Archiv für den Monat: März 2021

Kulturradio

Quo vadis?

Navid Kermani hat in WDR 3 über das Kulturradio gesprochen. Jan Brachmann kommentierte in der FAZ. Mit Recht kann man fragen, was ist der Anlass für die besorgten Töne? Höchste Zeit, es nachzulesen.

hier

Ich sage nichts dazu, denn es handelt sich um meinen Heimatsender. Allerdings beschäftige ich mich seit 15 Jahren mit anderen Schwerpunkten. Jedenfalls nicht mehr mit Vermittlung von Musik im Hörfunk. Und ich habe keine Neigung, mich „draußen“ zu engagieren, ich habe zuviel zu tun. (Die übliche Ausrede, wenn einem die Hände gebunden sind.) Allerdings: man darf sich weiterhin gründlich informieren.

Dabei erinnere ich mich auch an einen Vorgänger-Artikel, der noch zu bedenken wäre:

hier leider nicht kostenfrei; aber die Leserreaktionen sind ebenfalls aufschlussreich: hier. Früher … wurde soetwas immer sehr ernst genommen.

Heute ist es vielleicht anders, man glaubt, in Coronazeiten sei alles anders. Weit gefehlt!

Eine schöne Erinnerung hängt an meiner Zimmerwand, oder auch ein Mahnbild, sie möge sich nicht verflüchtigen:

Haben Sie vergessen, den im ersten Link eingebundenen Bartók-Beitrag zu hören und zu sehen??? Sehr anrührend als Erinnerung an das, was in WDR 3 wichtig ist oder war. Natürlich nicht nur Pentatonik und erst recht nicht nur in 7 Minuten: alles, was Musikkultur bedeutet.

An einem grauen Frühlingstag

Was nicht vergehen kann

Wann habe ich all diese Bände der alten Ausgabe Bachscher Orgelwerke von Peters erworben? Diesen jedenfalls am 31.Okt.1984. Und warum höre ich gerade diesen Choral jeden Morgen und gleich anschließend – jahreszeitlich noch unpassender – „Nun komm der Heiden Heiland“? (Ostern steht vor der Tür). Aus klanglichen Gründen, Klavierklang, ja, und wegen des enigmatischen Charakters, die Orgel hätte das wahrscheinlich nicht vermocht. Seltsamerweise „Bonustracks“ – was soll das heißen? Sie waren der Kaufgrund, hier habe ich hineingehört: hier.

Ich höre den Ton a – und ein zweites Mal den Ton a – und den gleichen in der Tiefe, chromatisch aufwärts führend. Das muss ich haben. Was gibt es denn sonst noch? Schubert f-moll, wunderschön und oft gehört und auch selbst gespielt (zuletzt immer mit Konrad Burr, der leider verstorben ist), Mozart D-dur – auch, das haben schon die Kinder im Konzert gespielt, nein, das ist die andere in D-dur, die vierhändige für 1 Piano, und diese wirkt wie ein Double. Der Sache muss ich nachgehen. Aber jetzt: „Das alte Jahr vergangen ist“ – wie neu – kommt das durch Kurtágs Bearbeitung? Ich wette, kein einziger Ton ist verändert; es ist eine rein klangliche Bearbeitung, natürlich. Von dem Piano-Duo Scholtes & Janssen habe ich noch nie gehört, sehr schön, das Booklet ist spartanisch ausgestattet, im Text konzentrieren die beiden sich merkwürdigerweise auf Mozart und dann auch noch auf eine – wie mir scheint – etwas obskure Mozart-Psychologie-Literatur, ich weiß nicht, ob ich noch etwas über den Mozart-Effekt erfahren will, und offenbar immer nur anhand dieser Sonate. Das macht einer dem anderen nach; es gibt keinen musikalischen Grund, die andere (an einem Klavier) täte garantiert den gleichen Dienst, wenn man nur an ihn glaubt. Und Schubert erst recht…

Aber hier zunächst der zweite Choral, zugegeben in einer recht grau geratenen Kopie: und sein Geheimnis ist, dass er hier wie ein Kommentar zum vorhergehenden Choral klingt, zumal man die Melodie kaum dingfest machen kann; sie beginnt tatsächlich mit dem ersten Ton. Aber man empfindet das neue Motiv wie eine Abwandlung des zuletzt gehörten Schlusstaktes. Und es klingt nun wie der verhaltene Anfang einer Fantasie oder Toccata.

Zurück! Was habe ich vom bloßen Klang gesagt? Der niederländische Organist Bart Jacobs liebt das Choralvorspiel und speziell den ersten Ton auf seine Weise, – und wie er recht hat! Aber könnte ich eigentlich die Melodie auch ohne Bachs Ornamentik wiedergeben? Sie steht nicht mehr in unserem Gesangbuch der 50er Jahre. (Da ist derselbe Text mit „Vom Himmel hoch“-Melodie versehen.) Erfasse ich sie leichter In der Orgelfassung? Hier (Achtung: nach 3 Minuten das Ausschalten nicht vergessen, sonst knallt’s!)

Oder mit Erläuterungen des sympathischen Organisten Bart Jacobs. Zu beachten die Orgel in Haarlem St. Bavo von Christian Müller aus dem Jahre 1738.

Derselbe Choral mit einfacher Melodie (in der C.P.E.Bach / Kirnberger Sammlung BWV 288); sie ist tatsächlich von unglaublich einfacher, um nicht zu sagen eintöniger Struktur. Immer wieder der Zug zum Ton E (phrygisch), die Modulation zum A und zurück zum E, alternativ auch zum F, der Schluss aber merkwürdigerweise auf der Terz Gis. Mehrere Verlegenheiten? (Vielleicht gerade passend zur Grundstimmung der Traurigkeit.)

(Fortsetzung folgt)

Zu Mozart: Notentext repetieren, am besten anhand der Version Kocsis/Ránki hier.

Precht

Die Bürger im Staat haben nicht nur Rechte

Nicht jede Lanz-Sendung ist gut. Gerade wenn er politisch besonders investigativ sein will („werden Sie nun Kanzler oder nicht?“), nervt er das wohlmeinendste Publikum. Wunderbar aber, wenn er Gäste hat, die ihm gewachsen sind und er selbst auch nur konstruktiv mitwirkt. Wie gestern, wo wirklich jede(r) einzelne etwas Triftiges zu sagen hatte. Der Skandal, Aserbeidschan betreffend, bot lebendiges Anschauungsmaterial für eine Politposse gefährlichen Ausmaßes und wurde messerscharf vom Soziologen Gerald Knaus dargelegt. Der Philosoph Richard David Precht verblüffte durch Binsenwahrheiten, die angesichts der durchaus nicht „querdenkenden“ Straßenakteure und Denkverweigerer brisant geworden sind: es genügt nicht, Steuern zu zahlen, um das Recht zu haben, die Politiker mit absurden Forderungen vorzuführen und bei Widerworten gleich zu behaupten, das sei wie in Nordkorea. Der Philosoph referierte nicht Platons „Staat“, sondern sprach schlicht von den Pflichten der Bürger, die eben auch – wie das Wort von der Würde des Menschen – im Grundgesetz definiert sind. Und er formuliert so klar, dass man sich gern von Lanz auf das Buch zum Thema hinweisen lässt, ohne sich darob zum bloßen Kunden herabgestuft zu fühlen.

Zusammenfassendes Zitat:

Precht appellierte an die Bürger, sich bei aller berechtigter Kritik an der Politik der eigenen Verantwortung für das Gelingen der Gemeinschaft bewusst zu werden. Menschen wie die vermeintlichen Querdenker hätten die seltsame Vorstellung, dass der Staat dazu da sei, ihnen Rechte zu garantieren, ihnen jedoch nichts abverlangen dürfe. Das sei natürlich ein Irrglaube. Aber auch wegen der vielen Versprechungen von Politikern im Wahlkampf hätten sich so manche Bürger zu politischen Schnäppchen-Jägern zurückentwickelt, denen es vorrangig um den eigenen Vorteil gehe, um nicht übervorteilt zu werden. „Sie benehmen sich nicht wie Staatsbürger, sondern sie werden zu Kunden“ , warnte Precht. „Wenn das passiert, dann bröckelt unser Gemeinwesen.“

Er wiederholte aus einem Interview mit dem „Spiegel“ seinen markigen Spruch „Corona-Leugner arbeiten selten auf Intensivstationen“ und die Forderung, ein soziales Pflichtjahr für junge Menschen und Neu-Rentner einzuführen. So könnten Empathie und Gemeinsinn gestärkt oder überhaupt erst vermittelt werden. „Die positive Erfahrung, etwas für Andere zu tun, kann man nur praktisch vermitteln, das kann man jemandem nicht theoretisch erklären“, gab der Philosoph zu bedenken. „Das ist die beste Form, gute Staatsbürger hervorzubringen.“ Und vielleicht ja auch bessere Politiker.

Quelle: Nina Jerzy in t-online hier

Zur LANZ-Sendung hier / Precht ab 18:25 und ab 39:08 bis ca. 58:00, Gerald Knaus über Aserbeidschan und Korruption ab 59:00

Empfehlenswert, den separaten Precht-Ausschnitt hier zu studieren, – allein wegen der zahlreichen drangehängten Stellungnahmen von Seiten des „Volkes“. Sowohl über Precht als auch über Lanz…

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Dass ich das folgende kleine Buch, eine „Betrachtung“, gleich zweimal  gekauft habe, verursachte ein leichtes Kopfschütteln in der Buchhandlung meines Vertrauens und gratis ein kleines klärendes Gespräch: 1 Geschenk für meine Enkelin plus 1 für mich, damit ich argumentativ auf dem gleich Stand bleibe wie sie, – nicht etwa wie Precht. Aber ob der zuletzt genannte auch schon das dritte oder vierte Buch besitzt, das nagelneu auf meinem Schreibtisch liegt? (Siehe unten). Und dies nicht aus paritätischen Gründen (ebenfalls nämlich von Nicola Gess, Titel: Staunen / Eine Poetik). Er würde staunen. Vermutlich hat er aber nur weniger Musik-Bücher als ich (und sonst alles), – obwohl er in Berlin über Ästhetik liest. – Aber falls dies nun etwas flapsig klang, sei es ironiefrei gesagt: Precht schreibt hervorragend, es liest sich, als höre man ihn sprechen; es ist einfach gutes Deutsch. Und es wäre auch falsch zu sagen, dass er all seine klugen Gedanken doch nur aus Büchern herausgesucht habe. Da hat jemand die wissenschaftliche Zitierweise völlig missverstanden, wenn er meint, dass ein Schriftsteller, der wichtige Aussagen anderer Philosophen mit Namensnennung wiedergibt, zu unbegabt ist, selbst zu denken. Das Nach-Denken funktioniert so! Niemand kommt auf diesem grundlegenden Gebiet politischer Standortbestimmung ohne Lehrmeister aus. Und es zeugt nur von Redlichkeit, sich des historischen Zusammenhangs zu vergewissern, selbst wenn man über die unverwechselbare aktuelle Corona-Zeit reflektiert, die sich eben nicht zur Grippewelle zurückstufen lässt. Aber man täusche sich nicht in seinen Erwartungen: es gibt auch einfach langweilige Stellen in diesem Lesestoff. So ist das Leben! Man hat kein zweites. Und wenn mein Vater in den 50er Jahren von Pflicht sprach und sie rühmte, klang das ganz anders. Ich glaube heute, dass er glaubte, damit sei ihm – nach dem Krieg – eine unbezweifelbar positive Essenz geblieben.

.    .    .    .    . zur weiteren Lektüre …

Reinhard Goebel Lecture 1b

Protokoll JR (inhaltlich alles ©Goebel 2021)

R. Goebel: „300 Years Of J.S. Bach’s Brandenburg Concertos“ – Part 1b

HIER (Zum Gesamtmitschnitt im externen Fenster) ab 1:00:00 (bzw. ab ca. 59:00)

Vorweg: Brandenburg Concerto Nr.V im externen Fenster hier

Also (die Rede war von der Bezifferung des Cembaloparts der Nr.V) : nur Brdbg V war also zur Aufführung vorgesehen, und offenbar war das auch genug für den Kurfürsten bzw. Markgraf von Brandenburg. Wieviel Zeit hat Bach wohl gebraucht, um diese 86 Seiten zu kopieren? Es gibt keine einzige Stelle, wo er schreibt – wie Vivaldi – con Violino primo oder con Viola prima oder was auch immer, wie man an Brdbg III sieht: auch dort wo die Celli absolut dasselbe spielen, hat er alle Stimmen ausgeschrieben!

Brandenburg Nr.III

Sorgfältig ausgeschrieben! Hatte er zuviel Zeit? Der Markgraf sollte staunen, alles steht da, jede Note! Und nun gehen wir zu Nr. V und sehen: das ist für eine Aufführung geschrieben. Sonst brauchten wir auch nicht diesen Cembalo-Part in größer geschriebener Version. Tja, wer spielte das? Vielleicht der Markgraf selbst? Zustand der Instrumente bei seinem Tode 1734, auch ein Mitke-Cembalo und eine riesige Menge Noten. 5 Stapel, mannshoch, und alles ist weg. Wir wissen, was das war, Opern von Lully usw., aber das einzige, was wiedergefunden wurde, waren die Brdbg. Konzerte! Wer hat das gespielt, wieviel Leute brauchte man? Flöte, Violine, Violine, Viola, Cello, Violone und Cembalo, also 6 Personen und 1 Cembalospieler. Als die Brandenburgischen K. in Mode kamen, also ab 1950 zählte man die Musiker, die man brauchte, ah 2 Hörner  etc. etc.  so kam man auf 17 Musiker, die das Köthener Orchester gehabt haben soll. Niemals, man hatte dort 6 oder 8 Leute! Da ist kein Platz für 17 Leute im Köthener Schloss!  Das Ensemble, das Bach in Weimar hatte, bestand aus 4 hohen Instrumenten und Basso continuo, und diese hohen Instr. waren Blockflöte, Violine und 2 Violas (singt) „Himmelskönig, sei willkommen“ – oder als Oboe, 2 Violinen und Viola  und Violoncello in „Mein Herze schwimmt in Blut“, 4 Bratschen in „Gleich wie der Regen und Schnee vom Himmel fällt“, sie kamen als dies und das, aber niemals mehr als 4 für den durchschnittlichen Sonntag. 1:07:01 Es gab nicht mehr Platz in der Kirche zu Weimar und im Schloss Köthen nur für bis zu 8 maximal 10 Musiker. Das Concerto war dann später ein Repertoirestück der Bach-Familie. Geschrieben von Johann Christoph Friedrich Bach in 1748:

Cembalo-Part von J.S.Bachs eigener Hand:

Original als ein Stück für den Berliner Hof. Und da Bach es herausnahm aus dem Zyklus, hat es nicht mehr dieselbe Bedeutung wie vorher. Und wie ich schon vorher bei Brdbg. IV sagte: wenn das Continuo in 3 Zeilen ausgeschrieben, und Bach seine Stimme ausgestaltete, zeigt er, was er leistet, wenn er selbst beteiligt ist. Es konnte gar nicht genug sein! Im Fall Nr.V sehen wir, dass die Seiten präpariert waren für eine andere Kadenz. Diese war konzipiert für sein Kommen, um eine neue Sache zu präsentieren. Das Orig.papier war nicht geeignet die lange Kadenz aufzunehmen (sondern die kurze). Wir sehen, dass die Form, die Innenansicht des Stückes, wächst, sich in eine Richtung entwickelt, die ganz am Anfang noch nicht so klar war.

Noch etwas muss gesagt werden: das Stück ist extrem wenig erfolgreich in modernen Sälen.  Das Cembalo ist viel zu sanft, man fragt sich in heutigen Aufführungen: was tut der da am Cembalo eigentlich? Man kann nichts erkennen. Das gehört in Säle für 120 Zuhörer. Es ist ein Stück für uns, aber nicht für das Publikum.

1:15:00 Nr.VI Schauen Sie, wie sorgfältig die Noten geschrieben sind, jede Achtelnote in den Gamben!!! Was hätte Mozart für Kürzel gebraucht! Ist er wirklich sorgfältig??? (lange Pause) – – –  nein, ist er nicht. Bach hat ein Problem: anders als Telemann, anders als etwa Heinrich Ignaz Franz Biber, auf einer anderen Stufe, Bach war nicht imstande,  eine Methode des Spielens anzudeuten, die innere Organisation eines Orchesters ohne Fehler zu entwerfen (singt eine Figur) verstehe ich nicht (JR) , wir sehen soetwas (zeigt die Partitur) nicht in einer modernen Transkription, wenn … und ich bin auch in diese Falle gerannt in der 1985er Aufnahme – glaubwürdig – (er sucht in der Partitur) – nein, bin ich nicht, ich fügte hinzu… ich habe einige Bindungen hinzugefügt, ich erinnere mich: im zweiten Satz, wenn er da jede nur mögliche Bindung reinschreibt, – – –  so hat er offenbar keine derartige Organisation im ersten Satz gewünscht! Da war kein Platz gelassen in den Noten. Ich hatte kein Faksimile, das war damals unglaublich teuer! Wenn Sie sehen in Nr. I, auf die erste Seite (zeigt die Noten, singt das Thema vor),  im langsamen Satz ist viel mehr Platz, und da zeichnet er auch viele Bögen ein (über ganze Takte hinweg über 6 Achtel? nein, er  setzt es in die Mitte des Taktes über wenige Noten!). Da kommt ein anderer Aspekt hinsichtlich der Aufführung ins Spiel: in nur einer der Stimmen, säuberlich eingezeichnet, – – – in der Solovioline von Nr. IV (singt es vor: etwa Takt 235ff, auch 1. und 2. ripieno), und dagegen die Flöten gagagagagagaga. Da sind keine Bindungen eingezeichnet. Was nicht heißt: da stehn sie nicht, aber wir müssen sie dort doch auch machen. Dann im langsamen Satz: jede Bindung steht drin. Dann der letzte Satz: keine einzige Bindung drin (doch ab Takt 95). Regeln: 1 gehe zur frühestmöglichen Version 2 versuche so viele spätere Versionen wie nur möglich heranziehen und achte auf winzige Fehler, wenn Bach kopiert! Dann sieht man z.B. in Nr IV im Cembalopart ganz am Anfang (er singt die ersten Achtel taka taka taka ) „Oh mein Gott, ich hab da die Bindungen rein geschrieben, die ich gar nicht wollte.“ Er machte positive Fehler, und er machte negative.

1:24:00 Ich habe von der Probatio artificialis gesprochen. Die Violine gegenüber den beiden Flöten in Nr.IV! Aber nun eine andere Probatio, der feine Kanon, den die Violinen der Sologeige beimischen, eine wundervolle Stelle – – – –  aber (strichtechnisch?) komplett unorganisiert:

und dann wenig später:

1:25:40 das ist ne halbe Seite später, nicht ein Text, da muss man nur (auf deutsch) den gesunden Menschenverstand einsetzen. Das ist ein Bach-Text! und die Leute sagen,oh nein nein das ist heiliger Bach, heilig, ändere nichts. Also: von der Aufführungspraxis her sind die Brdbg. Konzerte ein königliches Rätsel. Du weißt nicht, was zu tun ist. Was er mit einem virtuosen Hoforchester 1720 macht, ist verschieden von dem, was er 1735 oder 1737. Was Scheibe, ein Youngster, geb.1709 in Leipzig, wenn er Bach anklagt, dass er jedes Ornament ausschreibt, jede kleine Note und sogar die Spielweise. Das ist 15 Jahre später! Das ist schon eine andere Zeit, und es ist ein anderes Ensemble. Hier war es ein Hoforchester, da spielte jeder nach Bedarf verschiedene Instrumente, aber als Bach nach Leipzig kam, in eine bürgerliche Gesellschaft, er musste es ausschreiben, aber zurück zu den Brdbg.: wir sehen, dass nur Nr.V zur Aufführung angelegt ist: an der Bezifferung, an dem größeren System des Cembalos, aber was ist dann der Grund für den Zyklus? – – – Für 86 Seiten braucht man schon 2 Wochen, um sie sorgfältig zu schreiben, vorher zählen, wieviele Takte man braucht, würden Sie 2 Wochen arbeiten für nichts? nicht dafür, dass 200 Jahre später Reinhard Goebel sich wundert, nein, es war ein spezielles Geschenk, das in die höfische Tradition Deutschlands eingebunden ist, ein politisches, diplomatisches Präsent. Sehen Sie: da ist ein großes Universallexikon, Schädler (?), das hat einen Artikel: „Geschenke“! Langer Artikel über Staatsgeschenke. Und hier ein anderes Werk aus der Zeit, da steht alles drin, was du tun musst und was du nicht tun sollst! Wie du deine Aktivitäten planst.

Für mich stand im Mittelpunkt dieses Porträt: Christian Ludwig von Brandenburg!

1:31:24 Ein Brauch der Zeit, dass ein vornehmer Besucher genau das, was er besonders bewundert hat, ein Gemälde zum Beispiel, am Ende des Besuches geschenkt bekommt. Berüchtigte Besucherin in diesem Sinne: Christina von Schweden.

Arcimboldo (ohne Früchte): der Bibliothekar

Das Horn: die Jagd. Die Trompete: das Zeichen des Herrschers, die Blockflöten: der gute Hirte, Frieden – “ Schafe können sicher weiden „. Rolle der Blockflöte? Kantate 175 mit drei Blockflöten „Er rufet seine Schafe mit Namen“.  Die Gamben und Bratschen: Zeichen des Todes. Das Orchester sagt: Danke, steig in den Himmel auf. Trauerode für die Kurfürstin, die Königin von Polen, Actus tragicus mit 2 Gamben, die Instrumente geben bereits ein klares Design. All dies bewahrt vom Hofschreiber Hof-Historiograph, er bereitet vor das Programm für die Festivitäten, wir haben das vom Berliner Hof, nur vom königlichen Zweig, nicht von der Seite des Markgrafen, Beispiel Arcimboldo, Gemälde für Rudolf II., die kamen mit einem Gedicht und einer Erklärung, und wir sollen uns vorstellen, dass solche Leute vor den Markgrafen traten und sagten: Herr Bach aus Köthen hat ein Geschenk übersandt, dürfen wir es erklären? Die Hörner bedeuten: Sie und die königliche Familie haben das Recht, die Jagd auszuüben, und man weiß, wie furchbar andere Leute, Bauern oder so,  bestraft wurden, die sich das Recht herausnahmen zu jagen.  Und hier: Herr Bach hat ein Solo für die Violino piccolo geschrieben, Sie wissen, das ist das kleinste Instr. aus der Violinfamilie, woran erinnert Sie das? Christian Ludwig: Ich bin der Jüngste aus der Königsfamilie. Weiter:  Auf allen deinen Schlössern sitzt auf dem Dach ein Trompetenspieler, und manchmal, wenn er Trompete spielt, hat er eine zweite Tr. dabei, und die hält er hier unterm Arm, wenn die eine kaputt ist, kann er sofort die zweite nehmen, und seht, hier haben wir ein Concerto, da steht ganz oben in der Partitur als Solo die Trompete, sie kündet der Welt deinen Ruhm. Das ist speziell gemacht für Sie und sagt: das ist für Christian Ludwig von Brandenburg. Und jetzt Concerto III: es signalisiert, dass Sie gleich Apollo auf dem Parnass stehen und um Sie herum 9 Musen. Wir haben Sopran-Musen, wie haben Alto-Musen und wir haben „Frauen mit dunkleren Stimmen“, sie singen die Cellos, und das Stück, aus dem Bach dies kompilierte, war nur für 2 Violinen und 3 Altos, aber er setzte alle seine Ars combinatoria ein, um neu hinzuzuerfinden die Cello-Parts, so dass wir wirklich 9 Musen haben, die Sie umgeben. Es ist eines Ihrer Privilegien! Denn Sie sind ein Förderer und Pfleger der Künste! Concerto Nr.IV : das ist der gute Hirte, (singt Flötenmotive) das ist die Seele der Bauern, „Schafe können sicher weiden“. Nr. V hat eine ganz spezielle Bedeutung.  Das einzige Stück in diesem Zusammenhang, das zum Spielen gedacht war. In den letzten 4 jahren, und das sind eigtl. 20 Jahre, habe ich alle Phänomena gesammelt, was bedeutet das Ritornello? Das ist das einzige Rit., wo am Anfang das Soloinstrument fehlt (!), – – – 1:50:00  Die Föte darf niemals dieses Thema spielen (singt den 16tel-Anfang) , es ist begrenzt auf die Streicher, die Flöte kommt später fein (singt mit Gefühl), sie übernimmt niemals diesen Stile concitato (Monteverdi). Es gibt ein Bild der Flöte in „Musikalisches Theatrum“ von Weigel (in der 1720ern) und dazu wird gesagt, dass sie manche Herren glücklich macht, wenn Mars wütet, die Flöte kann die Leidenschaften dämpfen, wenn Krieg herrscht! So sagt das Gedicht, und zurück zu Monteverdi (Und ich zeige dads später in den Materialien): das Thema von D-dur ist Krieg! Und die Flöte kommt dazu und ruft: „Honeys, peace, peace, peace! Come down, end of the war!“ (lacht). Wovon erzählt Nr. VI ? Mit jemandem vom Tod zu sprechen, vom Sterben, ist immer sehr schwierig. (vertraulich:) Solange die Person lebt! Man muss es umschreiben. Was ist die „pictorial message“ des letzten Stückes? Sind es die Gamben? Piep piep piep (imitiert das Streichen), sie müssen bei 5 Tönen dreimal Saitenwechsel machen, die kompositorische Idee des Ritornells im Nr.VI ist „Zwei wird Eins“ („Two in one“), es ist ein strikter Kanon zwischen den beiden Bratschen, der eine ist (singt), der andere ist (singt und dirigiert die entstehenden Gegenbetonungen) , das ist für 17 Takte exakt DASSELBE.

Musik hier

Und dann kommt das Solo (er singt, endlos wiederholt), es ist eine Form von Einstimmigkeit, es ist aufgebläht, aber alles reduzierbar auf EINS. Letzter Satz: das einzige Mal, dass die Soloinstrumente strikt unisono spielen! (Singt, wie sie hintereinander dasselbe spielen) Es ist auch einstimmig! Warum steht es nicht an anderer Stelle, warum ist das nicht Nr.I oder auch Nr.V?  Warum? Zufall?

Auch Telemann hat sowas gemacht, die Idee kommt von Telemann, aber die Ausarbeitung von Bach. Der Grund etwa nur „musikalisch“? (siehe meine zweite Liste)

Konzert Nr.I (singt) er tut das an den Anfang einer Kantate – „Falsche Welt, dir trau ich nicht“ (=erster Rezitativtext nach dieser frohen Musik!). Also ein negatives Zeichen („falsche Welt“) aber die Leute verstanden das. 2:00:35

Wir können es sehen wie in Brdbg. III, es ist allein wichtig, dass die Regeln erfüllt sind! So also 9 Stimmen im Schriftbild, nur damit das Geheimnis dahinter sichtbar wird! Heute würde man dagen: wir haben 3 Violinen und 3 Violas und die 3 weiteren kann man sich im Geiste denken. Sie spielen nicht, sie kommen auf die Bühne als bloße Akteure. Aber das ist nicht 18. Jahrhundert.  2:02:02 [Über die Lecture, wie lange noch etc. „Ausdauer“ – „You go on…“]

Philipp Emanuel sagte, mein Vater war kein Freund von Zahlenspielereien. Außer für die Zahl 14, die für den Namen b a c h steht, der Markgraf ist 56 Jahre alt usw. Diese Art von lächerlichen Zusammenhängen zwischen Widmungen und Personen, an die sich die Widmung richtet… Aber als ich mit meinen Studien begann, habe immer überlegt: ist da eine Verbindung zwischen der Zahl und der Position in der Sammlung. Und tatsächlich gibt es eine, aber das kann auch Zufall sein. Wir kennen alle die Brdbg.s so gut, und es wird schwierig, sie auf andere Weise zu hören, aber … Nr. II hat alle Takte zweimal. (singt) Nr.III hat (schauen Sie auf meine Hand: er singt und zählt jeweils sichtbar bis 3) – das ist zumindest 1 Konstruktionsprinzip – mag sein – aber man hat wirklich jeden nur möglichen Weg zu gehen, auch wenn er komplett falsch ist. Oder wir schauen auf das Bild des Markgrafen und bedenken alle Privilegien, über die er verfügt: da ist die Jagd, la Gloire, die Kunst, der gute Hirte, der Krieg, (niemand hat das Recht, einen Krieg zu beginnen) … und das Ende, Majesty com back  (abwehrende Geste) – muss sein. Er musste es reintun. Schau: Christian Ludwig von Brandenburg ist sehr unwichtig, vor einem halben Jahr gab es ein Buch über seinen Vater, den Großen Kurfürsten, der tatsächlich Berlin erfunden hat, u. er hat Brandenburg erfunden, und dieser Christian Ludwig war nur erwähnt als einer der drei Söhne, der aus der zweiten Ehe stammt. In seiner Geschichte, 1720 in Stettin, da ist er einmarschiert, als die Schweden ihren Posten abgaben an das europäische Hauptgebiet, und da kam Christian Ludwig mit seiner winzigen Armee und sagte: „ich nehme Stettin in Besitz für das Haus Brandenburg!“ und diese Musik (singt ) ist vollständig kongruent mit der Meinung, die seine Zeit über ihn hatte! Und er über sich selbst hatte. Und über dieses Kriegsconcerto, wo die Flöte so sanft herabsteigt „peace, peace peace!“, würde er sicher gesagt haben, ja, so verstehe ich das ganz und gar. Ja, ich war der Held der Invasion von Stettin, und deshalb: „ma gloire“! Mein Recht, einen Krieg zu führen, wird hier zelebriert.

Und deshalb müssen wir diese Konzerte befragen nach Christian Ludwig und deshalb graben das alles aus, was seine Zeit ausmacht. Zwischen 1718 und 1721, zwischen Köthen und Berlin… Jeder Zyklus hat seine eigenen Gründe. Die Solosonaten und Partitas, sollen die den Italienischen und den französischen Geschmack konfrontieren, das war eine Schule der Komposition für Wilhelm Friedemann, der gerade 10 Jahre alt war, es ist eine Sammlung, aber ein Zyklus zur selben Zeit, es wäre viel einfacher gewesen, wenn er es so wie Venturini gemacht hätte a Concerto, eine kleine Ouvertüre, ein Concerto und noch ne kleine Ouvertüre, aber das ist es nicht und er wiederholte NIE ,  auch nicht Ideen hinter den Zyklen, also er schrieb nie noch einmal Sonatas und Partitas, sondern nur 1 Französische Ouvertüre und 1 Italienisches Konzert für Cembalo. Oder er erfand eine neue Art Rede für den König im „Musikalischen Opfer“. Die Kräfte, die er da investierte, waren: er selbst am Cembalo, das Bild seiner selbst, das Bild des Königs (stellt gestisch den Flötenspieler dar), wer auch immer dazu Geige spielt, – nein, keine Konzerte mit Hörnern, es war anderes, was der König herauslesen sollte. 2:13:57

Abschlussworte und Ausblick. Kirill Gerstein bedankt sich und bedauert nur, dass Eile geboten war, öffnet Aussicht auf eine Fortsetzung dieser Lecture, Frage, ob Reinhard Goebel einverstanden wäre:

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Bachs Widmung an den Markgrafen von Brandenburg endete mit folgenden Worten:

Des weiteren bitte ich darum, Hoher Herr, mir Ihr Wohlwollen auch weiterhin zu erhalten und überzeugt davon zu sein, daß mir nichts mehr am Herzen liegt, als bei Euch würdigeren Gelegenheiten zu Diensten herangezogen zu werden, ich, der mit unvergleichlichem Eifer Eurer Königlichen Hoheit unterthänigster und gehorsamster Diener Jean Sebastien Bach. Cöthen. d. 24 Mar 1721

Ähnliches könnte ich jetzt auch zu sagen versuchen. Aber meine Arbeit war nur eine nachschaffende, die zu meinem eigenen Nutzen diente und vielleicht auch einigen Interessenten als Gedächtnisstütze willkommen ist. Aber nicht jeder Bach-Verehrer will einige Stunden am Computer verbringen. Günstigenfalls verlängert er diese Sitzung um ein Vielfaches, um die Musik zu hören und in Noten nachzulesen, von der die Rede ist. Mir lag daran, mich morgen nur noch mit Korrekturen und kleinen Ergänzungen zu beschäftigen, auch aus symbolischen Gründen: denn morgen ist der 24. März 2021

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Übersicht über die verschiedenen Fassungen der Brandenburg-Musik (RG)

Nebenfassung /Früh und Spät-Versionen

Concerto 1 : Frühfassung Sinfonia 1046 a, fehlt: dritter Satz ( SoloSatz für Violine piccolo) dieser verwendet in BWV 207 und 207a 17 – 1726/1735 als Chorsatz: im Menuet-Rondo fehlt die Polacca.

1. Satz als Kantaten-Sinfonia BWV „Falsche Welt, dir trau ich nicht“. Leipzig 1726

Concerto 2: Abschrift von Penzel 1755- exakte Kopie der Widmungsfassung : mit der Aufschrift „Tromba overro Corno da Caccia“.

Concerto 3: Kantatensinfonia BWV 174 Leipzig 1729 . Hinzukommende Instrumente: 2 Hörner, drei Oboen, Streicher.

Concerto 4: Cembalo-Konzert BWV 1056, transponiert nach F-Dur: BWV 1049. Nach 1735

Concerto 5: Frühfassung 1050 a mit kurzer Kadenz, sowie autographer Stimmensatz – offenbar das Aufführungsmaterial Bachs – mit langer Kadenz 64 Takte.

Concerto 6 : keinerlei Nebenfassungen dokumentiert.

Nachbemerkung:

Die Lecture bei Kirill Gerstein wird fortgesetzt, das vorgesehene Datum werde ich an dieser Stelle nachtragen. Einstweilen empfehle ich Interessenten, die Feuer gefangen haben, sich mit Hilfe eines klugen Büchleins, das schon fast 20 Jahre existiert, weitere Anregungen zu verschaffen oder Einwände und Vorbehalte zu durchdenken. So funktioniert Wissenschaft.

Reinhard Goebel Lecture 1a

Protokoll JR (inhaltlich alles ©Goebel 2021)

R. Goebel: „300 Years Of J.S. Bach’s Brandenburg Concertos“ – Part 1

extern HIER

Musik: Brandenburgisches Konzert Nr.1

0:49 Begrüßung Kirill Gerstein 2:34 RG Begrüßung 3:04  Start

Bach Brdg. Conc. Widmung unterschrieben 24. März 1721 Kapellmeister in Köthen, der Hof dort kalvinistisch, B. hatte keine Sakralmusik zu schreiben, Konzerte etwa eins pro Woche, donnerstags morgens, keine Kantaten außer weltliche für Veranstaltungen des Hofes. Geburtstagskantaten, Hochzeitskantaten, nicht oft, vielleicht 1 pro Jahr z. Namenstag des Fürsten, was bedeutet: Bach hatte viel Zeit. Anders als vorher in Weimar, wo er Organist und Konzertmeister war und als Komponist 1 mal pro Monat eine weltliche Kantate abzuliefern hatte. Er konnte tun, was ihn wirklich interessierte, so war Köthen die Zeit der großen Zyklen, das Wohltemperierte Klavier, die Sonatas für Violine Solo, die Sonaten für Violine und Cembalo, und die Brandenburgischen. Diese sind das einzige, was von seiner Hofmusik in Köthen übriggeblieben ist, weil nämlich – ähnlich wie in Weimar – alles verloren ging, als nämlich die Bibliothek abgebrannt ist mit sämtlichen dort verwahrten Musikbeständen. Die Brandenburgischen entgingen diesem Schicksal, weil sie im Jahr 1721 an den Berliner Hof gekommen waren. Die Person, bei der sie sich befanden, war der jüngste Sohn der Großen Kurfürsten, der jüngste Bruder des preußischen Königs, Friedrich I., hier ist sein Bild.

Das ist Christian von Brandenburg auf dem großen offiziellen Gemälde, sehen Sie diese spezielle Dekoration vorne, da ist keine Violine, kein Cembalo, keine Gambe oder sowas, da sind die Instrumente, die man im Krieg braucht!

EINFÜGUNG aus Goebels schriftlichen Unterlagen:

Bachs Vorrede

Ihrer Königlichen Hoheit Christian Ludwig Markgraf von Brandenburg etc etc

Hoher Herr

Wie ich vor einigen Jahren das Glück hatte, mich auf Befehl vor Ihrer Königlichen Hoheit hören lassen zu dürfen und ich seinerzeit bemerkte, daß Sie ein gewisses Vergnügen an jenen kleinen Fähigkeiten fand, die der Himmel mir für die Musik gegeben hatte, und mich bei der Verabschiedungen mit dem Auftrag beehrten, Euch einige Stücke meiner Komposition zu übersenden, so nehme ich hier die Freiheit, meine unterthänigsten Pflichten gegenüber Eurer Hoheit mit diesen vielstimmig eingerichteten Konzerten hier zu erfüllen.

Unterthänigst bitte ich, deren Unvollkommenheit nicht nach mit den Maßstäben Eures feinen und verletzlichen, jedermann bekannten Geschmacks für die Musik beurteilen zu wollen, sondern den tiefen Respekt und ergebensten Gehorsam, den ich damit zu bezeugen versuche.

Des weiteren bitte ich darum, Hoher Herr, mir Ihr Wohlwollen auch weiterhin zu erhalten und überzeugt davon zu sein, daß mir nichts mehr am Herzen liegt, als bei Euch würdigeren Gelegenheiten zu Diensten herangezogen zu werden, ich, der mit unvergleichlichem Eifer Eurer Königlichen Hoheit unterthänigster und gehorsamster Diener Jean Sebastien Bach. Cöthen. d. 24 Mar 1721

7:32 Johann Sebastian traf diesen Mann, Christian Ludwig von Brandenburg, als er nach einem neuen Cembalo für den Köthener Hof schaute, wie der Cembalobauer Mietke sagte: wenn jemand in die Räume von Chr.Ludw. v.Brdbg. käme, da gibt es eins von meinen doppelmanualigen Cembali, es gab davon nicht so viele, und hier gab es zwei, drei, vielleicht 4 davon, – und das wäre die Gelegenheit gewesen, wo sie sich getroffen haben könnten. Christian Ludwig könnte Bach dort spielen gehört und den Wunsch geäußert habe, Musik von ihm zu bekommen. Und das ist es, was Bach dann tat. Er sandte 6 Brandenburgische Konzerte an Christian Ludwig von Brandenburg. Aber das Geschenk ist zu groß, als dass es einfach so ein Geschenk sein könnte, da muss ein bestimmter Grund bestanden haben, dass der Hof von Köthen sagte, o.k. Bach, du hast 2 oder 3 Wochen, um das anzufertigen, wir brauchen das als diplomatisches Geschenk. Wir wissen nicht, was dahintersteckte! Das ist zu groß für eine Person, die Nr. 10 oder 15 ist im Rang einer möglichen Thronfolge des Königs. Da muss ein anderer Grund vorgelegen haben. Aber es gibt in den Papieren der Höfe keinerlei Anhaltspunkte. Überlegung: was könnte ein Grund sein für ein so überdimensionales Geschenk?

siehe HIER

Beispiel Beethoven, er widmete Einzelwerke, Erzherzog Rudolph u.a. , an Schuppanzigh, Rohde, Klavierspieler, „female piano player“!

a lots of female dedications

… aber das ist 100 Jahre später (Beethoven). Wir befinden uns hier ja am höchsten Punkt des Hoch-Barocks (1720), und es neigte sich im Lauf des Jahrhunderts zum galanten Stil.

13:45 Ein Blick auf andere Zyklen von J.S.Bach: die Solo Sonatas haben diese Art von Reihenfolge: Sonata – Partita – Sonata – Partita – Sonata – Partita / die Mischung von Stilen ist wichtig in diesem Fall, das Wohltemperierte Klavier hat die Folge  c d e f g a h … das ist die Ordnung der Skala, die Sonatas für Violine und Cembalo sind in h-moll, A-dur, E-dur, also 2, 3, 4 sind Kreuztonarten, c-moll, f-moll 3 u 4 b, sind  b-Tonarten, und dann kommt G-dur – ein sehr schwieriges Stück. Und jetzt: die Brandenburgischen haben die Tonarten F-dur, F-dur, G-dur, G-dur,  dann kommt aber D-dur, dann B-dur, was besagt: dahinter steckt kein Prinzip. Wenn die beiden letzten in D-dur wären, ja…

Jedes dieser Stücke im Italienischen Stil (ob das italienisch ist, da sprechen wir später drüber) hat als Basis drei Sätze. Und  jedes dieser 6 Stücke hat eine unterschiedliche Kombination von Instrumenten. Und das sagt uns: Vorsicht! Dahinter steckt etwas! Alle anderen Sammlungen des 18. Jahrhunderts haben Vorgaben in der gleichen Art, Vivaldi op. 3, das sehr wichtig war, alle Vivaldi-Concertos sind für 1 Soloinstrument und Streicher, und niemals für 2 Holzblasinstrumente oder 3 Hörner, nein, vielmehr vereinfacht, uniformer, d.h. wir müssen nachdenken, was der Grund für diese Pluralität in Instrumentation ist. Früher: mein Kontakt mit den Brdbg. begann vor 50 Jahren, ich spielte Nr. 4, aber nicht auf der Geige (lacht!) sondern auf der Blockflöte! Aber 20 Jahre später sagte mein Produzent: mach doch die Brdg., und ich: gib mir mir 5 Jahre Zeit und in der Zeit tauchte ich ein die Geschichte der Fürstenhäuser (court history). In den letzten Tagen wurde mir klar, vor der Produktion in 1985, – ich sage zu meinen Studenten, wenn du je eine wichtige Arbeit vorhast, bitte: die Notenausgabe mag so gut wie nur möglich sein, aber geh zurück aufs Original. Du musst das Original sehen!!! Die physischen Dinge. Hier das Faksimile. Begegnung in der Staatsbibliothek, Frage nach den Brdbg. 19:22 …weiße Handschuh usw.- es ist ein Stapel Papier wie dies, wir denken ein Buch mit Gold, nein, Titelseite mit Widmung: „a fake print title page“. Kein Geld, es drucken zu lassen. Oder es war zu wenig Zeit. Man blättert um, und da kommt Bachs Dedication, und dann kommt das Material. Und was sehen Sie? Nein, das Dritte: wovon ich rede. Hier: es geht wie ein Film! (Zeigt und singt)

In einer modernen Partitur sehen sie alles gleichzeitig und sehen nicht das Original. Ich rede nicht von den Solosonaten, denn die Leute denken, es ist besser, sie sind damit dichter an J.S.Bach, und dann benutzen sie das Faksimilie! (lacht), aber du kannst nicht das Faksimile benutzen um Fingersätze und Striche einzuzeichnen! Aber nun die Brdbg.! hier die Nummer IV, das ist das erste Solo. Und du siehst die Events der Partitur viel besser!

Musikbeispiel s. CD unten

22:32 Über die Widmung: the humbleness, the slobbiness and the cheapness… (Unterwürfigkeit, Süßlichkeit?, Geringwürdigkeit), eine Menge Worte, unglaubliche Mixtur.. eines Komponisten, der ein Mensch ist (lacht) nein, ich erkläre Ihnen lieber, was dies ist: „rastral“. (Eine Art „Harke“ siehe hier). Ein Schreibgerät, das Notenlinien produziert. Wir sehen aber: Bachs „Rastral“ hatte einen Fehler. Betr. also die 5 Notenlinien: 4 Zinken waren gleich, aber die Nummer 5 war etwas zu weit weg. Die Person, die das Rastrum benutz hat, muss es repariert haben, denn bei Brdbg. VI ist es o.k.! Aber auf Seite 54 ist es wieder dran. Was ist passiert? 24:15 Jemand machte das für ihn, und er konnte die Musik hineinschreiben. Er hat sie nicht komponiert im Moment, er nahm die Werke von woanders her. Woher? Vielleicht in Köthen verbrannt. Jedenfalls nahm er etwas Fertiges. Aber das ist nur die Hälfte der Wahrheit. Wenn man genau hinschaut, sieht man, dass auf manchen Seiten die „Komposition“ unsicher ist, Fehler, die er sofort korrigiert, 2 oder 3 Fehler hat er nicht korrigiert, aber man sieht: an einigen Stellen hat er bei der Niederschrift der Stücke, die er von woanders her nimmt, vielleicht auch aus seinem Kopf, stockt, er fährt fort, aufs neue komponierend! Was bedeutet: während er die fertigen Sachen kopierte, – änderte er sie! Und das bedeutet für uns, fragen zu müssen: was ist der Grund dafür??? Warum setzt er einen Satz oder zwei ein, und nimmt das später wieder heraus? Warum setzt er ein Instrument zusätzlich ein, – ohne es aber ordentlich zu gebrauchen??? Was ist der Grund, dass der meiste Platz in den Noten extrem sorgfältig ausgenutzt, ohne jeglichen Verlust an Papier, und warum richtet er dann in Concerto VI 6 Systeme für 4 Instrumente ein. Da fehlt etwas. Kurz: warum sind die Konzerte so verschieden (nicht z.B. 6 Violinkonzerte) und warum so kompliziert in der Version, die wir hier haben? Dafür muss es einen bildlichen/symbolischen (JR?) „pictorial“ Grund geben. Es muss da etwas geben, was er uns „erzählen“ will. Resümierend: was ist wohl gegenüber früheren Versionen ANDERS? (Ich habe es alles auf dem Papier, Sie können es später sehen.)

EINFÜGUNG aus Goebels schriftlichen Unterlagen:

Ikonologisches Programm – zu erschließen über das Instrumentarium und damit verbundene Text-Vertonungen.

1. Zwei Hörner, Violino piccolo

2. Tromba

3. drei Violinen, drei Violen, drei Violoncelli

4: 3/8-Takt – also ungewöhnlich – zwei Blockflöten (Schafe können sicher weiden…)

5. Traverse : Weigel-Stich ( siehe „Materiale“) – Der Held aus Juda – Lärmen und Feinde

6. Violen als Instrumente des Todes – (Actus Tragicus, Du aber Daniel gehe hin….)

Was kommt Neues? Der Satz Nr.3 in Concerto I. Der Satz in 6/8. Aber im Satz davor (RG bedeutungsvolle Pause) die Transposition zwischen Oboe und Violine solo ist verändert (vertauscht), es ist nicht mehr ein Violinsolo, es ist ein Violino piccolo, 2 Töne höher und 1 Oktave höher spielend gegenüber der Oboe, zwischen den Sätzen, und Satz Nr.2 ist komplett neu. Und das ist der Solosatz für die Piccolo-Violine. Der Satz hat bereits vorher existiert in F-dur, aber die Piccolo-Violine spielt D-dur. Später – in den 30er, 40ern, benutzt Bach diesen Satz aufs neue, jetzt in D-dur, aber statt der regulären Oboe benutzt er nun Oboen d’amore …Oboe da caccia … Oboe d’amore, denke ich, 2 Töne tiefer. Also er setzt die Violine piccolo ein, – um etwas zu zeigen. Er setzt es ein, wir wissen: Nr.I bestand aus einem Allegro, einem Adagion und einem Menuett. So und nun kommt dieser dritte Satz hinein. Das war ein Kantatensatz gewesen für Soprano und Orchester, und nun gibt er das Solo dem kleinsten Instrument der Violinfamilie. Es ist unglaublich laut (?) und klein und  es ist das Soloinstrument. Wie konnten wir entdecken, dass es vorher eine Arie war?  Es wurde eine Arie: später. (Singt:) „Auf, schmetternde Töne der muntren Trompete dadadi dadada“,  es ist ein Chor und eine Arie,  und als Arie hat es eine Art nervenden („boring“) Anfang, dreimal dieselbe Musik, nach 3 Mal dieselbe Musik kommt eine Entwicklung – das ist die Gefahr der Brdbg. wenn wir nicht wissen, was das bedeutet.

In dem Moment wo er dies schreibt, fügt er in das Menuett eine Polacca… nein, die Polonaise, Pardon. Er will uns was erzählen. Er macht aus der Drei-Satz-Struktur eine 5-Satz-Struktur. 35:00

EINFÜGUNG aus Goebels schriftlichen Unterlagen:

Nebenfassung /Früh und Spät-Versionen

Concerto 1 : Frühfassung Sinfonia 1046 a, fehlt: dritter Satz ( SoloSatz für Violine piccolo) dieser verwendet in BWV 207 und 207a 17 1q726/1735 als Chorsatz : im Menuet-Rondo fehlt die Polacca.

1. Satz als Kantaten-Sinfonia BWV „Falsche Welt, dir trau ich nicht“. Leipzig 1726

Concerto 2: Abschrift von Penzel 1755- exakte Kopie der Widmungsfassung : mit der Aufschrift „Tromba overro Corno da Caccia“.

Concerto 3: Kantatensinfonia BWV 174 Leipzig 1729 . Hinzukommende Instrumente: 2 Hörner, drei Oboen, Streicher.

Concerto 4: Cembalo-Konzert BWV 1056, transponiert nach F-Dur: BWV 1049. Nach 1735

Concerto 5: Frühfassung 1050 a mit kurzer Kadenz, sowie autographer Stimmensatz – offenbar das Aufführungsmaterial Bachs – mit langer Kadenz 64 Takte.

Concerto 6 : keinerlei Nebenfassungen dokumentiert.

Lecture ab 35:00

Aber er schreibt in dieser Polonaise 1 Ton, den die Violine piccolo nicht spielen kann, denn er ist zu tief. Da steht: V.p. „TACET“. Warum hat er da nichts komponiert? Warum??? Was will er uns erzählen mit der Polacca?

Die nächste Sache, Brdbg. Nr.II. Dasselbe Problem wie in Nr. I. Wenn man alle Systeme darin durchzählt, dann haben wir die Trompete, die Flöte, die Oboe und die Violine, 1.Violine, 2.Violine, Alto und den Basso Continuo. Aber all das, 1. u 2. Violine u Alto, das sind spätere Zusätze. Weil: Basso continuo, 3 Personen im Bassbereich, unter all den Diskant-Instrumenten, unter den 7 Soprano-Parts, das ist zu wenig, das ist ein Fehler. Er macht mehr daraus, er macht es größer, um mehr Eindruck zu machen.  Zum zweiten Concerto er „popt it up“, und er zerstört darüber die Relation zwischen den Instruments. Es muss ursprünglich – und das ist alles über das instrumentale Material – ein Concerto da camera gewesen sein für Trompete, Blockflöte, Oboe und Violine. Dies sind 8 – die erste Violine, die zweite Violine, die Viola ripieno,  das sind spätere Zusätze, Kreationen, und wie wir wissen, auf der Bühne ist dieses Stück extrem schwierig, diese Highway Solos (singt Trompete) and Cembalo, Cello u Violone, und 7 Oberstimmen, das ist nicht gut. [NB.JR Goebel hat die Konzerte zweimal in seinem Leben aufgenommen und veröffentlicht: Maßstab setzend!]

Dieselben Zusätze zu Brdbg.II. Ich zeige Ihnen das Faksimile:

Schauen Sie vor allem auf das unterste System, auf den Bass! Ich blättere um. Die moderne Partitur hat das übersetzt in …. (zeigt Concerto III)

da haben sie die drei Instrumente zusammengebunden, das Cello, den Violone und das Cembalo. Bach schrieb 5 Parts, 5mal dasselbe! die moderne Partitur sagt: „honey, let’s forget that!“ (lacht) es ist leichter zu (Pinselbewegungen) leichter, alle in 1 System zu tun. So we have 3 Violin, 3 Violas, 3 Cellos, und Basso continuo. Und ich habe einmal ausgezählt die Stellen (quarters), wo die 3 Cellos individuelle Noten spielen, und das sind insgesamt 10 Stellen (quarters). Zweieinhalb Takte im ganzen Brdbg. Konzert! hat also geteilte Celli, und ansonsten ist alles unisono. Offensichtlich erfand Bach das Cello Nr. 2 und Nr. 3 beim Prozess des Kopierens, und dann kann man imaginieren, dass da ein „Papa!.. “ and „Shut up!“ (Abwehrgeste) da war immer die Gefahr – er hatte schon 5 Kinder!  und die Mutter war tot – er war immer in Gefahr, gestört zu werden, er machte einen Fehler in Takt 10 und in Takt 17, er vertauschte die Celli, er wechselte im ganzen Concerto an keiner anderen Stelle die Plätze, er wechselte zufällig zwischen den 3 Cellos, so Cello 1 wurde Cello 3, Cello 2 wurde Nr. 1 und Cello 3 wurde Nr.2 – das ist  WINZIG WINZIG WINZIG WINZIG ! Aber es ist ein Fehler! — Glücklicherweise haben wir diese Nebenfassung, die Kantatensinfonie 174, und schauen wir, was er dort tat. Ich zeige es Ihnen später in den Noten. Es ist so leicht 3 Cellos aus einem zu entwickeln…

Sie sehen …. er ist … ein klein bisschen …. unsicher. „Merde!“ ein Fehler!  und man sieht, was das originale Setting für dies Concerto war: das Stück war für 3 Violinen, 3 Violas und Basso continuo. So, the Cellos waren nur da für das Programm, für das pictorial programme, er brauchte dreimal 3 Instrumente, 3 – 3 – 3 , fürs Design oder soetwas.

45:26 Zu Brdbg. Nr IV Wir kommen zu Stücken, die sehr jung sind, im Vergleich zu Nr.I,  es kann ein frühes sein, etwa von 1713, es ist sicher nicht die Sinfonia der Jagdkantate, weil der Umfang der Hörner sehr verschieden ist, die Hörner können weder tiefe Töne spielen noch sehr hohe. Leute, die hohe Töne spielen könne, können keine tiefen et viceversa. Man sieht es an der Jagdkantate, das müssen andere Spieler gewesen sein. Und es muss ein anderes Orchester gewesen sein.

Nr. III kann ein altes Stück gewesen sein, Nr. VI ebenfalls, Nr. IV und Nr.V  sind die jüngsten Stücke. Warum Nr.IV ? Weil der formale Entwirf (design) so unglaublich reich ist, so unglaublich neu und atemberaubend, er konnte das nur schreiben mit der Erfahrung dieses Konzertes oder jenes Konzertes. Die Frage ist schon im ersten Satz (Nr.IV) : haben wir ein Ritornell oder haben wir was anderes? Ist es eine Form, die der Funktion folgt? Und: das Erstaunliche an Nr.IV ist: Die große Form des ersten Satzes entspricht der des letzten Satzes. Dazwischen steht ein sehr simpler Satz, könnte aus einer Oper von Lully stammen. Das Erstaunliche: der erste Satz könnte ein Vierviertel-Satz sein, aber er beginnt mit 3/8, – was soll uns das sagen? Es tendiert zum Galanten Stil, und es hat diese unglaubliche Solovioline, unglaublich schnell, später in Takt 186 – eine probatio artificialis

siehe vorher CD-Beispiel ab 2:35

Und die nächste probatio artificialis in Takt 215. Was sagt die Solovioline? „ich bin nur 1 Person, aber ich kann spielen wie 2 Flöten (CD-Bsp. ab 3:00 Doppelgriffe!). Und ich brauche keine Pause. Wenn du vorher wahrgenommen hast, wie die Flöten nach Atem schnappen!“ Und noch eine probatio: die des Komponisten (singt: Takte 197 ff Begleitstimmen Violini + Flöten): „ich kann Kanon!“ also ein Kanon im Abstand einer Achtelnote. Das ist Kunst. Ars combinatoria.

CD ab 2:45

53:00 Die Kunst ist unglaublich, wundervoller Eindruck beim Zuhörer – anders als bei Brdbg. I, was ein schlechtes Stück ist (lacht) -, dies unglaubliche Wohlgefühl beim Hören des Nr. IV, das Gefühl, dass eine Bewegung (nicht „Satz“ JR) aus der anderen kommt. – Wir haben andere Stücke z.B. das erste Cembalokonzert, BWV 1052, und andere Stücke, die Pasticcios sind, wo die Teile nicht zusammengehören. Man fühlt es ist zu lang, sie korrespondieren nicht miteinander ODER Brdbg. Nr. I …. es ist schwierig, die Violino piccolo hat keinerlei Rechtfertigung im ersten Satz. Und die Oboe, die im zweiten Satz kommt, hat keine Rechtfertigung im dritten Satz.  [er spricht nicht vom Adagio!?] Dies ist der Fall in Brdbg. NR.V, es ist nicht der Fall in Brdbg. Nr. IV. Die Flöten haben ihre Soli und reflektieren einander, im letzten Satz auch diese korrespondierenden Kräfte usw. geben uns ein glückliches Gefühl.

In Nr. II hat das Tutti keine Rechtfertigung dazusein. In III die 2 Cellos da, naja, lasst uns die streichen…. Und Nr. V, schauen Sie im Faksimile ganz unten, der Cembalo-Part

hat zwei größere Systeme im Vergleich zu den anderen Instrumenten und der Part ist beziffert, er hat Zahlen, klar gesagt: dies ist das einzige Stück, wo es gespielt werden muss. In den andern Concerten ist der Part genau so schwer, aber es gibt keine Zahlen! Wenn es derselbe Continuo-Spieler ist wie in den Conc. I – IV, dann braucht er auch hier keine Ziffern!

1.00:00 (Fortsetzung folgt)

Copyrightgeschützter Text (von Reinhard Goebel):

Goebel Six Concerts RG 19.9. fin-1

Abendlicht in der Ohligser Heide

Am 19. März 2021 vor und nach 18:00 Uhr

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Es ist kalt. Dank Windstille hört man die A3 kaum, aber ein Rotkehlchen in der Nähe und einen sehr starken Singdrosselherrn aus entfernten Wipfeln.

Alle Fotos: E.Reichow

Luftschlösser und Städtebau

Rundschau Reichow

(Foto: privat)

Familienfest (Silberne Hochzeit Hamburg) etwa 1956, ganz hinten mein Vater, die Dame neben ihm ist mir unbekannt, dann Onkel Hans und seine Frau Hildegard. Mein Vater starb wenig später, sein älterer Bruder hatte noch 18 Jahre vor sich, Zeit für die wichtigsten Arbeiten. Das folgende Buch war als große Rückschau gedacht:

Sennestadt 1970 .    .    .    .    .

Aus dem Katalog 1970

(privat)

1966 Verleihung des Bundesverdienstkreuzes (ich war dabei).

Aber was hat er nun konkret über die „autogerechte Stadt“ gesagt, ein gern zitiertes und kritisiertes Wort („menschengerecht“ soll sie doch sein!), dort oben im Ausstellungstext kann man es nachlesen, mal eben zusammengefasst hier:

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Ich fand es interessant, dass der Kabarettist Lars Reichow, Enkel meines Vaters, sich bei seiner neuen, für die Corona-Ausnahmezeit entworfenen Show mit Hans-Bernhard Reichow und seiner „autogerechten“ Städteplanung beschäftigt hat. Als Gesprächsgast war eingeladen Stadtplanerin Elena Wiezorek (Architektenkammer Rheinland-Pfalz): ab 17:48 bis ca. 40:00, aber auch sonst ist das Programm hörenswert, ganz besonders wenn man Fan des Pianisten Sebastian Sternal und seiner Musik ist, – abgesehen einmal von dem sympathischen und einfallsreichen Moderator.

Ich fand es übrigens auch nicht abwegig, mal einen eigenen Text nachzulesen; geschrieben wie so oft, seit 2005, um die allmählich verblassenden Erinnerungen wiederzubeleben. Manchmal bin ich mir dann selber dankbar. Und nun dem Lars erst recht.

Vom Wesen der Stadt

Mehr in aller Kürze über meinen Vater hier. Er hätte sich über das Klavierspiel seiner Enkel gefreut, ebenso wie über das seiner Enkelinnen, die ihn zudem an pädagogischem Geschick weit übertrafen. Er hat sie alle nicht mehr erlebt.

1933 2000

Fluchen, schwören, zaubern, singen

Was ist der Rede wert?

Muss „wert“ nicht groß geschrieben werden? Beides geht, – je nachdem, ob es Wert hat oder etwas wert ist. Aber nie hätte ich gedacht, dass die unpassende „Nutzung eines Wortes“ strafwürdig sein könnte. Bei Gesten (beim Zeichen-Geben) habe ich erst im Erwachsenenalter gelernt, derart feine Unterschiede beim Fingergebrauch zu beachten, wie man sie sonst nur beim Mikado-Spiel oder beim Geigeüben lernte. Von Haus aus wusste ich z.B. nicht, was am Mittelfinger so schlimm sein soll. In meiner Kindheit durfte man Respektspersonen keinen Vogel zeigen, also mit dem Zeigefinger an die Stirn tippen, aber unter Spielkameraden fortwährend. Wäre es auch in der Kirche erlaubt? Gewiss nicht bei der Erteilung des Segens, aber sonst? Gegenüber einem Mitkonfirmanden, der albern gelacht hat?

Mich berührt es unangenehm, wenn Fußballer sich bei Beginn des Spieles oder nach einem gelungenen Torschuss bekreuzigen. Ich habe das zwar sowieso nicht gelernt, finde es aber da draußen durchaus unpassend, besonders allen ungläubigen Spielern gegenüber, auch Zuschauern,  die darin einen psychologischen Vor- oder Nachteil argwöhnen könnten. Ich mag auch keine Motorrad- oder Autosegnungen, denn wer garantiert mir, dass es keine entsprechend wirksamen Verfluchungen gibt, die mich sogar im Vorüberfahren treffen könnten? Wenn ich z.B. an der Ampel jemanden erkenne, der die Lippen bewegt, – was tun?

Verständlich also, dass ich die Zeitung sorgfältig studiere, wenn ich moralisches Unrecht wittere, gerade bei einem Sport, der regelmäßig physische Fouls ahndet, aber auch andere,  vom Vogelzeigen über Spucken bis zum verbalen Ausrutscher. Da empört man sich doch gern. Aber ist denn das Wort Gott nicht immun, wie der Mond gegenüber dem Hund, der ihn anbellt?

SZ 15.03.21

Darf eine renommierte Tageszeitung mich alleinlassen mit dem Eindruck, dass es eine „Nutzung“ des Wortes Gott gibt, die nicht nur unpassend ist, sondern auch strafbar? Fluchen bei einem Eigentor – ja soll man denn frohlocken? Ich muss unter allen Umständen wissen, worum es sich handelt, schaue also bei Wikipedia nach unter Blasphemie und unter Fluch.

Da ist alles interessant und ermutigt zu dem Versuch, dergleichen auch im Alltag zu erproben. Aber noch mehr reizt es mich genauer zu erfahren, welche Wortkombinationen die erwähnt schlimme Wirkung ausgelöst haben könnten, denn mein häufiges „Ach Gott“ hat mir noch niemand verübelt. Ich hätte auch sogleich hinzugefügt: „mein Gott, ich meine doch gar nicht IHN, es ist nur eine Redensart, die ich nutze“.

Endlich werde ich in den t-online-Nachrichten vom 15.12.20 fündig:

Fußball-Profi Bryan Cristante ist wegen Gotteslästerung während einer Partie in der italienischen Liga Serie A für ein Spiel gesperrt worden. Beim 5:1-Auswärtssieg des Erstligisten AS Rom gegen den FC Bologna am vergangenen Sonntag habe der AS-Mittelfeldmann in der 23. Minute eine blasphemische Äußerung, die „ohne jeden Zweifel erkennbar und hörbar war“ von sich gegeben, teilte das Sportgericht der Liga mit. Den genauen Wortlaut nannte das Gericht in seinem Urteil nicht.

Die Aussagen sollen gefallen sein, nachdem Cristante ins eigene Tor traf. Einen Einfluss auf das Ergebnis hatte das Eigentor beim klaren Roma-Erfolg allerdings nicht.

Roms Trainer Paulo Fonseca muss am Donnerstag deshalb auf den 25 Jahre alten Italiener verzichten, wenn sein Team zu Hause den FC Turin empfängt. Nach dem 11. Spieltag stehen die Römer auf dem 6. Rang der Serie A.

Bryan Cristante ist allerdings nicht der Erste, der in Italien wegen Gotteslästerung verurteilt wurde. Atalanta-Trainer Gian Piero Gasperini sagte 2018: „Gott ist ein Schwein“ und wurde ebenfalls für ein Spiel gesperrt. Auch Mittelfeldspieler Rolando Mandragora musste bereits für den Ausspruch „Heilige Mutter Gottes, Gotteshund“ eine Partie pausieren.

Noch detailfreudiger ein Bericht in der welt:

Seit 2010 können in Italien gotteslästerliche Vergehen bestraft werden. Cristante ist nicht der erste Verurteilte in dieser Causa. Bereits 2018 wurde Rolando Mandragora von Udinese Calcio nach einem Videostudium wegen „blasphemischer Bemerkungen“ für ein Spiel aus dem Verkehr gezogen, nachdem er auf dem Platz geflucht hatte. Seine Aussagen sind im Gegensatz zu denen Cristantes übermittelt.

„Porca Madonna, Vaffanculo, Dio Cane“, rief Mandragora im Spiel gegen Sampdoria Genua – eine Beleidigung der Jungfrau Maria und Gottes. Grund für den Ausbruch war eine Parade von Sampdoria-Keeper Emil Audero. Die Referees bekamen es nicht mit, beim Studium der TV-Bilder wurde von den Lippen abgelesen. Es habe bei der Untersuchung „keine Zweifel“ gegeben, teilte die Serie A damals mit.

*    *    *

Deuschlandfunk Meldung 23.2.2021 hier :

Anfang März findet in Katars Hauptstadt Doha zum ersten Mal ein Beachvolleyball-Turnier für Frauen statt. Ein großer Schritt in Richtung Gleichberechtigung, meinen einige, das Problem: In den Richtlinien für das Turnier wurde vorgeschrieben, dass Frauen anstatt des üblichen Sportbikini mit Shirt und langer Hose antreten müssen – aus Respekt vor den Traditionen und der Kultur des Gastgeberlandes. Nach heftiger Kritik hatte der Volleyball-Verband Katars gestern Abend verkündet, das Regelwerk zu ändern. Am Dienstag äußerte sich der Weltverband.

Musik in Afghanistan

SZ 15.03.21

Und wir? Mulier taceat in ecclesia! Argumentationen hier.

Und meine scheinbar assoziative Wortwahl bei der Überschriftsuche? Ich habe an die Angst vor Hexen gedacht (auf dem Dorfe wusste man noch, was das ist), und als märchengläubiges Kind habe ich im Ernst gehofft, lernen zu können, wie zaubern geht. Ich habe einen Stab in die Erde gesteckt und mir irgendeine sichtbare Veränderung gewünscht. Muss ich jetzt erwähnen, dass NICHTS geschah? Wie gläubig hätte ich werden können! Und später wurde ich noch nach Luthers Katechismus abgefragt. „Was ist das? Wir sollen Gott …“ ja, was noch mal? Ich muss ihn doch noch irgendwo haben. Man vergisst, wie ernst die Hintergründe solcher Themen waren und sind. Manchmal hilft bloßes Nachdenken.

Stichwort Frauenbeschneidung: Bestandteil der Kultur oder institutionelle Frauenverachtung? Siehe hier.

Empört Euch!

Neue Musik liest Zeichen der Zeit

Eine Übernahme von Materialien des KlangForum Heidelberg

(…was die Musik fragt, wenn sie quasi-literarisch zwei Zitate dazu bringt, sich zu durchdringen und neu, nämlich kritisch zu erklären…)

***

Stefan Litwin (*1960)
„Among Friends“
für 6 Solo-Stimmen und präpariertes Klavier
(2014)

J. Marc Reichow (Klavier)
SCHOLA HEIDELBERG

Peyee Chen (Sopran)
Clémence Boullu (Mezzo)
Juliane Dennert (Alt)
Sebastian Hübner (Tenor)
Luciano Lodi (Bariton)
Martin Backhaus (Bass)

Walter Nußbaum (Leitung)

Auftragswerk des KlangForum Heidelberg e.V.
zum Literatursommer BW 2014, UA Heidelberg 14.09.2014
Ersteinspielung ZKM Karlsruhe, August 2020
Tonmeister: Benjamin Miller

***

„Among Friends“, gesungene Texte

Oh beautiful for spacious skies
America
Oh beautiful for patriot dream
America
God shed his grace on thee
America
God mend thine every flaw
Confirm thy soul in self-control
Thy liberty in law

(aus America, the Beautiful von Katharine Lee Bates)

Sie hören gern, zum Schaden froh gewandt,
gehorchen gern, weil sie uns gern betrügen,
sie stellen wie vom Himmel sich gesandt,
und lispeln englisch, wenn sie lügen.
(aus Faust von Johann Wolfgang von Goethe)

***

Stefan Litwin, Analecta Varia (statt eines Einführungstexts, 2014)

„Wer die Wahrheit ausspricht, begeht kein Verbrechen.“
– Edward Snowden*

“In God we trust, everybody else we monitor.”
– Geheimdienstspruch nach der Abhöraffäre

„Der Datenverkehr liefert uns die internen Video-Telefonkonferenzen der UNO (yay!)“
– Aus einem NSA-Bericht über Spionage gegen die Vereinten Nationen

„Die NSA und der britische Nachrichtendienst haben der Bundesregierung schriftlich versichert, dass sie Recht und Gesetz in Deutschland einhalten.“
– Ronald Pofalla, Kanzleramtschef (2009-2013)

„Alle Verdächtigungen, die erhoben wurden, sind ausgeräumt.“
– Hans-Peter Friedrich, Bundesinnenminister (2011-2013)

„Es ist wichtig, dass wir im Rückblick nicht allzu selbstgerecht sind mit Blick auf den harten Job, den diese Leute hatten. Viele dieser Leute (…) sind wahre Patrioten.“
– Barack Obama zum CIA-Abhörskandal 2014

“We can be a little more informal among friends!”
– Barack Obama neben Angela Merkel vor dem Brandenburger Tor

„Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht.“
– Angela Merkel

SelectorType PUBLIC DIRECTORY NUM
SynapseSelectorTypeID SYN_oo44
SElectorValue 49173948XXXX
Realm 3
RealmName rawPhoneNumber Subscriber GE CHANCELLOR MERKEL Ropi S2C32
NSRL 2002-388*
Status A
Topi F666E
Zip I66E
Country Name
CountryCode GE

– Digitaler Eintrag zu Angela Merkels Mobiltelefon / Spionageauftrag der NSA

„Die größte Angst, die ich habe, wenn ich an das Ergebnis dieser Enthüllungen für Amerika denke, ist, dass sich nichts ändern wird.“
– Edward Snowden

* Addenda (im Juli 2020)

»Among Friends« wurde 2014 aus Anlass des NSA-Skandals geschrieben.

Heute, 6 Jahre später, lebt Edward Snowden immer noch versteckt in Moskau, und Russland mischt sich in die US-Politik ein.

S.L. im Juli 2020

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J.Marc Reichow
Sind Worte Taten?

Während der Projektvorbereitung wurde die – auch durch ihre anfängliche Bagatellisierung – empörenden Schändung grundgesetzlich garantierter Rechte durch NSA, GCHQ &. Co. publik, ein millionenfacher systematischer Eingriff auch in die schriftliche Privatsphäre also, der auf fast ironische Weise den Bogen zurück zu ‚Worten als Taten“ schlägt [vgl. „Worte sind Taten“, Motto des Literatursommers BW 2014]: als offenbar staatlich geduldete vorgebliche Motivfindung, Beweissicherung und präventive Aufdeckung mutmaßlicher Verbrechen unter Verletzung von Post- und Fernmeldegeheimnis – de facto strafbar nach §206 StGB.
Die Anführungsstriche um Stefan Litwins Werktitel » Among Friends « sind nicht nur Satzzeichen, sondern bezeichnen auch die überfällige Frage nach dem Wert der politischen Floskel von Freundschaft – zwischen Völkern? zwischen Geheimdiensten? zwischen Mächtigen? (Explizit fragt das nur die Musik, die quasi-literarisch zwei Zitate dazu bringt, sich zu durchdringen und neu, nämlich kritisch zu erklären.)

(aus dem Programmheft zum Literatursommerkonzert 2014)

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(jmr 05.03.2021)

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Das folgende Video im externen Fenster hier für den Fall, dass Sie während des Abspielens Texte im Zusammenhang nachlesen wollen.

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Und noch etwas – ein Werk für Violine solissimo von René Leibowitz

René Leibowitz (1913-1972):
Fantaisie pour violon seul op.56 (1961)
– Ersteinspielung nach dem Autograph –

Ekkehard Windrich (Violine)

Aufnahme im ZKM Karlsruhe, August 2020
Tonmeister: Benjamin Miller

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Visuelle Gestaltung: J. Marc Reichow

Das im Video verwendete Gemälde „Le Parloir de la Prison“ von André Masson (1961) aus dem Besitz von René Leibowitz nach der Reproduktion im Katalog (Livres-Correspondances-Estampes-Peintures des bibliothèques René Leibowitz et Henri Michaux) des Auktionshauses Eric Couturier (Paris 1999).

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Die Ersteinspielung der Fantaisie pour violon seul op.56 nach der autographen Reinschrift knüpft an die langjährige Auseinandersetzung des KlangForum Heidelberg unter Leitung von Walter Nußbaum mit dem kompositorischen Oeuvre von René Leibowitz an, deren Höhepunkt die Produktion der CD „Leibowitz – Compositeur“ zum 100. Geburtstag des Komponisten 2013 (divox) war.

Ekkehard Windrich führte die Fantaisie op.56 erstmals (in Deutschland?) beim Veranstaltungswochenende „Nah, jetzt fern – Stimmen, Musik und Gesellschaft zur Zeit von Corona“ am 2. August 2020 in Heidelberg auf.