Archiv der Kategorie: Antikes Griechenland

Mysterien des Dionysos

Immer wieder muss ich darauf zurückkommen, zuletzt war es hier, auch wenn der Artikel auf ganz andere Themen auszuweichen scheint.

Ein neuer Blick auf Pompeji

Heute würde ich das bewunderswerte Buch von Zuchtriegel zum Ausgangspunkt für einige zusätzliche Erkundungsreisen ins Internet verwenden.

Quelle: Wikimedia Wolfgang Rieger 2009

https://de.wikipedia.org/wiki/Mysterienvilla hier

Quelle des folgenden Zitates siehe im nachfolgenden Wiki-Link:

Friedrich Nietzsche hat mit seiner Unterscheidung zwischen dem dionysischen und dem apollinischen Prinzip in Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik einen wichtigen – im Einklang mit den antiken Denkern stehenden – wenn auch zu seiner Zeit kontroversen Beitrag zur Deutung des Dionysoskultes wie des Theaters geleistet. Unter dem apollinischen Prinzip versteht er das Prinzip der Individuation; das entgegengesetzte dionysische Prinzip ist daher nicht das Aufgehen des Einen im Vielen, sondern umgekehrt das Aufgehen des Vielen im Einen. Wenn also zum Beispiel Heraklit sagt:

Alles ist eins, so ist das dionysisch. Folglich kommt Nietzsche zu dem Ergebnis: Unter dem Zauber des Dionysischen schließt sich nicht nur der Bund zwischen den Menschen wieder zusammen, auch die entfremdete und feindlich unterjochte Natur feiert wieder ihr Versöhnungsfest ….

Dieser Rückblick auf Nietzsches frühes Werk kommt meinen autobiographischen Neigungen sehr entgegen. Zumal wenn ich den spannenden Artikel über den Dionysos-Kult studiere und einen riesigen Horizont wahrnehme, von dem ich in den 50er Jahren nicht die geringste – oder nur eine ganz dunkle Ahnung hatte, dank Nietzsche (und seinem Wagner):

hier

Quelle: Wiki a.a.O.

Nicht sicher, ob es einen nach so vielen Jahren in einer großen Ekstase heilt. Oder letztendlich zerreißt. Vielleicht etwas weniger spektakulär als Pentheus.

Homer zum Reden bringen? (Versuch)

… er spricht gar nicht wie ein Professor

Schadewaldt etwa? Oder wer? Sagen wir: manch Altphilologe, der uns sonst nie begegnet ist … Selbst diese Version ist erst knapp NACH meiner Schulzeit greifbar gewesen (fertiggestellt 1958).

Quelle s.u.

Es ist ziemlich genau 20 Jahre her, dass ich mir diese Ausgabe zugelegt habe, mit dem festen Vorsatz sie zu lesen. Und bin – glaube ich – im Zweiten Gesang steckengeblieben. Dies zu begründen wäre leicht, aber auch langweilig. Ich habe z.B. verpasst, die hochinteressante Einleitung (Nachwort im Anhang!) zu lesen, besessen von dem Wunsch, einfach nur einzutauchen in die antike Welt. Dabei kannte ich sie doch einigermaßen aus der Schule, sogar aus der Arbeit am griechischen Originaltext. Jetzt hatte ich zugleich eine CD mit der Stimme Wolfgang Schadewaldts, der einige (aussprachetechnisch gewöhnungsbedürftige) Originaltexte aus dem  Ersten und Fünften Gesang bot. Er lebte. Unten habe ich aus alter Dankbarkeit einiges kopiert, nicht ahnend, dass mein neu gewecktes Interesse viel länger anhalten würde. Wie unter Druck habe ich das ganze Werk durchgelesen, mit nur wenigen Sprüngen im mittleren Bereich. Die Lektüre hat Tage gedauert. Der folgende Vortrag ist neu, alle Themen scheinen mir nah und notwendig. Anders als ich es aus dem (germanistischen) Hörsaal von einst erinnere. Näher als z.B. Gotisch. Am Anfang – „badische Herkunft“ – er bezieht sich auf die Schreibweise „vielgreister Mann“… kleiner Scherz. Es beginnt aber wirklich mit der Herkunft der Odyssee, 7. Jhdt. v.Chr., Endprodukt einer langen Zeit mündlicher Überlieferung… Euböa, phönizisches  Alphabet, Hesiod, Nestorbecher , „Homerfrage“ (8:10) – er redet doch gut… Inhalt plus Deutung (Anfangsverse der Odyssee ab 16:25)

Apologe – Apologoi – Berichte

13:20

25:35 Phaiaken

40:00

https://www.chbeck.de/zimmermann-handbuch-griechischen-literatur-antike-bd-1-literatur-archaischen-klassischen-zeit/product/24128 Hier

https://de.wikipedia.org/wiki/Bernhard_Zimmermann_(Philologe) hier

Ich habe immer solche Anschübe gebraucht, Anfang der 50er Jahre war es das Buch „Quo vadis“, etwas später der gleichnamige Film (hier). 2004 der Film „Troja“ , zu dessen Besuch ich auch Freund Klaus Giersch animierte, gemeinsam amüsierten wir uns über den hölzernen Schönling Achilles (Brad Pitt). Später „Das Gewand“ , mit ärgerlicher christlicher Mission am Schluss. Auch „Ben Hur“ . Seit den 60er Jahren sah ich keine Historienfilme mehr, die Forschung ist lebendiger. Vielleicht war es auch umgekehrt:  meine immer wieder aufflackernde Griechen-Begeisterung machte den Film – dank Erinnerung an „Quo vadis“ – zur (bloßen) Pflichtübung…

*    *    *

Wolfgang Schadewaldt über die Autoren bzw. Fassungen der Odyssee (aus dem Nachwort des ganz oben abgebildeten Werkes) :

auch Kurzinhalt: die äußere und die innere Heimkehr des Odysseus (nicht „Irrfahrten“)

Was Schadewaldt übers Homer-Übersetzen schreibt, im Versmaß oder Prosa, zu Satzstellung und ungewöhnlichen Wortbildungen, über das zu erhaltende „Fremde“ . Interessant auch Bezug auf Goethe.

s.a. J.H.Voss hier

Quelle HOMER Die Odyssee Deutsch von Wolfgang Schadewaldt /Rowohlt Taschenbuch Verlag Reinbek bei Hamburg 1958 (2003) ISBN 3 499 226316

https://www.discogs.com/de/release/15134534-Homer-4-Wolfgang-Schadewaldt-Odyssee-Aus-Dem-Ersten-Und-F%C3%BCnften-Gesang hier

(fehlt)

https://graecum-latinum.de/gr_texte/texte_herodot_thermopylen_karten.pdf hier

(sinnvollere Fortsetzung folgt vielleicht)

Das Land der Griechen . . .

. . . mit der Seele . . .  ?

In der Schule wohl kaum. Aber ob ich mich ohne sie je an Menander erinnert hätte? In der GUO1, Unterprima, 1958, das genaue Datum 15.8. steht unter dem Schrieb da unten, – am 31.8. starb mein Vater.

Wie man sieht, dachte ich an Robert Musil. Meine Rettung. Glasklare Mystik. Und an einer so kleinen Griechisch-Aufgabe scheiterte ich. 15.8.1958 . Unterschrift : Winkler. Oberstudiendirektor, und doch ein tadelloser Lehrer und Mensch. Er hat mir nachher unentgeltlich Nachhilfestunden gegeben.

Die genannten Städte Aigesta und Eryx betreffen Karthago. Hätte ich je auf die Idee kommen können, dass sich hinter Menanders blass gedruckten Texten Bühnenszenen von solcher Lebendigkeit verbargen?

um 200 v.Chr.

Wann hätte ich je das Cover-Bild der Schullektüre betrachtet, um es als Zeugnis einer stattgefundenen Realität zu erschließen? Leute, die mit Masken(köpfen) hantieren?

Worin also liegt die Lebendigkeit, die sich wirklich in solchen griechischen Festen Luft verschafft, in der Trilogie von Tragödien, denen ein Satyrspiel folgt. Was geschieht da wirklich an innerer Bewegung? Wir können sie nicht imitieren oder gar amalgamieren, wir müssen sie mühsam erarbeiten. Ich habe erst eine Ahnung davon bekommen bei – ja, ausgerechnet bei Oswald Spengler, einst! und jetzt bei Christian Meier, der lediglich schreibt, was ihm sonnenklar erscheint:

daß es sich bei den Griechen mit den Festen sehr anders verhalten haben muß als bei uns. Genaueres darüber wird man wohl am ehesten durch Analogieschlüsse aus ethnologischen Erkenntnissen ermitteln können.

Ein unschätzbares Buch:

Quelle Christian Meier: Die politische Kunst der griechischen Tragödie / C.H. Beck München 1988, ²2022

Oder läuft es über eine gelungene Übersetzung? Etwa von einem, der das Land der Griechen mit der Seele suchte? Gewiss, es ist angemessen, diese Welt über das WORT zu packen (statt über die Visualität). (Eingedenk der Zeile von Stefan George: Kein Ding sei, wo das Wort gebricht.)

Aber schon der Weg zu Hölderlin ist steinig, doppelt schwer vielleicht der Weg über ihn (mit ihm) ins Land der klassischen Antike, das uns von lauter Statuen zugestellt ist. Aber die Worte und der Geist? Ungreifbar, unbegreifbar.

http://www.hoelderlin.de/materialien/pdf/kolonos.pdf  hier (öd = Ödipus, an = Antigone)

öd o augenlicht
antigone sind häuser nahe
wo ich betteln kann
um etwas
ich ödipus
von leid gelehrt
die lange zeit
und einsicht
königliche
kind ruhen muß ich
ists verboten hier
so hörts der fremde
früh genug
an o vater nah ist die stadt
und heilig scheint der ort
drin schlägt die nachtigall
öl wein und lorbeer
wachsen beieinander wild
dort läd ein rauher stein
den wanderer zur ruhe
öd achte auf mich blinden kind
an lernt ich es nicht
öd wo bin ich
an dort hinten liegt athen
öd den weg her hör ich das
an ich frage wenn du willst
öd wo keiner da ist

https://www.projekt-gutenberg.org/autoren/namen/sophokle.html hier

http://www.hoelderlin.de/eingang.html hier

https://de.wikipedia.org/wiki/D._E._Sattler hier

Das gesprochene Wort in der griechischen Kultur – eine unvergleichlich große Macht (S.12)

Die Ausstattung war wahrscheinlich abstrakt und konventionell: die Worte allein erschufen die Szenerie vo dem geistigen Auge des Zuschauers. (S.36)

Quelle Richard Green / Erich Handley: Bilder des griechischen Theaters / Reclam Stuttgart 1999

Der griechische Leib

  Anmerkung: Heimarmene

  

Quelle Oswald Spengler: Der Untergang des Abendlandes / Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte / C.H.Beck München 1923, Ausgabe 1963

Ein Maximum an Passivität?

hier Griechische Klassik

KNABENLIEBE Hier

https://de.wikipedia.org/wiki/Orestie hier AISCHYLOS

Für ein 1954 gemeinschaftlich vom SWF/BR/RB/ORF unter der Regie Gert Westphals produziertes Hörspiel übersetzte und bearbeitete Walter Jens die Trilogie. Sein Ziel war es, die Tragödie in ihrer ganzen Unmittelbarkeit wirken zu lassen. Wie viele Hörspiele dieser Zeit hat es Kammerspiel-Charakter und kommt ohne besondere Toneffekte aus.

Abrufbar unten: Die Orestie – Hörspiel

Dazu als alternative Übersetzung:

https://otto-schoenberger.de/meisterdramen/agamemnon.html hier

Pressetext zum Hörspiel

Bei oberflächlicher Betrachtung erscheinen uns heute die Gestalten und Begebenheiten der „Orestie“ allzuleicht als barbarische Greuel einer längst vergangenen Frühzeit: Agamemnon lässt seine Tochter Iphigenie opfern, um günstigen Fahrtwind nach Troja zu bekommen. Klytämnestra ermordet ihren siegreich aus Troja zurückkehrenden Gemahl Agamemnon. Orest erschlägt, um den getöteten Vater zu rächen, seine Mutter Klytämnestra und deren Liebhaber Ägisth. Von den Rachegöttinnen gejagt, irrt Orest ruhelos durch Griechenland, bis er sich auf Geheiß des Gottes Apollon dem Gerichtshof von Athen stellt. Diesen Vorgang hat Aischylos in einer Trilogie gestaltet. Er hat damit aber nicht eine Vision des Nichts und der Grausamkeit beschwören wollen, sondern, und das ist das Entscheidende, die Nichtigkeit aller Menschengröße gezeigt und gleichzeitig die Größe des Menschen, der den Kampf mit seinem Schicksal annimmt. Es ist eine Macht oberhalb und außerhalb des Menschen. Daß er sich nicht mit der Verzweiflung begnügt, sondern handelt, macht seine tragische Größe aus. Aischylos wäre kein Grieche gewesen, wenn sein Blick nur die Nachtseite des Lebens umfasst hätte. Am Ende wird Orest von der Göttin Athene freigesprochen, weil das Gericht der Menschen vor der Gewalt seiner Schuld versagt. Orest darf in das Leben zurückkehren. Die Götter haben den Menschen mit einem Fluch belegt, die Götter befreien ihn von diesem Fluch.

Veröffentlichung: 1954 Autor: Aischylos Komposition: Rolf Unkel Technische Realisierung: Friedrich Wilhelm Schulz, Marlies Kranz Regieassistenz: Lothar Timm Regie: Gert Westphal

Hören bis Min. 48.04 (Ende des 1. Teils „Agamemnon“, im letzten Wort wir Orest angekündigt). Danach: „Die Grabesspenderinnen“ dazu hier https://www.projekt-gutenberg.org/aischylo/grabess/grabess1.html / Korrekter Titel Coephoren (siehe nochmals Wiki hier)

Anfangs in „Agamemnon“ die Leuchtfeuerstationen (wiederum aus Wikipedia):

  – im Originaltext bei Schoenberger der Wortlaut entsprechend „Klytaimestra“ wie folgt:

Hephaistos war der Bote, der vom Ida leuchtenden Glanz aussandte. Und ein Flammenzeichen löste im Postenlauf des Feuers das andere aus: Vom Ida zum Hermesfels auf Lemnos, und von dieser Insel empfing der Athosberg des Zeus den dritten mächtigen Fackelschein; (285) übergewaltig drang die Kraft des wandernden Feuerscheins vorwärts, übersprang wie im Scherz den Meeresrücken, gab sonnengleich den golden leuchtenden Glanz den Warten des Makistos weiter. (290) Der aber, nicht zögernd oder achtlos von Schlaf übermannt, erfüllte seine Botenpflicht und meldete die Ankunft des Feuerzeichens den Wächtern auf dem Mesapios, fern bei den Fluten des Euripos. Diese wieder steckten einen (295) Haufen trockenen Heidekrauts in Brand, entfachten ein Feuer und gaben so die Botschaft weiter. Kraftvoll und durchaus nicht erlahmt übersprang der Fackelschein die Asoposebene wie der glänzende Mond, hinüber zum Felsgebirg des Kithairon, und weckte einen weiteren Feuerposten. (300) Die Wache sparte nicht am weithin meldenden Licht, ja sie verbrannte mehr Holz, als angeordnet war. Über den Gorgopis-See flog nun das Licht, kam zum Geißberg und trieb die Wächter an, befohlenes Feuer eilig zu entfachen. (305) Diese senden, die Flamme reichlich nährend, eine mächtige Feuersäule, die sogar die weithin sichtbare Steilküste des Saronischen Golfs übersprang; darauf eilte sie weiter und kam zur Arachnaion-Höhe, der Warte nahe unserer Stadt. (310) Dann drang das Licht, das dem Feuer auf dem Ida entstammte, hierher zum Dach der Atriden. Dies also war die Ordnung der Feuerzeichen, die ihre Pflicht der Reihe nach erfüllten. Den Preis aber gewinnen der erste und der letzte Läufer. (315) Solches Zeugnis und Zeichen meines Gatten nenne ich dir; er sandte es mir aus Troia.

Zur Erinnerung betr. Aischylos und das Schweigen TRISTAN (1.11.24)

Quelle: Musik gedeutet und gewertet / Dokumente zur Rezeptionsgeschichte von Musik (Klüppelholz, Busch) dtv 1983

Warum die „alten Griechen“?

Hast du nicht Besseres zu tun? Aktuelleres?

Doch, natürlich, ich habe heute Morgen schon das Solinger Tageblatt gelesen und mich geärgert über den dort „getriggerten“ Kulturbegriff, der zur Auflösung des (sehr guten) Orchesters führen könnte.

Und dann lese ich Mails, darin u.a. die von Martin Hufner, mit anderen Worten den Newsletter der nmz, und es ist mir, als sei ich persönlich gemeint mit meinen alten Griechen:

„Zeige Deine Wunde“ verlangte schon Joseph Beuys, und es ist die Aufgabe von Kunst, genau dies zu tun. Kultur ist der öffentliche Raum, in dem gesellschaftliche Konflikte verhandelt werden müssen, dafür ist sie da. Schon die ersten antiken Theaterstücke waren Spiegelbild der damaligen politischen Situation und zeigen die Sorgen und Ängste der damaligen Menschen. Nicht jeder dieser Subtexte wird heute verstanden, aber wir spüren, dass es Themen darin gibt, die uns heute noch berühren.

Das ist der Grund, weshalb ich nicht einfach alte Schulbücher rekapituliere – gleichsam wie mein eigener alter Großvater, wenn er aus dem Frankreich-Feldzug erzählte, den er im Ersten Weltkrieg mitgemacht hat, – sondern Christian Meiers Buch „Die politische Kunst der griechischen Tragödie“. Siehe hier.

Und empfehle als Supplement-Text altgriechischer Tradition dringend den von Moritz Eggert im „Bad Blog of Music“ zum Thema:

Skylla und Charybdis HIER

(allerdings entscheide ich mich schon im Titel für diese Schreibweise, bei „Szylla“ bäte ich um Bedenkzeit)

ZITAT

„Liegt Skylla links Charybdis rechts bereit
was kann dem armen Erdenbürger glücken
der falsche Weg ist Meilen breit
der rechte schmäler als ein Messerrücken.“

(Ludwig Fulda)

Muss Kultur politisch sein? Sicher nicht. Befindet sich Kultur momentan in einer politischen Situation? Ganz sicher ja.

Mozart und die Anmut eines Tempels

Gefrorene Musik?

Ja, dieses Fragekürzel bezeichnet die Ausgangslage bzw. den möglichen Diskussionspunkt. Wer war es denn, – Schopenhauer, Schelling oder Valéry -, der gesagt hat, Architektur (samt deren Ableger Bildhauerei) sei gefrorene Musik. Ich bin zum Widerspruch aufgelegt, obwohl ich gern über die Differenz nachdenke. Zumal wenn man beim Musikhören an größere Formen denkt, die man im Sinn hat, Figuren in einem gedachten Raum.

Wer weiß, ob ich nicht in Wirklichkeit an ein ganz anderes Tempelchen gedacht habe, bei uns im Bergischen Land. Die waldreiche Landschaft spielt mit. Weitläufige Wanderungen.

Kein griechischer Tempel

Ich erinnere mich an die begeisterte Lektüre eines rororo-Bändchens mit Gedichten von Paul Valéry und die Essays in Form sokratischer Dialoge: Die Seele und der Tanz / Eupalinos oder Der Architekt. Erworben im Nachklang meiner Schulzeit, die 1960 endete (u.a. mit starker Wirkung der AG Moderne Lyrik bei Karl Ernst Nipkow), – entdeckt und zerlesen seit einem Langeoog-Urlaub (Insel-Bücherei Krebs) im August 1962. Die Seeluft gehört dazu, wenn auch bei Valéry wohl  immer die mediterrane gemeint ist.

PHAIDROS [erzählt von einem Achitekten namens Eupalinos, der u.a. folgendes äußerte]:

Ich bin geizig mit Träumen. Wenn ich mir etwas vorstelle, ist es schon immer, als führte ich etwas aus. Niemals mehr betrachte ich in dem unabgegrenzten Raum meiner Seele jene eingebildeten Bauwerke, die in bezug auf wirkliche Gebäude das sind, was die Schimären und Gorgonen darstellen im Verhältnis zu wirklichen Tieren. Aber das, was ich denke, läßt sich ausführen; und das, was ich ausführe, geht auf ein Einsehen zurück . . . Und dann . . . Höre, Phaidros (sagte er mir noch), der kleine Tempel, den ich einige Schritte von hier für Hermes gebaut habe, wenn du wüßtest, was er für mich bedeutet! – Wo der Vorübergehende nichts sieht als eine elegante Kapelle – eine Kleinigkeit: vier Säulen, ein sehr einfacher Stil, – da habe ich die Erinnerung an einen lichten Tag meines Lebens untergebracht. O süße Verwandlung! Dieser zarte Tempel, niemand ahnt es, ist das mathematische Bildnis eines Mädchens von Korinth, das ich glücklich geliebt habe. Er wiederholt getreu die besonderen Verhältnisse ihres Körpers. Er lebt für mich! Er gibt mir zurück, was ich ihm gegeben habe . . .

– Deshalb also ist er von so unerklärlicher Anmut, erwiderte ich ihm. Man fühlt wirklich in ihm die Gegenwart einer Person, die erste Blüte einer Frau, die Harmonie eines entzückten Wesens; er erweckt ungefähr eine Erinnerung, die es nicht bis zu ihrem Umriß bringen kann; und dieser Anfang eines Bildnisses, das du in seiner Vollendung besitzest, hört nicht auf, die Seele zu stechen und zu bestürzen. Wenn ich mich meinen Gedanken überlasse, so möchte ich ihn, weißt du, vergleichen mit einem Hochzeitsgesang, in den sich Flöten mischen, und ich fühle ihn in mir aufkommen.  (. . . . )

Ich kann dir nur andeuten, welche Wahrheiten, wenn nicht Geheimnisse du da eben gestreift hast, da du mir von Musik sprachst, von Gesängen und von Flöten im Hinblick auf meinen jungen Tempel. Sag mir (da du so empfänglich bist für die Wirkungen der Architektur), hast du nicht beobachtet, wenn du dich in dieser Stadt ergingest, daß unter den Bauwerken, die sie bevölkern, die einen stumm sind, die andern reden, und noch andere schließlich, und das sind die seltensten, singen? – Diese äußerste Belebtheit geht nicht von ihrer Bestimmung aus oder von ihrer allgemeinen Gestalt, ebensowenig wie das, was sie zum Schweigen zwingt. Das hängt ab von dem Talent ihrer Erbauers oder vielmehr von der Gunst ihrer Musen.

*      *      *

Wollen Sie wissen, warum ich im Titel Mozart genannt habe? Es hat keinen tieferen Sinn, ich dachte an Werke wie das Klarinetten-Quintett – z.B. hier – , hören Sie doch in diesem Sinne genau bis 1:24 und weiter ab 1:24 sehr liebevoll zu: diese mehrfach verschlungene Linie, und ganz besonders, wie sie sich verfärbt, sobald die Klarinette sie übernimmt. Und nehmen Sie mein Bild des kleinen Tempels nicht zu verpflichtend, vielleicht wäre die Assoziation eines Gesichtes, eines Antlitzes, viel angemessener.

Wikipedia hier

Wie geht eigentlich Bildhauerei?

War es 1960? Jedenfalls in Berlin, dort musste ich „die Nofretete“ zum erstenmal realiter gesehen haben, deren Halslinie ich gedanklich – vielleicht dank eines Lehreres – schon immer mit Mozart verband. Greifbar in Berlin-Dahlem. Ich weiß nicht genau, seit wann mich das wirklich interessiert hat. Kann aber noch nachvollziehen, wie schwer es damals war, die einfachsten Fragen zu beantworten. Man musste es tun, ehe der Eifer erlahmte. Und wenn man glaubte, etwas gefunden zu haben, was detaillierter war als das gängige Konversationslexikon, so bedeutete dies: ABSCHREIBEN. Ich saß endlos in Bibliotheken und schrieb ab. In Berlin gab es ein riesiges Amerika-Haus, wo ich z.B. auch das Standard-Werk von Carl Flesch übers Violinspiel kennengelernt habe. Später in Köln das Johannishaus (an der Machabäerstraße, die vom Hbf. zur Musikhochschule führte). Erst 5 Jahre später konnte man einigermaßen preiswert kopieren. Ein Freund kopierte mir seitenweise aus dem MGG, meist mit vielen verschmierten Fehldrucken, Grundlegendes über Arabische Musik. Aber viel früher, aus dem Jahrfünft des Abschreibens, entstanden die folgenden Blätter (und ich weiß, weshalb ich heute das gewaltige Werk über Michelangelo besitze), das Interesse an „gefrorener Musik“ ließ nie nach. Rodin war ebenso schuld wie Rilke, obwohl beide hier nicht vorkommen.

  Titelbild des Katalogs: Uräusschlange in Bronze (Spätzeit). Uräus siehe unten Papier 2.

Die handgeschriebenen Papiere fand ich also jetzt wieder in dem Katalog, den ich einst bei einem Besuch in Hannover gekauft hatte: Aegyptische Kunst. Und ich erinnere mich, dass ich in der Mensa der Kölner Hochschule von Zeitungsberichten erschüttert wurde, in denen es um die Flutung von Riesenstatuen in Oberägypten ging, – der Assuan-Staudamm war im Bau. Heute kostet mich die genauere Information einen Klick. Ist es Zufall? (natürlich nicht): ein Schulfreund aus der alten Zeit schrieb mir vor drei Tagen aus Luxor:

(…) Bei mir ist es der Wechsel zwischen Toskana und Orient, und hier in Ägypten sind es die Menschen, die, von Armut, Perspektivlosigkeit und Zwängen bedrängt, trotz allem ihr Leben und ihr Zusammensein geniessen. – So, und jetzt lasse ich mich von einem Tuktuk an den Nil verfrachten, hocke am Ufer, blicke hinüber auf den Luxortempel und den Winterpalast von König Farûk, auf die bunt bemalten Boote und die Schiffe, die vorübergleiten, und auf die Felder mit all den Eseln, mit denen mich eine gewisse Seelenverwandtschaft verbindet.

*     *     *

Ich will mich nicht in uferlosen privaten Reflexionen verlieren, – was mich damals interessierte, waren ja auch recht einfache Fragen. Zum Beispiel: wie wurden vor 14 Jahrhunderten Skulpturen geschaffen? Wie arbeitete man am härtesten Material, das zur Verfügung stand, und schuf bleibende Menschenfiguren, mit denen man sich in aller Unschuld identifizieren konnte? Wie entstand Ähnlichkeit, wie wurde das widerspenstige Material fügsam gemacht, sah man längst die Gestalt im Gesteinsblock, ehe sie geformt wurde, wie es im Fall Michelangelo behauptet wurde. Man konnte ja nicht mit einem Gerippe beginnen, dem man Schicht um Schicht von außen zusetzt, bis es endlich um die feinsten Feinheiten der Außenhaut geht. Tonfiguren werden halt anders geschaffen als Marmorskulpturen. Aber wie war es bei den alten Griechen: haben sie ihre Plastiken von vornherein anders als die Ägypter gesehen und zusammengesetzt, zuerst die Beine und die Statik, den Torso, die Schulter, die Extremitäten usw. Und den Kopf? Natürlich alles aus einem Stück! Oder? Ich wusste nicht einmal, ob die wunderbare Nofretete als Kopf einer Statue geplant war. Nur ein Modell? Hat man sich je mit Köpfen zufrieden gegeben?

Vielleicht muss ich die damals abgeschriebenen Papiere noch einmal mit der Tastatur bewältigen, um mir die naiven Fragen von einst zu vergegenwärtigen. Bewältigt ist ja überhaupt nichts. Bredekamps mächtiger Buch-Block über Michelangelo steht dort drüben im Schrank und soll noch abgetragen werden, aber mich auch verbinden mit den Fragen, die sich vor 50, 60 Jahren quasi von selbst gestellt haben…

Ich kann natürlich auch das Internet bemühen, ich weiß, ich weiß … siehe oben. Und nochmals:

Hier betrifft es den Einzelfall Nofretete (insgeheim von mir globalisiert: ich denke an Mozart, an das Klarinetten-Quintett, aber an welches Thema? Oder an das Ganze? Ist ein Thema – oder ein Kopf – die Exposition des Wesentlichen auch schon ein Ganzes? )

Abschrift der obigen handgeschriebenen Blätter

Rudolf Anthes: Die Büste der Nofretete – Ehemals Staatliche Museen Berlin / Verlag Gebr.Mann Berlin 1960

Seite 10 [Versuch eine Sehhilfe]

Papier 1

… Das Werkverfahren des ägyptischen Bildhauers erforderte, daß auf den Flächen des rechtwinklig behauenen Steinblocks das Formgerüst der Figur aufgezeichnet wird, die der Künstler gleichsam herausholen will aus dem Blocke. Er sieht und gestaltet sein Werk also von vornherein in senkrechter Blickrichtung genau von den vier Seiten und von oben her. Das bedeutet nicht, daß ihm die Übergänge gleichgültig wären, oder gar, daß wir als Beschauer die Schrägansicht ägyptischer Skulpturen vermeiden sollten, in denen sich doch die plastische Feinheit besonders gern offenbart. Aber den Aufbau einer ägyptischen Figur können wir aus den flächigen Ansichten der Vorderseite und des Profils am sichersten begreifen.

In diesen Ansichtsseiten wird eine Besonderheit unserer Büste unmittelbar augenfällig, nämlich der Gegensatz zwischen der drückenden Last der Krone und der aufstrebenden Schlankheit des tragenden Unterbaus. Dieser Gegensatz kommt vor allem in der Seitenansicht zur Geltung durch den Druck nach vorn des massigen Oberteils und die nachgiebige, aber feste Vorneigung des Halses. Ein gelungenes Wagnis des Bildhauers ist der fast rechtwinklige Zusammenstoß dieser Kräfte im Nacken. Der Künstler traut der Kohäsion des Steines bis an die Grenze des Möglichen; R.J. [?] zeigt in seiner oben mitgeteilten Besprechung der Büste, daß durch die Verwendung von Gips das gefährliche Übergewicht der Krone etwas vermindert worden ist. Der ägyptische Bildhauer hat diesen Versuch offenbar mit voller Absicht durchgeführt. Das können wir daraus schließen, daß diese Nackenfüllung, die das Gewicht der Krone auffangen würde, sonst in der ägyptischen Skulptur gern stehen gelassen wird, keineswegs nur in statisch bedenklichen Fällen, so bei der Königsbüste des gleichen Bildhauers Thutmose.

Papier 2

Die beiden von oben nach unten und nach vorn zueinander drängenden Kräfte können wir in das Antlitz der Büste hinein verfolgen. Zum Beispiel wird in der Vorderansicht die durch Haarbinde und Uräus aufgelockerte Kronenmasse vom Stirnband aufgenommen und vermittels der Augenbrauen abgeleitet über den Nasenrücken zum Munde, der vom Kinn leicht getragen wird; dagegen aber führen die Mundwinkel- und Nasenlippenfalten die Umrißlinien des Halses und seine aufsteigenden Muskel weiter hinauf, über die Nase zu den Augenbrauen, über denen das Stirnband lastet. Im Profil ist schon durch den scharfen Winkel im Nacken die Kreuzung der beiden Wirkungskräfte augenfällig, da Krone wie Hals das Antlitz voll umgreifen. Diese Beispiele können nur andeuten, auf welchem Wege die Vielfältigkeit der formalen Beziehungen an dieser Büste gefunden werden kann, denn solche Betrachtungsweise erschließt notwendig immer weitere Einblicke. Dabei wird das Kunstwerk in jeder Hinsicht verständlicher. Den strengen Aufbau des Gesichtes, der zunächst gekünstelt erscheinen mag, schreiben wir nun nicht mehr der Laune des Künstlers zu, sondern wir verstehen, daß er wohl notwendig zur Einordnung in das Gesamtwerk gehört; ja, ein Gesicht, das wie dieses als Feld der Begegnung von Kräften und Massen dient, muss wohl eine gewisse Strenge zeigen, kann schwerlich einem jugendlichen Menschen angehören. Die zarte Plastik der Wangen macht nicht nur das Gesicht besonders lebensvoll, sondern wir erkennen, daß sie auch zu den aufbauenden Kräften des Kunstwerkes gehört. Mit den Farben können wir uns jetzt leichter befreunden, denn sie unterstreichen die plastische Bedeutung von Krone und Halsschmuck, Mund und Augen. Die Büste ist uns nicht mehr der oberste Teil einer Menschenfigur, die nach Belieben ergänzt werden könnte, sondern ein in sich abgeschlossenes, aus seinen eigenen Kraftquellen lebendes Gebilde. Sie ist nicht nur eine Vorlage für Bildhauergehilfen, sondern in erster Linie ein vollkommen gelungenes Meisterwerk.

Papier 3

Wie bei den Reliefbildern (von?) vor Amarna finden wir bei der Büste der Nofret Ete eine lebendig bewegte und kaum lösbare Verbindung der Bildteile durch die Form als ein Mittel zur seelischen Vertiefung. Solche durch Bewegung oder andre Wirkungskräfte beseelte Komposition ist nun aber nicht etwa kennzeichnend für die ägyptische Kunst in allen Zeiten ihrer 3000-jährigen Geschichte, sondern eine Stileigentümlichkeit der Amarnazeit und des ihm folgenden Jahrhunderts. –

S.21 : Der ägyptische Bildhauer dieser und der älteren Zeit gestaltet sein Bildwerk frei aus dem Stein unter Verwendung von Vorzeichnungen und Hilfslinien auf dem Werkstück. Diese freie Bildhauerei kommt auch im Abendland vor, z.B, in der archaischen Zeit Griechenlands, und sie wird auch von einigen Bildhauern unserer Tage angewandt. Carl Blümel (Griechische Bildhauer an der Arbeit, Berlin 1840 S.16) beschreibt sie folgendermaßen: „Der Bildhauer geht von vier Seiten an seinen Block heran und zieht mit seinem Meißel eine dünne Steinschicht nach der anderen herunter; und bei jeder Schicht, die er von der Statue ablöst, kommen jedesmal einige wenige neue Formen hinzu. Das Ausschlaggebende ist aber, daß der Bildhauer jedesmal eine ganze Schicht rings um den Block herunternimmt. . . So wird dieselbe Figur, angefangen von dem viereckigen Block bis zu ihrer endgültigen Fertigstellung, mindestens hundertmal ganz modelliert, zu Anfang nur mit wenigen Formen, dann immer reicher, runder und lebendiger bis zum endlichen Abschluß. Ist es da wohl verwunderlich, daß von einer solchen griechischen Skulptur soviel Energien ausstrahlen, da der Bildhauer sie bei jeder Schicht immer wieder neu  durchdacht und gleichsam mit neuen Kräften geladen hat?“

( ↔ Sonst meist erst Tonform oder Gipsabguß durch Punktierungverfahren in Stein übertragen.)

Soweit die Papiere aus dem Jahr 1960 (Beginn des Musik- und Germanistikstudiums in Berlin)

Zu Carl Blümel siehe auch Hermes des Praxiteles Wikipedia hier.

*     *     *

Es bedarf sicher gar nicht dieser mehr als 60 Jahre zurückliegenden Vorgeschichte, um interessierten Menschen zu erklären, was an dem gewaltigen Michelangelo-Buch von Horst Bredekamp so faszinierend ist. Es gilt ja mit Recht einem einzelnen Menschen, der für eine ganze Welt der Formen einsteht, in der man nicht „von Natur“ zu Hause ist. Ich kann jedenfalls von mir nur sagen, dass ich einmal vor dem „DAVID“ in Florenz auf und ab gegangen bin, auch gestaunt habe. Aber eigentlich nichts gesehen habe! Ich ahnte, dass ich mich tagelang auf diese Konfrontation hätte vorbereiten müssen. Aber ein solches Buch wie dieses gab es noch nicht. Und hier ist nur der Anfang der David-Geschichte, nicht der Moses oder die Pietà, gar nicht zu reden von dem Riesen-Gemälde der Sixtina. Nein, was für eine riesige Verpflichtung ist man mit dem Erwerb des Buches eingegangen! Sofern man sich wirklich einmal hinein vertieft hat. Ich würde heute aber wohl auch mitten drin beginnen:

Ich muss nur die nächsten Kapitelüberschriften wiedergeben, um das Ausmaß der kunstwissenschaftlichen Erschließungsarbeit anzudeuten. Oder etwas mehr: wie der DAVID sich ins Leben des Künstlers einfügt:

Und hier der Wikipedia-Überblick, der auch schon ein Anfang wäre…

ZITAT Bredekamp

Wie akribisch Michelangelo jeden Zentimeter [des Marmorblocks] auszunutzen suchte, ist an der Linie abzulesen, die vom linken Knie bis zum Handrücken der linken Hand verläuft. Sie muss die Außenfläche des Marmorblockes gebildet haben. In der Seitenansicht zeichnet sich somit die flache Kastenform des Blockes ab, wie sie in Carrara gebrochen worden war.  (…)

Angesichts dieses relativ schmalen, von Agostino verschlagenen [!] Blockes wird die sich tief in die Materie hineindenkende Vorstellunbgskraft Michelangelos ersichtlich. Die Treppenmadonna und die Kentaurenschlacht hatten seine Technik gezeigt, sich dem Block zu überlassen und die in ihm latent mögliche Form aufzurufen, um dieses Innenbild im Prozess des Skulptierens immer wieder zu verändern. Diese Abkehr von festgelegten Modellen hatte ihn bei den frühen Arbeiten zu Detailfehlern verleitet; nun aber befähigte ihn das eingeübte Suchen nach Alternativen, jene Vision zu entwickeln, die den verloren geglaubten Block retten sollte: als Drehung um die Längsachse. Aus alldem ist abzuleiten, warum Michelangelo am 9. September 1501, Tage vor dem eigentlichen Arbeitsbeginn, mit wenigen Schlägen den Mantelknoten des alten Giganten beseitigte. Da er die inneren Möglichkeiten des Marmors wie niemand vor ihm auszuloten verstand, konnte er die Vorderseite von Agostinas David in eine Rückseite verwandeln, und damit nahm er die Statue in den Besitz seiner Vorstellungskraft.

Quelle Horst Bredekamp: Michelangelo / Verlag Klaus Wagenbach Berlin 2021 / Zitat Seite 132

Es ist der Ton und die Methode des Vorgehens: das Wesentliche folgt noch, aber was einen bannt, ist das allmählich wachsende Verständnis für die einzigartig lebendige „Seelengestaltung“ in dieser steinernen Gestalt. Man sieht endlich, was man sieht. Ja, und wer zuerst – immer noch leicht peinlich berührt – nur sieht, dass diese mächtige männliche Figur schamlos nackt ist, wird auch diese Kühnheit Michelangelos, die dem Studium der Antike zu verdanken ist (!), ausführlich behandelt finden. Im unten gegebenen Wikipedia-Link wird man nebenbei auch mit einer fortwirkenden Feigenblatt-Auffassung des 16. Jahrhunderts konfrontiert, die erst 1873 verschwand. Lächeln Sie ruhig. Zum Ausgleich gibt es auch demonstrativ (?) androgyne Personen auf Darstellungen der Heiligen Familie, fast, als habe es gegolten, heute aktuellen Gender-Themen zuvorzukommen.

Weiteres siehe bei Wikipedia hier.

An die Sonne

Wer war Rudolf Eucken?

Er erhielt 1908 den Nobelpreis für eine große philosophische Leistung. Nein: für „Literatur“. Was mich beim Lesen bestach: Seite für Seite erleuchtet und einleuchtend formuliert, wieso wird er nicht als Pflichtlektüre empfohlen, als Einführung ins Philosophieren überhaupt, was hat er falsch gemacht? Biederes, bürgerliches Denken zum falschen Zeitpunkt, im Anfang des Jahrhunderts der Katastrophen? Ich war neulich schon gefesselt, als es um „Idealismus“ ging, und jetzt stieß ich darin auf den bekannten Vierzeiler von Goethe, der inhaltlich auf Plotin zurückgeht und als Vers in Goethes „Farbenlehre“ vorkommt: „Wär nicht das Auge sonnenhaft…“ Oder? Ich gebe die Zeile bei Google ein und kann mich von einem bestimmten Ergebnis nicht trennen: Ingeborg Bachmanns Gedicht „An die Sonne“, interpretiert von Peter von Matt, aber: gesprochen von ihr selbst, und das ist es, was mich ergreift. Etwas unsicher (?), etwas zögerlich (?), niemanden ins Auge fassend, wenig oder kaum kommunikativ deklamierend. HIER.

Ich kann mich davon nicht lösen, es muss noch mal von vorn beginnen. „Nichts Schönres unter der Sonne als unter der Sonne zu sein…“ – kenne ich das nicht von Walter Jens? lange bevor er ins Dunkel abtauchte. (Ja! siehe hier, er zitiert Ingeborg Bachmann!) Und dann lese ich die Peter-von-Matt-Interpretation, über die systematisch wechselnde Verszahl der Strophen, lese auch „wegen dem Mond“ – ist das mundartlich? – höre noch einmal, gewöhne mich an den österreichischen Sound und bleibe an der Schlusszeile hängen:  „Sondern deinetwegen und bald endlos und wie um nichts sonst / Klage führen über den unabwendbaren Verlust meiner Augen.“

Es dauert eine Weile, ehe ich zu Rudolf Eucken zurückkehre, dessen Werk ich in Buxtehude aus einer Telefonzelle mit Büchern zum Nulltarif mitgehen ließ. Ingeborg Bachmann? Daran hätte ich nicht gedacht, an alte Zeiten schon. (Ich erinnere mich an einen Film, in dem es um ihren Vater ging, am Ende liefen Tränen, viel Musik aus „Verklärte Nacht“, Haneke! endlich wiedergefunden, wenigstens den Titel hier.)

Springen wir nur mitten hinein, in dieses Werk, wie könnten es versuchsweise dort beim Wort nehmen, wo es die WAHRHEIT zum Thema nimmt, Plato und kurz Goethe (Plotin) streift, um dann zur Stoa weiterzugehen; da ist kein Satz, den nicht jeder versteht:

Der Mensch unterscheidet sich (= einen eigenen Gedankenkreis) von der Welt der Dinge.

So entsteht eine Kluft und damit: das Problem der Überbrückung. Das griechische Altertum… Beseelung der Weltumgebung. Wesensverwandtschaft des Geistes mit dem All. Unerträgliche Vermengung von Bild und Sache. Plato…

Das Selbständigwerden der wissenschaftlichen Forschung bei Aristoteles. Neu: die Stoa. (Siehe auch bis Marc Aurel: „Dabei dürften die Grundlagen der dort formulierten Überzeugungen bereits frühzeitig gegolten haben, denn sie fußten auf einer bald 500-jährigen, fortlebenden Tradition stoischen Philosophierens.“ Wikipedia)

Plotin und das Christentum (Theologe Eucken – „Katze aus dem Sack“?) So etwa war der Verlauf der üblichen Geschichtsdeutung bis in meine Schulzeit. Ich erinnere mich an meinen triftigen Einwand in Religion: Hinweis auf Marc Aurel. (Wozu noch Christentum…) Aber bei Eucken nicht zu vergessen: die Wende mit KANT (ab Seite 182 – nach Aufklärung, Spinoza).

(Fortsetzung folgt)

Lebenslust Mozart

Die Quintette

Ich glaube, dass diese Worte, für sich genommen, selten gepaart werden. Seltsamerweise. Daher dieser Blogtitel. Bei Mozart vergisst inzwischen kaum noch jemand, von Melancholie oder Todesahnung zu sprechen. Ganz besonders, wenn es sich um „späte“ Werke handelt. Und die Werke, die mir dank dieser Aufnahme in kürzester Zeit unentbehrlich geworden sind, stammen aus seinen beiden letzten Jahren. Zum Glück wusste er das nicht, als er sie schrieb. Und zu meinem späten Glück gehört noch etwas anderes: ein neues Buch, das ich ab sofort zu meinen schönsten zähle, das mich am Computer immer wieder  zwingt, Namen einzugeben, die das Glück des Südens evozieren, meinetwegen auch das von Untergang und Tod, Pompeji, Herculaneum, Paestum – nein, der letzte  Name passt nicht ganz. Oder nur so wie die Ballons zu den Schnecken der Streichinstrumente. Paestum verschwand nicht sang- und klanglos, ein griechisches Kleinod in Kampanien. Es versandete und versumpfte erst 500 Jahre nachdem der Vesuv die anderen Städte ausradiert hatte. Es wurde nur etwa zur gleichen Zeit wiederentdeckt, ein Wunder der Archäologie und der antiken Mittelmeerkultur.  Paestum 1752. (Mozart war noch nicht geboren.)

(siehe hier)

Wie der Taucher mir auf die Sprünge half…

Und was beim Mozart-Hören erst recht zu denken gab:

Zunächst natürlich die schiere Musik, aber das frühere Quintett KV 593 vor dem späteren, sobald ich begriff, warum es auch in der 3-teiligen CD-Folge den abschließenden Höhepunkt bildet (Tr.5-8). Der Ideenreichtum liegt auf der Hand, aber das rauscht nicht in vollkommenem Gleitflug vorüber, als opake Gestalt, sie ist vielfältig durchbrochen, gruppiert und aufgefächert. Um das Offensichtliche noch einmal hervorzuheben, hier 2 Seiten aus dem langsamen Satz, die die „gruppendynamischen“ Verhältnisse ins Licht rücken:

Alldies vermischt sich in der täglichen Lektüre merkwürdigerweise mit der eigenen Biographie (die Neigung zum Griechischen, die von meinem Vater stammt, leider auch die Vernachlässigung der neuen Sprachen), die frühe Begeisterung für Nietzsches „Geburt der Tragödie“ mit dem Sprung zu Wagners „Tristan“. Die verrückte Möglichkeit einer „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ . Als Steigerung einer „ewigen Wiederkehr“ !

*    *    *   

Der Autor des Paestum-Buches, Tonio Hölscher, zieht Parallelen von dem griechisch besiedelten Ort Paestum im antiken Kampanien zu der griechischen Insel Thasos, wo es uralte steinerne Belege über bestimmte Treffpunkte der Jugend gibt:

Auf Thasos, an der Südküste der Insel, weit von dem städtischen Hauptort entfernt, stürzt die Küste bei der Örtlichkeit Kalami mit einer Felsterrasse in das Meer ab (…). Zum Wasser hin sind in die Felswand Dutzende von Inschriften in Buchstaben des 4. Jahrhunderts v. Chr. eingeschrieben, die mit einem ungewöhnlich reichen Vokabular schöne Epheben preisen: kalós und hōraíos, schön; hēdýs, süß; eúcharis, anmutig; euprósōpos und kalliprósōpos, von schönem Gesicht; euschémōn, von guter Haltung; eúrythmos, von schöner Bewegung; chrysoús, golden; argyroús, silbern glänzend, und so fort. Es sind emphatische Zeugnisse homoerotischer Beziehungen: geschriebene Komplimente erwachsener Liebhaber an ihre favorisierten jungen Geliebten, nicht nur flüchtig ausgesprochen oder aufgeschrieben, sondern in anspruchsvoller Schrift, in aufwändigen technischen Akten des Eingravierens mit Meißel und Hammer zum Ausdruck gebracht. Teils waren die Inschriften von der Terrasse aus zu lesen, teils aber nur vom Wasser aus, mit ihren großen Buchstaben sogar aus einiger Entfernung: also entweder für Insassen von Booten oder für Schwimmer im Meer. Die sorgfältig in den Fels gehauene Schrift, sicher durch Farbe in ihrer Lesbarkeit verstärkt, lässt erkennen, dass es ein etablierter Adoleszenz-Treffpunkt der höheren Gesellschaft war: ein Ort, an dem die städtische Jugend, zusammen mit ihren Bewunderern, sich auf den Klippen am Meer traf, in weiter Distanz zum Zentrum der städtischen Lebensordnung. Die Terrasse bot Raum zur Anknüpfung von Beziehungen, an einzelnen Stellen konnten die Jugendlichen vom steilen Felsen ins Meer springen und die trainierte Eleganz ihrer nackten Körper zeigen, andere konnten mit Booten auf spielerischen Fischfang gehen – und die erwachsenen Liebhaber konnten ihre Zuneigung in Inschriften am Felsen manifestieren. Alles erinnerte an die Tomba della caccia e pesca. Es wird sich zeigen, dass dies nicht nur spielerischer Zeitvertreib, sondern eine bezeichnende Situation der antiken Jugendkultur war, in der homoerotische Beziehungen eine starke, heute der Erklärung bedürfende Bedeutung hatten.

Quelle Tonio Hölscher: Der Taucher von Paestum / Jugend, Eros und das Meer im antiken Griechenland / Klett-Cotta Stuttgart 2021 / Seite 41f / Weiteres siehe hier, Rezensionen hier.

Die „starke, heute der Erklärung bedürftige Bedeutung“ der homoerotischen Beziehungen in der griechischen Antike war schon in meiner Schulzeit ein Thema, blieb allerdings in Andeutungen und humoristisch gemeinten Bemerkungen stecken. Es wäre eine Chance gewesen, den damals noch geltenden Paragraphen 175 ernsthaft zu analysieren. Unvorstellbar jedoch in einer Zeit, als die Sexualität ganz allgemein unter einem verbalen Tabu stand, das überall wirkte; das Wort „Lebenslust“ hätte man damals gemieden. Dabei buchstabierten wir Platons „Gastmahl“, entzifferten Catulls Verse an Lesbia. Aber ich erinnere mich an einen Tag, als mein Vater (ausgerechnet er, der bekennende Altsprachler) das englische Wort „Sex Appeal“ gebrauchte. Mir stockte der Atem.

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Riemann-Kauf mit frischer Tinte besiegelt…

Darüber hätte ich mit meinem Vater – glaube ich – reden können. Ich vermute, er hat sich das Quartett im Mai 1921 in Berlin zum Partiturspiel-Üben zugelegt, als angehender Kapellmeister, sein Riemannsches „Handbuch der Orchestrierung“ trägt die unkorrigierte Signatur vom 24.V.1921. Das Lerchen-Quartett. Ob er deren Gesang jemals bei Ausflügen aufs Land identifiziert hat? Er kannte keinen einzigen Singvogel, war aber zweifellos ein begeisterter Schwimmer und erinnerte sich zeitlebens an die Ostsee bei Kolberg oder in Wieck bei Greifswald , nahm später fürlieb mit dem Freibad Wiesenstraße in Bielefeld. Der neueste Stempel mit der Adresse Paderborner Weg 26, weitab dort oben am Waldrand (heute Furtwänglerstraße), galt erst ab 6. Dezember 1957, mein Vater genoss das eigene Haus keine zwei Jahre. 9 Monate nach seinem Tod begann – im Frühling 1960 – mein Studium in Berlin, wo er 40 Jahre vorher das seine begonnen hatte. Muss das denn sein, soviel Geschichtlichkeit in eigener Sache? Natürlich, wenn es ohne Jammern abgeht. Wir bezeichneten uns ironisch und zukunftsfreudig als Epheben. Und empfanden keine Defizite.

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„Das hat er vom Vater“ war in meiner Jugend eine oft gebrauchte Formel, die ich nicht gern hörte. Ich bewunderte ihn, traute mir aber mehr zu, und zumindest in der Körperlänge erfüllten sich meine Erwartungen früh. Wenn mir gesagt wird, dass Details eines Mozart-Quintetts aus dem „Lerchen-Quartett“ von Haydn abgeleitet seien, ohne dass man freilich die enge Verwandtschaft spürt, bin ich skeptisch. Wie kommt es, dass ein Kenner wie Charles Rosen das Quintett KV 593 seitenlang analysiert (S.321-326), aber eine intime Nähe zu Haydn allenfalls beim letzten Quintett KV 614 konstatiert? Je kleiner die betrachteten Motive, desto ähnlicher, – und desto unmotivierter, sie zu vergleichen.

Quelle Charles Rosen: Der klassische Stil / dtv Bärenreiter 1983

Das inspirierendste Kapitel in diesem Buch ist und bleibt für mich das über Haydns Erschließung des Konversationstons im Streichquartett, der u.a. seine „Erfahrungen als Komponist komischer Opern widerspiegelt“, auch wenn ihm dort der Erfolg versagt blieb (S.131). Hier zunächst wieder ein Blick auf das „Lerchenquartett“:

Inspirierend zugleich beim Blick auf Mozart, den Opernkomponisten auch in seinen Quintetten, deren Lust an der bloßen (?) Musik jedoch Haydns Konversationston überbietet.  Eine Entfaltung psychologischer Netzkonstruktionen – über Abgründe hinweg. Zum Beispiel im ersten Satz KV 593, wenn die Introduktion am Ende wiederkehrt und magisch die ganze Spannweite der Mozart-Musik-Welt aufleuchten lässt. Das mindert nicht im geringsten den Eindruck des „Lerchen“-Quartetts, lässt nur jede Familienähnlichkeit unwesentlich werden.

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Man macht sich keine Vorstellung, wie streng, ritualisiert und andersartig die Adoleszenz in andern Zeiten und Kulturen abläuft. Pauschale Begriffe und Urteile sind nicht angebracht. Und genau das haben wir damals nicht gelernt, wenn wir mit sonderbarem Widerstand das Gastmahl von Plato lasen und glaubten,  die Liebe mehr oder weniger „platonisch“ auffassen zu sollen. Allzu „weichlich“ erschienen uns die Gespräche. Was für ein Müßiggängerleben,- wir kannten wohl auch schon das Wort „Sklavenhaltergesellschaft“. Immerhin studierte man gelegentlich Jacob Burckhardts schonungslose Analyse „Zur Gesamtbilanz des Griechischen Lebens“ – seltsamerweise bei den Neusprachlern. 10 von 80 Seiten darin behandeln den Selbstmord… Umso freimütiger folge ich heute Tonio Hölschers „Taucher von Paestum“:

Die Prüfungen waren zum Teil hart, besonders in Sparta. Dort mussten die Epheben lernen, sich in dem weiten Territorium durch Stehlen die Nahrung zu sichern und Mordterror unter der unterworfenen Landbevölkerung zu verbreiten. In Kreta war es etablierter Brauch, dass die Epheben von einem erwachsenen Liebbhaber in die Berge entführt wurden, wo sie zwei Monate lang zusammen lebten, sich von den Produkten der Natur ernährten und sich auf die Anforderungen des Krieges vorbereiteten. Die homoerotischen Aspekte dieser Verbindungen hatten eine prägende gesellschaftliche Funktion: Die Epheben sollten in der Gemeinschaft mit einem erwachsenen Gefährten, der zugleich Partner und Vorbild war, die Kräfte ihres männlichen Körpers kennen lernen und in die Verhaltensformen der volljährigen Männer eingeführt werden. Dabei war man sich sehr wohl der Gefahren und Risiken homosexueller Erotik in frühem Alter bewusst: Es gab streng kontrollierte Normen des gebührenden Verhaltens: Bedrängende Übergriffe auf den jüngeren Partner wurden hart geahndet. Am Ende dieser Zeit machte auf Kreta der ältere Liebhaber dem jüngeren drei symbolische Geschenke für seine künftige Rolle als Mitglied der Gemeinschaft: einen Becher für das Gelage der Männer, ein prachtvolles Gewand für die Teilnahme an den öffentlichen Festen und ein Opfertier für den gemeinschaftlichen Götterkult. In ähnlicher Form müssen die Jugendlichen auch in anderen Stadtstaaten diese Lebensphase als Umherstreifende, perípoloi, und „schwarze Jäger“ in der freien Natur mit Fangen von Kleintieren und Sammeln von Kräutern verbracht haben: Die Ausbildung der Epheben für den Eintritt in die Welt der erwachsenen Männer war überall eine zentrale Aufgabe. Und auch anderenorts war dabei die Führung der Jugendlichen durch erwachsene Männer in homoerotischen Verbindungen von entscheidender Bedeutung. Grundsätzlich war diese Form der Homoerotik keine einseitige sexuelle Disposition, sondern ging in aller Regel mit heterosexueller Einstellung zu Ehe und Familie zusammen.

Quelle Tonio Hölscher: Der Taucher von Paestum / Jugend, Eros und das Meer im antiken Griechenland / Klett-Cotta Stuttgart 2021 / Seite 66f

Es mag uns heute befremden, die griechische Antike von dieser Seite anzugehen, die in früheren Generationen vielleicht verschwiegen, idealisiert, cachiert wurde, so dass wir Jung-Humanisten, „das Land der Griechen mit der Seele suchend“, keine Ahnung hatten, in welcher Weise sie ihre wilde Welt in absolut „körperlichen“ Modellen erfassten, visuell und taktil in Kunst übertrugen, die der Gewalt und dem Chaos abgerungen war. Unser Befremden ist das eines Ethnologen, der von der Universität zur Feldforschung übergehen will und nicht einkalkuliert hat, dass er die neuen Eindrücke nicht einfach „verarbeiten“ kann, sondern dass sie ihm einen Kulturschock verpassen, der ihn lähmt und blockiert.

Wir haben oben von Mozarts Ideenreichtum gesprochen, von der opaken Gestalt, die sich vielfältig durchbrochen, gruppiert und aufgefächert gerade in den Streichquintetten auftut, von den wechselseitigen Einflüssen zwischen Haydn und Mozart nichts mehr weiß. Etwas unglaublich Neues ist in die Welt getreten, und das darf man nicht weglächeln. Martin Geck hat – konventionell beginnend – den Prozess angedeutet:

Auf dem Feld des Quintetts ist Mozart seinem Lehrmeister in der Quartettkomposition, Joseph Haydn, unbedingt voraus: Wird diesem die Äußerung zugesprochen, »daß er die fünfte Stimme nicht finden könne«, so fühlt Mozart sich in der »fünften Dimension« – derjenigen des klangräumlichen Komponierens – ganz zu Hause.

Nicht nur dem Liebhaber, auch dem Kenner ist es immer wieder rätselhaft, wie nichts anderes als eine zweite Bratsche eine neue Welt der Kammermusik für Streicher aufzutun vermag. Und tritt uns im C-Dur-Quintett KV 515 eine unangestrengte, reife Klassizität entgegen, welche die Buntheit der Haydn-Quartette hinter sich lässt, so jagt uns die bittere Süße oder süße Düsternis des Quintetts KV 516 in g-Moll – eine von Mozarts Schmerzenstonarten – Schauer über den Rücken.

Quelle Martin Geck: Mozart Eine Biographie / Rowohlt Reinbek bei Hamburg 2005 (Seite 161f)

Noch einmal:

ZITAT (Der Taucher von Paestum)

Die Bilderwelt der griechischen Kunst in archaischer Zeit ist erfüllt von einer glanzvoll schönen Lebenskultur – aber im Hintergrund wird immer wieder das Bewusstsein der Vergänglichkeit und Endlichkeit des Glanzes sichtbar. Die überwältigende Diesseitigkeit der Griechen erhält dadurch ihre Tiefendimension. Nirgends wird das so prägnant deutlich wie in der Inschrift für einen jungen Athener, die den vorbeikommenden Wanderer anspricht:

»Sieh an das Grabbild des Kleoitas und klage, Wie schön er war und doch sterben musste!«

Friedrich Schiller, Mozarts Zeitgenosse, schrieb viele Jahrhunderte später seine Nänie, die mit den Zeilen beginnt:

Auch das Schöne muß sterben! Das Menschen und Götter bezwinget,
Nicht die eherne Brust rührt es des stygischen Zeus.

Nachtrag 2. Januar 2022

Nach dem Mozart-Tag gestern – immer wieder mit unverhofften Einblicken (man kann nicht alles konsumieren), zum Schluss vollständig die großen Sinfonien (samt Chor-Einschüben und „Zugabe“ der Arie Donna Anna!!!) mit Currentzis, heute noch einmal zum Tagesbeginn das Streich-Quintett D-dur KV 593, Auryn / TACET – unvergleichlich. Danach entdeckt, dass es einen großartigen Text darüber gibt, wie so oft bei Villa Musica (Dr. Karl Böhmer): besonders treffend die Verbindung zwischen musikalisch nachvollziehbaren Sachverhalten und biographischem Kontext.

All dies – der Abschied von Haydn, die geplante kleine Konzertreihe, der neue Schaffenselan – sind in das D-Dur-Quintett eingeflossen. Es ist ein Werk von höchstem Anspruch zwischen übermütigem Scherz und tiefer Melancholie – eines seiner großen Meisterwerke in der majestätischen Tonart D-Dur.(…)

Auch für den zweiten Satz könnte man eine Äußerung des englischen Mozartforschers zitieren: „Er bringt die wahre Essenz des ersten Satzes zum Vorschein. Die Vermischung von Heiterkeit und Traurigkeit ist deutlicher, das Licht heller, der Schatten tiefer. Die Nachbarschaft von Lächeln und Tränen ist enger, in der Musik wie im Leben, und ihre gemeinsame Wurzel in der Seele des Komponisten sichtbarer.“ In der Tat hat sich Mozart in diesem G-Dur-Adagio rückhaltlos ausgesprochen: im erhabenen Ernst seines Hauptthemas wie in der tiefen Verzweiflung der Molleinschübe, die nicht zufällig an das Andante der „Jupitersinfonie“ erinnern. Zunächst singt die erste Violine eine ätherische Arie, die mit einer Kette von Seufzerfiguren schließt. In der Durchführung werden diese Seufzer durch die Stimmen und durch die Tonarten geführt, um in einer der schönsten Stellen von Mozarts gesamter Kammermusik zu gipfeln: einer Kette zart-schmelzender Vorhalte über Pizzicato, die zur Reprise zurückleiten. Zunächst aber hat Mozart dem Hauptthema einen Molleinbruch gegenübergestellt: Pochende Triolen der Mittelstimmen grundieren ein Geigensolo, das von schierer Verzweiflung kündet. Das Cello antwortet mit Trillern, die wie dumpfe Paukenwirbel klingen. Die Welt des Requiems ist hier nicht mehr weit (…).

Die Lektüre führt zwangsläufig zu erneutem Hören, – intelligenter, musikalischer, olympischer, – ich muss heute auch den „Taucher von Paestum“ zuendelesen. Ich bin reif… vielleicht fast wie der junge Mozart. (Hierher gehört ein belustigtes Emoji.) 🙂 (Danke!)

Wie allein bin ich?

Einzeln, einsam oder wirklich allein?

.    .    .    .    .

Safranski bezieht sich auf Burckhardt

Jacob Burckhardt – das ist mein Italien (Michelangelo)

.    .    .    .    . Notiz im Buch

Meine Mutter hatte das hineingeschrieben, ein Geschenk also von Frieder Lötzsch, einem Klavierschüler meines Vaters, in dessen Todesjahr 1959. Er galt als intellektuelles Wunderkind, als er auf Langeoog mit den Älteren diskutierte; er belehrte sie alle und zitierte Aristoteles (Thema „Persönlichkeit“). Nach Jahrzehnten traf ich ihn bei einem Ehemaligen-Treffen in Bielefeld wieder, wir hatten uns nicht viel zu sagen. Seine Veröffentlichung des Jahres 2006 betraf einen unserer ehemaligen Lehrer, den Philosophen Helmuth Dempe, den ich erinnere dank eines heftigen „Gesprächs“, das zwischen ihm und meinem Vater entbrannte, beide recht intensive Rechthaber. Beim Kaffee im Freudental an der Sparrenburg-Promenade. Lauter typische Einzelne. Wie auch ich, im jüngeren Umfeld, zumal ich Geige spielte und klassische Musik ernst nahm. Sehr befremdend eigentlich, dass ich – obwohl Altsprachler und eher schüchtern – zum Schulsprecher gewählt wurde.

Es ist eigentlich immer dasselbe Problem mit den Anderen: ob man mehr vom Individuum her denkt – oder mehr von der Gesellschaft, der Gemeinschaft, der Freundschaft, den Außenbindungen her denkt. Man kann es überall herauslesen, wenn man will. Ein Beispiel: das aktuelle Spiegelgespräch:

Quelle Der Spiegel Nr.46 / 13.11.2021 Seite 96 (Gespräch Christiane Hoffmann mit Timothy Garton Ash).

Gab es nicht schon immer „Persönlichkeiten“? Leute mit bedeutender Ausstrahlung?

Renaissance, Wiedergeburt. Und Gegenwart.

Hannah Arendt nach Safranski

Das muss man verinnerlichen, den Satz von der „Balance zwischen Einheit und Vielheit“. Die Demokratie bewirke und bewege die Lebendigkeit der Gesellschaft dadurch, dass die Einzelnen einander dabei helfen, jeweils neu anzufangen. „Doch die damit einhergehende Nichtübereinstimmung der Individuen muss lebbar bleiben. Das leistet die Demokratie mit ihrem rechtsstaatlichen Regelwerk, das den Differenzen und der Pluralität einen Rahmen gibt. Nur so entsteht die Balance zwischen Einheit und Vielheit. “

Jeder kommt von einem anderen Anfang her und wird an einem ganz eigenen Ende aufhören.

Aber das ist im realen Leben eine zu abstrakte Formel. Denn das Kernproblem liegt heute anders: Wir leben in einer Kultur,

die getrieben ist von einem Konzept der Unendlichkeit, dem unerschütterlichen Glauben daran, dass alles für immer so weitergeht. Diese Kultur ist sehr erfolgreich. Aber wenn man es mit Endlichkeitsproblemen zu tun hat, ist es nicht ideal, keine Vorstellung von Endlichkeit zu haben. Und die Themen, die aus meiner Sicht das 21. Jahrhunderrt bestimmen – Artensterben, Klimawandel und alle anderen ökologischen Probleme – sind Endlichkeitsprobleme. Wenn die Insekten weg sind, sind sie weg. Und wir auch. Ganz einfach.

So Harald Welzer im Interview der Süddeutschen Zeitung (Johanna Adorján) am 13./14. November 2021 (Seite 56), und es wird konstatiert:

2020 hat die tote Masse auf diesem Planeten die Biomasse erstmals übertroffen. Das bedeutet, es gab auf der Welt mehr Menschgemachtes als Natur.

Mehr, mehr, mehr. Die Litanei der Ökonomen.

Wenn etwas Großes passiert ist wie die letzte Finanzkrise, stehen sie da und sagen: „Huch“. Dann schweigen sie drei Monate. Und wenn die Politik agiert hat, sagen sie: „Im nächsten Quartal rechnen wir mit einem Wachstum von soundso viel Prozent.“ Mehr Beitrag haben sie nicht. Auch bei Corona: keine einzige Idee. Nur Hochrechnungen, ab wann wieder mit Wachstum zu rechnen ist. (…)

Harald Welzer gibt einen interessanten Hinweis zur Sprachpraxis, nämlich, statt „Wachstum“ immer „gesteigerter Verbrauch“ zu sagen. Er sagt:

Man stelle sich nur mal vor, der Koalitionsvertrag, den wir bald sehen werden, beginnt mit der Aussage: „Wir werden für gesteigerten Verbrauch sorgen“. Klingt gleich ganz anders, oder? Dann wäre bestimmt ein anderes Bewusstsein dafür da, was diese wohlklingenden Wachstumsbeschwörungen in Wahrheit immer bedeuten. Vor allem für die Umwelt.

Das war am Wochenende zu lesen. Sehr interessant auch seine These, die an Ernst Bloch anknüpft: „Gott wurde säkularisiert, der Teufel aber nicht.“

Ja, die Aufklärung hat nur Gott für tot erklärt. Den Teufel – das Prinzip des Widersacherischen, wie es bei Bloch heißt – nicht. Und so kommt es, dass es bei jeder Katastrophe dieselbe riesige Überraschung gibt. Ein Amoklauf an einer Schule in Amerika: Na so etwas, wie konnte denn das passieren? Der Unfall, die Katastrophe, das Misslingen ist in unserer Gesellschaft systematisch nicht vorgesehen. Es wird immer als Unfall gesehen, als Abweichung von der Normalität, nicht jedoch als Teil der Normalität. (…) Ein Unglück, ein Terroranschlag, ein Erdbeben wird immer als einzelnes Phänomen betrachtet. Eine Art negatives Wunder, dass es überhaupt geschah. Es wird völlig überhöht, ist „tragisch“, „unvorstellbar“. Es muss dann auch immer ein Schuldiger gefunden werden, der das zu verantworten hatte. Dabei, und jetzt kommen wir wieder zum Thema Endlichkeit: Es kann nicht immer gutgehen. Es kann immer etwas passieren. Man muss sogar damit rechnen, dass schreckliche Dinge passieren.

Und heute liegt das Buch vor mir, „Nachruf auf mich selbst“ – einzelner geht es nicht:

Welzer: Nachruf auf mich selbst

dies bewegte mich 1980 / 1982 – die Unterstreichungen stammen von damals . . . rückblickend finde ich mich damals jung …

Die 90er Jahre?

Nach der „Jahrtausendwende“ – ein großer Sprung:

Berlin 2017 / 2019 München 2019

Donnerstag 18.11. 2021 – die neue ZEIT ist da: ich habe Zeit, sie zu durchblättern, schließlich bin ich nicht allein, der Kaffee ist längst fertig. Seelenlage: ausgeglichen.

Aber ich bin abgelenkt durch Artikel und Blickfang auf der nächsten Seite: Foto gemeinfrei. Denn der abgebildete Springer, ein junger Mann, war schon damals tot, sonst wäre dies kein antikes Grabmal.

Paestum um 480 v. Chr. s.a. hier

Zurück zu „Seelenlage: Schmerzlich“. Da heißt es zu dem Buch von Daniel Schreiber („Allein“):

Schreiber ist Experte für Tabus. Er hatte 2017 in dem schmalen Band Zuhause erzählt, wie er sich als schwuler Junge in einem ostdeutschen Kaff durch die Kindheit litt. In Nüchtern (2014) geht es um Sucht. Der Autor weiß, wie es sich anfühlt, randständig zu sein, beäugt und beurteilt zu werden. Alleinsein, schreibt er, ist etwas, was auch anderen Furcht einjagt, weil Einsamkeit als ansteckend wahrgenommen wird, sie ist mit Scham behaftet, wird versteckt.

Es ist die Selbstoffenbarung, die Schreibers Buch von dem Werk Rüdiger Safranskis gänzlich unterscheidet, auch wenn die Titel ähnlich sind. […] Hier nun: Start bei der Renaissance! Safranski arbeitet sich durch die Reformation über Rousseau zu Kiekegaard vor, verweilt bei Stefan George, Zwischenstopp bei Ricarda Huch und Hannah Arendt (niemand soll ihm sagen, wie beim Romantik-Buch, er habe die Frauen vergessen!), am Ende landet er bei Ernst Jünger – »Der Einzelne als Stoßtruppführer«

Es ist ein Fast Forward durch die Philosophie. Man kann sich vorstellen, wie so ein Buch zu Weihnachten an die Papas geht und wie wenig nach einem Cognac noch auffällt, wie grob es geschnitzt ist. »Wer als Einzelner erlebt, steht im Freien, ohne sich deshalb schon befreit zu fühlen.« Nun ja. Ob italienische Stadtstaaten sich »in der Arena des polyzentrischen Kräftespiels wie eigensinnige Individuen« verhielten? Sind die großen Künstler von Florenz vor allem »Darsteller des eigenen Ichs«? Eigentlich nein. Wohin führen solche Vereinfachungen? Mit Sicherheit weit weg vom Schmelzkern des Themas, einer eigenen Einsamkeitserfahrung.

Quelle DIE ZEIT 18. November 2021 Seite 72 „Seelenlage: Schmerzlich“ Daniel Schreiber und Rüdiger Safranski erkunden das vereinzelte Ich auf verblüffend verschiedene Weise / Von Susanne Mayer

Stadtstaat und Kosmopolitismus

Die großen Begriffe der italienischen Stadtstaaten uomo singolare, uomo unico“

Quelle Jacob Burkhardt: Die Kultur der Renaissance in Italien / Alfred Kröner Verlag Stuttgart 1952 (1860)

Siehe auch hier: http://s128739886.online.de/athen-und-florenz/

Sobald man das Individuum hervorhebt, ist es ein notwendiger Schritt zu bedenken, dass kein Individuum für sich allein existiert.

.    .    .    .    .

Quelle Thomas Vašek: Philosophie! die 101 wichtigsten Fragen / Theiss/ Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2017

P.S. Ich verweise dankbar auf den Artikel, in dem ich wohl zum ersten Mal im Blog auf dieses schöne Lexikon hingewiesen haben (ebenfalls in der Vorweihnachtszeit, Thema SEELE): hier

Und was ist, was vermag eigentlich der einzelne schöpferische Mensch?

Hier war mir das Büchlein noch neu. Jetzt ist es mir aus einer veränderten Situation heraus von neuem wichtig geworden. Ich schaue nicht mehr als erstes auf die Tiere, auf die Natur, sondern auf den Menschen, der an die Stelle Gottes tritt. In der Kunst ebenso wie bei der Herstellung einer wohlgeformten Holzkelle oder eines Hauses. Da sollte ich den entscheidenden Sprung der Gedanken darstellen oder wiedergeben…

Antike Musik im Arte-Film

Was gibt’s Neues?

Gesucht: Der Soundtrack der Antike (2021)

Link s.u.

Pressetext

Es war eine spektakuläre Entdeckung für die Wissenschaft: Der Papyrus, der unlängst im Depot des Louvre wiedergefunden wurde, scheint eine antike Partitur zu sein. Die Doku begibt sich auf eine Reise zu den geschichtsträchtigen Stätten von Delphi und Pompeji, um längst verloren geglaubte Klangwelten hörbar zu machen.

In den letzten 30 Jahren hat sich ein Zweig der Altertumsforschung dank neuer digitaler Technologien und interdisziplinärer Ansätze enorm weiterentwickelt: die Musikarchäologie. Ihr Ziel ist es, die Musik der Antike zu entdecken. Von den sagenumwobenen Stätten Griechenlands bis zu den Tempeln von Dendera in Ägypten, vom geheimnisvollen Delphi bis Pompeji: An zahlreichen bedeutenden Schauplätzen der Geschichte wurden die Überreste alter Instrumente wie Harfe, Tamburin, Aulos und Cornu gefunden. Sie sind ebenso unterschiedlich wie eindrucksvoll dokumentiert, etwa durch Mosaike, Keramiken und Statuen, auf denen überraschend häufig Szenen des Musizierens abgebildet sind. Einige Quellen geben außerdem Aufschluss über die Funktion der Musik in den Hochkulturen Ägyptens, Griechenlands und im Römischen Reich. Schon in der Antike begleitete Musik die Menschen in vielen Lebenslagen, von der Geburt bis zum Tod, ob im Krieg oder bei religiösen Ritualen, zu politischen Zwecken oder auch nur zur Unterhaltung.
Die Dokumentation stützt sich zum Beispiel auf antike griechische Partituren. Ihr Notationssystem konnte mit Hilfe eines Textes entschlüsselt werden, der dank der Kopisten des Mittelalters zumindest in Teilen überliefert wurde: Alypios‘ „Einführung in die Musik“.
Einige Fundstücke haben den Musikarchäologen nun ermöglicht, den jahrtausendealten Partituren Leben einzuhauchen: die Seikilos-Stele, die nahe Ephesos in der Türkei gefunden wurde und auch „das älteste Lied der Welt“ genannt wird, oder die Hymnen an Apollon, die an den Wänden Delphis entdeckt wurden. Und nicht zuletzt der Papyrus, der vor einigen Jahren im Depot des Louvre wieder auftauchte. Er bildet den Teil einer Arie aus der Tragödie „Medea“ ab. Eine faszinierende Forschungsreise auf den Spuren antiker Klangwelten rund ums Mittelmeer.

https://www.arte.tv/de/videos/093649-000-A/gesucht-der-soundtrack-der-antike/

HIER (abrufbar bis 25.8.2021)

Ein Film von Bernard George, Produzent: Olivier de Bannes / Namen und Begriffe: Laurent Capron, Annie Bélis (Musikarchäologin), Sylvain Perrot (Historiker CNRS), Tabellen des Alypios, Seikolos Säule 7:00, Konstantinos Melidis, (Universität Zypern), Ausgrabungsstätte Delphi 8:55, Hymnen an Apollo 128 v.Chr. Ensemble Kerylos 40 Sänger + Instrumentalisten 9:50 Text des Papyros „Glauke“, „Medea“, „Iason“, Euripides, Goldenes Vlies, Version Louvre Medea, Zeugnisse über Stimmübungen 14:00, 2. Jhdt. n.Chr., Aristoteles, Autor Karkinos 375 vor Chr., also viele Male kopiert, Wettbewerbe, Konstantinos Melidis, Satyros von der Insel Samos, Pythische Spiele, „Flötenspieler“ Stefan Hagel spielt Seikoloslied auf „Aulos“ (Aulos-Link hier) 19:20 Stefan Hagel in Wien 21:21 das Rohrblatt!!! Darstellung aus der klassischen Periode 22:22 Ägypten-Expedition Napoleons 23:36 Sibylle Emerit „Rero“ (?): Stimme, Ton, Lärm

24:50 „Geräusche galten als Ausdruck des Lebens, während Stille mit dem Tod verbunden war. Um gegen diese Stille anzukämpfen, legten die Ägypter manchmal Musikinstrumente in die Gräber.“

Anita Quiles (Datierung antiker Musikinstrumente), Rekonstruktion Harfe durch Susanne Schulz, Berlin 27:50 Gabunischer Harfenspieler 31:21

Rekonstruktion Wiedererweckung 

33:00 Tempel der Hathor (nördl. von Luxor) hier, 34:15 Sistrum, „Sobald etwas dargestellt wird, ist es lebendig“, Klang im Tempel und was außerhalb hörbar ist, Nähe zur Gottheit? 38:00 Pompeji, Isistempel, ägyptische Musik ist von Bedeutung, Sistren, Christophe Vendries (Rennes), griechische Kultur, Haus des Menander, Tibia, 41:00 Stefan Hagel, Wandmalereien, Theaterstücke des Terenz mit Tibia-Spieler,

43:20 „typische römische Trompeten“ in Pompeji, „Cornu“, Nachbauten im Brüsseler Instr.museum, Géry Dumoulin, Ircam, Klang des Cornu 49:00 zurück zum Papyrus, Annie Bélis, Amphitheater von Arles, Medea von Karkinos, Frédéric Albou singt, Medea als Bass! – Nachspann / 53:01 Kommentar: Antonia Mohr.

die Trompete „cornu“ beim Militär der Trompeter als Gladiator digital rekonstruiert Aufführung der „Medea“