Archiv für den Monat: Juni 2016

Auf Wiedersehen & Auf Wiederhören!

Wie kam ich darauf? Ich hatte im Hotel in Bad Krozingen ein Bild mit einer Felsformation gesehen und fotografiert, bei der ich an eine seltsam abweisende Landschaft von Cézanne gedacht habe; diese wiederum war mir vor vielen Jahren in  einem Buch begegnet, in dem sie als Vergewaltigung der Natur gedeutet wurde. Und das suchte ich eilig (warum nur?) hervor, bevor ich heute morgen zur Quartettprobe abgeholt wurde. Nein, die Landschaften hatten keinerlei Ähnlichkeit, aber dann schlug sich plötzlich wie von selbst dieses ebenfalls nicht ganz angenehme (und dadurch faszinierende) Porträt auf, das ich vor einiger Zeit rekapituliert habe: nämlich hier. Ich ließ es aufgeschlagen … sagen wir … im Badezimmer liegen.

Gainsborough a Gainsborough b

Beethovens Quartett op. 127 ist von seinen späten Werken das, was ich am wenigsten kenne, nein: das ich sogar verdrängt habe, obwohl ich den langsamen Satz besonders liebte; damals, als ich alle Quartette dank des Zyklus mit dem Alban-Berg-Quartett mit Partitur und CDs studierte. Aufführung am 8. März 1989 in der Philharmonie. Es löste sich wahrscheinlich auf hinter meinem absoluten Lieblingswerk, das damals nach der Pause folgte: op. 59 Nr. 1. Jetzt habe ich manches nachgeholt und im Blick auf die Probe während der Krozingen-Reise unentwegt im Auto gehört (CD Auryn Quartet TACET 2004 Vol. 3), und je mehr es mir wieder näherrückte, desto besser verstand ich, weshalb es mir fremd geblieben war. Ich Esel! Ich habe trotz des langsamen Satzes den Gesang, das fortwährend singende Parlando, nicht verstanden. Und die vollkommene Leichtigkeit, den „Frohsinn“. Erst beim Spielen ging mir allmählich ein Licht auf. Und dann durch die Hinweise in der Literatur. Merkwürdig, dass man ohne die verbale Benennung dessen, was geschieht, oft sich selber im Wege steht. Es ist aber wie bei der Bildbetrachtung: man sieht vieles nicht. Sehen Sie zum Beispiel, was ich nie gesehen habe: sehen Sie, dass die vornehme Dame auf dem Bild von Thomas Gainsborough einen toten Vogel im Schoße hält?  (Vorsicht, vielleicht ist dies eine listige Falschinformation; benutzen Sie doch die Klickfunktion!)

Übrigens handelt es sich um ein durchgehendes Bild, die Unterteilung in der Mitte hat nur drucktechnische Gründe.

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Zu Beethovens Streichquartett op.127: Es gibt so viele lesenswerte Interpretationen, dass ich jedes Resümee vorläufig unterlasse. Zu verarbeiten sind neben Gerd Indorfs beiden Veröffentlichungen zu Beethovens Quartetten (abgesehen von den Kapiteln der Monographien von Riezler, Dahlhaus, Solomon) vor allem William Kinderman, Martin Cooper, Basil Lam (!), Joseph Kerman.

Gute Zusammenfassung im Text zu „Auryn’s Beethoven“ von Thomas Seedorf:

In keinem seiner vorangegangenen Quartette hat Beethoven jedoch dem langsamen Satz ein solches Gewicht und eine solche Ausdehnung gegeben wie in den Variationen in op. 127; nie zuvor hatte Beethoven im Kopfsatz eines Streichquartetts auf äußere Dramatisierung des musikalischen Geschenehens zugunsten einer alle Stimmen des Ensembles erfassenden Kantabilisierung verzichtet; kein anderes Scherzo war bislang aus so minimalistisch miteinander verstrickten Kleinstelementen erwachsen, kein Schlusssatz schließlich hatte je eine solche innere Ruhe bei äußerer Bewegtheit.

Nebenentdeckung: die Behandlung von op.128 „Der Kuss“, – ausgerechnet nach Lektüre der heutigen ZEIT betr. Sexualstrafrecht-Diskussion („Nein bedeutet Nein“), sehr besonnen: Sabine Rückert -, woraus folgen könnte: jetzt aber Schluss mit lustig, auch bei der Werk-Betrachtung!!! Wenn es nicht auch lustig wäre, sich dergestalt abzulenken. Bedenken wir doch Beethovens „strukturelles Konzept“.

Beethoven Der Kuss

Originalgedicht  hier

ZITAT

Grundlegender für Beethovens strukturelles Konzept und zugleich von essentieller Wichtigkeit für die Interpretation des Gedichts ist die Wortwiederholung, die Beethoven ausgiebig verwendet. (…) Dieser Vorgang der Ausspinnung einzelner Worte des Gedichts im Sinne einer größtmöglichen musikalischen und dramatischen Wirkung setzt sich in der zweiten Gedichthälfte fort. Vielsagend ist beispielsweise, wie grell und schrill die Worte „trotz ihrer Gegenwehr“ vertont sind.

Am wirkungsvollsten aber ist die Behandlung der beiden Schlußzeilen, die im Gedicht als Motto des gesamten Textes dienen. Chloe macht tatsächlich ihre Drohung wahr und schreit, allerdings erst lange, nach dem der Anlaß der Drohung, nämlich der Kuß, vorbei ist. Sie ist, natürlich, genauso erpicht auf den Austausch von Zärtlichkeiten wie der Dichter selbst, kann es sich aber nicht erlauben, auch so zu wirken. Diese Sprödigkeit und die Entlarvung weiblicher Kniffe enthalten ein ordentliches Quentchen Humor – und zugleich ein beträchtliches Problem für den Komponisten, der die Verse in Musik zu setzen versucht. Denn die Pointe des Gedichts wird weniger direkt durch die Worte erreicht, sondern vielmehr durch den Gedankenstrich, durch den der Dichter die vorletzte und die letzte Zeile voneinander trennt.

Quelle Beethoven Interpretationen seiner Werke (Hrsg. Riethmüller, Dahlhaus, Ringer) Wissensch. Buchgesellschaft Darmstadt 1996 Band 2 Seite 294: Ewan West: Klavierlied „Der Kuß“ op. 128

Der Kuß op 128

Für mich besonders bemerkenswert, weil hier der punktierte Auftakt vorkommt, den ich – jetzt ironisch akzentuiert – im Zusammenhang mit der „Marseillaise“ sehen möchte. Wie auch im dritten Satz von op.127. Von dort ein weiterer Gedankensprung: zu Bartóks Streichquartett Nr.VI, Satz II und darin die „Marcia“…

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Makowski Natur & Mensch Kindler 1983

(Vom toten Vogel S. 64 Autor: Bernhard Buderath)

Die verschlungen auslaufenden Beine des Bänkchens, die knorrigen Wurzeln, die sich in die Erde krallen, die Pfoten des Jagdhundes und Roberts Schnallenschuh zeigen das gemeinsame Formgefühl, dem die künstliche Einheit von Mensch, Tier und Landschaft entspringt. In der Art, wie der Hund, ebenfalls im Wechselschritt überkreuzt stehend und nach dem toten Vogel in Frances Schoß witternd, mit den Formen Roberts korrespondiert, verdeutlicht Gainsborough auch die Unterordnung des Tieres unter seinen Herrn. Die Richtung der witternden Hundeschnauze kreuzt die gesenkte Flinte, die äußerlich Robert als Jäger und damit Beherrscher seines Wildbestandes ausweist. Sie stimmt aber auch mit den verklausulierten erotischen Anspielungen des Bildes zusammen. In Verbindung mit den gebündelten Ähren, die ein Sinnbild der Fruchtbarkeit sind, der lässig geneigten Flinte und dem toten, leider nicht ausgeführten Vogel in Frances‘ Schoß mag der Maler auf die vollzogene Ehe anspielen. Dafür spricht auch, wie zwischen den beiden Bäumen rechts, die auffällig als Entsprechung der Vermählten die Balance des Bildes halten, ein drittes kleineres Bäumchen sich mit den beiden verzweigt und als Aufforderung zu oder Voraussetzung von bevorstehendem Nachwuchs gelten darf. Darin wird der Fortbestand der Familientradition gesichert. Denn auch das noch junge Leben der beiden wird einst hinfällig sein, woran Gainsborough durch den toten Vogel und die beiden abgestorbenen Bäume neben den kräftigen Baumgruppen in der Bildmitte gemahnt.

Quelle Henry Makowski / Bernhard Buderath: Die Natur dem Menschen untertan / verlegt bei Kindler, München 1983 / ISBN 3-463-00869-6 /

Vom „Originalklang“

Eine Veranstaltung in Bad Krozingen 

Krozingen Screenshot 2016-04-02 08.14.15 Bad Krozingen

Pressetext

Dr. Jan Reichow, ausübender Musiker, Musikwissenschaftler, Ethnologe, Pädagoge,

hat als Violinist in verschiedenen historisch orientierten Ensembles mitgespielt (Collegium Aureum, La Petite Bande, Musica Antiqua Köln), viele Jahre als Musikredakteur und Abteilungsleiter im WDR gearbeitet, Spezialist für arabische und indische Musik, mitverantwortlich für die CD-Reihe World Network, Jury-Mitglied Preis der Deutschen Schallplattenkritik. Zahlreiche Veröffentlichungen und Radiosendungen zur westlichen Klassik und zu orientalischen Musikkulturen.

Der Vortrag soll einen kleinen Streifzug durch die Geschichte der historischen Aufführungspraxis bieten, von der mühsamen Wiederbelebung der originalen alten Clavierinstrumente bis zu ihrer selbstverständlichen Präsenz im modernen Konzertleben.

Fritz Neumeyer gab mit seiner Sammlung kostbarster Instrumente die Richtung an und prägte den Anspruch der nächsten Generationen. Das Klangbild von einst war kein zufälliges Gewand, sondern gehörte zum Wesen der Musik von Bach bis Beethoven und darüber hinaus. Die großen Werke klingen anders, fordern besondere Spieltechniken und ermöglichen neue Einblicke

Krozingen Programm vorn Krozingen Programm rück

Krozingen Programm

Krozingen 16 Mai 2016

J. Marc Reichow in Bad Krozingen

(Vortragstext wird höchstwahrscheinlich hier folgen)

Breisach b   Breisach a

Reise nach Krozingen 25. Juni 2016: „Breisach“ Handy-Fotos JR

Krozingen 160626 d Auf dem Weg ins Schloss

Besprechung Badische Zeitung 30. Juni 2016  HIER

Krozingen 160626 f Claviere im Konzert Polygonales Spinett

Krozingen JMR aa Krozingen JR b

Neue CDs – wahllos, nicht grundlos

1) Korea – Leseproblem oder Hörproblem

Korea Jambinai beide Die ganze CD

Korea Jambinai Titel gr Nur Interpreten und Titel lesbar

Dann eben so:

2) Morton Feldman – 76 Minuten am Stück

Feldman Cello Klavier Geduld und Stille

3) Gabriel Fauré – auf Empfehlung

Fauré Cello Sonaten Fremdartig trotz Nähe

4) Bach bis zu 3 Cembali 2009 – durch Vergleich

Bach Cembalo Konzerte Ensemble-Klang

5) Onslow Quintette 1994 – warum vergessen?

Onslow Quintette Vera Beths, Anner Bylsma

(Anmerkungen folgen)

zu 5) Mein Verdacht beim Hören – bei allem Staunen über die Virtuosität und den geschickten Wechsel zwischen den Instrumenten: es ist vollkommen quadratisch gebaut: Viertaktgruppe folgt auf Viertaktgruppe. Und es gibt kaum ein Thema, das wirklich „zu Herzen geht“. Man kann den Komponisten keineswegs an Beethoven oder Schubert messen. Es gibt „Einfälle“, aber sie kommen vom Kopf her.

zu 4) Es ist genau diese Aufnahme, die man braucht, um die Bach-Konzerte für mehrere Cembali intensiv zu hören, man kann wirklich alles durchhören, es ist wunderbar artikuliert, tänzerisch, wo es sein soll, zehrend-süß, galant oder schwungvoll in den Streichern, klanglich – zum darin Baden schön. (Vergleichen? Mit der alten Ristenpart-Aufnahme: man begreift, was die Alte-Musik-Bewegung tatsächlich bewirkt hat. Es altert nicht mehr…)

zu 3) Es gibt einige Merkwürdigkeiten in den Sonaten: dazu gehört, dass über das Tempo des Finales der ersten Sonate keine Sicherheit erzielt werden kann, daher gibt es auch in dieser Aufnahme zwei Versionen (Allegro commodo Tr. 3 Länge 7:28 und Tr.12 Länge 5:54). Paul Tortelier zum Beispiel, der den Satz im langsamen Tempo eingeübt hatte, ließ sich von Éric Heidsieck noch am Tage ihrer Einspielung überzeugen, den Satz schneller zu spielen…. Mehr dazu im Beiheft.

Warum ein „Opus“ keinem Schloss gleicht

… aber im Einzelnen wie im Ganzen erschlossen werden muss.

JR Mannheim_Schloss_Ehrenhof

Der Vergleich mit Musik ist beliebt, ebenso der Hinweis auf den Spruch, dass Architektur gefrorene Musik sei. Und die formale Abrundung einer symmetrischen Form wirkt so unmittelbar einleuchtend, dass man sie für universal gültig hält. Sie scheint ihre perfekte akustische Entsprechung zu finden, wenn ein Musikstück von einem kontrastierenden Mittelteil abgelöst wird und danach unverändert wiederkehrt: bekannt als ABA-Form, wie man sie z.B. im barocken Dacapo-Satz findet, oder im Marsch mit einem „Trio“ als Mittelteil. („Trio“, weil dieser Mittelteil im Gegensatz zum Tutti-Hauptteil oft von nur drei Instrumenten ausgeführt wird.) Ein entscheidender Unterschied gegenüber schlossähnlichen Bauwerken besteht darin, dass die identischen Außenteile musikalisch gewichtiger sind als der Mittelteil, während beim Schloss alle sekundären Gebäudeabschnitte links und rechts auf den zentralen Bau bezogen sind, der auch alle Seitenteile überragt. Man „liest“ dieses Gebäude von der Mitte aus, und jedes Detail zusammen mit der ihm gegenüberliegenden Entsprechung, jede Abweichung würde irritieren;  eine Musik, auch wenn man sie sich nur vorstellt, von links nach rechts. Die Wiederkehr des Gleichen wird wahrgenommen, aber eine Abweichung würde nicht irritieren, vielleicht sogar gar nicht wahrgenommen.

Eine Musik aber, die insgesamt so „simpel“ konstruiert wäre wie dieses Gebäude, mit diesen Fensterfronten, Flächen und Dächern, hätte vielleicht wenig Kunstanspruch. Ein schematisches Gebilde ohne charakteristische Motive ergäbe allenfalls eine einfache Art Minimal Music. Sollte man von vonherein in Betracht ziehen, dass die Innenräume dem Auge (dem Ohr) Überraschungen bieten, die der Besucher zu schätzen wüsste? Kaum. Sie hätten keinerlei zwingende Verbindung zur äußeren Form, was etwa der Folge von Zimmern und Sälen pro Stockwerk einen Sinn gäbe. Als Musik hätte jeder einzelne Raum eine Ausgestaltung, die mit der äußeren Form in Wechselwirkung stünde.

Man vergleiche die Wiederholungen einer Fensterfolge mit der relativ  sinnlosen Wiederholung einer Silbenfolge und deren höchst sinnvoller Wiederholung, sobald sie von Musik getragen wird (die Idee stammt von Victor Zuckerkandl):

Wenn Wälder und Felsen uns hallend umfangen,
Tönt freier und freudiger der volle Choral:
Trallala lala, trallala lala,
Trallala! Trallala! Trallalala lalala lalala lalala!
Lala, trallala! Trallalala lalala lalala lalala!
Trallalala! Trallalala! Trallalala lala!

Stimmt die Silbenfolge? Oder gibt es irgendwo ein „lalala“ zuviel? Schwer zu entscheidende Frage, – in der entsprechenden Musik jedoch wäre ein ähnlicher Zweifel an der richtigen Zahl der Motiv-Wiederholungen ausgeschlossen. (Siehe im folgenden Beispiel – passend zum wiedergegebenen Text – ab 0:31).

Ein scheinbar einfaches Opus, genial erfunden, strophisch, nicht symmetrisch gebaut, musikalisch sinnvoller Unsinn:

Carl Maria von Weber: Jägerchor aus „Der Freischütz“

Vielleicht kann nur ein größer gestaltetes, vielfach gegliedertes Musikwerk als Ganzes – von außen gesehen und von ferne erinnert – das Wort vom „opus perfectum et absolutum“ evozieren. Im Fall – sagen wir – der Ciaccona für Violine solo von J.S.Bach könnte man in der Reihung der Variationen und der großen Dreiteiligkeit der „Blöcke“ in d-moll / D-dur / d-moll auf die Idee kommen, dass es einem Bauwerk gleicht, einer Kathedrale etwa. Trotzdem ist das ein völlig unzureichendes Bild. Jeder macht einmal die Erfahrung, dass „Die Chaconne“ jeden Rahmen zu sprengen scheint, was ja dazu geführt hat, dass sie isoliert wird. Manche Geiger spezialisieren sich auf dieses „Opus“, Busoni hat nur diesen Satz für den Konzertvortrag am Klavier bearbeitet, und viele Musikkenner schenken den übrigen Sätzen der zweiten Partita kaum besondere Beachtung. Der Mensch neigt dazu, Dinge aus ihrem Zusammenhang zu lösen, um sie als Einzel-Dinge handhabbar zu machen, auch wenn sie leben, – Chamissos Riesentochter vergleichbar, die einen Bauern samt Pferdegespann und Pflug in ihr Tüchlein packt und als niedliches Spielzeug nach Hause trägt. (Siehe hier.)

Man unterscheide zwischen dem, was man fühlt und hineinlegen möchte, und dem, was man sieht und hört…

Strand De Slufter 160616

(Foto E.Reichow)

Der schwarze senkrechte kleine Strich auf dem Foto, das bin ich. In Wahrheit – wenn man ihn anklicken und aufklappen würde – stünde dort das Mannheimer Schloss, an das ich fortwährend dachte, zugleich im Sinn den Lerchengesang und die Seevögelschreie, die ich bis eben – noch auf grasiger Fläche wandernd – von allen Seiten gehört hatte.

Zur Frage der großen Form und der (entscheidenden) Binnenstruktur lese man auch im Bach-Blogartikel hier ab Seite 417.

Wildes Geflecht Texel 17062016 (Foto: E.Reichow)

Es könnte ein Garten sein, ein Urwald, auch ein Gebäude, ein Labyrinth, oder besser ein Luftschloss, dessen Räume sich verändern, wenn man erst Eingang gefunden hat. Sind es Wesen, die einem begegnen, Geister oder Tiere, die zu sprechen beginnen, wenn man sie anschaut? Da gibt es niemanden, dem all dies gehört, vielleicht wohnen sie hier oder sie lösen sich in Nichts auf, nachdem sie ihre Spuren hinterlassen haben. Vielleicht kehren sie plötzlich wieder. Vielleicht sind wir es, die weiterwandern. Das eine steht fest: das Gebäude steht nicht einfach da, – was da steht und geht und sich wandelt, muss durch unsere innere Bewegung erschlossen werden. Da ist kein Besitzer. Der einzelne Raum, die weiteren Sphären, die Wege, der Garten, das Blumenbeet, die gesamte Anlage, der Blick in den Sternenhimmel.

Um der Beliebigkeit auszuweichen, behaupte ich, dass die Umschreibung, ein Pianist, der ein großes Werk vorträgt, sei einem Schlossherrn zu vergleichen, der den Besuchern stolz seine Schätze präsentiert, hier einen kostbaren Leuchter, da einen edlen Gobelin und dort oben die schmucken Stuckarbeiten, schlicht ehrenrührig ist. Das Wort „Schloss“, das die immanente Gewichtigkeit des musikalischen Kunstwerks andeuten soll, steht für nichts anderes als dessen Verdinglichung, der Präsentator für nichts anderes als den dümmlichen Erben, der anderen vorführt, was ihm selber fremd geblieben ist. Das genaue Gegenteil aber verkörpert jeder Pianist von Rang: seine Arbeit changiert zwischen Interpretation und Identifikation. Und er versucht, sein Publikum auf den gleichen Trip zu bringen. Sonst würde er nicht da vorn auf der Bühne sitzen. Alles andere ist Unterstellung oder Projektion.

Vielleicht kommt der absurde Vergleich mit dem Gebäude aus der klassischen Rhetorik: wo man den Inhalt einer Rede, um sie besser im Gedächtnis zu behalten, thematisch geordnet in den Räumen eines Hauses verteilt, die man dann beim freien Vortrag nur systematisch abzuschreiten braucht. Das bedeutet aber durchaus nicht, dass es für das Verständnis der Rede notwendig sei, an ein Gebäude zu denken.

Worauf haben vielmehr die barocken Meister selbst die Phantasie des Fürsten, der höfischen Gesellschaft oder des aufstrebenden Bürgertums am ehesten zu lenken versucht?

Im Zusammenhang mit Bachs „Kunst der Fuge“ verweist Peter Schleuning auf das Vorbild der Kunstbücher, die oft auch „Kunststück“-Sammlungen waren.

Viele von ihnen geben im Titel und (…) auch in der Titelabbildung Hinweise auf Gärten und Blumen – „Hortus musicus“, „Musicalischer Blumenstrauss“, „Hortulus violinicus chelicarum modulationum floribus curioso amoenus“, „Musicalisches Blumen-Büschlein“, „Giardino del piacere ovvero Raccolta di diversi fiori musicali“, Musicalischer Lustgarten“, „Fiori musicali“ – um durch deren Symbolik „eine dem „Captum nostrum“, dem althergebrachten Wissensgut, entsprechende Einbindung des Neuen in das Bewährte, Alte zu demonstrieren“ (Defant, 148).

Schleuning fragt sich, ob Bach nicht auch einen solchen Titel im Sinn gehabt haben könnte, zumal der Erstdruck der „Kunst der Fuge“ mit Blumenornamenten geschmückt war. Also vielleicht: „Musikalische Pflanzschule“ oder „Musikalischer Blumengarten“? Wobei er quasi augenzwinkernd hinzufügt: Manche Analysierenden würden gewiß eher zu „Musikalischer Urwald“ raten… (S.229)

Quelle Peter Schleuning: Johann Sebastian Bachs ‚Kunst der Fuge‘ / dtv Bärenreiter Kassel 1993

Schleuning Bach Blumen

Eins der Beispiele, die Schleuning in seinem Kapitel „Blumen und Patriotismus – Ideologie III“ wiedergibt.

Wenn all dies für Bach gilt, um wieviel mehr für den Romantiker Schumann, eines seiner Lieblingsbücher von Jean Paul – „Siebenkäs“ – trug den barockisierenden Untertitel „Blumen-, Frucht- und Dornenstücke“. Nichts da von symmetrischen Fensterreihen und hohlen Schlössern, die vielleicht als Ruinen wieder interessant würden. (Den ersten Satz seiner monumentalen C-dur-Phantasie hatte Schumann ursprünglich mit „Ruinen“ überschrieben.) Nicht selten kam ihm bei Meisterwerken pflanzliches Wachstum in den Sinn:

Beethoven, der bis zum letzten Atemzuge rang, steht uns als ein hohes Muster menschlicher Größe da; aber in den Fruchtgärten Mozarts und Haydns stehen auch schwerbeladene Bäume, über die sich nicht so leicht hinwegsehen läßt …

Aus einer Rezension Schumanns über ein Streichquartett von Herrmann Hirschbach (1842).

Um den besonderen Fall der Schumannschen großen Form zu beleuchten, könnte man Bach, Beethoven, Jean Paul und Eichendorff heranziehen, aber einfacher wäre der Einblick nicht zu haben.

Das „opus perfectum et absolutum“ darf – anders als der provinzielle Kantor aus dem 16. Jahrhundert, der die Formel aufbrachte, meinte – muss nicht unveränderlich stillstehen und ein für allemal austariert sein wie ein Schloss des absolutistischen Monarchen. Horst Bredekamp hat ein wunderbares Buch geschrieben über „Leibniz und die Revolution der Gartenkunst“ , Untertitel: Herrenhausen, Versailles und die Philosophie der Blätter (Verlag Klaus Wagenbach Berlin 2012).

ZITAT (Seite 130):

Der Große Garten von Herrenhausen (…) bietet darin einen Sonderfall, dass er gegenüber dem ihn bedingenden Schloss von Beginn an einen eigenen Rang entwickelt hat. Die Spannung zwischen Bestimmung und Autonomie ist in Herrenhausen in einer Weise auf die Seite des Gartens verschoben, dass dem Schloss ein eher begleitender denn dominierender Status zukommt. Damit konnte der Große Garten zum Gegenmodell der zeremonialen Gestaltung werden. Indem er die Unendlichkeit der Schöpfung als interne Entfaltung zeigt, ist er von künstlicher Natürlichkeit, und seine geometrische Anlage vollzieht nicht etwa eine Bändigung von Einzelformen, sondern einen Ausschnitt theoretisch unendlicher Möglichkeiten. Er verkörpert nicht den Zwang, sondern die Freiheit, und seine technischen Finessen suchen die Natur nicht zu überwältigen, sondern die in ihr wirkenden Kräfte als Ineinander von Geometrie und Vielfalt zu aktivieren.

Robert Schumanns Opus 17 hier:

Zum Vergleich: Svjatoslav Richter – hier. Wunderbar, klar und ergreifend.

Mehr als ein Bild?

Wie ich einmal etwas sehen lernte

Thomas_Gainsborough_-_Mr_and_Mrs_Andrews

Bitte anklicken. Oder dort anschauen, wo ich es hergeholt habe: Hier. Dort, wo ich diese mir nicht sympathischen Herrschaften vor vielen Jahren kennengelernt habe, wirkte das Bild selbst ziemlich unattraktiv:

John Berger SEHEN

Aber es war der Text, der mir die Augen öffnete. Es ist lange her, und sie blieben durchaus nicht ein für allemal offen. Ich musste das immer wieder neu lernen und kann immer noch nicht „sehen“ wie ich z.B. Fahrradfahren oder Schwimmen kann (mittelmäßig, aber dies immerhin ein für allemal).

John Berger SEHEN Das Bild der Welt 1974

Vorsicht, das Büchlein zerfällt leicht in alle seine Bestandteile. Ich hatte es schon mal neu gekauft und dann verschenkt, als ich das alte wiedergefunden hatte. (Hoffe aber, dass das neue sich bei der Beschenkten ebenso in seine Bestandteile auflösen wird.)

ZITAT

… spielte die besondere Beziehung zwischen Ölmalerei und Besitz sogar in der Entwicklung der Landschaftsmalerei eine gewisse Rolle. (…)

Warum wollte Lord Hardwicke ein Bild vor seinem Park? Warum bestellten Mr. und Mrs. Andrews ihr Porträt mit der als ihr Besitz kenntlichen Landschaft im Hintergrund?

Sie sitzen nicht in der Natur, die Rousseau sich vorstellte. Sie sind Grundeigentümer, deren Einstellung als Besitzer der sie umgebenden Landschaft in ihrer Haltung und dem Ausdruck ihrer Gesichter deutlich wird.

(…)

Selbstverständlich ist es durchaus möglich, daß die Andrews sich dem philosophischen Genuß der nicht pervertierten Natur hingaben. Aber das hinderte sie doch nicht daran, gleichzeitig stolze Grundbesitzer zu sein. In den meisten Fällen war privater Landbesitz geradezu die Vorbedingung solch philosophischen Genusses, der bei den gebildeten und landbesitzenden Ständen gar nicht selten war. Ihr Genuß ‚unverfälschter und nicht pervertierter Natur‘ schloß jedoch die Natur anderer Menschen gewöhnlich nicht ein. Die Wilderei zum Beispiel wurde mit der Deportation in die Kolonien bestraft. Und stahl man eine Kartoffel, riskierte man die öffentliche Auspeitschung, die ein Beamter anordnete, der Grundbeitzer war. Es gab also sehr strenge Eigentumsgrenzen gegenüber dem, was als natürlich angesehen wurde.

Ein Teil des Vernügens, das die Andrews beim Betrachten ihrer Porträts empfanden, war die Freude, sich als Grundbesitzer dargestellt zu sehen, und diese Freude wurde noch durch die Fähigkeit der Ölfarbe gesteigert, ihren Besitz, ihr Land, in seiner ganzen Wirklichkeit und Stofflichkeit sichtbar gemacht zu haben. Gerade diese Beobachtung darf nicht verschwiegen werden, weil die normalerweise vermittelte Kulturgeschichte uns weismachen will, daß eine solche Beobachtung nicht angemessen sei.

Quelle John Berger unter Mitarbeit von Sven Blomberg, Chris Fox, Michael Dibb, Richard Hollis: Sehen / das Bild der Welt in der Bilderwelt Rowohlt Reinbek bei Hamburg 1974 ISBN 3 499 16868 5 (Zitat S. 101ff)

Und was mich heute beeindruckt

Siegerkunst 2016 Beispielseite: Siegerkunst Beispielseite

ZITAT

(…) Auch der zweite Herr auf dem rechten Bild verrät seinen gesellschaftlichen Status. Da er seine Arme weit ausbreitet und seinen Rücken durchdrückt, beansprucht er Raum: als wäre er gewohnt, Selbstbewusstsein über Besitzergreifung zu artikulieren. Dagegen wahren die beiden Betrachter auf dem linken Bild Abstand zum Kunstwerk nicht nur, weil sie es besser erkennen wollen, sondern auch in der Befürchtung, sonst eine Grenze zu überschreiten. Sie sind bemüht, keinen Raumanspruch zu erheben und kein Privateigentum zu verletzen; bescheiden, geradezu schüchtern und etwas verlegen blicken sie auf etwas, das ihnen nicht gehört.

Im 18. Jahrhundert waren Bürger allenfalls Zaungäste der Kunst; diese tauchte fast ausschließlich in den Kreisen der Adeligen und Reichen auf, die abwechselnd als Auftraggeber, Käufer und Mäzene fungierten und sich daher Kunstwerken gegenüber ganz ungezwungen und selbstverständlich benahmen. (…)

Dagegen muss der Rezipient seine Betrachtung der Kunst dazu nutzen, zu interessanten Urteilen zu gelangen und sich als kundig und subtil zu erweisen. Sonst bleibt er für immer jener Zaungast ‚in der Rolle eines Kiebitzes (‚in the role of kibitzers‘), wie es der US-amerikanische Kunstschriftsteller Peter Schjeldahl einmal formulierte. Den Rezipienten packt also der Ehrgeiz, sekundär doch noch ein Näheverhältnis zur Kunst zu entwickeln und sie sich daher intellektuell und emotional anzueignen. Nur dann darf er sich seinerseits als ihr Besitzer fühlen – und wird sich vielleicht sogar als der wahre Eigentümer empfinden, der Geist und Arbeit investiert, um mehr als ein äußerlich materielles Eigentumsverhältnis aufzubauen.

Tatsächlich erwächst der engagierte Umgang mit Kunst in der Moderne aus einem Defizitgefühl heraus. Werke zu interpretieren, sie bewusst zu erleben, sich von ihnen ergriffen zu zeigen, über sie zu reflektieren und zu schreiben, stellt die bildungsbürgerliche Kompensation mangelnder Zugangsberechtigung zur Kunst dar.

Quelle Wolfgang Ullrich: SIEGERKUNST Neuer Adel, teure Lust / Verlag Klaus Wagenbach Berlin 2. Auflage 2016 ISBN 978 3 8031 3660 2 (Zitat S. 22ff)

Und die Musik?

Natürlich habe ich sie im Hintersinn, auch wenn ich über Kunst nachdenken will. Und wenn ich per Zufall eine Parallele der Musikbetrachtung entdecke, so darf sie sich letztlich doch als wenig zutreffend herausstellen, ganz besonders, wenn sie, wie hier – scheinbar zum Vergleich geeignet -, die Distanz des Interpreten zum Werk betrifft, der aber zugleich für seine Nähe gelobt sein soll. In dieser Konzertbesprechung geht es nur auf den ersten Blick um Grigory Sokolov, in Wahrheit um die Selbstdarstellung des Betrachters (Zitate in rot).

Er spielt nicht mehr mit Orchestern. Er geht nicht mehr ins Plattenstudio. Er kondensiert seine Programme; nur wenige Meister und Stücke bleiben übrig. Ihnen aber gilt seine Liebe, er pflegt die Kompositionen wie Schätze, besser: Er nähert sich ihnen wie ein Schlossbesitzer, der Besucher eher etwas unwillig empfängt und sie beim Rundgang trotzdem mit maximaler Ausführlichkeit auf die kostbaren Swarovski-Kronleuchter, die barocken Stuckarbeiten oder die edlen Gobelins hinweist. Dieser Dienst ist ihm heilig, er tut ihn um des Schlosses willen, das er geerbt hat und nun verehrt. Dieser Liebhaber kennt jede Ecke und jedes Detail. Deshalb dauern Rundgänge bei Sokolow oft sehr lange.

Eine Anspielung auf die alte Kennzeichnung von bürgerlicher Musik als „für Kenner und Liebhaber“? Das wäre alles andere als ein Lob. Der Kritiker möchte den Pianisten trotz seiner Meisterschaft kritisieren, damit er ihm dann von umso höherer Warte aus den Segen erteilen kann. Er befindet sich allerdings mit der dummen Schlossrundgang-Metapher in einer Sackgasse. Also muss nachgebessert werden: er billigt dem Künstler und Liebhaber „immense Kenntnis“ zu, während dem Kritiker selbst unausgesprochen der Preis für Fingerspitzengefühl, Doppel-Kompetenz und den wahren Sinn fürs Ganze zukommt:

Es gibt da Momente, da man den Atem anhält, so wunderbar klug und zeitfüllend leuchtet Sokolow verborgene Winkel der Partitur aus. Das birgt bei Schumann indes eine Gefahr: dass sich der Musiker in den Details verliert. In der Tat: Sokolow ist hier der Mann, der zu viel weiß. Er präsentiert uns jeden Luxus, doch das Schloss als Ganzes verliert er aus dem Blick. Dabei möchte man doch erleben, dass vom Schumann-Gebäude ein geheimnisvolles Raunen ausgeht, ein düsterer Atem; Schumann ist nicht nur prunkvoll, sondern immer auch flüchtig und schattenhaft. Dieses Zart-Visionäre als Ausdruck des inneren Zustands von Musik entgeht dem bedeutendsten Pianisten der Welt, weil er ja in wirklich jede Ecke Kerzen leuchten lässt. Und weil er aus Deutlichkeit zu langsam wird. Sokolov müsste seine immense Kenntnis manchmal zugunsten der Idee des Werkes vernachlässigen.

Ja, und das könnte er in Düsseldorf über Schumann noch lernen, wenn er nur wollte! Er müsste sich endlich darum kümmern, was „man doch erleben“ möchte („man“ bedeutet „ich“). Es ist vernichtend für den Interpreten wie den Rezipienten. Da hilft das Epitheton des „bedeutendsten“ nicht. Noch weniger, wenn schließlich alles am Beispiel der Chopin-Interpretation wieder wettgemacht werden soll, so dass es am Schluss im Ernst heißen kann:

Der Applaus ist dankbar und erhaben. Was für imposante Schlösser! Hinterher ist man von Sokolovs Rundgängen nur etwas erschöpft.

Quelle Rheinische Post Düsseldorf 12. Mai 2016 Kultur „Der Mann, der zu viel wusste / Der Russe Grigory Sokolov gilt als der bedeutendste Pianist der Gegenwart. In der Düsseldorfer Tonhalle spielte er jetzt Schumann und Chopin. Vieles gelang herrlich, zuweilen ging über kostbare Details der große Atem der Musik verloren.“

P.S. „Was für imposante Schlösser“!? Was diesem Bericht gebührt, ist allererhabenster Beifall, mag auch die exegetische Geduld manchen Lesers erschöpft sein: Nichts mehr von musikalischen Schlossbesitzern und deren feinfühligen Sachwaltern! Mit dem Pianisten Sokolov hat das alles nichts zu tun.

Zeitsprung: La Serva Padrona 1969

La Serva Padrona Mitwirkende (zum Lesen bitte anklicken)

Ich wollte nichts anderes als das Datum eruieren, das jetzt oben im Titel steht. Harmonia Mundi hat es damals noch nicht auf der Schallplatte vermerkt. Leider kann ich auch die alten LPs nicht mehr hören. Und finde nun die gesamte Aufnahme im Internet, was für ein Glück!!! (Der Anlass des Suchens war Fritz Neumeyer, an dessen Dabeisein ich mich gut erinnere. Alles kaum zu glauben: Ich war damals 28 Jahre alt. Mein Sohn gerade 3; vielleicht hat er bei den Proben im Saal gesessen.) Unvergesslich: ab etwa 26:00 Maddalena Bonifaccios Arie „A Serpina penserete“ – fast zu schön um wahr zu sein!

Hier ist das ganze Werk (bitte anklicken!). Wo lacht Neumeyer so teuflisch? Ausgerechnet das habe ich nie vergessen. Nach Umbertos Aria (38:00) beginnt er zu trampeln, dann bei 41:32 hört man ihn. 42:20 Tonleiter aufwärts im Cembalo (nach den Worten „E di serva divenni io già padrona!“ – „Und von der Magd wurde ich so zur Herrin!“)

La Serva Padrona Titelseite

Das Foto des Collegiums – wahrscheinlich eine Verlegenheit, weil kein anderes vorzeigbar war – stammt aus Saint-Maximin in Süd-Frankreich (1967?), ich war dabei, sitze aber links außerhalb des Fotos (darauf von links nach rechts: Günter Vollmer, Brigitte Seegers, Günther Höller, Franzjosef Maier, Alfred Sous, Doris Wolff-Malm, Edward Tarr, Gerhard Braun, Wolfgang Neininger, Robert Bodenröder, Friedrich Held, Ruth Nielen, Werner Mauruschat, Gustav Leonhardt, N.N.).

Die bei La Serva Padrona tatsächlich Mitwirkenden stehen oben auf dem abgebildeten Cover.

La Serva Padrona Coll Foto

Und so wurde das Collegium im Schallplattentext glorifiziert:

La Serva Padrona Coll Text

WIKIPEDIA-Information zu „La Serva Padrona“ Hier. Die angegebenen Links zu Text und Übersetzung sind nicht recht praktikabel. Jetzt nach fast 50 Jahren möchte ich alles genau mitlesen… (Was ich damals versäumt habe. Mir genügte die Musik und der ungefähre Inhalt. Es könnte schon etwas mehr sein, sage ich heute.)

La Serva Padrona Text 1 2 La Serva Padrona Text 1a                                                             3 La Serva Padrona Text 2 4 La Serva Padrona Text 4  5La Serva Padrona Text 5

6La Serva Padrona Text 6  7La Serva Padrona Text 7  8La Serva Padrona Text 8

9La Serva Padrona Text 9 10 La Serva Padrona Text 10

11La Serva Padrona Text 11 12La Serva Padrona Text 11a

Leider fehlen mir – und meiner Quelle – Angaben zur Herkunft der Übersetzung. (JR)

Barbarische Tonart

Aus meinem Notenschrank

Es war mir völlig entfallen, dass ich dies Stück besitze. Es ist lange vor Bartóks gleichnamigem Klavierstück entstanden, das ich einmal fleißig geübt habe. Man weiß offenbar nicht genau, ob Bartók dies hier gekannt hat. (Siehe hier). Nur ein paar Blätter. Es verlegt sich leicht. Bemerkenswert finde ich, dass es als F-dur-Werk gilt, weil es ein b vorgezeichnet hat, das aber im Notentext überall aufgelöst ist. Also lydisch F? Ein Rätsel.

Alkan Barbaro Titel Alkan Barbaro Text

Eine Veröffentlichung aus dem Jahr 1953 mit internationalem Copyright?

Kann ich mir nicht vorstellen: die Noten sind leicht einzusehen in der Petrucci Music Library HIER

Ich möchte sie aber nicht üben müssen. Lassen wir doch andere für uns spielen!

Er kennt sein Piano, aber kein piano, das allerdings in den Noten steht. Die ich bekanntlich besitze. (Er hat keine!) Aber ehrlich gesagt: ich vermisse das piano nicht.

An dieser Stelle könnte ich mal beiläufig erwähnen, dass ich kein echter Pianist bin, nur mein Leben lang gern Klavier gespielt und auch ernsthaft geübt habe. Von Haus aus bin ich Geiger, vom Leben her auch Wissenschaftler und Radio-Redakteur (gewesen). Ich habe jetzt zufällig nicht nur diese Noten, sondern auch alte Dokumente wiedergefunden: das Zeugnis meines Klavierlehrers Rummel, das ich brauchte, weil ich einen Studienzuschuss von der Firma Oetker bekam und dort in Bielefeld regelmäßig meine Leistungen belegen musste.

Rummel Bescheinigung 1963

Hiermit bestätige ich, dass ich inzwischen nach weiteren Jahrzehnten regelmäßigen Übens bemerkenswerte Fortschritte nachweisen kann. Die Firma Oetker dürfte mir eigentlich noch viel Gutes tun! Vor allem bin ich ja immer noch fleißig und interessiert. Aber von all denen, die mir eine Bescheinigung mit Stempel der Hochschule ausstellen könnten, lebt leider keiner mehr. Außer Wolfgang Marschner, der zuletzt nicht mehr so gut auf mich zu sprechen war, weil ich ihm nicht als erklärter Geiger nach Freiburg folgen wollte. Und das war die beste Entscheidung meines Lebens.

In Zeitlupe üben!

An manchen Tagen hat man Glück, und schon hagelt es alltägliche Einsichten, die man nur vergessen hat, täglich penibel umzusetzen.

Zwei Beispiele der letzten 2 Stunden:

a) Beim Geigeüben – in den leichteren Dont-Etüden (die ich gar nicht genug loben kann, gerade gegenüber den schweren und bekannteren, die „24 Vorübungen zu Kreutzers und Rodes Etüden für die Violine“ von Jacob Dont, Op. 37, revidiert von Hans Sitt. Verlag C.F.Peters Frankfurt/M, London, NewYork) die Nr. 7 in a-moll „Vivace“, hier die Schlusszeilen:

Dont Bogenwechsel

Es gibt darin immer wieder Saitenwechsel, die eine heftige (?) Bewegung hin zur E-Saite erfordern, und dieser Aufprall gerät oft zu heftig, weil der Bogen dann zu einer Springbewegung neigt, die abgefangen werden muss. Besonders auffällig im zweiten Takt der zweiten Zeile, zweite Sechzehntelgruppe: man befindet sich in der 4. Lage, den Ton c“ (3. Finger D-Saite) erreicht man im Aufstrich, und unmittelbar danach folgt im Abstrich das hohe e“‘. Wenn man es in Zeitlupe ausprobiert, weiß man genau, was passiert: der Aufprall geht zu sehr im rechten Winkel auf die Saite, dadurch wackelt die Bogenstange und erzeugt ein unschönes Geräusch. Abhilfe: man hält inne nach der Bewegung zur E-Saite und lässt den Bogen nicht senkrecht auf die Saite prallen, sondern „schräg“, statt des rechten Winkels denkt man sich die Linie der Winkelteilung, sozusagen in den Abgrund zwischen E-Saite und Unterarm.

Das Anhalten und die Zeitlupe wirken Wunder.

b) Beim Klavierüben  – Chopin-Impromptu Nr. 1 As-dur op.29

Chopin Impromptu Triller

Dass man nach der Leggiero-Girlande die Trillerkette der rechten Hand ebenso intensiv aber anders übt, liegt „auf der Hand“, auch, dass es um Stärke und Brillanz geht. Weniger vielleicht, dass die linke nicht irgendwie arpeggiiert, sondern – genau wie rechts der Trillerton a“ nach den Vorschlägen (Achtung: kein b“ einfügen!) – mit dem Basston ES auf die Zeit beginnt, den nächsten Ton A ruhig und stark folgen lässt, dann den linken Daumen mit Schwung auf den obersten Ton GES wirft, der durchaus nach dem Trillerakzent der Oberstimme kommen darf, als leicht verspätete Zählzeit (der Basston ES war pünktlich), die Verspätung gibt ihm besonderes Gewicht, ihm und der Zweiergruppe, die er mit dem folgenden C bildet. Genau so in den beiden Zweiergruppen des nächsten Taktes, und erst im übernächsten Takt wird der stärkste Ton – Zählzeit 1 mit Akzent! – noch überboten durch das Weiterbinden auf den dritten Ton, das AS, das zusammen mit dem Melodieton des“‘ als Fortissimo herausragt: das Intervall Quart+Oktave im ff wirkt wie eine Überdissonanz – durch Leere.

All dies zu üben, pedantisch in Zeitlupe, nicht „erregt“, sondern rein technisch, mit Pedal genau zu den Phrasierungen der Zweiergruppen… das macht riesig Spaß. (Während die Musik zugleich etwas ganz anderes als Spaß ausdrückt. Die junge Generation wird an dieser Stelle mit einem gewissen Recht das Wort „GEIL“ benutzen.)

Musikanalyse fürchten?

Jeder weiß: man kann nicht erwarten, dass die Analyse genau so attraktiv ist wie das Musikstück selbst, dessen rätselhafter Schönheit man vielleicht gerade durch genauere Betrachtung näherkommen will. Greifen wir ein Bruchstück heraus: Wird am Ende herauskommen, dass dieser Dschungel aus Tönen übersichtlich wird?

Bach cis-moll Fuge Detail

Mit Bestimmtheit wäre zu antworten: Ja, ganz gewiss! Auch wenn ich es noch nicht neu geübt hätte, könnte ich sagen: Bach Wohltemperiertes Clavier II Fuge cis-moll, „irgendwo in der Mitte“. (Genau: die Takte 32 bis 47  aus einer Gesamtzahl von rund 70 Takten.) Die längeren Notenwerte oben am Ende der ersten Zeile sind das zweite Thema der Fuge. Als ich sie in den 80er Jahren zum ersten Mal geübt habe, hat mir mein Sohn heimlich in die Spielnoten eine Mahnung geschrieben, weil ich lange Zeit nicht mehr von vorn begann, sondern immer hier auf der zweiten Seite, wo zum erstenmal dieser chromatische Abstieg thematisch wird (er hatte wohl heimlich nachgeschaut, ob dies das Thema der Fuge sei):

Bach cis-moll Fuge Seite 2 Detail

Nein, das zweite Thema, – aber wo genau beginnt es? Die durchgehenden Sechzehntel jedenfalls gehören zum ersten Thema… Ich muss analysieren und vorläufig aufhören zu spielen… Aber soll ich mich etwa in eine graphische Analyse wie die folgende versenken? Das braucht doch eine Stunde mindestens. Soll ich nicht lieber weiterüben???

Bach cis-moll Fuge DÜRR

Quelle Alfred Dürr / Bärenreiter ISBN 3-7618-1229-9 Seite 278

Und wo steht in der Analyse, wie schön die Fuge ist? Natürlich nirgendwo. Das ist nicht die Aufgabe der Analyse. Es ergibt sich ja auch nicht beim Blick auf die Noten. Sondern erst wenn sie erklingen, und nicht schon beim ersten Mal, sondern erst nach zwanzig Mal hören und (am besten) Spielen, – und dann erst entstehen die Fragen nach dem Warum.

***

Ich stehe nicht allein mit meiner Verwunderung darüber, dass mich die eigenen Fragen nerven. Peter Schleuning schreibt einmal in seinem Buch über die Brandenburgischen Konzerte von Bach:

Es ist eine Binsenweisheit, wenn immer wieder – anklagend oder entschuldigend – beteuert wird, dass eine Analyse nicht den Eindruck der Musik wiedergeben kann. Dazu ist sie auch nicht da. Sie soll ergründen und darzustellen suchen, was sich unter der unmittelbar hörbaren Oberfläche an Beziehungen und Zusammenhängen tut und wie dieses sich auf den Höreindruck auswirken oder diesen gar bereichern kann. Selbstverständlich kann keine noch so einleuchtende Analyse und ebenso wenig eine noch so schöne Tabelle einen Eindruck von der unermüdlichen Kraft und Frische dieses Konzertsatzes vermitteln, von diesem quasi-naiven, munteren Ernst, mit dem die Musik uns fortträgt.

Er schreibt das anlässlich des dritten Konzertes in G-dur und erwähnt wenigstens in seiner Analyse die Spannung, die von diesem „munteren“ Satz ausgeht. Und in diesem Sinne ist die Fuge – zwar nicht munter – aber doch auch unablässig in Bewegung und entwickelt ebenfalls eine außergewöhnlich Spannung.

Im Fall des Brandenburgischen Konzertes gibt es noch ein separates, geradezu unlösbares psychologisches Problem: da gibt es drei Instrumentengruppen, und jeweils drei einzelne Instrumente, die dasselbe spielen, einen ganzen Satz lang, viele viele Töne, und Bach schreibt dreimal diese selbe Sache untereinander. Warum??? Warum nicht nur einmal und an den Anfang ein „alle drei“? Aber das ist ein völlig anderes Problem, das lese man bei Schleuning nach. In unserer Fuge ist kein Takt mit einem anderen identisch, und selbst die Themen und die Relationen wandeln sich.

Noch einmal zu Chopin (ergänzend zu diesem Beitrag)

Was der analytische Blick zum Beispiel zutage fördert, – in meinem Fall erst nach Jahrzehnten -, ist folgende Auflösung für den Schluss des Impromptus in As-dur. Früher habe ich es einfach als schöne aber irgendwie beliebige Idee hingenommen, wie diese choralähnliche Formel sich auflöst und quasi in der Ferne entschwindet, im letzten Terzklang Unendlichkeit andeutend.

Chopin Impromptu As Schluss

Die „choralähnliche Formel“ – das ist doch nichts anderes als der Abschied von der Melodie des Mittelteils! Die aufsteigende Linie g – as – b – c ist übriggeblieben, sie ist das Ziel der Linie gewesen, das die Cantilene des Mittelteils so oft vergeblich oder jedenfalls stockend angestrebt hat. Sehen Sie hier den rasanten Abgang und dann die 4 Takte mit der Melodielinie (vereinfacht  gesagt:)  c – f – g – as –  b  – c  (und dann das Verweilen, das Nichtzurechtkommen mit diesem Ton c, die Rückkehr und das Zurückfallen auf den Ausgangston c und Neubeginn derselben Melodielinie mir neuem Scheitern). Und nun betrachten Sie, wie das harmonisiert ist: es ist bereits das Gerüst des abschließenden Chorals, wenn wir einmal bei der willkürlichen Benennung bleiben wollen. Die Behandlung des Tones c , sowohl in Takt 38 als auch in Takt 46 mit der vorangehenden bedeutungsverstärkenden Figur, und dann die Riesen-Corona vor dem großen c in Takt 49: das alles will uns doch eine Geschichte erzählen! Eine Geschichte, in der es scheinbar nur um bestimmte Töne geht. Ich breche ab… sonst erzähle ich sie noch, in wortreicher Attitüde. Da spiele ich sie doch lieber!

Chopin Impromptu As Mittelteil

Ich habe noch einmal die Beschreibung dieses Stückes bei Tadeusz A. Zielinski gelesen (Chopin 1999 Seite 524) und finde sie völlig inakzeptabel. „Brillante Eleganz“? Ist es nicht eher die Unrast eines Verzweifelten, die dieses Stück umtreibt? Alles andere ist nur Maskierung, die für Salonfähigkeit sorgt. Oder soll ich doch sagen, an welche Geschichte ich denke? Stellen Sie sich doch einfach mal vor, dass der Ton c nicht nur ein Ton ist, sondern ein Mensch, eine Person. Ich phantasiere. Angenommen, sie hieße Caroline. Wie spannend wäre alles, was um ihren Ton herum geschieht, – wie er inszeniert wird, wie sich ihr Gesicht verändert…

Ach, ich ahne es: jetzt wollen Sie plötzlich viel mehr Analyse als mir lieb ist … ich ziehe die Reißleine, also Schluss damit! Nur noch ein kurzer Blick auf die Widmung des Werkes … wie bitte? A Mademoiselle … Caroline de Lobau… Nein!!!!!!!!!!

Vier Kapitel aus Kuhnaus Quacksalber (1700)

Beim Lesen wirds leichter als es aussieht…

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Fortsetzung folgt, wenn Sie wollen – aber nicht an dieser Stelle… sondern …wo? (ein Link wird kommen).

Hier ist der Link, der Ihnen dazu verhilft, das ganze Buch zu lesen, wenn Sie am Anfang viel Geduld haben, bis er sich realisiert hat (das Buch ist 534 Seiten stark): Der musikalische Quack-Salber.