Archiv der Kategorie: Naturwissenschaft

Schlaue Schwärme(reien)

Zum Wiederholen vorgemerkt!

Fischschwärme aus Millionen von Individuen, Erdmännchen in Kolonien oder Menschenmengen bei großen Demonstrationen. Welche Kräfte oder Prozesse stecken hinter Kollektivverhalten? (ZDF?)

HIER bis 17.02.33

Beginnen ab 1:54 (übrigens: wieder mal ein guter Film mit ganz schlechter Musik). Drei fundamentale Regeln im Schwarm: 1 Bleibt zusammen! 2 Haltet ausreichend Abstand! 3 Bewegt euch in die gleiche Richtung wie eure Nachbarn! – Aber: Wie trifft ein Fischschwarm Entscheidungen? 4:05 Was löst in einem Fischschwarm die plötzlichen Richtungswechsel aus? Einführung eines Roboterfischs, der die erste Bewegung vorgibt… Kleinstmöglicher Schwarm von 2 Fischen. 6:03 Der größere Schwarm trifft eindeutig die bestimmende (und richtige) Entscheidung.

The Beatles LET IT BE

„…to make classical music a relevant and powerful force in society.“ ???

Etwa so: hier? (Carmen) oder weiter im Web hier? (Halleluja)

Let it be … oder nimm dies:

HIER Hemsing Festival Norwegische VM bei Sol Gabetta

Neues über Vogelstimmen

https://www.spektrum.de/news/ornithologie-wie-voegel-ihren-gesang-wahrnehmen/2118408

Seltsame Koinzidenzen

Goethe und Gorilla

und weiter schreibt Goethe:

Hierbei ergab sich der merkwürdige Unterscheid zweier Charaktere und Tendenzen; indeß mein Sohn mit der Leidenschaft eines Sammlers die Vorkommnisse aller Art zusammentrug, hielt Eduard, ein Sohn Blumenbachs, als geborner Militär, sich bloß an die Belemniten [«Donnerkeile», fossile Schalenteile von Tintenfischen] und verwendete solche, um einen Sandhaufen als Festung betrachtet mit Palisaden zu umgeben.

Quelle: Stephan Oswald: Im Schatten des Vaters. August von Goethe; C.H.Beck, München 2023 / Seite 65f (siehe auch hier)

Karte DDR 28.08.1981

Minerale einschätzen (Goethe und Sohn)

Mitmenschlicher Kontakt (Gorilla und Kind)

Foto ©GG Schöngeising 2013

Süddeutsche Zeitung 28.02.2016

Der entscheidende Punkt ist die ungewöhnliche Perspektive, zu der man sich gedrungen fühlt: auf den Sohn August statt auf den prominenten Vater zu schauen, während wir erfahren, wie dieser die Situation beurteilt. Oder wir blicken mit dem Kind auf den Gorilla, denken aber darüber nach, wie das Tier den kleinen Menschen einschätzt. Die alte Frage, die der amerikanische Philosoph Thomas Nagel folgendermaßen verschärfte: What Is It Like to Be a Bat? (deutsch: „Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?“).

Auf der Kinderseite angekommen

Aktualitäten des Tages

Ich könnte meine Arbeiten einstellen, wenn sie nicht nebenbei auf meine Selbstbelehrung zugeschnitten wären, also auf meine persönlichen Defizite. Sonst könnte ich natürlich auch meine Kinder und Enkel befragen und mich „ein Stück weit“ entmündigen. (Ich bin gespannt, ob die KI auch schon diese beliebte Korrespondenten-Redeformel einbauen kann oder sie in Zukunft vermeiden hilft…)

Die Kinderseite des Tageblattes 13.02.23

Siehe auch hier oder hier

Ich habe mich aber auch ein Stück weit bei einem sehr klugen Menschen kundig gemacht, bei Hans Brandeis, einem bekannten (Musik-)Ethnologen, absoluter  Fachmann für alle Formen der Boot-Lauten auf den Philippinen. Hier seine (von mir gekürzten) Ausführungen:

HANS BRANDEIS (in Facebook Januar/Februar 2023)

BOAT LUTES AND ARTIFICIAL INTELLIGENCE (AI)

These days, there is a lot of talking about artificial intelligence (AI) and that certain program called „ChatGPT.“ I put the program to a test. I thought that, at least for me, the best topic would be Philippine boat lutes, because most of the published literature comes from me so that it’s easy for me to judge where the information of the AI chat program comes from.

I started with a very simple question: „Please, tell me something about Philippine boat lutes!“ The program started fiddling around telling me something about string instruments played by seafarers on boats and people living in coastal areas. This, of course, is totally wrong, as the name „boat lute“ is only applied to the instruments because of their boat-like shapes. Then, I told the program that boat lutes are never played on boats or in coastal areas, but usually in the mountains, etc. etc. It means that you have to feed the program with information to rely on, and it will provide you some nice summaries.

I asked the program: „What is a kuglung?“ The program answered that it does not know what a kuglung is and asked me to provide some information. Then I cut and pasted long portions of my article on the Philippine boat lutes and hala, it gave me an answer what a kuglung is.

I also asked about the number of strings, and the AI program fiddled around that there are lutes with 2, 3 or 4 strings. After I made clear that there are no Philippine boat lutes with three or four strings, I asked again about the number of strings. Then, the AI program correctly answered: „Philippine boat lutes typically have two strings.“ Me: „But there is one exemption: the boat lutes of the Alangan Mangyan people of Mindoro Island have only one string, instead of two.“ I asked for the number of strings again, and the program now answered: „Most Philippine boat lutes, such as the kudyapi and the Maguindanaoan kutyapi, have two strings. However, there is one exception: the boat lutes of the Alangan Mangyan people of Mindoro Island have only one string, instead of two.“

I was curious about the ability of the program to extract information from a kind of table and transform it into sentences. Therefore, I copied and pasted the following text (I gave the AI program the complete text, but I shortened it here, just to give a sample):

„The following is a list of all the ethnic groups using boat lutes in the Philippines. The name of each respective ethnic group can be read in the first line of each paragraph.

Mindanao

Higaonon (Plates 6-7)

Settlement area: Provinces of Misamis Oriental, Lanao del Norte and Bukidnon, Northern and Central Mindanao.

Local name of boat lute: kutiyapì.

usw. usw. die weitere Aufzählung überspringe ich an dieser Stelle

The AI chat program answered with the following summaries:

ebenso die verwirrte (?) Antwort des Systems.

Hans Brandeis:

It’s obvious that the AI program only picks up some names of ethnic groups, actually always the same names, but leaves out many others…

So far… this is just to give you an idea… all this is quite remarkable…

CONCLUSION: the system forgot about everything that I taught it before.

Jan Reichow:

Ich dachte, das System lernt besser…

Hans Brandeis:

Naja, eigentlich lernt das System ja ganz gut. Es ist nur so, dass es vom Informationszuwachs durch Nutzer offensichtlich abgeschnitten worden ist. Ich nehme an, in der Vorphase des Projekts, bis 2021, wurde das System mit einer Vielzahl von Quellen gefüttert, auf die es sich jetzt bezieht. Neue Quellen werden wahrscheinlich nur durch Mitarbeiter des Projekts zugeführt. Das ist auch verständlich, denn wer garantiert für die Qualität der Quellen, die von Nutzern eingespeist werden. Es gibt sicher eine ganze Reihe von Leuten, die das System mit irgendwelchen Fake-News und wissenschaftlichem Unsinn füttern würden. Schließlich gibt es ja auch eine Reihe von Leuten, die ein solches (oder auch jedes Projekt) – aus welchen Gründen auch immer – einfach nur zerstören wollen. Das soll natürlich unterbunden werden. Ein Nutzer – in diesem Falle also ich – kann aber zu jeder Reaktion des Systems einen Kommentar abgeben, der wahrscheinlich von den Projektmitarbeitern zur Verbesserung des Systems verwendet wird

Ich kenne mich mit diesem Zeug natürlich überhaupt nicht aus, nehme aber an, dass es im Wesentlichen auf Wahrscheinlichkeitsrechnung beruht. Das System kann ja schließlich nichts wirklich verstehen. Es werden ja nur Sprachobjekte miteinander verknüpft, die für das System keinerlei Bedeutung haben (können). Jedem Begriff und jeder Aussage werden wahrscheinlich eine Art „Relevanzwerte“ zugeordnet, die sie mit anderen Begriffen und Aussagen verbinden. Daraus baut das System dann irgendwelche Aussagen zusammen, deren „Wahrheitsgehalt“ sich aus Wahrscheinlichkeiten ergibt. Ich denke mir das nur so, habe aber eigentlich keine Ahnung von dieser Materie…

Jan Reichow:

Verstehe…absurd ist nur, dass das Ding Lyrik verfassen können soll. Natürlich nur für Leute, die Verse, die sie nicht verstehen, am ehesten für Lyrik halten.

Hans Brandeis:

Das ist halt „Kunscht“…Ich werde das System einmal fragen, ob es mir ein Gedicht über Bootslauten machen kann… ?

I asked ChatGPT: „Can you write me a poem about the boat lutes of the Philippines?“

ChatGPT: Sure, here’s a poem about the boat lutes of the Philippines:

Sailing on the waves of melody and rhyme,

The boat lutes of the Philippines chime.

With strings that dance to the rhythm of the sea,

They tell tales of love, loss, and mystery.

In the hands of skilled musicians they come alive,

Creating sounds that make the soul thrive.

Echoes of ancient songs and stories untold,

Resonating through the air, both young and old.

The lutes have seen the rise and fall of nations,

And played their part in historic celebrations.

From the depths of the sea to the mountaintops high,

Their music spreads its wings, soaring through the sky.

So let us cherish these instruments of the sea,

And keep their melodies alive for posterity.

For they are a part of the Philippines‘ soul,

A treasure to be protected and passed down, whole.

Jan Reichow:

Nicht schlecht für einen Automaten…

Lieber Herr Brandeis, darf ich Ihre Ausführungen als erhellenden Beitrag meinem Blog-Artikel über dieses Thema zuführen? (Mit Quellenangabe natürlich.)

Hans Brandeis:

Selbstverständlich.

Und noch etwas zur Ergänzung:

https://www.golem.de/…/kuenstliche-intelligenz-so…

Künstliche Intelligenz: So funktioniert ChatGPT - Golem.de HIER

Jan Reichow: DANKE!!!

Zu Hans Brandeis mit vielen interessanten Beiträgen über seine Forschungsthemen: HIER

I’m an ethnomusicologist by profession, with a main interest in the traditional music of the Philippines. In the 1980’s, my research focused on the musical culture, vocal and instrumental music, ceremonies and other traditions of the Higaonon (Bukidnon, Talaandig, Banwaon). My favorite musical instruments are the boat lutes (kutiyapi, kotapi, hegelung, faglung, kuglung, etc.), which can be found among nearly all the ethnic groups of Mindanao and Palawan.

If you want to know more about me, please, check out my websites on Philippine music and culture and other stuff:

https://www.facebook.com/boatlutesphilippines/?fref=ts hier
http://boatlutesofthephilippines.weebly.com/ hier
https://www.youtube.com/channel/UCXCTlyeMiixlGT56bLkdZIQ hier
ENDE
JR – Vorgemerkt
zur Kenntnisnahme:
Die spirituelle Sicht auf Bewusstsein und Künstliche Intelligenz (Aurobindo): Hier
ZITAT: In Indien wird die Angst vor ChaptGPT mit einem Lachen beantwortet. Es ist ganz klar, eine unumstößliche Gewissheit, dass die Computer keine Konkurrenz für die Seele sind, sie sind kraftvolle Werkzeuge, mehr nicht. Ich fragte ChatGPT neulich – nach einer längeren Konversation über Aurobindo, Deleuze und die Upanischaden – ob der Pfad der Upanischaden und der Meditation der KI zugänglich ist: [siehe unter dem angegebenen Link]

Lese ich (oder träume ich)?

Bin ich (bei) ein Bewusstsein? Oder habe ich es nur?

Kaum hatte ich die Überschrift erfasst, wandte ich mich zur Vergewisserung um: ist das Buch noch griffbereit? meine Instanz seit 1995. Als man noch „Bewußtsein“ schrieb.

Doch unser Traum beginnt so (nach Thomas Nagel):

Geht also nur alles von vorne los? Auf einer neuen Ebene? Der oben plakatierte ZEIT-Artikel wird folgendermaßen eingeleitet: „Ein Google-Entwickler glaubt, ein Computerprogramm des Konzerns sei zum Leben erwacht. Die Maschine rede und fühle wie ein Mensch. Als er seine Beobachtung öffentlich macht, wird er gefeuert. Doch was, wenn er recht hat?“ Ein Artikel von Ann-Kathrin Nezik.

Ich will diese Geschichte nicht unbedingt im Detail memorieren, von Black Lemoine, dem Senior Software Engineer bei Google, der dort rausflog, aber immer noch mit dem Computerprogramm LaMDA redet, das er folgendermaßen kennzeichnet: es ist „empathisch und wissbegierig, wenn auch manchmal etwas unbeholfen. Wie ein Kind, das sich tastend durch die Welt bewegt. Er befürchtet allerdings, dass „sie der Maschine inzwischen alles Menschenähnliche, das sie entwickelt hatte, wieder genommen haben.“ Für ihn war es klar, dass der Computer Bewusstsein entwickelt hat.

Man kommt sicher bald auf das Leib-Seele-Problem, vermute ich, ja, und natürlich auf die Rolle der  Perspektive: schaue ich von außen auf diese lebendige Sache oder erlebe ich sie von innen.  Und da ist auch schon die berühmte Fledermaus:

Thomas Nagel (betr.: Fledermaus)

Damals (1995) war ein anderes System im Gespräch, am Ende des Buches „Bewußtsein“ (herausgegeben von Metzinger) gab es den großen Aufsatz von Daniel Dennett und das Stichwort COG:

Im Internet konnte ich damals noch nichts vertiefen, heute rate ich mir (und anderen), z.B. den Artikel aus Planet Wissen zu lesen, hier, dann hätten wir schon eine Art Zweitmeinung:

Aber im Prinzip ist heute noch nicht klar, was den menschlichen Geist oder menschliches Bewusstsein eigentlich ausmacht. Vermutlich ist es eine Meta-Ebene, die in der Lage ist, die Informationsverarbeitungsvorgänge in den einzelnen Gehirnzentren übergeordnet zu betrachten und zu bewerten.

Vielleicht kommt der Großhirnrinde diese Funktion zu. Sie erhält Informationen aus den sensorischen und motorischen Arealen, die hauptsächlich in den Tiefen des Gehirns liegen.

Andererseits verweisen viele Forscher auch darauf, dass es eben rein strukturell ein übergeordnetes Zentrum im menschlichen Gehirn nicht gibt, sondern dass alle Areale parallel miteinander verschaltet sind.

Oder:

Ohne Körper, meint der Vater des humanoiden Roboters „COG“, Rodney Brooks, kann sich keine Intelligenz entwickeln. Intelligenz ist nur dann nötig, wenn sich ein Wesen in seiner sich ständig verändernden Umwelt behaupten muss. Dies sei die Triebkraft für die Intelligenz-Entwicklung.

Ich hätte auch oben (im METZINGER bzw. Dennett) einfach umblättern und weiterlesen können:

Über die Jahrhunderte hinweg ist jedes andere Phänomen, das anfänglich als „übernatürlich“ und geheimnisvoll erschien, einer nicht mehr umstrittenen Erklärung unter dem weiten Rock der Naturwissenschaften gewichen. Thales, der vorsokratische Proto-Wissenschaftler, glaubte, daß der Magneteisenstein eine Seele besäße, aber wir wissen es besser; der Magnetismus ist eins der am besten verstandenen physikalischen Phänomene, wie merkwürdig seine Erscheinungsweisen auch sein mögen. Sogar die „Wunder“ des Lebens und der Vermehrung werden heutzutage in der molekularbiologischen Analyse mit bekanntermaßen verwickelten Analysen erklärt. Warum sollte das Bewußtsein eine Ausnahme darstellen?

Wäre ich glücklicher? (Darum geht es nicht!!!)

Weniger positivistisch klingt es im letzten Aufsatz des Buches, wenn Dieter Birnbach über „Künstliches Bewußtsein“ schreibt (Achtung: Fledermaus!):

[Es sind …..) Zweifel daran erlaubt, ob sich die Bedingungen des Bewußtseins jemals so eindeutig aufklären lassen, daß die entsprechenden psychophysischen Verallgemeinerungen Gesetzesähnlichkeit beanspruchen können.

Die epistemischen Schwierigkeiten, die wir heute bereits mit exotischen Bewußtseinswesen (wie Thomas Nagels Fledermäusen) haben, würden sich für Maschinen noch verschärfen. Auch wenn wir uns vorstellen, daß wir uns Hirntransplantate einbauen lassen könnten, die an unser Zentralnervensystem „angekoppelt“, uns das Innenleben anderer, heute noch hermetisch verschlossener Wesen aufschließen, wäre das Problem nicht aus der Welt, wie sicher wir sein können, daß das, was wir mittels dieser Transplantate erleben, tatsächlich das ist, was Fledermäuse oder Maschinen erleben.

Quelle Dieter Birnbacher: Künstliches Bewußtsein (Seite 728) in: Bewußtsein / Beiträge aus der Gegenwartsphilosophie / herausgegeben von Thomas Metzinger (Verlag Ferdinand Schöningh Paderborn, München, Wien, Zürich 1995)

Übrigens kann man den Fledermaus-Text (1974) von Thomas Nagel vollständig im Internet nachlesen: und zwar hier. Des weiteren wäre empfehlenswert, auch wenn es vielleicht den aktuellen KI-Utopien zuwiderläuft:

Inhaltlich schön referiert→ hier.

Klappentext lesen: … ein Generalangriff auf die etablierte naturwissenschaftliche Weltsicht. Ihr Problem, so Nagels These, ist grundsätzlicher Natur: Das, was den menschlichen Geist auszeichnet, – Bewusstsein, Denken und Werte – , lässt sich nicht reduzieren, schon gar nicht auf überzeitliche physikalische Gesetze. Daher bleibt eine Theorie, die all dies nicht erklären kann, zwangsläufig unvollständig, ja, sie ist mit Sicherheit falsch.

Suhrkamp 2013

(Fortsetzung folgt: zurück zur neuen ZEIT)

Weiter im Artikel, aber mein Bewusstsein driftet ab: ich liebe es nicht, Wissensinhalte über Geschichten vermittelt zu bekommen (das hat Enzensberger schon früh als Charakteristikum des „Spiegel-Stils“ herausgestellt: im Erzählertonfall zu beginnen, um die Lesenden einzufangen, – captatio benevolentiae). Auf der zweiten ZEIT-Seite notiere ich mir das Wort „Simulation“, auch „Mimesis“ hätte als Merkwort dienen können: an den Körper und seine Imagination gebundene Vorstellungen. Die Assoziation, dass der Mensch durch seine Fähigkeit zu lügen vor den Tieren ausgezeichnet sei, wobei die Vorgeschichte der „Mimikry“ zu bedenken ist, Stichwort Signalfälscher. Dann die immer interessante Erfahrung der getäuschten Erwartung im Witz, quasi befreiend, und in der Tat – da kommt sie schon als Kriterium:

Als Witz erinnert das an die Kinderseite der Tageszeitung, wo bis zum Gehtnichtmehr, die Doppelbedeutung von Worten ausgenutzt wird, die keinem gewieften Wortspieler ein müdes Lächeln abringt. Leicht vorstellbar wie man diese minimalen Lacheffekte einprogrammiert. Und auf der nächsten Seite folgt auch erwartungsgemäß, aber spät, das Stichwort „Simulation“, die Anthropologie stand Pate:

Der Zweifel nistet sich ein, kaum abzuweisen: bin ich es, der schreibt? Verhalte ich mich wie ein künstlicher Mensch, der Bewusstsein simuliert?  Ich nehme mir die Freiheit, zurückzuspringen, zu unterstreichen, zu assoziieren, ganze Blöcke zu überspringen:

An dieser Stelle könnte die Geschichte zu Ende sein. Es wäre die Geschichte eines Computerprogramms, das zweifellos ein erstaunliches Maß an Intelligenz erreicht, ohne dass man zweifelsfrei sagen kann, ob damit so etwas wie ein Bewusstsein einhergeht. Allerdings wäre es eine unvollständige Geschichte, weil die Frage nach dem Bewusstsein nicht die einzige Frage ist, die sich hier stellt. Es geht auch um etwas anderes: darum, ob LaMDA womöglich gefährlich ist. (…)

In seiner Wohnung in Montreal malt er sich Szenarios aus, die er durchaus für realistisch hält: Autokraten und Demokratiefeinde könnten mit Charbots wie LaMDA Propaganda wie am Fließband produzieren. »Es reicht, dem Programm zu sagen: Schreib mir eine Studie, warum Impfen schlecht ist. Oder warum Weiße allen anderen Menschen überlegen sind.« Jeder könnte mit LaMDA und vergleichbaren Programmen Wähler täuschen, Märkte manipulieren, Leute betrügen. Für Menschen mit bösen Absichten sei die Entwicklung von Chatbots wie die Erfindung des Maschinengewehrs für den Krieg. (…)

Quelle DIE ZEIT Dossier Seite 13 ff 12. Januar 2023 HAST DU EIN BEWUSSTSEIN? Ich denke schon, antwortet der Rechner / Ein Google-Entwickler glaubt, ein Computerprogramm des Konzerns sei zum Leben erwacht. Die Maschine rede und fühle wie ein Mensch. Als er seine Beobachtung öffentlich macht, wird er gefeuert. Doch was, wenn er recht hat? Von Ann-Kathrin Nezik

Das Virus wirkt weiter, verbreitet sich, auch in harmlosen Musikkritiken oder- Abschiedsartikeln, wandert in die Musiken selbst hinein. Wer hat da gesprochen, wenn man Schumann hört? Es spricht so zehrend und so menschlich, man kann alles hineinlegen. In der Musik verschwinden steht drüber, an den chinesischen Maler erinnernd, der in sein selbstgemaltes Landschaftsbild hineinsteigt und in der Ferne verschwindet. Hier zu Barenboims Abschied oder Weiterwirken- „am Ende allen Dauerkonzertierens, für das er berüchtigt war. Premiere in Berlin, rein in den Flieger, Konzert in Chicago, rein in den Flieger, Proben in Paris, Mailand oder Wien, so ging das ein Leben lang.“ Und weiter:

Herrlich, ja aufregend, wie Barenboim in Schumanns Klavierkonzert das Geschehen nun weitgehend Argerich und den ersten Philharmoniker-Pulten überantwortete, die prompt alles virtuose Rauschen und Gedonner fahren ließen. Ein seiner Außenhaut entkleideter Romantiker trat so zutage, mal störrisch, mal fahrig, mal feinster Gesang. Frei von eigenen Sentimentalitäten ließ sich das kaum miterleben, die Generation Argerich / Barenboim steht für eine Hochzeit der klassischen Musik, die es so wohl nie wieder geben wird.

Armer Schumann! Ohne Außenhaut! Mit ihm lässt sich alles behaupten, er spricht immer unüberhörbar, aus weiter Ferne ebenso tönend wie aus unserm eigenen Innern. Da muss man den ersten Philharmoniker-Pulten rein gar nichts unterstellen, nicht einmal die eigene Trauer über den Untergang einer Ära. Das würde kaum mit Reger oder Pfitzner funktionieren, bei denselben Interpreten, vielleicht geht das wirklich nur mit Schumann und Brahms.

Das zu feiern stärkt und erfreut. Nach der Pause, in Brahms‘ 2. Symphonie, macht Barenboim faktisch nichts mehr, kleine, kleinste Gesten genügen, oft ruht sein Taktstock ganz, wie bei vielen großen Alten vor ihm. Denn das ist die höchste Kunst: in der Musik zu verschwinden. Selbst die Blumensträuße, die man ihm am Ende reicht, rupft er und verteilt sie so akribisch an die Damen des Orchesters, bis von der floralen Pracht nur mehr Gemüse übrig ist.

Quelle DIE ZEIT 12. Januar 2023 Seite 43 In der Musik verschwinden Daniel Barenboim ist wieder da – mit Martha Argerich (von Christine Lemke Matwey).

Der letzte Satz allerdings könnte auch von einem LaMBDA-Programm stammen, das den eingestreuten Witz als Reiz anzuwenden gelernt hat. Für das Leser-Bewusstsein bleibt vorrangig die Erinnerung an das Wort „Gemüse“ und will und will nicht mehr verschwinden.

(Vorläufiges Ende)

Aktueller Hinweis: WDR 3 Hörfunk 17.01.23 HIER (abrufbar bis 22.05.23) (https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr3/wdr3-forum/audio-kulturelle-herausforderungen-des-posthumanen-zeitalters-100.html hier)

Und noch etwas: Was ist ChatGPT? Ich hatte Zweifel, ob der junge Mann, der hier mit uns spricht, real oder virtuell vorhanden ist (in der Welt da draußen), aber mir wurde klar, dass dies in der Schönen Neuen AI-Welt wirklich von nachrangiger Bedeutung ist.

Noch etwas: Hier (ein Grundkurs mit 5 Beispielen für die Verwendung des Chatbots)

Des weiteren hier (ein Testgespräch mit einem Open AI Chatbot)

Zu KI (oder AI =Artificial Intelligence) wie immer nützlich (auch betr. Für und Wider) nachzulesen bei Wikipedia HIER

Wie sich die Welt öffnet

Nach oben und nach unten

Man sieht und hört

Fotos ER 13.11.2022

Zug der Kraniche in Europa HIER

Zu ihren Rufen:

Beim Duett-Ruf handelt es sich um eine zeitlich koordinierte Tonfolge beider Partner eines Paares. Das Männchen beginnt in der Regel z.B. mit ein bis zwei Tönen, und das Weibchen gibt zwei, drei oder vier höhere Töne dazu. Beim Rufen nehmen die Partner dabei eine typische Haltung ein, indem sie Kopf und Schnabel aufwärts richten. Zudem stehen beide eng beieinander oder bewegen sich während der Rufreihen langsam nebeneinander fort. Das Duett ertönt besonders zur Brutzeit, wird aber auch bei verschiedenen Situationen der Erregung an Sammel- und Rastplätzen vorgetragen.

Hören: siehe hier

Ihre weiten Flugbahnen:

Ein Bruchteil des Weges über Solingen

Fotos JR 13.11.22 gegen 12:45 h Botanischer Garten

Es geht kein Weg dran vorbei: wieder einmal fällt mir das alte Kinderbuch ein, 1948 erschienen, 450 Seiten lang. Darin habe ich eine lange Zeit gelebt. Und vielleicht zum erstenmal stellte sich die Frage, was es bedeutete, ein Mensch zu sein oder in eine andere Perspektive versetzt zu werden, verwunschen und verzaubert. Ein Zwerg oder ein Tier. Aber nicht vergessen: es waren Wildgänse, bei Selma Lagerlöf, keine Kraniche.

Der Anfang und auf Seite 451…

… das Ende der Geschichte.

Selma Lagerlöf

P.S.

Gerade heute wurde ich auf eine schöne Arbeit über Gustav Mahlers Vierte Sinfonie aufmerksam gemacht, worin ich an einer bekannten Passage hängenblieb, die Natalie Bauer-Lechner vom Komponisten überliefert:

Was mir hier vorschwebte, war ungemein schwer zu machen. Stell dir das ununterschiedene Himmelsblau vor, das schwieriger zu treffen ist als alle wechselnden und kontrastierenden Tinten. Dies ist die Grundstimmung des Ganzen. Nur manchmal verfinstert es sich und wird spukhaft schauerlich: doch nicht der Himmel selbst ist es, der sich trübt, er leuchtet fort in ewigem Blau. Nur uns wird er plötzlich grauenhaft, wie einen am schönsten Tage im lichtübergossenen Wald oft ein panischer Schreck überfällt [→ 2. Satz: Scherzo] (…) Doch werdet ihr im Adagio darauf, wo alles sich auflöst, gleich sehen, daß es so bös nicht gemeint
war. (NBL, 162)

Ich versichere, dass es Zufall ist, wenn ich auf dem Foto oben vorwiegend blau gekleidet erscheine, und wenn man auf meine vor 15 Jahren (?) angelegte Website schaut, so muss man sich über die Farbgebung nicht wundern. Es ist kein Bekenntnis. Im täglichen Leben bevorzuge ich eher Grün, für Rot muss ich Begründungen finden. Bei Gelb denke ich wiederum an Mahler, an das letzte der „Lieder eines fahrenden Gesellen“. Der Freund aber, der mir u.a. wegen Mahler schrieb, – Zwillingsbruder eines Musik-Freundes aus alter Zeit -, schickte mir zugleich ein düsteres Bild, das vom Gelb lebt, mich aber zutiefst an Phasen des Kölner Studiums erinnert, als diese Busse längst nicht mehr im Einsatz waren. (Siehe auch hier). Und der regenschwere Himmel über dem Rhein, nicht weit von der Hochschule, wich doch oft genug einem gewaltigen Blau…

Jürgen Giersch (2018)

Nicht nur im Frühling

Was aufs neue zu lesen und zu hören wäre …

Was war denn im April 1968? – „Die Amsel“

Ging es überhaupt um das Tier? Oder um einen mystischen Zustand?

http://www.janreichow.de/sdg_abgehoert_vogelstimmen_1992.htm

Die CDs sind hier im Regal immer noch greifbar, und viele andere sind dazugekommen. Aber im Radio war es wohl in einer Musikreihe die erste Vogelstimmensendung dieses Umfangs.

dies aber ist wirklich neu: 14.10.22

oder eine Hoffnung auf Erneuerung. Wie im folgenden Hörspiel, der alten Erzählung, kennengelernt im April 1968 – jetzt: HIER

Hörspiel „Die Amsel“ Von Robert Musil

Und als Ausklang – selber lesen:

https://taz.de/Was-singen-die-Amseln/!764970/ hier (Autor: Cord Riechelmann) oder Vinciane Despret:

Der Ethnologe Daniel Fabre sagte über seinen Beruf, er interessiere sich für das, was die Menschen am Schlafen hindere. Der Anthropologe Eduardo Viveiros de Castro gibt eine ähnliche Definition von der Anthroplogie: Sie sei das Studium varierender Dringlichkeiten. Weiter schreibt er, »[w]enn es etwas gibt, das der Anthropologie von Rechts wegen zukommt, dann ist es nicht die Aufgabe, die Welt des anderen zu erklären, das heißt zu explizieren, sondern die, unsere Welt zu vervielfachen«. Die Verhaltensforscher, die Tiere beobachten und analysieren, wie es vor ihnen die Naturforscher getan haben, verfolgen meiner Meinung nach meist ein vergleichbares Vorhaben: Sie wollen dokumentieren und die Seinsweisen vermehren, sprich »die Weisen zu empfinden, zu fühlen, Sinn zu geben und den Dingen eine Dringlichkeit zu verleihen«. Wenn der Verhaltensforscher Marc Bekoff sagt, jedes Tier sei für sich genommen eine Art, die Welt zu erfahren, meint er nichts anderes. Natürlich können die Wissenschaftler nicht auf Erklärungen verzichten, doch das Erklären kann darin bestehen, komplexe Geschichten, wahre Abenteuererzählungen über das Leben und die hartnäckig von ihm erprobten Möglichkeiten zu ersinnen; es kann die Probleme zu erhellen versuchen, für die dieses oder jenes Tier eine Lösung gefunden hat, oder aber nach einer allgemeingültigen Patenttheorie streben. Kurzum, es gibt Erklärungen, die die Welten vervielfachen und unzählige Seinsweisen berücksichtigen, und es gibt solche, die sie bändigen und auf ein paar Grundprinzipien beschränken.

Die Amsel hatte zu singen begonnen. Etwas Dringliches beschäftigte sie, und in diesem Moment zählte nichts anderes als das, was sie um jeden Preis zu Gehör bringen wollte.

Quelle Vinciane Despret: Wie der Vogel wohnt (aus dem Französ. von Nivola Denis) Matthes & Seitz Berlin 2022 (Zitat Seite 14f)

Elisabeth von Thadden schrieb darüber (ZEIT Literatur Oktober 2022 Seite 34) :

Die Biologie ist hier nur ein Bezugspunkt unter anderem. Vinciane Desprez sucht nicht nach universellen Gesetzmäßigkeiten des Vogelverhaltens, sie möchte wissen, wie Vögel durch Menschen verstanden wurden: Warum setzt sich der Begriff des Territoriums von Vögeln erst im 17. Jahrhundert durch, im Zuge der Entstehung des Eigentum-Begriffs in England? Warum entwickelt Darwin ein Faible für des dramatische Potenzial des männlichen Vogel-Wettkampfs um ein Revier, und warum wundert ihn der Gesang kaum? Wie kommt es, dass der Soziologe Zygmunt Bauman starke Thesen zur Gesellschaftlichkeit der Vögel hatte, aber keine beobachtende Neugier für deren faktisches Verhalten? Umd warum verknüpft der Philosoph Michel Serres das Verhalten der Tiere mit dem Naturrecht, um die Vögel wie kleinbürgerliche Besitzfetischisten erscheinen zu lassen?

*     *     *

Heute 16.10.22 – Gehört / gesehen: MAHLER (ziemlich kritisch) danach gefesselt von A bis Z durch: WESTART (warum ist eine solche Sendung um so viel packender als ein Mahler-Film oder ein abgefilmtes Orchester? Oder gar ein „Lied von der Erde“ mit Klaus Florian Vogt???) siehe HIER Westart 15.10.2022 29:39 Min.,erfügbar bis 15.10.2023 WDRu Besuch im Von der Heydt-Museum „Die erste der drei aktuellen Ausstellungen mit dem Titel ‚ZERO, Pop und Minimal‘ zeigt provokative Kunst der 60er und 70er Jahre. Die zweite Ausstellung ‚Fremd sind wir uns selbst‘ visualisiert anhand von Porträts aus über 100 Jahren die Spannung zwischen Außen- und Selbstwahrnehmung. Und die gerade eröffnete Ausstellung ‚Eine neue Kunst‘ stellt Fotografie und impressionistische Malerei nebeneinander – zwei Genres, die sich nah und doch erstaunlich fremd sind.“

Kennen Sie Stéphane Mandelbaum? Da wir gerade bei der Kunst sind, möchte ich eine tolle Empfehlung von Berthold Seliger festhalten, die einer wichtigen Frankfurter Ausstellung gilt. In seinem Artikel macht ein Link auch das Booklet zugänglich; darin wiederum findet man u.a. einen lesenswerter Artikel von Diedrich Diederichsen. Alldies also auf diesem Wege online:

https://www.jungewelt.de/artikel/436713.kunst-wimmelbilder-der-halbwelt.html

Zweite Natur = Kultur?

Der philosophierende Mensch in seiner Umwelt

Als die Welt immer fragwürdiger zu werden begann, wurde mir immerhin klar, dass es mir nicht gelingen würde, so einfach in der Natur zu leben, wie es mein kindlicher Plan gewesen war. Ganz allein wie sollte das gehen? Trotzdem behielten solche Lebensentwürfe ihre Anziehungskraft. Ich wollte die Wälder Schwedens kennenlernen, wahrscheinlich wegen Nils Holgerssohn (also dank der poetischen Imagination der Schriftstellerin Selma Lagerlöf), dann kam Hamsun („Pan“ , „Segen der Erde“ ), der Komponist Sibelius. Diese Ära endete mit dem Buch „Kunst, Kitsch und Konvention“ von Karlheinz Deschner. Auch Hesse war damit erledigt („Klingsors letzter Sommer“ – auf Langeoog). Eine Art Rausch tatsächlich, jetzt dank Fernsehgedenkfilm leicht revidierbar, – und unerträglich für immer. Damals auch mit der Lektüre von Adolf Portmann verbunden, die ich auf mich persönlich beziehe, eine biologisch anteilnehmende Perspektive: „Nesthocker und Nestflüchter“, wahrscheinlich wollte ich zuerst fliehen und dann hocken. Die Frage (nach dem Krieg, Jahre auf der Lohe): Was ist Natur, was ist meine wahre Heimat, was kann ich definitiv darüber wissen?

Wikipedia HIER  Man beachte, was hier von Aristoteles gesagt wird, der den Begriff der „zweiten Natur“ erfunden hat; ich zitiere es aus der Nikomachischen Ethik, die ich seit 1966 besaß, ohne ihre Bedeutung zu verstehen:

Natürlich würde ich dies nicht als Hauptentwicklungslinie für mich seit Mitte der 50er Jahre gelten lassen; ich habe damals auch ganz andere Sachen gelesen, und „in echt“, würde ich sagen, wenn ich jetzt renommieren wollte. Platon zum Beispiel, Leonardo, sogar Kant hatte ich in Dünndruckausgabe mit auf Langeoog, – nur leider nicht verstanden. Aber an die oben genannte Lektüre denke ich am ehesten, wenn ich mich für die Anthropologie von Daniel Martin Feige motivieren will: da gibt es etwas Verwandtes, das mich nicht erlahmen lässt. Und vor allem: ich sehe die damalige Zeit mit einer gewissen Sympathie, nicht mit Herablassung, als hätte ich es inzwischen so herrlich weit gebracht. Die Evolution (Darwin nach Julian Huxley) spielte eine wesentliche Rolle, und im Zielgebiet winkt – nach wie vor – ein neuer Blick auf die Musik.

Ich überspringe den 1. Teil, den „biologischen“, der mich mit Verwunderung erfüllt, aber nie ganz ratlos gelassen hat. Dass ich dabeibleiben würde, wusste ich erst im zweiten Teil, nach der Überschrift „Zweitnatürlicher Naturalismus“ (siehe Portmann-Erinnerung und Wikipedia-Artikel). Nun geht es zu Kant und Aristoteles, auch da gibt es Vorerfahrungen, auch dank Blumenberg. Und man ist gewappnet, die große Parabel von den Wölfen zu ertragen, ohne zu lachen. Man macht sich kundig betreffend MacDowell (Wikipedia hier), und liest gründlich, was er uns über den „imaginierten rationalen Wolf“ mitteilen will, auch wenn es noch im Dunkeln bleibt, was mit den Wikipediasätzen gemeint sein soll: dass nämlich …

bereits die Wahrnehmung selbst begrifflich strukturiert sei, bzw. mit ihr schon begriffliche Fähigkeiten in Anspruch genommen werden müssten. Das sich hieraus ergebende Problem, dass Tieren und Säuglingen dann offenbar Wahrnehmung abgesprochen werden müsse, versucht McDowell im Anschluss an Überlegungen von Aristoteles und jüngere Denker außerhalb der analytischen Tradition, wie Karl Marx und Hans-Georg Gadamer, zu lösen. Tiere nähmen keine „Welt“, sondern nur eine „Umwelt“ wahr, in der sie lebten und, ohne Abwägung von Gründen, auf sich unmittelbar stellende biologische Probleme reagierten.

Wiki Wölfe

Daniel Martin Feige spricht über Positionen,

die unsere Form des Lebendigseins mit starken inhaltlichen Bestimmungen eines »Guten« des menschlichen Lebens verbinden [….] ohne unser Lebendigsein und unsere Vernünftigkeit angemessen zusammen zu bekommen,

was ich hier etwas gewagt verkürze. Daher das folgende (garantiert ungekürzte) Zitat zu einem vieldiskutierten Gedankenexperiment von John McDowell:

Tugenden als Ausdruck unserer praktischen Vernunft können nicht derart als Aspekt unserer Lebensform verstanden werden, wie das Jagen im Rudel zur Lebensform des Wolfes gehört. Sein Gedankenexperiment besagt, dass wir uns einige Wölfe als rationale Wölfe vorstellen und dann fragen sollen, welche Autorität Lebensformtatsachen im bislang diskutierten Sinn dann noch haben. Ein vernünftiger Wolf, so seine Antwort, handelt nicht länger der Lebensform des Wolfes gemäß, sondern ist Träger einer anderen Lebensform, in der aus Gründen als Gründen gehandelt wird. Der vernünftige Wolf wäre insofern nicht allein ein Denkender, als er Ereignisse und Zustände als Ereignisse und Zustände der Welt erfassen könnte, sondern er wäre auch ein Handelnder, insofern er Ereignisse und Zustände in der Welt aufgrund der Einsicht in das, was zu tun ist, hervorbringt. McDowell weist zu Recht darauf hin, dass wir einem solchen Wesen Freiheit zuschreiben sollten. Und sein Argument lautet: Die Lebensformtatsache, dass Wölfe im Rudel jagen, hat für den vernünftigen Wolf nun keine unumstrittene Autorität mehr, da sie unabhängig davon, dass Wölfe als Wölfe sich so verhalten, für das Handeln des vernünftigen Wolfes normative Kraft für sein Handeln entwickeln müsste. Das aber ist nicht ausgemacht. Nicht allein könnte er ein lasterhafter Wolf werden, der nicht länger jagt und dennoch die Beute, die die anderen Wölfe herbeigeschafft haben, frisst. Dabei ist auch McDowell der Meinung, dass mit einem solchen Wolf etwas nicht stimmen würde. Aber der entscheidende Punkt ist: Dieser Wolf könnte nun Überlegungen anstellen, ob die Gründe für die gemeinsame Jagd tatsächlich gute Gründe sind. Der Unterschied zwischen einem Wolf und dem imaginierten rationalen Wolf besteht diesbezüglich im Folgenden: »Die Form, in der das, was Wölfe benötigen, auf sewin Verhalten einwirkt, beinhaltet keinen Schluss auf das, was er benötigt. Aber sobald wir uns einen vernunftbegabten Wolf vorstellen, der sich fragt, was er tun soll, macht dieser Gedanke tatsächlich einen Unterschied.«

McDowells Überlegung legt nahe, dass wir Vernunft nicht einfach als natürliche Ausstattung des Menschen verstehen können, da sie seine natürlichen Anlagen derart, wie Tiere sie haben, nicht einfach bestehen lässt. Er schlägt dabei anders als die bislang diskutierten Ansätze vor, die Vernunft des Menschen nicht als dessen erste Natur zu begreifen, sondern vielmehr als seine zweite Natur. Das tut er deshalb, weil sein Gesprächspartner nicht allein Aristoteles ist, sondern auch Kant; er entwickelt das Erbe von Aristoteles nicht zuletzt durch das Prisma der kantischen Philosophie fort.

Quelle Daniel Martin Feige: Die Natur des Menschen / Eine dialektische Anthropologie / Suhrkamp Berlin 2022 / Zitat Seite 117 ff

Ich erinnere mich immer wieder an Kant-Begegnungen, z.B. hier oder hier oder hier. Wandere über die Wikipedia-Brücke hierher und finde dort auch dieses handliche Schema der Erkenntnis:

Weit gefehlt, wenn ich nun glaube, bei Feige auf eine besonders fassliche Darstellung zu stoßen. Er sagt es mit seinen Worten, und die klingen nun mal anders:

(Fortsetzung folgt)

Gänsehaut – unwissenschaftlich

Vorläufiges zu einem gängigen Thema

Es hat mich des öfteren beschäftigt (man muss das besagte Wort nur mal oben im Suchfensterchen eingeben). Aber eigentlich war es mir immer zuwider. Das Wort, nicht das Phänomen; klar war mir nur, – allerdings erst nach vielen Jahren der Selbsttäuschung -, dass es überschätzt wird, nämlich in dem Sinne, dass es ein Signal für die Wahrheit einer Empfindung sei. Heute will ich dieser abgelehnten Einschätzung wieder näherrücken: es signalisiert mir durchaus die Empfindung einer Wahrheit, – scheint mir. Aber: Egal, ob wahr oder nicht!

Das unsympathische Wort „Gänsehaut“ bezieht sich bekanntlich auf den Anblick der erschauernden Menschenhaut (sich aufgestellende Haare), die an eine gerupfte Gans erinnert, also an ihre aller Federn entledigte Leiche. Ich hätte lieber ein wissenschaftliches Wort dafür, zumal die schlaffe tote Gans kaum für die aktive, wenn auch unwillkürlich sich kräuselnde Menschenhaut einstehen kann. Aus der Zeitung lerne ich ein Wort, das dem zwar entspricht, aber mir alles andere als geheuer ist: Piloerektion. Darüber darf nachgedacht werden. Wo liegt die Aktivität?

Süddeutsche Zeitung 25./26.06.22 ST 29.06.22 „Gänsehautmoment“

Ich gehe aus von einem Gänsehautmoment, den jeder kennt, Merksatz: „Ist da jemand?“.  Man kehrt nachts heim und betritt das leere Haus, aber das Licht funktioniert nicht, und man tastet sich vor bis zur ersten Tür, die offen steht. Da hört man aus dem Inneren des Raums ein leises Geräusch, kaum wahnehmbar, man erstarrt und lauscht: war da was? Oder nichts? Stille. In diesem Moment überläuft ein Schauer den Rücken, die Nackenhaare sträuben sich, ein Moment äußerster Wachheit. Alles andere als ein Genuss. Möglicherweise lauert eine akute Gefahr. Man glaubt nicht an Gespenster. Aber: wenn es da nun doch irgendwas gibt?

Ein anderes Beispiel: der Moment des Wiedererkennens: ein fremder Mensch, der einem begegnet, entpuppt sich als der verlorene Sohn, der im Krieg vermisste Vater oder gar ein totgeglaubter Freund. Ein Moment der Überraschung, – eines Schreckens, der von Freude kaum unterscheidbar ist.

„Ich sei, gewährt mir die Bitte, in eurem Bunde der dritte!“ In Schillers Bürgschaft eigentlich eine Zumutung, aber der Effekt ist: Gänsehaut.

Die Geschichte mit John Lennon ist von vornherein als digitaler Trick eingefädelt. Anders wäre es, wenn die Stimme von John Lennon sich unerwartet – wie aus dem Nichts – während des Konzertes hinzugesellt hätte. Und selbst Paul McCartney sichtlich erschrocken reagiert hätte. Was für ein Gänsehaut-Effekt im gesamten Publikum, was für ein Gekreisch!

Ich habe erlebt, wie bei einer Grabrede (Krings) die Unersetzlichkeit des Verstorbenen sehr plastisch beschrieben wurde. Und der Redner schloss mit dem Hinweis, dass der Freund vielen Menschen unvermindert gegenwärtig scheint, als sei er nach wie vor anwesend, und dann mit leisem Nachdruck: „Ich glaube, er ist es“.

Ein gewagter Schluss, für die einen suggestiv, für die anderen peinlich. Gänsehaut bei Leichtgläubigen.

Die Gänsehaut gehört in die Nähe des offenbaren Wunders. Sie ist oft genug mit Scham verbunden, als sei man auf den Enkeltrick hereingefallen.

Eine Pause (ein „Stutzen“ findet statt, ein Moment des Nachdenkens) zwischen Phänomen und Gänsehaut… – „Kontrastive Valenztheorie“??? es ist aber wohl gerade nicht so, dass in der Musik eine Erwartungshaltung vorausgeht, die mit Dynamikwechseln zu tun hat, „egal ob sie plötzlich kommen oder als Crescendi“.  Vielleicht kann man von Intensitätssteigerung sprechen, dann auch z.B. von spannenden Harmoniewechseln, meinetwegen auch von einer Vorahnung des Besonderen (Stutzen) – entscheidend aber wäre die Erfahrung der Realität. Es ist das Eintreten des Erwarteten, die Realisierung, die Enthüllung, die Erfahrung von Realität, nicht „Brüche mit Erwartungshaltungen“, sondern deren Einlösung. Man hört, was man vage erwartet hat, wirklich – und die Gänsehaut ist da. Vielleicht handelt es sich um ein grammatisches Missverständnis, das man bei dem kanadischen Hirnforscher selbst aufklären müsste. Seine Forschung war mir bisher entgangen. Ich hatte zuletzt den amerikanischen Psychologen Jaak Panksepp 1998 dazu Triftiges sagen gehört, zugleich aber manches, was eher skeptisch stimmte. Hier nun: David Huron. Schon der Titel seines Essays scheint eine abweichende Deutung zu bestätigen, und die Jahreszahl der in der SZ aktuell wirkenden Meldung irritiert: Sweet anticipation (2006).

(Fortsetzung folgt)

→ Gänsehaut bei Kitsch (das gleichzeitige Bewusstsein der Täuschung)

→ Oder frag mal deinen Hund, er kennt den emotionalen Konflikt, siehe hier

Freiheit, die ich meine(n möchte)

Der schönste politische Begriff

… von dem ich heute als erstes gelesen habe, als ich die neue CD eines fabelhaften iranischen Musikers gehört habe? Er hatte als Motto seines Booklets ein Wort von Beethoven gewählt:

Allein Freiheit, Weitergehen, ist in der Kunstwelt wie in der ganzen großen Schöpfung Zweck.

Und ich erinnerte mich, wie ich am 6.12.1992 – als Schmetterlingsfreund – an die ganze große Schöpfung erinnert wurde, und zwar durch das Geburtstagsgeschenk des Bienenfreundes (und Mitarbeiters) Werner Fuhr:

„… kreativ und verantwortungsbewußt, das freie Spiel der Natur zu unserem eigenen machen können.“ Hubert Reeves: hier

Jetzt aber wurde ich wieder an jenen Begriff gemahnt, den ich gut zu kennen glaubte, als ich auf Anraten des Freundes (und Sohnes) JMR in der ZEIT nachlas – die ich auf Texel nicht lesen konnte, weil sie zuhaus im Solinger Briefkasten lag -, dass es der schönste sei, den die Menschheit je erfunden habe: eben – die Freiheit? Und dazu eben diesen großen Artikel, dessen Ende hier zitiert sei:

Für viele, für die allermeisten Freiheiten, die wir genießen, hat der ökologische Fallout unseres Tuns keine unmittelbare Wirkung: Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit, Gewerbefreiheit, Meinungsfreiheit, Wahlfreiheit, Tariffreiheit, Freiheit der Berufswahl und der Wissenschaft – all diese Freiheiten bleiben weitgehend unberührt. Abders sieht es mit jenen Freiheiten aus, die durch ihre spezifische, im fossilen Zeitalter eingeübte Ausübung zur ökologischen Zerstörung beitragen: Autofahren, Fleischessen, Vielfliegen, Überkonsum von Kleidung und so weiter. Mithin aller Freiheitsgebrauch, der über den Umweg seiner »Nebenwirkungen« zu einer Massierung von Zwängen führt.

Bislang gelang es der Gesellschaft, dem Staat, der Wirtschaft und der Werbung ganz gut, den Menschen die Kollateralschäden ihres eigenen Tuns vom Leib zu halten und den Freiheitskonsum als einen reinen, unschuldigen Akt erscheinen zu lassen. Der Mensch, der den Zündschlüssel drückt, sollte und wollte möglichst nicht wissen, was geschehen sein musste, bevor er dies tun konnte, und was passieren würde, sobald er es getan hatte. Die Sicherung der Ölversorgung durch das Militär, gegebenenfalls durch Kriege; die Subventionierung von Petro-Autokraten, die dann im zweiten Schritt mit unserem Geld unsere freiheitlichen Gesellschaften bedrohen; die Zerstörung von Landschaften zur Beschaffung der Rohstoffe, die für den Bau eines Autos benötigt werden; die Wohnraumknappheit in den Städten nicht zuletzt wegen der Bedürfnisse des Autoverkehrs; die Verkehtstoten; die Zerstörung von Wäldern und Auen für die Autobahnen; die Zersiedelung der Landschaften; die CO2 – und Stickoxid-Emissionen; der Feinstaub vom Reifenabrieb – um nur mal einen kleinen Ausschnitt der Kollateral-Voraussetzungen und der Kolllateralschäden des motorisierten Individualverkehrs zu zeigen. Von alldem wurde der Mensch bei der Ausübung seiner automobilen Freiheit lange verschont.

Nun lässt sich argumentieren, dass wir überhaupt nichts mehr tun könnten, wenn wir stets und immer alle möglichen Nebenfolgen unseres Handelns berücksichtigen müssten. Das stimmt, der Schmetterling würde es nicht mehr wagen, mit dem Flügel zu schlagen, wenn er wüsste, dass er damit womöglich einen Orkan auslöst. Allerdings sind die Proportionen beispielsweise beim Auto genau umgekehrt: Es müssen ständig Orkane ausgelöst werden, damit am Ende ein Flügel geschlagen werden kann. Die Nebenwirkungen unseres Tuns sind in Wahrheit die Hauptwirkungen. Und das Nichtwissen um diese Wirkungen ist nicht der Schleier, den die Freiheit eben auch braucht, vielmehr ist es hochgradig neurotisierend; zwanghaft muss das Offensichtliche verdrängt werden. So verwahlost dieser Freiheitsbegriff zum Anspruch, konsumieren zu dürfen, ohne von den Folgen zu wissen und dafür einstehen zu müssen. Es ist essenziell antiaufklärerisch.

So offensichtlich das alles sein mag, so sehr kann die Desillusionierung gleichwohl schmerzen. Weil es eine ganze Weile sehr schön war, den Zündschlüssel zu drehen, den Fahrtwind zu genießen und nichts weiter. Nur dass es sich eben im Nachhinein gesehen weniger um eine Freiheit handelte als um ein vergängliches Privileg.  Das nun eben vergangen ist.

Schade eigentlich.

Quelle DIE ZEIT 15. Juni 2022 Dossier Seite 15-17 Bernd Ulrich und Fritz Engel: Der verletzte Mensch Wie kann es sein, dass wir alles über die Klimakrise wissen und trotzdem so wenig dagegen unternehmen? Fritz Engel und Bernd Ulrich haben eine Erklärung. Sie hat mit Stolz, Ehre und der Idylle der Normalität zu tun.

Übrigens wäre ich sehr vorsichtig, den Beethoven-Satz über die „Freyheit“ auszudeuten, wenn ich das Umfeld betrachte: siehe hier , 29. Juli 1819 an Erzherzog Rudolph.

Qanat dagegen bezieht sich im Iran eindeutig auf alte Strukturen, durch die frisches Wasser aus unterirdischen Quellen hervortritt. In der Wüste wurde an solchen Stellen gegraben, bis man die Dörfer mit diesem Wasser versorgen konnte.

die neue CD. Doch darüber demnächst mehr…

„… kreativ und verantwortungsbewußt, das freie Spiel der Natur zu unserem eigenen machen können.“

*    *    *

Heute noch lesen:

Jürgen Habermas über Adorno und (nach Sloterdijk) über die  „Querdenker“ im Philosophie-Magazin Hier (gefunden dank eines Hinweises bei Daniel M. Feige).

ZITAT

Peter Sloterdijk bemerkt jüngst im Hinblick auf die „Querdenker“, es handele sich um „Figuren wie aus dem Spätmittelalter, die den Weg in die Moderne und damit zu naturwissenschaftlicher Evidenz und zum Staatsbürgertum innerlich nicht mitgegangen sind. Das hat im Verwechseln der eigenen Wünsche mit der Welt etwas Kleinkindliches.“ Würden Sie in diesem Fall mit Sloterdijk übereinstimmen?

Der Beschreibung stimme ich zu. Ich würde sie durch einen auffälligen Zug ergänzen. An der Bewusstseinslage dieser Leute fällt nämlich ein merkwürdiger Kontrast auf: Einerseits projizieren sie ihre verdrängten Ängste verschwörungstheoretisch auf dunkle Mächte, die sich der Autorität der bestehenden Institutionen bedienen. Das Autoritäre dieser geschlossenen, meistens antisemitisch besetzten Weltbilder verrät die rechtsradikalen Wurzeln dieses Potenzials, das von der AfD sofort erkannt worden ist. Andererseits erlaubt die Denunziation der bestehenden Ordnung den Coronaleugnern ein antiautoritäres Auftreten: Ihre Demonstrationszüge bieten das libertäre Erscheinungsbild linker Jugendproteste. Die Demonstranten können sich auf diese Weise zu den „wahren“ demokratischen Verteidigern einer durch die angeblich autoritäre Regierung verletzten Verfassung aufspielen. Tatsächlich spiegelt sich in diesem libertären Habitus nur jene nackte Verfolgung eigener Interessen, die man sonst eher bei Vertretern eines radikalisierten Wirtschaftsliberalismus vermutet. Aber hier ist es der Egozentrismus der Schwachen und Marginalisierten, nicht der Robusten. Nach meinem Eindruck wird uns dieses Protestpotenzial ganz unabhängig vom Auslöser der Pandemie noch lange beschäftigen. Ich vermute, dass sich darin jene Art der systemisch erzeugten sozialen Desintegration äußert, deren Ursachen Präsident Biden nach dem Sturm aufs Kapitol wohl richtig diagnostiziert hat und die er nun mit dem Versuch einer Rückkehr zu rooseveltschen Programmen beseitigen will.

Soweit Jürgen Habermas. Weiteres direkt im oben gegebenen Link zum Philosophie-Magazin.

Ich muss noch einmal zurückkehren zu dem obigen Zeit-Artikel. Was ich davon wiedergegeben (und ehrlich abgeschrieben) habe, spiegelt nicht vollständig das, was er mir inhaltlich bedeutet. Zumindest 1 Beispiel muss ich noch nachliefern.

(folgt:)

Es geht im Wesentlichen auch darum, unsere Ausweichargumente hier oben „im globalen Norden“ zu entlarven:

ZITAT

Denn mit ihrem Ausweich-Argument hüllen sich die reichen Länder gewissermaßen in die weitaus existentielleren Nöte von Kongolesen und Philippinern, von den Bewohnerinnen Madagaskars oder Indonesiens. Deren Naturzerstörung kann schließlich durch das eigene Überlebenwollen legitimiert werden, jedenfalls besser als im globalen Norden.

Warum aber wird für uns im Norden die Atmosphäre erhitzt, der Regenwald abgeholzt, das Meer leergefischt, wozu werden die Flächen versiegelt und die »Nutz«tiere gequält? Für eine in der Geschichte der Menschheit beispiellose Bequemlichkeit, für ebenso andauerndes wie achtloses Fleichessen, für mehr Kleider, als man tragen kann, für mehr Konsumgüter im Haus, als man zählen kann, für die Beschleunigung von null auf hundert in fünf Sekunden. Und so weiter. Wir sind nicht rücksichtslos, um Epochales zu leisten, sondern rücksichtslos, um Dinge zu tun, die wir eigentlich gar nicht gut finden. Darin liegt eine gewaltige Selbstkränkung des (reichen) Menschen.

(Hervorhebung vom Zitator)