Eigentlich will ich solche Geschichten nicht lesen. Das Narrativ aus Sicht der Bauern, das hatte doch ich selbst genährt, romantisch unterfüttert, seit ich als Kind meinen Großvater – von Beruf Tischler, Landwirt aus Neigung – mit seinen 2 Kühen erlebt hatte, die Sorgfalt, mit der er ihnen das Futter bereitete, das Fell striegelte, ihre gesunde Austrahlung rühmte („die schönsten Tiere auf der ganzen Lohe!“). Wenn ich sein Haus vom privilegierten Eingang aus betrat, von hinten, durch den Kuhstall, war ich schon beim Öffnen der Tür in einer anderen Welt: der Geruch war es, den ich für mein Leben als heimatlich abspeicherte, das wohlige Stöhnen der Kühe, das freundliche Rasseln ihrer Ketten, die Geräusche eines abgesetzten Eimers, in dem die Milch schwappte. In guten Zeiten auch noch zwei Schafe im hinteren Stall, dazwischen das Plumpsklo, an dessen Holztür jemand in Kopfhöhe mit Schülerschrift geschrieben hatte: „O du schöner Rosengarten“. Kein Mensch wusste, wer und warum, vielleicht Onkel Ernst, der aus dem Krieg nicht wiedergekommen war. Ursache für die dumpfe Trauer, die nicht thematisiert wurde. Es gab im Haus kein fließend Wasser, aber einen sehr tiefen Brunnen mit kostbarem Trinkwasser, im Stall eine Pumpe fürs Regenwasser. All die Saiten werden bis heute angerührt. Opa sprach abfällig über „Kunstdünger“, aber das änderte sich im Laufe der Jahre. Nun lese ich in der ZEIT (13. Juli 2023 Seite 2), widerstrebend: Unter Kühen. Der Landwirt gilt heute vielen als Giftspritzer, Wutbürger – und Tierquäler. Wie sieht sein Alltag wirklich aus? Besuche bei einem Milchbauern in Schleswig-Holstein. Von Merlind Theile.
Erinnerung an Südtirol 2011
Zitat
Er war schon mal aus dem Bauernverband ausgetreten, schloss sich den »Freien Bauern« an, die speziell für Familienbetriebe und nicht für »Agrarkonzerne« kämpfen wollen; trat dann doch wieder ein in den Bauernverband, weil seine Vorstandskollegen aus dem RSH-Kreisverein auch alle drin seien. Im Grunde teilt er ja die Positionen. Die Nähe zur CDU. Die Vorstellung, dass deutsche Bauern die Welt ernähren müssen. Darum spritzt A.-D. auf seinen Äckern nebem vielem anderen auch das umstrittene Glyphosat, als Beikrautvernichter. Andernfalls dränge zum Beispiel der Ackerfuchsschwanz seinen Weizen noch weiter zurück. Ernteeinbußen. »Deswegen haben die Ökos ja viel geringere Erträge. Und nur mit Bio kriegen wir doch keine zehn Milliarden Menschen satt! Meine Intention ist es nicht, reiche Deutsche zu ernähren und der Rest muss hungern. Dafür bin ich Landwirt.« Aber ist im jetzigen Ernährungssystem nicht eher das Problem, dass fast 20 Prozent der Lebensmittel einfach verschwendet werden? »Das mag so sein. Das ist ja aber irgendwo außerhalb der Verantwortung der Bauern. Da müsste dann die Politik was machen.« Doch von der erwartet A.-D. eigentlich auch nichts mehr.
Zitat-Ende
In der Süddeutschen hatte ich gelesen (13. Juli 2023 Seite 4), was ich auch in der Tagesschau mit warmen Worten CDU-Mannes Manfred Weber erfahren hatte, aber nicht etwa solchen:
Die Niederlage der EVP ist zugleich ein Gewinn für Europas Ökosysteme, für den europäischen Klimaschutz und auch für die Landwirte, für die die Partei vorgab zu streiten. Denn auch falls das Gesetz nur in abgeschwächter Form in Kraft tritt, kann es dazu beitragen, die EU-Klimaziele bis 2030 zu erreichen. (…)
Für diese Machtprobe hatte sich die EVP aber das falsche Gesetz ausgesucht. Die Natur wartet nicht auf zerstrittene Abgeordnete. Politische Taktik ist den erodierten Böden egal. Wildbienen könen sich nicht gedulden, bis die Bauern wieder Luft haben für ein bissche mehr Umweltschutz-Gesetzgebung. Die Klimakrise stellt existenzielle Fragen, sie kann eine der gößten Bedrohungen für den gesellschaftlichen Frieden in Europa werden. Sie ist die wahre Gefahr für die Ernährungssicherheit. Man habe zuletzt viel ambitionierten Umwelt- und Klimaschutz betrieben, sagte Weber am Mittwochmorgen, „aber wir verlieren Arbeitsplätze und Wohlstand!“ Wer so redet, macht kurzsichtige Politik.
Quelle EU-Parlament / Eine Niederlage, zum Glück / Von Jan Diesteldorf / SZ (s.o.)
Anmerkung (Zitat WWF): es war kurz vor 13.00 Uhr am Mittwoch, als in Strasbourg – und im Berliner WWF-Büro – Jubel ausbrach. Momente zuvor hat das EU-Parlament mit knapper Mehrheit das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur gestimmt.
Ackerland Krüdersheide Solingen-Ohligs 2021
Ich habe umgeblättert, dieselbe ZEIT Seite 6 Durst nach Gerechtigkeit / In Frankreich wird das Grundwasser knapp – und der Streit um die Verteilung eskaliert / Von Matthias Krupa
Der weitaus größte Teil des Wassers, das in Frankreich verbraucht wird, fließt in die Landwirtschaft, nach Angabe des Umweltministeriums 45 Prozent. Ein weiteres Drittel verbraucht die Industrie, der Rest ist Trinkwasser. Je knapper die Ressource wird, desto schärfer werden die Verteilungskämpfe. Campingplatzbetreiber geraten in Konkurrenz zu Golfplatzbesitzern. Die Betreiber von Kernkraftwerken fürchten, dass das Kühlwasser knapp wird. Weinbauern leiten immer öfter Wasser aus den Flüssen auf ihre Reben. Urlauber können in diesem Sommer vor leeren Swimmingpools stehen. Rund um die Gemeinde Vittel kämpfen besorgte Anwohnerinnen und Anwohner schon länger gegen den Nahrungsmittelkonzern Nestlé, der sich für seine Getränkeproduktion aus dem Grundwasser bedient. (….)
Bislang gibt es keine belastbaren Daten dafür, welche langfristigen Folgen die künstlich angelegten Becken auf die Grundwasservorkommen haben »Ich habe Angst, dass es noch schlimmer wird, wenn das Becken in Sainte-Soline erst einmal gefüllt ist«, sagt Laurendeau.
Besonders empört ihn, dass die Genossenschaft der Getreidebauern das Grundwasser mit den Becken faktisch privatisiere. Tatsächlich werden nur einige ausgewählte Betriebe an die Speicher angeschlossen. So entgehen sie den Beschränkungen für die Bewässerung in diesem Sommer. Er selbst braucht nicht viel, sagt Laurendeau, pro Hektar etwa 2000 Kubikmeter im Jahr. Von den Reservoirs in Sainte-Soline würden jedoch vor allem große, flächenintensive Betriebe profitieren. Die Genossenschaft gibt dazu keine Auskunft, aber eine Recherche der Internet-Zeitung Mediapart bestätigt den Verdacht.
So streiten im Departement Deux-Sèvres nicht nur Umweltschützer mit Landwirten, sondern auch Bauern mit Bauern. Zwei grundverschiedene Modelle der Agrarwirtschaft stehen sich gegenüber: hier die großen, flächenintensiven Betriebe, die Mais und Weizen häufig für den Export produzieren, dort die kleineren Höfe, die zuerst den regionalen Bedarf bedienen.
Quelle ZEIT (s.o.) Seite 6 „Durst nach Gerechtigkeit“
Abendhimmel Ohligs Isarweg November 2022
Suchen: https://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/erlebnis-erde/sendung/wunderwelt-wiese-ein-verlorenes-paradies-100.html HIER
Ausblick von 8.15 – 12.50 Uhr Gumbrecht Lektüre bis hier:
Allmähliche Begeisterung, vielleicht durch Themenwendung zum Sport, mit Bezug auf die alten Griechen. Er spricht von Pindars Oden Seite 81 (s.a. hier im Blog). Stichwort Wiederverzauberung. Er zitiert Pablo Morales Seite 78f. Wer war JR Lemon? Mein Vorsatz, die Beispiele zur Ekstase („Fokussierung“) raussuchen. Später also mehr. Siehe auch Perlentaucher hier.
Im folgenden YouTube 100 m bei 12:16 Evelyn Ashford Zwischenlauf als Siegerin, danach slow (4. Bahn beobachten), 15:08 (Lane 6), 20:33 (545) Evelyn Ashford vor dem Start (Lane 6) 2.Silber
Gumbrecht meinte aber den Staffellauf, wo sie als letzte die Staffel übernahm und siegte. https://de.wikipedia.org/wiki/Olympische_Sommerspiele_1988/Leichtathletik_%E2%80%93_4_%C3%97_100_m_(Frauen)#Finale
Die Tatsache, dass ich am nächsten Morgen um 8.30 h auf Seite 116, im vorletzten Kapitel angekommen bin und ungern unterbreche, sagt etwas über die (subjektiv empfundene) Brisanz des Buches, das 143 Seiten umfasst.
Mein Arbeitsplatz (oben) nach dem Kaffee (unten) 28.06.23
Und dann lese ich die seltsam entlarvenden Sätze zu Lasten des Blog-Schreibens auf Seite 127 (und nach dem Umblättern):
Hat man denn je eine wahrhaft gute Debatte in elektronischer Form erlebt, eine Debatte, in der wechselseitiger argumentativer Widerstand in wechselseitige Inspiratiom umgeschlagen wäre und damit neue Ideen hervorgebracht hätte? Während es schwierig ist zu klären, warum elektronische Diskussionen bestenfalls geistige Mittelmäßigkeit produzieren, sind wir uns doch alle dieser Tatsache bewußt – fast schon zwangsläufig. Selbst auf der Website meines besten Freundes kann ich nur allein sei, und was ich dort vielleicht als Hauch von Nähe empfinde, geht nie über die Nähe eines Touristen oder eines Voyeurs hinaus. Gibt es etwas Armseligeres als die unzähligen Blogs, die mit einem unfaßbaren Narzißmus geschrieben werden – und auf ewig ungelesen bleiben, und zwar aus guten Gründen? Im Internet ist die Gefahr, sich eine Erkältung zu holen, aufgewogen von dem Verlust der Möglichkeit, je zu Tränen gerührt zu werden.
Muss es nicht heißen: „Im Internet ist die Vermeidung der Gefahr…“ ?
Und: habe ich im Internet nicht schon einige großartige Gespräche erlebt, mit guter Wirkung auch solche, die vorher in der realen Öffentlichkeit stattgefunden haben? Oder ich habe wenigstens als Voyeur versucht, Wesentliches in einem Blog-Artikel nachträglich „abgreifbar“ zu machen. Vielleicht nur für mich. Und selbst zu Tränen wurde ich schon gerührt (z.B. durch ein von Ingeborg Bachmann gesprochenes Gedicht).
Es ist mir entfallen, warum ich dieses Buch damals nicht verschlungen habe, ich glaube, ich hatte es wegen „Così fan tutte“ gekauft, nie gehörte oder gelesene Gedanken, die ich gerade brauchte, weil ich immer wieder von der Mozart-Oper besessen war. Auch heute fesselt es mich sofort, – aber 80% des Buches, das ich seit 1. März 2007 besitze, sehen absolut ungelesen aus. Während spezielle Themen offenbar um so nachhaltiger wirkten (siehe hier). Heute z.B. erinnerte ich mich, weil ein Freund sich gerade für Sibelius zu interessieren beginnt, und schon droht uns Adornos uraltes Verdikt den Weg zu versperren, – da könnte vielleicht doch gerade der musikliebende linke Philosoph aus Slowenien zu einem probaten Gegengift verhelfen…
Doch es gibt noch mehr Gründe, sein Werk hervorzukramen und zu Rate zu ziehen. Er ist kein Denker von der ganz peniblen Art, er ist impulsiv, man glaubt ihm beim Vorgang des Denkens zuzusehen, und schon ist man persönlich eingebunden: wie sagt man doch? man ist involviert… und ich studiere – zumal als Musiker – aufs neue intensiv seine Themenliste von damals.
Nun traf alldies zusammen mit einem Werbeheft der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, und das Verhängnis nahm seinen Lauf: ich begann mir allerhand zu notieren, weils womöglich der Wahrheitsfindung dient. Ganz sicher war ich mir nicht, aber als erst ein Anfang gemacht war, musste ich immer weiterschreiben. Mich interessiert, wie eine linke Position heute argumentiert (nach Putins Wahnsinn).
Folgender Text ist – als eilige Abschrift – noch nicht gründlich Korrektur gelesen.
(Moderation: Die Philosophin Dr. Rebekka Reinhard, stellvertretende Chefredakteurin »Hohe Luft«)
Slavoj Žižek :
(auf deutsch beginnend) Es ist eine grroße Ähre für mich, hier zu sein. Leider muss ich jetzt ins Englische wechseln (wir folgen dem Übersetzer), – ich glaube, die Frage ist die alte Leninsche Frage: „Was tun?“ Eigentlich wissen wir, was zu tun ist, die Medien sagen es uns, – Globalisierung, Kooperation usw. – das Problem ist unsere Apathie. Wir wissen, was zu tun ist, aber wir tun es nicht. Ich bin froh, darüber mit Ihnen zu sprechen, denn Deuztschland ist immer noch das Land des Denkens. Ich denke , und das ist meine erste Provokation für heute: Wir haben es vielleicht mit der elften umgekehrten These von Karl Marx zu tun: die Philosophen haben die Welt nur interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern. Vielleicht haben wir im 20. Jahrhundert versucht, die Welt zu schnell, zu stark zu verändern, ohne sie wirklich zu verstehen. Heute müssen wir vielleicht einen Schritt zurücktreten und nachdenken. Wir brauchen eine neue Interpretation, und das sage ich als radikaler Linker.
(Mod. Sie haben von Apathie gesprochen, seit Beginn der Pandemie, erst recht seit Beginn des Krieges in der Ukraine, frage ich mich mehr und mehr, wie real die Realität noch ist, bis hin zu dem Punkt, dass ich mich frage: bin ich eigentlich wach, wenn ich mich frage, ob ich wach bin, oder wennich mich frage, ob ich träume. Was ist realer: die Träume, die ich nachts habe, oder die Realität, in der ich jeden Tag neu und wieder anders erwache? Wie geht es Ihnen?)
Das ist eine sehr interessante Frage. Ich gehe nicht im Detail auf Freuds Interpretation ein, aber vielleicht ist es der ultimative Freudsche Traum, wenn ein Sohn zu seinem Vater kommt und sagt: Vater, siehst du nicht, dass ich verbrenne, und dann wacht der Vater auf. Wissen Sie: oft sind unsere Träume – und hier rede ich nicht von leeren Träumen, sondern von Träumen über das, was uns erwartet, so schrecklich, dass wir sogar bereit sind, in der Realität zu erwachen, um schlafen zu können. Denn die Realität scheint auf den ersten Blick noch normal: Okay, Krieg in der Ukraine usw., aber schau mal, die Blumen, da gehen Menschen, so schlimm ist es doch nicht, also ja, wir können auch in die Realität flüchten. Heute scheint mir, der ich mich als atheistischer Christ definiere, ein Bezug auf das Thema der Apokalypse sehr passend. Wissen Sie: die Offenbarung des Johannes am Ende des Neuen Testaments, die vier Reiter der Apokalypse, sind wir da nicht schon? Es gibt die Interpretation, dass der erste Reiter die Pest ist, den haben wir: die Pandemie. Der zweite Reiter ist der Krieg, den bekommen wir jetzt. Dann der Hunger, der wird kommen, wir kennen die Konsequenzen des Krieges und in der Ukraine, nicht nur globaler Krieg, es wird deswegen in der Ukraine und in Russland nicht genug Weizen, Dünger usw. geben.
Und, was mich besonders schockiert hat, als Philosoph versuche ich darüber nachzudenken, dieser Schock hat nicht, wie man erwarten könnte, gute Folgen, in dem Sinne, o.k. es ist ein Trauma, aber es weckt uns auf, es ermöglicht uns, Probleme zu vergessen. Erstens die Zeitlichkeit dieser Krise, erinnern Sie sich noch an den Beginn der Pandemie? Die üblichen Zeiteinheiten der Behördem und der Wissenschaft waren damals zwei Wochen. Hab noch 2 Wochen Geduld, dann wird das besser. Dann waren es zwei Monate, dann hieß es vor einem Jahr: nächstes Jahr, und jetzt weiß keiner mehr Bescheid. 6:10
Und noch etwas: ich weiß nicht, wie es in Deutschland ist, aber in meinem Land erinnern sich viele meiner Freunde fast nostalgisch an die Pandemie. Die Regeln waren klar, man hat ein bisschen gelitten, aber man hatte genug Zeit, alles war irgendwie unter Kontrolle. Und jetzt ist alles viel schlimmer. Und dabei sind wir wohl bei weitem noch nicht am Tiefpunkt angelangt.
Ein dritter Punkt ist extrem wichtig: was sind die negativen Folgen dieser Krise? Ich weiß wieder nicht, wie es in Deutschland ist, aber hier in Slowenien – und ich habe überall das gleiche gehört – feiern die Neokonservativen diesen Krieg. Und warum? Weil sie ihn so interpretieren: in den letzten Jahren haben wir in einer Ära der künstlichen Probleme gelebt. Feminismus zum Beispiel. Mal ernsthaft: die Lage ist doch gar nicht so schlimm für die Frauen. Oder Rassismus, das ist eine Randerscheinung. Politische Korrektheit: das ist doch lächerlich. JETZT sind wir wieder bei den harten Tatsachen angekommen. Auch die Geswchlechterrollen sind klar festgelegt. Das ist ein Lieblingsthema der heutigen Konservativen. Ukrainische Frauen fliehen ins Ausland und kümmern sich um die Kinder, das ist ihre eigentliche Arbeit, während die Männer in der Ukraine bleiben, um zu kämpfen. Sehen Sie, das ist die eigentliche Tragödie dieses Krieges,- er mag eine globale Katastrophe sein, aber dieser Krieg ist kein Moment der Wahrheit. It’s not a moment of truth! Er ist ein Moment, der uns brutal von den wirklichen Problemen ablenkt. Nicht, dass er selbst kein echtes Problem wäre, abewr erlenkt uns von großen Problemen ab, wahren Katastrophen, die uns erwarten.
Also ja, ich bin ein Pessimist.
(Damit sind wir schon genau bei dem Titel Ihres neuen Buches: Unordnung im Himmel. Es ist ein Buch buchstäblich über alles. Sie schreiben kleine, scharfe kurze Beobachtungen über die aktuelle Weltlage, es ist eine Kaleidoskop Sie beleuchten Was meinen Sie damit?)
Etwas sehr Einfaches! 10:00 Für Mao ist der Himmel noch in Ordnung, er will einen allgemeinen Überblick geben, wohin die Geschichte geht. Und Unordnung unter dem Himmel bedeutet hier nicht einfach Chaos. Wir Kommunisten, die wir wissen, wohin sich die Geschichte bewegt, können das Chaos ausnutzen, um unsere Ziele zu verfolgen. Heute glaube ich nicht, dass wir Linken immer noch den Anspruch haben können, einen globalen Blick zu haben. Die Karten sind so seltsam gemischt, dass Gescgehnisse, die einst typisch für die Linke waren, nun von der Rechten vereinnahmt werden. Nur ein Satz, ein bekanntes Beispiel, wir erinnern uns leider alle an den 6. Januar 2021, als die von Trump aufgehetzte Meute das Capitol stürmte, und wissen Sie was? Viele meiner linksgerichteten Freunde waren fasziniert und weinten, sie sagten: Wir hätten das machen sollen, die Linken wo waren wir? Selbst dieser ultimative, radikal linke Traum vom Volksaufstand wird nun von der radikalen Rechten vereinnahmt.
Der nächste Punkt ist diese Orientierungslosigkeit. Ich nutze gern diesen Begriff des kognitiven Mapping meines guten Freundes Fredric Jameson
es geht darum, einen allgemeinen Überblick über die Situation zu bekommen. Wie sind vollkommen desorientiert! Eine grundsätzliche Frage. Was ist China heute? Ist es noch kommunistisch? Oder eine neue Art von postautoritärer, neokkapitalistischer Gesellschaft? Undsoweiter. Oder wie ist es mit unseren eigenen Gesellschaften? Ich bin nicht ganz einverstanden mit manchen meiner Freunde, Yanis Varoufakis zum Beispiel behauptet, dass der Kapitalismus bereits in etwas anderes übergeht. Manche nennen das Technofeudalismus. Ich habe daran meine Zweifel. Aber Figuren wie Bill Gates, Elon Musk oder Jeff Bezos sind tatsächlich keine Kapitalisten alten Stils, die die Arbeiter ausbeuten. Sie sind eher Feudalherren über ein bestimmtes Gebiet, die Pacht kassieren.Ich weiß nicht, wem Zoom (?) gehört, aber wir sind wahrscheinlich irgendwie über Microsoft verbunden, also bekommt er Gebühren dafür. Es passiert soviel Neues, und wir haben nicht einmal eine grobe Orientierung. Wenn ich also kurz auf das von Ihnen eingangs Gesagte eingehen darf: Ich stimme Ihnen zu, dass man den Hintergrund, die Komplexität der Situation sehen muss, aber meinen Sie nicht auch, dass diese Komplexität oft nur eine Ausrede ist, um das Offensichtliche zu verleugnen? Z.B. haben einige meiner Freunde, nicht nur die rechtsgerichteten, sondern auch linksradikale, immer noch diese uneindeutige Haltung Putin gegenüber. Sie sagen okay okay, aber trotzdem ist er ein Stachel im Fleisch des amerikanischen Imperialismus, und der ist immer noch unser Hauptfeind. Also spricht auch manches für Putin. Deshalb sagen sie gerne, die Situation ist komplexer. Meine Antwort: ja natürlich. Aber das sollte uns nicht blind machen für die offensichtliche Tatsache, dass ein großer Staat einen anderen Staat brutal angegriffen hat. Diese grundlegende Tatsache darf man nicht weginterpretieren. 14:52
(Die Unordnung ist total, der Wunsch nach einer neuen Ordnung ist natürlich auch sehr dringlich ….Und die Medien )
16:08 Um Missverständnissen vorzubeugen, ich stehe trotz aller Komplexität ganz auf der Seite der Unkraine. In dem Sinne, dass ich voll und ganz für die ukrainische Verteidigung bin.Im übrigen gibt es soviel Absurdes in der russischen Argumentation. Ich bin nicht so drauf, dass ich sage: hören Sie sich die andere Seite an, Entschuldigung, aber zufällig verstehe ich russisch. Ich höre die ganze Zeit zu, ich folge ihren Podcasts usw. also bin ich durchaus informiert. Ist Ihnen das auch aufgefallen: laut russischer Propaganda ist die Ukraine ein Land von Neonazis. Es gibt da einen Typen, der ist der Horror in Person. Nicht Dugin, Putins offizieller Philosoph, sondern – merken Sie sich diesen Namen Timofei Sergeitsev, der schrieb in einem offiziellen Kommentar, der in einigen russischen Bulletins veröffentlicht wurde: dass der ukrainische Nazismus ungleich gefährlicher sei als der von Hitler. Das ist die wichtigste Botschaft: dass Russland uns alle rettet.Was ich sagen will – und das als Linker – denken Sie daran, welchen Namen Putin nannte, als er seine Abnsicht erklärte, in die Ukraine einzumarschieren, einen einzigen Namen hat er negativ erwähnt und angegriffen: LENIN. Und in gewisser Weise hatte er recht: vor der Oktoberrevolution war die Ukraine unterdrückt, die einzige wirklich goldene Ära für die Ukraine waren die zwanziger Jahre, als die Ukraine als Nation voll entwickelt war. 18:07 Gleichzeitig redete er aber über die Nazis. Also hat die Ukraine für Putin zwei Väter: Lenin und Hitler. Das macht es für mich ein bisschen verdächtig. Ja, all das stimmt. Ich bin aber trotzdem beunruhigt. Ich bin nicht für einen totalen Weltkrieg, der enorme Risiken birgt, trotzdem stört mich vieles an der westlichen Reaktion. Ich traue den großen Worten nicht, Sie wissen schon: Putin, Den Haag, Strafgerichtshof, aber viele Menschen wissen beispielsweise nicht, dass trotz des Krieges in der Ukraine immer noch russisches Gas durch die Ukraine in den Westen fließt. Gegen reguläre Bezahlung natürlich. Das wirkliche Grauen für mich ist das hier: in diesem Moment, wo wir hier – wie Sie sagen – die Russen so leicht als Barbaren, als unzivilisiert abtun, sollte sich der Westen an zwei oder drei Dinge erinnern: erstens, sagt Putins offizieller Philosoph Dugin, der Westen müsse akzeptieren, dass es nicht nur ein Wahrheit gibt, die europäische, somdern auch eine russische Wahrheit. Wir dürfen nicht dieselbe Sprache sprechen. Das stört mich. Auch wenn ich Selenski voll und ganz unterstütze, wenn er sagt, wir verteidigen hier Europa, aber wenn ich Selenski wäre, würde ich noch einen Schritt weiter gehen und sagen: in Wahrheit verteidigen wir hier auch alle Russen. Die Ukraine verteidigt das russische Volk vor der Katastrophe, in die Putin es treibt. Vergessen Sie nie den Terror, unter dem das russische Volk leidet, sie sind unsere Verbündeten!
Zweiter Punkt: diese Idee, es nicht Krieg zu nennen, sondern spezielle Intervention … manchmal verwenden die Russen sogar den Begriff „humanitäre Intervention“ um den Frieden zu erhalten. Kommt Ihnen das nicht bekannt vor? 20:48 Hat der Westen das nicht auch jahrelang getan? Immer wieder sehr brutal interveniert, mit genau der gleichen Argumentation?
Letzter Punkt. Hier liegt die westliche Heuchelei klar auf der Hand. Putin, Kriegsverbrecher, Bombardierung von Kiew, Katastrophe. Sorry. Aber Putin – erinnern Sie sich? – hat vor ein paar Jahren Aleppo bombardieren lassen, die größte Stadt Syriens, viel brutaler als sie es jetzt in der Ukraine tun, – bis jetzt, wer weiß was noch kommt. Abgesehen von Mariupol. Aber: wo ist hier die Ausgewogenheit, wir haben damals protestiert, aber nicht so richtig ernsthaft. Jetzt ist es auf einmal ernst, und das hinterlässt einen schrecklichen Eindruck. Die Menschen in Lateinamerika, Asien, Afrika, der Dritten Welt bemerken diese europäische Heuchelei, und wir sollten auch hier den Mut aufbringen, dies nicht zu akzeptieren, dass dies ein Konflikt der Zivilisationen ist. Nochmals: wir sprechen sonst die russische Sprache, – Dugin, Sergeitsev, und all die anderen sagen dasselbe, nur genau andersherum. Sie sagen: Russland ist dieselbe Insel der Zivilisation, Europa und der amerikanische Liberalismus fallen in die totale Barbarei zurück. Ich denke, die Lehre daraus ist, dass wir unbedingt universalistisch bleiben sollen, hier würde ich sogar Jürgen Habermas und seinem Universalismus zustimmen. Deshalb bin ich für Europa, denn, was auch immer man gegen Europa sagen kann, Sklaverei, das Schreckliche, was wir in der Moderne getan haben, – diejenigen, die das Vermächtnis Europas angreifen, die Sklaverei, die Unterdrückung der Frauen, usw., tun dies aber immer in Begriffen, die aus dem Erbe der europäischen Aufklärung stammen. Die Größe Europas besteht nicht darin, dass es keine Fehler macht, sondern darin, dass es immer noch die beste Quelle für begriffliche Instrumente ist, die uns helfen, uns selbst zu kritisieren.
(Ja, Sie plädieren immer wieder dafür, die Blickrichtung zu wechseln…) 24:35
Jetzt werde ich Sie wieder überraschen – erstens: lassen Sie uns nicht in Selbstzufriedenheit verfallen. Meine Formel, die ich vor Jahren auf der Grundlage meiner eigenen Erfahrungen in Ex-Jugoslawien oder in Ruanda vertreten habe, gilt meines Erachtens überall: Sie lautet: es gibt keine ethnische Säuberung ohne Poesie. Um ethnische Säuberungen zu verstehen, sollte man einen Blick auf die Dichter, die Intellektuellen und Philosophen werfen, die den Boden dafür bereitet haben. Bei uns hier ist es der berüchtigte Karadziz, aber das ist in allen Ländern so ähnlich. Z.B. war ich schockiert, dass in Irland William Butler Yeats, den Sie vielleicht auch kennen, 1936 die sogenannten Nürnberger Rassengesetze, die die Rechte der Juden einschränkte, voll unterstützt hat.
Wieviele große Dichter waren Rassisten, Faschisten, sie haben oft genug den Weg dafür bereitet, und deshalb sollte man Künstlern nicht zu leichtfertig vertrauen. Manche leisten Großartiges, wie Paul Celan, Samuel Beckett, aber man muss immer auf der Hut sein.
Ich sage nicht, dass wir jede Liebe zu unserem Heimatland verurteilen sollen, aber was wir von wirklich großen Schriftstellern und Dichtern lernen können, will ich anhand eines Beispiels aus Russland zeigen. Der größte russische Schriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts Andrej Platonow, der sich mit dem Schicksal dieses geringen, heimatlosen, primitiven Volkes beschäftigt hat, das es nicht geschafft hat sich einzugliedern. Und da berkommt man ein ganz anderes Bild von Heimat. Nicht diese große, nationalstaatliche Heimat, sondern eine wunderbare kleinteilige Heimat. Ich erinnere mich an einen Baum hinter meinem Haus, ich erinnere mich, wie im Wald der Wind wehte, usw. usf. Die Linke sollte sich das alles wieder zueigen machen. Überlasst dem Feind nicht das Gebiet, dass er besetzen will. Ich gehe noch weiter:
Warum sollte die Rechte das Recht haben, über Familienwerte zu sprechen, wo der neoliberale Kapitalismus alles getan hat, um die übermäßig ausgebeuteten Frauen und Familienwerte und kleine Gemeinschaften und die Solidarität effektiv zu zerstören.
Also noch einmal: machen Sie keine Kompromisse, indem Sie das Thema dem Feind überlassen. Wenn ich also sage: „ich liebe mein Land“, bin ich nicht gleich ein Nazi. 28:00
(Unordnung überall Mao – warum Kommunismus nicht ausgeträumt)
Ich habe hier ein klare, sehr kurze Antwort. Es geht wieder um Scheinheiligkeit. Erinnern Sie sich noch an das große Treffen in Glasgow vor ein paar Monaten? Mit Prince Charles, vielen Promis, Premierministern usw. sie forderten das Richtige, globale Zusammenarbeit, allgemeine Gesundheitsversorgung, und zwar international. Die ökologische Krise ist nicht lokal beschränkt. Erinnern Sie sich, dass im letzten Sommer im Südwesten Kanadas und dem Nordwesten der Vereinigten Staaten 50 Grad herrschten. Das ist die Folge einer Störung der Luftzirkulation in allen nördlichen Teilen der Erde, hier ist also unbedingt Zusammenarbeit erforderlich. Die globale Erwärmung birgt auch die Gefahr von Hungersnöten, viele Länder sind betroffen, auf dem Treffen wurde vor allem viel geredet, und ich würde sogar sagen: insgeheim machen sich alle bewusst, dass es keine ernsthaften Konsequenzen geben würde. Was mein kommunistisches Programm angeht, ich bewundere intelligente, ehrliche Konservative, die sich der praktischen Grenzen der Machbarkeit bewusst sind. Was man zusammen mit ihnen alles erreichen kann. Versuchen wir eine Ordnung zu schaffen, deren Programm darin besteht, das zu tun, worüber die großen Medien immer sprechen. Die großen Medien sprechen über die aktuellen Gefahren auf diese zwangsneurotische Weise, man redet viel und muss nichts tun. Mein kommunistisches Programm ist also das zu tun, was wir die ganze Zeit in den Medien lesen. Pandemien können nur durch globale Zusammenarbeit zumindest in Schach gehalten werden. Wir brauchen eine Art globaler, wenn nicht Gesundheitsvorsorge, so doch zumindest Selbstkontrolle, so dass wir wissen, wie das alles zusammengeht.
Was die Ökologie betrifft, sind wir sogar – würde ich sagen – zu besessen von der globalen Erwärmung. Wir schauen zuviel nach oben, schauen wir auch nach unten: was zum Teufel geht in den Tiefen unserer Ozeane vor, das ist dann beunruhigend, und wenn das ein Regime bedeutet, das ein bisschen autoritärer ist, natürlich nicht im faschictischen Sinn, nicht in dem Sinn, dass wir eine Weltregierung bekommen sollten, das würde totale Korruption bedeuten, aber eine Art von internationalem Gremium, das souveränen Ländern verbindlich Entscheidungen auferlegen kann. Wenn wir diesen Schritt nicht machen, habe ich große Angst um unsere Zukunft. Und ich meine das sehr ernst. Ich spreche nicht von unseren Enkeln, ich spreche davon, wie es in 20 bis 30 Jahren ausgeht, wenn die gegenwärtigen Tendenzen weitergehen.
(Wenn Sie, die uns hier zuschauen, Slavoj Zizeks neues Buch : Slavoj, hätten Sie denn noch eine Buchempfehlung? )
Ich tue etwas Paradoxes und lege Ihnen ein Buch ans Herz, dessen Grundthese ich nicht teile, das aber eine wunderbare alternative Sicht auf die Geschichte vermittelt, es handelt sich um David Graebers und David Wengrows Buch „The Dawn of Everything“, in der deutschen Übersetzung „Anfänge“. Es ist eine Art alternative Geschichte, die mit dem Mythos aufräumt, die übrigens auch der marxistische Mythos ist, dass die Ausbeutung der Frauen und das Patriarchat automatisch mit der Entstehung von Staaten begonnen hätten. Den großen Übergang zu Siedlungen und ortsgebundener Landwirtschaft, und sie beweisen das ziemlich überzeugend. Ein Beispiel ist das Inkareich, ein Aspekt dieses Reiches waren Kinderopfer, Autorität, ein anderer Aspekt war eine außergewöhnliche Form gleichberechtigter Zusammenarbeit. Ich glaube nicht, dass wir heute etwas direkt Vergleichbares tun können, aber deshalb mag ich alternatives Science Fiction, das ist die Lektion, die ich von Hegel gelernt habe. Deshalb hat Hegel verboten, Pläne für die Zukunft zu machen. Es ist gut, sich vor Augen zu halten, dass, wenn etwas passiert, es immer andere Möglichkeiten gibt, und dass die Dinge auch eine andere Wendung hätten nehmen können. Die Notwendigkeit ist immer eine rückwirkende Notwendigkeit. Wir können nur einen einigermaßen logischen Überblick darüber geben, wie es den Menschen bisher ergangen ist. Die Zukunft ist offen. Und dieses Buch gibt Ihnen das Gefühl dafür.
(Ich stelle nochmal eine Frage…Sachbuchempfehlung WBG?)
Ich habe eine traurige Empfehlung, ich mag diese absolut pessimistischen Bücher, die eine Alternative aufzeigen, und dann darstellen, wie wir bei einem Versuch, eine Katastrophe zu vermeiden, die Welt noch verschlimmern würden. Z.B. gibt es ein Buch von Steven Fry, dem britischen Schauspieler, „Geschichte machen“ – „Making History“ , kein großartiges Buch, aber die Idee gefällt mir. Ein jüdischer Wissenschaftler erfindet nach dem Zweiten Welktkrieg eine Möglichkeit, wie man die Vergangenheit ein wenig modifizieren, also nicht komplett verändern kann. Da Hitler die Katastrophe war, führte er rückwirkend Chemikalien in den Bach des Dorfes ein, in dem Hitler geboren wurde. So dass in den Jahren, in denen Hitler hätte geboren werden sollen, alle Frauen dort unfruchtbar waren. Dadurch wird Hitler also nicht geboren. Was passiert? Die Nazis tauchen trotzdem auf, aber ein anderer, viel intelligenterer Kerl, der sich in Atomphysik auskennt, übernimmt die Führung. Deutschland entwickelt als erstes Land Atomwaffen, und Deutschland siegt. Und so widmet er, der heutige Wissenschaftler, sein ganzes Leben der Aufgabe, Hitler nachträglich zurückzubringen. Dieser radikale Pessimismus gibt meine Sicht auf das Leben wieder. (lacht)
(Wonderful! Vielen Dank )
(Satz in deutsch) Und es war mir eine grroße Ähre für mich und eh… eine Sache tut mir aber leid, es wirkt so etwas männlich-chauvinistisch, warum sollten Sie nur ein Medium sein, es hätte mich gefreut, wenn Sie sich etwas mehr beteiligt hätten. Sonst wird man mir männlichen Chauvinismus und sexuelle Objektivierung vorwerfen. Aber Sie sind der lebende Beweis dafür, dass intelligente Frauen nicht hässlich sein müssen. (Lachen auf beiden Seiten)
Und so wäre es schön, vielleicht ein anderes Mal darüber zu sprechen, damit ich auch Ihre Sicht der Dinge kennenlerne.
(Mod. Abschließend: Wenn Sie Fragen dazu haben, Anregungen, Kritik – was sagen Sie dazu?) 38:22
Nachwort JR: die letzten Sätze gehen leider ziemlich nach hinten los, – im Gespräch mit einer weiblichen Person anerkennende Worte über ihr Aussehen zu verlieren, zumal das Phänomen des männlichen Chauvinismus etc. ja gerade kritisch benannt wurde. Das geht gar nicht. – Ich schließe aber eine ironische Absicht nicht aus…
Die Andeutung der Geschichte von Steven Fry bleibt am Ende völlig unverständlich, daher der Link zum Nachlesen, – obwohl die echte Version auch nicht soviel erhellender ist.
Die Sequenz über den Traum (oben im Moderationstext) bezieht sich wohl auf Tschuangtse (Schmetterling); ich empfehle eine Orientierung hier.
Zur Ablenkung notiere ich, was ich gerade im Fernsehen bemerkenswert fand (und was mich an die obigen Bemerkungen über Heimat erinnerte): unser Europa. Schauen Sie in terra X HIERMeilensteine der Kontinental-Geschichte Europas ab etwa hier bei 28:35 (!).
„Wir haben lange geglaubt, diese Regionen werden mal in den Nationen aufgehen. Heute wissen wir aber, dass Nationen durch Regionen konstituiert werden, und dass der Mensch, der in einer Region lebt, eine regionale Identität braucht, aber nicht unbedingt eine nationale.„
siehe Link
Zurück zu Slavoj Žižek, aber in konsistenterer Darstellung,
aus der SFR-Reihe Kultur Sternstunden 30.05.2022 mit Yves Bossart
„Europa als Provinz“ (Wikipedia), in der NZZ hier, in der FAZ hier (leider mit Sperre)
NZZ: Chakrabarty verkörpert die intellektuellen Tugenden einer zeitgenössischen, globalisierten Generation aus der ehemals Dritten Welt in Reinform…
Ich erinnere mich an meine frühere Idee zur globalen Musikgeschichte: nicht da draußen liegt die „exotische“ Musik, sondern unsere Musik ist der exotische Sonderfall: Wundersamste Blüte der europäischen Provinz.
Statt aber selbst einen Versuch zu unternehmen, Inhaltliches mitzuteilen aus dem Buch, das ich nicht kenne, sondern erst zu lesen beabsichtige, und statt weiter zu beschreiben, was mich bewegt hat, gerade dieses – nicht ganz billige – Buch zu kaufen, referiere ich lieber durch Kopie das, was der Autor selbst uns im ersten Kapitel mit auf den Weg gibt.
Da Chakraborty – wie auch der nachfolgende Blick ins Register zeigt – sich nicht nur im Abschlussgespräch auf Bruno Latour bezieht, habe ich nachgeschaut, wie oft ich diesem Denker im Verlauf meiner Lebenslektüren „notgedrungen“ begegnet bin, und damit glaube ich, auch hier auf dem richtigen Weg zu sein:
s.a. Kant, Heidegger (!) und Marx
Artikel in diesem Blog:
Ohne mir damit selbst auf die Schulter klopfen zu wollen: ich wurde gefragt, warum ich vorweg Sicherheiten suche, wenn ich mir Lesestoff vornehme. Ganz einfach: ich will mich nicht irren. Und damit schließe ich die verbalen Vorbereitungen. Beinahe. Seite 254 seines Buches (Unterkapitel „Latours Weitblick“) schreibt Chakrabarty:
Bruno Latour entwickelte sein kunstvolles Denken bereits lange bevor viele von uns sich des Problems bewusst wurden, auf das er reagierte: das Problem, vor das die unhaltbare Entgegensetzung von Natur und Wissenschaft auf der einen und von Kultur und Gesellschaft auf der anderen Seite das moderne Denken gestellt hat.
Manchmal scheinen die Lösungen greifbar nahe, ja, der Heilige Geist liegt auf der Hand. Während man keinem Artikel Glauben schenkt, der darüber in den Zeitungen steht (wenn überhaupt). Mir ging es so, als ich heute aufwachte: ich habe im Laufe der Jahre 1000 Blogbeiträge nebeneinandergestellt und oft auch aufeinander bezogen, um womöglich eines Tages ein Netz von Beziehungen zu überschauen, während ich gleichzeitig befürchtete, das Wichtigste darüber dann doch noch zu vergessen. Wollte ich in Wirklichkeit vielleicht die Komplexität der Welt für mich (sträflich) vereinfachen? Möglichst in einer Nussschale. Eine sogenannte Welt-Anschauung? Und die Musik, die es so schlagend fertigbringt, könnte sich mit der Philosophie verbinden, verbünden – es wäre zu schön um wahr zu sein. Ich will es mal formelhaft zusammenfassen, nur als Beispiel:
Darin müsste alles enthalten sein. Es genügt nicht, über den Angriffskrieg zu lamentieren und die pazifistische Utopie dagegenzusetzen. Die missglückte Lanz-Sendung kürzlich hat es peinlich vor Augen geführt.
Hondrich prägte sich mir ein, weil er (als einziger) den Krieg – paradoxerweise – als notwendige Geißel beschrieb (er schärfte den Widerspruch).
Zu Tolstoi: Es ist mir rätselhaft, dass ich dieses Buch Mitte der 50er Jahre gelesen haben soll, diese winzige, unattraktive Schrift, Seite für Seite, insgesamt 500, und es enthält doch von Anfang bis Ende Bleistift-Unterstreichungen, deren Sinn mir heute dunkel erscheint. Sie könnten Auskunft geben über meinen damaligen Seelenzustand, der mich vielleicht interessieren sollte. Vielleicht hat mich erst der Film so begeistert, genauer: die Gestalt der Natascha? Ich vermute aber, dass ich den Roman als Aufklärung über das Leben gelesen habe, außerhalb des eigenen engen häuslichen Kreises, da draußen in der wirklich großen, weiten Welt. Mit der gleichen Intensität habe ich (ab April 56) Rudolf Goldschmit-Jentner „Begegnung mit dem Genius“, und (ab Sept.58) weiter mit „Fischer Bücherei“ – Thomas Mann „Leiden und Größe der Meister“ – aufgesogen, über Wagner natürlich, aber als erstes darin „Goethe und Tolstoi“. Mehrere Bände Dostojewski folgten. Und vor allem Hamsun.
Übersetzung von L.Albert Hauff 1893
Heute kehrt eine Ahnung zurück…
In der Unter- oder Oberprima lasen wir Thukydides im Original, aber das war eine rein sprachliche Übung; als Historiker blieb er für uns eine beliebige Erscheinung, ein „alter Grieche“ eben. Für die 400-Jahrfeier des Gymnasiums standen wir im Rezitations-Chor bei der Einstudierung der „Antigone“ auf der Bühne. Das wurde oft geprobt und mehrfach aufgeführt, das Stück begann merkwürdigerweise zu leben.
Das Wort „ewig“ könnte man durchaus ironisch auffassen, zumal sich Kant gleich zu Anfang seiner Schrift auf das Reklameschild eines holländischen Gastwirts bezieht, das einen Kirchhof abbildet und darüber den Namen des Hauses nennt: „ZUM EWIGEN FRIEDEN“.
Falsch ist auf jeden Fall die westliche Nada-Brahma-Theorie, die mit Obertönen und einer Sphären-Harmonik daherkommt. Und dieses harmonistische Gefasel als universales Prinzip zu verkaufen sucht.
Ich will aber nicht ausschließen, dass es für mich eine Rolle spielt, wenn sich die Musikästhetik als anschlussfähig erweist im täglichen Leben und in der Physik; dass ihr Geist nicht frei im Raume schwebt, und dass die Volksmusik, die (Gebrauchs-)Musik der Völker und jedweden Alltags nicht ausgeschlossen ist. Wenn ich also lese:
…um Missverständnisse auszuschließen, auf der nächsten Seite die folgende Bemerkung:
Simone Mahrenholz (Quelle s.u.)
Im Einklang mit der Realität ziehe ich beim Geigeüben das alte Intonationsbuch (1997) zu Rate, höre die entsprechende CD als Offenbarung, während ich den Farbunterschied mit Fassung ertrage.
Inzwischen bin ich aber auch mit dem neuen (alten) Buch, der Dissertation von Simone Mahrenholz weitergekommen, und es sind unerwartete Komplikationen aufgetaucht, die mich zwangsläufig Zeit kosten: ab Seite 245 spielt die Theorie von der bikameralen Psyche eine Rolle, die mich Mitte der 90er Jahre auch sehr beschäftigt hat. Ich hatte das Buch „Der Ursprung des Bewußtseins“ von Julian Jaynes gelesen, war begeistert von der Idee, wie auch die Musik darin in neuem Licht erschien, die „Ilias“, die Propheten des Alten Testaments, die Evolution, – kurz – alles erschien mir revolutionär. Und dann kamen die großen Zweifel an der Wissenschaftlichkeit dieses Unternehmens, vielleicht weil ich wenig später das Riesenwerk entdeckte, das Thomas Metzinger herausgegeben hat: „Bewußtsein / Beiträge aus der Gegenwartsphilosophie“ (Schöning 1995). Ich erinnere nicht mehr, welche Argumente mich vom Kurs abbrachten. Vielleicht setzte ich inzwischen ganz auf Susanne K. Langer und auf Ernst Cassirers „Philosophie der symbolischen Formen“. Es war eigentlich wieder wie heute, – als müsste ich alles neu und viel gründlicher durchdenken, – andererseits hat ich ja einen Beruf und eine musikalische Profession. Und nebenbei: in der Arbeit von Simone Mahrenholz geht es an dieser Stelle nicht um ein zentrales Kapitel, sondern um einen „Exkurs“ zu hirnphysiologischen Befunden, ungeachtet späterer, möglicher Korrekturen. Die Deutungen von J.Jaynes bleiben für mich schon aufgrund der von ihm zusammengetragenen Literatur-Beispiele faszinierend. Vielleicht nun auch mehr über Nelson Goodman?
Mahrenholz
Julian Jaynes
Quellen
Julian Jaynes: Der Ursprung des Bewußtseins / Rowohlt Reinbek bei Hamburg 1993
Simone Mahrenholz: Musik und Erkenntnis / eine Studie im Ausgang von Nelson Goodmans Symboltheorie / Stuttgart; Weimar: Metzler 1998
Simone Mahrenholz: Musik und Begriff How to do things with music / in: Gibt es Musik? Beiträge von Daniel Martin Feige, Christian Grüny, Tobias Janz und Simone Mahrenholz / Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft Heft 66/2/2021 / Verlag Felix Meiner Hamburg
Zurück zum Thema Krieg und Frieden:
Ein Kapitel des Ethnologen Christoph Antweiler in dem Buch „Heimat Mensch“ ist so überschrieben und endet mit Sätzen, die bei Kant stehen könnten:
Frieden ist nicht der Naturzustand glücklicher Gesellschaften. Er fällt nicht vom Himmel. Auch in nichtindustriellen Gesellschaften muss er aktiv hergestellt werden. Dauerhaften Frieden gilt (recte: gibt!) es nur dann, wenn es ausdrücklich friedensstiftende Mechanismen gibt. Die heutigen Länder, in denen es wenig Gewalt gibt, wie etwa Norwegen, haben das nur durch einen ganzen Kranz von Maßnahmen geschafft, der von Gesetzen auf Landesebene bis zum alltäglichen Umgang im Kíndergarten reicht. Die Semai, die Fipa und andere friedliche Gesellschaften geben uns keine Patentrezepte, aber sie können uns motivieren und inspirieren. Sie machen Hoffnung, dass Frieden im wahrsten Sinn des Wortes machbar ist.
Quelle: Christoph Antweiler: HEIMAT MENSCH Was uns ALLE verbindet / Murmann Verlag Hamburg 2009
NB Die Anschläge des rechtsextremistischen Massenmörders Breivik fanden am 22. Juli 2011 statt.
Merksatz zum Thema MACHT (LANZ-Sendung ZDF 29.06.22 hier ab 59:30 Liana Fix)
(Um es erst einmal akademisch zu sagen) Macht an sich hat ja nichts Positives oder Negatives per se, Macht ist einfach da, Macht ist zwischen uns da, Macht ist in meiner Partei da, die Frage ist: wofür setzt man Macht ein, und mit welchen Werten, und mit welchen Werten verbindet man diese Macht. Und gerade in (aufgrund) der deutschen Vergangenheit wird Macht verwechselt mit Gewalt , das ist der Unterschied, und deswegen hat Macht eine so negative Konnotation dazu. Wenn man das begreift, dass Macht nicht gleich Gewalt ist, sondern Macht eben ein Instrument ist, um gewisse Werte zu erreichen, und dazu gehört eben auch militärische Macht – dann kann man damit auch umgehen, in der Politik, und zu dem Zitat von Ralf Stegner [Ukraine]: es ist tatsächlich für die deutsche Gesellschaft schwierig zu akzeptieren, dass dort deutsche Waffen in einem Krieg mit Russland stehen (…).
Nur noch etwas zum Vormerken:MICHEL LEIRIS: Phantom Afrika / Rezension F.A.Z lesen !HIERdazu vorweg:
Produktbeschreibung(Durchgesehene und erweiterte Neuausgabe)
Michel Leiris wird gerade wieder neu entdeckt: als Kronzeuge kolonialer Raubkunst. Tatsächlich wird man kaum einen Autor finden, der die fragwürdigen Praktiken bei der Aneignung von Objekten durch Ethnografen in Afrika – Rettung durch Raub – so freimütig aus der Täterperspektive schildert. Die Ethnologen haben ihn nach diesen Enthüllungen zuerst als unseriösen »Literaten« verunglimpft, um Phantom Afrika (1934) später zum Vorbild für eine experimentelle Ethnografie in der ersten Person zu erklären. Aus heutiger Sicht bietet das von Surrealismus und Psychoanalyse inspirierte Tagebuch des Sekretärs der legendären, staatlich finanzierten Forschungs- und Sammlungsreise von Dakar nach Djibouti (1931-1933), der ersten und größten dieser Art, vielleicht noch grundlegendere Einsichten in die Paradoxien der Feldforschung im kolonialen Zeitalter. Denn der Surrealist mit Tropenhelm ist vor allem eins: schonungslos. Genauso wie die Methoden der Wissenschaftler seziert er seine Widersprüche und Obsessionen, dokumentiert seine exotistischen und kolonialistischen Vorstellungen. Zum Antikolonialisten wurde Leiris erst durch diese Erfahrung. So wird der Leser Zeuge, wie ein weißer europäischer Mann, der sich in Afrika auf die Suche nach Grenzerfahrungen macht, am Ende vor allem seine inneren Dämonen kennenlernt – nicht die schlechteste Voraussetzung, um die Geister und die Poesie der »Anderen« zu erforschen.
In den 1980er Jahren Kultbuch der bundesrepublikanischen Ethnoboom-Generation, war die deutsche Übersetzung von L’Afrique fantôme seit Langem vergriffen. In dieser u. a. um Leiris‘ Briefe an seine Frau erweiterten Neuausgabe wird das so singuläre wie epochale Zeugnis der Widersprüche des Kolonialismus zwischen Gier nach Besitz und Sehnsucht nach Besessenheit nun endlich wieder verfügbar.
Die Ankündigung der neuen Ausgabe also, die ich mir nicht bestellt habe, weil ich jemanden kenne, der mir nahesteht und sie in Kürze besitzen wird. Warum soll ich nicht (zum Vergleich) die alte Ausgabe vorziehen, die zum Kultbuch der 80er Jahre wurde, als ich versäumt habe, am Kult teilzunehmen? Zumal sie (antiquarisch) weniger als die Hälfte der neuen kostet… und das Vorwort von Hans-Jürgen Heinrichs stammt.
Es ist vielleicht so, dass man es nun mal braucht, in Tagen größter Verunsicherung eine höhere Aktivität zu entfalten, auch in Bereichen, die jeder Außenstehende für abseitig halten wird, und ich könnte nicht einmal zugeben, dass es nur zur eigenen Versicherung geschieht. Niemand bedarf meiner Arbeit an der Bach-Fuge BWV 865 (seit Dezember 2021!), und nur ich möchte diese Erfahrung nicht missen, wie ich meinen eigenen Widerstand, mein Missfallen, meine Blindheit des Gehörs ganz allmählich überwunden habe.
glorreiches Ende – wer spricht von Siegen?
Es passt: die störende Cookies-Banderole am unteren Bildrand dieses Blogs, die ich nicht heraufbeschworen habe und auch nicht beseitigen kann, und wenn man sie anklickt, ärgert sie einen doppelt durch sinnloses Bedauern.
Seit einer Woche die fortwährende parallele Beschäftigung mit dem Ukraine-Krieg, die Skrupel, sich überhaupt mit ferner liegenden Themen zu beschäftigen. Was bedeuten mir Tonleitern auf der Geige? Technische Grundlagen? Und was aus anderem Blickwinkel? Nichts. (Wenn jemand das hört? jämmerlich! Strickleitern!) Ich gehe durchs Haus, viele Stufen, ich kann Treppensteigen, abwärts, aufwärts, ich lebe noch. Das Klavier will belebt werden. Chopins E-dur-Etüde im legatissimo. Ich kenne die schweren Stellen der Bach-Fuge, die an sich eine Zumutung ist. Er war ein junger Mann, als er sie schrieb, rücksichtslos in seinen Forderungen, wieso muss er alle kontrapunktischen Künste durchziehen, alle auf einmal, und nachher klingt es nach Berserker, aber man freut sich, es endlich in den Griff zu bekommen. Wozu?
1988
Wann hatten wir das Nagasvaram-Ensemble aus Madras auf dem Domplatz zu Gast? Was für ein Sieg des Fremden über die Fernsehästhetik. Von wegen „näselnd“. Psychologisch steht die Zurna eher in der Nähe unserer Trompete. Auf der Seite der Sieger.
Ich beschäftige mich immer noch mit Oboen, „Reeds“ heißt die CD, die ich auflege, wenn ich die „Ohrwürmer“ hinter mir habe. Und Christians Bücher, die mich herausfordern. Alles wie neu. Und mit der ZEIT geht es noch weiter zurück, WDR 70er Jahre, der große Bericht von/über Désirée Nosbusch, die Redaktion Kinderfunk, da sah doch alles nach Aufbruch aus, Krings sprach mit leuchtenden Augen von Georg Bossert, – alles sollte anders werden, besser natürlich, aus „Volksmusik“ sollte gerade „Musik der Völker“ werden -, auch Lieder für Kinder spielten eine Rolle. Ich wusste bis heute nicht, dass der eben erwähnte, damals so provozierend jugendbewegte Mann 1995 von seinem Sohn erstochen worden ist.
Resilienz beginnt damit, dass man seine eigene Gesellschaft kennt. Wie man sagt, sinken große Schiffe auf dem Meer nicht wegen des Wassers um sie herum, sondern wegen des Wassers, dasin sie eindringt. Gesellschaften können auf unterschiedliche Weise verwundbar sein, die gefährlichste ist es aber, wenn eine Regierung ihre eigene Gesellschaft falsch versteht und auf ihre eigene Propaganda hereinfällt. Putins Krieg in der Ukraine entwickelt sich zu einem klassischen Beleg dafür. Der russische Präsident ist felsenfest überzeugt, dass Russen und Ukraine ein Volk sind, hat aber die Ukrainer nie dazu befragt. In Putins Fantasie sieht seine »Spezialoperation« wahrscheinlich wie die Wiedervereinigung Deutschlands 1990 aus. Aber die Teilung der Ukraine ist das genaue Gegenteil der Einheit. Und die Ukrainer wehren sich, sie kämpfen um ihre Freiheiten und ihre Unabhängigkeit.
Ivan Krastev
Heute ist der Tag, an dem in aller Frühe die ZEIT im Briefkasten steckt, und mir scheint, das voluminöse Blatt kam nie gelegener. Ich werde die wesentlichen Artikel gleich auflisten, in der Rangordnung ihrer Wesentlichkeit.
»Sieger ist nicht, wer die Schlachten gewinnt« Der Krieg ist zurück in Europa. Ein Gespräch mit Alexander Kluge über das Böse und die Möglichkeit eines Frieden. Interview: Peter Neumann
Fritz Habekuss: Der Zweifel Schwächelnder Homo Sapiens (Seite 39)
Tobias Hürter: Da und gleichzeitig nicht da Werner Heisenberg revolutionierte die Physik mit seiner Unschärferelation. Sein Einfluss reicht bis in die Zukunft
Stefan Schmitt: Was für immer verloren geht, ist für immer verloren. Naturschutz verträgt keinen Aufschub. (Seite 1)
Giovanni di Lorenzo: Wie können wir uns wehren? Von einem Tag auf den anderen scheint das Land politisch ein anderes geworden zu sein. Die Frage aber ist, ob die Gesellschaft da mitgeht. (Seite 1)
Alexander Kluge:
Wir können auf keinen Fall eine Übersichtsposition für uns beanspruchen: so als könnte jeder ein Richter in dieser Sache sein. Mir kam es natürlich auch bizarr vor, wie Putin da mit Macron oder Scholz an diesem langen Tisch zusammensitzt. Oder wie er seinen eigenen Geheimdienstchef abkanzelt. Aber ist es Theater, ist es Darstellung von Macht wie im 18. Jahrhundert, ist es Verrücktheit oder Kalkül? Das kann ich nicht beurteilen. Als Jurist weiß ich, dass der Rechtsprechung, dem Urteil von zwanzig Zeilen, oft dreißig Seiten Sachverhalt vorausgehen. Und die haben wir nicht.
Man muss den ganzen Apparat resetten. Und zwar auf beiden Seiten.
Sieger ist nicht, wer die Schlachten gewinnt – Sieger ist, wer einen Frieden herstellt. (Beispiel:)
JR Ich hatte noch etwa eine lange Seite weiter abgeschrieben, während das Räsonnieren in mir immer lauter wurde: „Er versucht das flammende Unrecht zu relativieren“, und ich las alles aufs neue, versuchte ihn besser zu verstehen und wusste am Ende: es ist mir unmöglich, neutral zu verhandeln, wenn sozusagen der Teufel im Gerichtssaal gleiches Stimmrecht oder auch nur Mitspracherecht haben soll. Ich bin ungeeignet. Ich will mich gar nicht einigen. Ich will einen Schuldspruch, sofort. Ich gebe noch einen Teil der Abschrift, bevor ich pausiere:
Das Völkerrecht ist entstanden im Umkreis von Münster und Osnabrück 1648. Dort wird damals ein achtzigjähriger Krieg zwischen den Niederlanden und Spanien und zeitgleichg ein dreißigjähriger Krieg in Mitteleuropa in einem fünf Jahrer dauernden Verhandlungsprozess beendet. Das Entscheidende an diesem Westfälischen Frieden ist die Feststellung des »Normaljahrs«. Man einigt sich darauf, dass der evangelische und katholische Besitzstand so bleiben odfer wiederhergestellt werden soll, wie er am 1. Januar 1624 war. Dies ist der Schnittpunkt der Schmerzlinie für alle Parteien, der einzige Zeitpunkt, an dem nicht die eine Seite mehr gesiegt hatte als die andere. Dieser Punkt ist ein kleiner Möglichkeitsraum. Diesen Möglichkeitsraum zu finden und auszuverhandeln, das war der Schlüssel zum Frieden. (Was heißt das in Bezug auf den Krieg in der Ukraine?)
Zuerst: keine Politik oder Redeweise der Selbstgewissheit. In der derzeitigen Debatte behauptet jede Seite, jedes Gremium, die Übersicht zu haben. Die gibt es aber gar nicht. Wir sprechen mit dem großen Kriegstheoretiker Carl von Clausewitz von den »Nebeln des Krieges«. Sowie der Krieg ausbricht, ist alles unbestimmt. Dieses Nebelhafte, dieses Unbestimmtheitsfeld, ist die Herausforderung, auf die wir antworten müssen. Und deswegen können wir mit einer Psychologisierung Putins oder mit einer moralischen Haltung, die wir im Westen alle teilen, keine Sicherheitsstruktur gewinnen. Immanuel Kant hat einmal sehr schön gesagt: Selbst eine Welt von Teufeln, sofern sie die Regeln der Vernunft anwenden, könnte eine Republik gründen. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin in keiner Frage gleichgültig. Meine Urteilsbasis ist: Wo wäre selbst für einen Verrückten oder einen Bösen der Punkt, an dem er sich aus Realitätsgründen einigen kann? (…)
Die Hoffnung auf einen gerechten Frieden verengt den Möglichkeitsraum. Der Krieg ist ein Monster. Sein erstes Element ist, wie gesagt, die Nebelhaftigkeit.
Soweit Alexander Kluge. (DIE ZEIT SEITE 59)
Liegt der Fall heute nicht ganz anders? Es geht nicht in Richtung Republik, sondern David gegen Goliath, und diesmal zum Nachteil des ersteren. Wie es Giovanni di Lorenzo in seinem Leitartikel sagt:
Es sind nicht »wir«, die Frieden in die Ukraine oder nach Russland oder an irgendeinen anderen Ort der Welt tragen müssten. Den Krieg führen doch Putin und seine Soldaten. Es ist nicht nur für Deutschland, aber besonders für die Menschen hier, eine brutale Konfrontation mit der Realität. Was tun, wenn jemand weder durch gute Worte noch durch gute Taten, noch durch Konzessionen zu besänftigen ist? Wenn er aus Machtstreben und Verblendung das Böse in die Welt trägt? Wenn er Völker überfällt, Menschen tötet und ihre demokratisch gewählten Vertreter von tschetschenischen Killerbanden jagen lässt? (…)
Der Korrespondent der BBC in Moskau, Steve Rosenberg, hat (…) gerade in einem fulminanten Text dargelegt, wie Putin bislang alle Drohungen wahr gemacht hat, obwohl sich das im Westen keiner vorstellen wollte. Und dass er bereits 2018 kundgetan hat, mit schärfsten Waffen auf jeden »Entschluss« zu reagieren, »Russland zu vernichten« – was auch immer er darunter versteht. Putin sagte damals: »Ja, das wäre eine Katastrophe für die Menschheit und die Welt … Aber warum bräuchten wir eine Welt ohne Russland?« Man kann nur hoffen, dass Putins Ankündigung dieses Mal wirklich nur eine Drohung ist, obwohl er mit einiger Sicherheit davon ausgehen kann, dass der Westen selbst auf einen Nuklearschlag militärisch nicht reagieren würde. Er weiß, was von einer Welt übrig bliebe, die sich mit Atomwaffen bekriegte.
Quelle DIE ZEIT 2.3.22 Seite 1 Giovanni di Lorenzo Wie können wir uns wehren? Von einem Tag auf den anderen scheint das Land politisch ein anderes geworden zu sein. Die Frage aber ist, ob die Gesellschaft da mitgeht.
Seltsam, wie man dazu neigt, nach solchen aktuell bezogenen Artikeln alles andere auch damit im Zusammenhang zu sehen. Was uns droht, ist absolut anders als zu Napoleons oder Hannibals Zeiten, und auch die Tabula rasa nach dem Dreißigjährigen Krieg sah immerhin noch nach Zukunft aus.
Und so lese ich den Habekuss-Artikel als eine Wende der Evolutionsgeschichte:
Bisher deuteten fast alle Funde darauf hin, dass Homo sapiens vor 43.000 bis 45.000 Jahren auf dem Kontinent ankam. Der war damals Heimat der Neandertaler, die kurz darauf ausstarben. Die Schlussfolgerung lautete: Der moderne Mensch war dem Neandertaler haushoch überlegen, sodass er ihn binnen kurzer Zeit verdrängte. Es war nicht gerade eine Erzählung der Bescheidenheit.
Nun zeigen Funde in einer Höhle in Südfrankreich ein viel komplexerer Bild. In der Grotte Mandrin, von der aus man das Rhônetal überbvlickt, fanden die Archäologinnen und Anthropologen in verschiedenen Schichten Steinwerkzeuge und Zähne. Die meisten stammen von Neandertalern, einige jedoch von modernen Menschern. Das Besondere: Die Funde wechseln einander ab. Vor 80.000 Jahren lebten hier Neandertaler, bis vor 54.000 Jahren Homo sapiens auftauchte – wenngleich nur für 40 Jahre. Dann übernahmen erneut Neandertaler. Rund 10.000 Jahre später lassen sich wieder Homo-sapiens-Spuren nachweisen.
Diese Forschungsergebnisse datieren die Ankunft des modernen Menschen in Europa gut 10.000 Jahre nach vorn – ein gewaltiger Sprung. Das heißt, seine Ausbreitung ging langsamer vonstatten und war weniger geradliniug als vermutet. Homo sapiens scheint sich zunächst so schwergetan haben im neuen Lebensraum, dass er wieder verschwand. Die Funde sind spannend, weil sie zeigen, dass die Welt nie so simpel gewesen ist, wie es uns die Erzählung von Homo sapiens in Europa glauben machen wollte. Kein Zweifel: die kommenden Jahre werden das Bild noch weiter verfeinern.
Quelle Fritz Habekuss: Der Zweifel Schwächelnder Homo sapiens / DIE ZEIT 2.3.22 Seite 39
Siehe auch Wikipedia die Grotte Mandrin, Artikel zuletzt bearbeitet am 13. Februar 2022.
Was will ich als nächstes notieren? Heisenbergs Physik der Unschärferelation oder die Geschichte von Désirée Nosbusch, die im WDR begann, weltenfern, aber nicht weit von den Eckpunkten meiner Arbeitswelt, die damals durch Budengasse, Heinzelmännchenbrunnen, Musikhaus Tonger, Wallrafplatz, Funkhaus, Sendesaal, Domplatz und Hauptbahnhof bezeichnet werden konnte.
Die Theorie bestimmt, was man beobachten kann. Wenn nun die Quantenmechanik eine prinzipielle Grenze dafür setzt, wie genau sich Ort und Geschwindigkeit eines Teichens messenb lassen, dann sind diese Größen eben unbestimmt: Es ist nicht nur so, dass man sie nicht genau kennt. Die Welt selbst verschwimmt. Nicht nur unser Blick auf sie. Das ist der unerhörte Kern jener Formel, die Heisenberg damals hinschreibt: die Unschärferelation. (…)
Auch der Begriff Unschärfe lässt Spielraum für die Antwort auf die Schlüsselfrage: Was ist unscharf? Unser Bild von der Welt? Oder die Welt selbst? Hat das Elektron in Heisenbergs Gedankenversuch tatsächlich keinen eindeutigen Ort und keine eindeutige Geschwindigkeit – oder kennt die Beobachterin diese Größen nur nicht?
Für einige Kollegen Heisenbergs ist die Vorstellung, die Welt sei irgendwie unscharf und die Kausalität außer Kraft gesetzt, nicht akzeptabel. »Wenn schon, dasnn möchte ich lieber Schuster oder gar Angestellter einer Spielband sein als Physiker«, erklärt Albert Einstein. Er und Erwin Schrödinger, die beide an der Entstehung der Quantenmechanik mitgewirkt hatten, werden zu Dissidenten. Einstein versucht jahrelang, die Unschärferelation zu widerlegen und eine »schärfere« Beschreibung der Welt zu finden. Vergebens.
Die Quantenmechanik ist so erfolgreich, dass sich auch Wissenschaftler anderer Disziplinen darum bemühen, von ihrem Erfolg zu profitieren. So gab es Versuche, die Unschärferelation in die Anthropologie und die Filmtheorie zu übertragen. Die Anwesenheit ethnografischer Beobachter beeinflusst die beobachteten Menschen. Die Präsenz einer Kamera beeinflusst die gefilmten Ereignisse.
Physiker sind selten erfreut, wenn ihre Unschärferelation zweckentfremdet wird, um Trivialitäten wie »Alles ist irgendwie ungewiss« Gewicht zu verleihen. Sie reagieren alleergisch auf jede Form von »Quantenpoesie«. Aber sie sind nun mal das Vorbild dafür, wie man sich in einer unscharfen Welt zurechtfindet.
Quelle DIE ZEIT 2.3.22 Seite 46 Tobias Hürter: Da und gleichzeitig nicht da / Werner Heisenberg revolutionierte die Physik mit seiner Unschärferelation. Sein Einfluss reicht bis in die Zukunft.
Ganz neu ist mir das alles nicht, vorn in dem Heisenberg-Band steht der Eintrag: August 1956. Gekauft wohl in den Ferien auf Langeoog. Unsere Welt galt uns als harmonisch, wie man sieht, – auch das ein unscharfes Bild:
Unter Brüdern
Heute ist sie auseinandergefallen. (Andererseits: sie bildet sich neu, und es blieben Kinder und EnkelInnen.)
Nicht zu verwechseln mit Cornelius, dem Neffen: Erinnerung also an Wilibald Gurlitt . Er nannte es nicht Lamento-Formel, das kam erst viel später auf. Aber hätte ich davon schon in den 50er Jahren gewusst (wäre mein Leben anders verlaufen), nein, so wollte ich es nicht sagen. Aber ich kannte es doch schon früh von Bachs Invention f-moll, „O Haupt voll Blut und Wunden“ und – von Carl Orff (Die Kluge „Oh, hätt ich meiner Tochter nur geglaubt„.)
Aber da es schon längst auf eine Formel gebracht worden war, hätte ich vielleicht auch schon früher auf den arabischen Maqam Kurdi kommen können, statt erst 1967. Oder zu einer Obsession wie in der Sendereihe von der „Reise des Ohrs“, und dort am 23. Mai 1987:
Immerhin war ich Anfang der 50er Jahre schon mit Kara ben Nemsi durchs wilde Kurdistan gereist. Ich kann genau sagen wie: wenn man heute von der Autobahnabfahrt Exter nach Bad Oeynhausen fährt, die gewundene Detmolder Straße hinab, dann kommt man in Lohe zu der Abbiegung eines breiten, heute asphaltierten Weges, der zur Rossittener Straße führt oder selbst schon so heißt, und genau dort, an der Ecke rechts, gab es einen Schreibwarenladen mit Leihbücherei und darin jede Menge Lesestoff, ja, und ich begann dann, im Haus Nr. 171 arabische Sätze abzuschreiben, die ich später vielleicht sogar bei meiner Orienttournee 1967 hätte anwenden können, wenn man mich rechtzeitig in der Aussprache unterwiesen hätte. So aber ist das Wissen meiner Kindheit untergegangen, und nach Selbsteinschätzung nahm es erst in Bielefeld festere Formen an, als ich die kleine Chronik der Anna Magdalena Bach in die Finger bekam, womöglich gleichzeitig mit „Quo vadis“ und „Die Kreuzritter“ von Sienkiewicz.
Bach-Forschung 1950
Und jetzt also 1950, Leipzig, Bach-Tagung, mit einer Reihe illustrer Referenten…
und alles in Licht und Schatten getaucht (aus meinem Scanner):
Quelle Bericht über die wissenschaftliche Bachtagung Leipzig 23. bis 26. Juli 1950 / Im Auftrag des Bach-Ausschusses 1950 / Herausgegeben von Walther Vetter und Ernst Herrmann Meyer / Bearbeitet von Hans Heinrich Eggebrecht ( C.F.Peters Leipzig
Lieber das Buch lesen oder ein solches Gespräch hören?
Je länger, desto motivierter. Und erst recht, wenn die beiden Protagonisten auf die Musik zu sprechen kommen, – der die grenzenlose Verfügbarkeit Schaden zufügt. Es sind wohl Pop-Hörer, aber was sie sagen, gilt auch in der Klassik.
Pressetext Suhrkamp
Unverfügbarkeit
Das zentrale Bestreben der Moderne gilt der Vergrößerung der eigenen Reichweite, des Zugriffs auf die Welt: Diese verfügbare Welt ist jedoch, so Hartmut Rosas brisante These, eine verstummte, mit ihr gibt es keinen Dialog mehr. Gegen diese fortschreitende Entfremdung zwischen Mensch und Welt setzt Rosa die »Resonanz«, als klingende, unberechenbare Beziehung mit einer nicht-verfügbaren Welt. Zur Resonanz kommt es, wenn wir uns auf Fremdes, Irritierendes einlassen, auf all das, was sich außerhalb unserer kontrollierenden Reichweite befindet. Das Ergebnis dieses Prozesses lässt sich nicht vorhersagen oder planen, daher eignet dem Ereignis der Resonanz immer auch ein Moment der Unverfügbarkeit.
Mit dem Resonanz-Phänomen hatte ich mich damals auseinandergesetzt. Kritisch? Rat an mich also: noch einmal ansehen, präparieren, repetieren:
Musikbezug ab 34:50 (Umgang mit CD, physischen „Konserven“ ↔ Spotify, youtube u.ä):
Oder hier:
https://www.zdf.de/gesellschaft/precht/precht-236.html hier
ZDF Pressetext
Was macht das mit unserem Bewusstsein von der Welt und von uns selbst? Bekommen wir das Leben durch diese digitale Welterweiterung besser in den Griff oder verlieren wir es aus dem Blick? Macht die digitale Technik uns freier und mächtiger oder abhängiger und ohnmächtiger? Darüber spricht Richard David Precht mit dem Soziologen Hartmut Rosa.
Plädoyer für „Unverfügbarkeit“
Hartmut Rosa beschäftigt sich als Wissenschaftler und Autor mit der digitalen Moderne und hält ein leidenschaftliches Plädoyer für die „Unverfügbarkeit“, wie er es nennt. Unverfügbar sind all die Dinge in unserem Leben, die sich nicht nur unserer, sondern auch der digitalen Kontrolle entziehen können.
Das zentrale Versprechen moderner Technologie sei doch die Bequemlichkeit, so Richard David Precht im Gespräch mit Hartmut Rosa. Mit ihr können wir mühelos über uns und die Welt verfügen und sie kontrollieren. Wir sehnen uns danach, eine immer komplexere Wirklichkeit beherrschbarer und zugänglicher zu machen. Das sei doch das natürliche Streben des Menschen, spätestens seit er vom Jäger zum Sammler wurde.
Trügerisches Gefühl von Allmacht und totaler Kontrolle
Entscheidend dafür, dass die Wahrnehmung der Welt wirklich glücken kann, hält Hartmut Rosa dagegen, sei eine lebendige Resonanz zu den Menschen und Dingen. Diese Wechselbeziehung gehe verloren. Viele dieser ursprünglich lebendigen Verbindungen werden in unserem modernen digitalen Lebensgefühl immer indirekter und eindimensionaler. Und wir wiegen uns, so befürchtet Rosa, in einem trügerischen Gefühl von Allmacht und totaler Kontrolle, das uns letztlich von der Welt zu entfremden droht.
Wir sind immer weniger auf andere Menschen angewiesen und verlernen dadurch, mit dem Unberechenbaren umzugehen. Wie zum Beispiel Touristinnen, die eine Kreuzfahrt mit „Polarlichtgarantie“ oder eine Safari mit „Löwengarantie“ buchen und ihr Geld zurück haben wollen, wenn die versprochenen Naturereignisse ausbleiben. Sie haben ein anderes Verhältnis zum Leben und zur Welt als ein Mensch, der sich darüber freuen kann, dass plötzlich und unerwartet der erste Schnee fällt.
Scheinbar immer weniger angewiesen auf andere, machen wir uns gleichzeitig immer abhängiger von einer Technik, die jederzeit funktionieren und verfügbar sein soll. Trotz des enormen technischen Fortschritts bekommen wir aber weder globale Krisen wie den Klimawandel noch die Corona-Pandemie in den Griff. Hier droht für Hartmut Rosa die Unverfügbarkeit ins Monströse umzuschlagen, in einen völligen Kontrollverlust.
Ganz in der Tradition der kritischen Theorie sucht und forscht der Soziologe und Politikwissenschaftler Hartmut Rosa nach Gegenkonzepten zu unserer allgegenwärtigen Erfahrung der Entfremdung und Beschleunigung. In seinem Buch „Unverfügbarkeit“ macht er das moderne Streben nach vollkommener Verfügbarkeit und Kontrolle für ein Verstummen der Welt verantwortlich. Wie die menschliche Beziehung zur Welt glücken könnte, hat er in seinem Werk „Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung“ untersucht.
„Liebe in Zeiten des Hasses – Chronik eines Gefühls 1929-1939“ (Florian Illies). Viele Episoden spielen in Berlin. Als Ergänzung zum Buch sollte man vielleicht die Filme, das Herzenslied mit Marta Eggerth oder auch nur die eine Zeitungsseite jener Jahre ganz ernst nehmen, so zufällig das alles aussieht…
Eine Zeitungsseite, die sich in einem alten Buchexemplar von Curt Sachs befand, dem Handbuch der Musikinstrumentenkunde (1920), aus dem ich – es an beliebiger Stelle aufschlagend – etwas ganz Neues lernte, „wie vom Blitz getroffen“: woher kommt das Wort „Inventionshorn“? Bitte eine schnelle Antwort. Nachfrage: was hat es – sagen wir – mit einer Bach-Invention gemeinsam? Antwort: (natürlich nichts, nein, noch weniger!) siehe ganz am Ende dieses Artikels.
. . . . . . . . . . . . . . . . .
Alle Namen und Filme sind im Internet greifbar, u.a. der Zeitungsmacher Scherl, der Schachmeister Friedrich Sämisch, natürlich auch Hans Hickmann (!) oder der Sänger Leo Slezak, den mein Vater in seiner Berliner Zeit als Korrepetitor am Klavier begleitet hat. (Vielleicht nur beim Üben? Jedenfalls hat der ihm die Bücher „Meine sämtlichen Werke“ und „Der Wortbruch“ mit Widmung überreicht.)
Hier noch eine Geldüberweisung von Artur an seine Schwester Ruth in Berlin, die einst meine liebe Patentante werden sollte, die ihm damals wohl das Göschen-Buch über die „Technik der deutschen Gesangskunst“ von Hans Joachim Moser (!) nach Belgard (an der Persante) übersandt hatte; und den Beleg konnte er als Erinnerungs- und Lesezeichen verwenden.
Moser war in den 5oer Jahren durchaus Gesprächsthema bei uns zuhaus, ich studierte seine Bücher, mein Vater „flachste“ über seinen „blumig-barocken“ Sprachduktus (1954), sie lasen Mosers Liebesroman über Robert Schumann und Clara, von Tante Ruth bekam ich die Musikgeschichte (1), die ich sorgfältig zu studieren versuchte, von meinen Eltern die „Musikgeschichte in hundert Lebensbildern“ (2), – aber niemals gab es bei uns das Thema NS-Zeit, die noch nicht weit zurücklag, in fernster Ferne.
(1) (2)
Das Fragezeichen am Rand des zweiten Buches stammt von mir, ich wurde gerade 14, die Seitenzahl 167 bezieht sich auf einen lächerlich ähnlichen Satz im Monteverdi-Artikel:
Im Sommer 1643 besuchte er zum Abschiednehmen die Stätten vergangener Tage in Cremona und Mantua, kehrte dann nach Venedig zurück und schlummerte nach neuntägigem Krankenlager im Spätherbst in das Reich jenseitiger Harmonien hinüber.
Ja, der Musikwissenschaftler Moser war durchaus ein Romantiker. Aber seine Tätigkeit im untergegangenen diesseitigen Reich holte ihn doch immer wieder ein…
Und ich blieb ziemlich ahnungslos, obwohl ich Dostojewskij (und Tolstoi) las. Aber das war ja ein ganz anderes Jahrhundert…
* * *
Was war nun mit dem Horn bei Curt Sachs? Folgt gleich, aber es gab noch viel mehr. In dem Buch fand sich nicht nur die Zeitungsseite, die jemand aufbewahrt hat, sondern auch noch eine Postkarte, die ich ablichte, um nun Sie zu veranlassen nachzuschauen, wer Hermann Diener ist, – geht er uns was an??? Ist es wichtig zu wissen, dass er kurzzeitig bei Bram Eldering (s.a. hier) Violinunterricht hatte, jedoch in Berlin 1955 infolge eines Unfalls beim Schlittschuhlaufen gestorben ist? Oh Gott, ich fürchte, dass es auf dem Schlachtensee geschah, den ich kennenlernte, als ich 1960 bei Doris Winkler Gesangsunterricht hatte, der Lehrerin von Elfride Trötschel, die ich vom „Dulcissime“ der Carmina Burana-Platte kannte, die mir mein Onkel Hans geschenkt hatte. Alt, und ohne Hülle. Jeder Punkt eine Geschichte für sich…
Ich fürchte auch, dass diese Geschichte kein Ende nehmen will, – die Karte gehört, wie der Poststempel erzählt, schon ins Zeitalter der Werktätigen, warum schreibt denn Hermann Diener an Dr. Peter Wackernagel?
Soll ich aufhören? Das Buch stammt dem Besitz meines Freundes Christian Schneider, der es von seinem Vater geerbt hat, Prof. Michael Schneider, und diese Spur führt nach Berlin, wo er von 1958 bis 1965 lehrte, bevor er nach Köln kam…
Und nun ist der Inhalt der aufklappbaren Postkarte fällig, eine Einladung folgenden Inhalts:
Das Collegium Musicum Hermann Diener dient … ja, mein Gott! er dient und dient u.a. der Verbindung von Musik und Malerei, und das Thema erwischt mich auch nicht zum ersten Mal. Gestern allerdings ganz ohne Musik, nur eben dieselbe Zeit beschwörend. Oder vielmehr – die der Generation vorher, Aufbruchszeit des großen Musikwissenschaftlers Curt Sachs, der seine Dissertation über Andrea del Verrocchio geschrieben hat. Formenwelt der Musik und der Malerei. Gemeinsamkeit! HIER.