Archiv für den Monat: Mai 2019

Paradies & Kindheit

Südseeträume

Fast möchte ich behaupten, dass alle meine Interessen auf frühe Kindheitseindrücke zurückgehen. Das soll heißen: zwischen dem 5. und 10. Lebensjahr, danach begann schon der planmäßigere Ausbau, grob gesagt: von der Tierwelt plus Botanik zur Musik, in jeder Phase spielten Bücher eine zentrale Rolle, auch die großen Figuren der Weltentdeckung (Weltumsegler): James Cook und Fernando Magellan. Nicht zu vergessen: Nils Holgersson (Reise mit den Wildgänsen). Die Kleinheit im Verhältnis zum großen Ganzen schien mir erschreckend, aber auch mit Angstlust besetzt. Das ist mir erst jetzt aufgefallen: wie lange ich selbst der Kleinste war, die meisten waren älter als ich, und nur sie beunruhigten oder lockten mich. Oder es waren Mädchen, oder beides: Älter und Mädchen. Und Machtfragen spielten eine Rolle (mein Großvater), – ohne dass es mir klar war natürlich. Meinen Vater erlebte ich als fern (Krieg) oder trotz Nähe ferngerückt (seelische Distanz, frühe Krankheit und Tod).

Heute, im Zusammenhang mit dem Papua-Thema, kam das alles zurück, wobei nicht von Bedeutung ist, dass die Traumgebiete Papua-Neuguinea, Borneo, Bali u.ä. absolut nicht zum Gebiet Südsee gehören und mir auch laut Verstand nicht mehr verlockend erscheinen. Vergleiche das Paradiesthema hier, und auch die Überblicke bei Wikipedia hier und hier, im letzteren Link insbesondere den Abschnitt „Südseeparadies“.

Ich erinnere mich zwar auch an Eskimogeschichten – an das klein geratene, schwächliche Kind des Seehundjägers: es wurde krank und kränker, eines Tages war ihm so übel, dass es ein Bündel kleiner Knöchelchen erbrach, und siehe da: fortan wuchs es und wurde ein starker Knabe. Auch Märchen kommen mir in den Sinn, etwa „Hans der Tannendreher“. Oder Heldensagen, „Zwerg Laurin“, der leider bösartig war, später natürlich „Siegfried“, mein älterer Bruder durfte sich gern „Dietrich von Bern“ nennen. Wo spielte eigentlich „Dr. Dolittle“? Ich sehe, wie er vom Schiff aufs Wasser blickte und dem Kopf eines Schwimmenden ins Gewissen redete: Sieh einmal, Ben Ali. Das Buch der Bücher: Robinson Crusoe. In „Gullivers Reisen“ aber begeisterte mich als erstes Liliput, erst später die Umkehrung der Verhältnisse oder sogar das Reich der Pferde, deren Sprache mir ganz allmählich sympathisch wurde. (Seite 259 „Die Hauyhnhnms sprechen hauptsächlich durch die Nase und Kehle.“ Also ähnlich wie die alten Solinger, was ich damals noch nicht wissen konnte.)

 Reclam 1948

 Linde Verlag Berlin 1948

Ja, und eben dieser von allen missachtete Knabe Mafatu, aufgewachsen auf dem winzigen Südsee-Atoll Hikueru. Wie er, sich selbst besiegend, alle Gefahren bestand, allein mit seinem Hund und dem treuen Seevogel Kiwi. Am Schluss die große Rehabilitation, im Angesicht des Vaters, ich musste weinen. Natürlich nicht ohne Selbstmitleid, – aber schon öffnete sich mir als weiteres imaginäres Refugium der (halb)wissenschaftliche Anhang: die Geschichte muss also der Wahrheit entsprochen haben.

Noch viel wahrer, gewissermaßen ein Augenzeugenbericht, war für mich die Geschichte von Robinson Crusoe und seinem treuen Geschöpf Freitag…

P.S. Was für ein Zufall!

Zwei Tage nach Beendigung dieser kleinen Rückschau besorge ich mir wieder einmal die Süddeutsche und finde folgenden interessanten Artikel. Die Versuchung ist groß. Oder soll ich bis ans Ende meiner Tage bei Bedarf das Kinderbuch frequentieren? Vielleicht auch öfters – als Übersprunghandlung – bei OBI nach Anregungen fürs praktische Leben Ausschau halten?

Quelle Süddeutsche Zeitung 3. Juni 2019 Seite 12 Aufklärung als Do-it-yourself Zum 300. Geburtstag neu übersetzt: Daniel Defoes „Robinso Crusoe“ / Von Jutta Person hier

Daniel Defoe: Robinson Crusoe. Roman. Aus dem Englischen von Rudolf Mast und mit einem Nachwort von Günther Wessel. Mareverlag, Hamburg 2019. 400 Seiten, 42 Euro.

Was ist Schizophonie?

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Wikipedia Steven Feld daraus folgendes ZITAT:

  1. In 1969, ethnomusicologist Hugo Zemp recorded a Solomon Island woman named Afunakwa singing a popular Solomon Islands lullaby called „Rorogwela“. Then, in 1992, on Deep Forest’s album Boheme, a song called „Sweet Lullaby“ samples Zemp’s field recording of Rorogwela. Furthermore, in 1996, Norwegian saxophonist Jan Garbarek sampled the melody of „Rorogwela“ in his song „Pygmy Lullaby“ on his album Visual World. The field recording is an example of schizophonia, and the placing of this field recording into „Sweet Lullaby“ is an instance of schizophonic mimesis. The sampling of the melody in „Pygmy Lullaby“ demonstrates further schizophonic mimesis.
  2. In 1966, ethnomusicologist Simha Arom recorded a particular style of music from the Ba-Benzélé Pygmies called Hindewhu, which consists of making music with a single-pitch flute and the human voice. Soon after, Herbie Hancock adapted the Hindewhu style by using a beer bottle instead of a flute in his 1973 remake of „Watermelon Man“. Then, Madonna’s song „Sanctuary“ from the 1994 album Bedtime Stories sampled Hancock’s adaptation of Hindewhu. Again, the field recording is an example of schizophonia, and the use of the Hindewhu style in Hancock’s adaptation and „Sanctuary“ are examples of schizophonic mimesis.

Zu 1.) Rorogwela

Dieselbe Aufnahme hier mit folgender Information:

In 1969/1970, ethnomusicologist Hugo Zemp recorded a number of local songs which were released on an LP in 1973, as a part of the UNESCO Musical Sources collection. One of the songs, a lullaby named „Rorogwela“, sung by Afunakwa, a Northern Malaita woman, was used as a vocal sample in a 1992 single „Sweet Lullaby“ by Deep Forest, becoming a worldwide hit, but also causing some controversy over perceived „pillaging“ of the world music heritage by Western musicians. A lesser-known use of the song is in the track „Death Lullaby“ by „Rorogwela“. The artist (whose identity is not certain) obviously took the name from the sample used. As opposed to Deep Forest’s track, „Death Lullaby“ is a harsh noise song with elements of „Rorogwela“ used towards the end. The track appears on Susan Lawly’s compilation album, Extreme Music From Africa In 2005, the song gained renewed exposure when it was featured in Matt Harding’s Where the Hell is Matt? viral video. The video featured the „Nature’s Dancing 7“ Mix of the song. In 2008, Harding traveled to the Solomons island of Malaita to try to find Afunakwa, the woman who is thought to be the performer of „Rorogwela“ on Zemp’s recording. According to Harding’s follow-up video Where the Hell is Afunakwa?, Afunakwa had died in 1998. The lyrics to Rorogwela translate to: Young brother, young brother, be quiet You are crying, but our father has left us He has gone to the place of the dead To protect the living, to protect the orphan child

 Abspielbar im Orig. hier

Zu 2. Hindewhu

Die von Youtuber Diogo Pereira beigefügte Information

Hindewhu is a style of singing/whistle-playing of the Ba-Benzélé pygmies of Central Africa. The word is an onomatopoeia of the sound of a performer alternately singing pitched syllables and blowing into a single-pitch whistle made from the twig of a papaya tree. Hindewhu announces the return from a hunt and is performed solo, duo or in groups. http://en.wikipedia.org/wiki/Pygmy_mu… From the ethnomusicology LP The Music of the Ba-Benzélé Pygmies, recorded by Simha Arom and Geneviève Taurelle in 1965 and released by Bärenreiter-Musicaphon in 1966. Part of the series An Anthology of African Music, in the UNESCO Collection of Traditional Music of the World. http://www.discogs.com/Ba-Benzélé-Pyg… Photo by Simha Arom, taken from the album’s liner notes. Adapted by percussionist Bill Summers (by blowing into a beer bottle) in Herbie Hancock’s Watermelon Man, https://youtu.be/4bjPlBC4h_8, and Michael Harriton in Congo Melody, https://youtu.be/LFMEpOJ7JFQ, from the soundtrack to the turn-based strategy video game Civilization: Call to Power (Activision, 1999).

Neue Welt Papua

Ein Film, der die Perspektive verändert

 Screenshot Wiki

Wie glücklich man sich doch schätzen darf, über modernste Technik zu verfügen, mit deren Hilfe man ohne weiteres eintauchen kann in fernste Vergangenheit. Am Schreibtisch, im halb verdunkelten Arbeitszimmer, während draußen die „heimatliche“ Maisonne lacht. Drei Filme, die auf ARTE zu sehen sind oder waren, nacheinander als einen einzigen zu erleben, eine alternative Welt.

 Der erste von drei Filmen

Ich rekapituliere: seit wann interessiert mich diese Welt? Von der Kindheit zu schweigen, als mich das Buch „Mut, Mafatu!“ begeisterte, psychologisch wichtig, aber auch mit einem natur- und völkerkundlichen Anhang über die Südsee. Die Richtung war da! Ich gehe hier nur zurück bis ins Jahr 2015 im Blog hier. Die Veröffentlichungen von Steven Feld, angefangen mit seiner ersten großen Arbeit „Sound and Sentiment“ 1982, dann die CDs über das Volk der Kaluli, auch die umfangreiche CD-Collection von Artur Simon über das Volk der Eipo und ihre Nachbarn (Irian Jaya),1996 die Begegnung im Berliner Völkerkunde-Museum: Filme und Literatur über die ASMAT. Und vieles andere.

Wer sind die Korowai? Siehe bei Wikipedia hier.

Den Film I im Internet anschauen (bis 28. Juni 2019) HIER

Den Film II im Internet anschauen (bis 28. Juni 2019) HIER

Den Film III im Internet anschauen (bis 28. Juni 2019) HIER

Bericht bzw. Interview Will Millard hier

Bemerkenswert ernüchternd, ohne jeden Hauch romantischer Verklärung, die Langeweile (!) in der Wildnis, der psychologische Umschlag am Ende in Gier und Erpressung (der weiße Besucher wird verschwinden, man lässt die Maske fallen und will, dass er wenigstens noch eine hohe Summe locker macht), und der ganze Stamm schweigt dazu. (Denn der „gute“ Mann geht, der Erpresser bleibt.)

Mit etwas Abstand sehe ich die Sache aber noch anders. Der neugierige Ethnologe interessiert sich nicht genug für das, was diese Menschen bewegt. Er kann es sprachlich gar nicht leisten. Daher die furchtbare Langeweile bei Starkregen, sie sitzen alle nur rum. Würden sie sich nicht etwas erzählen, irgendwie austauschen, wenn der verdammte Besuch nicht da wäre? Steven Feld hat bei den Kaluli auch die Natur studiert, kannte jeden Vogel, den seine Schützlinge kannten und beachteten, er fragte sie nach ihren Geschichten (Mythen) aus. – Mit welchem Eifer muss Artur Simon sich bei den Eipo um den Ablauf der Feste und der zugeordneten Gesänge gekümmert haben. Hier findet ein Sago-Fest statt, ein Treffen, für das die Leute stundenlang durch den Dschungel laufen müssen, – aber was ist der Sinn dieses Festes, was wird gesungen, welchen Sinn haben die Tänze?

Die einschüchternde Wirkung des Teams, das von uns nur selten in Aktion gesehen wird, außer bei Gepäckbeförderung. Immerhin wird ein Extralager gebaut, es handelt sich um einen Tross, von 20 (oder 40?) Leuten, das vergisst man dort nicht, auch wenn man mit dem Boss allein ist, und viel Händeschütteln und Körperkontakt stattfindet.

Die wenigen gesungenen Passagen im Film finden keinerlei Beachtung seitens des Ethnologen. Ich habe keine einzige Vogelstimme gehört, und auch nie wieder – außerhalb der Arbeiten von Steven Feld über die Kaluli – etwas über die gewiss intensive Naturbeziehung der Papuas gelesen, abgesehen von der Ernährung… Pizza mit Käferlarven, man sieht wie tapfer der Forscher die Tierchen knackt, den Geschmack gebratener Ratten beschreibt, aber wenn sein Freund fischen geht, ist er nicht dabei. Sie besorgen sich Handys, aber es gibt kein Netz, sie hören damit Musik. Batterien sind mit magischen Kräften versehen, die Säure der Batterie wird auch für das Einritzen von Narbenschmuck gebraucht.

*    *    *

Zitat

Einstmals – vor sehr langer Zeit – ging Fumeripits, der „Windmann“, in den Wald und baute ein Festhaus. Dort aber war niemand außer ihm. Um nicht so allein zu sein, fällte er Bäume und schnitzte aus dem Holz Figuren, eine jede mit Kopf, Körper, Armen und Beinen, manche männlich, manche weiblich. Er stellte die Figuren in sein Festhaus, aber dennoch war er dort allein. Die Figuren bewegten sich nicht. Da fällte er noch einen Baum, höhlte ein Stück des Stammes aus und schnitzte daraus eine Trommel. Die eine Öffnung des Trommelkörpers bedeckte er mit Echsenhaut, vermischte Kalk mit seinem eigenen Blut, klebte die Haut damit am Rand des Instrumentes fest und spannte sie mit einem Rotanring. Dann fing er an zu trommeln. Und mit den Trommelschlägen begannen die Holzfiguren sich zu bewegen, zuerst etwas linkisch, aber allmählich lösten sich ihre steifen Gelenke, und sie tanzten und sangen wie Menschen. Dies waren die ersten Asmat.
Später traf Fumeripits auf ein Krokodil, das ihn verschlingen wollte. Er aber tötete das Ungeheuer, zerschnitt es in viele Stücke und warf diese hoch zum Himmel. Sie fielen jedoch wieder auf die Erde zurück und verwandelten sich in andere Menschen. Das sind die Nachbarn der Asmat.

So gibt Klaus Helfrich eine Mythe wieder, die bei den Asmat über die Erschaffung der Menschen erzählt wurde. Während der Kosmos an sich bereits in mythischer Zeit als gegeben erscheint, konzentrieren sich die Mythen hier vorrangig auf die Erschaffung der Menschen und ihre kulturellen Errungenschaften.

Dieses Zitat stammt aus dem interessanten, weiterführenden Artikel „Trommeln der Asmat“ (Volker Beer) HIER

*    *    *

Nicht direkt zu diesem Thema  gehörig, aber ausgehend von Steven Feld Wiki hier, darin „Schizophonic mimesis“. Geschichte der Titel „Rorogwela“ und „Hindewhu“. Näheres dazu im folgenden Blog-Artikel!

C-dur Connection

Michael Haydn und Freund Mozart

Ich will es nicht hochspielen, nur warm halten: weshalb ich beim Hören der Duos für Violine und Viola an einer bestimmten Stelle immer an die „Sonata facile“ denke. Wer Klavier spielt und Ohren hat, der hört es:

Und nun Wikipedia hier, – tippen sie auch direkt das Musikbeispiel an, und Sie wissen, worum es geht. 1783 Michael Haydns Duo, 1788 Mozarts Sonate KV 545, beides in C-dur.

Erinnern Sie sich an den – von mir suggerierten – Zusammenhang zwischen einem anderen Thema von Michael Haydn und dem des Mozartschen Klarinettenkonzerts? Siehe dort.

Ich wünschte, Rachel Podger hätte Connection gewittert. Es lag doch einfach in der Luft, in der Salzburger Luft…

P.S. über Anklänge

Es sollte kein Vorwurf sein („wer Ohren hat“…), mancher Plagiatsverdacht ist überflüssig wie ein Krampf (frei nach Brahms: „weil jeder Esel es hört“).

Man staunt zum Beispiel, was einem so zur deutschen (?) Nationalhymne einfallen kann, wenn man es drauf anlegt: siehe hier. Joseph Haydn 1796/97. Aber warum steht da nichts von der einen Zeile, die von Mozart stammt… stammen könnte? „Exsultate, jubilate“ 1773. Siehe hier ab 4:40.

Immerhin: auch der Telemann-Hinweis ist ganz nett: hier.

Unter neuem Aspekt – aufgedeckt

Ein Skript vom 16. Januar 1985

Der Kreis, die Welle und der Geist der Wiederholung

Damals habe ich die Radiosendungen oft noch mit Tintenkuli geschrieben, so auch hier, ausnahmsweise nicht auf große Bögen, sondern auf 36 kleine Din-A-3-Blätter, von denen Nr. 32 und 33 fehlen. Der Schreibblock stammte aus der Firma eines Solinger Freundes. Ich habe hier alles, was an Text vorhanden war, ins Reine getippt, leider fehlt mir der Wortlaut einzelner Zitate („Glockenbuch“ und einige gute Sätze von Kevin Volans). Trotzdem lag mir daran, wenigstens den Ablauf zu rekonstruieren, weil ich mich auf diese Weise genau erinnere, was ich damals wollte. Und was ich heute anders behandeln würde. Die jetzt verlinkten Musikbeispiele sind nicht unbedingt identisch mit den im Original verwendeten. – Die Sendung war vorproduziert, Länge 89:16, live aus dem Studio kam nur die Kopfansage und die Absage am Schluss. An dieser Stelle folgt vorläufig nur der TEXT der Sendung / Musikbeispiele werden noch genauer gekennzeichnet und ergänzt. Nicht vergessen: es war eine Sendung zum Hören; sie lebte von der  damals noch sehr ungewöhnlichen Musikauswahl.

Obwohl der Geist der Wiederholung uns von der Geburt bis zum Tode fest im Griff hat, obwohl unsere Stunden, Tage und Jahre von unermüdlicher Repetierung der immergleichen Vorgänge geprägt sind, – Puls, Atem, Essen, Verdauung, Schlafen, Aufstehen usw. -, gefällt es uns, dies zu verdrängen und so zu tun, als bewegten wir uns auf ein Ziel zu: eine neue Stelle, die Anschaffung eines neuen Autos, eines Hauses, auf den Zeitpunkt, wo die Kinder in die Schule kommen oder diese verlassen, auf eigenen Beinen stehen können oder selber Kinder bekommen.

Wenn ein Altvorderer daherkommt und weise meint: „Alles schon mal dagewesen“ reagieren wir mit Unwillen; weder die Nostalgie-Wellen noch die fast vollendete Zerstörung unserer Umwelt wird uns an der geheimen, aber unerschütterlichen Überzeugung irre werden lassen, daß wir uns nicht nur reproduzieren, sondern daß wir fortschreiten. Mit Wiederholungen haben wir’s noch ebensowenig wie mit Recycling. Kaum irgendwo ist diese Einstellung so deutlich zu beobachten wie in der Entwicklung unserer westlichen Musik, um es kurz zu sagen: im Verschwinden der Wiederholungszeichen, in den veränderten Reprisen, schließlich in Schönbergs Dodekaphonie, die keinen Ton wiederauftreten läßt, bevor nicht alle anderen erklungen sind, und in der seriellen Musik, die dies Prinzip auf die Spitze treibt.

Wenn wir Werke unserer traditionellen Musik suchen, in denen die Wiederholung eine wesentliche Rolle spielt, müssen wir lange suchen. Mir fällt als erstes Beethovens VII. Sinfonie ein, besonders jener Schluß des ersten Satzes, der C.M.v. Weber zu der bezeichnenden Bemerkung veranlaßte: „Jetzt hat er den Verstand verloren.“

Aber man muß deutlich unterscheiden: diese düster rollende Bassfigur ist kein Exempel des guten Geistes der Wiederholung: sie insistiert mit einer gewissen Verstocktheit oder Hartnäckigkeit, die sich dann um so befreiender in Jubel auflöst.

Dennoch war Beethoven in seiner von Wagner so genannten „Apotheose des Tanzes“ dem ekstatischen Sinn der monomanen Wiederholung so nah wie niemand sonst.

MUSIK Beethovens große Welle [bei Leonard Bernstein hier ab 13:16]

  1955

[Im Jahr 1981 hatten wir mit dem Collegium aureum Beethovens VII. aufgenommen, ein neuer Schub, mich genau damit zu beschäftigen. Begonnen hatte es in der Zeit, als ich anfing, Partituren zu studieren; die erste war Beethovens VIII., die ich vor dem Radio verfolgte.]

 Textausschnitt zu Beethoven VII 1981

Aber welch ein ungeheurer innerer Abstand zu jenen pulsierenden Zyklen, die das indische und man darf wohl allgemein sagen: das orientalische Zeitgefühl kennzeichnen:

„Trunken kreist das Weltall, / thun wir desgleichen -“

sagte der persische Dichter Hafis. Und das ist nicht einfach poetisch daherphantasiert: die kreisende Bewegung des Tanzes wurde einst und wird als Verbindung mit dem Hintergrund unserer Lebenswirklichkeit aufgefasst. Der Tanz war „ursprünglich und für lange Zeit ein rein religiöser Akt, der oft auf überirdische Ursprünge zurückgeführt wird“, sagt Meyers Lexikon, und weiter: „So gilt im Hinduismus der Gott Schiwa als ‚Tanzkönig‘ und Krischna vollführt mit der geliebten Gopi einen ‚ewigen Tanz‘. Ein Gott des Tanzes war auch der phönikische BAAL MAKOD (=Herr des Tanzes). Nach Klemens von Alexandria tanzen im Himmel die Seligen mit den Engeln. Lukian kennt einen Tanz der Himmelskörper, ebenso Dante, der in den letzten Versen der Divina Commedia von einem Tanz der Sonne und der Sterne spricht, der durch die Liebe bewegt wird.“

MUSIK Sarangi (Ram Narayan) Raga Pilu [Youtube 2002 ! hier ab 14:15]

Trotz Klemens, Lukian und Dante ist die Vergöttlichung des Tanzes nicht gerade ein christliches Phänomen. Das Ziel der Zeit, das Jüngste Gericht, Ewiges Leben, Ewige Verdammnis – all das widerspricht der zyklischen Auffassung der Zeit, die sich im Tanz symbolisiert, aufs schärfste. Das Drehen im Kreis, der Reigen, die Wiederholung, der Kolo, der Horo, der Reel sind Äußerungen eines Lebensgefühls, das dem steten Umgang mit der Natur entspricht.

MUSIK Drei Tänze Bulgarien / Irland

Fast hat man den Eindruck, daß das Prinzip der Wiederholung, welches die barocke Passacaglia erfüllt, seine wahre Bestimmung nur als Negativum findet: indem es den unerbittlichen Lauf des irdischen Schicksals zeigt, an dem der Sterbliche zerbricht, sofern er nicht mit dem Tod seiner wahren Bestimmung entgegengeführt wird, wie im „Crucifixus“ der h-moll-Messe von Bach, wo das chromatisch absteigende Lamento-Motiv 12 Mal wiederholt, beim 13. Mal abgewandelt wird. Der Bach-Forscher Walter Blankenburg weist darauf hin, „daß mit der Zahl 12 die Grenze der Zeit angedeutet ist (Zwölf, das ist das Ziel der Zeit, Mensch, bedenk die Ewigkeit, sagt ein altes Volkslied). Die gedankenlos vulgäre Redewendung Jetzt schlägt’s Dreizehn, welches ein außergewöhnliches Geschehnis meint, findet in der 13. abgewandelten Durchführung des Crucifixus-Ostinato mit der Erinnerung an den Kreuzestod Jesu eine unheimliche Anwendung.“

MUSIK J.S.Bach H-moll-Messe „Crucifixus“ [Youtube mit Herreweghe hier]

Während sonst die formale Aufgabe für den Komponisten einer Passacaglia oder einer Chaconne darin liegt, die fortwährende bloße Wiederholung des Themas oder des Ostinatos vergessen zu lassen, indem er über diesem Grund mit satztechnischen Mitteln von Variation zu Variation eine Steigerung erzielt, ein Gebäude errichtet, tritt in den großen Lamenti der Barockoper deutlicher ins Bewußtsein: das Individuum scheitert am Unabänderlichen. Wie Henry Purcells „Dido“.

MUSIK Purcell: Klage der Dido [Youtube mit Joyce DiDonato hier ab 1:00]

[Anm. Rückseite: Der gelehrte Mattheson hat vor Wiederholungsformen wie Chaconne und Passacaglia ausdrücklich gewarnt.]

Ich habe vorhin ein Zitat aus dem Lied erwähnt „Zwölf, das ist das Ziel der Zeit, Mensch, bedenk die Ewigkeit“ und auch die Redensart „Jetzt schlägt’s Dreizehn“. Wir können uns kaum noch vorstellen, in welchem Maße unser Umgang mit der Zeit und der Zeiteinteilung einst durch Glockentöne geprägt wurde: Frühglocke, Morgenglocke, Tagglocke, Mittagsglocke, Vesperglocke, Betglocke, Totenglocke, Feierglocke usw.

Faszinierend am Geläut der Glocken des christlichen Abendlandes, daß es uns nicht nur mit eherner Wucht den Ablauf der Zeit einhämmert, sondern unser Ohr in wundersamen akustischen Wellen trifft und bei vollem Geläut unsere Phantasie mit wellenförmigen, stetig wechselnden Rhythmen beschäftigt, deren einzelne Bestandteile gleichwohl aus invarablen Repetitionen bestehen: so wie die Schläge von 4 pulsierenden Zeitmessern, die der Musiker „Metronom“ nennt.

MUSIK 4 Metronome (nach Zufallsprinzip) / Hauptgeläut der Kirche von Ftan / Unterengadin (Aufnahme JR)

Die Glocken von Ftan im Unterengadin. – Man ist übrigens auf die Idee gekommen, auch solches Läuten zu reglementieren: „In einigen Orten Thüringens beispielsweise war das Taktläuten mit drei Glocken gebräuchlich, die auf einen Dur-Dreiklang abgestimmt sein mußten. Das Taktläuten, bei dem die Glocken immer in derselben Reihenfolge und im Takt erklingen, unterscheidet sich erheblich vom frei rhythmischen Läuten, in dem die einzelnen Töne durcheinanderwogen. Über der großen Glocke befand sich (….s. Glockenbuch S. 76) ???

Ich weiß nicht, ob die Glocken der Kirche Sainte Geneviève du Mont à Paris im Jahre 1723 in dieser Art geläutet wurden, oder ob der Geist der Aufklärung ihr Geläut rationalisierte: Marin Marais lieferte uns mit dem folgenden Stück „La sonnerie de Sainte Geneviève du Mont à Paris“ für Violine, Viola da gamba und Basso continuo ein Beispiel des Prinzips musikalischer Wiederholung, das wohl bis zu Ravels „Boléro“ in der abendländischen Musikgeschichte ohne Parallele ist. Bemerken Sie, wie dennoch der übermächtige musikalische Geschmack schließlich dem Komponisten gebietet, die Glocken eine Quart abwärts und später wieder hinaufmodulieren zu lassen, um dem Verlangen nach Kurzweil zu genügen. Musica antiqua Köln spielt unter der Leitung von Reinhard Goebel.

MUSIK La sonnerie … [Youtube mit J.Savall !! hier]

„La sonnerie de Sainte Geneviève du Mont à Paris“ aus dem Jahre 1723 von Marin Marais; Musica antiqua spielte unter der Leitung von Reinhard Goebel. Der Bolero von Ravel ist wohl allen Musikfreunden zur Genüge bekannt; ich möchte deshalb nur an jene Stelle erinnern, an der das Prinzip der Wiederholung – ganz ähnlich wie bei Marin Marais mit einer Modulation verlassen wird.

MUSIK Ravel „Boléro“ Modulation + zurück [Youtube mit Gergiev hier ab 13:35]

Noch einmal zurück zu den wirklichen Glocken. In England gibt es seit etwa 1600 die Tradition des Change-ringing: das Wechsel- oder Variationsläuten, dessen Tonketten in verblüffender Weise an afrikanische Repetitionsmuster erinnern, obwohl sie wohl eher auf mathematische als musikalische Prinzipien zurückgehen, und wie der Name Change-ringing schon andeutet, den Wechsel, die Variation wichtiger findet als den gleichbleibenden Rahmen und Tonvorrat, der das ungeübte Ohr zunächst so suggestiv anrührt.

Hier sind 12 Ringer mit Handglocken in action; einer gibt gesprochene Anweisungen.

Musik Change ringing (unter Text)

Das Prinzip des hand ringing kann man verstehen, wenn man sich die Glocken nummeriert denkt und ihre Kombinationsmöglichkeiten errechnet. Bei drei Glocken gibt es sechs mögliche Wechsel, und zwar:

1, 2, 3, / 1, 3, 2, / 2, 3, 1, / 2, 1, 3, / 3, 1, 2; bei 12 Glocken jedoch gibt es schon einige Millionen Wechsel, und geschickte, unermüdliche Change-ringer könnten damit – auch wenn sie Tag und Nacht läuten – 50 bis 60 Jahre auskommen.

Handglocken mögen ursprünglich der Einübung solcher Patterns gedient haben. Hoch vom Turm, wo jeder Ringer ein Glockenseil betätigt, tönt es weit mächtiger.

MUSIK change ringing (im Turm) Mehr darüber HEUTE hier. Beispiel der Aktion: hier.

Es ist wirklich merkwürdig, wie mühsam unsere Suche nach Zeugnissen zyklischen Denkens und Fühlens im abendländischen Kulturkreis ist. Der Typ des barocken Canon perpetuus, so exemplarisch er wirken mag, ist wohl nicht zur Aufführung gedacht, sondern als optisch aufnehmbare Meisterleistung, die akustisch etwa einen zauberisch fluktuierenden C-dur-Klang ergibt, aber keinen Kanon.

MUSIK Bach 14

Der 8stimmige „Canon Trias Harmonica“ von J.S. Bach. HEUTE s.a. hier (Achtung bei Reklame)

Den folgenden Kanon widmete Bach einem Mann namens Faber; den Namen des Adressaten verwertete Bach als Motiv der Bratsche F – A – B – E , das darauf folgende R las er als REPETATUR, d.h. als Anweisung, die Tonfolge zu wiederholen. Über diesem Ostinato erhebt sich ein 7stimmiger Kanon.

Musica antiqua Köln spielt.

MUSIK Bach 15 HEUTE hier.

Erst wenn man den Sinn für die rhythmische Schönheit der Wiederholung, ihre Harmonie mit dem Pulsschlag der Natur und des Weltalls eingebüßt hat, nehmen die physisch notwendigen Wiederholungen Zwangscharakter an, insbesondere der sexuelle Wiederholungszwang scheint groteske und entwürdigende Züge zu tragen, und es ist bemerkenswert, daß Sigmund Freud, der die Sexualität nun wirklich für alle psychischen Gebrechen verantwortlich zu machen suchte, sich mit 40 Jahren von der eigenen Sexualität verabschiedete. („Die sexuelle Erregung ist für einen wie ich nicht mehr zu brauchen.“ Spiegel 52/1984) Wie selbstverständlich aber auch die Erregungsformen der Musik mit denen der menschlichen Physis verbunden sind, kann einem durch Zufall an einem ostserbischen Tanz klar werden, der in aller Unschuld seine Mehrdeutigkkeit provoziert: Er ist ein Fruchtbarkeitstanz und heißt Cuscovac oder Sochits, zu deutsch „Maus“, denn die Maus ist sprichwörtlich fruchtbar und vermehrungsfreudig. Das Vor- und Zurückeilen der Tänzer in Schrittfolgen, die der Melodie entsprechen, wird einerseits auf das eilige Hin- und Herhuschen der Maus bezogen, – hervor aus dem Mauseloch und wieder hinein -, zugleich aber auch auf den Vorgang der Kopulation.

MUSIK Sochits Tanz aus Ostserbien

Wiederholung muß nicht unbedingt zu einer Akkumulatiobn von Spannung führen; sie kann einen gleichmütigen oder ekstatischen Schwebezustand bewirken, der ebenso gut eine Stunde fortdauern wie jederzeit abbrechen kann. Sie kann aber auch, ohne ihr zyklisches Wesen zu gefährden, mit einer Steigerung verbunden sein, die ein natürliches Ende findet. Natürlich?

Vergleichen Sie einmal die folgenden Schlussminuten zweier Raga-Interprovisationen: die Erregung erreicht hier einen Höhepunkt; Sie können es auch Climax nennen. Und was kommt danach?

Man erinnere sich nur an Beethovens affirmative Schlussakkorde und deren düster rollende Vorbereitung und beobachte dann – ohne sich durch die Stimm-Akrobatik der Ali-Brothers aus Pakistan ins Bockshorn jagen zu lassen – wie eine wellenförmige Entwicklung von ca. 30′ auf den aufregenden Höhepunkt zutreibt und sich anschließend Zeit läßt für das entspannende Abklingen der Erregung. So könnte man etwas über den physiologischen Unterschied orientalischen und europäischen Lebensgefühls erfahren.

MUSIK Raga Darbari Kanarra [Youtube hier] und Raga Rageshwari [Youtube hier].

 1993

Richard Wagner wurde durch Schopenhauer mit der indischen Geisteswelt in Berührung gebracht, und es ist bemerkenswert, wie gerade Wagner, ein Feind jeder Wiederholung in dem von uns gemeinten Sinn, die Wellenbewegung ins Zentrum seiner Tristan-Musik einführt. In der Durchführung des Liebestodthemas erscheinen – wie Ernst Kurth formuliert – allenthalben

ZITAT aus Tristan-Arbeit JR 1964 S.80

Hören Sie die Entwicklung dieses Wellenmotives, dessen Steigerung zunächst in den klassischen Fall eines Interruptus mündet (König Marke überrascht das Liebespaar), während es am Schluß der Handlung den Übergang ins Nirwana andeutet – so wie ihn Richard Wagner verstand.

MUSIK Wagner Tristan

ZITAT Tristan-Arbeit JR S.81

MUSIK Wagner Tristan „Liebestod“

Klaus Theweleit ist in seinem Buch „Männerphatasien“ ausführlich auf den Zusammenhang Frau, Welle, Wasser eingegangen. Unzählige Lieder, Märchen und Mythen beschwörebn die Menschin aus dem Wasser, „Nixen, Nymphen, Najaden, die kleine Seejungfrau, die schöne Lilofee, Undine, Loreleys: der Umschlag, neben der Liebe die Angst: Ich glaube, die Wellen verschlingen, am Ende Schiffer und Kahn; das hat mit ihren Singen die Loreley getan…“ (K.Theweleit S.283)

Ohne jeden Beigeschmack von Angst erscheint dieser Zusammenhang in einem erotischen Lied der Pygmäen: ein junger Mann stößt beim Honigsuchen im Wald auf ein wunderschönes Mädchen, dessen Zauber er mit einem vom Wasser überfluteten oder sumpfigen Terrain vergleicht. „Wie kam es her?“, fragt er sich, „dies ist wirklich schön! Es genügte meine Augen aufzuheben und diese unermeßliche Höhlung mit unendlichen Tiefen zu finden“ —- Vielleicht wird sie mich erfreuen!“ Wenn der Text noch nicht deutlich genug ist, die Gesangsausführung ist es umso mehr: „Schmalhüftiger“, wird der junge Mann im ersten Teil des Liedes angeredet, „durchquere den Sumpf im Lauf. Es geschieht im Eilschritt, daß einer in diesen Ort eindringt!“

Der zweite Teil des Liedes beschränkt sich auf die Repetition weniger Silben, gefolgt von Ausrufen der Erleichterung; worauf der Erzähler mit dem Satz schließt: „Die betreffende Sache ist in der Tat sehr gut.“

MUSIK Pygmäen-Anthologie Disc 3 Tr. 1 and 2: Two song-tales: „The Bird“ (Nyodi) and „Slender Waist“ (Nanga-ningi)

 Anthologie der Musik der Aka-Pygmäen

Wenn man von der berühmten Polyphonie der Pygmäen spricht, suggeriert man dem westlichen Hörer leicht, es handele sich hier um ein der abendländischen Polyphonie vergleichbares Phänomen. Bisweilen taucht sogar die Behauptung auf, Pygmäen sängen Kanons und Fugen. Tatsächlich könnte man die akustische Form der Bach-Kanons, die Sie vorhin gehört haben, im Sinne der Pygmäen-Musik mißverstehen. Wenn man schon nach treffenden Vergleichen sucht, um sie nachher zu entkräften, so müßte man die Pygmäen-Polyphonie mit der barocken Passacaglia-Technik vergleichen, wie es der israelische Musikehtnologe Simha Arom tat, dessen phantastische Schallplatten-Publikation ich hier benutze. Jedoch erinnern wir uns, daß die Anstrengung der Passacaglia-Komponisten dahin geht, das Prinzip der Wiederholung vergessen zu lassen, zu überhöhen oder als „böses“ Prinzip wirken zu lassen, während es in der Pygmäen-Musik das eigentliche Lebenselement, ein gutes und mütterliches Prinzip darstellt. Man täte also besser daran, den Begriff Passacaglia in diesem Zusammenhang fallen zu lassen und stattdessen, wie Simha Arom ebenfalls, von Ostinato mit Variationen zu sprechen. „Jedes ihrer Musikstücke basiert auf der Wiederholung von Perioden gleicher Länge, deren Gegenstimmen nach bestimmten, von der Tradition gegebenen Regeln variiert werden. Das Ergebnis ist eine repetitive Musik, und nicht – wie es dem ungeübten Ohr zunächst erscheinen mag – eine Musik kontinuierlicher Entwicklung. Diese Wirkung kommt dadurch zustande, daß die Kontrapunkte, die fortwährend variiert werden, jene Grenzstellen der Perioden so überlappen, daß der Eindruck eines ungeteilten Kontinuums entsteht.“

Aus dem Schallplattentext von Simha Arom (OCORA 558526/27/28):

MUSIK Pygmäen-Anthologie Disc 3 Tr. 1 and 2: Two song-tales: „The Bird“ (Nyodi) and „Slender Waist“ (Nanga-ningi)

Der südafrikanische Komponist Kevin Volans, der sich eingehend mit der Zulu-Musik seiner Heimat beschäftigt hat, warnt davor zu glauben, daß die repetitive Musik Afrikas für uns leichter zu verstehen sei als die zyklische Musik etwa Indiens; in Wahrheit liege eine ganz unterschiedliche Wahrnehmung zugrunde. Der Ethnologe John Blacking habe festgestellt, daß ein Musiker der Venda aus der von ihm gespielten repetitiven Musik weder ein Muster isolieren könne noch wahrzunehmen scheine, daß Zeitabschitte gegeben sind, wenn ein Muster wiederholt werde. Der Venda-Musiker spricht lediglich von der korrekten Melodie oder dem Rhythmus eines Liedes als „die Weise, in welcher es gesungen“ oder „die Weise, in welcher es gespielt wird“. Volans knüpft einige für seine eigene Musik wichtige Überlegungen an die Beobachtungen Blackings:

Seite 32 und 33 fehlen!!!!!!!!!!!!!!!!!

Es wird nicht leicht sein, unsere seit früher Jugend verinnerlichten Maßstäbe des musikalischen Urteils aufrichtig in Frage zu stellen. Ist denn etwa  der Ruf des Weidenlaubsängers nicht wirklich so langweilig wie sein Spitzname Zipzalp andeutet?

MUSIK

Ist nicht ein solcher Drosselruf hundertmal schöner?

MUSIK Melodischer Ruf aus „Singende Landschaft“ (Traber)

[Es dauerte nur noch ein paar Jahre, ehe ich viel mehr Vogelstimmen wagte, die erste wohl am 8. Mai 1992, man kann sie hier nachlesen. Eine andere Sendung habe ich im Blog kurz zitiert, deshalb hier der Link.)

Warum aber gilt es unter den Eskimos als Tugend, beim Singen mit möglichst wenig Tönen auszukommen, so daß die unsinnige europäische Tonverschwendung für Eskimos wie eine einzige grobe Ungeschicklichkeit wirkt. –

Kevin Volans hat für sich als Komponist und Interpret einen faszinierenden Weg der Begegnung mit der sogenannten Volksmusik des südlichen Afrikas gefunden: er hat sie auf 2 Cembali übertragen, die nach den Tönen der Mbira eingestimmt waren. Die Töne der Mbira erklingen durch das Anzupfen von Metallamellen, die auf einem Holzblock befestigt sind, der wiederum zur Klangverstärkung in einer Kürbishöhlung ruht. Daß Kevin Volans von der Adaption dieser Musik keine Verschmelzung zweier grundverschiedener Musikkulturen erwartet, sondern eher einen Lernprozess auf unserer Seite, machte er unmißverständlich klar:

ZITAT O-Ton Volans (?)

MUSIK Kevin Volans „MBIRA“ WDR-Aufnahme (s.a. jpc hier) auf Youtube hier .

*    *    *    *    *

Damals war manches neu, was heute niemanden mehr besonders überraschen würde. Der neue Aspekt in den „alten“ Musiken schien mir bemerkenswert. Was man heute unter der Rubrik „Grenzüberschreitungen“ anbietet, ist zumeist bieder und willkürlich zugleich. Mir kam es immer auf den Erkenntniseffekt an. Auch in Konzerten wie „West-Östliche Violine“ 1980, 1985 und 1989 (siehe u.a. hier), dem Oboen-Festival „Das Schilfrohr tönt“ oder im jährlichen „Weltmusik-Festival“, das wir aus dem „Folkfestival“ der 70er Jahre entwickelt hatten, zuweilen mit Wagemut, etwa als wir neben dem Kölner Dom die südindische Nagaswaram-Gruppe K.P.Ramu – zum Schrecken der Fernseh-Kollegen – für 30 Minuten ins Programm nahmen. Ostserbien war erst nach einer WDR-Aufnahmereise im Westen präsent, z.B. beim ersten Violinfestival, die Bach-Kanons erst nach der Edition durch Musica Antiqua Köln 1982 (wobei ich als Geiger mitwirken durfte), seit den frühen 90er Jahren gab es die CD-Reihe „World Network“, die Aufnahme Mbira (Volans) – u.a. anderem mit Robert Hill – entstand 1983 im Kölner Funkhaus, die tolle Veröffentlichung „Fandango“ mit dem Klassik-Spezialisten Andreas Staier kam erst 1999 heraus. Die Pygmäen-Anthologie von Simha Arom wurde seit ihrer Anschaffung durch die Volksmusikabteilung immer wieder von Kollegen ausgeliehen – für Sendungen der „Neuen Musik“. In Vlotho (! – mit einiger Anstrengung fußläufig erreichbar von meiner zweiten Heimat Lohe bei Bad Oeynhausen) gab es seit 1981 „Weltmusik“-Kongresse, veranstaltet u.a. von dem Stockhausen-Schüler Johannes Fritsch. Nikhil Ghosh & Söhne  (mit Gert-Matthias Wegner) standen im Mittelpunkt. Dort konnte ich zum ersten Mal über „Methoden des Hörens“ referieren. Später dasselbe Thema in erweiterter Form bei „Musik der Jahrhunderte“ 2003 auf dem Pragsattel in Stuttgart. Beim gleichen Termin erlebte ich – neben interessanten Vertretern der Neuen Musik – den faszinierenden externen Experten Sven Giegold, der gestern (26. Mai) bei der Europa-Wahl gigantische Zustimmung erfuhr. – Ich habe bei der Abschrift dieser alten Sendung mit Erstaunen bemerkt, dass in der ersten Minute von Zerstörung der Umwelt und Recycling die Rede ist…

Alles fließt

Oder – muss es pulsieren?

Es ist ja die Frage, ob Heraklit wirklich „panta rhei“ gesagt hat oder „panta chorei“ (alles geht weiter). Mir wäre lieber: alles scheint fließend zu pulsieren, oder etwas in der Art.

Das obige leicht verformte Panoramabild entstand am Strand von Texel eher wegen des Meeres unter Inkaufnahme meiner Person, jedoch unzweifelhaft gerade als ich versuchte, Texte von Susanne K. Langer zu erinnern und mit den hier beobachteten Phänomenen in Verbindung zu bringen. Das folgende Video fand ich später im Hotel am Computer und habe es gegen wachsenden inneren Widerstand eingesetzt, der bei der Suche entstand: die angebotene Funktion der Youtube-Filme ist gewöhnlich genau die, die mir weniger willkommen ist: „Entspannung“ im Sinne von Dösen (Träumen ist der meistgebrauchte Euphemismus dafür). Mich interessiert Konzentration. „Interesseloses Wohlgefallen“.

(Für den Fall, dass Sie einfach weiterlesen wollen, verlinke ich das Video auch noch im externen Fenster: HIER. Der Klang ist mir zu metallisch. Und irgendwie hohl. Andererseits hört man das Geröll kleiner Steine, wenn auch der reale Klang sich unterscheidet von dem, der vom Mikrofon registriert und „verengt“ wird. Näheres dazu unten von Bernie Krause, dessen Aufnahme allerdings ein gewaltigeres Wogengemisch abzubilden sucht. Siehe hier Tr. 1.3)

Vor vielen Jahren habe ich eine WDR-Sendung gemacht, in der ich alles unterbringen wollte, was mir seit der Staatsarbeit über Wagners „Tristan“ zur Wasser-Thematik durch den Kopf gegangen war: „Der Kreis, die Welle und der Geist der Wiederholung“ – war dies der Titel? Ganz sicher bin ich nicht. „Sind es Wellen sanfter Lüfte“ hätte ich zitiert, des weiteren die beinahe letzten Worte Isoldes „In dem wogenden Schwall, in dem tönenden Schall, in des Welt-Atems wehendem All –, ertrinken, versinken –“ all dies hätte ich repetiert und mit den Erfahrungen orientalischer und afrikanischer Musik verbunden. Etwas daran fühlte sich nicht gut an. Eigentlich will ich diesen Ideen heute nicht aufs neue – zum wievielten Male? – nachgehen. Nicht versuchen, ihnen Aspekte abzugewinnen, die ich damals nur geahnt habe, aber letztlich auch loswerden wollte. Von Wagner zu Schopenhauer zur indischen Musik, das schien ebenso verführerisch wie irreführend. Es sollte aber zu neuen Ausblicken führen. Ich habe das Datum wiedergefunden: 16. Januar 1985, die Programmvorlage und sogar den handgeschriebenen Entwurf der Musikfolge. (Neu: siehe nachfolgenden Blog-Artikel hier).

 

Jetzt, nach der Langer-Lektüre, schien mir alles besser mit der Wirklichkeit kompatibel, die Wellen, die ich hörte, und die Wellen in Wagners Tristan, die kurzen chromatischen aus zwei Achteln plus Triole und die Sequenz „Mild und leise, wie er lächelt“, „Seht ihr’s, Freunde, seht ihr’s nicht?“. Oder was ich jetzt auch hörte, innerlich, die Hebriden-Ouvertüre. Ein gegliedertes Kontinuum. Struktur. Rhythmus. In einfachster Form eine Pendelbewegung. Ich versuchte also einen Text von Susanne K. Langer sinnlicher zu verstehen, indem ich ihn draußen – unter freiem Himmel, vorm offenen Meer – rekapitulierte und den Wellen zuhörte.

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Ich hatte tatsächlich zunächst eine Serie von ca. 20 Bildern hier eingesetzt, um den folgenden Langer-Text psychologisch (physisch) zu „vertiefen“, und hatte dann bemerkt, dass nichts Entsprechendes von ihnen ausging, während das Video sofort die gewünschte Reaktion auslöst. Selbst in der Vorbereitung, als ich – durch andere Videos beunruhigt – noch den Verdacht hegte, dass Ton und Film aus unterschiedlichen Quellen genommen und einfach zusammengefügt sein könnten. Die Erinnerung an das echte akustische Erlebnis, die ehemals direkte Beobachtung, war stärker; in meinem Fall dann aber doch wieder nicht der gegenwärtige Texel-Strand, sondern der evozierte Atlantik bei Windstille, eine Erinnerung, ein Strand von damals, in Porto Mos an der Algarve.

Susanne K. Langer (Seite 246)

Das eindrücklichste den meisten Menschen vertraute Beispiel für Rhythmus ist jedoch das Brechen der Wellen in einer gleichmäßigen Brandung. Jede neue auf den Strand zu laufende Woge wird durch die Unterströmung der zurückfließenden geformt und verstärkt ihrerseits durch den Sog das Zurückweichen der vorherigen Welle. Die beiden Ereignisse sind nicht scharf voneinander zu trennen. Dennoch ist eine brechende Welle ein Ereignis, wie man es sich bestimmter nicht wünschen kann: eine echte dynamische Gestalt.

Derartige Phänomene in der unbelebten Welt sind starke Symbole der lebendigen Form, gerade weil sie selbst keine Lebensprozesse darstellen. So betont beispielsweise [der] Gegensatz zwischen dem scheinbar vitalen Verhalten und der offensichtlich anorganischen Struktur von Meereswellen den reinen Schein des Lebens und liefert unserer geistigen Anschauung die ersten Abstraktionen ihres Rhythmus. Darin besteht die wichtigste Funktion von Symbolen. Ihre zweite Funktion soll uns ermöglichen, die gewonnenen Begriffe zu manipulieren. Dazu ist mehr nötig als das Erkennen von sogenannten „natürlichen Symbolen“, nämlich ein überlegtes Herstellen expressiver Formen, die auf verschiedenen Wegen verwendbar sind. Solche von uns produzierten Gestalten, die uns einen logischen Einblick in Fühlen, Vitalität und Gefühlsleben verschaffen, sind die Kunstwerke.

Quelle Susanne K. Langer: Form und Fühlen / Eine Theorie der Kunst / Aus dem Amerikanischen übersetzt von Christiana Goldmann und Christian Grüny / Mit einer Einleitung, Literaturverzeichnis und Registern herausgegeben von Christian Grüny

Ich bin in diesem Augenblick reif, Musik zu hören, am liebsten übersichtlich, nur zwei Individuen  bei der Arbeit bzw. beim Spiel, dem gegliederten Zusammenspiel, Mozart, Violine / Viola, gerade auch im Wechsel mit Michael Haydn. (Ich werde die ganze lange Rückfahrt damit „ausfüllen“; und so haben wir die CD wohl drei oder vier Mal hintereinander gehört.) Der sonst so eklatante Qualitätsunterschied zwischen Mozarts und M. Haydns Kompositionen – erstaunlich instruktiv, Landschaftsunterschiede, verschiedene „Uferformationen“. – Nicht vergessen: ich werde in Langers Text nachher noch etwas zurückgehen: ihre Beschreibung der Pendelbewegung.

(Fortsetzung folgt)

Der Klang der Wellen stand hier nicht mehr im Zentrum (vielmehr ihr Rhythmus, ihre schiere Abfolge), trotzdem ist interessant, was ein Klang-Fachmann wie Bernie Krause dazu sagt:

Auf den ersten Blick scheint das Vorhaben, akustische Aufnahmen vom Wasser zu machen, unkompliziert: Stell ein Mikrofon auf und drück den Aufnahmeknopf. Aber sosehr ich mich anstrengte, meine ersten Versuche, den Klang des Wassers einzufangen, wollten einfach nicht recht gelingen. Wir sind so visuell orientiert, dass die meisten Menschen, die einigermaßen gut sehen, dazu neigen, zu hören, was sie vor Augen haben. Wenn wir den Blick auf die Wogen weit draußen auf dem Meer richten, filtern Ohren und Hirn in der Regel alles heraus außer dem Donnern und Krachen der Wellen, die Ferne und unglaubliche Kraft suggerieren. Schauen wir hingegen auf die Vorderflanke der Wellen, die an den Strand spülen und im Sand zu unseren Füßen brechen, hören wir die Bläschen knistern und prasseln, während das Geräusch der fernen Brecher in den Hintergrund tritt.

Mikrofone haben jedoch weder Augen noch Hirn. Ohne Unterschied nehmen sie alle Geräusche in ihrer Reichweite auf. Wenn ich also, überlegte ich, die Klänge einer Meeresküste wiedergeben will, muss ich eine ganze Reihe verschiedener Aufnahmen aus unterschiedlichen Distanzen machen: ein paar Hundert Meter vom Ufer entfernt, auf halbem Weg zwischen den grasbewachsenen Dünen und dem Ufer und direkt am Ufer. Mit Hilfe einer Klangbearbeitungssoftware, mit der ich zu Hause alle Aufnahmen auf unterschiedlichen Ebenen kombiniere, kann ich auf diese Weise Tonmaterial erzeugen, das ganz ähnlich klingt wie die magischen Kläne der Meereswellen. Aber was ist es eigentlich, was ich da aufnehme? Was ist Klang?

Quelle Bernie Krause: Das grosse Orchester der Tiere / Vom Ursprung der Musik in der Natur /  Aus dem Englischen von Gabriele Gockel und Sonja Schumacher / Verlag Antje Kunstmann München 2013 / ISBN 978-3-88897-870-8 (Zitat Seite 26) Noch einmal der Link zur Aufnahmensammlung, die zu diesem Buch gehört: HIER.

Susanne K. Langer: Pendel ZITAT

Wo der symbolische Prozess hochentwickelt ist, übernimmt er praktisch den Bereich der Wahrnehmung und des Gedächtnisses und drückt sämtlichen geistigen Funktionen seinen Stempel auf. Doch selbst in seinen höchsten Tätigkeiten folgt der Geist noch dem organischen Rhythmus, der die Quelle der vitalen Einheit ist: Dem Entstehen einer neuen, dynamischen Gestalt in eben dem Prozess, der eine frühere sich auflösen lässt.

Solche echten Rhythmen finden sich auch in der anorganischen Natur. Rhythmus ist zwar das Fundament des Lebens, aber nicht darauf beschränkt. Das Schwingen eines Pendels ist rhythmisch und wird nicht erst durch unsere organisierende Interpretation dazu (obwohl dank ihrer für uns aus einer bloßen Abfolge von Tönen – und mehr nehmen wir ja nicht wahr, wenn wir beispielsweise einer Uhr lauschen – ein Rhythmus entsteht). Die kinetische Kraft, die ein Pendel zum höchsten Punkt schwingen lässt, schafft das Potential dafür, dass es wieder zurückschwingt; das Aufbringen kinetischer Energie bereitet den Wendepunkt und das Zurückschwingen vor. Das allmähliche Abnehmen des Schwingungsbogens aufgrund der Reibung ist normalerweise nicht unmittelbar zu beobachten, daher scheint sich die Bewegung exakt zu wiederholen. Andererseits zeigt ein springender Ball eine rhythmische Bewegung ohne jedes Gleichmaß. Das eindrücklichste den meisten Menschen vertraute Beispiel für Rhythmus ist jedoch das Brechen der Wellen in einer gleichmäßigen Brandung.

(Susanne K. Langer a.a.O. Seite 246. – Fortsetzung siehe ZITAT oben)

Ein besonders schönes Beispiel für nicht-intentional angelegte Rhythmen ist das Läuten der Glocken. (JR)

Kurze Bollenkamerwandeling

Das Wesentliche ist unbeschreiblich

Der kleine Punkt auf dem linken Teil des Weges, ganz hinten, das bin ich:

Aus dem Waldstück dahinten hörte man die ganze Zeit, während wir uns näherten, den Kuckuck. Ohne Ende. Herrlich törichte Töne. Als wir dort ankamen: nichts als Wind und wispernde Kleinvögel.

Unversehens taucht aus den Dünen – mal hier mal dort – die winzige Turmspitze der Kirche von Den Hoorn auf. Wir befinden uns im Territorium der Großen Brachvögel. Mindestens einen hört man unverwandt schreien, manchmal mehrere. Der heftige Glissando-Ruf, aufjagend im Rahmen einer Quarte oder verminderten Quint, lässt sich leicht nachahmen, und wir haben den Eindruck, dass die Vögel bald über uns kreisen, um nach dem Urheber der unbekannten Pfiffe Ausschau zu halten, es wurde auch merklich stiller da oben. Nur vom Boden, aus der Ferne, war noch ein mächtig anschwellender Balzruf zu hören. Unnachahmbar. Ich sollte mich schämen.

Der Abend klingt aus beim Blick auf ein ziemlich aufgewühltes Meer. Wenn ich mich nicht irre, stehen da auch leere Weingläser auf dem Tisch. Verdejo im Paal 9. Meine Tonaufnahmen hatten nur das heftige Geräusch des Windes und vor allem die eigenen Pfeifversuche festgehalten.

Ich habe mir eine neue App aufs Smartphone runtergeladen, die wird mich auch morgen wieder beschäftigen: die App „Flora incognita“. Heute früh hatte sie mir im Handumdrehen den Namen Wiesenkerbel mitgeteilt, den ich vor Jahren hier mühsam erkundet habe. Bei den Zistrosen (?) oben hatte ich kein Glück mehr: der Akku war leer.

vorher nachher

Alle Fotos: E.Reichow

Das folgende Vimeo hier stellt allerdings alles in den Schatten, was man an einem bestimmten Tag des Jahres in einer bestimmten Stunde erleben kann. Und doch ist es genau diese Stunde, die man nicht vergisst.

Die Insel Texel kehrt des öfteren wieder in diesem Blog: wann hat es begonnen? Vielleicht hier? Oder hier? Und u.a. auch noch hier?

Am Tag danach: beim Paviljoen Kaap Noord

Sehen, Hören und

und was als Drittes?

Man stelle sich vor, wenn einem Hören und Sehen vergeht, – was bleibt? (Hoffentlich). Es gibt einen Artikel in diesem Blog, den ich anklicke, um mich zu erinnern. Gestern habe ich allerdings einen Fehler gemacht, und habe oben in das Suchfeld Hariri eingegeben (statt Harari). Und tatsächlich: die Makamen des Hariri wären lesenswert. Hier aber ging es mir um das Atmen, über das ich mich damals im Dezember gründlicher informieren wollte. Nein, ich wollte mir einfach dessen wieder bewusst werden. Hatte ich nicht gelesen, wie es Stockhausen erging? Als er Mary Baumeister mitteilte, er habe eine neue Methode des Atmens gefunden, lebte er nicht mehr lange. Das Risiko muss ich eingehen, zumal ich nicht mit Genialität vorbelastet bin.

Mir genügt es, das Meer zu sehen oder in der anderen Richtung einen hochbegabten Hund, der fotografiert wird, und wenn ich mich selbst auf einem Foto von hinten sehe, denke ich nicht, was Sie vielleicht denken, sondern weiß, dass ich in der Hand mein Huawei-Smartphone halte und den wunderschönen Gesang einer Drossel aufnehme. (Eines Tages werde ich ihn hier, an dieser Stelle, zum Abhören bereitstellen.) An etwa derselben Stelle, im Garten des Restaurants Worsteltent, haben wir zu anderer Jahreszeit schon mal eine Schwarzdrossel beim Beerenverzehr abgelichtet.

Ich schaue und höre, lese und übe, und nun soll ich dabei auch noch meine Atmung kontrollieren? Wer unterbricht mich, wenn ich nur döse, wer hilft mir, wenn ich mich dumm anstelle? Ich könnte sogar störrisch reagieren und behaupten, alles was ich zum Atmen brauche, finde ich genauso im Internet.

Zum Beispiel hier ? oder hier ? – natürlich auf eigene Verantwortung. Und dürfte es anderen nicht einfach weiterempfehlen, als sei ich ein Arzt. Das Buch, das ich lese, erzählt von allen Themen, die mit dem Atmen zu tun haben, und zwar so erschöpfend, dass ich mich schäme, den Atem immer nur mit dem Singen zusammengesehen zu haben. Trotz Yoga. Dabei habe ich vor Jahren mal vergeblich nach kompetenten Büchern gesucht. Eine Art Atemphilosophie. Das Standardwerk von Leo Kofler schien mir zu langweilig. Aber der Anfang war gemacht, damals im Januar 2008, – nur von dem „blöden Organ“, wie Roland Barthes die Lunge nannte, musste ich loskommen, siehe Fundstücke Nr.28 hier. Am Meer begreift man zunächst einmal, dass das Atmen wichtiger ist als das Singen.

Das Buch, von dem ich rede, liegt vor mir auf dem Tisch:

Jessica Braun: ATMEN Wie die einfachste Sache der Welt unser Leben verändert / Kein & Aber AG Zürich – Berlin 2019 ISBN 978-3-0369-5798-2

Auch der oben genannte Kofler kommt drin vor (Seite 180), übrigens: nicht zu verwechseln mit dem gleichnamigen Philosophen. Im Anschluss daran die Namen Schlaffhorst und Andersen, die auch mit einschlägigen Übungen auf Youtube zu finden sind.

Es gibt einen Grund, weswegen ich das Buch vielleicht nicht gekauft hätte, wenn ich, in einer Buchhandlung stehend, es hier und da angelesen hätte: ich mag nicht, wenn die Kapitel erzählend beginnen, wie ein SPIEGEL-Artikel (Enzensberger hat diesen Stil schon Ende der Fünfziger Jahre in „Kleinigkeiten“ beschrieben). Etwa wie im Kapitel 4. „Es liegt was in der Luft“ Seite 56:

An einem heißen Tag kurz vor Weihnachten stand ich auf dem Holzsteg, der in den Lake Clifton ragt. Ein Freund hatte mich hingebracht, um mir die Trombolithen zu zeigen: ein scheinbar endloser Uferstreifen perfekt gerundeter Steine, über die blaugrünes Wasser schwappt.

Ich habe lieber ein Sachbuch, das rein sachlich daherkommt, so knapp wie möglich, nicht ausladend einladend, wie ein Abenteuerroman. Aber kurze Zeit später hätte ich nicht mehr losgelassen:

Ich las, was auf der Tafel stand: „Vor Millionen Jahren produzierten die Vorfahren dieser Trombolithen den für das Leben an Land notwendigen Sauerstoff.“ Es war, als würde ich aus dem Bild herauszoomen, könnte einen Blick auf das größere Ganze werfen. Ohne Sauerstoff gäbe es nämlich weder den zwischen den Trombolithen herumstaksenden Reiher noch das im trockenen Uferlaub werkelnde Possum oder den Spaziergänger mit seinem Labrador, der uns auf dem Weg zum Steg gegrüßt hatte. Selbst der Wald, durch den wir zum See gewandert waren, braucht Sauerstoff.

Hier hätte ich nicht mehr stoppen können, vielleicht hätte ich nur noch zwischendurch auf dem Smartphone nachgeschaut, was ein Possum (aha! Australien!) ist, aber dann weiter im Text. Ich fühle mich gern überlistet. Ein anderes Beispiel: in der Frage, was ein Muskelkater ist, hätte ich mich vielleicht zufriedengegeben mit dem alten Vorurteil: ein gutes Zeichen, der Körper merkt, dass er neue Muskeln bilden soll. Hier beginnt die Wahrheit auf Seite 96 mit dem Wort „Adenosintriphosphat, kurz ATP“, und ich lese trotzdem gespannt weiter, es geht darum, wie der Körper ins Meer eintaucht.

Wie schnell die Ermüdung eintritt, hängt von der Sauerstoffmenge ab, die der Körper aufnehmen kann. Kommt Bewegung in die Beine, signalisieren Sensoren dem Atemzentrum: Mehr Luft! Dessen Neuronen treiben die Atemmuskeln an: Zuerst zieht sich das Zwerchfell mit jeder Einatmung stärker zusammen. Genügt das nicht, helfen die Treppenmuskeln mit. Ein Atemzug, der sonst vier Sekunden dauert, kann sich so bis zu eineinhalb Sekunden verkürzen. Obwohl dadurch mehr Sauerstoff in der Lunge ankommt (und in Folge der Anstrengung auch mehr Kohlendioxid), verändert sich der Partialdruck dieser Gase dort erstaunlicherweise kaum, solange wir uns auf Höhe des Meeresspiegels befinden. Möglich ist das, weil jeder von uns mit einem überproportionierten Atmungsapparat herumläuft. Jedes Säugetier, egal ob Igel oder Giraffe, hat zwischen 300 und 500 Millionen Lungenbläschen. Deren Gesamtfläche variiert zwar mit der Körpergröße, ist wie diese aber genetisch bedingt: Sie lässt sich nicht wirklich vergrößern. Luft nach oben ist dennoch, zumindest bei größeren Lebewesen wie dem Menschen. Nicht alle unserer Lungenbläschen nehmen auch am Gasaustausch teil. Etliche sind genügend von ihnen aktiviert, diffundieren im Extremfall pro Minute bis zu sieben Liter Sauerstoff von der Lunge ins Blut. Untrainierte nutzen von dieser Kapazität vielleicht die Hälfte. Selbst nach einer Lobektomie, also wenn Lungengewebe entfernt wurde, kann ein Patient soviel Sauerstoff aufnehmen wie zuvor, wenn er sich ausreichend bewegt. Belastung bedeutet in Bezug auf die Lunge nur, die eigenen Möglichkeiten auch auszuschöpfen. Denn in jedem von uns steckt ein zu Atemhöchstleistungen geborener Superheld.

Das höre ich doch gern, muss aber zugeben, dass ich nach dem „Adenosintriphosphat, kurz ATP“ vergessen habe, die Auflösung zum Phänomen Muskelkater zu liefern. Davon nur noch ein paar Zeilen:

Die Atmung beschleunigt sich – das Kohlendioxyd muss raus – während sich das Laktat bei anhaltender Belastung in Muskeln und Blut anreichert. Früher dachte man, dieses sei schuld am Muskelkater. Heute geht man davon aus, dass die Muskelfasern zwar ermüden, weil sie in dem veränderten Milieu nicht mehr optimal arbeiten können. Die Schmerzen am nächsten Tag rühren aber wohl nicht vom Laktat her, sondern von Minirissen in den Muskelfasern. (a.a.O. Seite 96)

Falls meine Zitate interessierte Blogleser zum Kauf des Buches anregen, – was ich gern in Kauf nehme, aber nicht direkt beabsichtigte -, sollte ich doch nach anmerken, weshalb ich vorsichtig wäre, wenn und ob ich das Buch weiterverschenke und vor allem an wen… Zum Beispiel nicht an einen entfernten Großneffen, etwa zur Kommunion, und auch nicht an meine Patentante zum 85. Geburtstag, selbst wenn sie im Luftkurort Bad Salzuflen lebte und sich ernsthaft für das Thema interessierte: ich möchte nicht, dass mich später jemand streng anschaut, als sei ich persönlich der Verfasser des Kapitels über alternative Sexpraktiken und versehentliche Selbststrangulation (Seite 295 ff). Auch die Seiten über den allerletzten Atemzug sollte niemand als Wink verstehen können, dass es nun bald soweit sei.

Ich kann nicht schließen, ohne die kürzesten Übungen, mit denen das Buch endet, zur täglichen oder nächtlichen Beherzigung folgen zu lassen:

EINSCHLAFEN

Legen Sie sich auf den Rücken. Atmen Sie vollständig durch den Mund aus. Spüren Sie , wie Ihr Körper schwer in die Matratze sinkt. Nun atmen Sie durch die Nase ein, während Sie innerlich bis vier zählen. Halten Sie den Atem an und zählen Sie dabei bis sieben. Lassen Sie bis acht zählend den Atem sanft durch die Nase ausströmen. Setzen Sie die Übung fort, bis Sie eingeschlafen sind. Anfangs kann sich die Atempause auf sieben zu lange anfühlen. Passen Sie diese ruhig an, aber versuchen Sie mit jedem Mal üben, ein bisschen länger zu halten, bis auch die sieben angenehm ist.

ATEMSTILLE ÜBEN

Nutzen Sie den nächsten Spaziergang, um Atempausen zu üben. Gehen Sie dafür hundert Schritte in gleichmäßigem Tempo, während Sie den Atem anhalten. Versuchen Sie den Atemreiz vorbeiziehen zu lassen, indem Sie sich auf die Bewegungen Ihres Körpers fokussieren.

Beides hat sich schon bewährt. Aber als ich gestern Nacht die erste Übung fortgesetzt hatte, bis ich eingeschlafen war, wachte ich auf und fragte mich, ob ich nicht doch zu früh aufgehört hatte und nur deshalb wieder aufgewacht bin. Oder ob ich etwas verwechselt habe und mich nun vor nächtlicher Atemstille fürchtete. Heute werde ich mich früher hinlegen, um mehr Zeit zum Üben zu haben. Morgens will ich auf jeden Fall ein großes Aufatmen erleben. (Das ist meine Erfindung. Die Sache mit Stockhausen werde ich nie vergessen.)

Ein Letztes: Das Hyperventilieren am Strand verleitet mich leider zu Scherzen, wie ich sehe; in Wahrheit lese ich in dem großen Buch vom Atmen immer wieder aufs Neue. Und zwar ernsthaft. Eine Quelle der Anregung!

Nachtrag Ende Mai

Es war an der Zeit, mich eines Buches zu entsinnen, das ich am 19.10.1961 mit dem Vorsatz strengster Beachtung zugelegt habe; allerdings wuchsen im Laufe der Zeit auch die Zweifel, und das konnte auf die Dauer nicht gut enden. So also eine Wiederentdeckung unter neuen Vorzeichen, – welche Überraschung: mussten wirklich erst 50 Jahre vergehen?

Quelle Swami Sivananda Sarasvati: (Übungen zu) Konzentration und Meditation / Otto-Wilhelm-Barth Verlag / deutsche Übersetzung: Ursula von Mangoldt / München Planegg / 2. Aufl. 1959

Libellen aus der Nähe

Mit einem Blick auf Metamorphose und Evolution

Ausgangspunkt war ein Artikel in der Zeitschrift NATUR, dann die Kontaktaufnahme mit dem Fotografen der eindrucksvollen Libellen-Fotos. Zu seiner Website geht es hier.

Was ist eine Libelle? Siehe bei Wikipedia hier.

Die Frage: wie ist überhaupt eine solche Metamorphose möglich, dass sich ein Wurm oder eine Larve gewissermaßen in ein völlig anderes Tier verwandelt? Werden Märchen wahr oder gilt auch hier Darwins Evolutionslehre? Dazu ein kurzer Text, der nicht direkt die Libelle betrifft, aber für sie genauso gilt. Ansonsten Bilder von Dr. Ferry Böhme ©, mit Dank für die freundliche Erlaubnis, sie hier wiederzugeben.

ZITAT

Jungtiere stellen wir uns gern als kleinere Varianten der ausgewachsenen Tiere vor, zu denen sei einmal werden, aber das ist bei weitem nicht die Regel. Die Tiere, deren Lebensgeschichte ganz anders abläuft, sind vermutlich sogar in der Mehrheit. Viele Jungtiere führen ein ganz eigenes Leben und sind auf eine andere Lebensweise spezialisiert als ihre Eltern. Plankton besteht zu einem beträchtlichen Teil aus schwimmenden Larven, und ihr Erwachsenenleben wird – falls sie überleben, was statistisch unwahrscheinlich ist – ganz anders aussehen. Die Larven vieler Insekten übernehmen einen großen Teil der Nahrungsaufnahme und bauen einen Körper auf, während sich die erwachsenen Tiere, die schließlich durch Metamorphose aus ihnen hervorgehen, allein der Weiterverbreitung und der Fortpflanzung widmen. In Extremfällen wie der Stubenfliege frisst das ausgewachsene Tier überhaupt nicht mehr, und entsprechend besitzt es weder Darm noch andere aufwendige Verdauungsorgane – die Natur ist stets knickerig.

Eine Raupe ist eine Fressmaschine. Wenn sie mit Hilfe ihrer pflanzlichen Nahrung zur rechten Größe herangewachsen ist, „recycelt“ sie ihren Körper und wird Schmetterling, der fliegt, Nektar als Flugbenzin saugt und sich fortpflanzt. Auch erwachsene Bienen nutzen Blütennektar als Treibstoff für ihre Flugmuskulatur, während sie den Pollen (eine völlig andere Nahrung) für ihre wurmförmigen Larven sammeln.

(Fortsetzung s.u.)

 Alle Fotos: ©Ferry Böhme

ZITAT (Fortsetzung)

Viele Insektenlarven leben unter Wasser, bevor sie als erwachsene Tiere schlüpfen, durch die Luft fliegen und ihre Gene auf andere Gewässer verteilen. Ganz unterschiedliche wirbellose Meeresbewohner leben im Erwachsenenstadium am Meeresboden und heften sich dort manchmal auf Dauer an einer einzigen Stelle fest; die ganz anders aussehenden Larven dagegen verbreiten ihre Gene, indem sie im Plankton schwimmen. Zu diesen Tieren gehören Weichtiere, Stachelhäuter (Seeigel, Seesterne, Seegurken, Schlangensterne), Seescheiden, viele Arten von Würmern, Krebse, Hummer und Rankenfüßer. Parasiten machen in der Regel mehrere Larvenstadien durch, von denen jedes seine charakteristische Lebens- und Ernährungsweise hat. Häufig sind die verschiedenen Stadien ebenfalls Parasiten, die sich aber verschiedener Wirtsorganismen bedienen. Manche parasitischen Würmer durchleben nicht weniger als fünf getrennte Jugendstadien, und in jedem davon leben sie anders als in allen übrigen.

Das alles bedeutet, dass jedes Individuum die vollständigen genetischen Anweisungen für alle Larvenstadien und ihre unterschiedlichen Lebensweisen in sich tragen muss. Die Gene einer Raupe „wissen“, wie man einen Schmetterling aufbaut, und die Gene des Schmetterlings wissen, wie man eine Raupe entstehen lässt. Zweifellos sind an der Entstehung dieser beiden grundverschiedenen Körper in vielen Fällen genau dieselben Gene auf unterschiedliche Weise beteiligt. Andere Gene liegen ruhend in der Raupe und werden erst im Schmetterling aktiviert. Wieder andere sind in der Raupe aktiv und geraten in Vergessenheit, wenn der Schmetterling entsteht. Aber die Gesamtausstattung mit Genen ist in beiden Organismen vorhanden und wird an die nächste Generation weitergegeben. Was wir daraus lernen können: Wir sollten uns nicht allzusehr wundern, wenn Tiere gelegentlich so unterschiedlich sind wie Raupen und Schmetterlinge, obwohl sich das eine aus dem anderen entwickelt hat. Was ich damit meine, möchte ich genauer erklären.

Märchen sind voller Verwandlungen: Aus Fröschen werden Prinzen, und ein Kürbis verwandelt sich in eine Kutsche, gezogen von weißen Pferden, die zuvor weiße Mäuse waren. Solche Phantasien widersprechen dem Evolutionsgedanken zutiefst. Sie können sich in Wirklichkeit nicht ereignen, und das nicht nur aus biologischen, sondern auch aus mathematischen Gründen. Solche Verwandlungen wären aus sich heraus genau so unwahrscheinlich wie ein vollkommenes Blatt beim Bridge, das heißt, unter allen praktischen Gesichtspunkten können wir sie ausschließen. Dass sich eine Raupe in einen Schmetterling verwandelt, ist dagegen kein Problem: es geschieht ständig, und die Regeln dafür wurden im Laufe der Erdzeitalter von der natürlichen Selektion aufgestellt. Und obwohl man noch nie gesehen hat, wie sich ein Schmetterling in eine Raupe verwandelt, sollten wir uns darüber nicht so wundern wie über die Verwandlung eines Froschs in einen Prinzen. Frösche enthalten keine Gene für die Produktionen von Prinzen. Aber sie enthalten die Gene für die Herstellung von Kaulquappen.

Quelle des zitierten Textes : Richard Dawkins: Geschichten vom Ursprung des Lebens / Eine Zeitreise auf Darwins Spuren / Unter Mitarbeit von Yan Wong / Aus dem Englischen von Sebastian Vogel / S.448 f / ISBN 978-3-550-08748-6 Ullstein Buchverlage GmbH Berlin 2008 /

Zur Metamorphose in der Zoologie bei Wikipedia hier

Ein weiteres Buch zur Ergänzung?

Oder noch viel mehr Libellen? Erwidern Sie doch den Blick!

Tecklenborg Verlag ISBN 978-3-844327-63-1

Schnellkurs in Grundgesetz

Übrigens: Warum heißt es nicht Verfassung?

Das gilt durchaus nicht für jede Lanzsendung, und auch nicht für jedes Thema, aber dies war eine Sternstunde des politischen Denkens. 40 Minuten hochinteressante Staatsbürgerkunde.

Beginnen bei ca. 3.00 bis ziemlich genau 43:00 mit den Gästen Ranga Yogeshwar und Hajo Schumacher (sehr empfehlenswert auch das anschließende Gespräch mit dem Arzt Dr. Tankred Stöbe bis 1:1:15).

 Direkt: hier

Den ZEIT-Artikel über Todesstrafe zur Ergänzung zu lesen? Abrufbar und nachzulesen unter Alard von Kittlitz.

Des weiteren: sehr bemerkenswert die Gedanken von Juli Zeh zum Grundgesetz in der Lanz-Sendung gestern Nacht (22. Mai) HIER Link bis 21.6. abrufbar (danach möglichst durch youtube-Video ersetzen) – Gut auch über Österreich und die neue Rolle des Journalismus: Florian Klenk .

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Quelle Heinrich August Winkler, Historiker, in HÖRZU 17.5.2019 Seite 18

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DAS GRUNDGESETZ LESEN?

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