Recherche zur südindischen Musik
Blick über die Ennore Bucht bei Chennai (Foto: CC-by-sa PlaneMad/Wikimedia)
„Ragamalika“ wird die Verbindung verschiedener Ragas genannt, eine „Raga-Girlande“, und sie stellt eine Ausnahme in der indischen Konzertpraxis dar, in der prinzipiell die Einheit eines Ragas für die Länge einer einzelnen Interpretation gewahrt wird, ob sie nun 3 Minuten, 30 Minuten oder länger dauert: der Tonvorrat, die Skala und die typische Ausgestaltung der Melodielinien bleibt – bei aller Freiheit der Improvisation – unverändert, 1 falscher Ton würde das Tongebäude zum Einsturz bringen. Im Vortrag der Ragamalika gehört es zur besonderen Aufgabe, mehrere Raga-Charakteristiken nahtlos ineinander übergehen zu lassen. Im Fall der vorliegenden Aufnahme hört der Kenner nacheinander folgende Ragas:
Anandabhairavi, Begada, Hamir Kalyani, Devagandhari, Salaga Bhairavi und Sindhu Bhairavi.
Mir sind nur wenige dieser Ragas gut bekannt, Sindhu Bhairavi etwa, oder Kalyani, aber – anders als in Nordindien – sind in Südindien, in der sogenannten karnatischen Kunstmusik, buchstäblich unzählige in Gebrauch. Ich schlage daher in dem großartigen Werk von Ludwig Pesch nach: The Oxford illustrated Companion SOUTH INDIAN CLASSICAL MUSIC Oxford University Press 1999. Dort werde ich glücklicherweise in allen Fällen fündig, und mit den Skalen versehen kann ich mich in der konkreten Musik auf die Suche begeben und die Reichweite der einzelnen Ragas bestimmen. Aber man darf sich nicht täuschen: ohne das Hintergrundwissen dieses Buches und viel Praxis kann man mit dieser Tafel allein wenig anfangen.
Ich sehe in Reihe 2 „Anandabhairavi“, in Reihe 4 „Begada“ – und hoffe, dass mir der Übergang nicht entgehen wird, da allein die Terzen schon einen Unterschied wie zwischen Moll und Dur ausmachen werden. Ich werde es melden…
Es ist interessant, das Mienenspiel und die Gesten des Sängers zu beobachten, egal ob man es aus der Sicht eines „Kulturfremden“ als unangemessen oder affektiert empfindet (was ganz im Auge des Betrachters liegen mag): es hat nicht mit Affekten zu tun, die aus einer (kaum beurteilbaren) Textdeutung abzuleiten sind, sondern mit dem unmittelbaren Verlauf der Melodielinie. Das ist wunderbar. Wir aber dürfen vielleicht anfangen, uns eher „technisch“ anzunähern, indem wir die Töne und Skalen identifizieren. Das Andere kommt im Laufe der wachsenden Erfahrung von selbst.
Und tatsächlich: man erkennt Grundton, Quinte und Nebentöne, im übrigen ein leicht berührtes E, und endlich ein Es, gerade dort – bei 1:09 – sagt der Sänger „Anandabhairavi“! Ich warte auf die hohe Oktave und eine Rückkehr, um sicher zu sein… er führt die Töne unauffällig ein und hat bei 2:10 bereits das hohe D erreicht. Ab 2:57 jedoch glänzt die Oktave mehrfach, bei 4:51 sagt er „Begada“, nachdem er gerade den Ton E mit Sorgfalt etabliert hat. Als nächstes wird uns „Hamir Kalyani“ begegnen. Ich finde auf einer anderen Tafel bei Pesch zwei Varianten davon (ich kenne Kalyan aus Nordindien, der Raga ist auch als Yaman bekannt, die lydische Kirchentonart), Achtung: Fis wechselt mit F je nach Richtung der Melodielinie. Der Sänger kündigt den Raga an bei 8:17.
Hamir Kalyan geht bis 10:46 – Ansage „Devagandhari“, ist auf der obigen Pesch-Tafel zu finden als 7. Reihe (4. von unten). Merkwürdiges Stocken bei 12:36 (er scheint zu überlegen), neuer Ansatz bei 12:51, 13:18 Ansage „Salaga Bhairavi“ (siehe im folgenden Ausschnitt letzte Reihe) – Abschluss bei 19:10, und hier beginnt laut Schriftzug „Poromboke“. Aber wo begann „Sindhu Bhairavi“? (Siehe im übernächsten Ausschnitt, 2. Reihe, zu beachten die fünf Tonvarianten am Ende der Reihe. Die Variante mit DES bei absteigender Melodielinie ist wesentlich!)
Mit dem Titel POROMBOKE sind wir beim zweiten, dem eigentlichen großen Thema. Jetzt wird der Text und die inhaltliche Information entscheidend. Und man könnte es sogar unwichtig finden, ob er musikalisch auf klassische Art behandelt wird oder – mit Pop-Elementen ausgestattet – einer entsprechend orientierten Hörerschicht vermittelt werden soll. Keine Entschuldigungen! Keine Vorbehalte! Hinein!!!
Poromboke is an old Tamil word meaning shared-use community resources like waterbodies, seashore and grazing lands that are not assessed for tax purposes. Today, it has become a bad word used to describe worthless people or places. Chennai Poromboke Paadal is part of a campaign to reclaim the word and restore its worth.
Kurangan is a Tamil pop-rock band
Kaber Vasuki [singer / songwriter]
Tenma [bass / music producer]
Krish [drums]
Sahib Singh [guitars]
Der Text des Liedes „Poromboke“ von Kaber Vasuki (Zahl mit * = Wiederholung)
Poromboke is not for you, nor for me It is for the community, it is for the earth (* 4) – Poromboke is in your care, it is in mine (*2) It is our common responsibility towards nature, towards the earth – Poromboke is in your care, it is in mine It is our common responsibility towards nature, towards the earth The flood has come and gone, what have we learnt from that? (*2) – To construct buildings inside waterbodies, what wisdom is that? – The flood has come and gone, what have we learnt from that? – To construct buildings inside waterbodies, what wisdom is that? – On the path that rainwater takes to the sea What need have we of concrete buildings? (*2) – It was not the rivers that chose to flow through cities (*2) Rather, it was around rivers that the cities chose to grow – It was not the rivers that chose to flow through cities Rather, it was around rivers that the cities chose to grow And lakes that rainwater awaited Poromboke – they were reverently labeled (*2) After Ennore got its power plant (*2) – Acres of ash, but river scant – After Ennore got its power plant, Acres of ash, but river scant – The sea and the river, he has kept apart (*2) – The white sky, he blackened The sea and the river, he has kept apart – The white sky, he blacked (*2) Once he gets done with Ennore, he will come for your place too (*3) – If you stop, challenge or dare to resist, ‘MAKE IN INDIA’ he will lie and insist (*3) – Growth, jobs, opportunities; these are just flimsy excuses (*2) – For one who sold the waterbodies, the lake is mere poromoboke – Growth, jobs, opportunities; these are just flimsy excuses – For one who sold the waterbodies, the lake is mere poromoboke (*2) – You and I, then; what are we to him? (*2) We are poromboke too (*2) I certainly am poromboke! (*2) How about you? – Are you poromboke too? I certainly am poromboke! – How about you? Are you poromboke too? I certainly am poromboke!
Wikipedia über TM Krishna HIER
ZITAT aus dem Wikipedia-Artikel
The Chennai Poromboke Paadal music video was released on January 14, 2017 on YouTube. An initiative by T.M.Krishna and environmental activist Nityanand Jayaraman – the Tamil song was written by Kaber Vasuki and composed by R.K. Shriramkumar, and the video was directed by Rathindran Prasad. The video featured Krishna performing in and around the Ennore creek and highlighted the environmental damage done to the creek by the power plant [Kraftwerk JR] in that region. The music video trended on YouTube India for a week after its release becoming the first Carnatic song to trend on YouTube. The song’s title contained the word „Poromboke“ which formerly meant land of the commons but has become a popular swear word. The music video also garnered attention for combining Tamil slang dialect with carnatic music.
Sofia Ashraf und ein anderes Beispiel für das engagierte (umwelt-)politische „Lied“ in Südindien (Achtung: es geht um eine Aktion gegen Unilever im Jahre 2015):
Im Nachspann bei 2:42 zu beachten: „Supported by T.M. Krishna“ !
Warum der offenbar einverständliche Protest?
Information über Kodaikanal hier. Über Quecksilbervergiftung in Kodaikanal hier.
Ja, ich bekenne es, ungern bestelle ich mir ein Buch bei dem weltweit bekannten Versand, aber es ging mir darum, schnellstmöglich an die Literatur zu kommen, die mir das oben erwähnte Werk über South Indian Classical Music von Ludwig Pesch auf eine Weise ergänzt, die mir bisher verschlossen war. Seit ich 1967 die karnatische Musik Südindiens durch Josef Kuckertz im Kölner Seminar kennenlernte, – ohne seine peniblen Transkriptionsübungen hätte ich die Schönheit einer Krti von Muttusvami Dikdhitar vielleicht nie bemerkt – , seit damals jedoch gab es in erster Linie nur dieses Interessengebiet in Südindien für mich. Hier jedoch erwartet mich offenbar das entscheidende Bindeglied zur „Realität“:
ZITAT Pressetext
T.M. Krishna, one of the foremost Karnatik vocalists today, begins his panoramic exploration of that tradition with a fundamental question: what is music? Taking nothing for granted and addressing diverse readers from Karnatik music’s rich spectrum and beyond it, Krishna provides a path-breaking overview of south Indian classical music. He advances provocative ideas about various aspects of its practice. Central to his thinking is the concept of ‚art music‘, the ability to achieve abstraction, as the foundational character of Karnatik music. In his explorations, he sights the visible connections and unappreciated intersections between this music form and others – Hindustani music, Bharatanatyam, fusion music and cine music – treading new, often contentious, ground.
(Fortsetzung folgt)