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Widmung (Skizze)

Zu Bachs Partiten

betr. auch die Violin-Partiten (siehe „Loure“ hier in E-dur und in der Französischen Suite in G-dur)

Quelle Hermann Keller: Die Klavierwerke Bachs  / Edition Peters Leipzig 1950

Die Partiten / Titel-Wiedergabe in meiner Henle-Urtext-Ausgabe (1970/1979), deren Vorwort von Rudolf Steglich stammte, – dessen frühe Schrift (s.u.)  wiederum für mich erst im Jahre 1985 eine verlässliche Perspektive eröffnete, die eigentlich durch viele Begegnungen vorgezeichnet waren: Gustav Leonhardt, Franzjosef Maier, Sigiswald Kuijken und seine Brüder, Anner Bylsma, Jörg Demus, Paul Badura-Skoda, Reinhard Goebel, Rachel Podger, Isabelle Faust, die CDs von Christian Tetzlaff („Sei Solo“ = „ich bin allein“?) u. das wiederkehrende Phänomen, dass jemand die eigene  Referenz-Aufnahme nach Jahrzehnten durch eine neue ersetzt, als sei alles im Fluss.

Sonderdruck Möseler 1962

Jahresgabe 1960 der Internationalen Bach-Gesellschaft Schaffhausen (JR 10.4.86)

(Fortsetzung folgt)

Gigantische Fuge gis-moll

Zu BWV 887, in aller Kürze

Zugegeben: der Titel ist etwas reißerisch, und das was man hört, entspricht dem nicht im geringsten. Eine sehr lange Fuge, ja, aber ohne offensichtliche Höhepunkte, gerade auch in der Aufnahme mit Andras Schiff. Gleichmäßiger, unemotionaler kann man sie kaum spielen; es sei dahingestellt, ob das richtig ist, – schön ist es auf jeden Fall. Niemand kann sagen, es sei unmöglich, die drei Stimmen zu verfolgen, – und darauf kommt es doch an, nicht wahr? Ein gleichmäßig geflochtenes Band. Und es ist Sache des Zuhörers, des Lesers, – nicht des Interpreten -, Themen herauszulösen und formale „Blöcke“ zu erkennen. So könnte man sagen, und ich werde gern darauf eingehen. Erst später würde ich dafür sorgen, dass schon die Noten zu sprechen beginnen; danach würde ich vielleicht auch anfangen, die recht leidenschaftslose Tonaufnahme kritisieren. Aber vorläufig will ich mich einfach dem klingenden Text unterwerfen. Nicht meditieren, noch weniger träumen, – ganz Aufmerksamkeit, ganz Ohr.

Zum Mitlesen:

Aufnahme mit Andras Schiff im externen Fenster HIER aufrufen und sofort zurückgehen, um den Notentext zu verfolgen!

Zitat (Alfred Dürr verweist auf Wilhelm Keller):

Wie Keller (S.169) mit Recht bemerkt, verlangt diese Fuge „mit anderen Maßstäben gemessen zu werden als die meisten anderen Fugen Bachs“. Ursache hierfür ist ein gewisses Understatement; fast möchte ich behaupten, das Auffälligste an ihr sei ihre Unauffälligkeit. Denn schließlich handelt es sich um eine „gelehrte“ Doppelfuge, deren Nachvollzug an den Hörer besondere Ansprüche stellt. Ihre Folge 1. Thema – 2. Thema – Vereinigung beider Themen deutet auf eine natürliche Steigerung, die eine entsprechende Hörerwartung zur Folge hat – eine Erwartung, die Bach andernorts durchaus zu erfüllen versteht: (…).

Noch einmal: in Richtung auf ein Informierteres Mitlesen derselben Noten:

 

Hinweis zu den farbigen Einzeichnungen: sie betreffen ausschließlich die Orientierung im Formablauf. Rot (senkrechte Striche): die Abschnitte, römische Zahlen: die Durchführungen (jeweils vollständige Themendarstellung in jeder Stimme). Grün: Hinweis, welche Stimme das Thema vorträgt, S(opran), B(ass), A(lt). Umrahmende Schrägstriche am Buchstaben bezeichnen den „überzähligen“ Einsatz. Die scheinbare Unbestimmtheit in Takt 61 rührt daher, dass das neue Thema dieses Teils III auf dem dritten Achtel einsetzt, Teil II aber auf dem Niederschlag bzw. der Auflösung des Vorhalts auf dem zweiten Achtel endet (daher auch das +Zeichen).

Damit die äußere Form auch für Nicht-Notenleser klar vor dem inneren Auge steht, sollen hier die Zeitangaben für die obige Aufnahme folgen:

A I + II Verarbeitung des ersten Themas allein (T. 1 bis 61+) 0:00 bis 2:12

B III Verarbeitung des zweiten Themas allein (T. 61+ bis 96) 2:12 bis 3:34

C IV + V Kombination beider Themen (T. 97 bis 143) 3:34 bis 5:33 (Ende)

Trotz dieser plausiblen Dreiteiligkeit, die ich in Anlehnung an Alfred Dürr aufgelistet habe, kann man sich von Ludwig Czaczkes anhand detaillierter Kadenzanalysen überzeugen lassen (Bd.2 Seite 216) , dass eine große Zweiteiligkeit vorliegt, bzw. von Bach gedacht ist, nämlich A: I + II und B: III + IV + V . Damit will ich allerdings den eifrigen Hörer (und Leser) hier nicht aufhalten. Wir wissen nicht, wie Bach „gehört“ hat, und ob er die Form genau so „gehört“ hat, wie er sie beim Komponieren realisiert hat. Ob er die Durchführungen innerlich nummeriert hat…?  Sicherlich hat er ihre Verkettung miteinander nicht dem schöpferischen Moment überlassen. Und enger verkettet sind I + II auf der einen Seite, III, IV und V auf der anderen Seite. Es ist kein Sakrileg darüber nachzudenken – und auch die folgende Geschichte nicht überzubewerten:

Bey Anhörung einer starck besetzten u. vielstimmigen Fuge, wuste er bald, nach den ersten Eintritten der Thematum, vorherzusagen, was für contrapuncktische Künste möglich anzubringen wären u. was der Componist auch von Rechtswegen anbringen müste, u. bey solcher Gelegenheit, wenn ich bey ihm stand, u. er seine Vermuthungen gegen mich geäußert hatte, freute er sich u. stieß mich an, als seine Erwartungen eintrafen.

Quelle Carl Philipp Emanuel Bach über seinen Vater an J. N. Forkel in Göttingen , Hamburg Ende 1774 III/801

Die „contrapuncktischen Künste“ sind nicht das Entscheidende, und die beiden Themen, die in unserem Fall bei Durchführung IV „überraschenderweise“ so schön zusammenpassen, sind natürlich im Kopf des Komponisten gleichzeitig entstanden, aufeinander bezogen, komplementär, das eine mit Sprüngen versehen, das andere sich chromatisch hinab- und hinaufwindend. Und ähnlich ging es mit anderen Kontrapunkten. Der versierte Komponist weiß also auch, wenn Durchführung III mit dem neuen (chromatischen) Thema beginnt, dass dieses – nachdem es als Fuge ausgearbeitet wurde – auch mit dem Hauptthema der Durchführungen I und II eine Ehe eingehen wird.

Was ist dann „das Entscheidende“?

Das stellt sich erst in der kontinuierlichen Arbeit heraus. Die Fuge ist schwer zu lernen, zumal wenn man eine im Detail sinnvolle Phrasierung realisieren will. Man braucht einige Zeit, um die Fingersätze sicher einzuüben, so dass auch die Mittelstimme, die ja zum Teil wechselnd in der linken oder rechten Hand gestaltet wird, natürlich und kantabel verläuft.

Was macht eigentlich Andras Schiff? Spielt er ein durchgehendes Legato, nahe am Non-Legato? Am Schluss versucht er – eigentlich anders als von Bach angelegt – einen Höhepunkt über Marcatospiel und Stärkung der Basslinie zu erreichen. Eigentlich unnötig, andererseits auch wirkungsvoll. Ich will diesen großen Künstler nicht abwerten, bin aber sicher, dass man sich in Interpretationsfragen auch ganz anders entscheiden kann. Um es kurz zu begründen: meine Phrasierung stammt aus 1985, als ich in Bachs Geburtstagsjahr zum erstenmal einen Gesamtdurchgang durchs Wohltemperierte Klavier unternahm. Nach wie vor finde ich die damals gewählte Phrasierung in Ordnung. Der Charakter des Stückes ist für mich durchaus leicht, elfenhaft schwebend (nicht „gigantisch“!). Andere Assoziation: Schmetterling. Man sieht, dass kein Aufstieg ohne Abstieg ist, oder Ab und Auf,  ganz typisch auch im zweiten Thema mit dem chromatischen Quartgang abwärts und aufwärts zum Ausgangspunkt (mit Trillerbestätigung und dennoch wieder zurück). Oder schauen wir auf den Aufbau der Exposition (Durchführung I):

 Übe-Noten

Man könnte sagen: der ganze Aufbau führt eigentlich zu einer (durch Kontrapunkte angereicherten) Wiederkehr des Haupthemas in gleicher Lage wie am Anfang, allerdings in der Altstimme (überzähliger Einsatz Takt 19). Nachdem der Bass es bereits in gleicher Tonart präsentiert hatte (ab Takt 13). (Die abweichende Bindung der drei ersten Töne – statt der zwei wie sonst – bleibt unauffällig und ist durch die Zweierbindung im Sopran begründet, die nicht konterkariert werden soll.)

Ähnlich könnte man die Durchführung II beschreiben: Beginn Dominanttonart (wie Takt 5) im Bass, ebenfalls Takt 44 im Sopran; überzählig die Wiederkehr Takt 55 im Bass und zwar in der Grundtonart, plus zwei Takte zur phrygischen Kadenz, die das neue Fugenthema heraufbeschwört.

Quellen Alfred Dürr: Johann Sebastian Bach Das Wohltemperierte Klavier / Bärenreiter Kassel 1998 (Seite 386 u.a.)

Ludwig Czackes: Analyse des Wohltemperierten Klaviers Band II Form und Aufbau der Fuge bei Bach / Österreichischer Bundesverlag Wien 1982 ( Seite 216)

Nachwort

Die Assoziation „Schmetterling“ kam nicht ganz aus heiterem Himmel: Die „Pièces de Clavecin“ von Couperin waren Bach vertraut, aber man darf annehmen, dass ihn zuweilen auch der reale Anblick von Schmetterlingen bewegte. Und ich muss zugeben, dass ich zuerst an ein „Slip Jig“ von Tommy Potts gedacht habe (siehe hier), und schon deshalb stelle ich mir die Bach-Fuge etwas schneller vor als bei Andras Schiff. Das ist aber rein subjektiv. Da ich weiß, dass z.B. das Zwischenspielmotiv der Fuge in Fis-dur (BWV 882) von Rameau stammt, will ich mich selbstverständlich weniger auf meinen irischen Zeitgenossen berufen als auf einen französischen Joh. Seb. Bachs, nämlich Couperin. Aber wie gesagt: nur als Assoziation.

 Couperin

Wenn ich nochmal auf Dürrs Wort vom „Understatement“ verweisen darf, – er sagt am Ende seiner Analyse auch:

Offenbar zielte Bachs Absicht in dieser Fuge nicht auf solche Steigerungseffekte (denn gegen die Annahme eines unreifen Frühwerks spricht die planvolle Disposition). So könnte es sein, daß gerade die äußerliche Unscheinbarkeit eines architektonisch durchkonstruierten Werks sein Ziel war – und vielleicht folgt es nicht ganz zufällig auf die Prachtentfaltung des As-Dur-Satzpaares, gleichsam als Gegenstück. (Zitat Dürr a.a.O. Seite 390)

Ich finde es noch naheliegender zu vermuten, dass diese Fuge die Antwort ist auf das wild bewegte, exaltiert emotionale Praeludium, das unmittelbar vorangegangen ist. Eine Antwort im Sinne des weisen LAOTSE. Gigantisch wie der Gedanke vom Wasser.

Andere Interpretationen an Klavier und Cembalo HIER

Bach und die Raumakustik

Eine Abschweifung

Jeder Bachkenner hat das gelesen: Ende 1774 schickte Carl Philipp Emanuel Bach an den Bach-Biographen J.N. Forkel in Göttingen einige Ergänzungen und Berichtigungen zum Lebenslauf seines Vaters. Und darin findet sich unter vielen interessanten Einzelheiten die folgende Bemerkung, die gern zitiert wird, wenn es um Bachs Kenntnis der physikalisch-praktischen Konditionen der Musik ging.

Bach Raumakustik

Es ist aber durchaus möglich, dass dieses Wissen damals unter Musikern allgemeiner verbreitet war, als man heute annimmt. Zumindest unter solchen, die von den Forschungen des gelehrten Athanasius Kircher gehört oder sogar ein Werk von ihm erstanden hatten. Und zwischen Fakten und Fantasien unterscheiden konnten, – obwohl dies unwahrscheinlich war angesichts eines erdrückend universalen Geistes.

Kircher Raumakustik a *   *   *Kircher Raumakustik b *   *   *

Kircher Raumakustik c *  *  *Kircher Raumakustik d *  *  *

Kircher Raumakustik e *   *   *

Quelle: Athanasii Kirchers Neue Hall= und Thonkunst Reprint nach dem Original aus dem Jahre 1684 aus dem Bestand der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel / Wieder aufgelegt im Jahre 1983 von der Edition „libri rari“ Th. Schäfer GmbH Hannover. ISBN 3-88 746-0 72-3 / Wikipedia Athanasius Kircher siehe hier.

Kirchers Universum – und Bachs Glaubensgebäude

Kircher Universum  Kircher Weltorgel die Weltenorgel…

Rolf Dammann beschreibt und deutet diese Bilder detailliert in seinem grundlegenden Werk „Der Musikbegriff im deutschen Barock“ (Laaber-Verlag 1984) auf den Seiten 406 bis etwa 427.

1. die himmlische, übernatürliche (supranaturale) Welt, 2. die des Makrokosmos, also die außermenschliche Natur mit der wiederum höchsten Rangstufe der Gestirnwelt und 3. der Mikrokosmos, d.h. die Welt des Menschen.

Und fügt hinzu (Seite 411):

Diese Gliederung entspricht offensichtlich auch dem Aufbauplan von J.S.Bachs Clavierübung III, der möglicherweise ein praktisches Gegenbild dieser Weltstruktur liefert.

„offensichtlich“? „möglicherweise“? Das ist durchaus nicht geklärt, soweit ich weiß. Um einmal bei der älteren Deutung zu bleiben (Dammann beruft sich auf R. Steglich 1935), sei hier noch ein Absatz aus Hermann Kellers „Die Klavierwerke Bachs“ (Edition Peters 1950) angefügt, woraus nur andeutungsweise dergleichen zu entnehmen ist:

Bach Clavier Übung III

Goebels Neuer Bach

Atemberaubend: die Brandenburgischen Konzerte

Goebel Bach 2017 Cover a

Goebel Bach 2017 Inhalt

Über Christian Ludwig von Brandenburg-Schwedt HIER / Über Michael Mietke HIER

  • … sowie ein blau mit silber laquierter Flügel, von Mitcken, mit zwey Claviere“ im Wert von 130 Gulden. / Dieses letztgenannte Instrument dürfte einer der Schlüssel zur Deutung und zum Verständnis der Konzert-Sammlung sein. Die im Querformat geschriebene Dedikations-Stimme war für den Cembalisten bestimmt, dessen bewegte, aber keineswegs unspielbar schwere Solo-Partie im Concerto V in größeren Notenzeilen notiert, Bachs tiefster Kotau vor dem Markgrafen ist, den wir uns durchaus als musikalischen Primus inter Pares hinter seinem sündhaft teuren Mietke-Flügel vorstellen sollten. / Wie das Partitur-Autograph selbst, bestätigt durch den Vergleich mit einem auf frühere Überlieferung zurückgehenden Stimmensatz, deutlich zeigt, unterzog Bach dieses jüngste der Konzerte – was zu einem späteren Zeitpunkt durchaus den Tatbestand eines Reisekonzerts für ihn selbst am Cembalo, Wilhelm Friedemann mit der Violine und Carl Philipp Emanuel mit der Flöte erfüllen wird – unter währender Schreibarbeit ständiger Präzisierung. So wurde nicht nur die Violoncello-Stimme neu gefasst, sondern vor allem aus der ursprünglich 18-taktigen Kadenz jene 64-taktige geformt, die unter dem Vorwand, den musizierenden Fürsten einmal prominenter als alle anderen Solisten herauszustellen, als „Stück im Stück“ nicht unbedingt überzeugt – zumindest problematisch bleibt!
  • (ZITAT aus Reinhard Goebels im Folgenden wiedergegebenen Booklet. Weiterzulesen mit Hilfe jeweils eines Klicks.)

Goebel Bach 2017 1 Goebel Bach 2017 2 Goebel Bach 2017 3 Goebel Bach 2017 4Goebel Bach 2017 5Goebel Bach 2017 6Goebel Bach 2017 7Goebel Bach 2017 8 Foto Foto: Christina Bleier

Wiedergabe des Textes ©Reinhard Goebel mit freundlicher Erlaubnis

Vorgemerkt (5.11.2018) die im Text erwähnten Vergleichsmusiken zu Concerto I :

Hier und hier . Und hier (Was mir behagt).

Die Dualität und das Eine

Bach-Aspekte

Ausgehend vom „Clavier-Büchlein vor Wilhelm Friedemann Bach angefangen in Cöthen den 22. Januar Ao. 1720“

Bach Friedemann e

(Oben) Frühfassung des Praeludiums in e-moll, das später in erweiterter Fassung (siehe unten) in „Das Wohltemperirte Clavier“ (erster Band) des Jahres 1722 einging. Oben ist es ziemlich eindeutig als Übung für das gleichmäßige Spiel der linken Hand erkennbar. In der ausgearbeiteten Form (unten) wird es notwendig, über den Charakter und Ausdrucksgehalt, über den Affekt des Basses zu sprechen, gerade auch aufgrund der Tatsache, dass ihm eine affektgeladene Melodie gegenübergetreten ist und eine Teilung der Aufmerksamkeit erfordert.

Bach Praeludium e

Es gilt Ausschau zu halten nach Stücken, die von einer ähnlichen Affektsituation gekennzeichnet sind, sagen wir: einem in sich kreisenden, „rollenden“ Bass und einer stark linear, melismatisch geprägten Oberstimme. Denken wir an die folgende im I. Brandenburgischen Konzert, 2. Satz:

Bach I Brandenburgisches Adagio

Wo allerdings die kontrastierende Komponente im Unterbau fehlt. Stattdessen finden wir sie im „Mittelbau“ der folgenden Musik:

Bach Johannespassion

(Oben:) Der Anfang der Johannes-Passion, erste Fassung uraufgeführt 1724, moderner Klavierauszug. Man stelle sich vor, dass man aus Bass und Sechzehntel-Figuren eine gut spielbare klavieristische Figur für die linke Hand formt und unser Praeludium ins Auge fasst, das ich mir im gleichen Tempo vorstelle. Natürlich hat diese Figur „etwas zu bedeuten“. Wenn auch nicht immer und überall genau das gleiche.

Dem Programmheft der Kölner Philharmonie (Gardiner-Aufführung 29.3.2013) entnehme ich den Hinweis:

In der gesamten Anlage des Eingangschores sieht der Bach-Forscher Martin Geck die göttliche Trinität abgebildet: so stehen die sich in reibenden Dissonanzen vorwärtsschiebenden Oberstimmen der Holzbläser (Flöten, Oboen) für den Leidensweg Christi. Sie werden auf eine gleichmäßig wogende Sechzehntelbewegung der Streicher gebettet; von Geck als »Wehen des heiligen Geistes« interpretiert. Weiter meint er, beides ruhe auf dem Fundament der »unerschütterlichen Ruhe Gottvaters«, symbolisiert im Orgelpunkt der Bässe.

Ich habe den Text nicht bei Martin Geck selbst nachgeschaut, aber wie auch immer er es näher begründet: an ein „Wehen des Heiligen Geistes“ in dieser massiven Form mag ich nicht glauben. Und tatsächlich finde ich bei John Eliot Gardiner eine ganz andere Auffassung:

Die Tonart – g-Moll – steht von Purcell bis Mozart in der Regel für eine Klage. Der unerbittliche Puls der Tonwiederholungen in der Basslinie, die unnachgiebige Seufzerfigur in den Bratschen und die wirbelnden Bewegungen in den Geigen, die einen so lebhaften Eindruck von Tumult vermitteln, dass man förmlich das Wogen einer aufgebrachten Menge vor Augen hat – all das verleiht dem Stück ein einzigartiges Pathos. Vor dem Hintergrund dieses Brodelns setzen die in einen lyrischen, aber von qualvollen Dissonanzen durchsetzten Dialog vertieften beiden Bläserpaare aus je einer Flöte und einer Oboe eine ganz andere Form der Körperlichkeit in Szene, die ein erschütterndes Bild von in nacktes Fleisch getriebenen Nägeln zu erzeugen vermag.

Bis hierhin könnte man das als stark emotional aufgeladene Darstellung der Kreuzigung interpretieren, bei der jedes dieser Motive unsere Aufmerksamkeit fesselt und gleichzeitig auf seine Wechselwirkung mit allen anderen lenkt. Doch dann beginnt die in den ersten neun Takten stabile Basslinie chromatisch abzusteigen, und die Musik schwillt allmählich an. (…) Mit dem Einsatz des Chores geschieht etwas Unerhörtes und Schockierendes: Anstelle einer Wehklage lässt Bach ein Loblied auf die universelle Herrschaft Christi erklingen: „Herr, unser Herrscher, dessen Ruhm / in allen Landen herrlich ist“ (Psalm 8)* –

Anmerkung: *Die überraschenden Gegensätze, mit denen Bach hier arbeitet – zwischen der „Herrlichkeit“ Jesu und seiner „Niedrigkeit“ -, lassen sich bis zu den drei Predigten über den 8. Psalm von Johann Arndt zurückverfolgen (Johann Arnd, Auflegung des gantzen Psalters Davids, Lüneburg,1643).

– ein Vorgang, der in den Passionsvertonungen seiner Zeit ohne Beispiel war. Die Stimmen setzen gemeinsam ein, in drei kurzen Stichen: Herr! …Herr! … Herr! Der Eindruck eines doppelten Affektes könnte deutlicher nicht sein: Das so vor unserem geistigen Auge entstehende Porträt zeigt, einem riesigen byzantinischen Mosaik gleich, Christus in seiner ganzen Herrlichkeit – aber einen Christus, der auf das Getümmel der verzweifelten, sündigen Menschheit herabblickt. Bach hat einen Weg gefunden, jene schlichte Dualität abzubilden, die Johannes so häufig kultiviert: zwischen Licht und Dunkel, Gut und Böse, Geist und Fleisch, Wahrheit und Falschheit. Im weiteren Verlauf des Satzes wird schnell klar, dass die Dualität hier die Gestalt eines Längsschnitts annimmt, zwischen dem göttlichen, am Kreuz „erhöhten“ Christus, der alle Menschen zu sich zieht – und seiner „Erniedrigung“ zur Rettung der Menschheit. Die Majestät Jesu offenbart sich somit, wie es ein pietistischer Zeitgenosse Bachs ausdrückte, „hinter dem Vorhange des Leidens“.

Quelle John Eliot Gardiner: BACH Musik für die Himmelsburg / Carl Hanser Verlag München 2016 (Seite 426 f)

Dies scheint mir in die richtige Richtung zu gehen, das „Wogen einer aufgebrachten Menge“ ist plausibler als das „Wehen des Heiligen Geistes“, den ich eher in den Zwischenspielen der großen Großen Violinfuge in C-dur (BWV 1005) wahrnehme. Und natürlich in der luftig-leichtfüßigen Motette „Der Geist hilft unsrer Schwachheit auf“ (BWV 226), deren abschließender Choral im Fugenthema der Sonata aufgegriffen wird. (Übrigens interessieren mich all diese theologischen Fragen ausschließlich in Bezug auf Bach, nicht im Namen der „christlichen Werte des Abendlandes“.)

Zurück zum Wohltemperierten Clavier I/10 e-moll (BWV 855): Es ist wichtig, den engen Zusammenhang der Fuge mit dem Praeludium zu beschreiben. Auch die Tempofrage. Zunächst aber die Tatsache, dass es die einzige ernsthaft zweistimmige Fuge, die im ganzen Wohltemperierten Clavier (oder sogar in Bachs Gesamt-Werk) vorkommt, und innerhalb gerade dieser Fuge die beiden Unisonotakte, die nicht auf Gott oder die Einheit der Trinität bezogen scheinen*, sondern – wenn man das Fugenthema so deuten darf – auf den Teufel, der – vielleicht –  auf das allzu leichtfertige Zwischenspiel reagiert…

*wie in der Matthäus-Passion „Er ist Gottes Sohn“ oder – auf andere Weise – in der H-moll-Messe „Et in unum“. Symbolische Übereinkünfte, die schon bei Monteverdi („Duo Seraphim“) zur geistlichen Komponiertechnik gehörten.

Übrigens finde ich die Frage der Temporelation im Praeludium und des Prestos zur nachfolgenden Fuge in den meisten Interpretationen schlecht gelöst. Die Fuge darf nicht ebenfalls als Presto aufgefasst werden, sondern so stabil und „gezackt“, dass die Unisono-Takte als solche hervortreten, deutlich wahrnehmbar sind, auch als Teiler oder Pfeiler. Goulds Leggiero-Prestissimo mag technisch bewundernswert sein, verfehlt aber den Charakter dieser Fuge vollständig. Dementspechend auch noch den letzten Takt, den ausdrücklich von Bach gekürzten, arpeggierten Schlussakkord.

Sonderbar finde ich das von Alfred Dürr vorgeschlagene stringendo vor dem Presto des Praeludiums (Andras Schiff spielt es), würde stattdessen eher das Gegenteil bevorzugen, ein sanftes Verebben; und das neue Tempo erst ab zweitem Sechzehntel des Prestotaktes, nicht schon das erste als heftigen Absprung inszenieren! Auch die Abschnitte des Prestos voneinander absetzen, z.B. entsprechend dem Zuwachs der Stimmen, es muss nicht metronomisch bis zum letzten Takt durchgepeitscht werden. Absurd auch, was zuweilen mit den Harmonieachteln der ersten Praeludium-Teils angestellt wird (anstelle eines leichten Arpeggios), was für ein fehlgeleitetes Raffinement etwa bei Koroliev! Unbegreiflich übrigens, was ein tüchtiger Klavierspieler wie Stadtfeld über das Wohltemperierte Clavier daherredet (youtube!). Man darf eigentlich erwarten, dass sich Musiker bei solchen Werken nicht nur mit der Tastatur, sondern auch mit analytischen Büchern auseinandersetzen und z.B. nicht von vier bis fünf Stimmen reden, wenn fast alle Fugen dreistimmig sind. Ich bewundere die Trillertechnik mancher Pianisten, verstehe aber nicht, weshalb sie bei Bach als eine Art Fahrradklingel-Effekt eingesetzt wird.

Im folgenden Beispiel habe ich Glenn Goulds sinnlose Artikulationsvarianten in der linken Hand rot gekennzeichnet, alle Zweierbindungen bringt er penibel abphrasiert (übrigens haben seine – hier ebenfalls rot eingezeichneten – Varianten der Melodiestimme keinerlei Grundlage):

Glenn Gould Phrasierung e-moll

Er bemüht sich, die offensichtlich gemeinte Gleichmäßigkeit der linken Hand abzuschwächen und „interessant“ zu machen, den rollenden Untergrund in kleine bedeutungsvolle Gesten zu zerteilen. Jeder, der dies als interpretatorische Möglichkeit imitieren wollte, würde sich lächerlich machen: aber warum sollte ich es bei Glenn Gould akzeptieren? Er ist es ja, der das von Bach Komponierte nicht akzeptiert.

Noch ein Wort zu Glenn Gould (21.2.17)

Wer weitere Beispiele seiner künstlerischen Willkür hören will, muss nicht lange suchen. In der Französischen Suite G-dur hat er aus der Allemande einen Schnaderhüpfel gemacht, indem er die an allen möglichen Stellen hinzugedichteten Vorhalttöne (von oben) auch noch im Staccato absetzt und ein viel zu schnelles Tempo durchzieht. Noch grotesker behandelt er die Sarabande. Ich habe dafür nur ein Wort: zickig. Es hat mit heilsamer Verfremdung nichts zu tun, es ist die Karikatur dessen, was in den Noten ablesbar ist. Nur unter diesem Aspekt könnte es diskutierbar sein: wir reißen Bach die frömmelnde Maske vom Gesicht. Phantom Bach! Aber nichts zwingt uns dazu, ihn einem Klavier-Phantom zuliebe so zu sehen.

Von den Jüden

Rassismus und Verwandtes

Wolfgang Schreiber berichtete in der SZ über die Ausstellung im Bachhaus Eisenach, die hier an lässlich der Hagedorn-Rezension (siehe hier am Ende des Beitrags) schon erwähnt wurde:

Den Begriff Antisemitismus gibt es erst seit 1860, er gilt etwa für Richard Wagner und dessen fatale Schrift über „Das Judentum in der Musik“. Ins Zentrum trifft dagegen hier der Terminus „Antijudaismus“. So zeigt die Ausstellung in einer Vitrine das Faksimile der Lutherbibel des zeitgenössischen Theologen Abraham Calov, die Bach nachweislich benutzt hat. In ihr hat Herausgeber Calov zwischen die Bibeltexte Auszüge aus Luthers Schriften eingestreut. Und Bach hat in dem Buch ein halbes Dutzend Stellen angestrichen, in denen von der „Schuld“ der Juden die Rede ist: Martin Luther hält die Juden für „verworfen“, weil sie in ihrem „Unglauben“ Jesus nicht als den Erlöser anerkennen. Zu Recht seien sie aus Israel „vertrieben“ worden.

Luthers theologisch begründeter Judenhass ist mit seiner 1543 gedruckten Hauptschmähschrift „Von den Jüden und ihren Lügen“ dokumentiert. Sie gipfelt in der Aufforderung „Drumb Jmer weg mit jnen“. Das erlebte seine furchtbare Wiederaufnahme 1938 im Traktat des Thüringer Landesbischofs Martin Sasse: „Martin Luther. Über die Juden. Weg mit ihnen“. Sasse ist hier so präsent wie der Hamburger Pastor Johannes Müller und dessen Buch von 1707, „Judaismus und Jüdenthum. Das ist: Ausführlicher Bericht, von des jüdischen Volcks Unglauben, Blindheit und Verstockung“.  Das Buch befand sich in der mit 81 theologischen Schriften recht solide ausgestatteten Bibliothek des Leipziger Thomaskantors Bach.

Quelle Süddeutsche Zeitung, 13. September 2016 Seite 12 Sie wollten alle Ungläubigen vertreiben Wie sich Johann Sebastian Bach für Luthers Antijudaismus begeisterte, zeigt eine Ausstellung in Eisenach.

Ob Begeisterung das richtige Wort ist für Bachs Haltung, bleibe dahingestellt. Begeisterte sich Luther für den Teufel, als er mit dem Tintenfass nach ihm warf? Was „böse“ genannt wurde und was nicht, gehörte zu den verpflichtenden Glaubensinhalten. Stand es so in der Bibel oder nicht?! Konnte, musste man es so und nicht andes lesen?

Darüberhinaus gilt jedoch: dass man als Künstler aller Ausdrucksmittel bedurfte; dazu gehörte unabdingbar auch – sagen wir – das Toben der Feinde. Da spielte z.B. das Gebot der Feindesliebe keine Rolle. Würden wir auf einen Chor wie „Sind Blitze, sind Donner“ verzichten wollen, wenn der „falsche Verräter“ in Wahrheit der wäre, der es gut mit uns meint?

Der entscheidende Punkt ist aber der Bezug auf die Realität. Gilt dieses Wüten gegen den Feind auch als Ermutigung für den Alltag? Welchen Beweis hätten wir für Bachs Verhalten im täglichen Leben? Absurde Frage: welcher Partei hätte er sich angeschlossen?

Vielen von uns ist es sicher erst aufgefallen, als in der Neuen Bachausgabe auch die alten Schreibweisen der Texte berücksichtigt wurden: Nun war in den Passionen plötzlich von „Jüden“ die Rede, und beim Hören erschrak man, ob das nicht abfällig gemeint sein könnte; was man keinesfalls begünstigen wollte. Aber niemand ging ernsthaft dieser Frage nach, – glaubte man sich doch bei Bach und Luther in sicheren Händen. Wieso eigentlich? Sie waren beide Kinder ihrer Zeit, und Luther war für ein neues Zeitgefühl erheblich verantwortlich, aber auch, so scheint es heute, für das Überdauern vieler mittelalterlicher Relikte. Wer weiß, in welchem Maße sich Reformation und Gegenreformation die Waage hielten, wenn es um die Mittel des Machterhaltes ging.

Luthers kapitale Fehler ließen sich mit Argumenten der viel späteren Aufklärung vom Halse schaffen, Bachs Matthäuspassion allerdings nicht: zu groß war ihre künstlerische Überzeugungskraft, man konnte sie nicht durch korrigierende Maßnahmen, die jeder in ihrer Verkrampftheit erkannte, hoffähig auf theologischer Ebene machen. Noch einmal Wolfgang Schreiber:

Der Protestantismus habe sich zwar vom Antijudaismus Luthers befreit, heißt es in einem Begleittext der Ausstellung, nur Bachs Passionen gäben dem „unaufgeklärten Luthertum des Barock“ noch immer eine Stimme. Das führt ins Zaudern und ins Schwanken: „Soll man sie nur noch wie Opern aufführen, im Konzertsaal, nicht in der Kirche?“ Vielleicht könne man eigens im Beiblatt zu einer Aufführung vor Fehlinterpretationen warnen, wie es der Leipziger Superintendent 1989 tat. Oder sollten Musiker gar dazu aufgefordert werden, „die verfänglichsten Stellen weniger engagiert darzubieten?“ Das Problem werde nur mit Bachs Musik gelöst, sie gewinne gerade aus den Gegensätzen ihre Überzeugungskraft – durch das Mit- und Gegeneinander der hasstriefenden Turba-Chöre und der Choräle kollektiver Glaubensstärke, dazu der Arien als subjektiv-individueller Zuneigung zu Christi Opfer.

Was für gedankliche Verbiegungen! Man sollte noch einmal Nietzsches Sätze zur Matthäuspassion lesen, dann das Buch von Hans Blumenberg und dann auch noch die diesem nicht ganz wohlgesonnene Kritik von Christoph Türcke in der ZEIT 1989: hier.

***

Aus Luthers Original-Übersetzung „Deudsch 1545 / Auffs new zugericht“ (siehe hier):

33 DA gieng Pilatus wider hin ein ins Richthaus / vnd rieff Jhesu / vnd sprach zu jm / Bistu der Jüden König?
34 Jhesus antwortet / Redestu das von dir selbs / Oder habens dir andere von mir gesagt?
35 Pilatus antwortet / Bin ich ein Jüde? Dein Volck vnd die Hohenpriester / haben dich mir vberantwortet / Was hastu gethan?
36 Jhesus antwortet / Mein Reich ist nicht von dieser welt / Were mein Reich von dieser welt / meine Diener würden drob kempffen / das ich den Jüden nicht vberantwortet würde. Aber nu ist mein Reich nicht von dannen.
37 Da sprach Pilatus zu jm / So bistu dennoch ein König? Jhesus antwortet / Du sagsts / Jch bin ein König. Jch bin dazu geboren / vnd in die welt komen / das ich die Warheit zeugen sol. Wer aus der warheit ist / der höret meine stimme.
38 Spricht Pilatus zu jm / Was ist warheit. / VND da er das gesaget / gieng er wider hin aus zu den Jüden / vnd spricht zu jnen / Jch finde keine Schuld an jm.
39 Jr habt aber eine gewonheit / das ich euch einen auff Ostern los gebe / Wolt jr nu / das ich euch der Jüden König los gebe?
40 Da schrien sie wider alle sampt / vnd sprachen / Nicht diesen / sondern Barrabam / Barrabas aber war ein Mörder.
***
Zurück zum Thema:

Es ist gut, zunächst einmal zwischen Antisemitismus und Antijudaismus zu unterscheiden. Aber auch den Rassismus wohl zu unterscheiden vom bloßen Fremdenhass. Der Rassismus kann alle uns nahestehenden Menschengruppen treffen, ja, unsere nächsten Verwandten, sofern wir sie nur als nicht recht zugehörig „dingfest“ machen und so einem Außenbezirk zuordnen können. Man sehe nur, wie es den Juden in Spanien erging.

Aufgrund der langen Dauer der Reconquista und der Tatsache, daß das Judentum bis zum 14. Jahrhundert in Spanien mehr als sonst in Europa ein integraler und kulturell einflußreicher Bestandteil der Gesellschaft gewesen war, konnte nun die Suche nach dem ‚unreinen Blut‘ prinzipiell jeden treffen, die Landbevölkerung ebenso wie den spanischen Adel. Zunächst nur im Blick auf die Conversos und Marranen, sehr bald aber bezogen auf das ganze Judentum sowie auf die zwangsbekehrten Muslime (moriscos), wurde jetzt zum ersten Mal von ‚Race‚ gesprochen. Hatte der noch junge Begriff bis dahin allein in der Pferdezucht und in der Verherrlichung adeliger Geschlechter eine Rolle gespielt, so diente er jetzt der Aufspürung zu bekehrender Gruppen.

[Hier wurden zum ersten Mal] mit Hilfe des Rassenbegriffs neue, scheinbar natürliche Kategorien der Zugehörigkeit erfunden. An die Stelle des Glaubensbekenntnisses trat jetzt die Abstammung als zentrales Merkmal von Zugehörigkeit.

Quelle und Zusammenhang s.a. hier.

Als Einführung in die grundsätzlichen Probleme jeglicher Rassentheorie und auch in die Problematik der pauschalen Ablehnung einer biologistischen Sicht menschlicher Unterschiede verwende (und empfehle) ich die Ausführungen von Jörg Albrecht und Ulf von Rauchhaupt im FAZ-Netz hier („Gibt es menschliche Rassen?“).

Versuch einen Bach einzuordnen

ZITAT (Ein Rätsel)

Bach entsann sich seines Gehrener Großoheims. Er war sieben Jahre alt gewesen, damals, als sich die Bache in Arnstadt trafen und allesamt den Heinrich Bach besuchten, der in seinem Zimmer lag und sonderbare Reden von sich gab. Wieder sah er die weißen Haare auf dem Linnen. Johann Michael Bach aus Gehren und Johann Christoph Bach aus Eisenach, die Söhne des Sterbenden, standen seitwärts in jenem Zimmer, friedfertig der eine aus Gehren, der sich immer klaglos in sein Schicksal fügte, und ungeduldig und immer voller Zorn der andere aus Eisenach, der mit ihnen nach Arnstadt gekommen war.

Als sie aufbrachen aus Eisenach, waren sie zu viert. Er, Bach, lief mit seinem Bruder Johann Jacob hinter dem Vater und dem Großoheim her, die beide gewaltig ausschritten. Johann Christoph gebrauchte starke Worte gegen die Eisenacher Obrigkeit, so sehr manchmal, daß die beiden vor ihnen in Streit gerierten. In Ohrdruf kam der ältere Bruder dazu, da waren es zwei Johann Christophs, die einander in Worten und Gebärden unterstützten und nun gemeinsam den Vater bedrängten, während sie immerfort liefen durch den Tambuch und durch Bittstädt und wieder über den Kamm der Berge bis nach Arnstadt. Sie beide, Johann Jacob und er, hatten Mühe, Schritt zu halten, und er wußte noch, daß linker Hand sich unendlich weit die Ebene erstreckte, während sie auf der Höhe liefen und die grelle Sonne über ihnen immer mitging und schwarze Schatten auf den Weg warf. Es fiel ihm ein, daß sein Vater viel eher dem Johann Michael aus Gehren glich als dessen Bruder. Auch er war unendlich geduldig, klagte nie und verurteilte niemanden.

„Wie sind Sie denn, Monsieur Bach, mit dem Gehrener Bach verwandt gewesen?“ Der Direktor der gräflichen Kapelle sah ihn an und fuhr fort: „Es gibt so viele Bache, daß man sie kaum auseinander halten kann.“

„Sein Großvater, der Spielmann aus Wechmar, war mein Urgroßvater. So hat es mir mein Vater erklärt.“

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Ich ahne, warum ich damals diese Biographie zu lesen aufgehört habe: Wahrscheinlich habe ich nicht mehr durchgefunden. Heute ist es relativ leicht. Und vor allem: die letzte Motivation ist da… Ich verrate zunächst die Herkunft des Zitates:

Quelle Martin Stade: Der junge Bach / Roman / Hoffmann und Campe Hamburg 1985 / Seite 100 f

Jetzt folgt ein Ausschnitt aus dem zuverlässigen Stammbaum der Bach-Familie, der sich auf der Innenseite des rückwärtigen Buchdeckels von „Bachs Welt“ befindet, des Werkes, das ich nun seit unserem Arnstadt-Besuch am 11./12. Juli immer wieder zitiere. Autor: Volker Hagedorn. Rot umkreist sind die Namen, die im obigen Zitat vorkommen.

Bach Stammbaum Detail (Ausschnitt)

Weshalb ich ins Grübeln geriet: wer ist der zu Anfang des Zitates erwähnte Gehrener Großoheim, dessen sich [Johann Sebastian] Bach entsann? Und wo liegt überhaupt Gehren? (Es liegt im Ilm-Kreis, südwestlich von Rudolstadt.) War er etwa zuerst aus Gehren nach Eisenach gekommen, um dann mehr als die Hälfte des Wegs zurückzuwandern nach Arnstadt?

Mit dem Großoheim könnte Heinrich Bach (16) gemeint sein, denn der war der Bruder von Johann Sebastians (24) Großvater Johann Christoph (5). Dessen Sohn (Vater Johann Sebastians) hieß Ambrosius (11).  Johann Michael Bach (14) aus Gehren und Johann Christoph Bach (13) waren Söhne von Heinrich Bach (16), sie waren also Cousins von Ambrosius (11).

Als sie zu viert von Eisenach nach Arnstadt wanderten, offenbar in zwei Zweiergruppen, liefen hinten Johann Sebastian Bach und sein Bruder Johann Jacob, vorneweg der Vater (11) und – der Großoheim (?). Wie bitte? Liegt der nicht im Sterben? Sogleich wird jedoch der Name Johann Christoph genannt, offenbar der Cousin (13) des Ambrosius (11), beide Eisenacher, die verständlicherweise über die Eisenacher Obrigkeit diskutierten, „so sehr manchmal, daß die beiden vor ihnen in Streit gerieten“. Vor ihnen? Sie schritten doch als erste, oder ist dies nun wieder von der hinteren Zweiergruppe aus erlebt? Offenbar. „In Ohrdruf kam der ältere Bruder dazu“, dessen Name ebenfalls Johann Christoph (22) ist, „da waren es zwei Johann Christophs“ (13 und 22), die „nun gemeinsam den Vater bedrängten“, nämlich den Ambrosius (*1645), der nur Vater des zweiten (*1671), jedoch Cousin des ersten (*1648)  war, all drei gesehen aus der Perspektive Johann Sebastians. Aber nennt man, nannte man etwa den Cousin des Vaters nun auch „Großoheim“? – ich glaube nicht, vielleicht Großcousin, oder damals eher Großvetter, oder vielmehr – gar nichts mit „Groß-“ . Erschwert wird die Sache dadurch, dass bis 1750 der Begriff Oheim (Onkel) sich nur auf Bruder oder Schwager der Mutter bezog. Man studiere das alles anderenorts.

Der Grund, weshalb in diesem – übrigens durchaus gut geschriebenen – Roman der fälschlich „Großoheim“ genannte Onkel namens Johann Christoph (13) an dieser Stelle eine Rolle spielt, liegt in dessen Gehrener Bruder Johann Michael (14), der beim Erzählzeitpunkt bereits verstorben war.

Denn: seine Witwe lebt, und bei ihr soll es noch ein gutes Clavicord geben, vor allem aber auch vier hübsche Töchter. Und die jüngste unter ihnen – ja, das Märchen ist wahr – sie heißt Barbara und soll im Laufe des Romans Johann Sebastians erste Frau werden…

Wir aber wissen nun, was es bedeutet, wenn man sagt, er habe seine Cousine geheiratet. Es stimmt nicht so ganz. Nicht die Väter waren Brüder, sondern zwei der Großväter (in der männlichen Linie).

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Siehe auch u.a. den Artikel „Mit Bach in Arnstadt und Wechmar“ HIER.

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Habe ich recht? Die Geschichte geht später weiter, nach einer Schlägerei im Wirtshaus, in der Dachkammer:

Zuerst schlief er fest und traumlos, doch gegen Morgen stahlen sich ständig wechselnde Bilder in seinen Schlaf, die von Mal zu Mal deutlicher wurden.

Er lief neben dem drei Jahre älteren Bruder Johann Jacob, umgeben von dichten Dornenhecken, die immer wieder zurückwichen, er war müde und schrie, seine Beine täten ihm weh und er wollte zu seiner Mutter nach Eisenach, doch der Bruder, einen Kopf größer als er, packte ihn bei der Hand und zog ihn immer weiter. Vor ihnen lief plötzlich der Oheim, der Vater und sein großer Bruder aus Ohrdruf, der Oheim gestikulierte und schrie störrische Worte in den Himmel über sich, die Hecken wichen zurück und gaben den Blick frei auf Berge und Wälder zur rechten und auf die weite Tiefebene zur Linken, wo die Kirchtürme der Dörfer spitz und reglos wie verwurzelt mit der Erde und den Behausungen der Menschen sich erhoben und alles andere überragten. Und so liefen sie alle fünf weiter, unter der grellen, schattenwerfenden Sonne, bis sie plötzlich unter sich und vor ihnen Arnstadt erblickten, vieltürmig und die Häuser zusammengedrängt wie eine herde Schafe vom Band der steinernen Mauer.

Die drei Männer vor ihnen verharrten und sprachen ein Gebet, da sie angekommen waren und aus der Stadt heraus Glockengeläut erscholl. Kaum waren sie zu Ende damit, begann der Oheim wieder heftig zu reden, und er, das Kind Johann Sebastian, starrte ihn offenen Mundes an, da es ihm sonderbar vorkam, daß man seinem Vater Vorwürfe machen konnte.

„Du, Ambrosius, bist still und zahm wie ein neugeborenes Lamm. Du läßt dich hin und her schubsen und weißt nicht, was sich für unsereinen gehört. Du bist ebenso wie mein Bruder, der in Gehren sitzt. Der läßt sich die Hände binden und macht alles, was man von ihm will.“ der Oheim hielt inne, ließ die Hände sinken und sagte, indem er auf die Dörfer in der Ebene sah: „Mein Vater Heinrich hat es uns allen gesagt, daß wir von dort kommen und daß der Bauer Claus Bach zu uns gehört, den sie von 150 Jahren bei Mühlhausen verbrannt haben. Und den Caspar Bach sollen wir auch nicht vergessen, der zwanzig Jahre vorher bei Münzer und Pfeifer gewesen ist. Der Mensch soll sich wehren, solange es geht, daß er reinen Gewissens vor seinen Gott treten kann, wenn es soweit ist.“

Bach wußte, daß er im Bett lag und träumte. Er träumte und sah sich selbst, einen Jungen von sieben Jahren, der offenen Mundes und mit großen Augen den Oheim und den Vater ansah, diesen erregten und zornigen Oheim und seinen Vater (….).

Quelle Martin Stade: Der junge Bach / a.a.O. Seite 120 f

Wessen Visage ist das denn?

Ich will niemandem zu nahe treten, am wenigsten dem hier dargestellten Menschen eines anderen Jahrhunderts, aber auch nicht dem musizierenden Freund, der einen Bach-Abend gab und als Schmuck des Programms dieses Gemälde beifügte. Jedenfalls kann ich in Betrachtung dieser Visage nicht konzentriert zuhören: wie nennt man das, wenn jemand einen so impertinent mustert? Im nächsten Moment wird er mich aus dem Saal weisen, ja, er ist eine Aufsichtsperson, er bezweifelt, dass ich überhaupt eine Eintrittskarte habe.

Wenn dies hier das Gesicht von Johann Sebastian Bach ist, dann hat dessen Musik ein ganz anderer geschrieben. Vielleicht Shakespeare oder Casanova oder James Cook oder Rabelais. Aber nicht dieser Mann.

Bach visuell

Ich weiß nicht, welche Berechtigung besteht, ihn für Johann Sebastian Bach auszugeben. Schon wieder ein falscher Ton in der Überlieferung? Ein schlechter Zug um den Mund, ein kleinbürgerlicher Blick? Nein, nicht der Dargestellte ist zu diffamieren, er wird ja erst lächerlich, wenn man seine Bedeutung überschätzt. Ohne die Sonntagskleidung, einfach so als Schneider oder hinterm Bankschalter: super, der Mann!

Es geht nicht anders, wir sind aufgerufen nachzuforschen, – ad acta legen, das geht überhaupt nicht. Es sei denn, unter einem anderen Namen. Meinetwegen auch als Johann Jacob Reichow, Mühlenbesitzer in Roggow/Hinterpommern.

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Ich füge einmal an, was ich auf die Schnelle fand. Neben dem Bild war zu lesen – abgesehen von dem Namen, den ich nicht akzeptieren mag – „Meininger Pastell“ von Gottlieb Friedrich Bach.

Wer ist das?

Kabinettmaler, Hoforganist; geb. 10. 9. 1714, gest. 24. 2. 1785 (begraben 26. 2.1785). Der
jüngere Sohn von Johann Ludwig Bach besuchte das Meininger Lyzeum, trat 1721 in die IV.
Klasse ein und verließ es 1729 nach Absolvieren der Primarstufe. Nach dem Tod seines
Vaters 1731 spielte er bis zur Rückkehr seinesälteren Bruders Samuel Anton Jacob die Orgel in der Schloßkirche. Etc. etc.
Gottlieb Friedrich Bach unterhielt offenbar engere Beziehungen zu Johann Sebastian Bach sowie zu Carl Philipp Emanuel Bach. Möglicherweise hielt er sich zwischen 1740 und 1745 in Leipzig auf und malte ein Bild von Johann Sebastian Bach. Ein Porträt Carl Philipp Emanuel Bachs ist jedenfalls bekannt.

Und wer war sein Vater Johann Ludwig Bach?

Lehrer, Kantor, Pageninformator, Hofkantor, Kapellmeister, Komponist, Lehrer; get. 6. 2.
1677 Thal, begraben 1. 5. 1731 Meiningen. Der Sohn von Johann Jacob Bach (1655 -1718)
und Anna Martha Bach, geb. Schneider wuchs wie sein 8 Jahre jüngerer Vetter Johann
Sebastian in einem musikalischen Haushalt auf und erhielt die erste musikalische Ausbildung bei seinem Vater. Er besuchte 1688 -1693 die Lateinschule in Gotha, wo u. a. Wolfgang Michael Mylius (1636 -1712) und Johann Pachelbel wirkten. Etc. etc.
1726 führte Johann Sebastian Bach mehrere Kantaten Johann Ludwig Bachs in Leipzig auf. Von Johann Ludwig Bachs weltlichem und geistlichem Werk ist nur ein Bruchteil erhalten. Das eindrucksvollste Werk der überlieferten geistlichen Vokalmusik ist die Trauermusik auf den 1724 verstorbenen Herzog Ernst Ludwig I. von Sachsen-Coburg-Meiningen.

Quelle 
Maren Goltz : Musiker-Lexikon des Herzogtums Sachsen-Meiningen (1680 – 1918) HIER

WIKIPEDIA: https://de.wikipedia.org/wiki/Gottlieb_Friedrich_Bach ,  darin zu lesen:

Er porträtierte seinen Vater Johann Ludwig Bach, Carl Philipp Emanuel Bach sowie Mitglieder des Meininger Herzoghauses und andere Thüringer Fürsten. Carl Philipp Emanuel Bach berichtete auch von einem Porträt Johann Sebastian Bachs, doch ist darüber heute nichts Sicheres bekannt.

Das Rätsel ist geklärt (jedenfalls mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit):

Bach-Porträts Screenshot 2016-01-30 21.22.20

Erkennen Sie das Portrait wieder? Rechte Seite, in der Mitte. Es handelt sich demnach um Wilhelm Friedemann Bach. Und direkt darüber befindet sich ein mit Fragezeichen versehenes Bild von „Johann Sebastian Bach“ (auch hier würde ich sagen: ihn stellt es keinesfalls dar). Mittlere Spalte, Bild 1 und 2: Carl Philipp Emanuel Bach? Ja, er ist es unverkennbar. (Friedemann – rechts – ist ebenfalls glaubwürdig, vgl. z.B. hier. Jetzt würde ich den Gesichtsausdruck natürlich auch ganz anders deuten…)

Quelle Neil Jeffares: Dictionary of pastellists before 1800, online editin, darin: BACH, Gottlieb Friedrich / Meiningen 1717–1785 – Aufzufinden HIER.

Nachtrag 8. Februar 2016

Der kritisierte Freund hat mir widersprochen, und ich fürchte – er hat recht, hier seine Mail:

Du hast vermutlich übersehen, dass in dem Online-Buch von Jeffares die Abbildungen unter dem Text stehen und nicht darüber.

Friedemann wäre, als das Bild entstand, erst 20 Jahre alt gewesen. Das Bild darunter stellt ihn dar. Auch hier ist die Zuschreibung nach Meinung des Autors zweifelhaft. Im übrigen gäbe es keine Ähnlichkeiten mit den zwei (?) bekannten Portraits von Friedemann (Das allgegenwärtige mit dem Schlapphut scheint sowieso falsch zu sein).

Was bei der Zuschreibung an Johann Sebastian „doubtful“ ist, wäre noch herauszufinden, interessiert mich aber nicht wirklich (…).

***

Ich gebe zu, es war voreilig von mir, an die Unfehlbarkeit dieser verdammten Liste von Pastellbildern zu glauben. Und obendrein noch selbst die beschreibenden Texte den falschen Bildern zuzuordnen! 

Ich hätte wenigstens ahnen können, dass es längst eine regelrechte Forschungsrichtung zur Authentifizierung überlieferter Bach-Portraits gibt. Wie glücklich bin ich nun, dass die kritische Reaktion des Freundes eine neue Suche ausgelöst hat, die zu einem durchaus hoffnungsvollen Neuanfang geführt hat. Ob „doubtful“ oder nicht, es interessiert mich nachhaltig. Denn eines Tages wird mir Bach im Traum erscheinen, und er soll bitte genau so ausschauen, wie auf dem Bild von Haussmann, mir den Kanon entgegenhalten und rufen: „Und das hab‘ zum Zeichen!“ ich werde entgegen: „Moment, darf ich einmal die Handschrift überprüfen!?“

Auch die folgende Website habe ich allerdings noch nicht gründlich geprüft, sie bietet jedoch reichen Stoff zum Weiterforschen und beruht auf einem Wissensstand, von dem ich vor 5 Tagen nur träumen konnte.

Sehen Sie also THE FACE OF BACH ………….. HIER.

Nach-Nachtrag 10.02.2016

Gewiss: Alles bewundernswert, was man da zu lesen und zu sehen bekommt. Nur der entscheidende Punkt, dass dieses Bach-Bild, das mich irritierte, vielleicht doch authentisch ist, bleibt ganz und gar unglaubwürdig. Da hilft auch keine Schädelanalyse. Inzwischen habe ich dem Mann so lange ins Antlitz geblickt, bis ich zu der Überzeugung kam: er ist ein Vorfahr von Peter Sloterdijk. Nur die Haare trägt er schöner. (Ja, wer von beiden? das lasse ich offen.) Ich habe die hundert Seiten der Bach-Kantaten-Behandlung noch nicht studiert, – ist es mehr das Werk eines akribischen Rechtsanwalts oder eines höchst systematisch engagierten Laien-Musikers? Ganz ratlos machen mich seine Tränen, etwa, wenn der Autor über Bachs Bildnis (natürlich doch das eine von Haussmann) gesprochen hat, seine mutmaßlich lebensfrohen Aktivitäten (Rauchen, Trinken, Bett) und schließlich auf die eigene größmögliche Nähe zum Komponisten kommt: er nimmt die Handschrift der Kantate BWV 7, blättert mit ungeschützten Fingern darin herum und ist zutiefst gerührt. (Ähnlich erschüttert sagt er seiner Meisterin Rosalyn Tureck am Ende eines anderen Filmes – https://www.youtube.com/watch?v=mAFPfflNex0 – zu ihrem 100. Geburtstag und 10. Todestag ein schlichtes „Danke, danke“.)

Heute habe ich nochmal in einen schönen Bildband geschaut, der zum Bach-Jahr 1985 herausgekommen ist, – wer weiß, ob ich damals die Seite 142 überhaupt beachtet habe (indiskutabel); bestimmt habe ich nur gedacht: das Bild auf Seite 143 muss doch von Adolph Menzel sein!? (Ist es natürlich nicht!)

Bach Friedrich II

Bach & Friedrich II