Wie ginge eine Analyse?
Ich erinnere mich an Scheidemann (und einen Urlaub jenseits von Norden). Was bin ich schuldig geblieben? An Buxtehude geht offenbar kein Weg vorbei. Aber überspringen Sie getrost alles, wenn Sie nur punktuell prüfen wollen, ob es für einen ersten Durchblick reicht.
Das waren noch nicht alle Blog-Beiträge, in denen Buxtehude eine Rolle spielt. Ich rekapituliere nur diese, um zu wissen, wo ich jetzt stehe bzw.stehengeblieben bin. Und gehe einfach irgendwo weiter, wo ich glaube, dass es auch für andere nützlich ist.
Die mindesten Voraussetzungen möchte ich vorweg nennen: Choralkenntnis, und möglichst: Notenkenntnis, damit man eine einfache Choralmelodie notfalls mitsingen kann. Was dagegen musikalisch nicht besonders hilft, ist eine allgemeine Vorliebe für Orgelklang, falls man noch auf dem Stand ist, dass alles so vorüberrauscht. Man muss in den Klang hineinkriechen und Stimmen hören, melodische Linien, natürlich ist nicht alles von gleicher Wichtigkeit. Wenn Sie im Choralvorspiel den Choral nicht erkennen, ihn möglichst schon lieben, sollten Sie sich mit nichts sonst zufrieden geben. Er muss Ihnen vertraut sein, sonst ist aller guter Wille nicht viel wert: da fehlt die Substanz, jedenfalls in der Alten Musik.
Die Orgelspieler selbst kümmern sich offenbar nur um Orgelspieler; man kann froh sein, wenn man die Choralmelodie separat bekommt, – kümmern wir uns also zuerst um die CD-Aufnahme, die uns damit versorgt. Ich greife mir heraus: „Von Gott will ich nicht lassen“. Die Fassung des Gesangbuches und die Fassung die im CD-Booklet mitgeteilt wird:
Man vergleiche die Melodie-Versionen.
Die beiden Melodien stimmen nicht überein, und auch die zweite, die aus dem CD-Booklet stammt, ist nicht genau dieselbe, die man danach in dem Orgelwerk hört. Es lohnt sich, genau die in dem Text beschriebene Fassung wahrzunehmen.
Tr.7 BuxWV 220 ist die einfache Fassung (Tr.6 schwieriger), und – wie beschrieben – hören wir die erste Choralzeile zweimal (bis zum Doppelstrich): 1. + 2. Phrase von 0:00 bis 0:30. Und 3. + 4. Phrase mit ornamentierter Melodie von 0:31 bis 0:51. Die 5. Phrase vom Doppelstrich bis zur Fermate = 6 Töne Haupttöne von 0:52 bis 1:12. Die 6., 7. und 8. Phrase ornamentiert von 1:13 bis 1:34 (Grundton als Orgelpunkt ausgehalten) + Nachspiel = 1:51.
Wenn Sie schon so weit sind, dass Sie die Umrisse der Choralmelodie nicht nur erkannt, sondern ein Gefühl für ihre Besonderheit entwickelt haben, lassen Sie es damit nicht genug sein: memorieren Sie sie nach den Noten, bedenken Sie die Varianten, die vorkommen können. Gewinnen Sie dieses Gebilde aus einfachen Tonfolgen lieb, nur – fühlen Sie sich nicht unterfordert. Ein Choral ist unglaublich wandelbar, je nach Umgebung. Vielleicht müssen wir auch Bach zu Hilfe rufen…
Vollkommen schön. Die Essenz der abendländischen Musik. Was folgen könnte: eine Meditation zur Melodie (ihre Logik), zum harmonischen Verlauf, Akkord für Akkord (probeweise vom Bassgang her hören).
Ja, für Bach tun wir alles, aber der Weg über Buxtehude ist nicht falsch, – der gleiche Choral kann ja noch einen ganz anderen Charakter annehmen: hier mit derselben Orgel-Interpretin wie oben, und der Notentext ist zu verfolgen, achten Sie auch hier auf den Bass, das Pedal, das unterste System (mit den vielen Pausen):
https://www.youtube.com/watch?v=aieXS06QiKk hier
Zurück zu Buxtehude, zum anderen Choralvorspiel „Von Gott will ich nicht lassen“ BuxWV 221, das ist Tr.6 auf der CD von Brine Bryndorf. Wir gehen am Booklet-Text entlang und fügen die Zeitangaben zur Orientierung ein:
…in der ersten Phrase verbirgt sich der Choral im Sopran, während sich die Motive durch alle vier Stimmen ziehen, ab 0:00 bis 0:14
während die Choralmelodie in der zweiten Phrase in Viertelnoten steht, [und zwar] als cantus firmus im Pedal unter der Manualfiguration. 0:14 bis 0:26
Die Satztechnik wechselt in der zweiten Hälfte, fast jede Zeile wird unterschiedlich behandelt. [3. und 4.Phrase] 0:27 bis 0:44 [5. Phrase] 0:44 bis 1:14
Im sechsten Verszeilenteil übernehmen alle vier Stimmen in imitativem Kontrapunkt eine aufsteigende chromatische Phrase in Achteln, während ansonsten die Sechzehntelmotive trotz der kompositionstechnischen Vielfalt den Zusammenhang wahren. Die letzte Phrase des Chorals (Verszeile 6-8) wird zweimal [??? sehe ich nicht so!] bearbeitet. [6-8] 1:14-1:35 hier Orgelpunkt und Nachspiel 1:52 (Ende)
Ich wende mich nun der Gesamtaufnahme der Orgelwerke Buxtehudes zu, eingespielt von Harald Vogel: hier ab 17:22 (auf Youtube schwer einzustellen, ich halte mich an die physische CD). „Von Gott will ich nicht lassen“ also als Tr. 4 und 5.
Der entsprechende Teil des langen und informativen Textes der CD:
Zu meinen liebsten Tätigkeiten gehört diejenige, die in irgendeiner Weise Zusammenhang schafft. Oder mich Zusammenhänge sehen lässt. Das gelingt hier z.B. mit dem Lied „Wie schön leuchtet der Morgenstern“, das zu meinen Lieblingsliedern gehört seit meiner Volksschulzeit. Ich weiß auch, warum!
(Beide Gesangbücher stehen noch in meinem Regal: das untere zerfällt fast, es enthält das Datum 1950, das andere hat mir meine Belgarder Großmutter zur Konfirmation geschenkt, mit Widmung.) Ich erinnere mich, dass das Lied für mich einen Störfaktor enthielt: es nimmt nach dem Doppelstrich – Terzsprung mit Fortsetzung auf der neuen Seite – einen deutlich empfundenen „Leiercharakter“ an, der gewissermaßen wettgemacht wird durch den Oktavsprung zum hohen d. Das gab mir zu denken, oder auch nicht, ich sang den Ton wahrscheinlich einfach mit mehr Inbrunst. Er war das Signal, auf den ersten Abschluss der Morgenstern-Melodie (vor dem Doppelstrich) zurückzugreifen, mit dem Wort „hoch“. Der Ton war der Morgenstern! Und dann ging der Blick abwärts zum Horizont…
Soweit der Zusammenhang mit meiner musikalischen Geschichte. Im Gesamtzusammenhang der sämtlichen Werke Buxtehudes, Untergruppe Choralvorspiele. Ich kann mit diesem jetzt gleich beginnen, wenn ich im Youtube hier das Praeludium ex g hinter mir habe, stattliche 8:12 Minuten, auf der CD Tr.1, und danach bin ich nach Absolvierung des Morgensternes Tr.2 und einer kurzen Canzonetta in C (ab 16:10 bis 17:20) bald in bekanntem Gelände… (Tr.4 und 5).
Das Morgenstern-Lied zuerst mit 2 klar gespielten und umgarnten Strophen, später die entwaffnenden Terzrufe, die Probleme mit der „Leier“-Passage scheinen nachvollziehbar, und am Schluss die Apotheose der absteigenden Tonleiter macht alles wieder gut. (Man sieht: ich versuche, mich selbst in der Behandlung wiederzufinden, ein Versuch, den ich natürlich ad acta legen werde, um in ein Lob der hellen Registrierung zu verfallen und mich zu erinnern, dass dies alles von mir als Kind irgendwie mit Bedeutung versehen wurde. (Wenn wir einzeln vorsingen durften, suchte meist gerade der Oberschelp vom Bielefelder Kinderchor Nachwuchs. Ich kam nie in Frage.) Ein anderes Lieblingslied damals: Die güldne Sonne voll Freud und Wonne.
All das verschwindet, wenn ich die „Netherlands Bach Society“ mit dem Lied meiner Kindheit höre, wieder nach der Fassung von Johann Sebastian Bach.
Nun kann ich fortfahren, weitere Zusammenhänge zu knüpfen. Hier ist noch die zweite der drei CDs aus Norden, eine wunderbare Zusammenstellung aus Bach-Werken und Werken seiner Vorbilder, u.a. mit Buxtehudes „Von Gott will ich nicht lassen“ BuxWV 120 als Tr.3.
Das virtuos orgelspielende Ehepaar Agnes Luchterhandt und Thiemo Janssen hat zu dem klugen Programm einen angenehm zu lesenden Text geschrieben, aus dem ich nur den Abschnitt kopiert habe, der „Bach und Buxtehude“ betrifft.
(in Arbeit)
Zum Mitlesen
Zum Schauen und Hören (aber auch: Bach)