Archiv für den Monat: November 2014

Ohrwurm des Teufels

Eigentlich wollte ich nur etwas Fundamentales über die Rolle der Musik im Islam hören. Ich habe es notiert, und dann kam alles anders.

ZITAT

(2:43) Das ist wirklich wie eine Sucht, und das weckt in dir andere Gefühle! Glaub mir, wenn du so eine Musik hörst, das weckt in dir schlechte Gefühle. Und deswegen, Brüder, kann ich euch nur eins sagen: wer zu Hause MTV hat und zieht sich das rein, der wird es nicht schaffen, nach diesem Ramadan weiter in der Gehorsamkeit Allahs zu verweilen … und Allah richtig zu dienen. Weil diese Sache bringt dich auf einen andern Weg, glaub es mir: ich war in Marokko gewesen, und ich hab eine Nacht im Hotel … oder zwei Nächte im Hotel übernachtet, und als ich dann durch das Hotel, durch das Foyer gehen musste, da hab ich ein Lied gehört, was vor 10 Jahren oder so mein Lieblingslied gewesen ist. Wo man halt verschiedene Ereignisse mit verbindet, dieses von The Fugees, die meisten in meinem Alter, die kennen das garantiert alle – „killing me softly with this song“ – kennt garantiert jeder, der in meinem Alter ist: Glaub es mir – isch hab ja jetzt nicht gesungen, ich hab nur gesacht, wie dat Lied heißt – glaub es mir, ich hatte zwei Wochen nen Ohrwurm danach gehabt, mit diesem Lied, das heißt, es ist wirklich eine Sache vom Sheitan (Satan), um die Leute durcheinanderzubringen. Und glaub es mir, du wirst keinen finden, der sich mit diesen Sachen richtig beschäftigt, der … richtig auf dem … der es schafft, an der Religion richtig festzuhalten. Ich sage nicht, der ist kein Muslim, Quatsch, natürlich nicht, wir sind ja nicht ööhh… von dem Schlag einiger anderer (vor Lachen spricht er nun undeutlicher) Leute, bei dem jeder, der nich bei drei auf dem Baum bist, direkt zum Käfer (?Ketzer?) erklärt wird. Das ist halt einfach eine Sache, die dich vom Weg abbringt. Glaubt es mir, deshalb versucht diese Sache zu vermeiden! (4:26)

Also sprach Pierre Vogel (*1978 in Frechen) am 12.09.2009 in Düsseldorf. (Quelle)

Ich (JR) wollte wissen, ob das Lied wirklich so gefährlich ist; damals in den 90er Jahren (Cover-Version der Fugees 1996) habe ich es wohl wahrgenommen, jedoch – meiner schwächelnden Erinnerung nach – nicht zwei Wochen lang. Meistens hatte ich ja klassische Musik im Kopf, oft auch solche, die sich mit heiligen Stoffen beschäftigt.

Also habe ich nachgeschaut und nicht nur einmal: „Killing me softly“ – ein Video – Hier ! Hilfe!!!

Ich glaube, dass es das Video war, das ihm in Marokko nachging, als er die Melodie wiederhörte, nicht umsonst erwähnt er das gefährliche MTV-Fernsehen; ich aber habe nun beides am Hals, die Melodie und das Video. Den Ohrwurm und die fixe Idee, oder wie soll ich die beiden nennen?

Werde ich mich mit Hilfe klassischer Musik wieder mühsam auf den rechten Weg bringen? Ich bin ja auch ein Liebhaber von Vogel-Stimmen, ich meine: vom wirklichen Gesang der Vögel, aber der Frühling scheint weit. Auch im Islam. Es gibt dort einfach keinen hörbar aufgeklärten Kontrapunkt.

Kontrapunktus I „Syllabus“ SZ 1. Dezember 2014

ZITAT

Der Syllabus [errorum] erschien [am 8. Dezember 1864] als Anhang zur Enzyklika „Quanta cura“, in der Pius IX. zum Rundumschlag gegen die verhasste Moderne ausholte, in der er niemanden anders als den Teufel am Werk sah. Auf den Tag genau zehn Jahre zuvor hatte der Papst die Unbefleckte Empfängnis Mariens zum Dogma erhoben. Angesichts der modernen Zeit sah es Papst Pius IX. als seine wichtigste Aufgabe, die ihm anvertrauten Katholiken, die er als unmündige Schafe betrachtete, „von vergifteten Weideplätzen fern zu halten“ und alle modernen „Ketzereien und Irrtümer aufzudecken und zu verwerfen“. Von all den „verabscheuungswürdigsten entsetzlichen Meinungen“, die der Papst ausdrücklich als „irres und albernes Geschwätz“ beziehungsweise „Wahnwitz“ verdammte, stand bezeichnenderweise die Gewissens- und Religionsfreiheit an erster Stelle. (…)

Der Syllabus war kein „Ausrutscher“ des päpstlichen Lehramtes. Er fügt sich vielmehr bruchlos in eine Linie der Verurteilung der Werte der Moderne, die mit dem Breve „Quod aliquantum“ von 1791 begann. Mit diesem hatte Papst Pius VI. nicht nur die Zivilkonstitution des Klerus verdammt, die Pfarrer und Bischöfe zu Beamten des revolutionären Staates machte, sondern zugleich die Freiheitsidee der Französischen Revolution und die Erklärung der Menschenrechte. (…) Gregor XVI. verdammte insbesondere die Gewissensfreiheit als pestil[l]entissimus error, als „pesthaften Irrtum“. (…)

Aber diese ununterbrochene Tradition bildet nur eine Seite der Medaille. Katholizismus und Kirche erwiesen sich in ihrem Verhältnis zur Moderne und ihren Werten nicht als monolithischer Block. Im Gegenteil: Zwei ganz unterschiedliche Katholizismen rangen seit 1789 miteinander um die Vorherrschaft. (…)

Auf dem Fundus dieser [zweiten] Tradition konnte das Zweite Vatikanische Konzil schöpfen, als es am 7. Dezember 1965 seine Erklärung über die Religionsfreiheit „Dignitatis Humanae“ verabschiedete und feststellte, „dass die menschliche Person das Recht auf religiöse Freiheit hat“ und „in religiösen Dingen niemand gezwungen wird, gegen sein Gewissen zu handeln“. Ferner erklärte das Konzil, „das Recht auf religiöse Freiheit in Wahrheit auf die Würde der menschlichen Person selbst gegründet ist“. Nicht mehr die Lehren der Päpste sind die Träger von Rechten, sondern ausschließlich die menschliche Person und ihr Gewissen. Der Rechtsphilosoph Ernst-Wolfgang Böckenförde sprach deshalb von einer „kopernikanischen Wende“ vom „Recht der Wahrheit“ zum „Recht der Person“ […].

Quelle Süddeutsche Zeitung 1. Dezember 2014 (Seite 13) Hubert WolfUnd sie bewegt sich doch Vor 150 Jahren veröffentlichte Papst Pius IX. seinen „Syllabus errorum“ – eine „Liste von Irrtümern“. Unter anderem verdammte er Demokratie und Religionsfreiheit. Aber die Kirche hat daraus gelernt.

Kontrapunktus II „Facebook“ SZ 1. Dezember 2014

Ich lese die einprägsamen Zwischentitel:

Das Internet ist wie ein Bahnhof: ein privates Gebäude, das man als öffentlichen Raum benützt

und

Private Unternehmen garantieren Freiheit, der Staat bedroht sie, heißt es im Silicon Valley

Vorweg: Was ist mit AGB? siehe diesen Artikel (Spiegel online).

Auch hier werden also zwei Richtungen debattiert: Zum einen befürchtet man einen Verlust an Meinungsfreiheit, „solange die Plattformen des öffentlichen Diskurses in der Hand privater Unternehmen sind, die ihre AGBs jederzeit ändern können. Da ist der Glaube stark „an die Überlegenheit der demokratischen, staatlich geschützten Öffentlichkeit“, wobei es nicht zuletzt ums Prinzip des Rechtsstaates geht. Deshalb die Forderung, „dass in gesellschaftlichen Fragen ein demokratisch legitimiertes Gericht das letzte Wort haben muss.“

ZITAT

Dem gegenüber steht die Meinung der Libertären im Silicon Valley. Sie argumentieren, dass gerade die Privatheit der Firmen die Nutzer und deren Meinungen schütze, zum Beispiel vor staatlichem Einfluss und Zensur. Die Geschichte gibt ihnen zum Teil recht: Über viele Jahrhunderte wies Öffentlichkeit regelmäßig als wichtiges Kennzeichen die Abwesenheit staatlichen Einflusses auf, zum Beispiel in den Salons vergangener Zeiten, in denen das Wort offener geführt und besser geschützt war als auf den Plätzen der Städte.

Insbesondere in autoritären Staaten ist dieses Argument auch heute nicht von der Hand zu weisen. Das macht die Debatte nicht weniger komplex. Denn was gut ist für uns, muss nicht gut sein für die Nutzer in Iran oder Ägypten. Doch umgekehrt bedeutet das wohl kaum, dass ein Ägypter oder Iraner seine Meinungsfreiheit unbedingt einem privaten Konzern unterwerfen möchte; es ist lediglich der Platz für ihn, an dem er am meisten Meinungsfreiheit genießt. Der Kampf dafür, dass das auch in Zukunft so bleiben wird, beginnt gerade erst.

Quelle Süddeutsche Zeitung 1. Dezember 2014 (Seite 11) Johannes BoieFreiheit von Facebooks Gnaden Die öffentliche Debatte verlagert sich ins Internet, dort unterliegt sie aber der Kontrolle privater Firmen.

***

An diesem Beispiel würde ich ausführen, was ich – ohne überheblich argumentieren zu wollen – für mich persönlich als hilfreich ansehe: jenseits einer dialektischen Methode eine trialektische oder sogar „polylektische“ Methode zu verfolgen. Die erste Zeile der Partitur könnte relativ banal verlaufen, aber durchaus schon zweistimmig, während erst die Kontrapunkte der nächsten Zeilen den Sinn des Zusammenspiels im Ganzen erkennen lassen.

Während ich für diese Idee im Internet Nahrung suche, stoße ich auf Hinweise, dass die genannten Begriffe (die ja auch nicht so exotisch sind, dass sie dem „Zufall“ eines einzigen Blogeintrags entspringen könnten) längst in der Diskussion sind. Wie man z.B. hier sieht. (Eine Stelle, die ich aber nicht im geringsten einschätzen kann. Deshalb betone ich, dass die Idee zunächst nur für mich eine heuristische Funktion hat und mit keinem schon vorhandenen System (oder Nicht-System) im Einklang stehen muss.)

Fades Licht ist schön!

Nachdem mir kürzlich die Wörter „fade“ und „Fadheit“ mit positiver Konnotation nahegebracht wurden, bemerke ich, dass mir das „fade Licht“, das man offenbar gern im Dezember beobachtet und fotografiert, immer schon etwas bedeutet hat. Aber was? Wirkte es „unheilschwanger“ oder „glückverheißend“? Oder hatte ich einfach ein fahles Licht gemeint?

In Bayern sagt man „fad“, wenn langweilig oder gehaltlos gemeint ist. Ich käme nicht auf die Idee, den „Faden“ damit zu assoziieren, denn er bedeutet gerade Zusammenhang, er verläuft nicht im zufälligen Außenbereich, sondern verbindet die Kernpunkte zu einer im Prinzip unendlichen Linie. Was ist mit „fadenscheinig“? Die Fäden scheinen durch, der Stoff ist mürbe, er will zerfallen. Trotzdem keine unästhetische Vorstellung, man denkt schon fast an „licht“.  Oder Licht. Nur in der Logik gilt die Fadenscheinigkeit als Täuschungsmanöver. Ein fadenscheiniger Vorwand kann nicht als positiv gewertet werden. Es sei denn, er hebt die Verlegenheit um so deutlicher ans Licht. Das englische „fading“ hat nicht nur einen ganz anderen Klang, es hat auch von Natur einen Hauch Poetik. Ich finde es ungehörig, das deutsche „fade“ mit dem englischen „fade“ assoziativ zu vermengen. Da könnte ich doch gleich Gegensatzpaare zusammenstellen und behaupten, es handle sich nur um Schattierungen. Oder ist es so?

Nehmen wir die Fadheit. Das Synonymenlexikon sagt, sie habe mit Langeweile und Geschmacklosigkeit zu tun, des weiteren werden genannt: Monotonie, Alltäglichkeit, Einerlei, Einförmigkeit, Gleichförmigkeit, Tristesse, Trostlosigkeit, Öde, Einfallslosigkeit, Mangel an Abwechslung.

Damit wäre der Fall für mich erledigt, ich muss dieses Wort nicht anwenden, wenn es sogleich in einem sehr engen Sinn – nämlich aufs Chinesische bezogen – verstanden werden soll. Oder soll ich zur Eingewöhnung in den Gebrauch eines bestimmten Wortes  ein ganzes Buch lesen?

François Jullien: Über das Fade – eine Eloge. Zu Denken und Ästhetik in China, Berlin 1999.

Vielleicht.

„Läßt man die unzulässigen, weil unhistorischen und undifferenzierten Generalisierungen unbeachtet, so ermöglicht Julliens erstes in deutscher Sprache vorliegendes Buch eine ungewöhnliche Perspektive auf ein zentrales Thema der chinesischen Elitekultur: die Feier des Neutralen und Geschmacklosen als des höchsten Werts ästhetischer Empfindung“  (Michael Lackner FAZ 26.07.1999)

Vielleicht…

„Indem Siemons mit Laotse und Konfuzius die Psychoanalyse neu und subversiver lesen möchte, werden dem Rezensenten die Fährnisse der Vorgehensweise erst deutlich. Abstraktion der Denkmuster führt hier zu einer merkwürdigen Schwerelosigkeit, durch die das behandelte Material seine Lebendigkeit verliert, meint Siemons.“ (Perlentaucher über die Rezension eines anderen Buches von Juillien, 5.10.2013 FAZ.)

Kontemplation

Tier – Mensch – Landschaft

Ein Kind schrieb ins Gästebuch des Kolumba-Museums Köln (wohl nach Betrachtung eines Kuh-Portraits):

Die Kuh kaut sich ihre Gedanken schön.

Der Philosoph Byung-Chul Han sagt: „Im kontemplativen Zustand tritt man gleichsam aus sich heraus und versenkt sich in die Dinge.“ Er zitiert Merleau-Ponty, der Cézannes kontemplative Betrachtung der Landschaft als eine Entäußerung oder Entinnerlichung beschreibt:

Zunächst versucht er sich Klarheit über die geologischen Schichten zu verschaffen. Dann bewegte er sich noch mehr von der Stelle und schaute nur noch, bis ihm die Augen, wie Madame Cézanne sagte, aus dem Kopf heraustraten. (…) Die Landschaft, sagte er, denkt sich in mir, ich bin ihr Bewusstsein.

Quelle Byung-Chul Han: Müdigkeitsgesellschaft – Matthes & Seitz Berlin 2010 (Seite 30f) und: Maurice Merleau-Ponty: Das Auge und der Geist – Philosophische Betrachtungen Hamburg 1984 (Seite 16)

Friedrich Nietzsche:

Betrachte die Herde, die an dir vorüberweidet: sie weiß nicht, was Gestern, was Heute ist, springt umher, frißt, ruht, verdaut, springt wieder, und so vom Morgen bis zur Nacht und von Tage zu Tage, kurz angebunden mit ihrer Lust und Unlust, nämlich an den Pflock des Augenblicks, und deshalb weder schwermütig noch überdrüssig. Dies zu sehen geht dem Menschen hart ein, weil er seines Menschentums sich vor dem Tiere brüstet und doch nach seinem Glücke eifersüchtig hinblickt – denn das will er allein, gleich dem Tiere weder überdrüssig noch unter Schmerzen leben, und will es doch vergebens, weil er es nicht will wie das Tier. Der Mensch fragt wohl einmal das Tier: warum redest du mir nicht von deinem Glücke und siehst mich nur an? Das Tier will auch antworten und sagen: das kommt daher, daß ich immer gleich vergesse, was ich sagen wollte – da vergaß es aber auch schon diese Antwort und schwieg: so daß der Mensch sich darob verwunderte.

Er wunderte sich aber auch über sich selbst, das Vergessen nicht lernen zu können und immerfort am Vergangenen zu hängen: mag er noch so weit, noch so schnell laufen, die Kette läuft mit. Es ist ein Wunder: der Augenblick, im Husch da, im Husch vorüber, vorher ein Nichts, nachher ein Nichts, kommt doch noch als Gespenst wieder und stört die Ruhe eines späteren Augenblicks. Fortwährend löst sich ein Blatt aus der Rolle der Zeit, fällt heraus, flattert fort – und flattert plötzlich wieder zurück, dem Menschen in den Schoß. Dann sagt der Mensch »ich erinnere mich« und beneidet das Tier, welches sofort vergißt und jeden Augenblick wirklich sterben, in Nebel und Nacht zurücksinken und auf immer verlöschen sieht. So lebt das Tierunhistorisch: denn es geht auf in der Gegenwart, wie eine Zahl, ohne daß ein wunderlicher Bruch übrigbleibt, es weiß sich nicht zu verstellen, verbirgt nichts und erscheint in jedem Momente ganz und gar als das, was es ist, kann also gar nicht anders sein als ehrlich. Der Mensch hingegen stemmt sich gegen die große und immer größere Last des Vergangenen: diese drückt ihn nieder oder beugt ihn seitwärts, diese beschwert seinen Gang als eine unsichtbare und dunkle Bürde, welche er zum Scheine einmal verleugnen kann, und welche er im Umgange mit seinesgleichen gar zu gern verleugnet: um ihren Neid zu wecken. Deshalb ergreift es ihn, als ob er eines verlorenen Paradieses gedächte, die weidende Herde oder, in vertrauterer Nähe, das Kind zu sehen, das noch nichts Vergangenes zu verleugnen hat und zwischen den Zäunen der Vergangenheit und der Zukunft in überseliger Blindheit spielt. Und doch muß ihm sein Spiel gestört werden: nur zu zeitig wird es aus der Vergessenheit heraufgerufen. Dann lernt es das Wort »es war« zu verstehen, jenes Losungswort, mit dem Kampf, Leiden und Überdruß an den Menschen herankommen, ihn zu erinnern, was sein Dasein im Grunde ist – ein nie zu vollendendes Imperfektum. Bringt endlich der Tod das ersehnte Vergessen, so unterschlägt er doch zugleich dabei die Gegenwart und das Dasein und drückt damit das Siegel auf jene Erkenntnis – daß Dasein nur ein ununterbrochenes Gewesensein ist, ein Ding, das davon lebt, sich selbst zu verneinen und zu verzehren, sich selbst zu widersprechen.

Wenn ein Glück, wenn ein Haschen nach neuem Glück in irgendeinem Sinne das ist, was den Lebenden im Leben festhält und zum Leben fortdrängt, so hat vielleicht kein Philosoph mehr Recht als der Zyniker: denn das Glück des Tieres, als des vollendeten Zynikers, ist der lebendige Beweis für das Recht des Zynismus. Das kleinste Glück, wenn es nur ununterbrochen da ist und glücklich macht, ist ohne Vergleich mehr Glück als das größte, das nur als Episode, gleichsam als Laune, als toller Einfall, zwischen lauter Unlust, Begierde und Entbehrung kommt. Bei dem kleinsten aber und bei dem größten Glücke ist es immer eins, wodurch Glück zum Glücke wird: das Vergessenkönnen oder, gelehrter ausgedrückt, das Vermögen, während seiner Dauer unhistorisch zu empfinden. Wer sich nicht auf der Schwelle des Augenblicks, alle Vergangenheiten vergessend, niederlassen kann, wer nicht auf einem Punkte wie eine Siegesgöttin ohne Schwindel und Furcht zu stehen vermag, der wird nie wissen, was Glück ist, und noch schlimmer: er wird nie etwas tun, was andre glücklich macht. Denkt euch das äußerste Beispiel, einen Menschen, der die Kraft zu vergessen gar nicht besäße, der verurteilt wäre, überall ein Werden zu sehen: ein solcher glaubt nicht mehr an sein eigenes Sein, glaubt nicht mehr an sich, sieht alles in bewegte Punkte auseinanderfließen und verliert sich in diesem Strome des Werdens: er wird wie der rechte Schüler Heraklits zuletzt kaum mehr wagen, den Finger zu heben. Zu allem Handeln gehört Vergessen: wie zum Leben alles Organischen nicht nur Licht, sondern auch Dunkel gehört. Ein Mensch, der durch und durch nur historisch empfinden wollte, wäre dem ähnlich, der sich des Schlafens zu enthalten gezwungen würde, oder dem Tiere, das nur vom Wiederkäuen und immer wiederholtem Wiederkäuen leben sollte. Also: es ist möglich, fast ohne Erinnerung zu leben, ja glücklich zu leben, wie das Tier zeigt; es ist aber ganz und gar unmöglich, ohne Vergessen überhaupt zu leben. Oder, um mich noch einfacher über mein Thema zu erklären: es gibt einen Grad von Schlaflosigkeit, von Wiederkäuen, von historischem Sinne, bei dem das Lebendige zu Schaden kommt und zuletzt zugrunde geht, sei es nun ein Mensch oder ein Volk oder eine Kultur.

Quelle Friedrich Nietzsche: Unzeitgemäße Betrachtungen. Zweites Stück. Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben. Anfang Kapitel 1.

Das unruhige Tier (1:49)

Der unruhige Mensch (2:25)

Neue Information 24.12. 2014 Frankfurter Allgemeine Zeitung (19.12.2014)

Kommunikation bei Kühen „Muh“ ist nicht gleich „Muh“ Keine stumme Kreatur – und dumm schon gar nicht: Forscher belegen mit spezieller Technik, dass Kühe und ihre Kälber sich differenziert mit unterschiedlichen Lauten verständigen. Von Christina Hucklenbroich. (s.a. hier)

Verhexte Koinzidenzen

Vom guten Glauben und zufälligen Obsessionen

Ich will nicht verhehlen, dass ich an die tiefere Bedeutung von Koinzidenzen nicht glaube. Es soll ja Leute gegeben haben, denen aus solchen Zufällen – wie aus der Erfahrung eines Déjà vue – die Ahnung erwuchs, sie seien zu hohen Dingen berufen. Vermutlich reagiere ich aber immer wieder nur auf bestimmte Reflexe und ordne sie einander zu. Das heißt zum Beispiel: ich fahre zu einem Vortrag ganz in der Nähe, Haus Graven, weil dort ein Vortrag über Geschichte, Eigenart und Vielfalt der Kartoffel (mit nachfolgender Speisung und Tränkung der Gäste) stattfinden sollte. Ausschlaggebend: ich kenne die Referenten Herbert Ferres und Olaf Link, – den einen als Anbieter einer hervorragenden Auswahl von frischen Lebensmitteln auf dem Ohligser Wochenmarkt, den andern als Autor von heimatbezogenen Büchern sowie durch Berichte im Solinger Tageblatt. Ich kaufe eines von den ausgelegten Büchern, zufällig (?) das über die Hexenprozesse im Bergischen Land. Wahrscheinlich, weil ich hineingeschaut hatte und zufällig (?) auf ein Argument zum Hexenwahn gestoßen bin, das ich bisher nicht bedacht hatte. Es deutete auf „echten“ Glauben. Zudem erinnerte ich mich an ein Denkmal des Schreckens in Völs am Schlern (Südtirol). „Viel Spaß und Gruselstunden!“ hieß es da.

Hexen Völs 2012 Foto E. Reichow 2012

Hier und heute aber gab es ausschließlich Informationen rund um die Kartoffel, die weiß Gott nichts mit den Hexen ihrer Zeit zu tun hatten. Mein Glaube an die Kraft der Kartoffel ist gefestigt!  (Hochinteressant: die vorübergehende „Verteufelung“ der Linda in unserem Jahrhundert… s.a. unter Big-Brother-Awards.)

Kartoffel 141128

Das oben erwähnte Argument:

Die beschriebenen Torturen galten in den Hexenprozessen als „probatio probatissimi“, als „Beweis aller Beweise“. Die Folterungen sollten ermöglichen, dass die Angeklagten auch gegen den Willen des Teufels ihre Taten gestehen können. Allgemein vertraute man darauf, dass Gott die Verurteilung Unschuldiger nicht zulassen würde. Hieraus leiteten die Menschen die Gewissheit ab, dass, wer verurteilt wurde, auch schuldig war. (Seite 27)

Hexen Olaf Link vorn Hexen Olaf Link rück TextISBN 978-3-86680-319-0

Heute morgen schlage ich die Zeitung auf und sehe die folgenden großangelegten Berichte: über drei Seiten der mit farbigen Bildern versehene Artikel über die bösen Geister in Papua-Neuguinea und die taktvollerweise angehängte Rekapitulation unserer 400 Jahre unterm Zeichen des „Hexenhammers“: Die Hölle, das sind nicht nur die Anderen…

SZ Hexen Papua SZ Hexen Europa

Quelle Süddeutsche Zeitung Samstag/Sonntag 29./30. November 2014 Seite 13 ff BUCH ZWEI. Autoren: Arne Perras und Matthias Dobrinski.

Versöhnlicher Ausklang: Die Kartoffelhexe

Kartoffelhexe

(Foto: Wikipedia Commons)

Von der Andersheit in der Musik

Kürzlich schrieb mir ein Freund, der den Beitrag über den Deutschen Schallplattenpreis mit Interesse gelesen hatte: „In den Link mit der indischen Musik habe ich hineingehört und weiß, dass ich mich damit nicht anfreunden werde.“

Basta! Diese Reaktionen kenne ich, seit ich mich mit „fremder “ Musik angefreundet habe: mit japanischer seit 1960, arabischer seit 1967, südindischer seit 1968, nordindischer und iranischer seit 1972 usw. Seit den 70er Jahren habe ich überhaupt keine Musikkultur der Welt mehr absichtlich ausgeklammert. Ich hielt sie alle für „mental und sinnlich amalgamierbar“. Wobei gefühlte Vermittlungsprobleme (im Selbstversuch und auch nach außen) allerdings nicht ausgeschlossen waren (chinesische Oper).

Mit Erstaunen lese ich heute, dass diese Erfahrungen längst objektiviert sind. Allerdings: die Musik steht dabei grundsätzlich auf einem anderen Blatt; nicht einmal jeder Ethnologe hält es für selbstverständlich, sich auch mit der Musik „seines“ Stammes ernsthaft zu befassen. (Beispiel: Clifford Geertz mit seiner ansonsten so „dichten Beschreibung“.)

Die Ethnologie unterscheidet zwischen Alterität („übersetzbare“ Andersheit) und Alienität („radikale“ Andersheit). In erster Linie versucht die Ethnologie, das Fremde in Begriffe des Eigenen zu übersetzen, d. h. zu nostrifizieren. Damit riskiert man aber das „Rätsel des Fremden“ auszuschließen. Aus solcher Sichtweise aus der fremden Lebensform heraus kann manches zu sehen sein, das aus der eigenen Warte eventuell gar nicht zugänglich ist.

Quelle Wikipedia „Fremde“

Der Philosoph Byung-Chul Han schreibt:

Das vergangene Jahrhundert ist ein immunologisches Zeitalter. Es ist eine Epoche, in der eine klare Trennung von Innen und Außen, von Freund und Feind oder von Eigenem und Fremdem vorgenommen wurde. Auch der Kalte Krieg folgte diesem immunologischen Schema. (…)

Unbemerkt vollzieht sich seit einiger Zeit ein Paradigmenwechsel. Das Ende des Kalten Krieges fand gerade im Zuge dieses Paradigmenwechsels statt. Die Gesellschaft gerät heute zunehmend in eine Konstellation, die sich dem immunologischen Organisations- und Abwehrschema ganz entzieht. Sie zeichnet sich durch das Veschwinden der  Andersheit und Fremdheit aus. Die Andersheit ist die Grundkategorie der Immunologie. Jede Immunreaktion ist eine Reaktion auf Andersheit. Heutzutage tritt an die Stelle der Andersheit die Differenz, die keine Immunreaktion hervorruft. Die postimmunologische, ja postmoderne Differenz macht nicht mehr krank. Auf der immunologischen Ebene ist sie das Gleiche. Der Differenz fehlt gleichsam der Stachel der Fremdheit, der eine heftige Immunreaktion auslösen würde. Auch die Fremdheit entschärft sich zu einer Konsumformel. Das Fremde weicht dem Exotischen. Der Tourist oder der Konsument ist kein immunologisches Subjekt mehr.

Quelle Byung-Chul Han: Müdigkeitsgesellschaft Matthes & Seitz Berlin 2010 /9. Auflage 2014 (Seite 8f) ISBN 978-3-88221-616-5

Auch an dieser Stelle kann ich wieder meine Anmerkung machen: dergleichen gilt nicht für die Musik, es sei denn, sie wäre touristisch oder für den Konsum durch Fremde bis zur Unkenntlichkeit aufbereitet. Man kann zum Beispiel keinerlei fremde Musik leichten Herzens als „exotisch“ genießen, wenn sie a) laut ist, b) stundenlang dauert.

Wahrscheinlich behauptet sich das immunologische Paradigma hier sogar unbeirrt in den Grenzen von ehedem, und jede Verallgemeinerung hinsichtlich ihrer Aufweichung müsste sorgfältig überprüft werden.

Byung-Chul Han schreibt in Anmerkung 1 (Seite 65 a.a.O.), zum neuen Verständnis der Immunabwehr:

Der Gegenstand der Immunabwehr ist nicht mehr die Fremdheit oder Andersheit als solche. Abgewehrt wird nur jener fremde Eindringling, der sich im Inneren des Eigenen destruktiv verhält. Solange das Fremde in dieser Hinsicht nicht auffällt, wird es von der Immunabwehr nicht tangiert. Matzingers [siehe weiter unten] Idee zufolge ist das biologische Immunsystem gastfreundlicher als man bisher annahm. Es kennt nämlich keine Xenophobie. Diese ist eine krankhaft übersteigerte Immunreaktion, die selbst für die Entwicklung des Eigenen schädlich ist.

Er bezieht sich hier auf eine allerdings nicht unumstrittene Theorie der amerikanischen Immunologin Polly Matzinger, wobei er sie zuvor folgendermaßen rekapituliert:

Interessanterweise gibt es eine subtile Wechselwirkung zwischen gesellschaftlichen und biologischen Diskursen. Wissenschaften sind nicht frei von Dispositiven, die nicht wissenschaftlichen Ursprungs sind. So findet nach dem Ende des Kalten Krieges auch innerhalb der medizinischen Immunologie ein Paradigmenwechsel statt. Die amerikanische Immunologin Polly Matzinger verwirft das alte immunologische Paradigma des Kalten Krieges. Ihrem immunologischen Modell zufolge unterscheidet das Immunsystem nicht zwischen self und non-self, zwischen Eigenem und Fremdem oder Anderem, sondern zwischen friendly und dangerous.

Er stützt sich auf eine im Jahre 2007 veröffentlichte Arbeit von Polly Matzinger. Wenn man jedoch im Internet recherchiert, findet man etwas ältere Berichte aus 1997 (Die Zeit und Bild der Wissenschaft), später wenig Neues und schließlich den (eher privaten) Hinweis vom 22. Mai 2013, dass das „legendary Ghost Lab“ geschlossen worden sei und das NIAID (National Institute of Allergy and Infectious Deseases, Maryland USA) weitere Zuschüsse verweigere. Das muss nichts Negatives bedeuten, ist hier auch nicht ausreichend belegt, ermutigt aber zu einer gewissen Skepsis: etwa, was die Übertragbarkeit von „Dispositiven“ angeht.

Ohne Musik

Gesetzt: Ich suche einen Grund nachzudenken. Einen roten Faden. Das Thema hat sich von selbst gestellt (um 8.30 Uhr). Nicht beginnen mit der Poesie der Pflaumenblüte. Oder Kirschblüte. Etwa weil es vielleicht Winter wird und man ihm etwas entgegensetzen möchte. Kein Haiku zitieren und auch nicht nachdenklich in die Ferne schauen.

Winterregen. / Eine Maus läuft über die Saiten / der Mandoline. (Buson)

ZITAT

Nach Leibniz setzt das Sein des jeweiligen Dinges einen Grund voraus: „Setzt man ferner voraus, daß es Dinge geben muß, so muß man einen Grund dafür angeben können, weshalb sie so existieren müssen wie sie sind und nicht anders.“ Diese Frage nach dem Grund führt notwendig zum letzten Grund, der >Gott< genannt wird: „So muß also der letzte Grund der Dinge in einer notwendigen Substanz liegen, in der die Eigenart der Veränderungen nur in eminenter Weise, wie in ihrer Quelle enthalten ist: und diese Substanz nennen wir Gott.“  An diesem „letzten Grund der Dinge“ käme das Denken, das nach dem Warum fragt, zur Ruhe. Im Zen-Buddhismus wird eine andere Ruhe angestrebt. Diese wird erreicht gerade durch die Aufhebung der Warum-Frage, der Frage nach dem Grund.

Zwei Fragen nach dem Grund

Pflaumenfrucht Prunus_domestica Dies ist keine Pflaumenblüte

Blütenbau 600 WIKI Smart Dies ist keine Blüte

Jenem Gott der Metaphysik als letztem Grund wird eine blühende Grundlosigkeit entgegengesetzt: „Rote Blumen blühen in herrlicher Wirrnis.“ Auf eine singuläre Ruhe verweist das Zen-Wort: „Gestern, heute ist es so, wie es ist. Am Himmel geht die Sonne auf und der Mond unter. Vor dem Fenster ragt fern der Berg und fließt der Fluß.“

Auch Heideggersches Denken verzichtet bekanntlich auf jene metaphysische Vorstellung des Grundes, in der die Frage nach dem Warum zur Ruhe käme, eines Erklärungsgrundes, worauf das Sein jedes Seienden zurückzuführen wäre. Heidegger zitiert Silesius: „Die Rose ist ohne Warum, sie blüht, weil sie blüht.“ Dieses Ohne-Warum setzt Heidegger dem >Satz vom Grund<: Nihil est sine ratione (>Nichts ist ohne Grund<) entgegen. Es ist gewiß nicht leicht, im Grundlosen zu verweilen oder zu wohnen. Wird man also doch Gott anrufen müssen? Heidegger zitiert noch einmal Silesius: „Ein Herz, das zu Grund Gott still ist, wie er will, wird gern von ihm berührt: es ist sein Lautenspiel.“

Ohne Gott bliebe das Herz also ohne  >Musik<. Solange Gott nicht spielt, tönt die Welt nicht. Braucht die Welt also einen Gott? Die Welt des Zen-Buddhismus ist nicht nur ohne >Warum<, sondern auch ohne jede göttliche >Musik<. Auch das Haiku ist, hört man genauer hin, nicht >musikalisch<. Es hat kein Begehren, ist frei von der Anrufung oder Sehnsucht. So wirkt es fade*. Diese intensive Fadheit macht seine Tiefe aus.

Buson Mandoline

Quelle Byung-Chul Han: Philosophie des Zen-Buddhismus RECLAM 2002 ISBN 978-3-15-018185-0 (Seite 21f) Die Quellenangaben der Zitate im ZITAT wurden in dieser Abschrift weggelassen. *Zum Gebrauch des Wortes fade bedarf es aber wohl einer Erläuterung; Han bezieht sich auf François Jullien: Über das Fade – eine Eloge. Zu Denken und Ästhetik in China, Berlin 1999. (s.a. ein Gespräch über „das Fade“ zw. Stefan Fricke und Johannes S.Sistermanns hier.)

Die Bilder oben sind meine Zutat (Quelle Wikipedia) und haben mit dem zitierten Text, den ich mir einzuprägen suchte, nicht unmittelbar zu tun. Das Buson-Gedicht allerdings steht dort an Ort und Stelle, ohne als Abschluss gedacht zu sein.

Es ist 11:37, und die Sonne scheint.

Ein weiteres ZITAT:

Der Zen-Buddhismus ließe diese strikte Trennung zwischen dem Bekannten und dem Unbekannten, zwischen dem Erscheinenden und dem Verborgenen nicht zu. Alles, was zwischen Himmel und Erde glänzt und blüht, tönt und duftet, steigt und kommt, geht und fällt, klagt und schweigt, erbleicht und dunkelt, wäre schon maß-gebend. Es wird nicht nach etwas Verborgenem hinter der Erscheinung gesucht. Das Geheimnis wäre das Offenbare. Es gibt keine höhere Seinsebene, die der Erscheinung, der Phänomenalität vorgelagert wäre. Jenes Nichts bewohnt dieselbe Seinsebene wie die erscheinenden Dinge. Die Welt ist ganz da in einer Pflaumenblüte. Es gäbe nichts außerhalb der Offenbarkeit von Himmel und Erde, von Pflaumenblüte und Mond, nichts außerhalb der in ihrem eigenen Licht erscheinenden Dinge.

Quelle wie oben (Seite 24)

Zur indischen Violine

Biographie siehe Wikipedia HIER

Dr. N. Rajam spielt den Hindusthani-Stil der Indischen Musik. Ihr Bruder T.N. Krishnan den Karnatik-Stil. (Ich habe ihn am 1.12.82 für den WDR in einem DW-Studio aufgenommen: „Vatapi Ganapatim“ und Raga Todi.)

Der oben angegebenen Biographie zufolge hat sie auch ihre Nichte Kala Ramnath unterrichtet; in deren Bio wird sie folgendermaßen erwähnt:  She started performing from the age of 14 when her aunt presented her in concert. Ustad Zakir Hussain is noted complimenting her for playing just like her aunt Dr. N. Rajam, but asked who would like to listen to a copy when the original is still around. This irked young Ramnath, who was interested in leaving her mark in the musical world.

Zu Kala Ramnath siehe auch in diesem Blog HIER.

Benrath im Spätlicht

Benrath 1a Abendmahl

A’Marina! Nach dem italienischen Mittagsmahl (mit Blick auf eine Burgruine am leuchtenden Mittelmeer und auf ein Abendmahl – frei nach Leonardo – an den Wänden) gemächliche Wanderung durch den Schlosspark. Um 15.OO Uhr steht die Sonne tief hinter den Bäumen, hier und dort sehr hell, aber doch schon ganz dem Abend zugewandt. (Bilder durch Anklicken vergrößern.)

Benrath 5 a Schlossfront

Benrath 3 a Weiher

Benrath 11

Benrath 10 a Graben

Benrath 4 a Gemäuer

Benrath 7 a Panflöte

(Fotos: E. Reichow)

Um das Bildungserlebnis zu vervollständigen, ein abschließender Blick in Wikimedia Commons:

Leonardo Abendmahl Wikipedia

Preis der Deutschen Schallplattenkritik

Indien bestens bewertet

Es lohnt sich immer, einen Blick auf die Bestenlisten (vierteljährlich) und auf die Jahrespreise sowie Ehrenpreise zu werfen. Es ist auch kein Geheimnis, dass ich einer Jury angehöre, und zwar der Jury 20 „Traditionelle ethnische Musik“. Logischerweise freue ich mich über bestimmte Preise ganz besonders, z.B. den Ehrenpreis 2014 für den indischen Künstler Hariprasad Chaurasia oder den Platz auf der Bestenliste 4/2014 für die Dokumentation Magic Kamanchah, den ich mit einer offiziellen Begründung versehen durfte:

Magic Kamancheh: Die Streichlauten 1: Asien. Diverse. 4 CDs & DVD, NoEthno GMV037 (Galileo)

Hinter dem Titel „Magic Kamancheh“ verbirgt sich eine veritable Enzyklopädie der Streichlauten,  also all dessen, was der Volksmund hierzulande „Geige“ oder „Fiedel“ nennt, und zwar in einer überwältigenden Vielfalt der Darbietung: in Konzertmitschnitten und Studioproduktionen, auf vier Compactdiscs plus DVD. In dem fast 100-seitigen Büchlein öffnet sich ein Reichtum an Bildern und Informationen. Das Wort „magisch“ ist dabei nicht zu hoch gegriffen – ein Zauberland der Weltmusik erschließt sich hier, das reicht von Asien über die  Türkei mit Kurzausflügen nach Europa (abgesehen von Rudolstadt auch nach Finnland, Bulgarien, Irland). Ein unentbehrliches Kompendium, das die Vorgängeralben (Magic Banjo, Clarinet, Flute, Harp) noch einmal übertrifft. (Für die Jury: Jan Reichow)

Ich hebe in diesem Zusammenhang besonders gern die CD 2 dieser Kompilation hervor: sie ist der Violinspielerin Kala Ramnath gewidmet.

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Kala Ramnath Maru Bihag

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Ich möchte mich verpflichten, diese Aufnahmen des Ragas Maru Bihag besonders liebevoll zu analysieren und das Ergebnis in diesem Beitrag nachzutragen. Es ist nicht das erste Mal, dass mich dieser Raga beschäftigt und bezaubert. Im Jahre 2007 habe ich ein Konzert des Sitaspielers Purbayan Chatterjee im Radio kommentiert; es betraf im Hauptteil den Raga Maru Bihag, nachzulesen HIER. Später bin ich Purbayan Chatterjee noch einmal begegnet, und zwar in den Mittwochskonzerten der WDR-Redaktion Musikkulturen (Dr. Werner Fuhr) in der Bielefelder Oetkerhalle. Wollen Sie es nachvollziehen? Die heutige Technik macht allerhand möglich, schauen Sie nur HIER

Dieser Blogeintrag wird also später vervollständigt.

Und noch eins nicht zu vergessen: es gibt diese eindrucksvolle Filmaufnahme eines Konzertes mit Kala Ramnath, live am 23. März 2006, aufgenommen von Pieter de Rooij im RASA in Utrecht: HIER.

Die Auflistung des Inhalts sei wiedergegeben (an Ort und Stelle auch anklickbar) :

00:00 – 57:48 Raag Madhuvanti
58:13 – 1:27:40 Raag Dinki Puriya
1:27:54 – 1:39:45 Composition in Raag Des

Was die diesjährigen Jahrespreise angeht, so ist immerhin schon eine Longlist anzuklicken, aus der sie gekürt werden, nämlich HIER.

Aber wie gesagt: ich bin vorläufig wieder auf Indien fixiert, insbesondere weil es um mein Instrument, die Violine, geht. Aber die Umgebung könnte auch nicht atemberaubender sein als auf dieser Dokumentation „Magic Kamancheh“, – fast die ganze Welt!

Nachtrag 26. November 2014

Die neue Jahrespreis-Liste ist jetzt da! Bzw. HIER.

Ich darf einen eigenen Text zitieren:

Deeyah presents: Iranian Woman

iranian_woman

Was für eine glänzende Idee: Fuuse Mousiqi, ein von der norwegisch-pakistanischen Filmemacherin, Musikproduzentin und politischen Aktivistin Deeyah ins Leben gerufenes Projekt, lässt für das Album „Iranian Woman“ alle jene, die in ihrem Land keine Stimme haben, nun weit draußen, in Norwegen, einzeln aus einem imaginären Chor hervortreten und ausrufen: Wir sind noch da, die großen weiblichen Stimmen des Iran. Mahsa Vahdat, Yasna, Parissa, Naghmeh Gholami und viele andere – eben die „Iranische Frau“, die sich mit ihrer Kunst hier in berückender melodischer Schönheit zeigt. Am Ende der Liederreihe steht das uralte Bild des Schmetterlings, der vom Licht nicht lassen kann. Die Kompilation hervorragend produzierter Aufnahmen bietet einen repräsentativen Stand zeitgenössischer iranischer Musik und übermittelt ohne politisches Pathos eine wichtige Botschaft. (Für die Jury: Jan Reichow)

Über die Saiten

Ohne motivische Verpflichtung

Kreutzer Saitenwechsel akkordisch

Haydn Aktiv über Saiten

Beethoven aktiv über Saiten

Von oben nach unten: 1) Etüde von Rodolphe Kreutzer, 2) Streichquartett op. 20, 2 von Joseph Haydn, 3) Streichquartett op. 74 von Ludwig van Beethoven

Das Merkwürdige ist die Selbstverständlichkeit, dass die auffälligste Figur in den Streichquartetten, in denen fast jede Figur hinsichtlich ihrer musikalischen Bedeutung abgeleitet werden kann, hier keiner motivischen Begründung bedarf, obwohl sie für den Charakter der Stelle entscheidend ist. Sie gehört zum normalen, technisch verfügbaren Repertoire der Streicher, und zwar nicht erst seit Kreutzer, sondern mindestens seit Bach (E-dur-Partita u.a.). Es ist aber nicht einfach eine Begleitfigur, sondern sie stiehlt der Motivik „die Show“. Sie signalisiert höchste Aktivität (künstliche Aufregung!), während das, was zählt, in anderen Stimmen passiert: das Wechselspiel zwischen Cello und erster Geige bei Haydn, die Pizzicato-Dreiklänge und das aus dem Hauptthema übernommene, hier „transzendierende“ Motiv der zweiten Geige bei Beethoven.

Joh. Seb. Bach Suite I G-dur BWV 1007 (Handschrift Anna Magdalena B.)

Bach Cello Suite I

Man beachte auch, wie die indische Geigerin Kala Ramnath in ihrer Interpretation des Ragas Madhuvanti ab 51:33 eine ganz ähnliche Technik anwendet, gerade dort, wo sie einige bogentechnische „Spezialitäten“ aneinanderreiht (z.B. auch Staccato).