Archiv der Kategorie: Musikethnologie

Kurdische Geige u.a.

Melodische Zellen erschließen (es ist nur ein Spiel). Sie können jedes andere Melodieinstrument verwenden, auch Ihre Stimme! Am besten ohne Zeugen.

Ein Beispiel in dem Band V „La Musique Arabe“ von Rodolphe d’Erlanger. Links die vollständige Skala des Modus, unterteilt in die Abschnitte, die der Reihe nach einzeln melodisch erschlossen werden. Darunter die Analyse und die Spielanleitung. Auf der rechten Seite die Darstellung einer möglich Entfaltung, soweit sie sich in Notenschrift darstellen lässt. Es empfiehlt aber , das was man tut, in Worten zu beschreiben, statt es in Notenschrift wiederzugeben, da es nicht wie eine detaillierte Übevorschrift genommen werden soll: man sollte sich an bestimmte Töne und Tonfolgen halten, aber rhythmisch und bogentechnisch völlig frei bleiben, auch Wiederholungen sind erwünscht und anheimgestellt. Die Impression ist: man tastet schrittweise voran in dem anliegenden Tonraum, jedes Detail auskostend, verändernd, umfärbend „bis zum Überdruss“, bzw. solange es Vergnügen bereitet.

Ich beschreibe, frei nach dem schriftlichen Vorbild d’Erlangers, wie ich voranschreiten möchte:

Beginn auf der A-Saite 1.Lage, mein erster Zentralton ist der Ton d“‘, mit Einstieg auf Leiteton cis, zugleich im Sinn: das leere A (a“) schwingt innerlich mit, dort werde ich zwischenlanden. Im Notenbeispiel sind das die ersten anderthalb Zeilen. Das Anspielen des Tones f“‘ ist schon ein „Angang“ (egal wie ich den kleinen Lagenwechsel mache), danach, das lange e“‘, ist sozusagen eine „Wiedergutmachung“, weil ich es am Anfang nur gestreift habe. Jetzt gebe ich seinem Ruf nach, es verlangt nämlich nach den tieferen Tönen, die noch gar nicht weiter „karessiert“ sind, in Richtung A-Saite vor allem cis und b. Zur Stärkung kann der untere Wechselton g“ kurz berührt werden.

Beispiele anderer Geiger, die den armen Nachahmer inspirieren, aber nicht indoktrinieren.

Für mich ist dies eine Erinnerung (im Sinne von Mahnung), die Geige loszulösen vom stupiden Technik-Üben. Mich zwanglos mit melodischen Formeln zu beschäftigen, die mir in schriftlicher oder praxisnaher Form gegeben sind.

 

Universalien in der Musik?

„Auf der Suche nach den Universalien“ (JR 2010)

Quelle Musikforum Januar 2010

Während ich diese Rekapitulation abschließe (am Geburtstag meines Großvaters Heinrich Arnhölter 3.1.1887), bringt die Post das folgende Buch, das beweist, dass ich in der Gegenwart lebe, bestellt von einem, der am 1.4.1966 geboren wurde (nachdem sein eben erwähnter Urgroßvater am 14.1.1966 gestorben war).

mehr zu Navid Kermani hier

Wohin mit all der Musik?

In die Ohren oder aus dem Sinn

Vor 25 Jahren erschien ein Buch, das im Titel viel versprach und auch entsprechend viel Stoff anbot, aber doch keine Schlagzeilen machte. „Soviel Musik war nie – Eine musikalische Kulturgeschichte“ von Klaus Peter Richter (München 1997).

Heute – gegen Ende des Jahres 2023 – sprach ich mit einem weltoffenen Orchestermusiker und fragte ihn, was er zur aktuellen Lage der Musik meine, – nach dem vielberedeten Einbruch der Publikumsfrequenz und der üblichen Teilschuldzuweisung an Corona.

„Alles Quatsch. Es gibt einfach zuviel Musik!“ war seine lapidare Antwort. Dabei meinte er alle Musikszenen, ohne die eine oder andere als besonders verwerflich zu brandmarken. „Es ist die Omnipräsenz der Musik, ihre beliebige Abrufbarkeit in den Medien, in der analogen Öffentlichkeit und auf dem Markt.“ Alldas habe im Kern an Bedeutung verloren, während gleichzeitig die Werbung für alle Musiksparten zum Himmel schreit. Ja, dachte ich, und wenn ich anspruchsvoll bin, kommen sie mir mit ihren Rarissima sogar nachgelaufen, in enzyklopädischen Prachtausgaben, von denen man zu meiner „Blütezeit“ nur träumen konnte.

Schluss, – ich beklage mich nicht, vorläufig schwelge ich und resümiere. Was liegt also griffbereit auf dem ultimativen Gabentisch?

natürlich! es lebe Bach!

ach! die 50er Jahre!

  5 CDs, – zuviel?

Inhalt der CDs

Übersicht der Instrumente

Prolog zu den Tonaufnahmen 7 CDs

Ich will auch das anfangs erwähnte Buch, das aus dem vorigen Jahrhundert berichtete, unter neuen Aspekten nochmal durchschauen. Gab und gibt es denn zuviel Musik oder zuwenig Leute, die soviel hören wollen?

längst nicht genug …

Thema Flöte

Geschichte und Gegenwart

Potsdam hier

daraus der Pressetext:

Unter Dorothee Oberlingers künstlerischer Leitung wird sich das Gesamtensemble der preußischen Künste weiterhin jährlich mit Musik und Oper und wechselnden Themen, die die kulturhistorischen Verbindungen zur Stadt Potsdam und zum Land Brandenburg programmatisch fantasievoll fassen, als sommerlicher Treffpunkt internationaler Künstler präsentieren.

Dabei wird das kreative Zusammenspiel der Künste mit interdisziplinären Konzepten, die die Verbindung der Künste untereinander suchen, verstärkt ausgelotet. Der Austausch findet – ganz im universalen Geiste Sanssoucis – zwischen den verschiedenen Kunstformen statt: Malerei, Architektur, Literatur, Tanz und Theater, aber auch Mode, Gartenkunst und sogar Sport oder Zirkuswelt werden auf ihr Verhältnis zur Musik befragt und ermöglichen neue, kreative Allianzen.

Dabei bleibt die zentrale Ausrichtung auf die sogenannte Alte Musik und historisch informierte Aufführungspraxis auf höchstem künstlerischen Niveau bestehen und bietet einen fruchtbaren Nährboden für die Künste, die den Gedanken und lebendigen Geist der Aufführungspraxis in sich tragen und Impulse setzen, um die Musik aller Zeiten zu erschließen und neu zu beleuchten.
Die verborgenen Preziosen des Potsdamer Repertoires, das mehr als 450 Jahre Musikgeschichte umfasst, wiederaufzuführen, ist dabei ein wichtiges Ziel.
Dennoch werden Ausflüge und Brücken zu anderen Genres wie Jazz, Pop, Elektronik, Volksmusik, ethnischer Musik, aktueller Musik etc. nicht fehlen.

In den nächsten Jahren bereichert ein Flötentag die Festspiele, naheliegend bei der großen internationalen Prominenz des Flöte spielenden Friedrich II. und seines Flötenlehrers Johann Joachim Quantz, dem Hof-Compositeur und Cammer-Musicus mit dessen „Versuch einer Anleitung die Flöte traversière zu spielen“. Hier werden jährlich renommierte Flötisten aus aller Welt, die verschiedenste Flöteninstrumente wie Traverso, Blockflöte, Csakan, Ney, Panflöte oder Shakuhachi spielen, zu Gast sein.

Die Festspiele werden ebenfalls mit der neu eingeführten Lunch-Konzertreihe junge Nachwuchs-Ensembles der Alten Musik verstärkt fördern.

Rezension von Frauke Adrians:

Quelle: das Orchester, Zeitschrift für Musiker und Management 1_24 . Seite 40f

Siehe zum Motto „In Freundschaft“ hier. Dort auch das Panorama aller Konzerte hier. Nirgendwo – soweit ich sehe – der in der Rezension genannte Name des „Kultur-Managers“ Folkert Uhde. Doch, – hier. Konzert „Gruppenbild mit Dame“ (Film ansehen).

Zu der in der Rezension angestrichenen Stelle (betr. die drei Freunde auf dem genannten Gemälde) siehe hier im Blog. Neu ist mir der Hinweis hier, dass es sich bei dem dritten Musiker (neben der Lautenistin) wohl nicht um Johann Theile handelt, sondern möglicherweise um Johann Philipp Förtsch. Zitat:

Das Notenblatt hat einen Kanon über den Psalm 133,1: Siehe, wie fein und lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen, ein unbekanntes Werk, das Bezug nimmt auf die Freundschaft und Zusammenarbeit der Musiker als „gelehrte Musiker“, also nicht nur als technisch geschulte Instrumentisten, sondern als Kenner der geistigen Inhalte der Musik.

Erinnerung an das Thema Flöte 1983:

Matt Molloy hier  Shakuhachi hier

(in Arbeit)

Tönender Atem

TAJIMA Tadashi, Shakuhachi

Die CD der Reihe World Network (WDR/Network Medien) (1995) ©1999 Text: Pof. Dr. Robert Günther und Yamaguti Osamu (s.a.hier). Zum Titelfoto: „Robert Günther sagte mir einmal, dass das Photo mit Tajima Tadashi vor dem Bambus in ihrem Garten in Köln Rodenkirchen entstanden ist. Seitdem hat dieses (eher) eine ‚ferne‘ Situation ikonisierende Photo für mich etwas ‚Familiäres‘: Ganz Fernes ist so plötzlich ganz nah.“ (Uwe U. Pätzold)

 

vermittelt durch Heinz-Dieter Reese

1. Daha no kyoku (Die Wellen schlagen) ab 0:31

2. Shika no tône (Fernes Röhren der Hirsche) ab 6:01 (CD Tr.2)

3. Tsuru no sugomori (Nistende Kraniche) ab 13:50 (24:52) CD Tr.7

Eine Empfehlung zum weiteren Studium:

https://schwabe.ch/Die-Welt-in-einem-Ton hier / Das Buch ist heute (27.11.23) bei mir angekommen: eine wunderbare weltmusikalische Unterhaltung!

Rückseite

Inhaltsverzeichnis

Aus dem Vorwort – zu den Fragen, wie man zu den Musikbeispielen kommt – und: wer ist überhaupt der zweite Autor des Buches? – hier:

ZEN als Verwandlung

Sehr alte Geschichten

Einerseits will ich nicht meine frühe 1960er-Zeit aufwärmen, mit den damals verschlungenen Werken von Alan W. Watts über Zen-Buddhismus (rde) und „Mann und Frau“ (Dumont), andererseits endet der Anreiz von Zen auch heute nicht, wenn ausgewiesene Denker dahinterstehen und ihn in ihre Philosophie einschließen, wie Byung-Chul Han, der im westlichen „System“ gleichermaßen zu Hause ist.

Als ich 2008 auf dem durchaus westlichen Wege Rüdiger Safranki las, seine bewunderswert ausführliche Antwort auf die Frage „Wieviel Wahrheit braucht der Mensch?“, freute ich mich über eine mir aus der „asiatischen Philosophie“ bekannte Geschichte, mit der er ein chinesisches Bild vor Augen führte. Oder gerade nicht vor Augen: nach wie vor war es mir einfach genug, von dem Bild nur zu hören.

Rüdiger Safranski

Woher er die Geschichte hatte, blieb also im Dunklen. Jetzt – plötzlich und unerwartet – wurde ich auf diesen Seitenweg zurückgeführt: durch die Klinik-Lektüre des Reclam-Büchleins von Byung-Chul Han! Darüberhinaus gemahnt an die Aufführung eines japanischen Noh-Spiels in der Kölner Philharmonie, und – Koinzidenz der Erinnerungsphänomene – durch die Mail eines getreuen WDR-Mitarbeiters, der gerade eine Gedenksendung anderer Thematik im WDR gehört hatte. Er hat selbst zum Thema Japan ungezählte luzide Radio-Sendungen gemacht, die – nicht nur – meinen Horizont erweiterten, auch den eines spezifisch interessierten Publikums, und so die Neugier auf ferne Welten weckten oder wachhielten. Und nun war alles wieder da! Ich las:

in das gemalte Bild hinein«.

Ich las also Byung-Chul Han’s „Philosophie des Zen-Buddhismus“ und darin den Hinweis auf das chinesische Bild (oder ein anderes, ähnliches) und die Wendung zum japanischen Noh-Spiel.

Ein Kreis war geschlossen. Zufällig mein letztes Jahr im WDR, ein Abend des Jahres 2005. Die unglaubliche Atmosphäre in der Kölner Philharmonie, die (nicht einmal) knisternde Stille, ein hörbares Nichts, ein atemloses Publikum, so hatte ich das noch nie erlebt (ausgenommen vielleicht in wenigen Quartett-Konzerten). Alldies mochte ich evozieren und durch Wissen vertiefen. Anhand eines einzigen großen Stückes IZUTSU und eines instruktiven Filmes, den das WDR-Fernsehen (Lothar Mattner) im Vorfeld produziert und gesendet hat. Hier ist er:

Heinz-Dieter Reese im Nachspann

Mehr über den Autor des Filmes Thomas Schmelzer hier. Mystica TV (?). Zur Diskussion…

https://de.wikipedia.org/wiki/Izutsu_(N%C5%8D) hier (Wikipedia über das Noh-Stück „Izutsu“)

https://www.youtube.com/@nohtheatreexplained8410 hier (Übersicht über die Reihe, in der das folgende Stück vorkommt)

Folgt: die Aufführung in der Kölner Philharmonie (Informelle Aufzeichnung, copyright-geschützt)

Weitere Daten zur Aufführung in Köln von Heinz-Dieter Reese:

Phil-Ankundigung  28|10 Freitag 20:00 Uhr
Zwischen Traum und Wirklichkeit
Japanisches Nô-Theater mit dem Ensemble
der UMEWAKA KENNÔKAI FOUNDATION

NohPRGHEFT  Freitag 28. Oktober 2005 20:00
Die Aufführung wird vom Westdeutschen Rundfunk für den
Hörfunk aufgezeichnet und am Sonntag, 12. Februar 2006,
20:05 Uhr auf WDR3 gesendet.

WDR3Buehne Radio06-02-12   Bühne: Radio 12.02.2006
Konnichi wa, Japan
Zwischen Traum und Wirklichkeit:
Nô- und Kyôgen-Theater mit dem Ensemble der Umewaka Kennôkai
Aufnahme vom 28. Oktober 2005 aus der Kölner Philharmonie
vorgestellt von Heinz-Dieter Reese

Die Realisation im Radio

Zugang zum Skript der Radiosendung von Heinz-Dieter Reese, mit der freundlichen Erlaubnis des Autors:

NO Reese WDR3BR120206_Ms

„In Japan wird das Singen im Nô-Theater gelegentlich mit unaru, mit Brummen bezeichnet. Dem liegt eine durchaus zutreffende Beobachtung zugrunde. Der Nô-Sänger achtet bei seinem Vortrag darauf, dass die komplexen Obertöne der Stimme im gesamten Körper resonieren. Dadurch wird die simple Melodik durch vielfältige Klangfarben bereichert. Es entstehen klare, helle Töne, dann wieder getrübte, dunkle Töne, die bald kräftig, bald weich erscheinen. So werden die szenische Atmosphäre, aber auch die verborgenen Gedanken und Gefühle der Figuren zum Ausdruck gebracht. Und das gilt für den Solo wie den Chorgesang.“

Mail-Mitteilung (15.11.2023) Heinz-Dieter Reese:

Zum Noh-Spiel  “Izutsu” finden Sie auf meinem Kanal auch noch eine historische und eindrucksvolle professionelle Aufnahme (des NHK) mit dem legendären KANZE Hisao aus den 1970er Jahren, die ich komplett deutsch untertitelt habe:

https://youtu.be/LCtxXKYD96M  hier

*     *     *

Zurück zu Byung-Chul Han, anknüpfend an seine Bemerkungen zur chinesischen Landschaft:

https://de.wikipedia.org/wiki/Chinesische_Malerei hier

https://www.wikidata.org/wiki/Q11638255  hier Wer ist Kōichi Tsujimura? (s.u. pdf)

https://terebess.hu/zen/mesterek/TsujimuraKoichi.html  hier

https://en.wikipedia.org/wiki/Henry_Pike_Bowie  hier

Henry Pike Bowie’s Werk „ON THE LAWS OF JAPANESE PAINTING“ (1911) Gutenberg hier

https://leopard.tu-braunschweig.de/servlets/MCRFileNodeServlet/dbbs_derivate_00031277/Tsujimura_Yue-chiens_Landschaftsbild.pdf hier / Zitat:

Wie geht der griechische Dudelsack?

aus dem Film:

https://www.arte.tv/de/videos/099704-000-A/dudelsaecke-musik-und-klaenge-der-aegaeis/ hier

Arte-Text

Dudelsäcke, Musik und Klänge der Ägäis

Der Dudelsack ist als fester Bestandteil der Folklore Südosteuropas in Albanien, Nordmazedonien, Bulgarien und Griechenland, aber auch in der Türkei anzutreffen. Dem leidenschaftlichen Engagement einer Gruppe von Dudelsack-Liebhabern ist zu verdanken, dass die alten Traditionen bewahrt werden …

Der Dudelsack alias Askavlos [alias Tsambouna] begleitet von jeher bäuerliche Feste und Tänze. Das traditionelle Instrument wird allein oder mit Schlagzeugen und Lauten kombiniert gespielt und ist als fester Bestandteil der Folklore Südosteuropas in Albanien, Nordmazedonien, Bulgarien und Griechenland, aber auch in der Türkei anzutreffen. Dem leidenschaftlichen Engagement einer Gruppe von Dudelsack-Liebhabern ist zu verdanken, dass die alten Traditionen bewahrt werden und heute neue Ausprägungen in der zeitgenössischen Musikszene Griechenlands finden.
Von den kleinen Inseldörfern in der Ägäis bis in die Konzertsäle der modernen Städte macht der Film mit dieser mündlich überlieferten Tradition, die sich über Jahrhunderte erhalten hat und heute ein großes Comeback erlebt, bekannt. Festivals wie auf Santorini, Naxos oder Ikaria ziehen jüngere Menschen an, und der Asklavos (s.o.) hat nicht nur in Griechenland, sondern in der ganzen Welt viele begeisterte Anhänger.

Regie: Yorgos Arvanitis 2020

Wikipedia Tsambouna hier

Zitat daraus:

Um die Melodie rhythmisch zu gestalten, werden Vorschläge und Triller ausgeführt. Die Grifflöcher der parallelen Spielpfeifen werden jeweils von demselben Finger abgedeckt. Da die beiden Spielrohre nicht völlig identisch gestimmt sind, entstehen Schwebungen, die den Ton verstärken und die für die tsambouna charakteristisch sind.

Dieses Schwebungsprinzip (auch Schwebungsdiafonie) ist eine besondere Form der Mehrstimmigkeit auf dem Balkan, wie sie zum Beispiel in Südalbanien als Iso-Polyphonie bekannt ist. Nur auf der Insel Karpathos gibt es einen zweistimmigen diafonen Gesang der Frauen, der sich aus der Nachahmung der tsambouna-Doppelpfeifen entwickelt hat. Ähnliche schwebende Klänge produzieren die dalmatinische Doppelflöte dvojnice (auch als diple bezeichnet) und das Balkan-Doppelrohrblattinstrument sopila.[1]

Rudolf M. Brandl: Die „Schwebungsdiafonie“ im Epiros und verwandte Stile im Lichte der Psychoakustik. In: Rüdiger Schumacher (Hrsg.): Von der Vielfalt musikalischer Kultur. Festschrift für Josef Kuckertz. Zur Vollendung des 60. Lebensjahres. (Wort und Musik. Salzburger Akademische Beiträge) Ursula Müller-Speiser, Anif/Salzburg 1992, S. 57

Brandl a.a.O.

Materie, Form und Farbe

Von Toten sprechende Steine

Meine obige Anspielung auf Marius Schneiders „Singende Steine“ verstehe ich als Umleitung auf eine viel frühere Arbeit meines Doktorvaters über die Varianten der Lieder ägyptischer Fellachen. Das hat mich sehr beeindruckt bis hin zu meiner Untersuchung syrischer Volkslieder zu Anfang meiner eigenen Dissertation. Oder der „Goldberg-Variationen“. Mich faszinieren seither jedenfalls alle Serien ähnlicher und abgewandelter Dinge. Schneiders Original-Arbeit wurde nur auf Vertrauensbasis aus der Bibliothek des Musikwissenschaftlichen Instituts ausgeliehen (aus der Hand Dr. Robert Günthers), etwa 200 nicht geheftete Blätter, mit Bindfaden zusammengebunden zwischen zwei Pappdeckeln. Dieser Titel findet sich nicht einmal in dem Werkeverzeichnis von Wikipedia, das sich auf Norbert Weiss und Robert Günther stützt. Der relativ stabile Rahmen und die variablen Vorgänge innerhalb dieser Grenzen, gestützt auf gängige Vorstellungen über das „Volksvermögen“; das gehört zum Hintergrund meiner Friedhofsgänge und des Totengedenkens. Mitnichten eine quälende Melancholie.

Ohlsdorf 1.6.2011

Es bedarf auch keines bedeutenden Friedhofes wie in Hamburg-Ohlsdorf (wo die Westphals liegen) oder in Wien oder Paris. Ich spare mir kommentierende Gedanken über all die typisch hiesigen Namen, die primär zum Erinnerungskreis meiner Frau gehören, da ich erst 1965 allmählich in dieser Region, im Schatten der Kirche St. Joseph SG-Ohligs, Fuß gefasst habe, ansonsten nach Köln (WDR) orientiert blieb.

*   *   * *

zu ergänzen durch Kurz-Infos wie z.B.:

*Klaus Theyßen: jahrzehntelang Kantor an der katholischen Kirche St.Joseph, unvergesslich: ich war Ende der 60er mit ihm und seinem Jugendchor in Berchtesgaden (Geigen-Duo). Sein älterer Bruder Theo hat als Architekt viele gute Häuser in Ohligs gebaut, u.a. 1974 auch unseres. Unvergessen sein Nachfolger Leo Langer, der  sogar Biber-Sonaten begleitete, ebenfalls – schon  seit 1965 – sein evangelischer Kollege (Wittenberg Platz) Konrad Burr.

*Waltraut Schmitz-Bunse: https://hoerspiele.dra.de/vollinfo.php?dukey=1370409&SID hier

sie wurde auch Autorin unserer WDR-Abteilung „Volksmusik“, Dr. Krings schickte sie mit Ingenieur Thomas Gallia nach Kalabrien, sie machte eine wunderschöne, leider nicht abrufbare  Radiosendung über diese Aufnahmereise (Ende der 70er Jahre?). Ich dachte daran, als Freund Uli kürzlich nach Süditalien fuhr, – mit dem für ihn wesentlichen Ziel Paestum (s.u. zu Mozart).

* die Eltern von Weihbischof Manfred Melzer, von dem früher des öfteren die Rede war („war mit mir im Kindergarten“). Als professionell denkender (Musik-)Ethnologe habe ich heute vermerkt, dass es bei Youtube eine in voller Länge wiedergegebene Trauerfeier im Kölner Dom zu studieren gibt: hier .

*es gibt dort oben einen fast unleserlichen Stein, abgesehen von dem Namen MIERZWA, genau darüber erkennt man bei Vergrößerung den Namen Max Schaefer (*1906 – 1982), alle ehemals Pfarrer an der nahen Kirche St. Joseph.

https://de.wikipedia.org/wiki/Paestumhttp://s128739886.online.de/lebenslust-mozart/

http://s128739886.online.de/wp-admin/post.php?post=38223&action=edit hier

Lebenslust Mozart

Ein Grab in Bielefeld auf dem Friedhof Bethel

Musiksparten?

Wie war das noch in den 90er Jahren im WDR?

Man sprach von Programmfarben, man konnte – so glaubte man – jeweils größere Publikumsmengen an das jeweilige Programm binden, wenn man einen bestimmten Musikcharakter vorgab und durchhielt, WDR 1 „volkstümlich“, später auch „rockig“, WDR 2 „Mainstream Pop“, WDR 3 „Klassisch“ + „Konzert“, WDR 4 „Schlager, Operette, Evergreen“, WDR 5 „Wort“. Unsere Abteilung, die ursprünglich den Namen „Volksmusik“ trug (später: Musikkulturen), erweiterte seit den 70er Jahren den Inhalt des Begriffes beträchtlich: nicht nur Volksliedkantaten und Blasmusik der deutschen „unterhaltenden“ Tradition wollten wir präsentieren – es gab ja in allen Ländern und Kulturen Volksmusik, auch Folklore genannt, die ganz anders klang. Auch „fremde“ Kunstmusik, die man, da sie nicht unserer Klassik ähnelte, stillschweigend zu jenem unbekannten Genre schlug, das in unserm Radio bisher überhaupt nicht vertreten war. Das alles wurde zu unserem Arbeitsfeld und konnte – unserer Einschätzung nach – in jedem Programm vorkommen, je nachdem, welcher „Farbe“ es nahekam. Geeignet für alle musikalischen Menschen, die auch ungewöhnlichere Klänge einordnen können. Ich will jetzt nicht theoretisieren, inwieweit das überhaupt in einem solchen Massen-Medium geht, – ich selbst hatte mir Gedanken gemacht über die 12 Methoden des Hörens, die es in der Menschheit gibt, und die man nicht ohne weiteres untereinander auswechseln kann -,  jedenfalls hatten wir in der Konzertreihe, die wir seit 1974 etabliert hatten, ein Publikum im Sinn, das von bestimmten Liedformen geprägt ist, angelehnt an das, was etwa damals die „Liedermacher“ präsentierten: basierend auf unseren (westlichen) traditionellen Harmoniefolgen, die übersichtlich geformte Melodien trugen, und klanglich-rhythmisch vorwiegend von begleitenden Gitarren attraktiv, aber unauffällig ins Rampenlicht gesetzt wurden. Damit waren alle Türen und Fenster geöffnet in Richtung Süd- und Nordamerika ebenso wie nach Norden oder Osten von Irland, Skandinavien, Russland bis Rumänien, Balkan, Georgien. Das war einfach gedacht, aber beliebig erweiterbar, und wurde sichtbar von einem live anwesenden Publikum honoriert. Und parallel die „schwierigeren“ Musikkulturen, die einiger Einübung bedürfen, auch des Vorbilds prägender Figuren,  wie im Fall Indien Ravi Shankar und Yehudi Menuhin. Und natürlich in einem „klassischen“ Radiosender wie WDR 3. Auch WDR 5, das neue Wortprogramm, erwies sich als geeignet, – dort wo es sich um Musik handelt, die des Wortes und der verbalen Vermittlung bedarf. TEMPI PASSATI. Die Erinnerung lohnt sich. Fangen wir doch einfach an zu rekapitulieren. Manch einen oder eine könnte es in flagranti erwischen: es gab und gibt Sternstunden mit einer bis dato völlig unbekannten Musik. WDR 3 realisierte 2023 – 20 Jahre nach der Beendigung der Matinee-Reihe – eine großartige Idee: wenigstens 1 dreistündige Sendung des frohen Gedenkens. Davon später: zunächst die Rekapitulation in schriftlichen Stichproben.

Bericht im WDR-Blatt September 1990

Beispiel einer Programmübersicht, wie sie in unserer „Blütezeit“ monatlich verschickt wurde

Programmatische Gedanken im Blatt der Kölner Philharmonie 31.10.1992

*    *    *    *    *

WDR-Pressetext Oktober 2023:

Die WDR-Livemusik-Reihe „Matinee der Liedersänger“ gehört zu den großen Meilensteinen der Musikkulturen der Welt in der Geschichte des Radios. 1976 hervorgegangen aus der Reihe „Matinee der Liedermacher“ holte der WDR-Redakteur Jan Reichow regelmäßig Musikerinnen und Musiker verschiedenster Kulturen auf nordrhein-westfälische Bühnen und ins Radio.

Damit war sonntags vormittags um 11 Uhr die Welt zu Gast im WDR Funkhaus Köln, in der Ravensberger Spinnerei in Bielefeld oder im Museum Bochum (später im Bahnhof Langendreer in Bochum). Canciónes aus Südamerika mit dem uruguayischen Liedermacher Daniel Viglietti, der argentinischen Folk- und Protest-Sängerin Mercedes Sosa und dem chilenischen Geschwisterpaar Isabel und Angel Parra waren ebenso zu erleben wie Klezmer von Brave Old World, bulgarische Vokalklang-Landschaften vom Eva Quartet und korsische Gesänge der Gruppen A Filetta und Cantu u Populu Corsu. Auch die berühmten Taraf de Haidouks aus Rumänien, die Globetrotter der französischen Band Bratsch u.v.m. traten auf und brachten unterschiedlichste Eindrücke weltweiter Musikkulturen in das WDR 3 Sendegebiet.

Abrufbar hier: https://www1.wdr.de/radio/wdr3/programm/sendungen/wdr3-konzert/konzertplayer-matinee-der-liedersaenger-highlights-100.html LINK

Facebook Oktober 2023

Übersetzungsfehler

Was hat Eva dem Adam verabreicht?

Kürzlich, in einer der gängigen Fernsehquizshows , wurde den staunenden Ratern eröffnet, es war kein Apfel, auch keine Birne oder dergleichen, sondern laut originalem Text eine exotische Frucht, und der Übersetzer habe der besseren Verständlichkeit wegen stattdessen den in unseren Breiten gemeinen Apfel eingesetzt. Aber stimmt das auch? Man kann sich bei Wikipedia auf den rechten Weg bringen lassen (landet damit fast beim hebräischen Urtext, der mir weiterhin verschlossen bleiben mag), also etwa hier. Aber ich berufe mich auf diese Quizfrage nur, um auf ein Musikbuch zu kommen, das von vielfältigem Wissen überquillt und solche Fragen im Vorübergehen löst, so auch die, was im Englischen der Ausdruck „Artificial Intelligence“ wirklich bedeutet. Ich jedenfalls bin ganz naiv darauf hereingefallen und in großer Sorge gewesen, ob an dieser Stelle nicht die wahren Werte unserer Geistesgeschichte verteidigt werden müssten, na ja, wer weiß, – ob es nicht auch meinerseits nur ein Spiel war: hier und hier. Ich habe doch meinen Bach, unbeirrbar. Und nicht zu vergessen: Vilayat Khan, so ein Art von Genie kommt in dem ganzen Überblick nicht vor.

Jetzt lese ich jedenfalls in dem klugen Buch von Claus-Steffen Mahnkopf, wie einfach sich solche Missverständnisse auflösen lassen. Ich zitiere ihn in blauer Farbe:

Eva pflückte bekanntlich vom Baum der Erkenntnis einen Apfel. Im hebräischen Original gibt es jedoch keinen Apfel, aber in der lateinischen Übersetzung ein malum, das, je nachdem, ob das a gedehnt wird ‹Apfel› oder ‹das Böse› heißen kann. Eva nascht am Bösen, aber in der europäischen Kunstgeschichte wurde daraus ein Apfel. Ähnlich heute. Im Englischen gibt es »Artificial Intelligence«, »Intelligence« heißt Daten- und Informationsverarbeitung, und zwar künstlich, also mit Maschinen. Künstliche Datenverarbeitung wird in Deutschland übersetzt mit ›Künstliche Intelligenz‹, eine Formulierung, die so falsch ist, wie sie nicht mehr korrigiert werden kann. Sie ist ein Mem geworden, allerdings eines falschen Denkansatzes. Sie suggeriert, dass Computer und ihre Programme intelligent seien, so wie wir es intelligenten Zeitgenossen nachsagen. Daraus hat sich eine Großideologie gebildet.

Quelle Claus-Steffen Mahnkopf: Die Kunst des Komponierens / Wie Musik entsteht / Verlag Philipp Reclam jun. Ditzingen 2022 (Seite 124 f)

Die transhumanistischen Theorien von der bald bevorstehenden Macht der Algorithmen, die ›intelligenter‹ sein werden, als der Mensch es realiter ist, stammen durch die Bank von technikaffinen Männern, die ihre Allmachtsphantasien auf solche Geräte projizieren und dabei außer kaum belegbaren Behauptungen wenig Substantielles beitragen. Weder überprüfen und klären sie die Grundbegriffe des Denkens, des Lebens, des Verstehens, des Rechnens, des Bewusstseins, des Selbstbewusstseins, der Kreativität, ja des Algorithmus selbst, noch liefern sie uns die Beweise für ihre kühnen Thesen. Wenn Yuval Noah Harari, seines Zeichens Militärhistoriker, zu Zwecken von Bestsellern sich zum Universaldenker aufschwingt und erklärt, wir Menschen seien Algorithmen, und zwar veraltete, dann fragt man sich, welcher veraltete Algorithmus das Harari eingeflüstert hat. Was er über den Zusammenhang von sogenannter Künstlicher Intelligenz und Musik schreibt, bewegt sich, mit Verlaub, unterhalb des Gymnasialniveaus. Er behauptet, dass heute schon Computer Mozart-Symphonien oder Bach-Fugen komponieren können. Noch einmal: Sie können es nicht. Die wenigen Computerkomponierhilfsprogramme erleichtern lediglich Rechnungen wie Proportionen, Transpositionen oder Ähnliches. (…)

Auch unter selbsternannten Musikphilosophen wird eine Revolution durch die Digitalisierung ausgerufen. Sie wollen die Ersten sein, die eine neue Epoche heraufziehen sehen. Doch das geschieht seit bald 100 Jahren immer wieder, und es ist jedes Mal anders gekommen. Zukunftswissenschaft ist streng genommen ein Widerspruch in sich. Hegel wusste, warum er die Eule der Minerva erst mit der Abenddämmerung ihre Kreise ziehen ließ.

Ich weiß, wovon die Rede ist: vor über 10 Jahren hat es doch diesen Disput gegeben um das Buch von Harry Lehmann – „Die digitale Revolution der Musik“ -, ich habe es nicht lange in Betracht gezogen, weil es eine Zukunft entwirft, ohne einen Gedanken an andere Musikkulturen der Welt zu verschwenden. Da fällt mir ein, – wie steht es denn darum hier bei Mahnkopf? Er berichtet, wie er als Komponist in Shanghai gearbeitet hat: mit „rein chinesischen Instrumenten“ (Seite 165), aber die rein chinesische Musik, die damit gemacht werden könnte, interessiert ihn nicht, nur das ganz, ganz andere Klangwerkzeug. Sicher, er arbeitet dort als westlicher Komponist… Aber er kann doch (noch ein wenig weiter) über den Tellerrand gucken!

Kurze Zeit später scheint er es zu tun, er spricht von „klassischer südindischer Musik“ – die gibt es also, man nennt sie auch karnatische Musik, füge ich hinzu, weithin gerühmte Komponisten, ja, sie verstanden etwas von der Kunst des Komponierens, von der Kunst einen bloßen Raga in die Form einer Krti zu verwandeln. Aber was erzählt uns dazu der westliche Avantgardist? Null. Nichts. Hätte er nicht wenigstes sagen können, dass man in solch einem riesigen Land herumreisen kann, gewaltige kulturgetränkte Städte erkunden, – und nirgendwo kennt man den Namen Beethoven. Zu seiner Zeit haben sie einst die Violine von den englischen Militärmusikern übernommen, ja, sagten sie, aber wir können sie wirklich spielen, wir begleiten unsere Sänger:innen bei ihren Krtis damit! Und nun Mahnkopf:

Bei Sängern klassischer südindischer Musik beispielsweise sitzt der Kehlkopf höher als bei westlichen, so dass sie das Vibrato in Geschwindigkiet und Amplitude – auch getrennt voneinander – regeln können. Gerade dieser doppelte Zugriff auf das Vibrato (bei Streichern ganz üblich) wird in der zeitgenössischen Musik erwünscht. Freilich fehlen in der westlichen Welt jene anatomischen Voraussetzungen: Der Kehlkopf ist, wo er ist. Geiger können zwischen einem modernen und einem barocken Instrument wechseln, der Sänger jedoch bleibt, weil er selbst das Instrument ist, ein Individuum.

(Zitat a.a.O. Seiter 167) Klingt klar und deutlich. Schleierhaft dagegen bleibt, wieviel Unsinn man auf engem Raum zusammendrängen kann, wenn ein einziges Mal wirklich von „klassischer südindischer Musik“ die Rede sein soll! Wo tatsächlich im Gesang überhaupt nicht vibriert wird. Es gibt unendlich feine und flinke Ornamentationen, aber kein Dauervibrato, und soweit ich weiß, sind die Kehlen dort nicht anders gebaut, sondern nur anders ausgebildet. (Dürfte man eigentlich so genderfrei von anatomischen Details berichten, die den männlichen Kehlköpfen fremder Völker eigen sind? Was gäbe es da erst über die Khöömi-Sänger in Tuva  zu mutmaßen.)

Ich weiß nicht, was man zu solchem Gerüchtegebräu sagen soll, wenn sich schon ein Yuval Noah Harari  angeblich manchmal „unterhalb des Gymnasialniveaus“ bewegt (a.a.O. Seite 125). Vielleicht habe ich  ihn überschätzt? Damals habe ich ihn jedenfalls ganz anders gelesen, aber mir ist gewiss auch manches, was mich damals beschäftigt hat, längst wieder fremd geworden (siehe u.a. hier).

Ich würde einen wichtigen Punkt verhehlen, wenn ich nicht auch erwähnen würde, dass mir das Lesen viel Vergnügen und Anregung bereitet hat. Ich bewundere Claus-Steffen Mahnkopf seit seinem großen Tristan-Buch, und auch jetzt wieder beeindruckt er mich mit seiner Stofffülle und der Vielfalt der (westlichen) Aspekte. Zugegeben: selbst im noch recht nahen 20. Jahrhundert wird er mir oft zu anekdotisch-zufällig. Beispiel: wenn es um die „Öffnung immer weiterer Kulturkreise durch die Globalisierung“  geht, Seite 180, liefert er eine absurde private Meinung aus Litauen, und sie wird nicht diskutabler, wenn der, der sie äußert, sich Komponist nennt. Da könnte ich auch die ästhetischen Ansichten meines Opas anführen, der aus dem Ersten Weltkrieg erzählte, wo auch manchmal gesungen wurde. Was da fehlt, das fehlt mir überhaupt oft im Weltbild der Avantgarde: die „Welt“ ist nur da, wo auch in Neue Musik westlicher Prägung investiert wird. Und auch die Geschichte ist uns nur dort nah, wo sie uns greifbar in schriftlichen Dokumenten vorliegt. Die klassischen südindischen Kompositionen wurden zum ersten Mal notiert von Josef Kuckertz, aber man muss sie trotzdem in voller Länge im Original hören (HÖREN!), sonst hat man nichts davon. Ja, und dazu noch etwas „Theorie“ lernen, aber die indische …

Warum muss man Hildegard von Bingen erwähnenswert finden, nicht aber Tyagaraja, Muttusvami Dikshitar und Syama Shastri, die großen Zeitgenossen von Mozart, Beethoven, Schubert? – Ja, ich weiß warum, aber lassen wir es damit bewenden…

Etwas hat mich nachhaltig an dem Buch fasziniert: die Wendung, die da ein zeitgenössischer Komponist nimmt, um einen richtig alten, traditionellen Wert zu positionieren: SINN.

Natürlich lassen sich Klangdesigns errechnen, so wie Bildsequenzen. Aber es sind akustische Kaleidoskope, ohne jeden musikalischen Sinn. Rohmaterial vielleicht, Klänge, aber keine Musik. Computer verarbeiten mathematische Fakten, nicht Sinn. Musik gehört aber zum Reich des Sinns. Natürlich können Computer Töne aneinanderreihen, wie sie das auch mit Bildern, Filmsequenzen und Wörtern vermögen. Aber das war es dann auch schon. Denn Texte, Musikstücke, Bilderfolgen und Filme brauchen einen sinnvollen Zusammenhang; sofern Kunstanspruch dabei ist, erst recht. Sinn, der Verweisungszusammenhang von Lebendigem, ist aber eine Dimension, die einem Computer prinzipiell unzugänglich ist, da dieser nicht lebt.

(Zitat Mahnkopf a.a.O. Seite 126 f)

Ich bin (als lebendiger Mensch) sehr zufrieden!

Zum Buch: HIER

P.S. Eine private Geschichte von anekdotischer Evidenz

Ich beziehe mich auf die Aufführungssituation bei Kagels Match (1964), von der Mahnkopf auf Seite 186 erzählt. Ich war dabei. Bei den Proben im Kölner Funkhaus, der Aufführung und der Nachfeier mit Siegfried Palm im Ristorante „Alfredo“. Gerade wurde ich wieder drastisch daran erinnert: der Percussionist der damaligen Szene starb am 19. Februar dieses Jahres: Christoph Caskel, er war in derselben Stadt wie ich geboren (Greifswald), sein Vater war ein bekannter Orientalist.

Siegfried Palm, der agile Cellist und erfinderische Pionier ausgefuchster Streichertechniken für die Neue Musik, hatte uns hier Zugang verschafft (Lehrer der Cellistin Edith Frieser und unser gemeinsamer Kammermusiklehrer). Sein – in unseren Augen – wesentlich jüngerer Kollege Klaus Storck war neu in der „Branche“, ziemlich bekannt in der Alte-Musik-Szene (man munkelte, er wollte dies Image loswerden), gab sich redlich Mühe, den Kagel-Spaß über die Bühne zu bringen. Für uns sehr interessant, aber auch nicht ganz neu, damals erlebte man allenthalben auf Podien der Neuen Musik sogenannte Happenings. Bei Kagel faszinierte die bis in jede Geste festgelegte und festlegende Notation, zudem die irgendwie auch lebendigen Klanggestalten.

Was ich eigentlich erzählen wollte: als ich 20 Jahre später – auf anderen Wegen – im WDR unterwegs und in vielen Sendungen die Genres der Musik, die ich kennengelernt hatte, zu verbinden suchte, und zwar in einer Nachmittagssendung, in der man den zuhörenden Menschen nicht alles, aber doch einiges an Fremdheit zumuten konnte, ein Übungsplatz namens Musikpassagen, da kam ich auf die Idee, Kagels „Match“, das ich einst so lebhaft erfahren hatte, aus dem Archiv zu holen, zumindest in Ausschnitten vorzuspielen und zugleich etwas von der Geschichte zu rekapitulieren. Es gelang mir nicht. Ich hörte es zum erstenmal seit damals in meinem Büro ab, an einer der großen fahrbaren Maschinen, auf der Suche nach einem attraktiven Ausschnitt. Und fand nichts, was ich rein „akustisch“, ohne die Bühnen-Atmosphäre von einst, einem (hoffentlich) neugierigen (Klassik-)Publikum auf WDR 3 vorsetzen mochte. Und hatte nicht den Mut, das zu sagen, und gleichzeitig an anderer Stelle in freundlich werbendem Tonfall auf Einzelheiten indischer oder persischer Musik einzugehen, als sei „fremd“ und „fremd“ das gleiche… Zugleich schämte ich mich für mangelnde Einsatzbereitschaft.

Nebenbei: was ist eigentlich von Mauricio Kagel geblieben? Habe ich jemals noch von einem Kammermusikprogramm gehört, in dem „Match“ enthalten war? War es etwa an diese drei miteinander kontrastierenden und damals auch prominenten Personen auf der Bühne gebunden?

Am liebsten würde ich noch einmal auf das Problem der Übersetzungsfehler zurückkommen.