Eigentlich wollte ich nur etwas Fundamentales über die Rolle der Musik im Islam hören. Ich habe es notiert, und dann kam alles anders.
ZITAT
(2:43) Das ist wirklich wie eine Sucht, und das weckt in dir andere Gefühle! Glaub mir, wenn du so eine Musik hörst, das weckt in dir schlechte Gefühle. Und deswegen, Brüder, kann ich euch nur eins sagen: wer zu Hause MTV hat und zieht sich das rein, der wird es nicht schaffen, nach diesem Ramadan weiter in der Gehorsamkeit Allahs zu verweilen … und Allah richtig zu dienen. Weil diese Sache bringt dich auf einen andern Weg, glaub es mir: ich war in Marokko gewesen, und ich hab eine Nacht im Hotel … oder zwei Nächte im Hotel übernachtet, und als ich dann durch das Hotel, durch das Foyer gehen musste, da hab ich ein Lied gehört, was vor 10 Jahren oder so mein Lieblingslied gewesen ist. Wo man halt verschiedene Ereignisse mit verbindet, dieses von The Fugees, die meisten in meinem Alter, die kennen das garantiert alle – „killing me softly with this song“ – kennt garantiert jeder, der in meinem Alter ist: Glaub es mir – isch hab ja jetzt nicht gesungen, ich hab nur gesacht, wie dat Lied heißt – glaub es mir, ich hatte zwei Wochen nen Ohrwurm danach gehabt, mit diesem Lied, das heißt, es ist wirklich eine Sache vom Sheitan (Satan), um die Leute durcheinanderzubringen. Und glaub es mir, du wirst keinen finden, der sich mit diesen Sachen richtig beschäftigt, der … richtig auf dem … der es schafft, an der Religion richtig festzuhalten. Ich sage nicht, der ist kein Muslim, Quatsch, natürlich nicht, wir sind ja nicht ööhh… von dem Schlag einiger anderer (vor Lachen spricht er nun undeutlicher) Leute, bei dem jeder, der nich bei drei auf dem Baum bist, direkt zum Käfer (?Ketzer?) erklärt wird. Das ist halt einfach eine Sache, die dich vom Weg abbringt. Glaubt es mir, deshalb versucht diese Sache zu vermeiden! (4:26)
Also sprach Pierre Vogel (*1978 in Frechen) am 12.09.2009 in Düsseldorf. (Quelle)
Ich (JR) wollte wissen, ob das Lied wirklich so gefährlich ist; damals in den 90er Jahren (Cover-Version der Fugees 1996) habe ich es wohl wahrgenommen, jedoch – meiner schwächelnden Erinnerung nach – nicht zwei Wochen lang. Meistens hatte ich ja klassische Musik im Kopf, oft auch solche, die sich mit heiligen Stoffen beschäftigt.
Also habe ich nachgeschaut und nicht nur einmal: „Killing me softly“ – ein Video – Hier ! Hilfe!!!
Ich glaube, dass es das Video war, das ihm in Marokko nachging, als er die Melodie wiederhörte, nicht umsonst erwähnt er das gefährliche MTV-Fernsehen; ich aber habe nun beides am Hals, die Melodie und das Video. Den Ohrwurm und die fixe Idee, oder wie soll ich die beiden nennen?
Werde ich mich mit Hilfe klassischer Musik wieder mühsam auf den rechten Weg bringen? Ich bin ja auch ein Liebhaber von Vogel-Stimmen, ich meine: vom wirklichen Gesang der Vögel, aber der Frühling scheint weit. Auch im Islam. Es gibt dort einfach keinen hörbar aufgeklärten Kontrapunkt.
Kontrapunktus I „Syllabus“ SZ 1. Dezember 2014
ZITAT
Der Syllabus [errorum] erschien [am 8. Dezember 1864] als Anhang zur Enzyklika „Quanta cura“, in der Pius IX. zum Rundumschlag gegen die verhasste Moderne ausholte, in der er niemanden anders als den Teufel am Werk sah. Auf den Tag genau zehn Jahre zuvor hatte der Papst die Unbefleckte Empfängnis Mariens zum Dogma erhoben. Angesichts der modernen Zeit sah es Papst Pius IX. als seine wichtigste Aufgabe, die ihm anvertrauten Katholiken, die er als unmündige Schafe betrachtete, „von vergifteten Weideplätzen fern zu halten“ und alle modernen „Ketzereien und Irrtümer aufzudecken und zu verwerfen“. Von all den „verabscheuungswürdigsten entsetzlichen Meinungen“, die der Papst ausdrücklich als „irres und albernes Geschwätz“ beziehungsweise „Wahnwitz“ verdammte, stand bezeichnenderweise die Gewissens- und Religionsfreiheit an erster Stelle. (…)
Der Syllabus war kein „Ausrutscher“ des päpstlichen Lehramtes. Er fügt sich vielmehr bruchlos in eine Linie der Verurteilung der Werte der Moderne, die mit dem Breve „Quod aliquantum“ von 1791 begann. Mit diesem hatte Papst Pius VI. nicht nur die Zivilkonstitution des Klerus verdammt, die Pfarrer und Bischöfe zu Beamten des revolutionären Staates machte, sondern zugleich die Freiheitsidee der Französischen Revolution und die Erklärung der Menschenrechte. (…) Gregor XVI. verdammte insbesondere die Gewissensfreiheit als pestil[l]entissimus error, als „pesthaften Irrtum“. (…)
Aber diese ununterbrochene Tradition bildet nur eine Seite der Medaille. Katholizismus und Kirche erwiesen sich in ihrem Verhältnis zur Moderne und ihren Werten nicht als monolithischer Block. Im Gegenteil: Zwei ganz unterschiedliche Katholizismen rangen seit 1789 miteinander um die Vorherrschaft. (…)
Auf dem Fundus dieser [zweiten] Tradition konnte das Zweite Vatikanische Konzil schöpfen, als es am 7. Dezember 1965 seine Erklärung über die Religionsfreiheit „Dignitatis Humanae“ verabschiedete und feststellte, „dass die menschliche Person das Recht auf religiöse Freiheit hat“ und „in religiösen Dingen niemand gezwungen wird, gegen sein Gewissen zu handeln“. Ferner erklärte das Konzil, „das Recht auf religiöse Freiheit in Wahrheit auf die Würde der menschlichen Person selbst gegründet ist“. Nicht mehr die Lehren der Päpste sind die Träger von Rechten, sondern ausschließlich die menschliche Person und ihr Gewissen. Der Rechtsphilosoph Ernst-Wolfgang Böckenförde sprach deshalb von einer „kopernikanischen Wende“ vom „Recht der Wahrheit“ zum „Recht der Person“ […].
Quelle Süddeutsche Zeitung 1. Dezember 2014 (Seite 13) Hubert Wolf: Und sie bewegt sich doch Vor 150 Jahren veröffentlichte Papst Pius IX. seinen „Syllabus errorum“ – eine „Liste von Irrtümern“. Unter anderem verdammte er Demokratie und Religionsfreiheit. Aber die Kirche hat daraus gelernt.
Kontrapunktus II „Facebook“ SZ 1. Dezember 2014
Ich lese die einprägsamen Zwischentitel:
Das Internet ist wie ein Bahnhof: ein privates Gebäude, das man als öffentlichen Raum benützt
und
Private Unternehmen garantieren Freiheit, der Staat bedroht sie, heißt es im Silicon Valley
Vorweg: Was ist mit AGB? siehe diesen Artikel (Spiegel online).
Auch hier werden also zwei Richtungen debattiert: Zum einen befürchtet man einen Verlust an Meinungsfreiheit, „solange die Plattformen des öffentlichen Diskurses in der Hand privater Unternehmen sind, die ihre AGBs jederzeit ändern können. Da ist der Glaube stark „an die Überlegenheit der demokratischen, staatlich geschützten Öffentlichkeit“, wobei es nicht zuletzt ums Prinzip des Rechtsstaates geht. Deshalb die Forderung, „dass in gesellschaftlichen Fragen ein demokratisch legitimiertes Gericht das letzte Wort haben muss.“
ZITAT
Dem gegenüber steht die Meinung der Libertären im Silicon Valley. Sie argumentieren, dass gerade die Privatheit der Firmen die Nutzer und deren Meinungen schütze, zum Beispiel vor staatlichem Einfluss und Zensur. Die Geschichte gibt ihnen zum Teil recht: Über viele Jahrhunderte wies Öffentlichkeit regelmäßig als wichtiges Kennzeichen die Abwesenheit staatlichen Einflusses auf, zum Beispiel in den Salons vergangener Zeiten, in denen das Wort offener geführt und besser geschützt war als auf den Plätzen der Städte.
Insbesondere in autoritären Staaten ist dieses Argument auch heute nicht von der Hand zu weisen. Das macht die Debatte nicht weniger komplex. Denn was gut ist für uns, muss nicht gut sein für die Nutzer in Iran oder Ägypten. Doch umgekehrt bedeutet das wohl kaum, dass ein Ägypter oder Iraner seine Meinungsfreiheit unbedingt einem privaten Konzern unterwerfen möchte; es ist lediglich der Platz für ihn, an dem er am meisten Meinungsfreiheit genießt. Der Kampf dafür, dass das auch in Zukunft so bleiben wird, beginnt gerade erst.
Quelle Süddeutsche Zeitung 1. Dezember 2014 (Seite 11) Johannes Boie: Freiheit von Facebooks Gnaden Die öffentliche Debatte verlagert sich ins Internet, dort unterliegt sie aber der Kontrolle privater Firmen.
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An diesem Beispiel würde ich ausführen, was ich – ohne überheblich argumentieren zu wollen – für mich persönlich als hilfreich ansehe: jenseits einer dialektischen Methode eine trialektische oder sogar „polylektische“ Methode zu verfolgen. Die erste Zeile der Partitur könnte relativ banal verlaufen, aber durchaus schon zweistimmig, während erst die Kontrapunkte der nächsten Zeilen den Sinn des Zusammenspiels im Ganzen erkennen lassen.
Während ich für diese Idee im Internet Nahrung suche, stoße ich auf Hinweise, dass die genannten Begriffe (die ja auch nicht so exotisch sind, dass sie dem „Zufall“ eines einzigen Blogeintrags entspringen könnten) längst in der Diskussion sind. Wie man z.B. hier sieht. (Eine Stelle, die ich aber nicht im geringsten einschätzen kann. Deshalb betone ich, dass die Idee zunächst nur für mich eine heuristische Funktion hat und mit keinem schon vorhandenen System (oder Nicht-System) im Einklang stehen muss.)