Archiv für den Monat: August 2018

Visuelle Reisenotizen: Herrenhausen

Wer öffnet mir das goldene Tor?

 Wo geht’s zur Bühne?

Jetzt kann ich es lokalisieren: meine Position (oben) wäre auf diesem Plan von 1704 vor dem Gartenviereck ganz unten links, die Orangerie; das runde Beet bzw. der Brunnen liegt in meinem Rücken ebenso wie das altrosafarbene Gebäude. Ich will den ganzen Großen Garten durchschreiten, fast bis zum Horizont, auf dem letzten Rund, in der Mitte oben, befindet sich die riesige Fontäne, die ich vielleicht von hier schon sehe. Die dazwischenliegenden Bäume sind natürlich jetzt viel höher.

Aber ich wollte sagen, wer mir die Augen geöffnet hat, ein Buch natürlich und – an diesem Punkt – wohl auch ein aufklärendes Schild:

 

Das Buch von Horst Bredekamp über Leibniz und die Revolution der Gartenkunst, sowie eine Info-Tafel im Garten, die klärt, was es mit dem „Heckentheater“ auf sich hat. Und weiter ist darüber zu sprechen, was es mit der Hecke bzw. mit deren Blättern für eine Bewandtnis hat. Und was das einzelne Blatt über die Frage der Individualität erzählt und wem der Philosoph dies in langen Gartengesprächen auseinandersetzt. Hier sein (mittel)großer Gönner und dessen wunderbare Frau Sophie, die sich für alles interessiert:

Wie solch ein Gespräch ausgesehen haben könnte, ein Stich 100 Jahre  später:

v.l.n.r. Hofdame, Carl August von Alvensleben, Leibniz, Hofdame, Herzogin Sophie.

E.R.s Gang durch den Großen Garten

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(Fortsetzung folgt hier)

Der weite Weg außerhalb des Gartens

Visuelle Reisenotizen: Steinhude

Wo ist denn das Meer?

  

 (Handy-Fotos: JR)

TABEERA / oder Denckmahl / Den 17. April am Tage Rudolphi genant / Sind XXXV Häuser und die Pfarr leyder abgebrand /

Steinhuder Meer: das Fahrrad ist der Schlüssel zum Land ringsumher!

Vorsicht bei angekündigten Volksfesten…

Rundfahrt 32 km. Auf der Hälfte: Mardorf merken. Winzlar, – anwesend bleiben: ÖSSM. Ökologische Schutzstation Steinhuder Meer. Oder auch gleich zu den Webcams (Fischadler, Seeadler, Vogelbiotop, Flussseeschwalbe).

(Fotos Bäume & Sonnenuntergang: ER)

Nachricht um 10 Uhr: Tante Lisel †

Visuelle Reisenotizen: Herford

Vom Labyrinth

  

  

Ein Raumkunstwerk wird interpretiert (Alle Handy-Fotos JR)

 

Künstlernamen: bunt 1-4 Song Dong, in rot 5 Chiharu Shiota, 6 hoch Christian Odzuck, 7 verschlungen Peter Kogler

 H. Kern über Labyrinthe

 

Der private Anlass der Reise: meine „Tante Lisel“ wurde 104 (s.a. hier)

Unmittelbar nach der Begrüßung spricht sie zu mir in Versen: „Von guten Mächten wunderbar geborgen“, die letzte Strophe des Bonhoeffer-Gedichts (s.a. hier). Beginnt sogleich mit ihrem Lieblingsthema (nach Martin Buber), dass sich das Ich im Du findet. Dann sagt sie, dass man erst am Ende des Lebens den roten Faden erkenne. Und ich denke daran zurück, als ich am nächsten Morgen im roten Fadengespinst stehe (s.o.). Das Hauptthema aber ist heute die Begegnung mit Eckart von Hirschhausen, der sich in diesem Jahr der Hundertjährigen angenommen habe. Begeisterung. Hier ist der Zeitungsartikel vom 22. Juni im Westfalen-Blatt. Aus der Fotostrecke von Daniel Salmon stammt der folgende Screenshot. Die Fernsehsendung läuft am 15. September.

Tante Lisel links, mit blaugrünem Schal  (Foto: Daniel Salmon)

Nachtrag: die Sendung fand erst heute, am 22. September statt, abrufbar hierWas inzwischen geschah:

Morgens sagte sie zu ihrem jüngsten Patenkinde, Nina B. (ich bin das älteste), die an ihrem Bett saß: „Bin ich schon im Himmel?“ Antwort: „Nein, sonst säße ich wohl nicht hier!“ Und beide lachten.

 

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Wikipedia übers Labyrinth (!) HIER

Weiterfahrt – nach Museumsbesuch – gegen Sonntagmittag. Herford war schön!

 .     .     .     . Fotos: E.Reichow

Bach von Meisterhand?

BWV 887 in 10 Interpretationen

Christophe Rousset – Fuge ab 4:54

Preludio: er ist der einzige, der die Vorhalte in Takt 2 betont und kurz (!) spielt. Etwas bedächtiges Tempo, Tendenz zur Langeweile, mit Übersetz-Zäsur bei Manualwechsel Takt 3.  Fuge: sehr langsam, triolenweise gebunden. Schon im Thema scheint mir das Cembalo eher unsauber als mitteltönig (was im Preludio dank des massiven Satzes nicht der Fall war). Es „klappert“ absichtlich zwischen links und rechts. Leichtes Ritardando (T. 32) vor Durchführung II. Weniger vor Durchführung III, aber spürbar; ebenso vor Durchführung IV. Das „Klappern“ ist weniger auffällig geworden. Eine relativ didaktische Interpretation. Im vorletzten Takt Vorhalt sehr kurz. (Zwischenfrage: ist es ein Vorhalt vor dem Vorhalt cis?)

Chiara Massini – Fuge ab 4:27

Preludio: Gutes, vitales Tempo. Manualwechsel verschleiert durch schönes Arpeggio. Gute Dehnungen einzelner Sechzehntel. Gute Arpeggio-Akkordschläge im Wechsel mit kurzen Anschlägen. Fuge: Vorwiegend triolische Bindungen. Ruhiges Tempo, aber lebendig. Sehr dezente Übergänge zwischen Formteilen, z.B. T. 61, bei Beginn Durchführung III. Schöne agogische Behandlung beim Gang auf den Orgelpunkt in den Sechzehnteln Takt 92/ 93. Auch in Takt 140 das Verzögern des Melodietones, gut auch der Vorschlag im vorletzten Takt: vor der Zeit mit Betonung auf cis.

Eine leichte Ungleichmäßigkeit hier und da in der permanenten Achtelbewegung wirkt musikalisch überzeugend.

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Isolde Ahlgrimm (Aufnahme von 1950), aus heutiger Sicht indiskutabel. Instrumentenklang: drahtig.

Wikipedia zu Isolde Ahlgrimm hier

Sie macht Echo-Wirkungen, die nicht dastehen (die Takte 3 und 4 geben das Muster vor, nur für im Notenverlauf identische Takte). Langweiliges Tempo, strahlt Pedanterie aus. Am Ende des ersten Teils vorm Doppelstrich ritardando, als sei das Stück zuende (bei 1:29). So auch am wirklichen Schluss, aber mit einem Höhepunkt auf dem Akkord 5 Takte vorher. Fuge sehr langsam, alles gebunden, alles legato, außer der Bass in T. 48f (Achtelpausen). Keine Zäsuren beim Ansatz neuer Formteile (z. B. beim zweiten Thema T. 60). Fein, aber erbarmungslos. Fast ohne rit. am Schluss (sehr kurzer Vorschlag), es ist einfach fertig.

Die Fuge hier

Angela Hewitt / beginnt mit gesprochenem Text, Musik ab 0:31.

Preludio: flottes Tempo, der piano-Ansatz in Takt 3 mit winziger Zäsur, die etwas irritiert. Im f-Takt 5 die nachschlagenden Achtel sehr leicht, das heißt: alles andere als rabiat. Luftig. Die Achtelgruppen im Bass immer zwei gebunden, zwei staccato, was eigentlich stilistisch nicht begründet ist. Bei Wiederholung Arpeggio auf Anfangsakkord links (schön). Ende des ersten Teils sehr leicht und luftig, Neubeginn des zweiten Teils unprätentiös. Phrasierung in Reprise … Schluss fast ohne Ritardando. Fuge: sehr flüssig, im Charakter eigtl. ähnlich wie das Preludio. Non legato, perlend. Fuge bei Beginn der Durchführung III fein abphrasiert. Das Verebben vor dem Orgelpunkt-Signal Takt 93 reizvoll, fast kokett. Forscher Neubeginn beim Bassthema Durchführung IV. Letzte Durchführung V eindeutig auch als dynamischer Höhepunkt, insbesondere ab letztem Themenauftritt im Sopran. Wenig ritardando ab 4 Takte vor Schluss, und gute Verzögerung des Abschlusstons, dessen Länge genau ausgezählt scheint.

Eine in jedem Punkt interessante Interpretation. Anders als ich es mir vorgestellt hätte. (Gegensatz Preludio / Fuge).

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Svjatoslav Richter – Fuge ab 3:41

Preludio: Tempo noch etwas schärfer, resoluter als bei Angela Hewitt. Und seltsam: ihre Feinheiten fehlen mir nicht. Fuge sehr langsam, legato, „entrückt“, sehr schön im Ton, gut und nachdenklich erzählt. Er hebt aber das Thema etwas zu stark heraus (Takt 45), jeder erkennt es doch. Fügt im zweiten Thema Triller ein. Der Stillstand auf dem Orgelpunkt dis (T. 93) bedeutet ihm nicht viel. Der Schluss volltönig, aber mehr nicht, diminuendo in den letzten Takten. Eine Ataraxia-Fuge.

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Ivo Janssen (spielt NUR DIE FUGE) – eine völlig andere Auffassung dieser Fuge! Schnelles Gigue-Tempo, kleinteilige Bindungen bzw. non legato (ähnlich wie oben in meinen „Übe-Noten“ angedeutet; es ist erfrischend, wie das geht! Keine Meditation, sondern eine Deklamation, ein leicht erregter Vortrag. Sehr überzeugend, wie er beim Eintritt des zweiten Themas in Takt 61 für einen Moment nachgibt, auch dynamisch zurückgeht. Ähnlich beim Eintritt des Orgelpunktes dis in Takt 93. Die perlenden Sechzehntel! Durchführung IV mit neuem Elan, schönes Nachgeben ab Takt 116. In der letzten Durchführung ab Takt 138 Vorbereitung des Schlusses durch leichte Dehnung jeweils auf dem ersten Achtel der Taktanfänge, Nachgeben auf jeweils zweiter Dreiergruppe, unspektakulärer Schritt zum Schluss-Einklang. (Vorschlag der letzten Dreiergruppe = in 2 Sechzehntel dis-cis aufgelöst.

Mehr über den Pianisten hier.

Glenn Gould (NUR DIE FUGE) wie immer: glasklar, aber völlig willkürliche Phrasierung. Staccato-Töne „geschlenzt“. Tempo eilig, aber metronomisch, auch über den Orgelpunkt hinweg. Neigung zum Innehalten, plötzlich, in der letzten Durchführung ab Takt 131, hervorgehoben die Sext aufwärts im Bass gis-e. Immer bedeutender ab letztem Sopran-Durchgang (T. 135), langsames „bedeutendes“ Tempo ab T. 140. „Ich komme zum Ende“. Natürlich kann er Klavierspielen und polyphon denken. Aber ich finde viele seiner Bach-Interpretationen zickig…

Edwin Fischer (Aufnahme zwischen 1933 und 1936) Fuge ab 2:25 Der Zeit entsprechend die dumpfe Klangqualität. Einzelne falsche Töne im Preludio. Ohne Auffälligkeit. Sehr langsames Tempo der Fuge, ab Durchführung II (Takt 33) plötzlich angezogen (bis zum Ende!), eigentlich nicht akzeptabel, leichte Verzögerung zu Takt 61 (Durchführung III). Gleichmäßig weiter, Schlusszeile: ritardando ab Takt 139, vorletzter Takt kurzer Vorschlag.

Grigory Sokolov (nur Preludio, Fuge folgt unten) rasantes Tempo, Abschlüsse schnell abbremsend  und sehr leise.

Gregory Sokolov Fuge BWV 887 HIER – nachdenklich im Ansatz, dynamisch oft wellenförmig dem Thema angepasst, seltsam die Behandlung der Triller: dort wo sie im Bass vorkommen, zuerst Hauptton, dann langsam mit der Nebennote (Takt 30 und 60) und integrierten Nachschlagenoten, aber in der Oberstimme als „Fahrradklingel“-Triller, z.B. Takt 64 und 69, auch  dort, wo sie nicht in den Noten stehen z.B. im Bass Takt 74, Takt 82 verkümmert, mit Vorliebe auf fisis z.B. Takt 100, Takt 138, auch 106 auf cisis, 114 als Praller auf dis. Warum? Zur Belebung? Wenn das Thema im Bass auftritt: zu laut, Fast aufdringlich, z.B. Takt 13 oder Takt 33.  Ab Durchführung V im Bass seltsame Verkürzung der Viertelnoten plus breite Achtel, obwohl es dasselbe chromatische Thema ist wie auch sonst, seltsamer Praller im Bass Takt 128, ritardando zu Takt 140, noch mehr Takt 142, Vorschlag mit Folgenote als 2 Sechzehntel, Schlusston quasi aus der Ferne.

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Friedrich Gulda 1973 Studio Villingen (Fuge ab 5:46, staccato, schnell!) Preludio ruhig, fast verträumt. Oder distanziert? Sogar ein bisschen buchstabiert. Fuge überraschend schnell, leise, absolut staccato, im Kontrapunkt die chromatische Note an die Folgenote gebunden, wirkt wie Betonung. Takt 47 Akzent-Pinpong. Synkopische Betonung des dritten Triolenwertes in der Chromatik Takt 66f. Tempo straight bis zum Schluss. Zierlich. Sonderakzent auf Abschlusston. Eine faszinierende Fugenversion!

(weitere Kommentare folgen)

Gigantische Fuge gis-moll

Zu BWV 887, in aller Kürze

Zugegeben: der Titel ist etwas reißerisch, und das was man hört, entspricht dem nicht im geringsten. Eine sehr lange Fuge, ja, aber ohne offensichtliche Höhepunkte, gerade auch in der Aufnahme mit Andras Schiff. Gleichmäßiger, unemotionaler kann man sie kaum spielen; es sei dahingestellt, ob das richtig ist, – schön ist es auf jeden Fall. Niemand kann sagen, es sei unmöglich, die drei Stimmen zu verfolgen, – und darauf kommt es doch an, nicht wahr? Ein gleichmäßig geflochtenes Band. Und es ist Sache des Zuhörers, des Lesers, – nicht des Interpreten -, Themen herauszulösen und formale „Blöcke“ zu erkennen. So könnte man sagen, und ich werde gern darauf eingehen. Erst später würde ich dafür sorgen, dass schon die Noten zu sprechen beginnen; danach würde ich vielleicht auch anfangen, die recht leidenschaftslose Tonaufnahme kritisieren. Aber vorläufig will ich mich einfach dem klingenden Text unterwerfen. Nicht meditieren, noch weniger träumen, – ganz Aufmerksamkeit, ganz Ohr.

Zum Mitlesen:

Aufnahme mit Andras Schiff im externen Fenster HIER aufrufen und sofort zurückgehen, um den Notentext zu verfolgen!

Zitat (Alfred Dürr verweist auf Wilhelm Keller):

Wie Keller (S.169) mit Recht bemerkt, verlangt diese Fuge „mit anderen Maßstäben gemessen zu werden als die meisten anderen Fugen Bachs“. Ursache hierfür ist ein gewisses Understatement; fast möchte ich behaupten, das Auffälligste an ihr sei ihre Unauffälligkeit. Denn schließlich handelt es sich um eine „gelehrte“ Doppelfuge, deren Nachvollzug an den Hörer besondere Ansprüche stellt. Ihre Folge 1. Thema – 2. Thema – Vereinigung beider Themen deutet auf eine natürliche Steigerung, die eine entsprechende Hörerwartung zur Folge hat – eine Erwartung, die Bach andernorts durchaus zu erfüllen versteht: (…).

Noch einmal: in Richtung auf ein Informierteres Mitlesen derselben Noten:

 

Hinweis zu den farbigen Einzeichnungen: sie betreffen ausschließlich die Orientierung im Formablauf. Rot (senkrechte Striche): die Abschnitte, römische Zahlen: die Durchführungen (jeweils vollständige Themendarstellung in jeder Stimme). Grün: Hinweis, welche Stimme das Thema vorträgt, S(opran), B(ass), A(lt). Umrahmende Schrägstriche am Buchstaben bezeichnen den „überzähligen“ Einsatz. Die scheinbare Unbestimmtheit in Takt 61 rührt daher, dass das neue Thema dieses Teils III auf dem dritten Achtel einsetzt, Teil II aber auf dem Niederschlag bzw. der Auflösung des Vorhalts auf dem zweiten Achtel endet (daher auch das +Zeichen).

Damit die äußere Form auch für Nicht-Notenleser klar vor dem inneren Auge steht, sollen hier die Zeitangaben für die obige Aufnahme folgen:

A I + II Verarbeitung des ersten Themas allein (T. 1 bis 61+) 0:00 bis 2:12

B III Verarbeitung des zweiten Themas allein (T. 61+ bis 96) 2:12 bis 3:34

C IV + V Kombination beider Themen (T. 97 bis 143) 3:34 bis 5:33 (Ende)

Trotz dieser plausiblen Dreiteiligkeit, die ich in Anlehnung an Alfred Dürr aufgelistet habe, kann man sich von Ludwig Czaczkes anhand detaillierter Kadenzanalysen überzeugen lassen (Bd.2 Seite 216) , dass eine große Zweiteiligkeit vorliegt, bzw. von Bach gedacht ist, nämlich A: I + II und B: III + IV + V . Damit will ich allerdings den eifrigen Hörer (und Leser) hier nicht aufhalten. Wir wissen nicht, wie Bach „gehört“ hat, und ob er die Form genau so „gehört“ hat, wie er sie beim Komponieren realisiert hat. Ob er die Durchführungen innerlich nummeriert hat…?  Sicherlich hat er ihre Verkettung miteinander nicht dem schöpferischen Moment überlassen. Und enger verkettet sind I + II auf der einen Seite, III, IV und V auf der anderen Seite. Es ist kein Sakrileg darüber nachzudenken – und auch die folgende Geschichte nicht überzubewerten:

Bey Anhörung einer starck besetzten u. vielstimmigen Fuge, wuste er bald, nach den ersten Eintritten der Thematum, vorherzusagen, was für contrapuncktische Künste möglich anzubringen wären u. was der Componist auch von Rechtswegen anbringen müste, u. bey solcher Gelegenheit, wenn ich bey ihm stand, u. er seine Vermuthungen gegen mich geäußert hatte, freute er sich u. stieß mich an, als seine Erwartungen eintrafen.

Quelle Carl Philipp Emanuel Bach über seinen Vater an J. N. Forkel in Göttingen , Hamburg Ende 1774 III/801

Die „contrapuncktischen Künste“ sind nicht das Entscheidende, und die beiden Themen, die in unserem Fall bei Durchführung IV „überraschenderweise“ so schön zusammenpassen, sind natürlich im Kopf des Komponisten gleichzeitig entstanden, aufeinander bezogen, komplementär, das eine mit Sprüngen versehen, das andere sich chromatisch hinab- und hinaufwindend. Und ähnlich ging es mit anderen Kontrapunkten. Der versierte Komponist weiß also auch, wenn Durchführung III mit dem neuen (chromatischen) Thema beginnt, dass dieses – nachdem es als Fuge ausgearbeitet wurde – auch mit dem Hauptthema der Durchführungen I und II eine Ehe eingehen wird.

Was ist dann „das Entscheidende“?

Das stellt sich erst in der kontinuierlichen Arbeit heraus. Die Fuge ist schwer zu lernen, zumal wenn man eine im Detail sinnvolle Phrasierung realisieren will. Man braucht einige Zeit, um die Fingersätze sicher einzuüben, so dass auch die Mittelstimme, die ja zum Teil wechselnd in der linken oder rechten Hand gestaltet wird, natürlich und kantabel verläuft.

Was macht eigentlich Andras Schiff? Spielt er ein durchgehendes Legato, nahe am Non-Legato? Am Schluss versucht er – eigentlich anders als von Bach angelegt – einen Höhepunkt über Marcatospiel und Stärkung der Basslinie zu erreichen. Eigentlich unnötig, andererseits auch wirkungsvoll. Ich will diesen großen Künstler nicht abwerten, bin aber sicher, dass man sich in Interpretationsfragen auch ganz anders entscheiden kann. Um es kurz zu begründen: meine Phrasierung stammt aus 1985, als ich in Bachs Geburtstagsjahr zum erstenmal einen Gesamtdurchgang durchs Wohltemperierte Klavier unternahm. Nach wie vor finde ich die damals gewählte Phrasierung in Ordnung. Der Charakter des Stückes ist für mich durchaus leicht, elfenhaft schwebend (nicht „gigantisch“!). Andere Assoziation: Schmetterling. Man sieht, dass kein Aufstieg ohne Abstieg ist, oder Ab und Auf,  ganz typisch auch im zweiten Thema mit dem chromatischen Quartgang abwärts und aufwärts zum Ausgangspunkt (mit Trillerbestätigung und dennoch wieder zurück). Oder schauen wir auf den Aufbau der Exposition (Durchführung I):

 Übe-Noten

Man könnte sagen: der ganze Aufbau führt eigentlich zu einer (durch Kontrapunkte angereicherten) Wiederkehr des Haupthemas in gleicher Lage wie am Anfang, allerdings in der Altstimme (überzähliger Einsatz Takt 19). Nachdem der Bass es bereits in gleicher Tonart präsentiert hatte (ab Takt 13). (Die abweichende Bindung der drei ersten Töne – statt der zwei wie sonst – bleibt unauffällig und ist durch die Zweierbindung im Sopran begründet, die nicht konterkariert werden soll.)

Ähnlich könnte man die Durchführung II beschreiben: Beginn Dominanttonart (wie Takt 5) im Bass, ebenfalls Takt 44 im Sopran; überzählig die Wiederkehr Takt 55 im Bass und zwar in der Grundtonart, plus zwei Takte zur phrygischen Kadenz, die das neue Fugenthema heraufbeschwört.

Quellen Alfred Dürr: Johann Sebastian Bach Das Wohltemperierte Klavier / Bärenreiter Kassel 1998 (Seite 386 u.a.)

Ludwig Czackes: Analyse des Wohltemperierten Klaviers Band II Form und Aufbau der Fuge bei Bach / Österreichischer Bundesverlag Wien 1982 ( Seite 216)

Nachwort

Die Assoziation „Schmetterling“ kam nicht ganz aus heiterem Himmel: Die „Pièces de Clavecin“ von Couperin waren Bach vertraut, aber man darf annehmen, dass ihn zuweilen auch der reale Anblick von Schmetterlingen bewegte. Und ich muss zugeben, dass ich zuerst an ein „Slip Jig“ von Tommy Potts gedacht habe (siehe hier), und schon deshalb stelle ich mir die Bach-Fuge etwas schneller vor als bei Andras Schiff. Das ist aber rein subjektiv. Da ich weiß, dass z.B. das Zwischenspielmotiv der Fuge in Fis-dur (BWV 882) von Rameau stammt, will ich mich selbstverständlich weniger auf meinen irischen Zeitgenossen berufen als auf einen französischen Joh. Seb. Bachs, nämlich Couperin. Aber wie gesagt: nur als Assoziation.

 Couperin

Wenn ich nochmal auf Dürrs Wort vom „Understatement“ verweisen darf, – er sagt am Ende seiner Analyse auch:

Offenbar zielte Bachs Absicht in dieser Fuge nicht auf solche Steigerungseffekte (denn gegen die Annahme eines unreifen Frühwerks spricht die planvolle Disposition). So könnte es sein, daß gerade die äußerliche Unscheinbarkeit eines architektonisch durchkonstruierten Werks sein Ziel war – und vielleicht folgt es nicht ganz zufällig auf die Prachtentfaltung des As-Dur-Satzpaares, gleichsam als Gegenstück. (Zitat Dürr a.a.O. Seite 390)

Ich finde es noch naheliegender zu vermuten, dass diese Fuge die Antwort ist auf das wild bewegte, exaltiert emotionale Praeludium, das unmittelbar vorangegangen ist. Eine Antwort im Sinne des weisen LAOTSE. Gigantisch wie der Gedanke vom Wasser.

Andere Interpretationen an Klavier und Cembalo HIER

„…’n gutes Gefühl, frei zu sein!“

Warum dann die „Angst vor der Freiheit“?

Eine sehr wichtige Erkenntnis, die sich nicht so spielerisch erschließen lässt, dass sie jedem Kind einleuchtet. Versuchen Sie doch erstmal dies. (Externes Fenster… aber kommen Sie bitte gleich zurück, Zuhören genügt.)

Kenne ich das nicht schon? Aus meinem „Brevier“? Vielleicht von demselben Autor, in Thomas Vašeks „philosophie! die 101 wichtigsten fragen“ (Theiss Hohe Luft 2017) – zum Thema Freiheit, auf der Seite 229 (daneben also, hier nicht im Bild) die Freiheitsstatue :

Also doch alles ohne Angst!? Ich zitiere, – und ich wette, dass zahllose Leserinnen und Leser (falls es sie gibt) die folgenden Zeilen lesen und den Kopf schütteln werden, weil sie es anders sehen. Sie glauben hier wieder einmal mit den üblichen Worthülsen überschüttet zu werden, einer Art Wort zum Sonntag:

Natürlich will jedermann „frei“ sein. Frei von Zwängen, die den Wünschen Grenzen setzen, den Bewegungsdrang hemmen, die Entscheidungsmöglichkeiten einschränken: jedermann will frei sein von den nicht selbstgewählten Reglementierungen des Lebens.

Aber Freiheit macht auch einsam. In der Freiheit erfährt man sich als eine selbständige, selbstverantwortliche, von den anderen getrennte Größe. Das kann ein Gefühl der Ohnmacht und der Angst erzeugen. Freiheit löst  aus selbstverständlichen, Geborgenheit gewährenden Bindungen und belastet einem mit der Aufgabe, solche Bindungen selbsttätig herzustellen. Freiheit unterhöhlt die Autorität vorgegebener Wahrheiten und zwingt einen, sich selbst Wahrheiten zu geben und wenigstens zu wählen, nach denen man sein Leben einrichten will. Das alles heißt Selbstbestimmung. Die Angst vor der Freiheit ist die Angst vor der Einsamkeit der freien, riskanten Selbstbestimmung und Selbstverantwortlichkeit. Die Angst vor der Freiheit ist Protest gegen die Zumutung, ein Ich sein zu sollen. Die Angst vor der Freiheit ist Protest gegen die Zumutung, das zufällige, vereinzelte Ich sein zu sollen, als welches man sich vorfindet. Angst vor der Freiheit ist Angst vor der eigenen Kontingenz, der Nicht-Notwendigkeit.

Ganz anders der Urlaub damals, den ich nicht vergesse, aber auch nie wieder erleben möchte, in Calpe, mit Blick auf den Peñón de Ifach, der zeichenhaft aus dem schimmernden Blau ragte, nach der unendlichen Nachtfahrt mit Beethoven, wie er sagt, dass er uns liebt, Adagio molto e mesto, „ein Akazienbaum aufs Grab meines Bruders“, später kaufe ich mir am Ort eine spanische Gitarre, damals war Udo Lindenberg relativ neu, kein Problem, ihn trivial zu finden und doch oft zu hören, selbstironisch, „Hoch im Norden“ 1974. Hier. Seitdem kehrt dieser eine Satz in penetrant melodischem Tonfall regelmäßig wieder, lebenslang, an den unpassendsten Stellen: „das ist’n gutes Gefühl, frei zu sein“. Aber zur Sache, es hat unweigerlich auch mit (der Suche nach) Wahrheit zu tun, und diese hat mit (dem Bedürfnis nach) Sicherheit zu tun. Und die Sicherheit nicht unbedingt mit Freiheit. Alles was ich eben zitiert habe und weiter zitieren werde, stammt von dem Philosophen Rüdiger Safranski. Und von ihm lernt man, dass man möglicherweise mit sich selbst, den „eigenen“ Gedanken und Überzeugungen niemals ganz zufrieden sein wird. Egal, wie frei man sich fühlt. Was fehlt, ist der archimedische Punkt außerhalb. Oder die Fähigkeit, ohne ihn zu leben. Er sagt es so:

Es ist die Angst vor der Freiheit, die an eine von einem selbst unabhängige Wahrheit glauben läßt. Man will mit seiner Wahrheit nicht alleine bleiben, und man will den Verdacht loswerden, daß man sie vielleicht nur erfunden hat. (S.195)

Es war die Angst vor der Freiheit, die ein reiches Repertoire an Denkformen hervorgebracht hat, die den Abgrund der Freiheit verdecken sollten.

Die antike Metaphysik ebenso wie die modernen Wissenschaften konstruieren gedanklich ein notwendiges Sein, in dem die Freiheit eigentlich keinen Platz hat: (…) Gerade in der Moderne, in der das Freiheitsverlangen so mächtig geworden ist, betreibt das herrschende Denken hintenherum eine Freiheitsberaubung im großen Stil. Das Bewußtsein, das Freiheit will, scheint so genau wie nie zuvor darüber Bescheid zu wissen, von welchen gesellschaftlichen, natürlichen, psychologischen Ursachen das vermeintlich freie, spontane Handeln bestimmt wird. (S.196)

Angst vor der Freiheit war es auch, die in den modernen pluralistischen Massengesellschaften die Anfälligkeit für die totalitäre Versuchung steigerte. Gerade die Pluralität konkurrierender Wahrheiten, die sich wechselseitig relativieren mußten, wirkte offenbar beängstigend. Deshalb kam es zu fundamentalistischen Zusammenrottungen um die jeweils eine Wahrheit, und deshalb wurde das europäische 20. Jahrhundert zum Zeitalter der Ideologien, des Totalitarismus, des Nationalismus und des Fundamentalismus. (S.198)

Quelle Rüdiger Safranski: Wieviel Wahrheit braucht der Mensch? Über das Denkbare und das Lebbare / Fischer Frankfurt am Main 1993 / 2005 (Hanser 1990)

Eine Antwort also erspare ich mir. Da bleibt zunächst das Schlusswort vom Vakuum (Lindenberg), dann der vorsichtige Hinweis auf Beethovens Streichquartettsatz. Das alles ist 40 Jahre her, aber dem hätte ich auch heute nichts hinzuzufügen. Man brauchte nur noch 14 Minuten Zeit und Ruhe,  – schon wüsste man, was Freiheit bedeuten kann.

Ausblick: man muss die Augen offenhalten und schauen, wie einem das Wort Freiheit begegnet und ob es in dem Sinne, wie es Safranski auf Wahrheit bezieht, immer wieder etwas Erhellendes ergibt. Zum Beispiel im Zusammenhang mit Perspektive. Privates Nahziel: Angenommen, wir realisieren den Besuch der Herrenhäuser Gärten. Ich denke nicht nur an Leibniz, sondern wie immer auch an Bach. (Doch darüber später.)

Nachtrag 30.08.18 (in Erinnerung an Belcea-TV-Erlebnis im Hotel Hansa Herford)

 „Was diese Musik antreibt, ist die Sehnsucht des Menschen nach Freiheit sowie das unstillbare Verlangen, seine eigenen Grenzen zu erweitern und dabei die Wahrheit über sich selbst zu erfahren“, schreibt das Belcea Quartett in seinem Vorwort zur Aufzeichnung der Beethoven-Streichquartette.

Unbedingt vormerken: 9. September 12.20 Uhr HIER Sendung in 3sat.

Wie tot ist klassische Musik?

Ich weiß, dass sie lebt!

Die Frage kann aus meiner Sicht also nur rhetorisch gestellt werden.

Aber es geht offensichtlich um ihre Präsenz im Bewusstsein der Gesellschaft und um die reale Teilnahme der Gesellschaft an ihrer Präsentierung in Konzertsälen und Opernhäusern, bei Festivals und in Schulen. Welche Rolle spielt klassische Musik?

Ich benutze also die Frage, die mir nicht gleichgültig sein kann, obwohl ich persönlich heute mit mehr klassischer Musik aller Genres konfrontiert bin als zu jedem anderen Zeitpunkt meines Lebens, ausschließlich um den Stand der Diskussion zu vergegenwärtigen:

Berthold Seliger hat ein aufsehenerregendes Buch geschrieben, das ich am 4. Oktober 2017 hier vorgestellt und später noch einmal thematisiert habe (hier) ; inzwischen ist man ihm in den Medien immer wieder begegnet. Mich als Fan des Autors interessiert natürlich auch, was an Gegenargumenten gebracht wird und könnte im folgenden FAZ-Artikel ein Beispiel gefunden haben:

 nachzulesen HIER

Ein willkommener Anlass für Berthold Seliger, noch einmal ins Detail zu gehen:

10.08.2018. Fragen Sie mal Abiturienten, was eine Sonatenform ist, oder versuchen Sie, sich von diesen eine Bach-Fuge erklären zu lassen. Und Kinder aus ärmeren Haushalten haben kaum je Chancen, die klassische Musik überhaupt kennenzulernen. Es hat keinen Sinn, die Klassikkrise mit Schönungen der Statistik zu kaschieren.  Antwort auf einen Artikel des FAZ-Kritikers Jan Brachmann. –

Den ganzen Essay NEUE ZÄHLWEISE von Berthold Seliger lesen Sie HIER oder Sie gehen, wenn Sie zugleich einen Überblick über weitere Texte des Autors gewinnen möchten, direkt auf seine eigene Website: HIER.

Verbotene Blicke

Lust der Augen

Ich kenne das Originalbild in vielen Kopien, in diesem Fall handelt es sich um eine Montage, die in dem ZEIT-Artikel vom 9. August mit dem Nachweis „DZ (Fotos: akg-images, plainpicture“ gekennzeichnet ist. In meiner Jugend wäre ich nie auf die Idee gekommen, das Caravaggio-Bild (s. Wikipedia hier) als ungehörig oder gar obszön zu empfinden, vielleicht hätte ich mich etwas geschämt, Amors Gesicht aber doof gefunden. Inzwischen war ich durch bestimmte Hinweise in der Presse (Berliner Zeitung 2014) darauf vorbereitet, dass es etwas zu beanstanden geben könnte. Absurd. Vorgewarnt aber auch durch ein Buch (2015) von Hanno Rauterberg selbst, dem Autor des aktuellen ZEIT-Artikels:

Nicht dass ich meine jugendliche Harmlosigkeit hervorheben will; das Buch „Lust der Augen“ von Theodor Heuss habe ich 1960 komischerweise sofort doppeldeutig verstanden, wobei das Titelbild des alten Mannes in seiner Bibliothek kaum korrigierend wirkte, abgesehen davon, dass ich keinerlei Verlangen nach Lektüre entwickelte. Dabei war das frühe Interesse an den kostbaren Bildbänden im Bücherschrank meines Vaters durchaus physisch motiviert. Und prinzipiell hätte ich mich verstanden gefühlt, wenn man mir damals zugeflüstert hätte, dass dies alles mit einem legitimen Drang nach Freiheit und Befreiung zu tun habe. Auch Provokation fügte sich in diesen Themenkreis. Wo hatte ich noch Richard Dehmels Gedicht „Venus primitiva!“ entdeckt? In Rauterbergs Buch gibt es das Kapitel „Kunst als Forschung nach dem Wahren“ (das hätte mir schon damals gefallen!) und gleich danach: „Skandal als Mittel der Neubesinnung“. Darin steht folgendes:

Wie weitgehend sich die meisten westlichen Gesellschaften mit aufreizenden, den öffentlichen Streit suchenden Bildern und Kunstwerken arrangiert haben, zeigt sich immer dann drastisch, wenn Menschen aus anderen Kulturkreisen auf weit weniger ausgeruhte Weise auf die gesuchte Provokation der Künstler reagieren. In mehr als zweihundert Jahren hat eine Kultur der Aufklärung gelernt, mit Spott, Blasphemie und Sarkasmus umzugehen, selbst wer sich im Einzelfall gekränkt fühlt, wird doch meistens das grundsätzliche Recht auf Meinungsfreiheit und damit auch auf Überspitzung, künstlerische Skandalisierung und Karikatur nicht infrage stellen. Insbesondere in vielen islamisch geprägten Gemeinschaften konnte sich diese Form der Liberalität kaum entwickeln, und so kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen um Bilder und ihre Wirkung. (…)

[Im weiteren geht es um das Bilderverbot im Islam und um dessen satirische Behandlung, was vor Jahren sattsam diskutiert wurde.]

In westlichen Gesellschaften treffen solche Reaktionen häufig auf Unverständnis, wobei oftmals übersehen wird, dass auch hier die Idolatrie, jene Vorstellung, dass Gott im Bild und das Bild in Gott sei, über viele Jahrhunderte das Zusammenleben bestimmt. Selbst in gänzlich profanen Sphären hielt sich lange ein allgemeiner Bilderglaube, noch das Allgemeine Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 sah eine Bestrafung in effigie vor, was hieß: War der Verurteilte entkommen oder gestorben, wurde die Strafe an seinem Bildnis vollstreckt.

Bis heute kommt keine Gesellschaft ganz ohne bestimmte Bildtabus aus. Nur sind es jetzt in der Regel keine religiösen, sondern nationale Tabus. Wer die Farben, die Flagge, das Wappen oder die Hymne der Bundesrepublik Deutschland verunglimpft, muss mit bis zu drei Jahren Gefängnis rechen. Ähnliches gilt für Karikaturen, in denen der Holocaust geleugnet wird. Noch immer, so lässt sich an solchen Beispielen erkennen, hat die Normalisierung nicht dazu geführt, dass die Bilder der Kunst ohne Echo bleiben, dass sie nicht wahr und nicht ernst genommen würden. Doch ist ihre Wirkung stets sozial wie historisch bedingt und die Empfindlichkeiten wandeln sich nicht selten binnen weniger Jahrzehnte.

Quelle Hanno Rauterberg: Die Kunst und das gute Leben / Suhrkamp, Frankfurt a.M. 2015 / ZITAT Seite 151 f

Besonders interessant wird es, wenn Rauterberg auf die Konflikträchtigkeit tierrechtlicher Themen kommt (Tiertransporte, Massentierhaltung, Schlachttechniken u.ä.).

Das gute Leben, das die Kunst in den Augen mancher nicht mehr zu versprechen vermag, soll nun zumindest für die lebenden Objekte der Kunst eingeklagt werden.

Ich wundere mich, dass die Inszenierung der „Salome“ in Salzburg nicht in diesem Punkt angegriffen worden ist. Der Aufführungsort Felsenreitschule motivierte offenbar die Einführung des leibhaftigen Pferdes in Jochanaans Kerker. Dass der präparierte, am Boden liegende Pferdekopf dann nicht vom lebenden Tier stammt, sondern sozusagen passgenau das menschliche Haupt ersetzt, das dem Körper Jochanaans zwischen den Schultern fehlt, hat offenbar den Skandal noch neutralisiert: es handelt sich ohnehin um die Triebsphäre, der man dank der Zeitgenossenschaft Sigmund Freuds jede Freizügigkeit abverlangt oder zubilligt. Bezeichnenderweise bei gleichzeitiger Aussparung, ja, Verweigerung des Schleiertanzes, – kein Hedonismus findet statt, es sei denn – bis zum Exzess – in der finalen Musik.

 Screenshot Salome Salzburg 2018

Noch einmal sei Hanno Rauterberg zititert:

Auch in anderen Fällen, in denen sich das liberale Milieu in seinen ethischen Überzeugungen verletzt fühlt und diese Verletzung kundtut, geraten die Künstler zusehends in Begründungsnöte. In Zeiten der Normalisierung und also der allgemeinen Verständnissinnigkeit lässt sich die Grenzüberschreitung nicht durch einen lapidaren Hinweis auf die Autonomie der Kunst legitimieren. Da der Künstler keine Ausnahmegestalt mehr ist, das Museum kein Ausnahmeort, lässt sich ein Verstoß gegen die geltende Ethik nur rechtfertigen, solange die alte Verheißung der Kunst, sie agiere im Horizont der Aufklärung und Läuterung, noch Bestand hat. Doch wachsen bei vielen Betrachtern die Zweifel, ob und inwieweit dem weiterhin so sei.

Rauterberg a.a.O. Seite 153

Und nun also der Rauterberg-ZEIT-Artikel, der glücklicherweise online zu lesen ist: HIER. Im übrigen ist es offenbar ein Abschnitt seines neuen Buches : „Wie frei ist die Kunst? Der neue Kulturkampf und die Krise des Liberalismus“ Suhrkamp Berlin 2018.

Siehe auch Kritik im DLF hier.

Brand an Land, Müll im Meer

Ein Memento in der Lanz-Sendung

 Sendung HIER

Die Sendung ist weiterhin abrufbar (bis 14. November) und auch verständlich, sofern wir Ohren haben. Nur die in der Live-Sendung eingespielten Bildsequenzen fehlen. Zusätzlich an dieser Stelle nur die Chance, das Gehörte genauer zu bedenken.

Es folgt also der nach Gehör niedergeschriebene Text (noch nicht abschließend  korrigiert), d.h. in dieser Form ohne Gewähr. Ein paar Links zur Ergänzung wurden eingefügt (JR.)

Ab 4:00 [Plastik im Meer: Manilas Strände siehe hier in GEO]

Markus LANZ: Ein paar Bilder müssen wir mal so aufarbeiten, z.B. diese hier: Waldbrände in Deutschland. Haben Sie in Erinnerung, dass wir die in der Dimension schon mal gesehen haben?

Harald LESCH: Nein! Also das ist jetzt ne ganz neue Entwicklung. Wir haben ja in diesem Jahr eben ne Wettersituation gehabt, wo sehr sehr lange überhaupt kein Regen gefallen ist, was wir da sehen: gerade Ostdeutschland, Brandenburg, haben ja über Monate hinweg überhaupt keine Niederschläge gehabt. Dann passiert eben das, was passieren muss, wenn es warm ist, wenn es trocken ist: dann reicht ein Funke aus, und es muss gar kein Zigarettenraucher gewesen sein, sondern einfach nur ne Scherbe oder sowas, und dann fängt es eben an zu brennen, und wir sehen es ja eben auf der ganzen Welt, also nicht nur hier bei uns, sondern auf der Nordhalbkugel ist es enorm heiß geworden, und es ist ein Zeichen dafür, und – um es gleich in einen größeren Zusammenhang zu stellen – da unsere Atmosphäre also viel mehr Energie speichern kann. Sie kann mehr Energie speichern, weil entsprechende Gase da sind, die dieses Speicherphänomen beschleunigen, und wir sind daran beteiligt. Was wir jetzt sehen – so wie letztes Jahr wenn wir an letztes Jahr denken wollen, da gabs ne Hitzewelle, die hatte den schönen Namen „Luzifer“ (wie passend, ja, der Vorhof zur Hölle), ja, und das ist ausgelöst worden durch „Ophelia“, das war ein Sturm, ein Hurrikan, der eben diesmal nicht in Richtung der USA weggezogen sind, sondern auf die Iberische Halbinsel gezogen ist und die Iberische Halbinsel in Flammen gesetzt hat, ja, das was wir einfach erleben, ist eine hochdynamische Atmosphäre, die wir dynamisiert haben dadurch, dass wir seit rund 200 Jahren Treibhausgase emittieren wie die Weltmeister und das eben weiter und weiter beschleunigen.

LANZ Wir werden darüber noch ausführlich sprechen, was das bedeutet, dass was das für uns konkret bedeutet, was wir heute schon unternehmen, um die Folgen des Klimawandels in den Griff zu über die aber kein Mensch offensichtlich spricht (Genau, genau!)

LESCH Also gerade die Länderregierung, die Regierung der Bundesländer, müssten viel häufiger der Öffentlichkeit mitteilen, was muss jetzt bereits getan werden, um mit den Folgen des Klimawandels klarzukommen. Das betrifft die Landwirtschaft, das betrifft aber auch den Tourismus, das in vielerlei Hinsichten… (läuft das schon? Also was passiert denn da konkret?) Also da wird z.B. Wasser transportiert, es gibt Bereiche z.B. in Bayern, gibt’s Bereiche, wo das Grundwasser sehr niedrig ist, das Grundwasser kann sich ja nur erneuern, wenn es im Winter genügend Niederschläge gibt, im Sommer und im Frühling nimmt die Vegetation das Wasser auf, also es verdunstet, also wenn die Winter zu trocken werden, dann bleibt das Grundwasser niedrig, also muss Wasser dahingepumpt werden. Oder man denke nur an die Probleme, die wir im Alpenraum haben, also dass tatsächlich die Berge instabiler werden, d.h. es gibt mehr Erdrutsche, das Auftauen… das bisschen Permafrost, das es noch gibt, die Verluste an Gletscherflächen innerhalb von Deutschland hat man gerade. Was die Wasserwirtschaft betrifft, große Anstrengungen muss man unternehmen, um das einigermaßen noch in der Balance zu halten, und wenn jetzt z.B. die Bauern danach rufen: wir brauchen Unterstützung, dann kann ich eigentlich nur sagen, das ist genau bei der ganzen Diskussion über Klima sollte man eigentlich mit den Menschen sprechen, die davon leben, was aus dem Boden kommt. Das sind diejenigen, die seit Jahrzehnten ganz genau merken, wie sich das allmählich verändert, also selbst wenn man uns Wissenschaftlern gar nicht glauben würde: Glaubt den Winzern! Glaubt denjenigen, die in den Bergen leben, denjenigen, die davon leben, was da aus dem Boden herauskommt (Beifall), und das sind diejenigen, die uns eben mitteilen: das Klima hat sich dramatisch verändert, und vor allen Dingen: es hat sich sehr sehr stark beschleunigt, und wenn dann noch die entsprechende Wetterlage dazukommt – denn das muss man unterscheiden: Klima ist das über 30 Jahre ermittelte Wetter, – wenn dann noch die entsprechende Wetterlage dazukommt, dann werden die Anstrengungen, die wir von der Infrastruktur her machen müssen, auch die finanziellen Anstrengungen, die werden immer größer. Und im Grunde genommen schreibt uns jedes Jahr die Natur das Menetekel immer deutlicher und deutlicher an die Wand.

LANZ So das ist jetzt sozusagen die eine Seite, die wir grad gesehen haben, die andere Seite, die Kehrseite der Medaille, sind Bilder, wie diese hier. Unglaublich, welche Starkstromregen plötzlich aus dem Nichts kommen; ist das die andere Seite, mit der wir in Zukunft häufiger zu tun haben?

LESCH Ja klar. Das was wir da sehen… das Wort Starkregen gibts ja noch gar nicht so lange in der deutschen Sprache, das haben wir noch nicht so lange, … da lohnt es sich mit 90-Jährigen zu sprechen, und die sagen dann so Sätze wie „Das habe ja noch nie erlebt“, also die Leute mal aus ihrer Lebenserfahrung erzählen zu lassen: „Wann hast du denn das letzte Mal sowas mitgekriegt? Denn solche Ereignisse bleiben tatsächlich im Gedächtnis, es gibt ja aus den letzten Jahren noch so wunderbare Bilder… ja … ja, das sind einfach … die volle Wucht des Sturmes sozusagen, und sowas kennt man im allgemeinen eher aus so amerikanischen Twisterfilmen (Tornado!), ja, das ist doch auch mal ganz nett, wie das Wasser da so stehen bleibt, die Kanalisation es nicht mehr aufnehmen kann. Es gab im letzten Jahr mal son Film, so ein Feuerwehrwagen, der mit Blaulicht an der Kamera vorbeigerauscht ist, der hat noch versucht zu retten, aber die Flut hat ihn mitgenommen, das hat damit zu tun, dass eben diese enorme Wucht der Atmosphäre führt eben nicht nur zu langen Dürreperioden, sondern auch dazu, dass sich eben die Luftmassen sehr sehr stark mit Wasser aufladen, und dann kann ich nur sagen – braucht man kein Physikstudium für – ja, Regen ist Wasser, das von oben nach unten fällt. Ja. Und dann kann man fragen, wie kommt Wasser da oben hin? Erstens – wir wissen alle, dass es durch Verdunstung da hinkommt, aber wann verdunstet mehr Wasser? 1. wenns wärmer wird, b) es wird kälter oder c) Sie möchten jemand anrufen? Ja? Gibt ja so … Sieht man ganz klar: es wird einfach wärmer, dadurch werden auch diese Starkregenereignisse dramatischer. Und son Ereignis wie in Simbach am Inn, [Info siehe hier], das kostet den Freistaat Bayern ne halbe Milliarde, um das wieder hinzukriegen, das sind also auch enorme volkswirtschaftliche Kosten, die da (ist aber immer ein Symptom, im Grunde…) ja, wir glauben ja nicht, dass es so ist, – jetzt muss ich mal so nach links kucken, ich muss nicht mal… ich könnte irgendwohin kucken, (aber SPD ist bei links noch richtiger) ich meine jetzt: in der Politik geht es ja um Interessen, und in den Wissenschaften geht’s um Inhalte. Wenn wir also Inhalte präsentieren, und die werden von den Interessenverbänden … und die werden von den Interessenverbänden, die im politischen Raum tätig werden, nicht akzeptiert, sondern man diskutiert noch darüber, dann kann ich nur sagen: das eine ist Meinung, und das andere ist Ahnung, ja? Ahnung im Sinne von Sachkompetenz. (10:02) (Beifall) Und was wir … wenn ich mich vor meine Studenten stelle und sage: Meine Generation hats total vermasselt, dann meine ich damit, dass wirs nicht geschafft haben, im politischen Raum so stark zu werden, mit dem ökologischen Knowhow, das wir haben, dass Politik sich in Deutschland an dem orientiert, was das Schicksal derjenigen ist, die noch gar nicht da sind. Nämlich ne Ethik, ne moralische Dimension in die Politik einzubauen, die darüber spricht: wie wollen wir, dass Deutschland in 10, 20 oder 30 Jahren aussieht? Was wird mit den Kindern, was wird mit unsern Enkeln, in welchen Lebensräumen sollen da eigentlich dastehen, wir reden über Quartalsberichte in Deutschland, also über Renditeerwartungen, wir reden darüber, dass z.B. Ministerpräsidenten in Deutschland sagen: „Kohle? Aus der Kohle kommen wir vor 2045 nicht raus!“ Dabei geht es um 20.000 Arbeitsplätze, in der Erneuerbaren arbeiten 380.000 Menschen. Das heißt: die Dimensionen, der Art und Weise, wie wir mit dem Klimawandel umgehen müssen, was die Energiewende z.B. betrifft, die haben wir politisch in keiner Weise wirklich verstanden. Es gibt zwar Parteien, die sich dem ökologischen Thema zugewandt haben, aber die großen Volksparteien haben, was das betrifft, meiner Ansicht nach total versagt (wenn sie …), sonst sähe die Bundesrepublik ganz anders aus. (Beifall)

LANZ Wenn Sie so sagen „Volksparteien“ (lacht mit Blick auf Lars Klingbeil), meinen Sie auch noch die SPD, nehme ich an…

LESCH: die Sozialdemokraten genau so wie die CDU und CSU, ja. Mir geht es ehrlich gesagt so etwas auf die Nerven: wir haben seit Ewigkeiten das Thema Klimawandel auf der Agenda (seit wann, Herr Lesch, ist es eigentlich von dem wir sagen, das müssten führende Politiker … und ich bin immer wieder überrascht, was Leute auch wie Sie auf dem Radar haben. Also Ihr wisst wirklich ne Menge, bis ins letzte Detail hinein, ab wann konnte man das eigentlich wissen, global betrachtet, dass da irgendwas in Bewegung geraten ist, 70er Jahre?)

LESCH Also es gibt eine interessante Geschichte: die Münchner Rückversicherung hat 1972 zum erstenmal in einem kleinen Zeitungsartikel auf die Risiken des Klimawandels hingewiesen. Und auch da kann ich nur immer wieder sagen: Wenn Sie uns Wissenschaftlern nicht glauben, – vielleicht glauben Sie den Unternehmen, die Geld verdienen damit, dass eben solche Risiken für die eine große Bedeutung haben, (1972 war das…) 1972, also kurz nach dem Club-of-Rome-Bericht (also; Grenzen des Wachstums, dieser berühmte Bericht) genau! und dann fing die Münchner Rück an und hat also ne Geo-Risikoabteilung gegründet, – wo also die Risiken abgeschätzt wurden… ist ja klar, ne Versicherungsgesellschaft hat n großes Interesse daran.[Info siehe hier] Risiko im Sinne einer Zukunft, die nicht stattfinden soll. Das ist eine Risiko, das ich vermeiden will. Das heißt, dann haben die angefangen, das eben zu sammeln, das ist eine der tollsten Datenbanken für Naturkatastrophen, unheimlich toll, und seitdem ist es alo immer und immer wieder in der Agenda, und man kann dann in der Historie der Klimaforschung kann man sehen: Am Anfang wurde noch gefordert, na so genau wisst ihr das ja noch gar nicht! Da warens nur 75 Prozent Wahrscheinlichkeit, dann warens 95, dann hieß es, ja das sind ja immer noch 5 Prozent, die Politik hat eigentlich, obwohl die Lücken immer kleiner und kleiner wurden, einfach nicht hinreichend schnell reagiert. Ich würde mal gern das Gedankenexperiment nur mal anreißen: was wäre eigentlich gewesen, wenn die Bundesrepublik Deutschland sich 1955 statt für die Kernkraft für die Windkraft entschieden hätte? Denn Wind, das ist keine wissenschaftliche Erkenntnis, gab es schon, bevor es die Windräder gab, ja? Das ist also schon sehr lange in der menschlichen Geschichte da, und man hätte sich sehr wohl überlegen könne, eine Technologie zu entwickeln, die mit dieser ganz einfachen Art und Weise Energie verteilt. Stattdessen haben wir uns bei der Kernkraft völlig verhoben, denn – das habe ich meinen Studenten übrigens auch gesagt – ihr werdet zweistellige und möglicherweise noch weit höhere Milliardenbeträge dareinsetzen, denn wir bieten euch kein Endlager an, wir haben noch keins, ihr werdet es mit der Asse möglicherweise mit einem Lager zu tun haben, da werdet ihr 15 Milliarden reinstecken müssen, um den ganzen Dreck wieder an die Oberfläche zu holen [Info siehe hier]. Das heißt: das ist ja auch ne Sackgassentechnologie gewesen, die von vornherein, nicht einen Moment mal wirklich drüber nachgedacht hat, wohin mit den strahlenden Abfällen! (Warum eigentlich nicht!?) Und das kann ich nicht verstehen!

 Harald Lesch s.a. Wikipedia hier

Tja, das fragen Sie mal die Herrschaften von damals… die sich ja offenbar ne große Sicherung des Energiebedarfs der Bundesrepublik versprochen haben durch die Kernkraftwerke, und die Volksparteien waren alle sehr beteiligt daran, die Kernkraft in Deutschland auszubauen, aber was das Endlager betrifft, da sind ja zum Teil haarsträubende Entscheidungen gefallen. (Bevor wir gleich über das Politische weitersprechen, rein zur physikalischen, – der Hobbyphysiker in mir stellt sich grad eine wahrscheinlich verwegene Frage: wenn wir Wind benutzen, um Energie herzustellen, gibt’s irgendwann den Punk, an dem Schluss ist?)

LESCH Die erneuerbaren Energien sind keine unerschöpflichen. Die erneuerbaren Energien sind ja alle Energien, die letztendlich damit zu tun haben, dass der Planet Erde sich unter der Sonne dreht, und da kann man sich natürlich die Frage stellen, wenn wir weiter 4 Prozent Steigerung habe, wann wäre denn der Zeitpunkt, wo wir den gesamten Planeten Erde mit Photovoltaik bekachelt hätten? Ja? Wie lange wird es dauern? 823 Jahre. Ja, dann wärs erledigt. Ja, wir sind … in wenigen Jahrhunderten hätten wir das Maximum der Erneuerbaren erreicht… (Und wie ist es mit Wind? Hört der irgendwann auf?) Na klar, wenn wir richtig viel Windpower, na da sind wir noch weit entfernt, wenn wir richtig viel Windpower da reinstecken, dann würden wir auch die atmosphärischen Strömungen verändern, und das ist ja im übrigen (und irgendwann kommt der Wind zum Stillstand) …kommt nicht zum Stillstand, aber nehmen dann soviel Energie raus, dass die Windströmung sich auf der Erde nennenswert verändern werden. (So, diese Windströmungen, über die wir grade sprechen, da gibt’s ja diese berühmten Jetstreams, das sich ja diese starken – atmosphärischen – Strömungen hoch oben in der Luft, die uns sozusagen helfen, sehr schnell von Amerika Richtung Europa zu fliegen, ) ja… (BILDER ?) diese Erwärmung über dem Äquator, d.h. die Ludtströmungen fließen nach Norden und Süden ab, und dann gibt es eben oben in der Arktis dieses große Windsystem, das sind die Jetstreams, und die werden, natürlich auch angetrieben durch den großen Temperaturunterschied zwischen der Arktis und der Umgebung und jde geringer dieser Temperaturunterschied ist, um so langsamer werden diese Windströme. Jeder der zu Hause im Garten, ,an kann das mit dem Gartenschlauch austesten: wenn der Wasserstrahl sehr schnell ist, dann ist der ziemlich schwierig in Schwingung zu setzen, wenn der aber langsam ist, dann braucht man den nur son bisschen zu bewegen, und genau das passiert bei den Jetstreams eben aktuell auch: Je wärmer die Arktis wird, um so geringer sind die Temperaturunterschiede zwischen Arktis und Nichtarktis, die Jetstreams werden langsamer, werden instabiler, das Resultat kann man sehen, sowohl an Starkregenereignissen als auch an solchen Perioden (die dann so lange dauern) die dann so lange dauern, die Strömungen werden nicht schnell genug weggeschoben sozusagen, und es bleibt so lange bei der Wetterlage, die dann so katastrophal endet, wie wir das in diesem Sommer hatten.

LANZ: Interessant. (16:43) Claudia Kade, warum tut sich Politik da so schwer? Das wäre doch eigentlich ne Riesenchance für die SPD etc.

*   *   *

Meldung von HEUTE, 16.08.2018

Wie Deutschland sein Klimaziel noch erreichen kann

Die neue Fraunhofer-Studie HIER

Noch etwas zur Öko-Hoffnung: Vortrag von Dr. Michael Kopatz „Ökoroutine – Damit wir tun, was wir für richtig halten“,  gehalten am 09. Februar 2017 im Rahmen des Münchner Forum Nachhaltigkeit.

Wer lieber liest als hört, kann das zum gleichen Thema  hier tun (ZEIT online).

Und weiter in DIE ZEIT am 23. August 2018

 Über die Autorin Petra Pinzler hier.

Sehr lesenswert auch der andere (große) Artikel. Zitat:

Die Hoffnung auf die Politik hat Berthold inzwischen aufgegeben. „In der Landwirtschaft lässt sich das Rad nicht zurückdrehen. Die gesellschaftlichen Strukturen lassen das nicht zu“, glaubt er. „Ändern würde sich nur etwas durch eine Art Mais-Aids oder die Afrikanische Schweinepest oder eine Geflügelseuche oder am besten alles drei.“ Darauf wartet Peter Berthold. Auf den großen Knall.

Bis der kommt, engagiert er sich selbst.

Quelle DIE ZEIT 23. August 2018 Seite 6 POLITIK Tschüss, Lerche Heimatverlust: In Deutschland gibt es kaum noch Feldlerchen. Wer den Vogel retten will – und wie die Politik das verhindert / Von Merlind Theile /

Über Peter Berthold: Wikipedia hier.

(Fortsetzung folgt – z.B. hier)

Vom Lügen

Ich habe das schmale Buch nur aufgeschlagen, nur angeblättert, und wusste: diese Sätze sind es, die ich zur eigenen Verfügung separieren und aufbewahren will. Warum ich dabei an meine frühe Kindheit denken musste, erzähle ich nicht; erwähne es nur, um es eines Tages „aufzuarbeiten“. Hannah Arendt bewundere ich zutiefst. Ihre Sätze sind so klar, dass man sich wundert, dergleichen noch nie selbst erfunden zu haben, und gerade deswegen ahnt man, dass viele Menschen mit den Worten „Ist doch klar!“ darauf reagieren und das Ganze als läppisch abtun.

Ein Wesenszug menschlichen Handelns ist, daß es immer etwas Neues anfängt; das bedeutet jedoch nicht, daß es ihm jemals möglich ist, ab ovo anzufangen oder ex nihilo etwas zu erschaffen. Um Raum für neues Handeln zu gewinnen, muß etwas, das vorher da war, beseitigt oder zerstört werden; der vorherige Zustand der Dinge wird verändert. Diese Veränderung wäre unmöglich, wenn wir nicht imstande wären, uns geistig von unserem physischen Standort zu entfernen und uns vorzustellen, daß die Dinge auch anders sein könnten, als sie tatsächlich sind. Anders ausgedrückt: die bewußte Leugnung der Tatsachen – die Fähigkeit zu lügen – und das Vermögen, die Wirklichkeit zu verändern – die Fähigkeit zu handeln – hängen zusammen; sie verdanken ihr Dasein derselben Quelle: der Einbildungskraft. (…)

Wenn wir also vom Lügen und zumal vom Lügen der Handelnden sprechen, so sollten wir nie vergessen, daß die Lüge sich nicht von ungefähr durch menschliche Sündhaftigkeit in die Politik eingeschlichen hat; schon allein aus diesem Grund wird moralische Entrüstung sie nicht zum Verschwinden bringen. Bewußte Unaufrichtigkeit hat es mit kontingenten Tatbeständen zu tun, also mit Dingen, denen an sich Wahrheit nicht inhärent ist, die nicht notwendigerweise so sind. Tatsachenwahrheiten sind niemals notwendigerweise wahr. Der Historiker weiß, wie verletzlich das ganze Gewebe faktischer Realitäten ist, darin wir unser tägliches Leben verbringen. Es ist immer in Gefahr, von einzelnen Lügen durchlöchert oder durch das organisierte Lügen von Gruppen, Nationen oder Klassen in Fetzen gerissen oder verzerrt zu werden, oftmals sorgfältig verdeckt durch Berge von Unwahrheiten, dann wieder einfach der Vergessenheit anheimgegeben. Tatsachen bedürfen glaubwürdiger Zeugen, um festgestellt und festgehalten zu werden, um einen sicheren Wohnort im Bereich der menschlichen Angelegenheiten zu finden. Weshalb keine Tatsachen-Aussage jemals über jeden Zweifel erhaben sein kann – so sicher und unangreifbar wie beispielsweise die Aussage, daß zwei und zwei vier sind.

Das ist doch selbstverständlich, sagen Sie? Genau, seit heute. Das hatte ich gemeint, und deshalb schrieb ich es ab!

Meine Quelle (Zitat Seite 8f und Seite 9f) :

Weiteres zu Hannah Arendt siehe Wikipedia hier

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[Eingefügt am 24.08.2018:] Über das Lügen in Politik und Wirtschaft siehe auch die Lanz-Sendung mit Thilo Bode (und Peter Altmaier) vom 23.08.2018, noch abrufbar bis 23.11.2018, und zwar HIER , ab etwa 37:20.

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Ein feines Wurzelgespinst, das ich vorhin draußen am Gitter fand, vielleicht vom Wind hinaufgeweht. Ein etwa faustgroßes, scheinbar in sich geschlossenes Gebilde, per Scan nicht recht erfassbar:

 im Hohlraum etwas zusammengedrückt

Es ist Zufall, heute, aber wo sollte ich es sonst lassen? Ein wunderbares Labyrinth, und doch ist ein etwas dickerer Hauptast zu erkennen,  der sehr gerade ist und nach rechts oben weist. Kein Lügengespinst. Reiner Zufall, dass es in diesem Zusammenhang an den Spruch erinnert: „Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen.“

Ich glaube, die Sonne der letzten Wochen hat das angerichtet…

18.08.2018

Das Rätsel ist gelöst: mein Wurzelgespinst stammt vom Efeu. Gröbere und noch mit Rückständen behaftete Teile sind im Garten leicht zu finden:

Im Wikipediaartikel EFEU stößt man auf das weiterführende Stichwort Adventivbildung, und in dem betreffenden Artikel auf den folgenden Satz:

Mit der Zeit verzweigen sich die Adventivwurzeln sehr stark und bilden ein komplexes buschiges Wurzelsystem. Es ist keine Hauptwurzelachse erkennbar.

Am 26.08.2018 – es war Zufall – befand ich mich plötzlich selbst in einem Gespinst:

 Foto: E.Reichow (MARTa Herford)