Das Buch habe ich erworben, nachdem ich, aus Berlin kommend, nach Köln-Niehl gezogen war, gewillt, in der Domstadt richtig Fuß zu fassen, zumal mir das in Berlin nicht besonders gelungen war. Etwa so wie Jürgen Becker sein engeres Umfeld in dem Buch „Felder“ bestätigte und durch gute, wirklichkeitsnahe, bewusst ausdruckslose Sätze dokumentierte, so wollte ich es auf meine Weise tun. Und aus welchen Gründen auch immer – ist es mir nicht gelungen, vielleicht weil ich sonst keine Vorbilder hatte außer Benn, Proust und Musil. Und keine Heimat in Köln. Oder richtiger: weil ich die Musik hatte, die Instrumente, und zwar mit der Dauerforderung: Du sollst üben! Und zwar in Richtung virtuose Technik. Und vor allem: nie ausdruckslos.
andere Version „Aer tranquillo“: hier / Oder weiter im Booklettext:
Späte Selbstkritik
Ich glaube, solange ich denken kann, habe ich ein Vorurteil gegen die klassischen Dreiklangsthemen oder -melodien gehabt. Sie schienen mir zu simpel. Dabei hätte man mir bei ersten Kompositionsversuchen nur plausibel erklären müssen, dass sie eine wichtige Funktion hatten und durch zig Kleinigkeiten Charakter annehmen können. Auch wenn das erste Ziel eines Grunddreiklang – der die unvermeidbare Basis schafft – nur der (oft durch einen Terzvorhalt vestärkte) Wechsel zum zweithäufigsten Dreiklang ist, dem Dominantakkord auf der Quinte. Bei den hier zu betrachtenden Mozartkonzerten ist die Einhaltung der Regel selbstverständlich: K216 G-dur in absteigender Folge g – d – h (+ Wechsel zur Dominante), K218 D-dur auf und ab (mit Wiederholungen) d – fis – a – fis – d, K219 A-dur auf und ab (mit Zwischentönen und Vorhalten) a – cis – e – a – e- cis – a (+ Wechsel zur Dominante). Aber nicht im Traum könnte man diese Themen miteinander verwechseln, auch wenn sie alle drei in derselben Tonart gespielt würden.
Als Schüler wunderte ich mich, dass selbst Beethoven seine Sinfonien 1 – 4 mit Hauptthemen versieht, die „nur“ die Entfaltung des Grundakkordes demonstrieren: C-dur, D-dur, Es-dur, B-dur; bei der Nr. 5 könnte man bemerken, dass die Anfangstakte im Unklaren lassen, ob der Grundton schon vorkommt oder nicht. Bei Nr. 8 der fallende F-dur-Dreiklang, bei Nr. 9 eindeutig der (nach dem leeren Quintklang) aus der Höhe herabstürzende, fallende D-moll-Dreiklang.
Zugleich habe ich schon als Anfänger bemerkt, dass Mozarts sogenannte Facile-Sonate in wunderbarster und unverwechselbarster Weise Dreiklangsthemen inszeniert, die einem fortwährend bedeutungsvoll durch den Kopf gehen, im langsamen Satz sogar für einzigartige Stimmungswechsel sorgen.
Aber meine Begeisterung vor Jahren, als ich den Höhenunterschied zwischen den Violinkonzerten (1775) und der Sinfonia Concertante für Violine und Bratsche (1779) entdeckte, s.a. hier, sie beruhte ja vor allem auf der Einsicht in eine ungeheuer gewachsene Komplexität, – und wie beginnt nun dieses Konzert? Mit einem gewichtigen Unisono-Es, gefolgt von dem absteigenden Es-dur-Dreiklang, der wie eine Umkehrung der Tutti-Geigen im A-dur-Violinkonzert von einst anmutet.
Meine Notizen im Renner-Konzertfführer zeugen natürlich nur vom Lerneifer der Jahre 1954 f , nicht von geheimen Vorbehalten, obwohl mein Favoritstück, an dem ich alles maß, die späte G-moll-Sinfonie war.
Reclams Konzertführer, Hans Renner (1952)
Mozarts Wiederkehr
Soviel zu meiner frühen Mozart-Geschichte. Man sehe auch in diesem Blog den Hinweis auf Andrew Manze’s Aufnahme (2006) und die 2 zitierten Textseiten hier ! Für meinen Fortschritt in Sachen Mozart (neben der Reifeprüfung 1967 u.a. mit dem A-dur-Konzert) würde ich das Erlebnis der Mozart-Aufnahmen mit dem Collegium Aureum in den 70er Jahren nennen, ganz besonders der Sinfonia Concertante 1979 (mit Franzjosef Maier und Heinz-Otto Graf), dann die Erneuerung im SWR-Radiogespräch mit Tabea Zimmermann (betr. die Neuaufnahmen mit Zehetmair), dann: als das Collegium erstmals ein Konzert mit Andreas Staier gestaltete, der ein atemberaubendes Verständnis für Mozart-Rubato vermittelte, dann die Aufgabe, Texte für das Abegg-Trio zu schreiben, angefangen mit der Aufnahme sämlicher Mozart-Trios (1985).
Neue alte Violinkonzerte 1997 und 2011 und (siehe oben) 2021:
Reinhard Goebels Text zu seiner Aufnahme mit allen Violinkonzerten Mozarts
⇐
Es ist ein fabelhafter Text, den Reinhard Goebel zu der Doppel-CD mit Mirijam Contzen beigetragen hat. Unbedingt zur Kenntnis nehmen, – es ist das notwendige „Surplus“, das für mich zu einer zeitgemäßen Musik-Veröffentlichung gehört und doch selten genug realisiert wird. Man muss nicht nur ein paar neue Kadenzen entdeckt haben oder einige Nuancen des musikalischen Vortrags in Erinnerung behalten, sondern vertraut geworden sein mit dem Hintergrund einer Klangwelt, die sich eben nicht durch ein pures Hörerlebnis erschließt.
Nie wäre ich durch meine persönliche Geschichte dahin gekommen, – obwohl ich einer doch vielleicht nur ähnlichen Thematik auf einer anderen Ebene wiederbegegne und daher eine unvergessliche Sinn-Korrektur erfahre. Ich denke an meine oben erwähnte, ziemlich kindliche Einschätzung der Dreiklangs-Themen, ohne die ich aber nicht ein so erwachsenes Glück erfahren hätte, wie jetzt bei solchen scheinbar nur historisch korrekten Einordnungen: sehen Sie im Text mit der Seitenzahl 7, wie Goebel, von dem damaligen violintechnischen Horizont ausgehend, zu kompositorischem Neuland kommt. „Zwar könnten wir manchen Themenkopf (…) bei Myslivecek wörtlich vorgeprägt finden – aber diesen zündenden Exordien begegnet man ohnehin überall dort, wo von Anfang an Klarheit über den Inhalt und die Stilhöhe der nachfolgenden Rede zu herrschen habe. / Mozart hat sich im sinfonischen Bereich früh schon von diesen Standard-Anfängen zugunsten individueller Lösungen befreit, aber bei den Violinwerken ist nur die Thematik des Kopfsatzes des A-Dur-Konzerts (usw.) …“ – des weiteren Seite 9, wo er u.a. von der Fortführung der Dreiklangs-Motiven auf jenen Zuwachs kommt, wie er zwischen jedem einzelnen der vorausgegangenen Konzerte feststellbar ist. Schließlich auf jene „Komposition, die in exemplarischer Weise den großen internationalen Geschmack am Übergang zwischen ermüdetem galantem Zeitalter und erahnbarer Klassik trifft.“ Und am Ende schaut Goebel – zu meiner größten Befriedigung – voraus auf die Zeit nach der Paris-Erfahrung 1779, als Mozart „in der grandiosen Sinfonia Concertante KV 364 für Violine und Viola all die »Neuigkeiten« seiner großen Reise“ verband.
So beginnen die Konzerte auch als Aufschein eines Arbeitsprozesses zu leben, der sich von Standard-Anfängen zu individuellen Lösungen befreit.
Ein abschließendes Wort zu den verschiedenen Interpretationen. Ich halte nichts von radikalen Urteilen, mit denen eine tüchtige Leistung herabgesetzt wird, um eine hervorragende um so leuchtender erscheinen zu lassen. Gewiss ist Gottfried von der Goltz ein toller Geiger, von dem man viel lernen kann. Es lohnt den CD-Kauf, auch wenn man sich auf die drei bekanntesten Werke beschränken muss. Goebel bietet allerdings 6 Konzerte auf seiner Doppel-CD, lässt die ganze kompositorische Entwicklung des jungen Geigers Mozart verfolgen und bringt mit gutem Grund auch das Konzert KV 271a, dessen Echtheit bezweifelt worden ist. Es überzeugt vollkommen. (Sein Wort von der wachsenden „Ereignisdichte“ in dieser Musik geht mir beim Hören nicht aus dem Sinn.) Zudem hat er mit der Solistin Mirijam Contzen auf eine Geigerin gesetzt, über deren stilistische Sicherheit, Lebendigkeit und virtuose Brillanz man nur staunen kann. Die Aufnahme stammt aus dem Jahre 2011, sie wird auch das nächste Jahrzehnt unangefochten überdauern. Schöneres ist nicht vorstellbar.
die 4 Impromptus, die ich erst jetzt in Rot nach Entstehungsdaten nummeriert habe. Dabei wurde mir klar, dass mein Lieblingsstück von Jugend her, das Fantaisie-Impromptu, das schlecht beleumundete (von W. Georgi) und wohl auch von Chopin zurückgesetzte, das früheste war. Nun scheint mir, dass der Komponist sich zeitlebens daran erinnert hat und immer wieder die gleichen Momente neu ausgearbeitet hat, zentral ein Melodietypus (?), auf den Tadeusz A. Zielinski aufmerksam gemacht hat. (Früher hieß es, diese Melodiebildung komme vom Vorbild Bellini, – ganz im Gegenteil, behaupte ich!) „Chmiel“ ist sein Stichwort, „Hopfen“, wohl ein Hochzeitslied, bezogen auf die Themenbildung des Fis-dur-Impromptus, die mir rätselhaft geblieben ist, aufs neue, seit ich das Stück zur Wiedergewinnung einer gewissen Virtuosität seit zwei Monaten übe, neben dem in Cis-moll. (Die Noten habe ich – wie fast alles von Chopin – 1960/61 in Ostberlin im polnischen „Pavillon“ erstanden, die Paderewski-Ausgabe.) Vorschlag: höre die polnischen Volksmusikaufnahmen so oft wie möglich, prüfe die Ähnlichkeit, und sei es nur im Gestus… zuerst Bordun identifizieren, dann die wechselnden Melodietöne (Skala?), gerade die mehrfach (wie oft?) wiederholte Phrase mitsingen.
Quelle Tadeusz A. Zielinski: Chopin / 1999
↑ Bordun mit Quinte, Melodie umkreist den oberen Grundton, kein „Leiteton“. Wiederholformel mit gerade diesem Ton (unter Grundton)
↑ Beginnt mit Sprung der Melodie in die kleine Sexte. + Abstieg zum Grundton. + 3-Ton-Formel
↑ Merke: diese Version beginnt nach der Einführung des Borduntones mit dem Intervall der None (wie Chopin in Fis: None Cis/dis)
↑ diese Melodie gleicht vollkommen der ersten Version, aber deutlich langsamer.
Jetzt erst habe ich entdeckt, dass auch Jürgen Uhde sich Gedanken gemacht hat über dieses Fis-dur-Thema, wie immer analytisch klug, aber (natürlich) ohne Bezugnahme auf die Volksmusik, insofern doch defizitär. Mein Problem bestand darin, wie ich die Wiederholungsformel der linken Hand gestalte, diese „archaische“ Polyphonie, die auch eine andere dynamisch Gestaltung verlangt oder zu verlangen scheint als die Melodie der rechten Hand, obwohl sie jener doch „irgendwie“ nachgeformt ist. Aus früheren Jahren liegt in den Chopin-Noten noch ein Relikt meiner schriftlichen Versuche, dem Stück näherzukommen, der harmonischen Fortspinnung – letztlich ergebnislos. Jedenfalls was die dynamische Gestaltung angeht. Nebenbei rätselte ich über die Beziehung dieser Melodie zu der im Mittelteil des As-dur-Impromptus, dort in F-moll (rechte Seite).
JR Versuche
↑ So beginnt der – wie immer – nachdenkenswerte Hinweis bei Jürgen Uhde / Renate Wieland („Denken und Spielen“ s.a. hier), dessen einziges Manko ist, dass er zu keiner Assoziation mit der polnischen Volksmusik führt:
Ein wesentlicher Zug scheint mir, dass der 3. Takt der Oberstimme linke Hand den Takt 9, also den 3. Takt der Melodie rechte Hand wörtlich vorwegnimmt, also „ankündigt“, und dass diese Formulierung in den folgenden Takten 10 und 11 der linken Hand wiederholt wird, um erst in Takt 12, nachdem die Oberstimme zu Ruhe gekommen ist, in einen Halbschluss zu führen. Es ist diese Windung der Töne, die in den 4 Impromptus immer wieder tonangebend ist, so in diesem Impromptu für die sich erweiternde technische Formel leggiero ab Takt 82 (wo man oben in der linken Ecke auch sieht, wie oft ich in meinem Leben mich schon dran abgearbeitet habe).
Es ist die gleiche Formel, aus der er einst das ganze Fantaisie-Impromptu entwickelt hatte, inclusive Cantabile-Mittelteil, dessen herrliches Thema offensichtlich auch mit dem des Fis-dur Impromptu zusammenhängt, während diese „technische Formel“ natürlich auch im Anfang der restlichen zwei Impromptus steckt. (Im folgenden Beispiel 4 Kreuzchen als Vorzeichen mitdenken!)
Zurück zu meinem Versuch betr. F-moll-Mittelteil im As-dur-Impromptu (oben): etwas Entscheidendes habe ich nicht bemerkt. Oder zähneknirschend hingenommen. Die widersinnige Begleitung der linken Hand. Ich hätte mich anders entschieden, wenn ich schon Grzegorz (Greg) Niemczuk’s Erläuterung gekannt hätte. Hören Sie ihn (von vorn und dann besonders) über die von mir abgeschriebene Stelle, ab 8:32, dann vor allem der Schluss, die Kurzformel vom Abschluss des ersten Teils (Takt 31-32) und die fragmentarische Wiederkehr (Abschied) des Mittelteil-Themas (in meiner Abschrift die Melodietöne Takt 2 bis 5 g – as – b – c):
Ich finde es wunderbar, wie er beim Spielen und im Demonstrieren erzählt, was in der Musik geschieht, ungeachtet der Fehler, die ihm unterlaufen. Er analysiert nicht wie ein Wissenschaftler, sondern wie ein wacher, übersprudelnder Musiker. Er denkt nicht daran, uns eine sauber geschnittene Beispielsammlung zu präsentieren, ihm liegt es am Herzen, seine Begeisterung für die Komposition auf uns überspringen zu lassen. Das finde ich unbezahlbar! Ich wollte, mein Vater hätte so mit mir über Musik gesprochen, statt dem auf „stumm“ präparierten Flügel endlos seine Fingerübungen und Rolltechniken abzuringen. Mittagsruhe! Aber immerhin: er spielte die E-dur-Etüde auf Familienfesten, klangschön wie einen Gesang, und den weitgriffigen chromatischen Höhepunkt mit allen Tönen (trotz seiner kleinen Hände). Falls ich das damals beurteilen konnte!
(Fortsetzung folgt)
Um mein Lob etwas zu relativieren: ich glaube im Fall des „Chmiel“-Impromptus war „Greg“ auf dem falschen Dampfer. Doch davon später…
Noch vormerken: Mazurka op. 68, Nr.3 https://www.chopinvillage.eu/ hier oder hier ↓
Selten habe ich mich so gefreut über eine neue Geigen-CD, die dem Senza-Basso-Spiel vor Bach gilt, eine Auswahl, von der ich vor 40 Jahren nur träumen konnte: dabei hatte ich mir von Anfang an schon allerhand Wissensstoff besorgt:
… den Boyden im August 1972, angeregt durch Sigiswald Kuijken. Und über den Aschmann (Zürich 1962), den ich am 30.8.73 in Benediktbeuern erstand oder zu lesen begann, konnte Reinhard Goebel, dem ich am Telephon – latent stolz – darüber berichtete, nur spötteln (er besaß schon alles überhaupt Greifbare zum frühen Violinspiel). Ich sehe Gebrauchsspuren auf dem Cover, vorn Abdrücke eines Weinglases (?), hinten einen illegalen Malversuch meiner Tochter (*1971).
Gestern, als die CD angekommen war, habe ich natürlich als erstes auch das folgende Youtube-Video „nachgeschlagen“, – sehr schön und sehr anrührend, und gleich zu Anfang auch überzeugend, was den Takt bzw. den strittigen Ton angeht, am Anfang der zweiten Zeile (e oder es?).
Zum Kennenlernen – Gunar Letzbor – hier (hineinhören!)
Natürlich habe ich mir seit damals einiges von den älteren Sachen besorgt (in vielem erkenne ich Goebels Tipp oder – Handschrift). Biber kann ich recht gut, von seinen Mysterien-Sonaten hatte ich einige in Solinger Kirchen gespielt, als es noch gar nicht Usus war, sich mit Skordatur (anders gestimmten Geigen) aufs Podium zu wagen. Ansonsten mochte ich nichts von Komponisten vor Bach so gern, dass ich Übezeit opfern wollte. Hören – ja! die Begeisterung für Monteverdi (Madrigale – dank Deller Consort – und Marienvesper) war schon immer da. Andererseits fühlte ich mich als Pionier der Barockgeige, und sehe nachträglich, dass ich irgendwie im Dunkeln tappte… Viel später erst hat mein Lehrer Franzjosef Maier, der schon in den 60er Jahren mit uns die von Muffat im „Florilegium“ dargelegten Spielweisen erarbeitet hatte, auch die Mysterien-Sonaten „zur Kenntnis“ genommen, aber erst 1983 für Harmonia Mundi ausgezeichnet eingespielt. Reinhard Goebel folgte1990 mit einer Kontrast-Aufnahme und neuen Ideen. Er machte mich auf manches aufmerksam. Dies könnte seine Handschrift sein:
Nicola Matteis (Goebel)
Walther („Bogenvibrato“?)
Wie früh konnte man überhaupt Pisendels Solosonate schon kennen? Man höre und schreibe: mindestens seit 1952, siehe unten das Vorwort Hausswald. Die weitere Frage war: wir sollte man sie überzeugend spielen? Ich habe Im WDR-Archiv noch frühe Biber-Aufnahmen abgehört: unfassbar spießige Alte Musik, aufgenommen im großen Sendesaal von Mitgliedern der frühen Cappella Coloniensis, – trotz Mitwirkung Fritz Neumeyers am Continuo. Der Stil änderte sich prinzipiell erst mit den Gebrüdern Kuijken! … und mit Reinhard Goebel.
vgl. Aschmann
Man sieht es den Akkorden z.B. in der Zeile 5 nicht unbedingt an, wie unglaublich schwer sie zu greifen und sinnvoll vorzutragen sind. Es reizt von Natur aus keine/n Geiger/in, sich daran die Zähne auszubeißen. Anders als bei Biber oder gar bei Bach, von dem hier nur eine der schwierigsten Stellen wiedergegeben sei. Ein Pianisten-Auge sieht das nicht, es handelt sich – nach den leeren Saiten d/a um den „machbaren“ Griff d/gis und den darauf folgenden vierstimmigen Fingerverknotungsgriff h/gis/d/f, eigentlich nur um diesen einen Akkord, der die Wirkung der Kadenz zunichtemacht, scheinbar, – es sei denn man macht eine Kunstpause und spricht ein Trostwort ins Publikum…
BWV 1003 Fuge T. 277 ff
Ich hoffe, man verübelt mir nicht, dass ich zunächst über mich selbst schreibe statt über die fabelhafte Geigerin. Das kommt auch daher, dass ich nicht zum eigenen Ruhme schreibe, sondern um mich zu vergewissern, ob oder wie ich innerlich mit den Dingen, die mich heute bewegen, verbunden war, bin oder sein sollte. In den 70er Jahren zum Beispiel habe ich nicht nur Geige gespielt, sondern eine Dissertation über arabische Musik abgeschlossen, mich intensiv mit indischer Musik u.a. beschäftigt, wurde beim WDR fest angestellt – nolens volens! -, produzierte regelmäßig Sendungen und Konzerte mit außereuropäischer Musik, machte Aufnahmereisen u.a. nach Rumänien, Afghanistan und Korea.
Trotzdem, – um bei Biber zu bleiben – , ich fand mich irgendwie wohl unersetzlich, zumal mir ein barocker Geigenstil im Sinne Monteverdis vorschwebte, nämlich leidenschaftlich und virtuos. Alte Musik durfte nicht zahm und langweilig sein. Und auch in der „Schutzengel“-Sonate hätte ich weniger die frommen Gedanken als den Lamento-Bass herausgekehrt, den tragischen Lebensweg zum Tode, der ein ständiges Aufbegehren provoziert. Mit Blick auf Bachs „Ciaconna“ ebenso wie auf Flamenco-Modelle und verwandte arabische und indische Modi. Wie dem auch sei, ich lese mit besonderer Anteilnahme, was jemand sich bei Musik denkt, und wie er oder sie das in Worte fasst. Es ist ein Indiz, kein Rezept. Ich empfehle daher auch, das ganze Booklet zu lesen, das glücklicherweise online auffindbar ist: nämlich hier. Merkwürdig, dass Nadja Zwiener von einer Art „Trance-Zustand“ spricht… Man kann ganz anderer Meinung sein, aber es ist mir eigentlich lieber als der moderate Text, den einst mein verehrter Lehrer zu den „Rosenkranz-Sonaten“ geschrieben hat. Die musikalische Welt, die für mich maßgebend war, habe ich damals immer wieder darstellen wollen, und auch die Gelegenheit im Radio genutzt. Sendungen ohne Text. Zum Beispiel nur über die Idee der 4 Töne abwärts, denen die „Schutzengel“-Sonate gewidmet ist.
Die Passacaglia „Schutzengel“ von Heinrich Ignaz Franz Biber (nach Aschmann)
Biber: zum Vergleich hineinhören hier (Gunar Letzbor) hier (Goebel) / Text hier
Wer war Johann Joseph Vilsmayr? (Biber-Schüler) Siehe Wikipedia hier
Vilsmayr: zum Vergleich hineinhören hier (Austrian Baroque, Liliana Bernardi)
Zitat zu Biber (Seite 177): „Mit Gottes Hilfe werden wir versuchen, diese katholische Botschaft auch Menschen mit anderem religiösen Hintergrund zu vermitteln und ihnen ein mystisches Erlebnis der großen göttlichen Liebe zu schenken.“
Einbandgestaltung: Christian Vitalis unter Verwendung von Fotografien von Daniil Rabovsky (Cover) und Franz Farnberger (Rückseite) / ISBN 978-3-86846-155-8
Man sollte einmal in die Aufnahme der Westhoff-Suite in a-moll hineinhören, Stück für Stück, man hat sie ja leicht greifbar bei jpc hier. Ich finde da nichts wieder von dem, was mich bei Nadja Zwiener fasziniert: hier. Sicher, es ist brutal, nur diese herausgerissenen Fragmente abzuhören, aber es lässt sich doch schon vieles erahnen. Wenn auf der Solissimo-Geige vierstimmige Akkorde verlangt sind, sollte man wissen, dass sie anders klingen dürfen und sollen als in der „Kreutzer-Sonate“. Auf jeden Fall nicht einer wie der andere, sondern sehr unterschiedlich arpeggiert und nie und nimmer gebrochen in „unten zwei“ und „oben zwei“, die letzteren dann durchgezogen. Im übrigen auch sonst: es bedarf phantasievoller Varianten im Bogenstrich-Tempo, man braucht „sprechende“ Stricharten, selbst bei einem obsessiven Verlauf wie in der Gigue von Westhoff! Was für ein tolles Stück, wenn man es präsentiert bekommt wie von Nadja Zwiener.
Oder man nehme die Vilsmayr-Partita in A-dur auf der derselben Zwiener-CD Tr. 14 – 23 und vergleiche sie mit der Aufnahme von Liliana Bernardi hier Tr. 1-10. Z.B. die „einfache“ Aria, hier Tr.2 (bei Nadja Zwiener Tr.15), da ist auf Anhieb der klangliche Unterschied zwischen Barockgeige (N.Z.) und moderner Geige (L.B.) offensichtlich; ich meine nicht den Unterschied der Stimmung (den auch), aber in der Ausführung der Akkorde, – die Ruhe, die Leichtigkeit des Saitenwechsels -, oder das Vibrato, dessen Enge im einen Fall fast ängstlich wirkt, dessen Fehlen aber im anderen Fall, wo man es gar nicht sucht, nur wohltut. Die natürliche Anmut der Melodie und der Ornamente hier, auf der anderen Seite die bloße Korrektheit des scheinbar flotteren Vortrags.
Vorweg ein Fazit zu Nadja Zwiener: für mich ist dies die CD des Jahres. Geigerisch eine Offenbarung, zumal der Ton des „vormodernen“ Instrumentes unverwechselbar zur Geltung kommt, ja unverzichtbar erscheint. Ohne jegliches Defizit hinsichtlich der virtuosen Möglichkeiten. Ich muss zugeben, dass ich z.B. Pisendels Solosonate schon früh in einer Goebel-Abschrift oder -kopie besaß, auch zu üben begonnen habe: sie blieb mir jedoch ein barockes Rätsel, nicht reizvoll, sondern eher wirr und willkürlich, griff- und bogentechnisch schwierig, aber ohne tieferen Sinn. (Bei Bach ist es der Sinn, der einen ruhelos macht und beim Üben vorantreibt.)
Es braucht einige Zeit, ehe man sich auf dieser CD zurechtfindet: machen Sie den Test, spielen Sie jemandem die CD (27 Tracks) vor und fragen Sie zwischendurch, wo wir uns befinden. Kaum denkbar, dass Sie eine befriedigende Antwort bekommen. Übrigens hilft auch die Lektüre des Booklet-Textes nicht viel (Reihenfolge der thematisierten Tracks 12, 8, 26, 27, 14-23, 3-6, 9-11), obwohl das wiedergegebene Gespräch mit Nadja Zwiener sympathisch, informativ und anregend ist. Es gehört auch dazu, dass man erfährt, wie sorgfältig sie die Abfolge des Programms gestaltet hat. Auch, was es für sie bedeutete, diese Produktion in der Corona-Zeit erarbeitet zu haben, also: die unfreiwillige Einsamkeit für Solissimo-Musik zu nutzen, die nicht von Bach stammt. Man genießt es, und es zahlt sich aus, immer wieder innezuhalten und sich zu vergewissern, in welchem Umfeld oder Jahrzehnt man sich befindet (z.B. Portugal 1720?). Vilsmayr (Biber-Schüler) – 10 Sätze und Charaktere, Aria oder Menuett? Giga mit Variationen fast 9 Minuten – wo bin ich? (Finale Pisendel).
Interessant finde ich Nadja Zwieners Bemerkung zum Prelude in A-dur von Corelli, das im Original als Satz einer Sonate mit Continuo-Begleitung veröffentlicht wurde (1700 Corelli op.5 siehe hier). Sie sagt:
Ich war selbst überrascht, als ich ein Faksimile eines Walsh-Druckes von 1705 in die Hände bekam, der gesammelte Präludien für Violine solo der „großen Meister aus ganz Europa“ enthält, darunter Namen wie Corelli, Purcell und Biber. (…) Gerade Corelli mit seinen wegweisenden Violinsonaten opus 5 war noch Jahrzehnte nach seinem Tod europaweit bekannt. Das Prelude in A-Dur ist wortwörtlich der Mittelsatz aus einer dieser Sonaten, aber eben ohne Bass. Anscheinend war es durchaus üblich, diese Werke auch ohne Begleitung zu spielen.
Wenn Sie vergleichen wollen: die Original-Version finden Sie auf Youtube in der Gesamtaufnahme mit Andrew Manze hier „06. Sonata No.6 for violin & continuo in A major“ Satz III ab 1:01:45 bis 1:02:42.
https://www.psychosozial-verlag.de/2374 HIER Vollstedt Gießen 2014
Tobias Vollstedt
Tiefenhermeneutische Analyse des ersten Satzes der Sonate für zwei Klaviere in D-Dur (KV 448/375a) von Mozart
Eine musikpsychoanalytische Studie zum sogenannten Mozarteffekt
* * *
https://core.ac.uk/download/pdf/11583791.pdf HIER Rameder Wien 2008
Eva-Maria Rameder
AUF DER SUCHE NACH DEM MOZART-EFFEKT
Der Einfluss von Komposition, Musikgeschmack und musikalischer Vorerfahrung auf die räumliche Vorstellung Eva-Maria Rameder
ZITAT Seite 78 ff
Tomatis (1995) stellte in seinen musiktherapeutischen Forschungen fest, dass durch die Musik Mozarts die besten und langanhaltensten Therapieerfolge zu erzielen sind. Er meint, dass die Rhythmen, Melodien, und hohen Frequenzen seiner Musik die kreativen und motivierenden Gehirnregionen stimulieren und kräftigen. „Mozarts Noten klingen alle so rein und einfach, seine Musik wirkt aber mit einer Wucht, die andere Komponisten nicht haben“ (Tomatis 1995, zit. nach Campell, 1997, S.42). Durch die sehr frühe Konfrontation und Auseinandersetzung Mozarts mit Musik wurde sein Nervensystem auf größtmögliche Empfänglichkeit für Musik sensi-bilisiert und seine neurovegetativen Reaktionen auf Musik vorbereitet. Die dadurch entstanden inneren Rhythmen spiegeln sich in den charakteristischen Kadenzen, die sein gesamtes Werk kennzeichnen, wider. Harris (1991) beschäftigte sich mit der Musikstruktur und betonte Besonderheiten in der musikalischen Bauweise in Mozarts Kompositionen. Seine Melodien bestünden aus kurzen Phrasen, welche immer in Kombination mit anderen, ähnlichen Sätzen zu hören sind. So würden im Sinne eines Mosaiks einzelne Teile miteinander verbunden, um ein wundervolles Ganzes zu erzeugen. Bei romantischen Komponisten, wie z.B. Tschaikowsky, finden sich im Gegen-satz dazu großatmige Melodiebögen. Nach Harris gelang es Mozart durch die Raffiniertheit und Komplexität seiner Kompositionen, Einheit und Vielfalt zu erfüllen. Die aneinander gereihten musikalischen Abschnitte werden sowohl als verschieden, als auch aufeinander bezogen erlebt. Weitere Begründungen, die für Mozart sprechen, finden sich bei Hughes & Fino (2000) und bei Jenkins (2001). Sie glauben, mit der Entdeckung der Langzeit-Periodizität in Mozarts Musik dem Geheimnis seiner Wirkungsweise auf der Spur zu sein (siehe Kapitel 5.3.3.). Ein Zusammenhang zwischen diesen Langzeit–Periodizitäten und der normalen Kodierung im Gehirn wird vermutet. Nelson (2002) fasste die Überlegungen von Rauscher (1999) bezüglich Musikwahl zusammen. Demnach wurde die Mozartsonate deshalb ausgewählt, weil sie aus einer beschränkten Zahl von musikalischen Motiven komponiert ist, welche symmetrisch mehrere Male auftreten. Sie ist eine extrem organisierte Komposition und durch die Tatsache, dass sie für zwei Klaviere ist, ergeben sich mehr Gelegenheiten für die Entfaltung der Motive im Raum. Die Komposition hat eine sehr klare rhythmische Struktur. Vor allem am Beginn des ersten Satzes treten musikalische Abschnitte in regelmäßigen und vorhersehbaren Intervallen auf. Aus meiner Sicht vermittelt gerade die Klavier-Sonate für zwei Klaviere in D-Dur KV 448 ein ausgesprochen räumlich-plastisches Hörerlebnis. So entsteht durch Echoeffekte und durch Ineinandergreifen und Verweben von komplexen Phrasen ein sehr räumlich strukturierter Höreindruck. Der räumliche Effekt wird durch das Spiel zweier Klaviere noch verstärkt.
*****************************************
https://www.swr.de/swr2/musik-klassik/mozart-gegen-epilepsie-100.html hier
Es ist nicht in erster Linie der räumliche Effekt, sondern der Eindruck der Dichte: der Linien, die quer zueinander laufen; die z.B. bei bloß vierhändigem Spiel an einer Tastatur nicht möglich wären. Vgl. auch den Unterschied zwischen Cembalo mit einem Manual gegenüber dem zweimanualigen am Beispiel bestimmter Goldberg-Variationen.
die CD ist da! (15.4.21)
Nicht irreführen lassen durch andere Aufnahmetechnik (80er Jahre), die zugleich eine softere Auffassung suggeriert. Noch bin ich auch nicht darüber hinaus, die mir besser bekannten 4-händigen Sonaten Mozarts (C-dur und D-dur) in der Substanz höher zu stellen als diese. Den Text von Philipp Ramey habe ich wiedergegeben, weil da zum erstenmal kritische Töne zur Mozartsonate laut werden: von einem „oft gehörten Vorwurf“ ist die Rede, die Sonate sei kaum mehr als Unterhaltungsmusik, so dass Albert Einstein zuhilfe gerufen wird. Ich finde diese Kennzeichnung nur deshalb interessant, weil man nun ihre Sprache rechtfertigen muss. Es genügt nicht, auf einzelne, unwiderstehlich bezaubernde Themen hinzuweisen. Es klingt halt mehr nach perfektem Mozart-Stil als nach einem unverwechselbaren Individuum. Ich muss oft nach Gründen der Mozart-Schönheit suchen, wenn die Melodiebildung von Dreiklangsmotivik geprägt ist. Beispiel: Sonata facile, für deren Haupthema dies gilt, ohne dass ich auch nur einen Moment lang an der Genialität zweifele. Der von Dreiklangselementen geprägte langsame Satz gehört für mich zum Schönsten, was es überhaupt in klassischer Prägung gibt, nicht erst dank des Mollteils, sondern vom ersten bis zum letzten Ton.
À propos Mozart
Bei dieser Gelegenheit sei ein Thema festgehalten, bei dem ich mich frage, ob Mozart oder Michael Haydn die Vaterschaft beanspruchen kann; darüberhinaus denke ich an die ersten beiden Zeilen der „Deutschland“-Hymne, also an Joseph Haydn. Ich habe das Thema vorgestern bei unserer Duo-Probe fotografiert, 1. und 2. Zeile jeweils (Vorder- und Nachsatz), – die 3. und 4. (in der Violine) sind bereits Variation der 1. Zeile:
Ich werde es noch säuberlich notieren (samt Hymne und „Facile“-Version), denn es ist eine wunderschön erfundene (konstruierte?) Melodie.
16.04.21 Da sind die drei (JR – in aller Kürze und auf D-dur gesetzt – ein Topos eben):
Noch etwas ganz anderes: Wie improvisierte Mozart? (Eine Anregung, Robert Levin zu verstehen):
Levin spricht über ein Detail der Skizze Detail: es geht um den Bass-Übergang
Ab ca. 7:00 Besprechung der improvisierten Ornamentik im Adagio der Sonate C-moll KV 457 (hier der Anfang in meiner Urtext-Ausgabe Henle):
Ich möchte (zunächst) nur Stichworte sammeln, die den Vorgang bezeichnen, umzudenken. Den Vorgang des Umdenkens zu protollieren. Also: Neues wahrzunehmen, mitzudenken, nach-zu-denken, ohne es mit Hilfe von Stichworten, Etiketten, Schubladen nur abzufertigen, abzulegen, aus dem Gesichtsfeld verschwinden zu lassen. Es solange anzuschauen, bis es seine Sprache zu verändern scheint. Ähnlich, wie ich heute um 5.35 das entfernte Solo eines Schwarzdrosselmännchens aufgezeichnet habe, das mich seit einigen Tagen beunruhigt. Es war günstig, obwohl es in einiger Entfernung, wenn auch noch greifbarer Nachbarschaft hinter den Häusern erklang. Aber der Gründonnerstagmorgen ansonsten war still, es gab auch noch kein erleuchtetes Fenster irgendwo. Im übrigen hatte ich beim Aufwachen sofort an dieses Keyboard-Solo gedacht, das ich vor drei Tagen kennengelernt und hier zugänglich gemacht hatte. Die drei Worte des Titels schienen mir treffend die Faszination zu bezeichnen, die durch die Musik und die gefilmte Situation der musizierenden Interpreten ausgelöst worden war. Dauer 10:44
Falls es Ihnen wie mir beim ersten Einschalten ergeht (abgesehen von dem Unglück, wenn es mit einer Reklameeinspielung beginnt): ich mag den angeberischen Ton der Trompeten im Bigband-Sound nicht, – bewahren Sie Geduld, es geht zunächst um das Erlebnis des Synthesizer-Solos, danach werden auch die Trompeten anders klingen…
Kein Zufall, dass fast zur gleichen Zeit eine neue zusammenfassende Ästhetik ins Gesichtsfeld tritt, die Aufmerksamkeit fordert. („Wissen im Klang“ 2020)
Meine Geschichte habe ich wohl schon erzählt (zumindest etwas davon an dieser Stelle). Ich habe jetzt nochmal bei Bartók nachgeschlagen und gedacht: dann kann ich es auch notieren bzw. kopieren und der Allgemeinheit zugänglich machen. Man weiß, dass Sarasate seine „Zigeunerweisen“ dem Notenbuch eines bekannten Budapester (oder Bukarester?) Musikanten entnommen und vermarktet hat. (Korrigiere ich im Laufe dieses Blogartikels!) Aber vom Thema des letzten finalen Teils wusste ich diesbezüglich nichts Genaues, dabei hat es überhaupt die bekannteste Herkunftsadresse solcher Musik, nämlich eine Ungarische Rhapsodie von Franz Liszt. Jeder könnte das wissen, wenn er nur solche Virtuosenstückchen liebte und zwar dann auch nicht nur solche der Geiger sondern auch solche der Pianisten. Das ist gar nicht so häufig. Und wenn man schon die eine oder andere, vor allem die berühmte Rhapsodie von Liszt kennt, dann vielleicht nicht gerade die dreizehnte. Ich habe sie nur herausgesucht, weil Bartók sie erwähnt im ersten Band der Sammlung „Das Ungarische Volkslied“ und die Figuration aufs 18. Jahrhundert bezieht. Ehrlich gesagt: wenn ich alle Lieder kennte, die er notiert hat, oder wenigstens die 320 Lieder dieses Bandes, hätte sie also zum Beispiel innerlich durchgesungen, – ich hätte den (Schein-)Sarasate nicht erkannt, – natürlich aber in Bartóks Liszt-Notenbeispiel schon vor langer Zeit, aber da gab es google und youtube noch nicht, und deshalb habe ich die Sache auf sich beruhen lassen. Zur Sache, heute ist der Tag!
also: youtube nachschauen, reinhören (bei 6:19):
Jetzt die berühmte Aufnahme mit Heifetz, weil auch in Noten nachlesbar ab 6:55:
Und die Quelle,bzw. die Quelle hinter der Quelle, die Bartók dingfest gemacht hat:
Auch den Text findet man in deutscher Übersetzung (72.):
Quelle Béla Bartók: Ethnomusikologische Schriften / Faksimile-Nachdrucke I DAS UNGARISCHE VOLKSLIED / B. Schott’s Söhne Mainz 1965 / Bemerkung Seite 218, Notenteil Seite 20, Liedtext Seite 138
Was ist mit den anderen „Zigeunerweisen“ von (?) Sarasate. Der Henle-Verlag, der sie 2013 neu herausgebracht hat, gibt einen interessanten Kommentar dazu, „Geklaute Melodien“ – Sarasates „Zigeunerweisen“ unter Plagiatsverdacht, online hier (mit Hörbeispiel!). Sarasate traf Liszt 1877; dessen Rolle bei der Vermittlung der sogenannten Zigeunermusik wird behandelt, nicht aber die Verwendung des gleichen Themas schon in der 13. Ungarischen Rhapsodie. (Im youtube-Notendruck steht „Erschienen: 1854“, was lt. MGG 2004 „Liszt“ Bd. 11, 253 hinkommen könnte.) Sarasates kompiliertes Opus erschien 1878.
Der Henle-Verlag gibt auch die Ungarischen Rhapsodien von Franz Liszt heraus, aber bisher wohl noch nicht die 13., das Vorwort zur 12. dagegen kann man hier nachlesen.
Piano Masterclass with Stefan Askenase (1966) Chopin: Berceuse op. 57 in D-flat major
Stefan Askenase was born in Lemberg (Poland) on 10th of July 1896. At the age of five he began playing the piano with his mother, a pianist and pupil of Karol Mikuli (a pupil of Chopin). He later studied with Theodor Pollak and with Emil von Sauer, a pupil of Liszt. He recorded extensively the works of Chopin for Deutsche Grammophon label in the 1950s and 1960s.
HIER ! dieselbe Aufnahme im externen Fenster, damit man – hierher zurückkehrend, nach Vergrößerung des Bildes und von einem Blatt zum andern weitergehend – ungestört die Noten, die Töne und den gesprochenen Text zugleich verfolgen kann:
Am Schluss sagt der Meister: „Und nun wollen wir alles vergessen, was ich Ihnen eine Stunde lang gesagt hab, und ich spiele Ihnen die Berceuse vor“. Diese folgt aber nicht automatisch, sondern irgendeine andere Aufnahme, um die es uns nicht geht. Man muss sie event. extra abschalten. Die Aufnahme mit Stefan Askenase findet man mit folgendem Link (oder im externen Fenster hier):
Ich kann übrigens die Quelle meines Notentextes nicht angeben; das nicht weiter gekennzeichnete Heftchen stammt aus dem Nachlass meines Vaters, vielleicht war es die Beilage eines Lehrbuches (der Pedalkunst?). Aber ich fand, es ist eine einmalige Chance, die genau passende Berceuse-Ausgabe von Askenase bei seinem Unterricht vor Augen zu haben.
Biographisches über Stefan Askenase siehe Wikipedia HIER .
Nachtrag 14.10.19
Heute kam von einem Freund interessante Post u.a. zum Thema Fingersatz:
Was mir auffällt, sind die merkwürdigen Fingersätze bei Askenase. Zum Beispiel vierter Takt: da nehme ich 3-4-3-2-1 statt seiner 3-4-2-1-2, also den Daumen untersetzend, um ihn nicht auf der schwarzen Taste zu haben. Ähnlich Takt 6: Ich verwende 4-3-1-3-2, und im darauf folgenden Takt nehme ich die Terz mit 4/1, spiele die untere Stimme dann aber mit 1-2 weiter und erreiche dadurch ein Fingerlegato.
Nun, in diesem Takt mag es an Askenases kleinen Händen liegen, die er ja auch erwähnt (teilt er mit meiner Klavierlehrerin übrigens), aber in den Takten vorher finde ich meinen Fingersatz viel logischer. Whatsoever.
Ich hätte aber sehr gerne damals – so sehr ich meine Klavierlehrerin geschätzt habe, die mich sehr gefördert hat – einen analytischeren Unterricht gehabt. Es wurde da ja sehr wenig analysiert. Klar, bei Bach-Fugen der Stimmenverlauf etc., in Sonaten die Sonatenform und die Themen, aber es ging nie ins Detail. Daß die Berceuse aus lauter Variationen besteht, habe ich gestern bei Askenase das erste Mal gehört und gleich begriffen.
Dafür hatte meine Lehrerin den sehr schönen Begriff der „Terzenseligkeit“ für die 5. Variation, was ja auch eine klare Spielanweisung beinhaltet – und an diese quasi schwelgerische Terzenseligkeit habe ich mich beim Spielen immer gehalten. Wobei ich auch das Auftauchen der zweiten Stimme in der rechten Hand (Variation 1) bis heute sehr liebe. Das ist so raffiniert gemacht in seiner Doppelbödigkeit, wie da die zusätzliche Stimme eingeführt wird, man merkt, daß Chopin viel Bach studiert hat.
Allerdings muß ich sagen, daß mir Rubinstein mit seiner Berceuse näher ist als Askenase, der an manchen Stellen doch sehr trocken ist. Man kann (und darf) da aus den Melodien schon mehr rausholen, me thinks. Geschmäcklerische Kritik auf hohem Niveau (ganz furchtbar übrigens die Wolfsfrau mit der Berceuse [hier], am Rande).
JR: Die „Wolfsfrau“ habe ich eingefügt, sie wird in Takt 31 abrupt ausgeblendet, aber die Zeit reicht um festzustellen, dass der Klavierklang zwar moderner ist als in der Aufnahme von 1966, der Pedalgebrauch jedoch ganz inakzeptabel ist, – ganze Takte, die ineinanderschwimmen! Schauen Sie nur, wieviele Pedalwechsel Askenase in seine Noten eingezeichnet hat, um ein solches Verschwimmen auszuschließen (man hört auch, dass er es wirklich so umsetzt) und wie sparsam auch Paderewski (siehe Notenbeispiel weiter unten) damit umgeht! Ein detaillierter Vergleich wäre tatsächlich instruktiv, – psychologisch interessant wäre allerdings auch das Studium der nachfolgenden Hörer-Kommentare: ich will nicht behaupten, dass die visuellen Eindrücke doch vielleicht eine allzu große Rolle spielen, allerdings freue ich mich, anschließend wieder dem Pianisten Askenase ins strenge Antlitz zu schauen, das sagt: Bleib bei der Musik!
Was die Fingersätze angeht: da kann man gewiss diskutieren, – hier folgen die angesprochenen Takte in meiner Paderewski-Ausgabe. 10 Bände habe ich mir 1961 im Polnischen Pavillon in Ost-Berlin gekauft, wissend, dass ich kaum 5% davon je spielen würde. Ich möchte mir heute noch die eigenen Hände küssen, dass ich die Noten besitze, ohne sie alle üben zu müssen.
Höchst aufschlussreich ist ein Skizzenblatt, das zeigt, wie Chopin seine „Variants“ entwirft oder ausarbeitet (vermutlich ist es nicht die erste und auch nicht die letzte Stufe der Ideenbildung), nämlich strikt in Vier-Takt-Gruppen untereinander, wobei er auf der rechten Blatthälfte (ab Nr.7), auch wegen der langen 32stel-Notenketten, etwas ins Gedränge kommt. Da Chopin seine Zählung mit dem Thema selbst beginnt (nicht mit der ersten Variante, sondern mit Variante „null“), entspricht seine Zeile 7 unserer „6. Variation“, seine letzte Zeile 10 unserer „9. Variation“, aber an dieser Stelle wird die Zuordnung ohnehin etwas schwierig. Reizvoll wäre es, jetzt sein Prinzip (?) der Variantenerfindung im Detail zu untersuchen: bei engster Bindung an das rhythmisch-harmonische Schema die größte Freiheit der Fiorituren zu entfalten und gerade das „Schema“ vergessen zu lassen. (Ich denke an die Praxis polnischer Volksmusik … oder auch an die melodische Variantenfolge der südindischen Krti.)
Noch etwas:
Heute Nacht habe ich die unsägliche Sendung der Echo-Klassik-Preisverleihung gesehen. Liebe Leute, glaubt mir: soooo geht Klassik nicht!!! Da hilft kein Gottschalk, und nicht einmal der nette Spaßmacher aus der Heute-Show. Und sogar die Künstler sind angeschmiert. Wie traurig die Wirkung des unvergleichlichen Christian Gerhaher mit seinem eiligen Schumann gegen Ende der Veranstaltung.
Und noch eins, dann ist wirklich Schluss: Chilly Gonzales, der Lobredner für Igor Levit, ohnehin ein unangenehmes Missverständnis. Siehe auch hier. Es ist keine neue Aufregung wert. Wenn er behauptet, er habe Igor Levit gefragt, welchen Komponisten er nie im Leben spielen würde. (Eine Frage, die er wohl originell fand, weil die meisten Fans wissen wollen, wer für ihn wohl der Größte ist…) Und was hat Igor Levit angeblich geantwortet (statt die Frage zurückzuweisen)?
Chopin! Und nichts weiter. Diese Dummheit schreit zum Himmel, sie kann nicht von Levit stammen. Jedenfalls nicht so, ohne weiteren Kommentar. Es gab zwar auch andere bedeutende Pianisten, die wirklich keinen Chopin gespielt haben, zum Beispiel Alfred Brendel. Aber das hat ganz andere Gründe, und keinen, den man der Menge so nebenbei zum Fraß vorwerfen könnte.
Freund Berthold hat eine begeisterte Kritik geschrieben, und es wundert mich nicht: er hat offensichtlich recht; lesbar wohl nur hinter einer Bezahlschranke, aber für alle Fälle hier verlinkt. Zitat:
(…) eine Art klingender Spaziergang durch die Alhambra, jedoch auch mit ungarischen Rhythmen, es ist ja ein ungarischer Kosmopolit, der das Bauwerk durchschreitet – eine Reflexion über das Fremde also. Die Geige bleibt dabei immer tonangebend, ohne sich eitel in den Mittelpunkt zu stellen – ganz im Stil der Violinkonzerte von Schönberg, Bartok oder Ligeti (und letztlich auch Beethoven) ist die Solovioline hier nicht mehr eine virtuos konzertierende Solistin mit Begleitung eines Orchesters, vielmehr wird gemeinsam und vielstimmig Musik gemacht – mit der Violine als Impuls-, Ideen- und Taktgeberin, bei Eötvös ergänzt von einer begleitenden, umgestimmten Mandoline. Die unterstreicht einerseits das spanische Flair, um dann andererseits immer wieder zu irritieren – sie ist eine Art Sancho Panza zur solierenden Don-Quijote-Violine. Deren Solopart ist irrsinnig virtuos, und es ist atemberaubend, mit welcher Selbstverständlichkeit Isabelle Faust auch allergrößte Schwierigkeiten und all die höchsten Töne bewältigt und ihre Virtuosität doch jederzeit in den Dienst der Musik stellt. Da ist kein Protzen und kein eitles Zurschaustellen des Könnens, Isabelle Faust macht deutlich, dass sie nicht nur zu den größten Geigerinnen unserer Zeit zählt, sondern auch eine bedeutende Musikerin ist.
Quelle Neues Deutschland 10.09.2019 Höhere Wesen befehlen: Mehr Xenakis! Ein toller, aufregender Abend beim Berliner Musikfest mit den Philharmonikern und Peter Eötvös / Von Berthold Seliger
Ich habe mich auf Peter Eötvös konzentriert, nicht zum erstenmal, aber es war der Titel des Violinkonzertes Nr. 3, der mich magisch anzog, „Alhambra“, ebenso das Soloinstrument, leider im Fall Isabelle Faust nicht als Live-Video abrufbar. Oder doch, vielleicht in Ausschnitten, versuchen Sie es doch hier, drücken Sie auf den Button „Trailer ansehen“. Ich hoffe, dass der Zugang erhalten bleibt, auch wenn das Konzert schon etwas zurückliegt. Hier ein paar Bilder aus dem Interview der sympathischen Künstlerin, das nicht hier, sondern weiter unter verlinkt ist.
An dieser Stelle möchte ich zunächst das 2. Violinkonzert direkt zugänglich machen, das ebenfalls unter der Leitung des Komponisten, jedoch mit der Geigerin Patricia Kopatschinskaja festgehalten ist: ein ganz anderer Typus in der Darbietungsform, wie immer eher etwas exaltiert, aber daher um so instruktiver im violinistischen Bewegungsablauf.
Violinkonzert Nr. 2 mit Patricia Kopatschinskaja
Violinkonzert Nr. 3 mit Isabelle Faust (im externen Fenster hier):
Die Aufnahme stammt von der UK-Uraufführung, nicht aus Berlin, hier also mit dem BBC Symphony Orchestra am 24. Juli 2019 in der Londoner Royal Albert Hall unter der Leitung von Peter Eötvös.
Im folgenden spricht Isabelle Faust über dieses 3. Violinkonzert von Peter Eötvös, das ihr gewidmet ist, u.a. über die leicht verunglückte Aufführung in der realen Alhambra hier. Aufführungen am 7. und 8. September in der Berliner Philharmonie. .
Auf derselben Seite findet man den folgenden Programmtext über das Werk:
Die »japanische, französische, deutsche, englische und amerikanische Kultur« haben den 1944 geborenen ungarischen Komponisten und Dirigenten Peter Eötvös nach eigener Aussage in der Vergangenheit zu musikalischen Werken inspiriert. In den letzten Jahren geriet dann noch ein weiterer Kulturkreis in den Blickpunkt des kompositorischen Weltenbürgers: die Musiktraditionen des Baskenlands und Spaniens. Das als Auftragswerk des Internationalen Tanz- und Musikfestivals in Granada, der Stiftung Berliner Philharmoniker, der BBC Proms und des Orchestre de Paris entstandene Dritte Violinkonzert ist von der Architektur und Geschichte der Alhambra als inspiriert.
»In der Festung Alhambra zeigt sich mustergültig die Verschränkung von spanischer und arabischer Kultur, die dank Komponisten wie Manuel de Falla, Claude Debussy, Maurice Ravel und vielen anderen Eingang in die westliche Kunstmusik gefunden hat. Die zahlreichen Brunnen, die sich in der Burganlage finden, die umgebenden Berge, der unglaubliche andalusische Sonnenuntergang – all das wurde Teil meines Stückes«, meint Peter Eötvös. Die weltweit gefeierte Geigerin Isabelle Faust, regelmäßiger Gast der Berliner Philharmoniker und des Musikfest Berlin, die das ihr gewidmete Werk im Juli 2019 in Granada uraufführte, stellt Eötvösʼ Drittes Violinkonzert Alhambra unter der Leitung des Komponisten als deutsche Erstaufführung nun auch in Berlin vor.
Auf den Seiten des Schott-Verlages hier ist noch das folgende, erweiterte Statement des Komponisten zu finden:
Die zahlreichen Brunnen, die sich in der Burganlage finden, die umgebenden Berge, der unglaubliche andalusische Sonnenuntergang – all das wurde Teil meines Stückes. Angelehnt an das Wort Granada ist die wichtigste Note des Stückes der Ton g, eine Art Gravitationszentrum, das im Verlauf des Stückes immer wieder erreicht wird. Da ich eine Vorliebe für musikalische Kryptogramme habe, habe ich die Buchstaben A-L-H-A-M-B-R-A in die Hauptmelodie eingebaut.
Die Violine ist die Protagonistin des Stückes, aber sie (oder er) hat einen konstanten Begleiter in Form einer Mandoline, die in Skordatur gestimmt ist. Da die Melodie von dem Wort Alhambra abgeleitet ist, sind die wichtigsten Intervalle des Violinkonzertes die Quinte und der Tritonus. Die übergreifende Form ist frei; zwar werden manche Teile wiederholt, aber es ist kein Rondo. Es ist mehr wie ein Spaziergang in der geheimnisvollen Alhambra. Peter Eötvös
Auf derselben Internetseite kann man auch die Partitur anklicken und in ganzer Länge beim Hören mitlesen!!! Das ermöglicht mir zu sagen: ganz am Ende wurde in der Aufführung offenbar das Violinsolo des Anfangs noch einmal angehängt. Ob das in Zukunft verbindlich ist? Jedenfalls ist es von wunderschöner Wirkung. Entrückung, schmerzliche Verklärung.
Oben: das Violinsolo am Anfang der vom Schott-Verlag gezeigten Partitur (Scan)
Ja, und … aber… da bleibt doch noch ein Stachel im Fleische des musikalischen Gewissens. (Oder wie weit soll ich die Bildersprache treiben?) Ist diese Musik nicht allzu gut gemacht, ideenreich und wahnwitzig, phantastisch instrumentiert, – soll ich das Wort „kulinarisch“ ins Spiel bringen? Es kommt mir nicht über die Lippen (nur in die Tastatur hämmern, das geht). Aber ich erinnere mich an ein vergleichbares Vergnügen, als es mir ähnlich mit einem Stück von Magnus Lindberg ging, der Klarinettist hieß Krikku, ich durfte die Einführung in der Kölner Philharmonie machen. Und das Stück begeisterte mich. Nein, Kari Kriikuu, so hieß der Solist; das „Concerto“ von 2002 war es wohl nicht, bestimmt gehört dazu einer dieser einsilbigen Titel wie „Kraft“ oder „Licht“, ich muss es suchen… Das Hauptmotiv könnte ich noch singen… Ist das nicht schon ein ästhetischer Einwand? Doch, jetzt hab ich es wieder, zuerst eine fallende Terz, dann erweitert zu einem Dreitonmotiv, das war es, ich hab’s auch bei Youtube: hier. Aber stilistisch hat das doch nichts mit Eötvös zu tun, eher mit impressionistischen Vorbildern. Und wenn es so farbig instrumentiert ist, wirft man gern den Namen Richard Strauss in die Debatte, mit dem übrigens auch der junge Bartók mehr zu tun hatte als mit Schönberg und den „Dodekaphonisten“. Ach, wenn ich das doch bloß in den frühen 60er Jahren, als man nur über serielle Methoden stritt, wenn ich das vorausgeahnt hätte, diese neue Toleranz der Zukunft… „tonale Toleranz“. Als es noch nicht einmal das Wort Akzeptanz gab. Die Totschlagargumente der Hörerforschung. Viel Arbeit wäre mir erspart geblieben…