimal präsentiertem Thema, dreimal mit einer Kunstpause vorweg, als gelte es Matthesons Wort des Staunens zu illustrieren:

Wer sollte wohl dencken, daß diese acht kurtze Noten (…) so fruchtbar wären, einen Contrapunctus [=Fuge] von mehr, als einem gantzen Bogen [= fast 4 Seiten], ohne sonderbarer Ausdehnung, gantz natürlich hervorzubringen?

Tatsächlich spielt FPZ diese 7 Minuten lange Fuge mit einer faszinierenden Natürlichkeit, im stetig dahingleitenden Tempo, mit winzigen agogischen Anpassungen an die Gliederungskadenzen der Großform. Ein Wunder, gerade wenn man etwas ahnt von den Griff-Problemen der linken Hand, verbunden mit der Schwierigkeit, die Brechungen der vierstimmigen Akkorde bogentechnisch elegant zu meistern. Ein Wunder ist auch der leichter überschaubare dritte Satz, das Andante, ein Traum, dessen makellose melodische Linie durch einen gleichmäßig getupften „Bass“ begleitet und getragen wird, die Illusion der zwei oder sogar drei Stimmen auf dem eng begrenzten Raum des Melodieinstruments, das ist vollkommen, der Raum öffnet sich. Das abschließende Allegro durcheilt ihn in alle Richtungen, lotet ihn aus, nach Höhe und Breite und in den Diagonalen; trotzdem kein Virtuosenstück, schon die feinen Echowirkungen signalisieren Zeit und freie Entfaltung. Wie die Fuge, die auch durch solche stehenden Echo-Takte, durch ausgespannte Dreiklangsgirlanden, und immer wieder durch die gleichförmig gestalteten Sequenzen der Zwischenspiele für weite, formbildende Ausblicke sorgt.

Die Ciaconna

Die Wirkung ist enorm, was eigentlich erstaunlich ist, wenn man bedenkt, dass man diese Wirkung seit ungefähr 60 Jahren kennt (auch wenn ich in den Anfängen glaubte, es sei so ähnlich wie mit der Vitali-Chaconne). Sobald ich heute darüber nachdenke, fällt mir immer als erstes Janine Jansen ein, – und ich habe der Neigung widerstanden, jetzt ihre Aufnahme „zum Vergleich“ zu hören. Es kann nicht darum gehen, wie ergriffen ich bin und wo am meisten. Ich werde mich hier auf ein paar Besonderheiten konzentrieren und ansonsten genau diese Zimmermann-Aufnahme als unüberbietbar in Erinnerung behalten. Zunächst aber habe ich nicht genau erkennen können, ob er den Sarabanden-Rhythmus überall mit Doppelt-Punktierung spielt, oder ein Mittelding wählt, am Anfang schärfer punktierend als – vom Dur-Teil geläutert –  am Ende. Was diesen Abschnitt so wunderbar macht, ist die Tatsache, dass Zimmermann hier einfach nichts macht, außer schön spielen. Wie weich er Akkorde relisiert, wenn es von der Zwei- zur Dreistimmigkeit übergeht, und wie er in dem darauffolgenden 16tel- Abschnitt die Fanfaren-Töne herausarbeitet, in einer milden Steigerung, zuerst wie aus der Ferne, dann immer mächtiger. Irgendwie liegt es in der Logik des Aufbaus, im Arpeggio-Teil, der in die Wiederkehr des tragischen Tonfalls von D-Moll mündet, alle artistischen Ambitionen zu entfesseln und auch noch ornamentale Blitzlichter einzubauen, es wird mich bei wiederholtem Hören gewiss mehr begeistern. Übrigens auch die geringfügige, aber suggestive, ja zwingende Temposteigerung im letzten Teil vor der abschließenden Themen-Apotheose – es ist überwältigend – gerade darin auch die Idee, es nicht zu weit zu treiben, auf dem Cis der verminderten Septakkordes im drittletzten Takt ein Piano-„Memento“ zu setzen, keinen Schlusstriller zu ergänzen, sondern eine leere Quinte zu präsentieren, dieselbe wir vorher im Ausklang des Dur-Themas. Und ein Schlusston, der die Verdopplung des Tones D nicht benutzt, um die Stradivari aufblühen zu lassen… Unspektakulär wie in Bachs Handschrift. Mehr kann nicht gesagt werden, und es ist deshalb auch noch nicht ALLES gesagt.

Ob es wirklich etwas zu bedeuten hat oder nicht: Man sieht unwillkürlich den hintergründigen Zusammenhang des verminderten Cis-Akkordes in der dritten Zeile mit dem am Ende der sechsten Zeile:  ………………..  ⇓

(Fortsetzung folgt)

Matthäuspassion in der Kritik

Das Musterbeispiel

… einer schlechten Rezension. Unbegreiflich eigentlich, dass dergleichen in einer großen Tageszeitung durchgeht. Da wird der Eindruck erweckt, es gehe um eine Neuaufnahme, nämlich die im Mittelpunkt abgebildete, in Wirklichkeit gilt ihr nur ein Bruchteil des Textes. Am meisten ist von Gillesberger die Rede, der nun wirklich einem glücklich überwundenen Zeitalter der Bach-Interpretation angehört.

Was hat die Zeit der frühen Wiederentdeckung Bachs, die ganze historische Ahnungslosigkeit jener Wendezeit (Respekt für Zelter, Goethe und andere große Geister!) mit der heutigen Zeit der Gesamtfassungen zu tun? Steht etwa Hans Gillesberger für die alte unbefangene Zeit der großen Gefühle und der kurzen Geduld? Und gibt es tatsächlich kein anderes diskutables Aufführungsereignis der vergangenen 60 Jahre als John Neumeyers Ballettfassung? Nichts von Ton Koopmann, J.E.Gardiner, René Jacobs, Peter Dijkstra? Und wenn man neue Interpretationen prinzipiell pars pro toto behandeln will, – warum diese dumme Rede von der angeblich „schwarzen Pädagogik“ des Bass-Rezitativs, das sich auf Bibelworte bezieht? Samt der anschließenden Gamben- Arie, wobei suggeriert wird, dass diese irgendwo auch mal von einem Knaben oder Kind gesungen worden sein könnte. Da wird in kryptischen Anspielungen eine nicht vorhandene Kennerschaft vorgespiegelt. Es ist ein Bass, und muss so sein.

Die beiden zitierten Texte haben offensichtlich mit den Stichworten des Evangelisten zu tun, wo vom „Kreuzigen“ die Rede ist und davon, dass die Leute einen Mann namens Simon ZWANGEN, das Kreuz zu tragen, was dann – im Kommentar – auf jedermann, jede/n von uns projiziert wird: „Ja! freilich, will in uns das Fleisch und Blut gezwungen sein, je mehr es unsrer Seele gut, je herber geht es ein“. Und das soll nur ein gestandener Bass singen dürfen und kein Kind, weil sich sonst die Gemeinde nicht identifizieren kann? Die Begründung ist absurd. Was für ein kindliches Denken! Tatsächlich ist es ja eine Bass-Partie, und der Rhythmus der Solo-Gambe in der nachfolgenden Arie spricht von Schlägen des Rohrs, von der Geißelung, die Jesus erlitten hat (s. vorvoriges Rezitativ). Ein Kind steht gar nicht zur Debatte, obwohl allen bekannt ist, dass wir sämtlich Kinder Gottes sind, erst recht Jesus selbst. Der übrigens auch kein „gestandener Bass“ gewesen sein müsste, obwohl seine Christus-Worte grundsätzlich dem Bass zugeteilt sind. – Wenn es heißt, dass von den „zween falschen Zeugen“ einer Falsettist singt (was erstens Bach nicht vorschreibt und zweitens schlechtes Deutsch ist), dann soll das gewiss nicht signalisieren, dass er „ein falscher Sopran“ ist, wie der Rezensent meint. Er oder sie ist Alto, wie es wohl in der Partitur steht.

Und noch ein anderes Detail, das hier zur Schlüsselszene erklärt wird (wobei zu bedenken ist, dass die Passionsgeschicht vor allem aus Schlüsselszenen besteht):

„Herr, bin ich’s?“ Das sind 5 schnelle Frage-Takte, die von der darauf folgenden Antwort des Chorals leben: „Ich bin’s, ich sollte büßen“. Soll man glauben, dass irgendein Chor der Welt oder einzelne Chorsolisten diese Frage jemals „herausbrüllen“ durften? Und dass nur in einer ängstlich verschüchterten Interpretation „der Schrecken seine tiefe Wirkung“ entfalten kann, eine Wirkung, die für jedes empathisch mitfühlende, mitbüßende Herz gewiss erst im Choral zutagetritt.

Da ist einerseits die vorgespiegelte Sensibilität der Detailkenntnis, andererseit ein unglaublich pauschales Denken: wer vergleicht denn schon Bach mit Schütz, wenn es um eine Matthäus-Passion geht!? Was für eine Taktlosigkeit! Was für ein Sprachverständnis, was für eine Spiegelfechterei, hier zwischen dem gesprochenen und dem vertonten Wortklang zu unterscheiden. Nichtmuttersprachler! Was für ein Dilettantismus, was für ein jämmerlicher Versuch, den Dilettanten zu imponieren! Und solch ein Schreiberling spricht von Einspielungen vergangener Jahrzehnte als einem Wettbewerb um „den originalsten Instrumentalklang oder die plakativste Dramatik, bis hin zum musikalischen Schmierentheater“.  Das Wort „Gehirnwäsche“ scheint ernst gemeint. Und da soll eine neue Unaufgeregtheit als Tugend ausgerufen werden??? Sind denn Blitz und Donner jetzt endgültig in Wolken verschwunden? Ich hoffe nicht. Und werde mir heute Nacht die „Pygmalion“-Aufnahme anhören. Hoffentlich nicht ohne die zugehörige Erschütterung, die mir durchaus ein bisschen wie Aufgeregtheit vorkommen darf. Es wäre nur angemessen.

Mit einer verkappten Unverschämtheit geht die Rezension zuende:

Und doch dienen alle kunstvollen Mittel hier nur einem Zweck: der Erhebung des Menschen, wie man das damals pathetisch sagte, durch die Kunst.

… Erhebung des Menschen??? Hybris statt Demut? Bach jedenfalls hat „als Finis und Endursache“ aller Musik immer „Gottes Ehre“ hervorgehoben und dann erst „die Recreation des Gemüts“. Sonst sei es ein „teuflisches Geplärr und Geleyer“. Aber vermutlich will der Rezensent nur eine zeitgemäße Anspielung unterbringen, – und will gleichzeitig nichts gesagt haben:

In Zeiten, in denen gute Kunst allerdings nur von guten Menschen hervorgebracht werden kann, wird das schwieriger. Gut, dass wir von Bachs Privatleben so gut wie nichts wissen.

*     *     *

A propos Gillesberger: Harnoncourt soll sich angeblich an dessen Stelle aufs Cover der CD-Fassung katapultiert haben? Rufmord. Mir schien, jener hat die Chorpartien einstudiert, dieser den Concentus Musicus geleitet. Wer hat vorn gestanden? Nun stehen sie wohl beide auf dem Cover, und es ist klar, welcher Name nach so vielen Jahren aus Sicht der Firma attraktiver war. Die optische Aufteilung entspricht halt der gefühlten Realität. Und da sollte man einfach nochmal gründlich recherchieren, wer von beiden die respektablere Lebensleistung präsentieren kann. Gerade im Blick auf Bach. Wie dem auch sei: man spürt eine latente Demagogik. Mit einer Korrektur beginnen könnte man z.B. hier. Aber es lohnt sich auch, eine Reihe von Aufnahmen durchzuschauen, in denen ein Chor mitwirkt, dessen Leiter einmal die Gesamtleitung innehat (z.B. Tölzer Knabenchor: Gerhard Schmidt-Gaden), während sie ein anderes Mal bei jemand anderem liegt (Gustav Leonhardt), ohne dass man eine listige Amtserschleichung argwöhnen muss. (Beispiele ganz unten)

Es folgt die Kostprobe einer Promo-Aufnahme mit „Pygmalion“ und Raphaël Pichon („Sind Blitze, sind Donner“):

Andere Ausschnitte gibt es bei dem Journalisten Manuel Brug, der es allerdings nicht einmal schafft – pars pro toto – den Namen des Bass-Solisten (Christian Immler, nicht Irmler!) in einer vorproduzierten Radiosendung korrekt auszusprechen, hier (bei 4:24)…

Beispiele einiger CD-Titel (soeben – fast wahllos – abfotografiert)

P.S. Vielleicht sollte ich noch erwähnen, dass es mir nicht um Kritikerschelte überhaupt geht; eine gründliche Rezension ist für musikverständige Menschen eine nicht zu verachtende Entscheidungshilfe. Als sehr positives Beispiel kann die Besprechung zweier Neuaufnahmen – darunter ebenfalls die von Raphaël Pichon – gelten, ich gebe das Handyfoto wieder, das mir ein Freund zugeschickt hat. Ich merke mir den Namen des Kritikers und werde bei Gelegenheit gern die FAZ bevorzugen, wenn ich musikalischen Rat suche: Gerald Felber. Hier ist der Artikel – wie ich hoffe – abrufbar, zudem mit schönen Links versehen. Mustergültig! Ansonsten hier die etwas mühsamer lesbare Nachhilfe-Kopie für alle Fälle:

Zur Diskussion (bzw. Nach-Denken):

Nach der Lektüre einer Kritik (20.03.) in der Rheinischen Post Düsseldorf –

Johannes-Passion neu Gardiner, nachzuhören bis 10. Juli hier

Alfred Lorenz

Zur Analyse der großen Form

Seit ich mich mit Wagners Werken hörend und spielend beschäftige, inbesondere aber, seit ich mich bei der sogenannten Staatsarbeit zum Abschluss des Schulmusikstudiums (1964) längere Zeit ausschließlich mit „Tristan und Isolde“ beschäftigte und auf die große Form aufmerksam wurde, die – wie ich meinte – im Parallelismus der drei Aufzüge deutlich zutage trat, plante ich, mich intensiver mit den Arbeiten von Alfred Lorenz zu den gigantischen Bögen bei Wagner zu beschäftigen. Doch das Misstrauen begann, als mir klarer wurde, wie tief er in die NS-Ideologie verstrickt war, und als ich am Ende der beiden Bände RICHARD WAGNER Ausgewählte Schriften und Briefe (1938), die ich antiquarisch für 18.-DM erstanden hatte, auf den folgenden Ausblick stieß, war ich schon einigermaßen kuriert. So sehr, dass ich mich nicht mehr um das Hauptwerk dieses Propheten kümmern mochte: „Das Geheimnis der Form bei Richard Wagner“ in vier Bänden. Aber eine kürzere Version hätte ich mir durchaus gewünscht. Falls etwas „dran“ war. Eine Recherche über die Nazizeit des Autors war damals ungleich schwieriger als heute, und als die 68er uns aufweckten, war ich schon mit den großen Formen der indischen Musik beschäftigt.

Alfred Lorenz (1938)

Wikipedia (engl) hier zu Alfred Lorenz.

Zu seiner NS-Geschichte im Detail HIER

Aber ich blieb wachsam, wenn es um einen neuen Wagner ging: Adornos „Versuch über Wagner“ 1966 und diese erstaunliche Schrift von Dahlhaus, den ich in Darmstadt kennengelernt hatte (wo auch Adorno über Form sprach) und Rudolf Stephan uns (d.h. das Klaviertrio de Bruyn) täglich ins Gespräch zog.

Carl Dahlhaus 1971

Und nun erst die Entdeckung eines neuen Ansatzes für Lorenz bei Jens Wildgruber:

    Quelle Festschrift Heinz Becker 1982, darin Jens Wildgruber: Das Geheimnis der ‚Barform‘ in R.Wagners Die Meistersinger von Nürnberg. Plädoyer für eine neue Art der Formbetrachtung Seite 205 – 213 / Laaber-Verlag 1982 ISBN 3 9215 1870-9

Bar-Form (AAB) Bogen-Form ( ABA = dreiteilige Liedform)

Die Behandlung der Bar-Form im Lexikon MGG (neu): der Artikel beginnt und endet interessanterweise mit Wagner:

  … ein weitgehendes Korrespondenzverhältnis erkennen lassen und somit als Stollen einer Riesen-Barform dem 2. Akt als Abgesang gegenüberstehen (Mey 1901, S.363; Lorenz 1966 Bd.3, S.10ff).

Quelle MGG (neu) Die Musik in Geschichte und Gegenwart  Sachteil 1 „Barform“ /  Bärenreiter Metzler Kassel Basel etc. 1994 / Autoren: Johannes Bettelbach (Kurt Gudewil)

Man mag es als bloße Sentimentalität abtun, wenn ich mich an die Staatsarbeit von 1964 erinnere, die mich zum ersten Mal auf solche Großformen aufmerksam machte; auch der Name Lorenz fehlt nicht und immerhin war dieser Abschluss des Schulmusikstudiums (danach folgte das reine Violinstudium bis 1967, dann die  Orient-Tournee und die Promotionsstudien über arabische Musik bis 1970) dafür verantwortlich, dass ich mich bis heute für das Phänomen Wagner interessiere, obwohl es den neuen musikethnologischen Arbeitsgebieten zu widersprechen  schien. Es gehört alles zusammen. Das Thema lautete: „Die literarischen und philosophischen Anregungen zu Wagners Tristan und ihre Wiedergabe bzw. Umbildung in diesem Werk.“

Reichow 1964

Wie gesagt: eine Sentimentalität vielleicht, aber es wäre auch heute noch keine Strafarbeit für mich, ein Jahr lang aufs neue „Tristan und Isolde“ zu studieren. Damals soll mein früherer  Geigenlehrer Raderschatt in Bielefeld geäußert haben: „ich dachte, er hätte endlich die Pubertät hinter sich“. Ein Irrtum, – ich wollte, ich könnte sie heute als erledigt betrachten.

Rudolf Stephan sagte uns damals: Lesen Sie Adornos Analyse zur Lohengrin-Instrumentation, überhaupt den „Versuch über Wagner“! Wie kam er darauf? Ich habe das erst im April 1966 umgesetzt und stieß wieder auf Lorenz, neue Fragen tauchten auf.

Ich wusste wohl, wie ungenügend mein Ansatz zu einem Überblick des Tristanstoffes war. Was nicht heißt, dass ich heute soviel schlauer geworden wäre. Vielleicht wüsste ich nur besser, wie ich weiterarbeiten müsste. Wenigstens hinsichtlich der Lektüre würde ich wie folgt beginnen, also durchaus bei Lorenz und bei meinem Wunsch, musikalische Riesenformen zu überblicken und nicht bei „schönen Stellen“ hängenzubleiben… wie oft wohl habe ich damals Wotans Abschied incl. Feuerzauber gehört, wie oft in meinem „Einzelhaft“-Zimmer in Köln-Niehl das Tristanvorspiel (erleichterte Fassung) am Klavier gespielt? Wie oft wohl? Auch Besucher*innen waren nicht sicher.

MGG  Mahnkopf

Quellen

MGG (neu) Die Musik in Geschichte und Gegenwart Personenteil Band 11  Artikel „Alfred Lorenz“ Autor: Werner Breig

Richard Wagner Konstrukteur der Moderne (Hg.) Claus-Steffen Mahnkopf, darin: Wagners Kompositionstechnik S.159-182 Klett-Cotta Stuttgart 1999

Letzteres ein besonders maßgebendes Buch, aus dem ein bezeichnender Satz zitiert sei:

Die Wagnerliteratur ist so vielseitig wie unüberschaubar. Ein jeder, gleich, ob musikalisch fachkundig oder nicht, glaubte, sich zu Wagner äußern zu können und zu müssen. Betrachtet man sie aber etwas genauer, folgt die erste Überraschung: Der Anteil der Literatur zur Musik Wagners ist verschwindend gering.

(Sein guter Hinweis auf Ernst Kurth: Romantische Harmonik und ihre Krise !!!)

Einstweilen begnüge ich mich, die Arbeit von Jens Wildgruber zu studieren, zumal sie nirgendwo in der Wagner-Literatur beachtet und zitiert wurde, auch wohl schwer aufzufinden war  – ich weiß nicht, warum das so ist, auch nicht, warum man im Internet kaum Triftiges über den Autor und seine weiteren Arbeiten findet.

Weshalb Alfred Lorenz ansonsten fehlt (auch in meinem Bücherschrank), ist klar, obwohl man es selten so simplifiziert ausdrückt: er war ein unangenehmer Nazi (gestorben 1939!). Aber natürlich kann man sich mit ihm auseinandersetzen, ohne mit seinem weltanschaulichen Hintergrund zu sympathisieren. Das geht einem ja bei Wagner genauso!

(Fortsetzung von oben, Wildgruber)

Was mir hier besonders gefällt, ist sicher auch das, was mich an die frühen 80er Jahre erinnert, eine linke Haltung, die der Utopie zuneigte, dabei immer den positiven Zielpunkt der Geschichte ahnen ließ, die Moderne (siehe Mahnkopf); für mich immer im latenten Widerspruch zu meinen parallel realisierten „orientalischen“ oder „ethnischen“ Interessen. Ich zitiere aus Wildgrubers Artikel, um es leichter repetierbar zu machen:

Das ‚Geheimnis‘ der Barform liegt tiefer, zumal es nicht zum Gegenstand der ‚ästhetischen Vorlesung‘ gemacht wird; es liegt verborgen in der Frage, warum denn die Meister [der „Meistersinger“] im Bar die einzig statthafte Form künstlerischer Äußerung erblicken. Es gibt nur einen Hinweis darauf, daß Wagner darüber nachgedacht hat, und zwar unter einem geschichtsphilosophischen Aspekt. Die Ausgangsbasis ist zu schmal, um daraus eine komplette Theorie abzuleiten; die folgenden Ausführungen sind daher eher spekulativer Natur.

Dialektisches Denken, wie es sich im Strukturprinzip des Bars niederschlägt, ist immer auch geschichtliches Denken, das Geschichte versteht als einen fortschreitenden Prozeß, in dem von Konfliktlösung zu Konfliktlösung immer höhere Ebenen der gesellschaftlichen Organisation und des menschlichen Bewußtseins erreicht werden: Geschichte hat ein Ziel, dessen formelhafte Umschreibungen als ‚Aufhebung der Selbstentfremdung‘ oder ‚Neues Paradies‘ in ihrer Abstraktheit auf die Utopie verweisen. Wenn Wagner den Bar als dialektische Struktur interpretiert, so sieht er in ihm den Niederschlag des teleologischen Geschichtsbewußtseins seiner Schöpfer, d.h. des frühen Bürgertums, dem ein klares Ziel vor Augen lag, nämlich die Aufgabe, sich gegen das Feudalsystem durchzusetzen. Das vermittelnde Element zwischen einer Gesellschaft und ihren repräsentativen musikalischen Ausdrucksformen wäre demnach in der beiden gemeinsamen Strukturierung der Zeit zu sehen.

Speist sich das Selbstverständnis des Bürgers im ausgehenden Mittelalter aus dem teleologischen Bewußtsein, daß sein Ziel, die Selbstverwirklichung, in greifbarer Zukunft zu erreichen sei, so beruht das Feudalsystem auf genau entgegengesetzten Prinzipien. Es leitet seine Existenzberechtigung aus Vergangenem ab, aus einem in mythischen Bildern verklärten Ursprung, der dem Menschen anschaulich wurde in der Zugehörigkeit zur Blutgemeinschaft der edlen Sippe, im Besitz von Grund und Boden und in der Zugehörigkeit zu einem sozialen Stand. Die Rechtfertigung des Systems aus dem Ursprung steht in ersichtlichem Gegensatz zu teleologischem Bewußtsein: wo der Ursprung herrscht, kann Geschichte nur erfahren werden als Wiederholung dessen, was schon immer war, die Zeit steht unter demselben Gesetz des Kreislaufs wie das vegetative Dasein.

Elemente dieses Bewußtseins werden an zahlreichen Stellen im Ring des Nibelungen artikuliert, doch wäre es verfehlt, seine Konzeption aus dem ursprungsmythischen Bewußtsein ableiten zu wollen: es ist nur Stoff, nicht Strukturprinzip ( nur in Tristan und Isolde gewinnt es die Form beeinflussende Kraft).

Eine der denkbaren Formen, in der sich ursprungsgebundenes Bewußtsein niederschlagen kann, ist ganz offensichtlich der Bogen. Wenn die Meister also Walthers Prüfung abbrechen, tun sei es aus einem guten Grund: nicht etwa, weil ihnen eine altmodische Dacapo-Arie vorgetragen wurde, die für die historischen Meistersinger allenfalls eine allzu moderne Form gewesen wäre, sondern weil in der Bogenform das feindliche Prinzip seine Maske fallen ließ; der Junker sang nichts anderes vor, als die mißtrauischen Meister von ihm erwarten konnten.

Wenn Wagner gleichwohl Walther zu demjenigen Künstler macht, der den Bar zum wahren Ausdruck bürgerlichen Bewußtseins entwickelt, dann muß er Walther aus dem Bereich des Ursprungsmythos herauslösen. Genau dies – und darin liegt der Hinweis, daß Wagner vergleichbare Überlegungen angestellt haben muß – geschieht für alle drei Ursprungsbindungen, die das Gesetz des Ursprungs konkretisieren, wenn er Pogner über ihn sagen läßt:

Als seines Stammes letzter Sproß / verließ er neulich Hof und Schloß / und zog nach Nürnberg her, / daß er hier Bürger wär‘.

Es ist der Überlegung wert, ob dieser – Wagner unterstellte – Ansatz neue Wege zur Betrachtung musikalischer Formen erschließt.

Soweit Jens Wildgruber 1981. (Quelle siehe oben a.a.O.) Es waren die Überlegungen jener Zeit, die mich heute geradezu „heimatlich“ berühren.

17./18. April 2022

Übrigens habe ich vor Jahren (2016) im Blog schon einmal versucht, der Wagnerschen Kompositionsweise näherzukommen und bin nun quasi zufällig aufs neue an denselben Punkt geraten, wie man hier sehen kann. Allerdings im Parsifal. Und das passt nicht schlecht: der Blick zurück und auch voraus, immerhin haben wir heute schon Ostersonntag. Der Vollständigkeit füge ich noch einen weiteren Link hinzu, zu dem Artikel, der damals den Ausgangspunkt (Fluchtpunkt?) darstellte: hier zum 25. Juli 2016.

Und jetzt soll heute auch noch einmal der Link zur Youtube-Aufnahme folgen (ab 24:28),

Kundry 1992 Waltraud Meier, Poul Elming (Barenboim, Kupfer)  HIER 

darüberhinaus unten der entsprechende Notentext aus dem Parsifal-Klavierauszug meines Vaters, der ihn in seinen Kapellmeister-Jahren (in Schwerin erworben und) in Stralsund studiert haben wird, in den 1920er Jahren, noch optimistisch vorausschauend, womit wir heute – zurückschauend – ziemlich genau 100 Jahre im Blick hätten, – zugleich eine nahe Zukunft, die wenig Anlass zum Optimismus gibt.

Tristans Blick

im Vorspiel

er schlägt die Augen auf, sie schenkt ihm das Leben, er stirbt, sie anblickend

Leben Tod

(folgt: Walküre: „Todverkündigung“ 2.Aufzug, 4.Szene (s.o. Bar-Form MGG)

Hören? Z.B. HIER (Solti 1957), a) bis 9:45 b) bis 13:07 / c) bis Ende / Im Textbuch auf Wiederkehr Motiv 32A achten (Seite 100 und Seite 101)

Wer war Wagner? († 13. Februar 1883)

15. Januar 1882 / ZITAT:

Man muss schon abgebrüht sein, um in diesem späten Porträt nicht das Antlitz eines Jenseitigen zu erblicken. Alles Blut scheint daraus gewichen, nur die blauen Augen tragen rot geäderte Ränder, der Teint wirkt kreidig, teigig, ungesund, Haar und Backenbart fast struppig, und besonders die lachsfarbenen Lippen lassen mehr eine Steckbriefzeichnung vermuten als das Werk eines renommierten Malers. Januar 1882, Palermo, Grand Hôtel et Des Palmes, der 41-jährige Auguste Renoir porträtiert den 68-jährigen Richard Wagner. Der Meister, so berichtet der musikbegeisterte Maler hinterher, sei »sehr fröhlich« gewesen, wenngleich nervös. 35 Minuten dauert die Sitzung, nicht eben lang, und Renoirs Einschätzung des Resultats lässt tief blicken. »Wenn ich vorher aufgehört hätte, wäre es noch besser gewesen.« schreibt er, »denn mit der Zeit war mein Modell nicht mehr so fröhlich und wirkte steifer. Ich habe die Veränderungen zu sehr übernommen.«

Noch mehr Flüchtigkeit im Skizzieren hätte somit ein noch echteres, authentischeres Wagner-Bild besorgt? Der Gedanke leuchtet ein. Wo die Pose fehlt, liefert der Mensch sich aus. Vor allem aber ist die Mühe interessant, die es [den] Komponisten offenbar kostet, sich in Pose zu werfen – und nichts als diese Mühe fängt Renoir ein. Ausgerechnet Richard Wagner, dem Virtuosen der Selbstinszenierung und -stilisierung, entgleiten hier die Züge, und wären da nicht die altbekannte Silhouette, nicht die opulente Seidenschleife am Hemdkragen und der schwere, pelzbesetzte Mantel (als sei der sizilianische Winter einer der härtesten), man würde ihn kaum wiedererkennen. Renoirs Malerkollege Paul Gauguin wertete die Physiognomoe des Deutschen hellsichtig als eine transparente, durchlässige: ein bleiches »Doktorengesicht, dessen Augen dich nicht fixieren, nicht ansehen, sondern zuhören«. Zwanzig Jahre später drehte der Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe den Spieß programmatisch um, ohne groß auf Wagner einzugehen. Das im Pariser Musée d’Orsay hängende Bild, schreibt er, sei »ein merkwürdiges Dokument. Es gibt gewisse Seiten Wagners mit verblüffender, fast erbarmungsloser Psychologie. Es steht dahin, wie weit sie dem Maler bewusst war, jedenfalls beweist das Bild, wie frei sich der Künstler vor dem Gegenstand seiner Verehrung fühlte.«

Quelle Rüdiger Schäpe und Christine Lemke-Matwey: Die Sächsischen Olympier / in: Richard Wagner Max Klinger Karl May WELTENSCHÖPFER / Hatje Cantz  (Austellung Leipzig) Ostfildern 2013 (Seite 24f)

(JR) Ich erinnere an meine obige Verknüpfung des Wildgruber-Artikels mit meinen Hoffnungen um 1980, an die geheime Rolle der Moderne, und finde sie – ich mag Unrecht haben – auch in der Einschätzung des Wagner-Porträts von Renoir wieder, der offenbar für den Umschlagspunkt der Moderne (nach Wagner) einstehen soll, wie ich ihn auch nach dem eben zitierten Text avisiert sehe. Ohne dabei zu frohlocken. Ich habe vor zwei Tagen den Renoir-Film gesehen, war ernstlich berührt und hätte ihn gern noch einmal gesehen… Es würde zu weit führen, darüber nachzudenken (sein Alter und auch: das Altern der Moderne). Hier ist die Fortsetzung des Zitates:

Schön für Renoir, möchte man sagen – und nicht ganz so schön für Wagner? Von der Moderne, die sich hier am Horizont abzeichnet, ist der deutsche Überkünstler gegen Ende seines Lebens mindestens so weit entfernt wie der französische Impressionismus vom Bärenfell Jung-Siegfrieds auf der wagnerschen Opernbühne des 19. Jahrhunderts. Das eigentlich Aufregende aber ist, dass Wagner sich dessen bewusst war. Auch das enthüllt Renoirs Porträt: Indem es einen sich Verabschiedenden zeigt, einen, der bereits Platz gemacht hat. All die Zukunftsorgelei, die Wagner stets lautstark betrieben hatte, in Wort und Ton, in seinen Schriften wie in seinen Musikdramen, sie muss vor einer Zeit, die nicht nur an Gott, sondern auch an der Stellvertreterschaft des Künstlers für dass Göttliche auf Erden zweifelt, notwendig verstummen. Die Schwelle zum nächsten Jahrhundert kann und will Wagner, der Visionär und Utopist, nicht überschreiten – zumal er sich von seinem Selbstbildnis, seinem künstlerischen Rollenverständnbis offenbar nicht zu lösen vermag. Dabei wären Wagner und Sigmund Freud gewiss ein famoses Dioskurenpaar geworden.

ZITATende

(JR) Mit dieser zuletzt genannten Paarung wären wir schon fast bei Thomas Mann und seinem großartigen Essay aus dem Jahre 1933, den ich aufs neue anschaue. Für mich als Leser jedoch steht – sinnvollerweise, aber rein zufällig – erst recht auf der Liste das neue Buch von Volker Hagedorn: FLAMMEN Eine europäische Musikerzählung 1900 – 1918 (Rowohlt 2022). Siehe hier.

Wer genau den gleichen Weg gehen will wie ich, könnte sich schon mal … etwas einhören (die Vorstellung beginnt genau bei 2:20) HIER (Pelléas et Melisande)

Ohligs vorm Horizont

Gestern Abend (24. März 2022)

Der Blick aus dem Fenster im 5. Stock der Klinik, in Richtung „Heimat“.

Dieses im Sinn, möchte ich über eine mir bis dahin unbekannte Musik sprechen, die ich erstmalig, aber dann sehr oft gehört habe, um in ihr heimisch zu werden. Sie erinnerte mich an Froberger, an bestimmte Préludes, die nicht mensuriert sind. Die Chance, ein solches notiertes, aber nicht rhythmisch präzise ausgeformtes Stück nur über das Ohr als sinnvolle Musik zu erfassen, schien mir von Wiederholung zu Wiederholung reizvoller. Zugleich war ich durch eine bestimmte Lektüre angeregt, nämlich durch die Theorie der Resonanz, die Hartmut Rosa in dem Büchlein „Unverfügbarkeit“ dargestellt hat. Ich wollte erkunden, ob sich in der Verbindung mit dieser unbekannten Musik, so etwas wie eine Resonanzerfahrung bilden wird, oder eine instinktive Verweigerungshaltung genährt wird, die ich anfangs spürte.

Dies geschah in der Klinik, wo ich – mattgesetzt – nichts anderes als diese Musik, deren Komponist mir unbekannt war, auf dem Handy abrufen konnte.

Nach Haus zurückgekehrt, versuchte ich jetzt, dieses Stück auf Youtube zu finden, stieß auf eine andere Interpretation, die mit dem parallel zum Spiel wiedergegebenen schriftlichen Ablauf des Werkes versehen ist. Man kann also die Noten mitverfolgen. Trotzdem will ich zunächst den Eindruck festhalten, der vor der Kenntnis des Notentextes entstanden war.

Es ist wohl ein Unterschied, der auch bei Theorien des Hörens beachtet werden müsste: was steht im Vordergrund? Sehe ich die reale Aufführung, also einen spielenden Menschen, sehe ich die Noten, oder höre ich mit Kopfhörern nur das tönende Werk?

Zurückgestellt sei die Frage: Was sollte ich über den historischen Hintergrund wissen (Versailles, Agréments der Zeit), um in der stilistischen Einordnung vorweg einige Weichen zu stellen?  Wer grundsätzlich etwas gegen überbordendes „Getriller“ hat, sollte das Defizit zunächst bei sich selbst suchen: er wird vielleicht schon beim Thema der Bachschen Goldberg-Variationen anderen Sinnes und sich ärgern, wenn er z.B. Wilhelm Kempffs „abgespeckte“ Version als seriöse Alternative betrachten soll. (Natürlich hat ein Ornament absolut nichts mit „Speck“-Ansatz zu tun, im Gegenteil: mit Auflockerung der Strukturen.)

ZITAT Wikipedia „Verzierung“:

Frankreich, seit der Zeit Ludwigs XIV. kulturell stilprägende Nation, wartete mit dem größten und am feinsten ausgearbeiteten Fundus an wesentlichen Verzierungen auf: Die größte bis dahin veröffentlichte Verzierungstabelle (mit insgesamt 29 Verzierungsarten) stammt von Jean-Henri d’Anglebert in seinen Pièces de clavecin von 1689. Sehr einflussreich waren auch François Couperins Verzierungen in seinen vier Bänden mit Pièces de Clavecin, von denen der erste 1713 herauskam. In Italien, das der übrigen europäischen Musik schon länger als Vorbild diente, kamen zu diesen wesentlichen Manieren und Trillern noch die improvisierten oder willkürlichen Verzierungen, die sich vor allem durch die Diminution der jeweils gegebenen Melodik ergaben. Seit der Wiener Klassik wurde die improvisatorische Verzierung des Notentextes durch den Interpreten immer bedeutungsloser, da Komponisten ihre Vorstellungen immer exakter notierten.

Ich erinnere mich mit Dankbarkeit an bestimmte musikalische Erfahrungen der 1960er Jahre: zunächst einmal an die entnervenden Mahnungen des Kammermusiklehrers Günter Kehr: „Nicht zusammen, nochmal! – Nochmal!“ usf. bei Akkordschlägen, wo wir (als Klaviertrio oder Streichquartett) schon ziemlich zufrieden waren; Kehr aber – als alter „Rundfunkhase“, hatte schon viel Erfahrung mit Aufnahmepraxis, also mit der Unbestechlichkeit der Mikrofone. Darüberhinaus rühmte er das Rubatospiel unseres Pianisten Christian de Bruyn, während man als Streicher glaubte, die Kunst der Melodiegestaltung per Intuition gepachtet zu haben. Lauter Lernprozesse. Viel später kam für mich die Begegnung mit der indischen, der arabischen oder der iranischen Musik, – wo sich zeigte, wie berückend die Kehrseite der gerade dort hochentwickelten Rhythmik wirkte: das vom regulären Rhythmus befreite Schweifen im indischen Alap, im arabischen Taqsim oder auch in der tunesischen Nuba-Einleitung „Istiftah“, wo das Orchester fern jeder „preußischen Disziplin“ agierte. Kein Vorbild natürlich für ein historisch orientiertes Ensemble wie das Collegium Aureum. Aber dann kam Gustav Leonhardt, seine Durchleuchtung der alten französischen Musik, der Swing des inegalen Spiels von Sechzehnteln und auch des absichtlich ungleichen Anschlags genau untereinander notierter Akkorde, das „non-mensuré“, das übrigens wenig zu diesem noblen Künstler zu passen schien. Heute schaut man bei Wikipedia nach und findet auf Anhieb etwa dies oder besser dies. Aber wohlgemerkt: man lernt es nicht im herkömmlichen Kammermusikensemble. Daher das umwerfende Erlebnis für mich, die Aufnahmen des Alarius-Ensembles mit Sonaten des Hochbarock im provisorischen Technikraum von Schloss Kirchheim mithören zu dürfen: dass man sich in der Alten Musik so frei bewegen konnte!

All dies ging mir jetzt durch den Kopf, als ich das unbekannte Praeludium in den glasklaren, bezaubernden Klängen eines französischen Cembalos in ihrer Konstruktion zu durchschauen suchte, und zwar wie mit fremden Ohren: diesen Frühlingsregen von scheinbar ungeordneten Tönen, die doch ohne Zweifel einem Konzept von regulären, kunstvoll verzögerten und verhüllten Akkordfolgen gehorchten. Es könnte Menschen geben, die davon nervös werden. Oder sich hemmungslos faszinieren lassen. Es hat nicht nur mit einer besonderen Raffinesse der 10 Finger auf den zahllosen Tasten zu tun, sondern genauso mit der Bereitschaft des Gehörs, sich „spielerisch“ in dieses von jenen geschaffene Labyrinth hineinzubegeben.

Andererseits der Zweifel, ob diese neue Erfahrung mit den Lernprozessen von früher vergleichbar ist, ob ich dieser speziellen Aufnahme in ihrer Abstrakheit (auf meinem Handy) näherkomme als mit einem Studium von Vergleichsaufnahmen; oder ob es beliebiger wird. Ob ich nicht Belehrung durch den Künstler selbst abwarten sollte, mit andern Worten: ich brauche das das Booklet (natürlich: inzwischen ist die physische CD bestellt, hier also mit Andreas Gilger).

Der Klinik entronnen, haben sich meine Vorsätze und halb unfreiwilligen Eingrenzungen verändert. Bevor ich mich weiter ins Detail versenke, will ich den Horizont abschreiten:

Wie war das Leben in Versailles, wie wurden Feste gefeiert? ich schaue nach bei Wikipedia HIER.

Welche Rolle spielte dort der Komponist Jean-Henri d’Anglebert?

Am 25. August 1668 verpflichtete sich d’Anglebert in einem weiteren Abkommen mit Chambonnières für dessen Amt als königlicher porte-épinette („Cembaloträger“), die Kosten für den Transport des Cembalos zu übernehmen „… wo es für den Dienst seiner Majestät nötig ist …“. Erst nach dem Tode Chambonnières’ übernahm d’Anglebert offiziell das Amt als Cembalist am Hofe Ludwigs des XIV. Diese Stellung übergab er bereits zwei Jahre später (1674) offiziell seinem ältesten Sohn Jean-Baptiste Henry (1661–1735), der zu dieser Zeit erst 13 Jahre alt war.

Einstweilen höre ich schon mal eine andere Aufnahme, die mir erlaubt, einen Notentext mitzulesen (was ich mir eigentlich versagen wollte). Der Interpret ist Christophe Rousset:

Um alle Stücke dieser Reihe vor sich zu sehen und gezielt zum Hören auszuwählen, gehen Sie bitte hierher.

(Fortsetzung folgt – also auch noch)

2. April 2022 Ich werde diesen Vergleich, so beflügelnd er wirkte, nicht weitertreiben. Die besondere Wirkung lag vielleicht darin, dass ich mich der (neuen) Musik von Jean-Henri d’Anglebert fast ausschließlich mit Kopfhörern nähern musste, was tatsächlich eine besondere Art des Eintauchens förderte und andere Motivationen abbremste. Heute ist die physische CD eingetroffen und bestätigt mir alle Rahmenbedingungen, die ich der Musik zubillige. Beziehungsweise: deren Beitrag zum rein inhaltlichen Hören ich für notwendig halte. Ich will das Wort „adäquat“ nicht benutzen, denn kein gelesenes Faktum kommt wesentlich, als ein neues, hinzu, über das ich nicht vorher schon irgendwie verfügt hätte, sagen wir: seit ich die Bedeutung der Rhetorik ernst nehme, also spätestens seit Harnoncourts Buch von der „Klangrede“ und der damit hervorgerufenen Sekundärliteratur. Aber trotz aller Lully-Molière-Inszenierungen, der frühen Begegnung mit Südfrankreich, mit Campra z.B.,  niemand hatte bisher den Namen Le Brun ins Spiel gebracht und das ist der zündende Funke. Dieses Neue hatte ich unter den Kopfhörern (Ohrstöpseln) des neuen Handys wahrgenommen, ich hatte den Wunsch, auch das Cembalo zu sehen, das diese phantastischen Klänge hervorzauberte. Warum sollte ich mich nicht mit Energie auf die Nachzeichnung der Passionen einlassen. Schließlich liegt die Klinik samt knallrot untergehender Sonne weit genug entfernt…

nach Original von Vaudry Paris 1681

hier

(Fortsetzung? wie gesagt: hier)

Alles neu denken (und hören)

Jan Kopp, Reinhard Febel (Bach), Martin Tchiba

Die Auswahl dieser Komponisten ist rein zufällig. Oder soll ich sagen: ist alles andere als zufällig, hat vielmehr mit meiner persönlichen Biographie zu tun. Man muss das nicht wissen. Trotzdem werde ich am Ende etwas aus meiner Geschichte mit der Neuen Musik erzählen. Aber das wird ein privates work in progress und muss niemanden interessieren.

Über Musik sprechen? Und dann erst hören? Oder umgekehrt?

Hören???

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Alle diese Videos einzeln anschauen und einzeln bewusst hören hier

Die einzelnen Clips sind sehr kurz, zwischen 0:15 und 1:20, man kann den Vorgang des Hörens danach unmittelbar rekapitulieren, imaginativ. /  Oder wie in den folgenden drei Versionen als ein Kontinuum vorüberziehen lassen, sogar quasi nebenbei hören :

Playlist 1 (=Version 1) hier  / Playlist 2 (=Version 2) hier  / Playlist 3 (=Version 3) hier

Aber: was heißt nun HÖREN? Wie sollte man zuhören? Der Komponist Jan Kopp hat sich darüber viele Jahre lang systematisch Gedanken gemacht und das Ergebnis in dem folgenden Büchlein zusammengefasst. Sehr empfehlenswert.

Wolke Verlag → hier mit Einleitungstext im pdf.

Zusätzliche Erfahrung sammeln mit Klängen, die allen Klassik-Adepten vertraut sein dürften

  Reinhard Febel Wikipedia 2012 (Foto David Kilburn) – Im Booklet fehlt ein Foto des Komponisten…

Erfahrung zulassen – mit Klängen unbekannter Herkunft

Martin Tchiba:

klang collection ist meine musikalische Aufarbeitung der Corona-Zeit. Reflektiert werden vielfältige Klänge, Dinge, Orte, die mir 2020 und 2021 wichtig waren, die auf der Agenda gestanden hätten, aber aufgrund der Situation „unerhört“ blieben, ergänzt durch starke Reminiszenzen an die „Zeit davor“. Dennoch bleiben viele der Stücke abstrakt – in dem Sinne, dass sich die Referenzen nicht auf der Oberfläche, sondern eher aus der Anatomie der Textur erschließen. Überdies entwickeln die Kompositionen durchaus eine eigene, von den jeweiligen Bezugspunkten losgelöste innere Logik. Die drei „Abteilungen“ – places, dedications, images – können jeweils als eigenständige Werke betrachtet werden, deren einzelne Sätze (Tracks) ebenfalls als in sich geschlossene Stücke gehört werden können. Und natürlich gibt es auch den dramaturgischen Kontext der rund fünfzigminütigen Gesamtkomposition. Verarbeitet wurden überwiegend Klavierklänge, spontan improvisierte wie minutiös konstruierte, aber auch Synthetisches, Field Recordings – Sounds einer beklemmenden, aber nicht verlorenen Zeit.

Das ist der kurze Text, der auf der CD zu lesen ist. Man sollte ihn später – nach dem Hören? – durch den längeren, instruktiven Text ergänzen, der im Internet zu finden ist, und zwar unter http://www.tchiba.com/edition/klang-collection/ bzw. hier. So rät der Komponist selbst. Unbedingt, sobald sich – was beim Hören neuer Musik nicht selten der Fall ist – der Eindruck einstellt: was will der kreative Mensch mir eigentlich mitteilen? Ist es recht, wenn mir Assoziationen kommen, die nicht mit denen des Komponisten übereinstimmen? Will er überhaupt mit uns kommunizieren (ich bin mir dessen sicher: auch Selbstgespräche beziehen sich auf andere Menschen – oder quasi personifizierte, resonierende Dinge…), zumal ich erfahre, dass ihm manche akustische Erfahrungen selbst rätselhaft werden, und dass er in der Einsamkeit des Waldes an uns (!) denkt („wir“), an grazile Insekten oder an – Skrjabin.  Wir Lebewesen befinden uns alle in einer vergleichbaren Erfahrungswelt, auch wenn sie uns fremd wird, zahllosen Existenzen, die Gregor Samsa gleichen, dessen „Verwandlung“ Franz Kafka beschrieben hat.

(Fortsetzung folgt)

Mienenspiel (ein Leben)

Wie wir denken und fühlen

Prinzessin sein

    

10 Jahre später: Übung

Augen, Nase, Mund?

Kein Selbstportrait (Rihanna?)

Wiederum 10 Jahre später: Zum Studium der Anthropologie

HIER 

Was gibt es noch? Weitere Beispiele für „Kultur-Anthropologie“: Hier

Visuelle Anthropologie Hier Weiteres (aus München) Hier

Osteuropa betreffend: hier Wiki hier  Mediathek Osteuropa hier

Großstadt hier

Wie [man] das Leben gestaltet.

Der suggerierte Zusammenhang einer Geschichte in diesem Blog-Verlauf ist ziemlich frei erfunden bzw. assoziiert (JR). Dank an Eos!

Individuum:

2022

Alle Fotos ©

[ Lesen: https://de.wikipedia.org/wiki/Philosophische_Anthropologie hier ]