Nur ein flüchtiger Blick sei einer seltsamen Deutung des Bachschen Werkes geworfen, deren Lektüre mir noch unerträglicher war, als die mit gesungenen Choralzitaten durchsetzte Violin-Wiedergabe der Ciaccona auf CD (ECM 2001), die auch dem Buch beigegeben wurde:
Ich bekenne mich bedingungslos zu dem Urteil, das Reinhard Goebel in seinen 2024 herausgegebenen Sammelband eingefügt hat, – auch wenn ich jede andere klingende Deutung des Werkes vom jeweiligen subjektiven Standpunkt der Interpreten aus irgendwie nachempfinden kann, – nachzählen und nachrechnen will ich nie und nirgends, gerade auch nicht bei Bach. Es sei denn, es gäbe einen glaubwürdigen Hinweis aus seinem biographischen Umfeld. (Mauricio Kagel gilt nicht!)
Quelle Reinhard Goebel: »Der Kopf macht die Musik« Texte zur Musik Essays – Interviews – Würdigungen / Verlag Klaus-Jürgen Kamprad / ZITAT Seite 158, dort mit folgender Überschrift (die nicht Bachs Orthographie folgt): »Mona Lisa« / Eine Etude zur »Ciacona« von Johann Sebastian Bach (Achtung: Scharf gewürzt)
Performing on period instruments from around 1900 the Originalklang-Project of the Mahler Academy Orchestra brought to life the sound of Vienna at the turn of the century. 47 students of the Gustav Mahler Academy, who were selected from over 800 applicants, met outstanding musicians from Europe’s top ensembles in South Tyrol. Together they learned historic playing techniques of the fin de siècle and played on the very instruments that Gustav Mahler bought for the Vienna Court Opera during his directorship. On September 8, 9 and 10, 2022, Mahler’s Ninth Symphony was being performed on period instruments in Toblach, Bolzano and Ferrara The Originalklang-Project was created by conductor and curator of the Gustav Mahler Academy Philipp von Steinaecker who also directed the performances. The academy worked closely with Prof. Dr. Clive Brown, the leading specialist in the field of performance practice of romantic music. Mahler Academy Orchestra – Originalklang-Project
Vorwort zur Bärenreiter-Ausgave des Mendelssohn-Violinkonzerts (hier)
Mendelssohns Violinkonzert op. 64 ist ein zentrales Werk des 19. Jahrhunderts, das zum einen noch dem klassischen Stil eines Beethoven verbunden ist, zum anderen aber auch den Weg zum romantischen Ausdrucksideal eines Brahms weist. Seit langem ist bekannt, dass Mendelssohn das Werk nacheinander mit drei Solisten aufführte: Ferdinand David, der während des Entstehungsprozesses eng mit dem Komponisten zusammenarbeitete und die Premiere spielte, Joseph Joachim, das ‚Wunderkind‘, und Hubert Léonard, ein junger belgischer Virtuose, über den wir wenig wissen.
Korrekturfahnen zum Violinkonzert in e-Moll galten lange als verschollen; so konnte man es als kleine Sensation bezeichnen, als kürzlich doch ebensolche zur Solo-Violinstimme zusammen mit einem Brief von Mendelssohn an Léonard gefunden wurden.
Der Brief informiert uns, dass der Komponist Léonard zu sich nach Hause in Frankfurt einlud, um ihn kennenzulernen. Es war bereits bekannt, dass Mendelssohn David Korrekturfahnen gab; aber nun wissen wir, dass auch Léonard ebensolche erhielt.
Die jüngst entdeckten Korrekturfahnen bezeugen, wie Léonard das Konzert zusammen mit Mendelssohn an jenem Abend im Februar 1845 spielte. Sie enthalten Strichbezeichnungen und Fingersätze und zeigen, wie Léonard Lagenwechsel ausführte und wo er leere Saiten einsetzte; sie umfassen darüber hinaus modifizierte Dynamik-Angaben sowie zusätzliche Legato-Bögen.
Wir können davon ausgehen, dass all dies in Mendelssohns Sinne erfolgte. Dass der junge Geiger einen positiven Eindruck auf Mendelssohn machte, wird in den Briefen des Komponisten nach dem gemeinsamen Abend bestätigt; Mendelssohn lobt Léonards Spiel sehr und stellt in Aussicht, ihn dabei zu unterstützen, in Deutschland Arbeit zu finden.
Bärenreiters revidierte Ausgabe von Mendelssohns Violinkonzert – lediglich die Orchesterstimmen sind unverändert geblieben – schließt ein separates Heft zur Aufführungspraxis ein. Herausgeber ist der ausgewiesene Experte für romantische Aufführungspraxis Clive Brown.
SPIEGEL-Gespräch unbedingt lesen:
Steinaecker: Klassische Musik, der viele Menschen ihr ganzes Leben verschreiben, ist keine Materie, die man in einer gemütlichen Viertelstunde vermitteln kann, leider wird das trotzdem häufig versucht. Ich bin kein Experte, aber das erste Ziel in der Musikvermittlung ist immer die Niedrigschwelligkeit, immer geht es darum, vor allem niemanden abzuschrecken. Ich denke, dass man damit die meisten Leute total unterschätzt, die beteiligten Musiker fühlen sich damit auch unwohl. Sie wissen ja, dass es um komplexe Sachen geht, müssen aber so tun, als ob sie doch ganz einfach wären.
SPIEGEL: Man behandelt Erwachsene wie Kinder?
Steinaecker: Genau, wie kleine Kinder, denen man ein Spielzeug hinreicht und sagt: »Hier, wenn du an diesem Rädchen drehst, passiert das und das«. Das ist einfach unangemessen. Klassische Musik verhandelt die großen Fragen der Menschheit. Musik ist eine Sprache, die sich nicht einfach so in Worte übertragen lässt, und das soll ja auch so sein.
SPIEGEL: Was also bringt Musik dem Menschen?
Steinaecker: Vor dem Auftritt von Sigmund Freud und seinen psychologischen Traumdeutungen war die klassische Musik und Musik überhaupt die Möglichkeit, das Unbewusste sprechen zu lassen. Seit Freud nehmen wir das anders wahr. Das Unbewusste ist weitgehend erforscht, folglich spielt Musik heute eine andere Rolle für uns. Hochkomplex bleibt sie, aber das ist kein Problem, wie alle immer denken, sondern es ist großartig. Komplexe Sachen reizen das menschliche Interesse, sie beschäftigen uns, sie wecken Neugierde und machen Lust. Dafür müsste man den Leuten ein Gefühl geben. Es geht darum, dass da in der Musik Großes verhandelt wird, das sich nicht von jetzt auf gleich verstehen lässt. Aber wer dem nachgeht, wird belohnt.
https://www.arte.tv/de/videos/092276-000-A/igor-levit-no-fear/ HIERverfügbar bis 21.06.24
Pressetext:
Igor Levit: No fear
Das inspirierende Porträt eines Künstlers auf seinem Parcours zwischen traditioneller Karriere und neuen Wegen in der Welt der Klassik: Der Film begleitet den Pianisten Igor Levit bei der Aufnahme neuer Werke, seiner Zusammenarbeit mit seinem kongenialen Tonmeister, mit Dirigent*innen, Orchestern und Künstler*innen.
Igor Levit ist ein Ausnahmekünstler im mitunter etwas gediegenen Universum der klassischen Musik. Seit er auf den großen Bühnen steht, meldet er sich immer wieder öffentlich und politisch zu Wort – eine Überlebensstrategie, die er in seinem Leben und in seiner Musik verfolgt. Er füllt die großen Konzertsäle rund um die Welt und spielt bei Eiseskälte im Dannenröder Forst aus Protest gegen dessen Rodung. Er legt die gefeierte Aufnahme aller Beethoven-Sonaten vor und widmet sich dann Schostakowitsch und Ronald Stevensons atemberaubender „Passacaglia on DSCH“. [ab 38:15 bis 50:20] siehe dazu Levits Video hier und zum Komponisten Wikipedia hier .
Er schlägt die Brücke vom Alten zum Neuen, von der Musik zur Welt, dorthin, wo die Menschen sind.
Der Dokumentarfilm von Regina Schilling („Kulenkampffs Schuhe“) begleitet den Pianisten bei der Erkundung seines „Lebens nach Beethoven“, bei der Suche nach den nächsten Herausforderungen, nach seiner Identität als Künstler und Mensch. Das Kamerateam beobachtet ihn bei der Aufnahme neuer Werke, bei der Zusammenarbeit mit seinem kongenialen Tonmeister, mit Dirigenten, Orchestern und Künstlern, bei seinem Eintauchen in die Musik, seiner Hinwendung zum Publikum, diesen unwiderstehlichen Wunsch zu teilen.
Dann bremst Covid dieses Leben unter ständiger Hochspannung von einem Tag auf den anderen aus. Über 180 gebuchte Konzerte werden abgesagt. In dieser Situation des unfreiwilligen Stillstands ist Levit einer der Ersten, der erfinderisch wird und mit seinen allabendlich gestreamten Hauskonzerten eine musikalische Lebensader zwischen sich und seinem Publikum auf Instagram und Twitter aufbaut. Während dieses Prozesses entdeckt er eine neue Freiheit, abseits der Zwänge des Tourneebetriebs, der Veröffentlichungen und der Vermarktung.
Regie: Regina Schilling / Jahr: 2022
Ab 55:22 Blick auf Salzburg / er beginnt, dem Kollegen Markus Hinterhäuser (Intendant der Salzburger Festspiele) von Keith Richards zu erzählen (Muddy Waters), und der andere erwähnt (allzu beflissen?) die Traurigkeit Chet Bakers. Gut seine kurze Bemerkung über die Oboe /diese Vergeblichkeit der Imagination, die manche Klavierlehrer einem auferlegen… bis 58:07
Nachhilfe in Sachen Blues
↑ siehe bei 4:24 (Muddy Waters)
Diese Beispiele dienen nicht nur der Exemplifizierung dessen, worüber kurz die Rede war, sondern auch der Nachprüfung, was davon übrig bleibt, wenn man es in extenso hört. Stimmt das Erinnerungsbild oder sollte man Vorsicht walten lassen? Das ist keine rhetorische Frage, die Antwort kann auch lauten: nein, ich sollte diese Musik auf jeden Fall länger auf mich einwirken lassen, und selbstverständlich gilt das gleiche für die Beethoven-Sonaten: wenn jemand, der sie studiert hat, beiseitelegen will – etwa um eine andere Form der Unmittelbarkeit zu erleben – ist das etwas anderes, als wenn man ihre Lebendigkeit nie wahrgenommen hat. Die Äußerungen die ein Mensch tut, der so Klavierspielen kann, dass unsereins nur staunt und die traumhafte Fingergerfertigkeit bloß hörend bewundert, darf niemand sonst „1 zu 1“ übernehmen. Und zum Beispiel die Ausdruckskraft eines einzigen Tones von Muddy Waters ausspielen gegen die ersten 25 Sekunden der Sonate op. 110, etwa hier. . .
Vor 25 Jahren erschien ein Buch, das im Titel viel versprach und auch entsprechend viel Stoff anbot, aber doch keine Schlagzeilen machte. „Soviel Musik war nie – Eine musikalische Kulturgeschichte“ von Klaus Peter Richter (München 1997).
Heute – gegen Ende des Jahres 2023 – sprach ich mit einem weltoffenen Orchestermusiker und fragte ihn, was er zur aktuellen Lage der Musik meine, – nach dem vielberedeten Einbruch der Publikumsfrequenz und der üblichen Teilschuldzuweisung an Corona.
„Alles Quatsch. Es gibt einfach zuviel Musik!“ war seine lapidare Antwort. Dabei meinte er alle Musikszenen, ohne die eine oder andere als besonders verwerflich zu brandmarken. „Es ist die Omnipräsenz der Musik, ihre beliebige Abrufbarkeit in den Medien, in der analogen Öffentlichkeit und auf dem Markt.“ Alldas habe im Kern an Bedeutung verloren, während gleichzeitig die Werbung für alle Musiksparten zum Himmel schreit. Ja, dachte ich, und wenn ich anspruchsvoll bin, kommen sie mir mit ihren Rarissima sogar nachgelaufen, in enzyklopädischen Prachtausgaben, von denen man zu meiner „Blütezeit“ nur träumen konnte.
Schluss, – ich beklage mich nicht, vorläufig schwelge ich und resümiere. Was liegt also griffbereit auf dem ultimativen Gabentisch?
natürlich! es lebe Bach!
ach! die 50er Jahre!
5 CDs, – zuviel?
Inhalt der CDs
Übersicht der Instrumente
Prolog zu den Tonaufnahmen 7 CDs
Ich will auch das anfangs erwähnte Buch, das aus dem vorigen Jahrhundert berichtete, unter neuen Aspekten nochmal durchschauen. Gab und gibt es denn zuviel Musik oder zuwenig Leute, die soviel hören wollen?
Unter Dorothee Oberlingers künstlerischer Leitung wird sich das Gesamtensemble der preußischen Künste weiterhin jährlich mit Musik und Oper und wechselnden Themen, die die kulturhistorischen Verbindungen zur Stadt Potsdam und zum Land Brandenburg programmatisch fantasievoll fassen, als sommerlicher Treffpunkt internationaler Künstler präsentieren.
Dabei wird das kreative Zusammenspiel der Künste mit interdisziplinären Konzepten, die die Verbindung der Künste untereinander suchen, verstärkt ausgelotet. Der Austausch findet – ganz im universalen Geiste Sanssoucis – zwischen den verschiedenen Kunstformen statt: Malerei, Architektur, Literatur, Tanz und Theater, aber auch Mode, Gartenkunst und sogar Sport oder Zirkuswelt werden auf ihr Verhältnis zur Musik befragt und ermöglichen neue, kreative Allianzen.
Dabei bleibt die zentrale Ausrichtung auf die sogenannte Alte Musik und historisch informierte Aufführungspraxis auf höchstem künstlerischen Niveau bestehen und bietet einen fruchtbaren Nährboden für die Künste, die den Gedanken und lebendigen Geist der Aufführungspraxis in sich tragen und Impulse setzen, um die Musik aller Zeiten zu erschließen und neu zu beleuchten.
Die verborgenen Preziosen des Potsdamer Repertoires, das mehr als 450 Jahre Musikgeschichte umfasst, wiederaufzuführen, ist dabei ein wichtiges Ziel. Dennoch werden Ausflüge und Brücken zu anderen Genres wie Jazz, Pop, Elektronik, Volksmusik, ethnischer Musik, aktueller Musik etc. nicht fehlen.
In den nächsten Jahren bereichert ein Flötentag die Festspiele, naheliegend bei der großen internationalen Prominenz des Flöte spielenden Friedrich II. und seines Flötenlehrers Johann Joachim Quantz, dem Hof-Compositeur und Cammer-Musicus mit dessen „Versuch einer Anleitung die Flöte traversière zu spielen“. Hier werden jährlich renommierte Flötisten aus aller Welt, die verschiedenste Flöteninstrumente wie Traverso, Blockflöte, Csakan, Ney, Panflöte oder Shakuhachi spielen, zu Gast sein.
Die Festspiele werden ebenfalls mit der neu eingeführten Lunch-Konzertreihe junge Nachwuchs-Ensembles der Alten Musik verstärkt fördern.
Quelle: das Orchester, Zeitschrift für Musiker und Management 1_24 . Seite 40f
Siehe zum Motto „In Freundschaft“ hier. Dort auch das Panorama aller Konzerte hier. Nirgendwo – soweit ich sehe – der in der Rezension genannte Name des „Kultur-Managers“ Folkert Uhde. Doch, – hier. Konzert „Gruppenbild mit Dame“ (Film ansehen).
Zu der in der Rezension angestrichenen Stelle (betr. die drei Freunde auf dem genannten Gemälde) siehe hier im Blog. Neu ist mir der Hinweis hier, dass es sich bei dem dritten Musiker (neben der Lautenistin) wohl nicht um Johann Theile handelt, sondern möglicherweise um Johann Philipp Förtsch. Zitat:
Das Notenblatt hat einen Kanon über den Psalm 133,1: Siehe, wie fein und lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen, ein unbekanntes Werk, das Bezug nimmt auf die Freundschaft und Zusammenarbeit der Musiker als „gelehrte Musiker“, also nicht nur als technisch geschulte Instrumentisten, sondern als Kenner der geistigen Inhalte der Musik.
https://www.arte.tv/de/videos/099704-000-A/dudelsaecke-musik-und-klaenge-der-aegaeis/ hier
Arte-Text
Dudelsäcke, Musik und Klänge der Ägäis
Der Dudelsack ist als fester Bestandteil der Folklore Südosteuropas in Albanien, Nordmazedonien, Bulgarien und Griechenland, aber auch in der Türkei anzutreffen. Dem leidenschaftlichen Engagement einer Gruppe von Dudelsack-Liebhabern ist zu verdanken, dass die alten Traditionen bewahrt werden …
Der Dudelsack alias Askavlos [alias Tsambouna] begleitet von jeher bäuerliche Feste und Tänze. Das traditionelle Instrument wird allein oder mit Schlagzeugen und Lauten kombiniert gespielt und ist als fester Bestandteil der Folklore Südosteuropas in Albanien, Nordmazedonien, Bulgarien und Griechenland, aber auch in der Türkei anzutreffen. Dem leidenschaftlichen Engagement einer Gruppe von Dudelsack-Liebhabern ist zu verdanken, dass die alten Traditionen bewahrt werden und heute neue Ausprägungen in der zeitgenössischen Musikszene Griechenlands finden.
Von den kleinen Inseldörfern in der Ägäis bis in die Konzertsäle der modernen Städte macht der Film mit dieser mündlich überlieferten Tradition, die sich über Jahrhunderte erhalten hat und heute ein großes Comeback erlebt, bekannt. Festivals wie auf Santorini, Naxos oder Ikaria ziehen jüngere Menschen an, und der Asklavos (s.o.) hat nicht nur in Griechenland, sondern in der ganzen Welt viele begeisterte Anhänger.
Um die Melodie rhythmisch zu gestalten, werden Vorschläge und Triller ausgeführt. Die Grifflöcher der parallelen Spielpfeifen werden jeweils von demselben Finger abgedeckt. Da die beiden Spielrohre nicht völlig identisch gestimmt sind, entstehen Schwebungen, die den Ton verstärken und die für die tsambouna charakteristisch sind.
Dieses Schwebungsprinzip (auch Schwebungsdiafonie) ist eine besondere Form der Mehrstimmigkeit auf dem Balkan, wie sie zum Beispiel in Südalbanien als Iso-Polyphonie bekannt ist. Nur auf der Insel Karpathos gibt es einen zweistimmigen diafonen Gesang der Frauen, der sich aus der Nachahmung der tsambouna-Doppelpfeifen entwickelt hat. Ähnliche schwebende Klänge produzieren die dalmatinische Doppelflötedvojnice (auch als diple bezeichnet) und das Balkan-Doppelrohrblattinstrument sopila.[1]
Rudolf M. Brandl: Die „Schwebungsdiafonie“ im Epiros und verwandte Stile im Lichte der Psychoakustik. In: Rüdiger Schumacher (Hrsg.): Von der Vielfalt musikalischer Kultur. Festschrift für Josef Kuckertz. Zur Vollendung des 60. Lebensjahres. (Wort und Musik. Salzburger Akademische Beiträge) Ursula Müller-Speiser, Anif/Salzburg 1992, S. 57
Man muss es genau lesen und verstehen: Nicht nur die Bach-Suiten, dieses zentrale Werk aller Cellisten in der Welt, wurden hier solistisch (Bass-Instrument ohne Begleitung) und in eigener Regie eingespielt, was ja bei Künstlern durchaus erwartet wird, aber auch die Instrumente wurden vom Interpreten selbst geschaffen, eine handwerkliche Meisterleistung: das Cello und die Viola da Gamba ganz und gar, das historische fünfsaitige Cello aus Ungarn (Suite VI) perfekt restauriert. Nicht genug: Die Tonaufnahmen wurden mit eigener Technik erstellt, realisiert und geschnitten, eine unglaubliche Arbeit (Toningenieur und Tonmeister in einer Person!), und schließlich auch noch Booklet und Box (letztere – zugegeben – als Fertigteil), die drei CDs umfasst.
Es ist kaum zu begreifen, wieviele verschiedene Begabungen hier ineinandergreifen und funktionieren müssen. Und am Ende ist es Musik, ein Dokument ganz großer Musik – von Johann Sebastian Bach.
Viele Jahre lang, als Peter Lamprecht noch Solocellist der Bergischen Symphoniker in Solingen war, sind wir hier mit barocken Programmen gemeinsam aufgetreten, ehe wir feststellten, dass wir praktisch am selben Tage des Jahres 1967 in der Kölner Musikhochschule Reifeprüfung gemacht haben. Während des Studiums sind wir uns – obwohl gleichaltrig – seltsamerweise nicht begegnet. Unter seinen Begabungen, die in den Jahren der Solinger Praxis hervortraten, ist eine noch nicht genannt: die pädagogische. Sein Sohn Christoph ist dank solider Ausbildung (zuhaus) ebenfalls ein renommierter Cellist und Kammermusiker geworden (hier).
Besonderen Dank schulde ich Peter Lamprecht, weil er meine kostbare afghanische Laute RUBAB, die vor ein paar Jahren durch einen Sturz vom Wohnzimmerschrank lädiert war, mit größter Sorgfalt restauriert hat: nun ruht sie dort auf dem schwarzen Eichenbrett, und kein Tag vergeht, an dem ich dort vorbeigehe, ohne dass ich an den Spieler des Instrumentes 1974 in Kabul zurückdenke, Ustad Mohammad Omar, und zugleich an den liebevollen Rubab-Restaurator in Solingen, Peter Lamprecht.
Mohammad Omar 1974 (Foto JR)
Und da die heutige Präsenz des Internets es erlaubt, in jene Zeit zurückzukehren und dies gar im Zeichen des alten afghanischen Instrumentes, das nun wiederum mich und den außergewöhnlich vielseitigen Solinger Künstler auf besondere Weise verbindet, uns beide aber, ob wir es wissen oder nicht, auch mit jenem bedeutenden Musiker, den ich damals im fernen Kabul kennenlernen, hören und aufnehmen durfte: nicht ahnend, dass eine solche Zeit der freien Musik dort nie mehr wiederkehren würde… darum steht jener am Ende dieses Artikels – zu Ehren eines Solinger Interpreten.
Beispiel eines Konzertes: Ranjani Memorial Concerts 2021
Ranjani Hebbar is remembered in Udupi by her parents and her well wishers through ‚Ranjani Memorial Trust‘ established in 2014. The trust is organizing educative concerts and helps those who promise to dedicate themselves for the cause of Indian classical music. The Trust has been arranging concerts during the week of Ranjani’s birthday i.e, 9th September every year for the past 7 years to commemorate this great artiste and bring forth many more Ranjanis of today.
1. Raga-Interpretation: Raga Kalyana Vasantam / Alapana bis 2:23, dann 2. Geige plus Mrdangam etc. (Grundton auf D) / Rh wechselt bei 4:30 Mel. zur oberen Oktave / bei 6:14 Rückkehr / Ende bei 8:35
Persönliches: Wohlwissend, dass die indische Pädagogik keiner Notenschrift bedarf, sondern gesungene Tonsilben zum Einüben verwendet, man ist damit perfekt im Tonraum lokalisiert (organisiert) – sehe ich (je)den Raga beim Hören im westlichen Notensystem vor mir, den Grundton immer als C (egal ob er absolut auf D oder G „sitzt“, immer also das eingestrichene C auf der Hilfslinie direkt unter den fünf Linien). Als sei dies das Do im Do-re-mi-System, das SA im indischen SA-RE-GA-System. Ich höre in der ersten Minute die melodische Linie Es-d-c, unterhalb davon bis zum tiefen F etwas Ornamentales mit dem übermäßigen Sekundschritt h-as darin, und auch: dass oberhalb dann der Ton f eine prominente Rolle spielt (nicht etwa g), länger ausgehalten. Ich vermerke mit Sympathie das Erreichen der höheren Oktave c und dort später das gleiche Motiv Es-d-c nach Minute 1:30, wo die zweite Geige sich in der tiefen Oktave dazugesellt hat. Virtuos wird von der ersten Geige die gesamte Skala eingeflochten, als sei sie uns allen längst präsent. Das ist schön genug. Ich halte beide Geigen im Auge (d.h. im Ohr). Wunderbar wie sie auf dem Ausgangspunkt C im zartesten Pianissimo wieder zueinanderfinden.
Mir ist klar, dass für viele vieles, was ich hier aufliste, völlig überflüssig scheint, sie hören lieber intuitiv, erfüllt – vielleicht – von einem „ozeanischen Gefühl“. Sie hören unerschöpfliche Improvisationen im wesenlosen Weltraum der Musik, aber – soweit ich das indische Denken verstehe (wer kann das schon?) – funktioniert es in diesen Fragen sehr präzise und definitiv: bei einer der frühen WDR-Aufnahmen mit karnatischer Musik – ich habe sie miterlebt, 24.03.73, Josef Kuckertz hat uns vermittelt – spielte das Dwaram-Ensemble, im Zentrum auch ein Violin-Duo, den Raga Kalyani, etwa 45 Minuten lang, perfekt in jedem Detail, virtuos, ohne die geringste Unsicherheit, – und dann brachen sie plötzlich ab, alles ungültig, der Geigerin war 1 falscher Ton unterlaufen, ein Tönchen, ein ragafremdes, und damit war alles Gelungene hinfällig. – Und da sollte ich als hergelaufener deutscher Geiger beschwichtigen und sagen: ist nicht so schlimm, „das merkt doch keiner“? Niemals. Und für die, denen die folgende knappe Datendarstellung zu weitläufig ist, sage ich trotzdem vorweg: das ist noch keine Katastrophe, die Hauptsache ist: zu begreifen, dass es nur das Mindeste ist, was man als Inder/in gelernt haben muss, bevor ein „Konzert“ für andere sinnvoll ist. Vielleicht nicht genau so, wie es in meiner westlich geprägten Auswahl steht, sondern in 10.000 Tagen des Übens und Studierens amalgamiert, in Monaten des Formelsingens, in Stunden des Fleißes und der Verzweiflung.
Die Skala dieses Ragas (+ Song) im folgenden Beitrag mitüben (Achtung: Grundton hier auf G)
Weitere Ragas (lexikalisch) hier (https://www.ragasurabhi.com/carnatic-music/ragas.html)
2. Raga-Interpretation: Raga Murali (?) ab 8:37 Alapana bis 20:16 Ende bei 39:04
3. Raga-Interpretation: Raga Abhogi ab 39:04 (ohne Alapana) Ende bei 51:45
https://en.wikipedia.org/wiki/Abhogi
Ein Meilenstein der Ragakunde war 1999 der „Raga Guide“ (mit 4 CDs), der allerdings in erster Linie die Nordindischen (Hindustani-) Ragas betraf. Abhogi findet man aber auch darin, weil der Raga südindischen Ursprungs ist. Für Notenleser sehr instruktiv, da nicht nur die Skala, im Aufstieg anders als im Abstieg, wiedergegeben ist, sondern auch eine melodische Verlaufsform.
Beim bloßen Hören könnte man meinen, es handle sich um einen petatonische Raga mit den Tönen C- d – f – a – c , bis bei 39:32 plötzlich in der höheren Oktave deutlich der Ton „es“ – im Text = „flat Ga“ – auftaucht.
4. Raga-Interpretation: Raga Khamboji ab 51:45 bis 1:03:55 Rh Ghatam-Solo + Morsing-Solo Ende bei 1:26:16
5. Raga-Interpretation: Raga Ahir Bhairav ab 1:26:28 Alapana bis 1:30:28 Ende bei 1:34:00
https://en.wikipedia.org/wiki/Ahir_Bhairav
aus Raga Guide s.o.
Seite 250f aus Walter Kaufmann: „The Ragas of North India“ Published for the INTERNATIONAL AFFAIRS CENTER by INDIANA UNIVERSITY PRESS Bloomington USA & London 1968
Konzert im Bürgerzentrum Ehrenfeld 22.7.22 ab 18 – 21 Uhr