Archiv der Kategorie: Leben

(K)ein Elixier des Lebens

Das Dossier der ZEIT umfasst 4 volle Seiten, und einige Fotos von tüchtigen alten Leuten animieren uns, ihnen nachzueifern.

Und wir sind gespannt, mit welcher Einsicht wohl der Abschluss des Artikels aufwartet. Gibt es eine allgemeine Schlussfolgerung, vielleicht ein zwar spätes, aber immer noch gültiges Lebensprogramm? Für alle?

Unter den nicht mehr ganz jungen, abgebildeten und beschriebenen muskulösen Glückspilzen fällt uns ganz besonders ein gewisser Friedhelm Adorf (83) aus Heupelzen ins Auge. Kann er es mit den neuesten Studien zur Glücksforschung aufnehmen? Lesen Sie selbst (doppelt):

Quelle DIE ZEIT 13. Juni 2024 Seite 11 ff Der Sprung ins hohe Alter von Philipp Daum

Die Kehrseite

Falsch sei es, von nur einem Elixier des Lebens zu sprechen, – könnte man denken. Man brauche mindestens soviel Medikamente, wie man Organe hat, und noch viel mehr, wenn man sehr viel Geld hat. Einer der diese Haltung vorlebt, wird in Wikipedia folgendermaßen beschrieben (im Zitat habe ich alle weiterleitenden Links eliminiert):

Anti-Aging Vorhaben

Am 13. Oktober 2021 kündigte Johnson einen Anti-Aging-Versuch an, den er „Project Blueprint“ nennt. Johnson hält sich an ein strenges Diät- und Trainingsregime, um sein Leben zu verlängern. Er gibt dabei jährlich über zwei Millionen US-Dollar für seine Gesundheit aus und soll über 100 Pillen täglich schlucken. Für seine Verjüngungskur beschäftigt er über 30 persönliche Mitarbeiter. Sein biologisches Alter soll er so um fünf Jahre verringert haben. Johnson unterzog sich auch einer Reihe Bluttranfusionen, wobei sein Sohn als Spender für eine der Transfusionen fungierte, aber verkündete später, dass er die Transfusionen aufgrund des fehlenden Nutzens nicht wiederholen wird. Er gilt auch als ein Anhänger der Nutzung von statistischer Datenauswertung und künstlicher Intelligenz, um seine Lebensführung zu optimieren und seine Gesundheit zu überwachen. Den Tod bezeichnete er in einem Interview als ein „technisches Problem, das sich lösen lässt“ und verkündete seinen Plan, ewig leben zu wollen.

Einige Experten haben den Nutzen von Johnsons Anti-Aging Kuren angezweifelt, da die Lebenserwartung zum größten Teil genetisch bedingt sei. Auf  X (Twitter) lieferte sich Johnson eine Auseinandersetzung mit Elon Musk, nachdem dieser einem Post zugestimmt hatte, der behauptete, dass Johnson „viel besser aussah, bevor er anfing, 2 Millionen Dollar pro Jahr für seinen Körper auszugeben“.

Quelle: Wikipedia hier

Der Mann ist Jahrgang 1977. Da kann einer das Blaue vom Himmel herunter beschwören, der Nachweis wird nicht möglich/nötig sein, weil die eventuell interessierten Zeugen nicht mehr leben.

Ich frage mich, wieso eigentlich ein Mensch davon überzeugt sein kann, dass ausgerechnet er als Individuum von dem allgemeinen Prozess des Lebens (und Sterbens) abgekoppelt werden sollte. Vielleicht ist die Religion schuld. Meine Oma hat mir eingehämmert: „144.000 jetzt lebender Menschen werden nie sterben“, buchstäblich, und sie betete dafür, dass sie selbst und ihre beiden Enkel dazugehören. Tatsächlich: zumindest wir zwei leben noch, mein Bruder und ich!

Aber – aus welchen Gründen auch immer – hat mich das Stichwort „Individuum“ bei der Lektüre in der Klinik bewegt, zumal das passende Büchlein spielend in meine Jeanshose gepasst hatte und – dank mangelnden Neuwertes – auch rigoroses Unterstreichen zu dulden schien. Davon später mehr. (Es könnte eine lange Geschichte werden.)

Wessen ich – ebenso wie möglicherweise dieser Mann namens Bryan Johnson – vor allem bedarf, ist eine klare Anthropologie, eine Handreichung zu der Frage: Was ist der Mensch? was meine Oma? Oder auch: was überhaupt bin ich ? Vielleicht auch: Wo stehe ich in der Welt? in unserem Universum?

Und was folgt als Punkt V. ?

Also: kein kurzer Prozess mit dem Christentum!? Bleibt es Grundlage der „Humanität“? So dass dadurch wirklich jeder zählt, und wirklich ALLE gemeint sind? Hier sind erstmalig auch die Sklaven und die Rechtlosen nicht mehr ausgeschlossen. Geht es also um das ganz große WIR, das etwa … mit den kleineren Wir-Gefühlen nur anfängt? Wir lernen in diesem Punkt ja offenbar täglich etwas dazu:

Oder handelt es sich nur um eine Ich-Erweiterung? Sie sagen (mit Recht): das hat nichts miteinander zu tun. Auch die Christen haben genau hingeschaut, wer dazugehört und wer nicht. Egal, was es in der Theorie, etwa bei Thomas von Aquin, darüber zu lernen gab. Als kleine Warnung zitiere ich Adorno, wie schon früher einmal, als ich den Sport zu problematisieren trachtete, – möglicherweise zum Schein:

Denn zum Sport gehört nicht nur der Drang Gewalt anzutun, sondern auch der, selber zu parieren und zu leiden … Es prägt den Sportgeist nicht bloß als Relikt einer vergangenen Gesellschaftsform, sondern mehr noch vielleicht als beginnende Anpassung an die drohende neue … (ADORNO 1997, 43)

Während ich mich in den Gedankensprüngen dieses Blogs zu zügeln suche, erinnere ich mich der neuesten ZEIT-Lektüre, einem Gespräch mit Peter Sloterdijk, als er gefragt wird:

Sie haben Gesellschaften einmal als »Stressgemeinschaften« bezeichnet. Steht Europa vor der Zerreißprobe, weil der Stress – siehe Ukraine, Gaza, Klima – zu groß ist?

Sloterdijk: Das Konzept, auf das ich mich beziehe, geht auf den Kulturtheoretiker Heiner Mühlmann zurück, der in seinem Buch Die Natur der Kulturen von »Maximalstresskooperationen« spricht. Erfolgreiche Gesellschaften, so die These, sind diejenigen, die es gelernt haben, unter äußerem Druck nicht zu zerfallen, sondern zusammenzurücken. Man kann sich das gemeinsame Agieren wie die berühmte mazedonische Phalanx vorstellen. In ihr musste jeder Einzelne über seine Todesangst hinauswachsen und sich auf die Kooperation mit dem Nebenmann verlassen. Heute erwarten wir diesen Geist nur noch von unseren Fußballern. Wir wollen, dass wenigstens elf aus 80 Millionen wie eine Phalanx zusammenstehen.

Quelle DIE ZEIT 20. Juni 2024 Seite 48 Erklären Sie’s uns, Herr Sloterdijk Ist der Traum von Europa ausgeträumt? Ein Gespräch mit dem Philosophen Peter Sloterdijk in Paris (Peter Neumann)

Nebenbei: wie berühmt ist denn die mir völlig unbekannte „mazedonische Phalanx“? Siehe Wikipedia hier

Ich muss mich an dieser Stelle hüten wiedergeben zu wollen, was dieses ausgezeichnete Anthropologie-Büchlein zu Immanuel Kants Analysen der „Person“ (in ihrem großen Zusammenhang) erläutert. Oder zu dem weithin verkannten Max Stirner (und seinen „Einzelnen“ ohne jeglichen Zusammenhang). Dass er hier überraschenderweise auftaucht, erinnert mich an einige ihm gewidmete Seiten in Safranskis tollem Buch „Einzeln Sein“ (123-134). Alles zurückstellend, fahre ich fort mit dem Blick auf Adorno, dessen Gespräch mit Arnold Gehlen hier in Zitaten exemplifiziert wird. Der Autor und Herausgeber dieser „Philosophischen Anthropologie“ betont, dass Adorno die beiden Möglichkeiten (Kant und Stirner) in paradoxer Synthese zu einem emphatischen Begriff von „Subjektivität“ zusammenzudenken versucht hat, „dessen Verwirklichung die Fortschrittsgeschichte der Menschheit zwar versprochen, aber nie realisiert habe. Verheißen worden sei die Befreiung des Ich von allem Zwang, sowohl von seiten der Natur wie eines anderen Menschen. Verwirklicht worden aber sei das gerade Gegenteil.“ Die Rede ist vom „Projekt der Moderne“: –  – – da es die logisch-begriffliche wie die technisch-wirkliche Unterdrückung der Natur zur Voraussetzung gehabt habe – – – (lesen Sie bitte weiter:)

Haben wir eigentlich zu Anfang dieses Blog-Artikels von Einzelnen gesprochen, die hervorragen aus der Menge der Alten, oder stillschweigend von Allen, da ja jeder Mensch die Chance haben soll, alt zu werden, ohne zu verkümmern? Wir haben schon dort darauf aufmerksam gemacht, wie die Anthropologie aus methodischen Gründen die Rubrik IV. „Der Mensch als Gesellschaftswesen“ der Rubrik V. „Der Mensch als Einzelwesen“ vorangestellt hat. Die Anthropologie oder die Soziologie? Im Büchlein folgen Auszüge aus einem Gespräch zweier Individualisten, wie sie im Buch stehen, Theodor W. Adorno und Arnold Gehlen. In den 60er Jahren habe ich Adornos Radio-Vorträge auf Tonband aufgenommen und in Einzelfällen – um sie nicht zu verlieren – verschriftlicht, ein mühsames Unterfangen, siehe im Blog hier. Im folgenden Gespräch – das Stichwort „der Mensch“ ab 5:23 (als geschichtliches Wesen, von Gesellschaft geformt, „Industriekultur“, Tauschverhältnisse, Max Weber, Fortschritt „von selbst“, Mündigkeit, „Entformung“, Nivellierung durch Tausch, Produzierung der Bedürfnisse, zu den Institutionen 32:00 siehe im Büchlein wörtlich S.124, Familie, Eigentum, Sicherheit, „Institutionen schützen den Menschen vor ihm selber“, technische Begabung, neurotisch, Überflüssigkeit des Menschen ).1965.

Quelle (das „Büchlein“): Arbeitstexte für den Unterricht / Philosophische Anthropologie / Reclam 5012 [2] Für die Sekundarstufe II Herausgegeben von Hans Dierkes Stuttgart 1989

Wollen Sie wissen, ob Adornos Diagnose von der Nivellierung durch Tausch, der Entwertung der Qualität durch den Markt, der „Entformung“ – heute noch so akut ist wie damals? Aber natürlich, mehr denn je, – jedoch: was hilft’s? – ein Blick in die Familienzeitschrift Hörzu oder bestimmte Fernsehsendungen würde genügen. Nur vergessen wir längst, uns wenigstens zu empören. Und ich denke an die Tomaten, die im Garten meiner Oma wuchsen und einen spezifischen Geschmack hatten…

Hörzu 23.Juni 2024 Seite 33

Man kann es keinesfalls damit bewenden lassen, dass man sich heute auf den intellektuellen Stand von vor  30 oder gar vor 60 Jahren zurückversetzt. Womit schon auf dem besten Wege wäre. Ich muss nur die Krisen der ganzen Welt beschwören, das sich verbreitende latente oder flagrante Katastrophengefühl, die Wut über die Zerstörung. Das alles ist greifbar nah! Ich wähle einen weniger lähmenden Ansatzpunkt, der mir – so hoffe ich – ein kontinuierliches Weiterdenken erlaubt. Ein Blick in das oben schon genannte Buch von Rüdiger Safranski scheint mir geeignet:

Gegen Ende des Buches kommt Safranski nochmal auf das Thema der neuen Medien:

und nachdem er Kafkas Parabel „Vor dem Gesetz“ hinzugezogen hat – die vergebliche Frage nach dem richtigen Eingang – , schließt er mit einem Satz, der wohl auch diesem Blog-Beitrag eine vorläufig tröstliche Abrundung verleihen kann:

Doch wenigstens solange man lebt, ist es nie zu spät für den eigenen Eingang, dafür, ein Einzelner zu sein.

Trotzdem Wagner lieben?

Schwer zu beantworten

Mein Vater zeigte keine Gefühle, vor allem nicht gegenüber seinen Söhnen. Ich könnte nicht sagen, ob er mich geliebt hat. Es war wohl vier Jahre vor seinem frühen Tod, dass meine Mutter mir etwas erschüttert erzählte, er habe geweint. Richtig geweint, und zwar bei Musik aus dem Radio. Was war’s denn? fragte ich. Er hat gesagt, antwortete sie, dass es es ausgerechnet Wagner war (von dem meine Mutter nicht viel hielt: „menschlich war er ein Schwein“, aber nicht etwa weil er ein schrecklicher Antisemit war, sondern „wegen der Frauengeschichten“). Wie hieß das Stück? wollte ich wissen. So etwas wie . . . „Wotans Abschied“. Ich glaube, wir alle wussten, dass Papa (vielleicht unheilbar) krank war, er selbst hätte nie darüber gesprochen (erst später, als er gemeinsam mit meiner Mutter Tolstoijs „Tod des Iwan Iljitsch“ las und bemerkt haben soll „das bin doch ich“.) Warum sollte er über eine Abschiedsszene weinen? Abschied von Brünnhilde?

Ein paar Jahre später begriff ich es, als ich in meiner Kölner Studentenbude unentwegt den Tonband-Mitschnitt der Walküre aus Bayreuth 1961 hörte, dieser unglaubliche Abschied, der in den finalen Feuerzauber führt. Und ich dachte an meinen Vater, der vor zwei Jahren gestorben war. Ich hatte Blut gespendet für ihn und glaubte, das könne ihn gesund machen. Die letzten zwei Nächte hatte ich in seinem Krankenzimmer auf Gilead (Bethel) im Sessel geschlafen, damit er nicht allein blieb. Dies ist sein Klavierauszug, wahrscheinlich hat er das Werk in seiner Kapellmeisterzeit auch dirigiert.

Und nun kamen die Erinnerungen zurück, bei einem sonst nicht sehr ergiebigen Gespräch (Irrtum!) mit Christian Thielemann und Igor Levit in der ZEIT.

DIE ZEIT 13. Juni 2024 Seite 46f Gespräch Thielemann / Levit / Christine Lemke-Matwey

Ich kam partout nicht drauf, welche Akkordfolgen Thielemann im Wotan-Monolog meinte, und ich gäbe viel darum, sie dingfest zu machen. Bitte um Nachhilfe!

Götterdämmerung Anfang gute Theateratmosphäre (Musik ab 4:38) https://www.youtube.com/watch?v=kLly5R4gDiM hier

Mahler VI, 3 https://www.youtube.com/watch?v=Xxd-h3eW8xA hier

Ob jemand, der Jeremy Eichlers Buch „Echo der Zeit“ gelesen hat, auch eine solche Antwort gelten lassen könnte? Ich habe an meinen Vater gedacht, der im Krieg auch manches geglaubt hat, was die Nazis ihm erzählt hatten. Nach dem Krieg: kein apologetisches Wort von seiner Seite! – Freispruch?

Im Vertrauen auf den deutschen Geist?

Julian Prégardien

Zwei Sternstunden: Schubert, Müller, die Geschichte, der Film, der Liederzyklus, der Gesang

Sendung 9. Juni 2024 (W bis 2029)

https://www.ardmediathek.de/video/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9hZXgvbzIwNjE5NzA HIER

Der Film begleitet Julian Prégardien auf seiner Reise zu den Ursprüngen des Liederzyklus und beim Austausch mit verschiedenen Persönlichkeiten. Ein Psychiater erklärt das Phänomen der unerfüllten Liebe, eine Gender-Expertin gibt Einblicke in die Perspektive der angebeteten Frau und ein Schubert-Kenner vermittelt die Künstlerwelt des Komponisten zwischen Genie und Wahnsinn. Neben den Pianisten Kristian Bezuidenhout und Daniel Heide verzaubert die Puppenspielerin Manuela Linshalm das Publikum mit ihrer zeitbasierten Interpretation der romantischen Erzählung. Es ist eine Suche nach einer immer neuer Inspiration für ein Werk, das Julian Prégardien als Sänger besonders viel bedeutet und für das er seine Freude mit vielen Menschen teilen möchte. Ein Film von Nanna Schmidt.

https://www.ardmediathek.de/video/kulturmatinee/julian-pregardien-singt-schuberts-schoene-muellerin/swr/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9hZXgvbzIwNTQ1Mzc HIER

„Die schöne Müllerin“ Gesamtaufnahme SWR

Der Film zeigt auch, dass man den Dichter genauso ernst nehmen muss, wie Schubert es tat.

Siehe auch Christian Gerhaher zum gleichen Thema hier im Blog

Zu Julian Prégardien siehe auch hier im Blog

Gelesen – um es aufzubewahren

Notizen aus laufender Lektüre

Zum einen beeindruckte mich bis gestern (Stunden sinnloser Wartezeit im Klinikum) das letzte Kapitel aus „Was ist Macht?“ von  Byung-Chul Han, aber der gute Eindruck von neulich ist getrübt. Es geht um die „Ethik der Macht“, und schon dieser Titel erschien mir im Rückblick immer weniger einleuchtend. Wie jedes Mal geht er seine Philosophen durch: Heidegger, Foucault und Nietzsche, letzterer offenbar mit Zarathustra als effektvollem Ausklang des Buches, wenn es darum gehen soll, in machtvoller Freundlichkeit sich selbst wegzuschenken, – „wegschenken deinen Überfluss, aber du selber bis der Überflüssigste“. Das beginnt auf Seite 132 (bis Endseite 143), wo Han – ohne zu erwähnen, dass er sich wiederholt – wo er genau das hervorhebt, was er schon auf Seite 66 ausgeführt hat (mich besonders beeindruckend):

Die Macht reserviert Nietzsche nicht fürs menschliche Verhalten allein. Vielmehr wird sie zum Prinzip des Lebendigen überhaupt erhoben. So streben schon Einzeller nach Macht: »Nehmen wir den einfachsten Fall, den der primitiven Ernährung: das Protoplasma streckt sein Pseudopodien aus, um nach etwas zu suchen, was ihm widersteht – nicht aus Hunger, sondern aus Willen zur Macht.« Auch die Wahrheit wird als ein Machtgeschehen gedeutet.

Han sagt nicht, dass er aufs neue davon anhebt, um es auf eine andere Ebene zu führen, es klingt, als habe er vergessen, was er schon gesagt hat,  und wirkt am Ende schwächer mitsamt dem ganzen Gerede von Freundlichkeit und Wegschenken. Zuviel Zen? Dann lieber – an dieser Stelle jedenfalls – mehr von Einzellern und Pseudopodien…

Es fiel mir alles wieder ein, als ich die neue ZEIT las, als sei es kein Zufall in meiner Situation (womöglich in der unleugbaren Spätphase des individuellen Lebens). Insbesondere der Artikel Frisch erforscht Neues vom Beginn des Lebens / von Ulrich Bahnsen. (siehe unbedingt auch hier).

DIE ZEIT 23.05.24 Seite 32

Ja !!! Und dazu die ganze Seite 34: Ist Sport die beste Medizin, Herr Froböse? Zitate s.u.

Ich sehe, dass aus der neuen Wissenschaft vom Menschen ein neues Bild der Physis und der medizinisch fassbaren Vorgänge nahegelegt wird, das an die Stelle dessen getreten ist, was ich im Laufe der 50er Jahre und weit darüber hinaus für unumstößlich gehalten habe. Es sei mir also ein kritischer Exkurs in die eigene Erinnerung gestattet, gestützt auf das „Kursbuch“ meiner Mutter. Sie erwähnt nicht, in welchem Maße diese Körpermaßnahmen von ihr und ihrem Vater, meinem Großvater, beeinflusst waren (Dr.Brauchle, Dr. Malten, Dr. Becker, Are Waerland usw.); sie beanspruchten zeitlebens eine Machtposition, auch gegen meinen Vater, der 1959 starb. Ich begann eigene Wege mit Pfarrer Kneipp, über den ich in der HörZu gelesen hatte, bezog dann aber alles ziemlich naiv auf Nietzsches positivistisch verstandene Theorie vom allseitig ausgebildeten „starken Menschen“. Wir befinden uns in der Zeit gegen Ende 1956:

Manches hat sie gewusst von meiner Entwicklung, das Wesentliche aber gerade nicht (z.B. von der psychischen Wirkung der Pubertät und – von der Ausübung ihrer eigenen Machtpraxis, die einst in direkterer Form ihr Vater angewendet hatte, der erst den Enkeln gegenüber recht milde geworden war.) Ich erwähne das, weil viele Menschen unter den Prämissen der Kindheit und Jugend ein Leben lang leiden, aber später die genossene „Erziehung“ (mitsamt allen Erinnerungen) glorifizieren, weil sie nicht nicht mehr in der Lage sind, die verinnerlichten Schäden von den sicherlich vorhandenen Erfahrungen elterlicher Liebe zu trennen. Insofern behandle ich die gelegentliche Aufarbeitung an dieser Stelle nicht als streng privat.

Meine teilweise dramatische Loslösung ging von der Schule aus (AG „Moderne Lyrik“) und wurde gewissermaßen geleitet von Gottfried Benn („Provoziertes Leben)“. Auch von seinem Nietzsche-Bild. Zugleich auch jede Menge Tolstoi, mehr noch Dostojewski. Tolstois „Der Tod des Iwan Iljitsch“ – die letze große und schreckliche Geschichte, die mein Vater zufällig auch in jener Zeit zu hören bekam, bevor er starb: „das bin doch ich!“ sagte er.

All das sind nur Stichworte, aber es sind diese ausgebreiteteten  Jahre, die mich als Last und Inspiration bis heute beschäftigen. Damals schwor ich mir, das Erinnerungsbuch meiner Mutter eines Tages zu korrigieren. Jetzt bin ich zugleich dankbar, dass dieser einseitige Kommentar existiert. Das genau war die damalige Zeit! Meine Erinnerung richtet sich daran auf und belebt (irritiert) mein heutiges Leben.

Die Ablösung vom Weltbild der 50er Jahre (mit dem Negativ-Narrativ über die „Schulmedizin“) habe ich mehrfach beschrieben: einmal z.B. im Versuch, das neuere Denken mit dem alten zu verbinden, etwa in Gestalt von Adolf Portmann (Wissenschaft) und Maurice Maeterlinck (Dichtung) hier. Auch hier . Der Rückblick auf meine Mutter hatte auch mit ihrem unseligen Hang zur anthroposophischen Mystifikation der Naturwissenschaft zu tun, den ich irgendwie zu retten trachtete. Es ging nicht. Siehe auch hier.

Meine Mutter ergänzte ihr mystisch angereichertes medizinisches Wissen auf die Krebserkrankung meines Vaters, als sei ihr mit Ernährung und einer Misteltherapie  beizukommen. Genug davon, auch von ihrer Ansicht, dass Krankheit „Schicksal“ sei, – so hatte sie eigenen Krankheiten der Kriegsjahre (TBC, „nasse Rippenfellentzündung“) höhere Bedeutung verliehen. Das beschwerte noch meine Studienjahre, die eher der durchaus erträglichen „Leichtigkeit das Seins“ zugeneigt und zumindest theoretisch von der Balance des Geigenspiels beflügelt waren. Wobei ich nicht wahrhaben wollte, dass eine Rückgratverkrümmung für Schmerzen sorgte, die sich nicht ausbalancieren ließen. Erst die Röntgenbilder des Alters förderten die wahren Ursachen zutage. Früher, vor meinem Abitur hatte ich kurzzeitig an eine Sportkarriere gedacht, und warum nicht gleich in Fünfkampf. (Dabei hatte ich nachweisbare Erfolgserlebnisse nur im Tausendmeterlauf.) Die Idolisierung des Körperlichen kannte keine Grenzen. Man staunt über das eigene Muskelwachstum, mich konnte selbst die Ferienarbeit im Tiefbau nicht schrecken, frei nach Nietzsche: Was einen nicht umbringt, macht einen stärker. Ich entlieh aus der Stadtbücherei neben Musikliteratur verschiedenste Trainingsanleitungen. Wir wohnten am Waldrand, und naturnah verliefen meine ausgedehnten Übungsstrecken…

Irgendwie kehrt dieses physizistische Denken heute in völlig veränderter Gestalt wieder:

Einige Zitate aus derselben Quelle:

… Massage, Physiotherapie, Eisbad. Die Unsportlichen dagegen schauen zur Regeneration Netflix.

Nutzen Sie den Körper, um den Geist zu entlasten.

Die Muskulatur lebt unsere Emotionen aus. Meine Sorgen bin ich nach 20 Minuten ruhigem Laufen los. Der Grund: Meine Motorik beansprucht 50 Prozent der geistigen Kapazität. (…) es ist aber gerade Teil des Wirkmechanismus, dass Sport ein wenig anstrengend ist.

Denn Motorik und Kraft sind Garanten für Selbständigkeit und Unabhängigkeit. Es geht hir um das Phänomen der Sarkopenie. Übersetzt: Verlust des Fleisches. Diese Erkrankung – zu wenig Muskelmasse, zu wenig Kraft –  betrifft drei Viertel der Menschen ab dem 6o. Lebensjahr.

Unterforderung macht Arthrose, weil die Strukturen des Gelenks nicht mehr ausreichend versorgt werden. Gelenke hänge am Tropf der Bewegung! (….) der Kochenstoffwechsel wird durch Schonung reduziert.

Je älter wir werden, umso größer sollte die Belastung zum Erhalt der Muskulatur sein.

Quelle: DIE ZEIT 23. Mai 2024 Seite 34 Wem es schlecht geht, der soll sich mal schonen? Bloß nicht! Das sagt der Sportwissenschaftler Ingo Froböse. Denn der Körper brauche die Bewegung – und den guten Stress TITEL: Ist Sport die beste Medizin, Herr Froböse?

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Anderes Thema

P.S. Eben halb gehört und notiert – um es aufzubewahren (bis 2099): KAFKA  https://www1.wdr.de/mediathek/audio/feature-depot/index.html

Kafka-Kult. Das erstaunliche Nachleben des Franz K.

WDR 3 Kulturfeature 01.06.2024 54:13 Min. Verfügbar bis 31.05.2099 WDR 3 Von Thomas von Steinaecker

Kafka, das ist irgendwie tiefgründig, liebenswürdig, melancholisch und abgefahren. Kurz: Kafka ist Kult. Wie aber kam es zu diesem einzigartigen Phänomen? Und was macht Kafkas Texte bis heute so herausragend? // Von Thomas von Steinaecker/ SWR 2024/  Übernahme in WDR 3

Alte Musik – nur fürs Louvre?

Ja, und für alle Tage, auch in Zukunft, in allen Museen und Sälen, die wir lieben

Ein sehenswerter TV-Film (abrufbar nur bis Anfang August) https://www.arte.tv/de/videos/084732-000-A/die-musik-des-louvre/ hier

Jean de Cambefort: Ballet royal de la nuit (1653) „Languissante clarté“ ab 15:11 Ensemble Correspondances

Oder separat das Ensemble Correspondance bei Youtube als Appetizer:

Und für Unersättliche das ganze Konzert „am Stück“ – eine einzigartige Gelegenheit:

Oder mit bewegten Bildern: „Recording Tuesday the 28th of August 2018, in Tivoli Vredenburg during the Early Music Festival Utrecht 2018.“

Dank für einen dringlichen Hinweis von JMR!

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Das Wunschbuch (noch auf der Suche):

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Dies ist die Gelegenheit, auf eine Gedankensammlung aufmerksam machen, die ich Anfang dieses Jahres (2024) versucht habe und die allmählich uferlos zu werden drohte. Bis die Organisation „Zamus“ oder „Alte Musik in Köln“ der Arbeit ein Ende setzen konnte, – da die Veröffentlichung längst geplant war. An dieser Stelle hier könnte allerdings dereinst das erweiterte Konglomerat folgen, so dass ich den endlosen Faden nicht verliere. Denn die Alte Musik lebt, wie man sieht und hört. Gerade in einer Zeit, die wir als sehr „breite Gegenwart“ (Gumbrecht) empfinden.

  hier

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In der Wochenzeitung DIE ZEIT vom 8. Mai las ich gerade einen amüsanten Artikel über das Menuhin Festival in Gstaad, das mit klangvollen Namen eine Revolution in eigener Sache betreibe. Wie das?

Schon vor Jahren ließ Christoph Müller, Intendant des von Yehudi Menuhin gegründeten Festivals … durchblicken, dass er den Musikbetrieb gern umpflügen würde. Erneuerung sei unausweichlich. In zehn Jahren gebe es sowieso » keine reinen Klassikfestivals mehr«.

Womit ganz sicher nicht das gemeint ist, was anderswo als Lockerung empfunden wird:

Musik als Wellness-Artikel (ein überflüssiges Surplus)

Im Rittersaal des Mannheimer Barockschlosses wird seit 2015 eine Reihe mit „Traumkonzerten“ angeboten, bei denen das Auditorium am Boden liegt (jeweils ca. 90 Leute) ; tunlichst auf dem Rücken, – für Matratzen, Kopfkissen und Decken ist gesorgt -, denn es gibt zugleich ein Deckenfresco mythischen Inhalts zu bewundern. (Das Mahl der olympischen Götter bei der Hochzeit des Peleus und der Thetis.) Und das Kurpfälzische Kammerorchester spielt „Musik zum Träumen“, Kompositionen, „die jeweils so gewählt sind, dass der Zuhörer quasi von Stück zu Stück heruntergedimmt wird. Dazu passend hat unser Lichtdesigner Wolfgang Philipp eine Lichtinstallation entworfen, die ebenfalls zur Entspannung beiträgt“. Weitere Stichworte: „den Stress des Tages vergessen“, „eine wohlige Phase der Entspannung“, „ein nicht alltägliches Konzert tiefenentspannt genießen“.

All das erinnert an die Fama, dass die Goldberg-Variationen als Heilmittel gedacht waren für jemanden, der unter Schlafstörungen litt. Eine Taktlosigkeit sondergleichen, denn er hätte die aufgeweckteste Musik erhalten, die man je als wacher Mensch erleben kann. Aber – wie alle große Musik – besser nicht im Liegen. Und erst recht nicht mit einem unpassenden Fresco vor der Nase . . .

Wälder

Sichtbar, begreifbar, unbegreiflich

Bevor der Frühling wiederkehrte: die Schimäre des Baumes auf dem Nachbarhaus

Foto JR

Gestern im TV gesucht: Arte 9.5.24 oder Mediathek? Gefunden oder nicht?

2/3 https://www.zdf.de/dokumentation/terra-x/unsere-waelder-ein-jahr-unter-baeumen-100.html hier

3/3 https://www.3sat.de/wissen/terra-x/unsere-waelder-im-reich-des-wassers-100.html hier

Schön, aber diese Filme hatte ich gar nicht gesucht (ich kannte sie längst, siehe dazu im Blog u.a hier), dummerweise trug die neue Trilogie aber denselben Titel „Unsere Wälder“, diesmal  von Jan Haft (2023), und das macht sie eigentlich unverwechselbar. Hier folgt der Film, den ich gestern vor dem Fußballspiel (RTL Leverkusen:Roma) auf ARTE gesehen hatte und unbedingt in Ruhe noch einmal sehen wollte, nun auch samt den Folgefilmen, – endlich gefunden und wiederauffindbar gemacht. Ich bin ein glücklicher Mensch: Sie auch?

 

I https://www.arte.tv/de/videos/101928-001-A/unsere-waelder/ hier Netzwerk der Tiere

II https://www.arte.tv/de/videos/101928-002-A/unsere-waelder/ hier Mut zur Lücke

III https://www.arte.tv/de/videos/101928-003-A/unsere-waelder/ hier Zurück in die Zukunft

Die Videos sind abrufbar bis 7.8.2024

Schauen Sie in Film II („Mut zur Lücke“) nur den Anfang, sagen wir bis 1:38, da erzählt Jan Haft von seiner Kindheit, auf seiner Hand ein Laufkäfer, – und schon hat er mich vollkommen gewonnen. Gerade vorgestern war es, als ich an der Heidberger Mühle einen goldfarbenen Rosenkäfer aufs Handy bannen konnte. Ohne mich im geringsten vergleichen zu wollen, – er hatte mich sensibilisiert, aber meine Frau war es, die den Käfer entdeckte hatte. Ich war nur am rechten Ort zur rechten Zeit. Wunderbare Koinzidenz!

auf Jan Hafts Hand (Screenshot aus Film II)

Rosenkäfer Foto JR 10.5.24 s.a. hier

Sehen Sie auch den hier im Blog neuerdings verlinkten Film Geheimnisvolle Wiesenwelt

Bescheidene Exkursionen in meinem näheren Umfeld (5.5.24), auch sie wiederholbar…

Im Unterholz ein Tisch-Relikt aus den 80er Jahren, als ich zahllose Bäume bei uns oben und hier unten am Viehbach gepflanzt, manchmal aber auch nur mit der (alten) Geige dagesessen habe, um Fiddle Tunes zu memorieren. / Die ersten drei Fotos entstanden am gleichen Tag in der Ohligser Heide (5.5.24) / Letztlich habe ich alldies als Nachbildungen meiner Kindheit auf der Lohe bei Bad Oeynhausen betrachtet, Hobergs „Busch“ und der von Nolte-Ernsting, die ganze sogenannte Steinkuhle, also das Tal unterhalb von Schorms Hof, mit den Üützen-Teichen (Üützen = Eidechsen = Salamander = Molche), sie müssen durch einen winzigen Bach verbunden gewesen sein. Kaulquappen brachten wir manchmal im Glas mit nach Hause. Das konnte nicht gutgehen.

Wie war denn meine Oma?

So in Öl – oder privat?

Margarete Reichow, geborene Paske (1871 – 1961)

Was sie mir ins Gesangbuch schrieb…

links vom Bild hängt ihr Spazierstock

Das Ölbild, frühe 50er Jahre (steht auf der Truhe von 1815)

Immer wurde gesagt, dies Bild sei nicht „lebensecht“. Wie aber war sie wirklich? Auf etwa gleichzeitig entstandenen Fotos kommt – anders als auf dem strengen Ölbild – klarer zum Vorschein, dass sie wohlwollend und gütig war. Vermutlich ein Gesichtsausdruck, den sie für die Sitzungen  des Malers nicht „annehmen“ konnte. Da war sie statuarisch ernst, hoheitsvoll, wie in der Widmung, die ich im Gesangbuch fand, als sie es mir zur Konfirmation schenkte. („Dein Lebelang habe Gott vor Augen und im Herzen“). Und der Maler war kein Leonardo, der vielleicht tiefer sehen konnte als andere. Im Kreis der Familie zeigte sie sich eher vergnügt, – jedenfalls im Alter:

Fotos 1950

Aus den Erinnerungen ihrer Schwiegertochter (meiner Mutter):

Sie sorgte dafür, dass ihre Kinder Klavier oder/und Geige lernten. Ihr eigenes Lieblingsstück: „Die diebische Elster“ von Rossini. Mein Bruder und ich spielten für sie oft den „Faust-Walzer“ von Gounod (mit Geige und Klavier). Dieses Video hätte ihr gefallen!

Musik und Leben . . .

. . . im Zeitalter der Weltkriege

Das beste Buch, das ich seit langem gelesen habe. Jedes Wort, das man oben im Cover-Text darüber liest, ist wahr.

Hier finden Sie eine Anzeige des Buches mit einer überzeugenden, langen Leseprobe (!!!). Mich interessierte besonders die Frage, ob es Vorbilder gibt, in der Art dieses Autors mit biographischem „Stoff“ umzugehen. Hier sein eigener Hinweis:

Ein späterer deutscher Autor, dessen Werke mich besonders inspiriert haben, ist W. G. Sebald (1944 –2001). Mit seinen Romanen Austerlitz, Die Ausgewanderten und Die Ringe des Saturn profilierte sich Sebald als der deutsche Nachkriegsdichter der Erinnerung, der meisterlich vormachte, wie Landschaft, Kunst und Architektur als Zugang zur Vergangenheit dienen können. Holocaust, Exil, Kolonialismus und die Geschichte der menschengemachten Zerstörung sind allgegenwärtige Themen in seinem Werk, aber die Erinnerung an sie ist durch Sebalds elliptische Prosa gefiltert wie durch mehrere Lagen Baumwollstoff, weshalb das einstmals blendende Licht dieser Katastrophen nur noch als schwaches Leuchten wahrgenommen wird. Und auch wenn Sebald nur selten über Musik schrieb, hat sein Umgang mit den ständig weiter verschwindenden Überbleibseln der Vergangenheit, den Spuren früherer Verluste, eine große Ähnlichkeit mit dem geisterhaften Spiel der Musik, mal an- und dann wieder abwesend zu sein, sowie ihren flüchtigen Momenten des Kontakts mit den wortlosen Wahrheiten einer anderen Zeit.

Die Musikbeispiele, soweit ich sie mir in Lesepausen zusammenstellen konnte:

(Fortsetzung folgt, – anfangen mit den „Metamorphosen“ von Richard Strauss!)

Beginn bei 1:06 / hören bei 2:02 Beethoven-Zitat (s.u. Marcia funebre Takt 3)

⇑ ⇑ ⇑ Was im Buch steht zum Thema „Metamorphosen“, ⇓ ⇓ ⇓ Beethoven „Eroica“ Trauermarsch

Schostakowitsch 13. Sinfonie „Babyn Jar“ hier (Buch S.342 ff) Wikipedia hier

hier (Beginn erst bei 1:14) VALERY GERGIEV – MUSICAL DIRECTOR AND CONDUCTOR THE MARIINSKY ORCHESTRA AND CHORUS 8° de Enero del 2013 – January 8th, 2013

mit Jewtuschenko-Text Baby Yar (engl. Übersetzung)

Schostakowitsch 14. Sinfonie hier (Buch S.360 ff) Wikipedia hier

Dmitrij Schostakowitsch: 14. Sinfonie op. 135 für Sopran, Bass und Kammerorchester auf Gedichte von Federico García Lorca, Guillaume Apollinaire, Wilhelm Küchelbecker und Rainer Maria Rilke ∙

(Auftritt) 00:00 ∙ 1. De profundis (Bass) 00:44 ∙ 2. Malagueña (Sopran) 05:50 ∙ 3. Loreley (Sopran und Bass) 08:52 ∙ 4. Der Selbstmörder (Sopran) 17:50 ∙ 5. Auf Wacht (Sopran) 24:54 ∙ 6. Sehen Sie, Madame! (Sopran und Bass) 27:46 ∙ 7. Im Kerker der Santé (Bass) 29:39 ∙ 8. Antwort der Zaporoger Kosaken an den Sultan von Konstantinopel (Bass) 40:07 ∙ 9. O Delvig, Delvig! (Bass) 42:06 ∙ 10. Der Tod des Dichters (Sopran) 46:48 ∙ 11. Schlußstück (Sopran und Bass) 52:23

hr-Sinfonieorchester – Frankfurt Radio Symphony ∙ Miina-Liisa Värelä, Sopran ∙ Mika Kares, Bass ∙ Klaus Mäkelä, Dirigent ∙ hr-Sinfoniekonzert ∙ hr-Sendesaal Frankfurt, 1. Oktober 2020

Was Schostakowitsch zu dieser Sinfonie sagte (nach Wikipedia):

„Zum Teil versuche ich, den großen Klassikern etwas entgegenzustellen, welche das Thema ‚Tod‘ in ihren Werken behandeln. Denken Sie an den Tod Boris Godunows: Wenn Boris Godunow gestorben ist, wird es gleichsam hell. Denken Sie an Verdis Otello: Wenn die ganze Tragödie endet und Desdemona und Othello sterben, erleben wir auch eine wunderbare Verklärung. […] Ich finde dies sogar unter unseren Zeitgenossen, nehmen Sie zum Beispiel den außerordentlichen englischen Komponisten Benjamin Britten: Ich habe in dieser Hinsicht auch an seinem War Requiem etwas auszusetzen. Ich finde, all dies kommt von verschiedenartigen religiösen Lehren her, […] daß uns im Jenseits der absolute Friede erwarte. So scheint es mir, daß ich zumindest teilweise in die Fußstapfen des bedeutenden russischen Komponisten Mussorgski trete. Sein Zyklus Lieder und Tänze des Todes – vielleicht nicht alles davon, aber auf jeden Fall ‚Der Feldmarschall‘ – ist ein großer Protest gegen den Tod […]. Der Tod erwartet jeden von uns. Ich kann nichts Gutes darin sehen, daß unser Leben so endet, und das ist es, was ich in diesem Werk vermitteln will.“

Nachtrag 27.06.24

Ich stehe nicht allein mit meiner Meinung über dieses Buch:

DIE ZEIT 27. Juni 2024 Seite 47 Alexander Cammann: Hier Cowboys, da Chruschtschow

Leonardos Frauen

Was gehn sie uns an?

Als blutige Laien in der Kunstbetrachtung haben wir immer ein schlechtes Gewissen, wenn wir ein Gemälde oberflächlich nach seiner Lebensähnlichkeit beurteilen; andererseits beginnt man sofort zu spotten, wenn einer dagegenhält mit Bemerkungen zum strukturellen Aufbau des Werkes. Ich erinnere mich, dass zeitweise ein impressionistisches Kalenderbild an der Wand über dem Schreibtisch meines Vaters hing, in das ich mich „verliebte“, während er, der sich gerade Hamanns große dickleibige Kunstgeschichte zugelegt hatte, offenbar einen rein sachlich-ästhetischen Zugang suchte. Die farbenfroh schöne Frau von Renoir oder Monet hatte sogar einen Namen, sie war einmal „real“ (gewesen). Als mein Freund zu Besuch kam, führte ich ihn wie zufällig zum Porträt, beiläufig murmelnd „findichschön“, worauf er knallhart entgegnete: „hat viel Holz vor der Hütten“, und damit war sie schlagartig entweiht. Ja, entweiht. Alerdings hatte ich  schon ein ungutes Gefühl, wenn ich auf dem Cover meiner ersten Concert Hall Schallplatten las: „Hohe Lebensstunden weihet mit Musik“. Auch Musik sollte etwas mit dem wirklichen Leben zu tun haben. Einmal legte ich ein Bild auf das Notenpult und versuchte, auf der Violine die irgendwie geforderten oder unterstellten „überströmenden Gefühle“ zum Ausdruck zu bringen. Da trat überraschend mein Vater ins Zimmer trat und rief „das ist viel zu schnell“, während ich eiligst mit dem Geigencorpus das kompromittierende Bild verdeckte. –

Eines Tages kam meine 5 Jahre ältere Cousine auf der Durchreise mit ihrer Freundin zu uns, beide Kunststudentinnen in Basel, wir schauten gemeinsam den Prachtband „Europäische Meisterbilder“ an, – einige kannte ich allzugut -, mir schwante Unheil, plötzlich hielten sie inne, allerdings nicht dort, wo ich mich auskannte: sondern beim Jesus am Kreuz. Sie bewunderten die „Formauffassung“, die (attraktive?) Freundin legte den Finger auf die Reihe fein ausgearbeiteter Bauchfalten, oberhalb des Lendentuches. Mir stockte der Atem, und sie sagte: „wie fein ausgearbeitet!“ Gott sei Dank, beide waren vom Fach und bemerkten nicht die Röte in meinem Gesicht.

So etwa begann meine Pubertät, von der ich wenig wusste. Meine Mutter bemerkte nur verdächtig oft: „Die Flegeljahre bleiben bei ihm aus!“ Hat mich die Klassik gezügelt? Eine unendlich lange Zeit verging, ehe ich die Mentaltät der 50er Jahre in all ihrer Verklemmtheit durchschaute, die 6oer Jahre, die ich als Befreiung erfuhr, auch kunstästhetisch umsetzte. Erste Erleuchtungen (nach André Malraux‘ „Das Imaginäre Museum“ 1963): das Bändchen vom „Sehen der Welt in der Bilderwelt“ von John Berger (1974).

Derlei Dinge gingen mir durch den Kopf, als ich heute einer Anregung von Wilfried Schaus-Sahm folgte und mich mit der folgenden Betrachtung von Kia Vahland beschäftigte.

https://www.stadtmuseum-duisburg.de/leonardo-da-vinci-und-die-frauen/ hier

https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2019/09/die-malerei-leonardo-da-vincis-ist-weiblich hier

https://de.wikipedia.org/wiki/Anbetung_der_K%C3%B6nige_aus_dem_Morgenland_(Leonardo_da_Vinci) hier

https://de.wikipedia.org/wiki/Bildnis_der_Ginevra_de%E2%80%99_Benci hier

https://de.wikipedia.org/wiki/Cecilia_Gallerani hier

https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Verk%C3%BCndigung_(Leonardo_da_Vinci) hier

Zitat Vahland: vom Kuss

3:44 „Leonardo da Vinci hat ganz außergewöhnliche Frauen gefunden, die einen heute noch überraschen. Er malt erstmal natürlich viele Marien, da wissen wir nicht, wer die Modelle sind. Dann aber malt er noch als junger Mann Ginevra de‘ Benci (…). Er möchte, dass sich die Leute in seine Bilder verlieben. Er erzählt eine Geschichte, wie die Leute Bilder mit weiblichen Heiligen zurückbringen in die Werkstatt und ihn bitten, die Heilgenscheine zu übermalen, damit sie die Bilder besser küssen können. Und das ist ganz genau in Leonardos Sinn. Das heißt, er nutzt die Stärke der Frauen, er nutzt die Verführungskraft der Frauen, um seine Kunst, um die Malerei zu stärken. Die Malerei ist so verführerisch wie die Frauen, die er malt. Und stark, so unabhängig und so klug wie diese. Dafür müssen es natürlich selbständige Objekte sein und keine Objekte, über die man einfach verfügt. Und die Frauen auf den Bildern liefern sich den Betrachtern nie aus. Das sind immer ganz, ganz eigenständige Wesen. Denn sie stehen für Leonardo auch für die Malerei an sich. Schon seit der Antike ist das Bild einer schönen Frau auch das große Meisterwerk eines Malers, an dem er seine Kunst zeigt, und so ist es eben auch bei Leonardo da Vinci. Denen gehört seine Sympathie, auf die lässt er sich ein, mit denen tritt er in einen Dialog.“ 5:11

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(Abstrakte) Kunst in der Realität, was nicht unbedingt bedeutet: die neue Irrealität dank Caspar David Friedrich. Jedoch auch Düsseldorf (20 Minuten entfernt, nächste Woche):

https://www.kunstpalast.de/de/event/tony-cragg/#Ausstellung hier

Video mit Cragg – siehe bei 6:40 von Menschen, – „die streicheln meine Arbeit„.

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13.04.24 Noch etwas ganz Neues aus dem Kunstpalast in Düsseldorf: ! Blumen ! HIER .

16.04.24 Ich war dort, im Kunstpalast Düsseldorf Ausstellung Tony Cragg, hier „Die Welle“: