Archiv für den Monat: März 2017

Kitschverdacht

Inbrunst und Ehrlichkeit

Where_is_the_love Ost-Timor

Ich habe beim vorigen Blog-Artikel mit der Versuchung gekämpft, zur Charakteristik des Popstücks Nr. 1 hinzuzufügen: „Kitschverdacht“, mit Erfolg, weil ich weiß, dass dies ein ästhetischer Totschläger ist. Und sofort das Gegenargument auslöst, ich wolle durch die Hintertür  des „Verstehenwollens“ doch nur die Emphase der Jugend lähmen. Dabei überrede ich mich gerade, die Melodie aufzuschreiben. Um sie zu entzaubern? Nein, – um sie vom  erotischen Video abzulösen. Ist es eigentlich erotisch – oder vielmehr: mit einem fast peinlichen Bedacht – „clean“? Ich äußerte schon die Vermutung, dass die Musik bei Jugendlichen durchaus ohne Video ihre Wirkung tut.

Und der nächste Tag bringt – wie auf Zuruf – die entsprechenden Assoziationen, Denkstoff. Die Meldung, dass es Massenprügeleien gab, und zwar zwischen Familien – man ahnt es sofort und wagt es kaum auszusprechen – natürlich zwischen „Clans“ osteuropäischer Herkunft oder aus dem Nahen Osten, von libanesischen Großfamilien war die Rede. Und ein Experte kam zu Wort, der von Parallelgesellschaften sprach, in denen bestimmte Clans das Sagen haben. Sie kollidieren mit den Rechtsvorstellungen einer neuen Umgebung, in der in erster Linie das Individuum maßgebend ist. Nicht ein Clan, sondern nur ein Individuum kann bei uns eingebürgert werden.

„Bloot is dicker wie Water“ sagt man im Bergischen Land, und dieser Spruch kommt wohl ebenfalls aus altem Clan-Denken. Für mich ist es Kitsch-Folklore.

In der Zeitung stand heute, dass Pfarrer Fliege 70 geworden ist. Für meine Mutter ein magischer Name, für mich das Zeichen dafür, dass eine tiefer gehende Verständigung zwischen uns nie mehr möglich war, bei aller Liebe. Dazu passte, dass sie das „rein Menschliche“ so hoch schätzte und sehr empfindlich auf Ironie reagierte. Sie kannte keine Ambivalenz. Oft gewannen Leute ihr Vertrauen, die mir äußerst suspekt waren. Einstiegsfrage: „Kennen Sie Fliege?“

Von Botho Strauß – bekanntermaßen umstritten – lese ich heute in der ZEIT einen – auf den ersten Blick – bedenkenswerten Artikel:

Nun ist seit Längerem der untergründige Strom beliebigen Geplappers so stark, dass davon auch die feineren Sondierungen weiter oben nicht unberührt bleiben, ja selbst oft in den Strudel des billigen Meinens geraten.

Ideenkitsch – weitläufiges Flachrelief aus Gedankenpolyester. Kitsch der Toleranz, Kitsch des Weltweiten, Humankitsch, Kitsch der Minderheiten und der Menschenrechte, Klima-Kitsch und Quoten-Kitsch. Kitsch von Kunst und Wahn – dies alles sich vorstellen als eine erstarrte Paste, ausgedrückt aus einer Tube wie von Claes Oldenburg. Dick aufgetragen, obszön vorquellende Paste aus zerquetschter Tube.

Ich weiß, – bei fast jedem Wort kann man selbstgerecht aufschreien, ein weltweiter Schwatz-Konsens wird in Frage gestellt –  jaja, ich bin zweifellos nicht anders, ich frage als erstes: wer ist denn das, Claes Oldenburg? Nie gehört. Und so kann ich Zeit gewinnen und eine recht subversive eigene Meinung andeuten. Nein, ich werde die Chance nicht verpassen, ich habe bereits etwas aus der benachbarten Spalte aufgeschnappt: Strauß beruft sich auf Ortega y Gasset, der einst eine „grundlegende Reform der Intelligenz“ forderte. Das will ich nicht verpassen, und dunkler als Strauß ist der spanische Philosoph keinesfalls, er gilt sogar als allzuleicht lesbar… Falls noch eine Voraussetzung zu klären ist: HIER ein lesenswerter Artikel von Hanno Rauterberg, Zitat:

Oldenburg will die Dinge verwandeln, vor unseren Augen. Noch die größten Alltäglichkeiten, das Klo, die Badewanne, der Stromstecker, all die Kleinigkeiten, die unser Leben bestimmen, ohne dass wir es je richtig bemerkten, scheinen sich schlangengleich gehäutet zu haben. Sie sind ihrer alten Existenz entschlüpft, zurückgeblieben ist die Hülle, erschlafft; wo aber ist der Rest hin, das wahre Wesen der Dinge?

Übrigens kann der Lesemodus , wie ich jetzt entdecke, durchaus zum Eselmodus pervertieren, da doch die halbe ZEIT-Seite, auf der der Artikel „Reform der Intelligenz“ von Botho Strauß steht, mit einem farbenprächtigen Foto geschmückt ist, das ich einfach nicht wahrgenommen habe: „Sinnbild einer ausgequetschten Gegenwart: Claes Oldenburgs Tube, von ihrem Inhalt getragen in Düsseldorf“: die rote Tube steht auf ihrer herausgepressten und erstarrten gelben Paste. – Hat mir stattdessen erst das Internet auf die rechten Sprünge verholfen? Nicht im Sinne von Botho Strauß:

Es erweist sich wohl als Illusion, dass „dem neuen Menschen“, dem Vernetzten, ein entwickelteres Sensorium entstünde für dicht verwobene Hintergründe, Beziehungen und Zusammenhänge, die jemandem, der sinnlich gleichsam auf „analoger“ Stufe zurückblieb, niemals zugänglich wären. Im Gegenteil: Von gesteigerter Empfänglichkeit, unruhigem Vorausgefühl in Zeiten des Umbruchs ist wenig zu spüren. Auch das hohe Erwarten ist aus der Schar verschwunden.

Wer ist mit dieser Schar gemeint? Gewiss, ich habe einiges an Text übersprungen. Kurz vorher war von demos bzw. populus die Rede. Nicht von wenigen oder gar einer „Schar“. Ich gehe weiter zurück:

Die Perturbierten, die Verwirrten, die den aufgewirbelten, von den Füßen ihnen zu Kopf steigenden Staub der Stunde denken, der ein wenig glitzern mag, aber schnell hinfällig wieder zu Boden sinkt. Die Äußerungen zur gegenwärtigen Lage, die mehr vergegenwärtigen wollen als promptes politisches Bekennen, leiden häufig an der nämlichen Schwäche: Sie sagen nichts als das Naheliegende. Gute Reflexion entfernt indessen ihren Gegenstand, bis er sich etwas befremdlich und damit vielleicht erkenntnisergiebiger ausnimmt als im aufgegriffenen Zustand.

Ist dies die Schar? Oder wird sie erkennbar in den Beispielen einer erkenntnisergiebigen Reflexion von Seiten der Verwirrten:

Perturbation: Ein Weltführer, der nicht führen kann, stiftet Verwirrung, ein Volksentscheid (Brexit) wider alle Vernunft stiftet Verwirrung, eine Regierungschefin überblickt die Tragweite ihrer Entscheidung nicht und stiftet Verwirrung, ein Terrorakt, eine neue Rechte stiften Verwirrung et cetera. Vielleicht legen die Verlautbarer besseres Zeugnis ab, wenn sie eine Weile innestünden der Verwirrung, deren weit ausladende Schwingung bis an sich selbst herankommen ließen, statt unverzüglich sich mit den alten Ordnungsklischees zu behelfen. (Oder als Fazit Hamlet falsch zu zitieren: Die Welt ist aus den Fugen.)

Das Internet quillt über vor Richtigstellungen dieses Merkel-Zitates… Und haben wir nicht auch zu den anderen Themen bereits alle Tonarten der Perturbation irgendwo schon erlebt, allerdings noch nie den Wunsch, dass die Verlautbarer nun endlich einmal „eine Weile innestünden der Verwirrung“, – was entweder nur falsch oder ein allzu hohes Deutsch ist.

Er tritt als Mann des Wortes oder sogar der philologischen Genauigkeit auf, wenn er fragt:

Ist es politische Unbeholfenheit, ist es mangelndes Sprachgedächtnis, ein und dasselbe Volk, sofern es sich richtig verhält, demos, wenn aber nicht, dann abschätzig populus zu rufen?

Wie bitte? Wer ruft denn populus im abschätzigen Sinne? Ich höre vor allem das Wort populistisch und könnte mir an dessen Stelle auch das Wort dem-agogisch vorstellen. Wir haben sogar gelernt, das Wort Volk in den verschiedenen „Wir-sind-das-Volk“-Chören unterschiedlich zu verstehen und nicht einfältig als „ein und dasselbe Volk“. Es sind demographisch unterscheidbare Anteile des Volkes, das nun einmal nicht völkisch zu interpretieren ist. (Selbst Leute, die dem Clan-Denken oder Ähnlichem anhängen, sind darin auszumachen. Man kann ihnen aber mit Verweis auf das Grundgesetz helfen.)

Irgendwann verhärtet sich der Verdacht: dieser Mann verbrämt sein elitäres Denken und hüllt sich sorgsam in Dunkelheit, mit zwei verschämt aufgestellten Leitlichtlein: Ortega y Gasset  und Vico. Man muss aber nur die beiden hier anklickbaren Wikipedia-Artikel überfliegen, um zu wissen, woher der Wind weht. Ortega ist durchaus nicht der mystische Exot, den man durch den Bezug auf Juan de la Cruz vermuten könnte, sondern ein Philosoph, der im Erlebnis der Weimarer Republik zu einer „Elitesoziologie“ fand. Und bei Vico fällt mir auf, dass er offenbar nicht der Erfinder einer Gesellschaft der westlichen Werte war, sondern einer Gesellschaft der „Bräuche-Gemeinschaft“, was mir deutlich einem anderen Jahrhundert anzugehören scheint, in dem er allerdings zu den fortschrittlichen Denkern gehörte. Das lässt sich natürlich heute gut über Bord werfen. Aber was kommt stattdessen? Außer Botho Strauß? Ich fürchte, – der Mensch schlechthin. Oder auch: das Rein-Menschliche.

Soziomania, Soziozentrismus. Die Gesellschaftsgesellschaft war wie die Geistesleidenschaft des 20. Jahrhunderts, soll es ewig dabei bleiben?

Spielte bei einem Epochenwechsel, wie wir ihn erleben, der Intellekt überhaupt noch eine Rolle, so würde er zunächst seine Interessenzone überprüfen und sich mit Überdruss von den entleerten Diskursen des Sozialen abwenden, dem er zuvor die Vorherrschaft über alle menschlichen Belange gesichert hatte.

„Die Gesellschaft“ war ein Spektakel des 19. und 20. Jahrhunderts. „Der Mensch“, vorerst nur eine dramatische Skizze, rückt nun an seine Stelle, ein neues Existenzial bestimmt die Handlung, ohne beim Repertoire vorangegangenen Menschseins sich absichern zu können. Man weiß noch wenig über das endgültige Drama zu sagen.

Wozu hat es einmal Wittgenstein und Beckett gegeben? Um uns vor der Hegemonie des Sozialen über Geist und Dasein zu schützen. Oder: gesellschaftsbereinigte Kunst. Rothko, Hitchcock und Jean-Pierre Melville.

Weshalb ist die Malerei im 20. Jahrhundert abstrakt geworden? Weil sie das Soziale, dem Figürlichen angebunden, nicht mehr ertragen konnte.

Das Über-Geheiß des Sozialen abzuschütteln käme heute dem Gottessturz Nietzsches gleich.

Was jetzt folgt, ist eine Parade der alten widerständigen Werte, die Botho Strauß neu zu beleben hofft, pars pro toto:

Wir werden noch einmal bei Vico neu beginnen. Das poetische Wissen wird gegen den erschöpften Intellekt wiedererstarken. Wir werden aufhören, der Jugend eine vorrangige Bedeutung beizumessen. Wir werden nur noch Väter kennen.

Ich bitte die Großväter nicht zu vergessen. Als solcher las ich gerade in der Wikipedia-Vico-Vita: Unter modern verstand Vico die cartesianische Logik; sie ermögliche Untersuchungen auf naturwissenschaftlichem Gebiet, die den Alten unzugänglich gewesen seien. Mit Betonung dieser Instrumente der philosophischen Kritik und der „geometrischen Methode“ vernachlässige man jedoch die Imagination, die Intuition und die Erinnerung, obwohl diese doch zentral seien für Lernen, komplexes Denken und damit für die Wahrheitsfindung. Vico war entschieden dafür, beide Methoden zu kombinieren und plädierte für eine umfassende humanistische Ausbildung junger Menschen.

Jugend („modern“) war demnach das cartesianische, naturwissenschaftliche Denken nach Cartesius (Descartes), doch zur „alten“ Weisheit gehörten Intuition & Erinnerung, poetische Einfühlung & „Andenken“. Aber vom Kombinieren ist bei Botho Strauß nicht mehr die Rede. Es ist klar, worauf er hinauswill. Rekonstruktion der alten Verbindlichkeiten. „Die „Anbindungen sind überall gekappt“, so meint er, das „Andenken“, und er ist geschmacklos genug, für seine Mahnungen eine Klimakatastrophen-Metaphorik zu benutzen:

Die stürzenden Eisklippen in der Antarktis, Signalbild der Erderwärmung, geben gleichermaßen ein warnendes Symbol für die stürzenden Klippen des Andenkens.

Anders als er meint, ist all dies leicht zu verstehen, sobald man die Schlüsselsätze kennt:

Schwer zu hacken aber ist die verschlüsselte Metaphorik. Ihr Autor läuft geringe Gefahr, seines geistigen Eigentums beraubt zu werden.

Was der Romantiker gegen die beginnende Industrieepoche war, muss der poetische Myste gegen die amusische Intellektualität der Wissensgesellschaft sein.

Seltsamerweise geht es für den poetischen Mysten am Ende aufwärts über das Mittel des Zynismus, für den allein Brecht verantwortlich sein soll, – hat es nicht Heine gegeben, Goethe in Gestalt seines Mephistopheles, und sogar Wilhelm Busch? – und in einer eben so seltsamen logischen Volte heißt es, der Zynismus habe sich in Ostdeutschland festgesetzt, sei dort jedoch gewissermaßen eingeschlafen. Im Zynismus stecke eine enorme Kraft, die nur leider restlos mit sich selbst zufrieden ist:

Die Selbstzufriedenheitsschubkraft also gilt es zu nutzen und im Handumdrehen in königliche Demut, in Staunen, Entdecken und Bewundern zu transformieren. Ein starker kleiner Transformator muss man sein. Das wäre der Anfang.

Quelle DIE ZEIT 30. März 2017 Seite 41 f Reform der Intelligenz Wir leben mit denkfaulem Kitsch über Minderheiten, Toleranz und Menschenrechte. Aber es gibt einen Ausweg aus dem Niedergang des Denkens. Von Botho Strauß.

Fazit: Der Berg kreiste und gebar ein Mäuslein. „Demut, Staunen, Entdecken und Bewundern.“ Wunderschön. Aber in diesem weltgeschichtlichen Zusammenhang: reiner Kitsch.

(Nachweis Foto ganz oben: Wikipedia Graffiti in Osttimor „Tatoli ba Kultura“ 22.5.2013)

Drei Beispiele POP

Warum ich sie hier hintereinander setze? Und nur diese drei, – das hat keinen besonderen Grund. Sie sollen mir eben auch etwas bedeuten. Ohne Pathos. Ohne Herablassung. Wenn nun einmal die nächste oder vielmehr die Enkel-Generation wirklich etwas (Lebenswichtiges) daran findet…. Die Klickzahlen sind ja nicht nur erstaunlich, sondern geradezu erschreckend. (1.4.17 11 Uhr : 1.071.782.390 Aufrufe, um 16:52 1.071.895.565 Aufrufe). Man muss sich also alles genau anschauen: warum? Es kann doch nur eine Art Philosophie dahinterstecken. Oder etwa bloßes Vergnügen? Nur das? Oder vielmehr: Alles was wir nicht vermitteln. Oder was von unserer Seite nicht angenommen wird. Auch Anleitungen zu Lebensentwürfen und Selbsterkundungen. Und es kommt deutlicher, als ich erwartet habe. Die Frage, ob die jungen Leute solche Inhalte ernst nehmen, verfliegt, wenn man die Kommentare unter den Youtube-Videos liest. Und zwar mit Empathie. Nicht mit beflissener Befremdung. – Ich bin nicht sicher, ob die Videos überhaupt eine Rolle spielen. Vielleicht ausschließlich der Song (im Handy). Themen: Liebe (in einer Luxus-Ferienwelt, abgeschieden vom Alltag, der Akteur am Flügel, die Partnerin im Swimming-Pool. Im stummen Nachspann Happy End ganz in Weiß. Die Inbrunst auf „all“: der Umschlag ins Falsett // Ein Lebensrückblick (6jährig, 15jährig; und jetzt, wo sich alles neu anfühlt); // und wieder „Memories“ – „let’s write our story“ – das Jetzt, das Eigentliche erfassen. Aber auch bereits rückblickend? Festhalten – „carved in stone“.

John Legend: All of me

Lyrics:

1 What would I do without your smart mouth?
Drawing me in, and you kicking me out
You’ve got my head spinning, no kidding, I can’t pin you 2 down
What’s going on in that beautiful mind
I’m on your magical mystery 3 ride
And I’m so dizzy, don’t know what hit me, but I’ll be alright

[Pre-Chorus:]
My head’s under water
But I’m breathing fine
You’re crazy and I’m out of my mind

[Chorus:]
‚Cause all of me
Loves all of you
Love your curves and all your edges
All your perfect imperfections
Give your all to me
I’ll give my all to you
You’re my end and my beginning
Even when I lose I’m winning
‚Cause I give you all of me
And you give me all of you, oh oh W

[Verse 2:]
How many times do I have to tell you
Even when you’re crying you’re beautiful too
The world is beating you down, I’m around through every mood
You’re my downfall, you’re my muse
My worst distraction, my rhythm and blues
I can’t stop singing, it’s ringing, in my head for 9 you

[Pre-Chorus:]
My head’s under water
But I’m breathing fine
You’re crazy and I’m out of my mind

[Chorus:]
10 ‚Cause all of me
Loves all of you
Love your curves and all your edges
All your perfect imperfections
Give your 11 all to me
I’ll give my all to you
You’re my end and my beginning
Even when I lose I’m winning
‚Cause I give you 12 all of me
And you give me all of you, oh oh

[Bridge:]
Give me all of you
13 Cards on the table, we’re both showing hearts
Risking it all, though it’s hard

[Chorus:]
14 ‚Cause all of me
Loves all of you
Love your curves and all your edges
All your perfect imperfections
Give your 15 all to me
I’ll give my all to you
You’re my end and my beginning
Even when I lose I’m winning
‚Cause I give you 16 all of me
And you give me all of you

I give you all of me
And you give me 17 all of you, oh oh W      (All of me: ©John Legend)

NOTATION (JR) Rote Zahlen im Text = Melodiezeile / W = Wiederholung

All of me Transkription a  All of me Transkription b

Textkritik: Voll jugendlichen Überschwangs, aber nicht gut. Er versucht, die Widersprüchlichkeit der Liebe in Worte zu fassen. Die üblichen schlechten Reime der Rapper, trotzdem mit inhaltlichen Notlösungen: etwa imperfections gereimt auf edges. Und gerade hier auch verbal eine Entgleisung: da man das Wort curves unziemlich verstehen könnte (der Text ist clean!), rückt er es gerade, indem er es mit edges paart, also in eine abstraktere Ebene versetzt. Aber bei dieser so geliebten Frau von perfect imperfections zu sprechen, ist nicht fern von Anmaßung, – welches Pendant hat er denn für sich selbst gefunden, wenn schon alles so spiegelbildlich gedacht sein soll? Es gelingt auch nicht in dem Satz: You’re crazy and I’m out of my mind.

Ed Sheeran: Castle on the hill

Lyrics

When I was six years old I broke my leg
I was running from my brother and his friends
tasted the sweet perfume of the mountain grass I rolled down
I was younger then, take me back to when I
Found my heart and broke it here, made friends and lost them through the years
And I’ve not seen the roaring fields in so long, I know, I’ve grown
but I can’t wait to go home

I’m on my way, driving at 90 down those country lanes
Singing to Tiny Dancer, And I miss the way you make me feel, and it’s real
When we watched the sunset over the castle on the hill

Fifteen years old and smoking hand rolled cigarettes
Running from the law through the backfields and getting drunk with my friends
Had my first kiss on a Friday night, I don’t reckon I did it right
I was younger then, take me back to when we found
Weekend jobs when we got paid and buy cheap spirits and drink them straight
Me and my friends have not thrown up in so long, oh how we’ve grown
I can’t wait to go home

I’m on my way, driving at 90 down those country lanes
Singing to Tiny Dancer, And I miss the way you make me feel, it’s real
When we watched the sunset over the castle on the hill
Over the castle on the hill
Over the castle on the hill
Over the castle on the hill

One friend left to sell clothes
One works down by the coast
One had two kids but lives alone
One’s brother overdosed
Ones already on his second wife
Ones just barely getting by
But these people raised me
And I can’t wait to go home

And I’m on my way, and I still remember those country lanes
When we did not know the answers, And I miss the way you make me feel, it’s real
When we watched the sunset over the castle on the hill
Over the castle on the hill
Over the castle on the hill         (Castle on the Hill ©Ed Sheeran)

Shawn Mendes: Memories

Lyrics

When I wake up to your footsteps
As you get up out of bed
They make a sound that sounds so simple
But dances in my head
A melody so perfect
That it gets me through the day
And the thought of us forever
Is one that won’t ever go away

All I need to know is
Where to stop
Take my hand and show me forever
So never will I ever let you go

So let’s hold on together
To this paper and this pen
And write down every letter
To every word we’ve ever said

All I need to know is
Where to stop
Take my hand and show me forever
So never will I ever let you go

Let’s write our story
And let’s sing our song
Let’s hang our pictures on the wall
All these precious moments
That we carved in stone
Are only memories after all

Memories after all
Memories after all, and oh

You gave me hope
But I’ve got to let go
I’ve got to let go
Oh
It’s deep in my soul
Deep in my soul
Now I’ve got to let go
We wrote our story
And we sang our songs
We hung our pictures on the wall

Now those precious moments
That we carved in stone
Are all the memories after all

Written by Sergio Mendes • Copyright © Warner/Ch
* * *
Weshalb ich jedes Wort und jeden Ton ernst nehme?
Weil ich weiß, wieviel Energie herauskommt und hineingesteckt wird.
Weil ich weiß, wieviel Zeit und Kombinationsgabe sich etwa in der folgenden
Transkription manifestiert. Geschrieben von einer Vierzehnjährigen.
Was für eine Projektionsfläche!
Ich hätte im gleichen Alter kein musikalisches Schriftstück von dieser Qualität
zustandegebracht. Und da sollte ich auch nur ein Wörtchen Kritik hervorbringen,
um Wertvolleres hervorzulocken??? (Notation: K.G.)
Memories 1 Memories 2
Und doch, da fällt mir ein, dass ich damals etwas Vergleichbares hinterlassen habe.
Harmonielehre-Aufgaben. Wirklich vergleichbar? Nicht ganz, weil es nicht aus meinen
alltäglichen Initiativen und Interessen heraus entstand. Mit meinen
Kompositionsversuchen z.B. konnte ich die Aufgaben und ihre Lösungen nicht
verbinden. Auch nicht mit den Stücken, die ich spielte. Der Sinn lag in grauer Zukunft.
 Harmonielehre JR
Harmonielehre Anfänge
Und die Liste der Schlager, die damals im Radio präsent waren, ruft das Unbehagen in
Erinnerung, das mich damals erfüllte: HIER.
Sie verdarben meine Lieblingsassoziationen (Das alte Försterhaus etc.) mit falscher
Terzenseligkeit. Es war naheliegend, alles auszublenden, was nicht nach Bach (III.
Brandenburgisches) und Beethoven (Frühlingssonate und Romanzen) klang.
Irgendwann begann ich, ganze Werke abzuschreiben (meist blieb es beim jeweils
ersten Satz). Es wäre vielleicht auch alles anders gelaufen, hätten die Medien eine
alternative, eng mit dem jungen Lebensgefühl verbundene Musik angeboten. Nützlich
war andererseits der Stolz des Einzelgängers.
Abschrift Bach JR 50er  Abschrift Mozart JR 50er
Später war ich nicht mehr stolz darauf, nicht darauf, und heute halte ich jede
Niederschrift nach dem Ohr für hundertmal nützlicher. Egal, welche Musik!

Witze verstehen

Ein Witz, den man erklären muss, ist kein Witz. Niemand, der nachträglich lacht, hat den Witz so verstanden, wie er gemeint war, – mit einer Pointe, die zündet oder gewissermaßen: explodiert.

Von anderer Sorte sind Witze, die demonstrativ auf eine solche Pointe verzichten. Z.B. wenn man erzählt, jemand habe aufgeregt geschrien: „Zu Hilfe, Emma ist mit den Milcheimern auf der Treppe gestürzt!“ Und jemand habe sorgsam nachgefragt: „Ging sie hinauf oder kam sie herunter?“ Er reagiert unangemessen. Und darüber kann man durchaus lachen, weil man mit dieser Möglichkeit sicher nicht gerechnet hat. Andererseits, wenn es beginnt, als werde ein echter Witz erzählt, wird der Zuhörer warten, ob vielleicht doch noch eine Pointe kommt, und dann ist es zu spät zum Lachen.

Ich aber habe jetzt nur auf verschiedene Möglichkeiten vorbereiten wollen, auch auf die, dass viele Witze bei aller Überraschung eine gemeinsame Position von Erzähler und Zuhörer voraussetzen. Nehmen Sie diesen, dessen Urheber ich leider nicht kenne (ich würde gern ein Copyright* eintragen):

Verzaubern *©Peter Thulke aufzufinden hier

Man liest ihn von links nach rechts und man muss ihn korrekt lesen, nicht etwa als erstes die rechte Sprechblase und inhaltlich als „IST WAS?“ missdeuten, nachdem man das Äußere der Frau schon als leicht bedrohlich eingestuft hat. Wenn man in der richtigen Reihenfolge liest, muss man die Frau etwa folgendermaßen verstehen: sie verlangt nicht, dass der Mann zaubern können soll, sondern dass er eine bezaubernde Äußerung tut, und sei es, dass er sagt: Liebling, du siehst entzückend oder sogar: bezaubernd aus. Sie wäre gewiss „verzaubert“. – Grotesk ist, dass sie eine solche Äußerung einfordert. Lustig ist, dass er keinen Moment darauf kommt, sie so zu verstehen. Im Gegenteil.

Zu meiner Überraschung gehört dieser Witz offenbar zu denen, die jeder gern deutet. Damit man die Pointe ja richtig versteht. Nur nicht als latent frauenfeindlich! Ist der Mann nicht ein bösartiger Stiesel? Sehen Sie, ich fange schon wieder an… So auch meine Reaktion, als ich den Witz zugeschickt bekam:

Gar nicht so leicht zu erklären. Ich neige aber nun mal zum Witzeerklären (nach Schopenhauer). Also: an sich ein ganz normales Missverständnis: Jeder von beiden hält es für selbstverständlich, dass der/die andere die „Schuld“ hat.

Dann fing ich an, liebe und erfahrene Menschen zu befragen; hier zwei Ergebnisse:

1) ich sehe es so: große Erwartung prallt auf den komplett entgegengesetzten Wunsch! Sie will Romantik, Intimität hergezaubert haben, er wittert seine Chance, dass er der beschissenen Gegenwart endlich entkommen kann, indem er sie ENDLICH in etwas sehr Anderes verzaubern darf! Also, ja: das mit der Schuld (Bringschuld) stimmt. Aber auch ist so schön die etwas voreilig aufkeimende Hoffnung des jahrzehntelang Unterdrückten, dass er jetzt endlich die Einwilligung des Tyrannen hat, sich seiner zu entledigen…
Dies in allem gebotenen Ernst der Witzanalyse.

Und das andere Ergebnis:

 2) erst konnte ich über den Witz nicht lachen, dann aber doch – als ich von einer anderen Seite ranging: Ich hatte das zunächst wörtlich im“ Zauberersinn“ genommen: da wars natürlich überhaupt nicht witzig, sondern nur logisch. Auf den erotischen Ansatz kam ich erst nachträglich.

Und nun rate der Leser/die Leserin bitte, welche Reaktion von einem älteren Herrn stammt, welche von einer jüngeren Frau. Die Nr. 2 hatte ich leider im vorhinein schon ein bisschen ausgehebelt („Zauberersinn“), deshalb erscheint sie hier weit weniger nachvollziehbar.

Im originalen Gespräch, das der Sache vorausging, habe ich übrigens in ähnlichem Sinn einen anderen (gezeichneten) Witz assoziiert, an den ich mich dunkel erinnerte und den ich nach wie vor lustig fand:

Eine Prinzessin mit Frosch, die bekannte Schlussszene aus dem Märchen, und er sagt: „Küss mich!“ Verwandelt er sich? Auf einem zweiten Bild sitzen sie sich beide als Frösche gegenüber.

In diesem Fall lachte aber kein einziger im wohlgesonnenen Kreis,- vielleicht weil die echte visuelle Komponente fehlte. Vielmehr war ich der Dumme, der das mit dem Verzaubern nicht verstanden hatte.

***

Um jetzt noch einmal auf Schopenhauer zurückzukommen (wie HIER), möchte ich seine kurzgefasste Theorie des Lachens auf den oben wiedergegebenen Witz beziehen:

Das Lachen entsteht jedesmal aus nichts Anderem, als aus der plötzlich wahrgenommenen Inkongruenz zwischen einem Begriff und den realen Objekten, die durch ihn, in irgend einer Beziehung, gedacht worden waren, und es ist selbst eben nur der Ausdruck dieser Inkongruenz. Sie tritt oft dadurch hervor, daß zwei oder mehrere reale Objekte durch einen Begriff gedacht und seine Identität auf sie übertragen wird; darauf aber eine gänzliche Verschiedenheit derselben im Uebrigen es auffallend macht, daß der Begriff nur in einer einseitigen Rücksicht auf sie paßte.

Die Inkongruenz besteht in unserem Fall durch die bewusste Vernachlässigung der Doppeldeutigkeit des Begriffes Bezaubern/Verzaubern, – 2 „reale Objekte“, denen 1 Begriff  übergestülpt wird, als seien sie identisch. Wenn ich sage: „Der Hexenmeister verzauberte den Besen in einen bösartigen Geist“ meine ich eine andere Sache als wenn ich sage: „Ich bin verzaubert durch den Anblick der Morgenröte“. Nur in einem der beiden Fälle könnte ich das Wort „verzaubern“ durch das Wort „bezaubern“ ersetzen, so dass hervorträte, dass sie gar nicht kongruent (synonym) sind.

Alles klar?

***

Was ist denn witzig an dem folgenden Wortwechsel beim Besuch in einem Großraumbüro? Und was würde Schopenhauer sagen?

„Wieviele Leute arbeiten denn hier?“ – „Etwa die Hälfte.“

***

Ich könnte auch mal beginnen, Witze zu sammeln, die man nicht versteht. Die ZEIT-Autorin Marie Schmidt hat einen sehr schönen erzählt:

Vor Jahren habe ich einen Cartoon gesehen, dessen Pointe ich bis heute nicht verstanden habe: Ein schwarzer und ein weißer Wissenschaftler treten auf ein Podium. Der Weiße erteilt seinem Kollegen das Wort: „Herr Professor, bevor Sie uns Ihre Forschung zur Quantenphysik erklären, könnten Sie uns die Freude machen, ein Gospel zu singen?“ Ist das ein Witz über Rassismus oder über die wohlmeinende Attitüde, mit der er vorgetragen wird?

Quelle hier.

Ich muss zugeben: eben habe ich doch etwas gelacht. Aber nur innerlich.

Mozart (14)

Vollkommenheit

Statt der relativierenden Überschrift (die hervorheben soll, dass Mozart erst 14 Jahre alt war) hätte ich auch dieses zweite Wort wählen können, wohlwissend, dass man es nicht strapazieren darf. Ich glaube auch, es wäre mir nicht so unabweisbar in den Sinn gekommen, hätte ich nicht genau diese Interpretation in die Hände bekommen. In die Ohren! Ja, und auch das Auge hört mit. Ich musste mich in das Bild versenken, die Mischung aus geometrischer Anordnung und Zufälligkeit, die Abendsonne, das Hündchen. Wo und wann könnte es diese Szene gegeben haben? Nirgendwo gibt es einen Hinweis. (Es ließ mir keine Ruhe, ich habe bei MDG angefragt.) Nur dies einstweilen: der Hauptgegenstand fehlt!

Mozart Fürstliche Gärten

Beginnen Sie mit dem Track 2, hören Sie das Andante und sagen Sie das Wort „Konvention“, – es wird Ihnen nicht über die Lippen wollen. Hören Sie jedes Instrument für sich im Raum und in Verbindung mit anderen, wie es spricht und seufzt, antwortet und weiterspinnt, wie sich zwei in Oktaven zusammenfinden, spielerisch, nicht spektakulär. Es ist unaussprechlich.

Der (lesenswerte!) Booklettext beginnt mit dem Satz:

Als Wolfgang Amadé Mozart 1770 im Alter von 14 Jahren sein erstes Streichquartett KV 80 komponierte, stand noch keineswegs fest, was ein Streichquartett überhaupt ist.

Das genügt. Hören Sie nur die Quartette, als hätte es Beethoven nie gegeben, ja auch nicht den Mozart der 80er Jahre! Noch mehr: ich will auch dieses Leipziger Streichquartett nicht vergleichen mit dem gleichnamigen vorher.  Die frühen Klaviertrios allerdings kann ich nicht ausschalten und werfe einen kurzen Blick zurück. Und dann Schluss!

Die neue Welt ab 1770. Schöneres gibt es nicht. Und wie merkwürdig, wenn man gerade von Bachs Flötensonate BWV 1030 kommt… Die gleiche Schönheit in komplexester und in einfachster Gestalt!

Mir gefällt auch, wie die Produktionsfirma ihre Werbung gestaltet:

Mozart MDG Werbung

… und mich jetzt ganz nebenbei zu einer Korrektur der Altersangabe im Titel zwingt:

Mozart MDG Werbung Ausschnitt

Also – es muss lauten: Mozart (14-17). Um so interessanter, falls man eine Entwicklung ausmachen will. Am besten gleich auch unsere eigene mit.

In meinem Fall – ganz nebenbei – durch den Blick auf alte Schlösser und die Reaktivierung des Buches von Horst Bredekamp, das die französischen Gärten gegenüber den englischen in ihr Recht setzt, auch was „die Natur“ betrifft. Ein Luxus der Geistesgeschichte und unserer gegenwärtigen dazu! Und wenn ich Bach mit Mozart in Wechselwirkung setze, so darf ich auch die positiv kontrastierende Wertschätzung westlicher und arabischer „Klassik“ in Erinnerung rufen. Nur als eins unter vielen Beispielen.

Bredekamp Inhalt Bredekamp

Ein weiterer Luxus-Link HIER (Bild anklicken und Lupe benutzen!)

Wie komponierte Mozart?

Hartnäckig hat sich das Bild des mühelos schaffenden Götterlieblings Mozart in den Köpfen der unbegabteren (und vielleicht weniger arbeitsamen) Nachfahren festgesetzt: Er komponierte demnach mühelos im Kopf und musste die fertigen Werke nur noch niederschreiben. Eine verhängnisvolle Rolle spielte dabei ein Brief, den er geschrieben haben soll, der ihm aber offenbar untergeschoben ist, um genau jenen Geniekult zu stützen, der im Sinne der Zeit war.

… und das Ding wird im Kopfe wahrlich fast fertig, wenn es auch lang ist, so daß ichs hernach mit einem Blick, gleichsam wie ein schönes Bild oder einen hübschen Menschen, im Geiste übersehe, und es auch gar nicht nacheinander, wie es hernach kommen muß, in der Einbildung höre, sondern wie gleich alles zusammen.“

Nachtrag 22.08.2018 Zu diesem Brief siehe hier.

Der Schaffensvorgang von der Idee zum fertigen Werk verlief in Wahrheit nicht ganz so irrational, – wenn man einmal vom unbegreiflichen Endprodukt absieht:

1.) Es begann selbstverständlich mit einer Werkidee, einem „Projekt“ und der darauf gerichteten Phantasietätigkeit. (Neben dem Ausprobieren und Improvisieren am Klavier war dabei durchaus die Anregung durch andere Komponisten von Bedeutung.)

2.) Bestimmte musikalische Sachverhalte wurden schriftlich skizziert, z.T. in Kürzeln, die nur dem Komponisten verständlich waren.

Zuweilen sind es bereits „Verlaufsskizzen“, mit denen die Gesamtdisposition eines Werkes oder eines Werkabschnitts angedeutet (oder im Detail ausgearbeitet) wird, z.B. die Gesangsspartie einer Arie.

3.) Niederschrift: „Mozart notierte den ihm in den konstitutiven Bestandteilen gegenwärtigen musikalischen Verlauf in einer ‚Entwurfspartitur’.“ Sie bildete die Vorstufe zu einer vollständigen Partitur und enthielt den ‚Hauptstimmensatz’, z.B. die melodieführende Oberstimme sowie einige substantielle Zusätze zum Basspart oder zum harmonischen und motivischen Verlauf.

Sobald diese Entwurfspartitur beendet war,– also keine „Partitur“ im strengen Sinn –, war das Werk aus Mozarts Sicht (und seinem Sprachgebrauch nach) „komponiert“.

4.) Es folgte der wichtigste Arbeitsgang: die Verwandlung der Entwurfspartitur in eine ausgefertigte Partitur, wobei der „Hauptstimmensatz“ durch den „Binnensatz“ ergänzt wurde, also durch den detaillierten harmonischen Satz und die Präzisierung des Klangbildes.

Genau diesen Arbeitsgang nannte Mozart das „Schreiben“. Wenn Mozart sagte, ein Werk sei bereits komponiert, aber „geschrieben“ noch nicht, so fehlte noch dieser letzte Arbeitsgang.

Es bedeutet nicht, dass das Werk bis zu diesem Zeitpunkt ausschließlich in seiner Vorstellung existierte. Es lag bereits in einer objektivierten Form vor.

Quelle: nach Ulrich Conrad, MGG 2004, „Mozart“, Sp. 723-724

mir selbst die Flötentöne beibringen

Ja, darum geht es, und durchaus gegen den eigenen Widerstand. Aber plötzlich lag dieses Buch (mein eigenes!) aufgeschlagen in meinem Zimmer, dazu eine Empfehlung und ein Konzert in der Pumpstation Haan, ja, was kann ich machen: schon der Name bringt’s! Mit Druckwerk und Röhren wird es gehn. Wie beim alten Lessing. Johann Sebastian Bach BWV 1030, – ich bin nie ein Freund der Flöte gewesen, jedenfalls nicht der Silberflöte, immer nur bei bestimmten Stücken. Was für ein Gespinst, was für ein Kaleidoskop, was für ein Thema! Hans Vogt hat es urbar gemacht, – wer Noten lesen kann, soll erstmal die von ihm verkürzte Form lernen:

Bach Flöte BWV 1030 Vogt Seite 126

Und nun die ausgedehnte Form in tönender Musik! Sie klicken zuerst auf den Pfeil im Bild, stoppen und beginnen dann gleich bei 26:20, das ist der Beginn der betreffenden Sonate. Unten kann man die entfaltete Melodie mitlesen, so wie sie wiederum Hans Vogt notiert hat; man vergleiche die römischen Zahlen oben mit denen der entfalteten Melodie unten. Von 26:20 bis 27:37, also 1:17, und wieder von vorn, und dieses sehr oft, es lernt sich nicht leicht. Soweit unsere Grundübung des Bach-Hörens…

Bach Flöte BWV 1030 Themablock Vogt Seite 124f

Es geht nicht darum, diese Aufnahme zu lieben, – man liebt unweigerlich jede Aufnahme dieses Satzes, wenn nur alle Töne deutlich wahrnehmbar sind. Ich verbringe also jetzt keine Zeit mit Interpretationsfragen oder Alte-Musik-Stilistik. Und Hans Vogt interessiert mich nicht als Komponist oder als Mensch, sondern als Analytiker. Niemand sonst hat, soweit ich weiß, dieses Stück so aufgefächert wie er. Zunächst seine Erläuterung der Zahlen und Buchstaben im letzten Beispiel:

Bach Flöte BWV 1030 Nomenklatur Und nun die Grundübung weiter – ad infinitum. Ich sage das nicht ohne Ironie, aber auch mit Strenge (natürlich nur gegen mich selbst. SIE tun, was Sie wollen). Der sogenannte strenge Satz ist die Grundlage dieses phantastischen musikalischen Denkens in Tönen…

Oder zur Ergänzung etwas Detail-Wissen: Hans Vogt sieht im Thema 5 melodische Ideen am Werk:

Bach Flöte BWV 1030 Thema Details Vogt Seite 127

Es fehlen noch allerhand analytische Zwischenergebnisse, – aber aus der folgenden Tafel könnte man schon jetzt Gewinn ziehen, wenn man sich vom Äußeren nicht abschrecken lässt. Man sieht auf waagerechten Linien Zahlen durchlaufen, und zwar von 1 bis 119, das sind die Takte des Stückes. Unterhalb dieser waagerechten Linien sieht man große römische Zahlen und kleine Buchstaben, deren Bedeutung soeben in der einkopierten Anmerkung erläutert worden ist. Im glücklichsten Fall erinnern wir uns an bestimmte melodische Wendungen. – Wenn wir nun die numerischen Zahlen der Takte von Anfang bis Ende durchgehen, in jedem Takt die 4 Zählzeiten angeben und gleichzeitig auf das hören, was nach Maßgabe der römischen Zahlen geschieht, so werden wir grundlegend an formaler Orientierung gewinnen.

Bach Flöte BWV 1030 Satz I ganz Vogt Seite 154

Quelle Hans Vogt: Johann Sebastian Bachs Kammermusik / Philipp Reclam jun. Stuttgart 1981 ISBN 3-15-010298-7

Wem all dies zu weit geht, der tröste sich mit dem, was Hans Vogt aus dem altbewährten monographischen Werk über Bach (Bd. 2 Seite 730) von Philipp Spitta zitiert; es handele sich um die

[…] vorzüglichste Flötensonate, welche überhaupt existiert. […] Phantasiegebilde, das wie eine große Elegie vorüberziehen sollte. […] Takt für Takt wird die Emntwicklung verfolgt, aber überall anders gewendet, reicher ausgestattet, dementsprechend erweitert, besonders durch herrliche kanonische Führungen, die unbemerkt wie durch Naturgewalt von innen herausgetrieben werden; ein besonderer Reiz wird noch durch mehrfache Umstellung einzelner Perioden erzielt. […] Die der italienischen Arie nachgebildete Form verrät sich auch an einem Zuge des Eingangs; wie hier die Melodie gleichsam versuchend einsetzt, nach zwei Takten sich unterbricht und mit dem vierten von neuem beginnt, ebenso legt Bach sehr häufig seine kirchlichen Arien an.

In der folgenden Alternativ-Aufnahme mit Ashley Solomon und Terry Charlston bitte springen auf den Anfang unserer Sonate: HIER bei genau 52:44.

Neu entdeckt (durch freundlichen Hinweis) die wunderbare Aufnahme mit Traversflöte und Hammerklavier: Jan De Winne, traversiere (Jan De Winne 2005, copia I. H. Rottemburg 1688) Lorenzo Ghielmi, fortepiano (Andrea Restelli 1996, copia G. Silberman 1749). Kein Danaer-Geschenk!

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Dank an JMR!

Haan Programm 170324

Haan Programm Bach

Haan Marc Peter Menuge Pumpstation Pumpstation Haan gestern Abend

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Weiteres Studienmaterial zur Frage der Interpretation:

HIER TRAVERSO PLAYER Marten Root / HARPSICHORDIST Menno van Delft

HIER Wilbert Hazelzet, Flute / Hendrik Bouman, Harpsichord

Warte nur, balde …

… irrest auch du!

Heißt es denn nicht: ruhest auch du? Ja, natürlich. War nur ein Scherz. Nein. Ruhest du auch! Wanderers Nachtlied. Es muss sich auf „Hauch“ reimen, nicht auf „Ruh“. In manchen Todesanzeigen steht als Überschrift: Ein Gleiches. Oder ein gleiches? Auf dem Gickelhahn. Oder Kickelhahn? Ich werde nachschauen in meiner Ausgabe erster Hand. Man ist leicht zu verunsichern, in einer Silvester-Sendung (Sylvester?) habe ich mich mal darüber mokiert (mockiert?). ich komme heute von der Anzeige nicht los…

Nachtlied Todesanzeige

Kommt es wirklich darauf an, ob es nun Qual oder Schmerz heißt? Natürlich, in der großen Lyrik zählt jedes Wort, jedes Satzzeichen. Aber in der Todesanzeige vielleicht nicht? Oder gerade da? Es wäre so leicht (außer vielleicht wenn man trauert): siehe HIER.

Ich habe mich damals auch geirrt, als ich auf dem Kickelhahn war und nicht ins Internet schauen konnte (ebensowenig wie einst Goethe) und nicht wusste, dass die Jagdhütte mindesten einmal schon abgebrannt war. Bitte, ich bin ein kritischer Leser, wie auch Sie, wenn Sie das alles lesen, bitte seien so freundlich: HIER. Es ging mir damals nicht besonders gut.

Warte nur balde / Ruhest auch du – (hinter „nur“ gehört ein Komma!) nein, so zitiert man sowieso nur zum Spaß, um zu zeigen, wie man die Schlusswirkung des Gedichtes durch Pointierung zerstört.

Man findet übrigens alles, was man braucht, bei Wikipedia HIER.

Aber was ist mit Schubert? Durfte er eigenmächtig Worte ändern? Was ist mit Rhythmen? („füllst“ statt „füllest“?) Selbst im hier verlinkten Wikipedia-Artikel steht unter dem Schubert-Lied „Der du von den Himmeln bist“, was Schubert selbst ja nicht schreibt. Aber er schreibt „Entzückung“ statt „Erquickung“.

Wanderers Nachtlied origWanderers Nachtlied Ausgabe

Aber Schubert starb 1828. Konnte er noch in der Ausgabe letzter Hand nachschlagen? Und ein Lied korrigieren, das er 1815 geschrieben hat? Eine Komposition, die er selbst schon als Fassung „letzter Hand“ beiseitegelegt hatte?

Es lebe die Philologie!

Syrien im Sinn

Mosaik-Fragmente nach Hamburg 18. März 2017

Was ist aus dem Ensemble Al Kindi geworden? In den 80er Jahren sind wir uns mehrfach begegnet. Konzerte im WDR, Produktionen, die CD bei Network kam 1994 heraus. Ich weiß, dass Julien Weiss in Damaskus lebte, ich hätte ihn dort besuchen dürfen. Er ist 2015 gestorben, der Flötist Abd al Safar Salam schon 1999 †, Sheikh Hamza Shakkûr 2008 †.  Vorsicht, ist das Kreuz erlaubt? Nichts von allem, was kam, habe ich geahnt…

Syrien Ensemble Al Kindi

Syrien CD Al Kindi Heute noch auffindbar: HIERSyrien CD Al Kindi Front

Das folgende Interview fand offenbar 2 Jahre vor Julien Weiss‘ Tod (Krebs) im Jahre 2013. Zum Verlauf des Bürgerkriegs in Syrien siehe HIER. Das Wort Hamah beruht auf einem Hörfehler, gemeint ist Amman. (Genau diese Strecke von Amman nach Damaskus sind wir – ein studentisvches Kammerorchester der Kölner Hochschule, Ltg. Günter Kehr, 1967 mit mehreren Taxis gefahren, irgendwo in der Steppe – Sabratha hieß eine Zwischenstation – haben wir an einer Kreuzung ein Hinweisschild in alle Richtungen gesehen, darunter neben unserem Zielort auch Bagdad. Einer von uns, der Kontrabassist Johannes Köhler, erzählte, dass er dort einige Jahre im Sinfonie-Orchester gespielt habe. Wir diskutierten heftig über Monotheismus. Ich dachte, seine Ursache sei diese gewaltige Sonne.)

Heute wartet auf mich in der Buchhandlung Jahn das Buch über Syriens Geschichte der letzten Jahrzehnte. Ich bin – nach Hamburg – fast mehr politisiert als musikalisiert… Soll doch Wolfgang Hamm an dieser Stelle kompetent über das Ereignis in der Elbphilharmonie sprechen: „Der Krieg hat die Musiklandschaft Syriens zerstört und die Musikschaffenden ins Ausland getrieben“. HIER !

Natürlich ist dies auch eher ein Stimmungsbericht über die Lage der Musik und der Musiker im Exil und lebt von diesem einen Lamento nach dem barocken Modell, das schon Johann Sebastian Bach für sein „Crucifixus“ in der H-Moll-Messe verwendet hat und hundertfach nachklingt, wenn man will, sogar in der Melancholie des Concierto d’Aranjuez.

Ich habe im Grunde nur eine Sache miterlebt, die ich nun rein optisch zu meinen Gunsten vergrößere:

Syria Keivo + Einführung Erinnerung an Syrien…

JR in HH 170318 …nicht ohne Geige.

Meine Einführung galt einer alten syrischen Musik, die ich mir etwas anders vorgestellt hatte, vielleicht näher an dem, was ich vom Al-Kindi-Ensemble und zahllosen Aufnahmen klassischer arabischer Musik kannte. An deren Stelle stand die virtuos-konzertante Musik des Trios Ney-Kanun-Darbuka im ersten Teil des Konzertes, im zweiten dagegen der kurdisch-armenisch-syrische Sänger Ibrahim Keivo (mit seinen verschiedenen Lauteninstrumenten), der das Publikum zu faszinieren versteht mit religösen oder ethnischen Liedern aus yesidischer, syriakischer, aramäischer Überlieferung u.a.; zweifellos verfügt er zugleich über ein enormes Entertainmentpotential, das auch vor westlichem Publikum den Funken überspringen lässt. Jeder versteht seine Ausdrucksmittel. Und auch das Trio spart nicht mit Allusionen uns vertrauter Stilelemente (Terzläufe, Chromatizismen) neben brillanten Percussionseinlagen und altsyrischer Melodik.

***

Nein, der oben genannte Rastplatz in der syrischen Wüste hieß nicht „Sabratha“ – diese altrömische Stätte hatten wir vielmehr in Libyen besucht. (Wir befanden uns auf einer Tournee, die das studentische Kammerorchester der Kölner Musikhochschule für das Goethe-Institut durchführte, Start in Casablanca, Ende in Kabul). Hier aber ist das Erinnerungsbild aus der syrischen Idylle (der junge Mann im Hintergrund ist der Bratscher Rainer Moog.)

Syrien WüstenStation 1967 Syrische Idylle 12.4.1967

Syrien Prospekt 1967 Rückseite unserer Landkarte

Syrien Landkarte 1967 Die syrische Landkarte, die uns begleitete

Und nun wieder HEUTE!!! Wie konnte es dazu kommen??? Ich muss viel mehr wissen und irgendwo anfangen. Merkwürdigerweise entdecke ich, dass genau mein Schlüsseljahr 1967 eine entscheidende Rolle spielt: Es ist „die traumatische Zäsur von 1967“, die zur „zur Geburtsstunde des politischen Islam als neuem Hoffnungsträger der Massen“ wurde, zunächst nur im arabischen Raum, später, nach der Revolution im Iran 1979, auch in der übrigen islamischen Welt.“ (Lüders Seite 45). Hier liegt ein Buch, – mir ist bekannt, dass der Autor Gegner und sogar Feinde hat, angeblich versteht er die israelische Position nicht. Soll ich etwa eine ausgewogene Darstellung suchen? Was ist denn das? Warum soll ich nicht zwei unausgewogene Darstellungen gegeneinander lesen? Wer es wagt, soll es bitte selber abwägen…

Syrien Sturm Lüders Cover

(Seite 75) Ausgehend von einem Schlüsselsatz von Paul Wolfowitz 1991 schreibt Lüders:

„Ich denke mal, dass wir noch fünf bis zehn Jahre Zeit haben, um unter den alten sowjetischen Klientelregimen aufzuräumen – Syrien, Iran, Irak. Bis dann die nächste Supermacht auf den Plan tritt und uns Grenzen setzt.“

 Weder Syrien noch der Irak, geschweige denn der Iran waren jemals sowjetische „Klientelregime“. Doch Wolfowitz erkennt das Machtvakuum nach dem Ende des Kalten Krieges, dem Untergang der Sowjetunion, dem Fall der Berliner Mauer. Wie gedenkt er damit umzugehen? Kooperativ, freundschaftlich gegenüber Russland? Im Gegenteil. Er will Beute machen, Claims abstecken. Bevor „die nächste Supermacht auf den Plan tritt und uns Grenzen setzt“. Und genau das ist spätestens in Syrien geschehen. Dort erleben die USA die Grenzen ihrer Macht, weil Russland Syrien niemals aufgeben wird, ebenso wenig wie der Iran oder China. (…)

Dass nicht sieben Regime in fünf Jahren, wohl aber drei in 15 Jahren plus Afghanistan ins Visier genommen wurden, entwertet nicht seine Aussage. Absichten und Pläne können sich ändern, im Verlauf ihrer Ausführung. Eine militärische Intervention im Iran ist 2012 übrigens um Haaresbreite abgewendet worden, weil Präsident Obama zu Recht erkannte: In dem Fall explodiert die ganze Region.

Zitat aus dem oben bezeichneten Buch „Die den Sturm ernten“ Seite 75 f

Geht es denn nicht um „das westliche Wertesystem“?

Dem Buch ist u.a. ein Satz von Egon Bahr vorangestellt:

Wenn ein Politiker anfängt, über ‚Werte‘ zu schwadronieren, anstatt seine Interessen zu benennen, wird es höchste Zeit, den Raum zu verlassen.

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In eine andere Welt entrückt

„Das Erste Jahr“ © 2017 by Peter Hundert Photography

Hundert 2

Hundert 1a

Hundert 1

Hundert 3

Hundert 4

Hundert 5 Ibrahim Keivo

Mit Dank an Peter Hundert (JR)

Zur Analyse arabischer Musik (II)

Das Beispiel „Lessa Faker“ im Maqam Ajam mit Oum Kalthoum 

Fortsetzung der Arbeit, die im November 2016 HIER begann.

1. Glaubst du immer noch, mein Herz vertraue dir, oder glaubst du, ein Wort bringe zurück, was einmal war, oder ein Blick könne wieder Sehnsucht mit Zärtlichkeit verknüpfen? Das war einmal, erinnerst du dich noch, das war einmal, war einmal…

2. In jenen Tagen flossen in meinem Herzen Tränen, und du hattest Vergnügen an meinen Tränen, aber sie waren mein Leben.
Sie waren etwas Unbedeutendes für dich, und jedes Mal löschte ein Wort etwas von meinem Vertrauen in dich und von meiner Geduld, ein Wort, ein Wort, und als die Leidenschaft zusammen mit den Verletzungen dahin schwand, ging das, was ich erleiden musste in meiner Nacht, mit dem (neuen) Morgen in Vergessenheit, und auch die Liebe und die Leidenschaft und Zärtlichkeit, und wenn du mich heute fragst, sag‘ ich dir: das war einmal, war einmal. Erinnerst du dich noch? Es war einmal…

3. Wie sehr dich meine Seufzer ergötzten, und sie kamen von deiner Grausamkeit und den Tagen, die auf mir lasteten, du hörtest sie wie eine Melodie, während ich ihr Echo hörte, ein Feuer, ein Feuer, das unsere Liebe nach und nach dahinschmelzen liess,
die Melodie brachte dem Herzen ihre Süsse zurück, und dir blieb ihre Grausamkeit, die Leidenschaft, die für mich bedeutungslos geworden ist, du hast begonnen, ihren Wert zu erkennen.
Heute ist die Liebe eine vergangene Geschichte, wenn du mich fragst, sag‘ ich dir: das war einmal, war einmal.
Erinnerst du dich noch: es war einmal, war einmal…

4. Die Nächte, die Nächte nanntest du leeres Spiel, und sie waren doch wertvolles Leben. Ich verbrachte meine Nächte damit, dich zu fragen nach meinem Zweifel und meinen Tränen, während du dich erfreutest an meiner Ratlosigkeit und meinen Ängsten.
Sag mir: was willst du von mir, nachdem wir wissen, dass alles zu Ende ist?
Bist du gekommen, sehnsüchtig nach meiner Liebe oder nach meinen Tränen und meinem Schmerz?
Heute ist die Liebe eine vergangene Geschichte, wenn du mich fragst, sag‘ ich dir: es war einmal, war einmal…
Erinnerst du dich noch: es war einmal, war einmal, war einmal…

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Übersetzung aus dem Arabischen, nach dem Original: © Dr. Hans Mauritz (Luxor) 2017

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(Fortsetzung folgt)

Was will mir der Kritiker sagen?

Ein Kritiker ist ein Beurteiler, nicht zwingend ein „kritischer“; er kann auch Lobredner sein, sogar mit übervollem Herzen. Der Eindruck eines Klavierabends kann ihn also durchaus zu hymnischen oder poetischen Reaktionen führen, etwa so:

Der Zauber wirkt vom ersten Ton an. Der Zauber dieses nie aufdringlichen Klaviertons, der in eine frühromantische Geisterwelt versetzt, in eine warme Vollmondnacht.

Aber Vorsicht: nie im Leben wäre ich doch darauf gekommen, dass hier von Bachs Französischer Suite VI in E-Dur die Rede ist, ein Stück, das aus Sechzehntel-Ketten der rechten Hand besteht und einem in Achteln schreitenden Bass in der linken. Gewiss, das Werk ist damit nicht annähernd umrissen, aber noch viel weniger durch die Assoziation einer Vollmondnacht, egal wie sanft die Klaviertöne dahingeperlt sein mögen. Gut, wohl mit Bedacht wird dies Eingangswerk erst viel später benannt. Zunächst wird ein anderes Phänomen gekennzeichnet, das noch schwerer zu fassen ist als die Bachsche Geisterwelt:

Murray Perahia humanisiert wie niemand sonst die Musik. Er ist der einzige Klaviergroßmeister, bei dem dieser völlig aus der Zeit gefallenen Begriff keine Worthülse ist.

Der Einzige! Was soll das heißen: wenn für Menschen gemachte und zu ihnen sprechende Musik „humanisiert“ wird?

Humanisieren meint bei Perahia, dass er die Meisterwerke von Johann Sebastian Bach bis Johannes Brahms immer so spielt, dass jeder mühelos und stets mit Vergnügen die kompositorischen Prozesse verfolgen kann. Perahia macht die Logik der Stücke erlebbar, und nicht nur die der einzelnen Sätze. Bei ihm, und das können nur wenige, werden ganze Zyklen als zwingend schlüssig erfahrbar.

Aber ist das nicht die selbstverständlichste Aufgabe der Interpretation? Andererseits durchaus nicht von jedem mühelos und stets mit Vergnügen rezipierbar. Muss man dazu Humanisieren sagen, wenn man vielleicht nur die sinnvolle Rede meint, an der sich von alters her musikalischer Zusammenhang orientiert? Und der Bachsche Zyklus von 8 Sätzen, aus denen sich diese Suite zusammensetzt, ist insofern zu bewältigen, als jedes Stück in sich vollkommen durchgebildet ist und nicht im Verlauf fortwährend den Blick auf das jeweils folgende und das Ganze erzwingt. Oder wie könnte man das begründen? Etwa so:

Die [acht Sätze] verbindet thematisch nichts miteinander, weshalb sie sehr schnell als eine beliebige Folge daherkommen können, die auch kürzer oder länger sein könnten. Perahia lenkt hier wie auch in Franz Schuberts zweitem Impromptus-Set die Energieflüsse so natürlich, dass sich ein geschlossenes Panorama ergibt.

Es mag sein, dass die acht Sätze thematisch nichts miteinander verbindet (eine gründliche Analyse könnte vielleicht auch anderes zutage fördern), aber ist das entscheidend? Die durchgehend Tonart E-Dur bildet das fast schon zu enge Band des Zusammenhangs. Und der Rest besteht nicht aus „länger“ oder „kürzer“, sondern aus Tempo-Relationen, Tanz-Charakteren und Pausen, durch die man z.B. Dreiergruppen schafft. Der Vergleich mit Schuberts zweitem „Impromptus-Set“ ist unangebracht, weil auf die klassische Sonatenform fixiert. Schumann hat sie in den vierteiligen Schubert-Zyklus hineingelesen (Tonartenfolge f-Moll, As-Dur, B-Dur, f-Moll), man könnte die Satzfolge aber auch, Schubert zuliebe, lockerer sehen. Mit Bachs Suiten-Auffassung hat sie dennoch nicht das geringste zu tun. Deren Panorama ist durch die Tonart geschlossen genug.

Den letzten Teil des Perahia-Konzertes bildete Beethovens „Hammerklavier“-Sonate op. 106, die

die Grenzen von Form, Auffassungsgabe, Ausgeglichenheit und Pianistik hemmungslos sprengt. Perahia türmt in den beiden ersten Sätzen enorme Energiemassen auf, die dann im langen Variationensatz nicht völlig aufgebraucht werden. Das Idyll wird, für manchen enttäuschend, verweigert, schließlich folgt noch ein grausiger Fugenirrsinn.

Wie??? … die Energiemassen … [werden] … nicht völlig aufgebraucht …??? Ja, in welcher Energie-Verwertungsmaschine befinden wir uns denn hier? In der dem verständigen Publikum so einfach mal das Idyll vorenthalten wird – womöglich inmitten einer warmen Vollmondnacht?

Gibt es denn gar keine Monographien über die Beethoven-Klaviersonaten, wo man nachlesen könnte, was sich beim bloßen Hören eben doch nicht jedem erschließt? Dass es sich bei diesem wohl gewaltigsten langsamen Satz Beethovens für Klavier – wenn man einmal von den drei späten Sonaten absieht – um alles andere als einen Variationensatz handelt.

Meine Empfehlung: Es lohnt sich immer, die Noten anzuschauen, oder wirklich darüber nachzulesen, bevor man ins Konzert geht bzw. eine Konzertkritik verfertigt. Sonst wird leicht alles andere, was man sich so zusammenphantasiert, relativ unglaubwürdig.

Wenn hier jemand andeutet, das Ziel der „Humanisierung“ der großen Musik liege darin, sie so zu interpretieren, dass jeder mühelos und stets mit Vergnügen die kompositorischen Prozesse verfolgen kann, so verbirgt sich dahinter nichts anderes als biedere postmoderne Kundenfreundlichkeit.

Hans von Bülow hat einmal – typisch spätbürgerliches 19. Jahrhundert, zugleich in der wahrhaft humanistischen Tradition Beethovens – im Blick auf diesen Klaviersatz gesagt: „Zu fast keinem Tonstücke des Meisters wird eine so andächtige, ehrfurchtsvolle Hingebung erfordert, um seiner schmerzreichen Erhabenheit gerecht zu werden. Hier hört das Klavierspielen auf: wer auf seinem Instrumente nicht seelenvoll zu ’sprechen‘ vermag, begnüge sich mit dem Lesen.“

Womit ich nichts über Murray Perahia gesagt haben möchte, den ich zu den herausragenden Pianisten zähle.

Quelle der eingerückten Zitate: Süddeutsche Zeitung, 21. März 2017 Seite 11 Wie ein Sänger Die humanisierende Kunst des Pianisten Murray Perahia / Von Reinhard J. Brembeck

P.S. zum Lesen von Noten und Buchstaben

Bei sehr komplexen Werken gibt es nur das eine Mittel, das zum Verständnis führt, – wenn dieses sich nicht beim bloßen Hören oder beim Selberspielen einstellen will. Selbstverständlich verwendet Beethoven permanent „Variationstechnik“, egal ob eine Sonatensatzform oder eine dreiteilige Liedform als Rahmen auszumachen ist. Aber seine wirklichen großen Variationssätze – wie in den Sonaten op. 109 oder 111 oder in den späten Streichquartetten – sind so unverwechselbar, dass man den Begriff nicht verwässern darf, auch wenn in einem Satz die Figurationstechnik zu Wundergebilden des Klaviersatzes führt, die ähnlich in den genannten Sonaten vorkommen. Als Standardwerk ist immer wieder die dreibändige Analyse-Arbeit von Jürgen Uhde zu empfehlen:

Beethovens Klaviermusik, Verlag Philipp Reclam jun., Stuttgart 1974 u. 1991, ISBN 3-15-010151-4.

Daraus ein Ausschnitt, der auch unsere Fragen streift. Und zu beachten ist, wie in Bezug auf diese eine Stelle im langsamen Satz der „Hammerklavier“-Sonate zwar das Wort „großartigste Figuralvariation der Klavierliteratur“ gebraucht wird, zugleich aber, dass sie zu einer „Reprise“ gehört, das heißt der Wiederkehr eines Formteils:

Beethoven 106 Variationstechnik bitte anklicken

Eine weitere Frage möchte ich einstweilen offenhalten, nämlich, wie sich die Idee der Humanität tatsächlich in Beethovens Musik konkretisiert, – denn daher kommt offenbar die Marotte, in der Klavierinterpretation überhaupt einen Vorgang der „Humanisierung“ wahrnehmen zu wollen, wenn es sich schlicht um die Kunst der Übermittlung vom Künstler zu den Menschen handelt. Mir scheint es eine Worthülse.

Nachklang mit Alfred Brendel

Es ist nach diesem verbalen Vorlauf kein Sakrileg, in der folgenden Aufnahme die (bloß) äußere Form der Musik streng im Auge zu behalten. Der langsame Satz „Adagio sostenuto“ beginnt bei 14:28 und endet bei 32:16.

EXPOSITION (1. Thema)  ab 14:28

Zweites Thema ab 18:28

Coda ab 20:12

DURCHFÜHRUNG ab 20:49

REPRISE (1. Thema) ab 22:12

Zweites Thema ab 26:20

CODA ab 28:42 (Ende 32:16)

Das heißt: S o n a t e n f o r m , wobei es kein Problem wäre, sie in einem langsamen Satz auch als Abwandlung der Liedform ABA zu betrachten. Nicht aber als Variationssatz, selbst wenn die Reprise das Hauptthema in exorbitanter Weise ausfiguriert. Was mich leicht irritiert: dass der überaus expressive thematische Abschnitt jeweils zwischen dem 1. und 2. Thema von Jürgen Uhde als Überleitungsthema bezeichnet wird. Aber wie immer hat er recht. Erwähnenswert auch, dass er die letzte Coda in 5 Unterabschnitte gliedert: Meditationen über die Hauptthemen; und auch eine Reminiszenz der „Überleitung“.