Archiv der Kategorie: Neue Musik

Begeisterndes aus Stuttgart

Saint François d’Assise

von Olivier Messiaen
Rezension von Roland H. Dippel in NMZ hier
ZITAT

Es stimmt nicht, dass das Publikum bei extrem langen Aufführungen generell schlappmacht. Das beweist neben den Bayreuther Festspiele und den Passionsspielen Oberammergau jetzt auch die Staatsoper Stuttgart. Die Neuinszenierung von Olivier Messiaens Jahrhundert-Heiligenoper „Saint François d’Assise“ dauert acht Stunden, inbegriffen die Wanderung auf dem Killesberg und die Vogelpredigt unter freiem Himmel mit echten Vogelstimmen-Interventionen. Anna-Sophie Mahler distanziert sich vom katholischen Mysterienspiel und rückt Messiaens spirituelle Schärfe in den Vordergrund. Großer Jubel für alle.

Wer war Leibowitz?

Michael Schwalb

vorweg: musica reanimata

Deutschlandfunk 6. Juni 2023 hier 22:05 Uhr NACHHÖREN HIER

  • Musikszene

    musica reanimata

    Der Komponist René Leibowitz, ein Überlebender aus Warschau
    Am Mikrofon: Georg Beck

    Der 1913 in Warschau geborene René Leibowitz gehört als Dirigent, Komponist und Theoretiker zu den prägenden Persönlichkeiten der Musik des 20. Jahrhunderts. Nach kurzem Berlin-Aufenthalt zog er Ende der 1920er-Jahre nach Paris. Hier weihte ihn Rudolf Kolisch in die Interpretationspraxis der Wiener Schule ein, Erich Itor Kahn in die Zwölftontechnik. Dirigierunterricht erhielt Leibowitz von dem ebenfalls nach Paris geflüchteten Paul Dessau. Die enge Partnerschaft der drei dokumentiert sich in mehreren Widmungskompositionen. Unter der deutschen Besatzung Frankreichs bekannte sich Leibowitz verstärkt zu Arnold Schönberg. Nach dem zweiten Weltkrieg gerät Leibowitz zusehens in Vergessenheit. Ein musica reanimata-Gesprächskonzert im Konzerthaus Berlin lotete am 12. Januar Möglichkeiten der Wiederentdeckung aus. Moderator Albrecht Dümling sprach mit dem Dirigenten Walter Nußbaum und dem Pianisten Marc Reichow.

22:50 Uhr Sport Aktuell
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René Leibowitz in Wikipedia hier
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Martin Tchiba!

Neue Klänge am Klavier
im ungarischen Rundfunk (Bartók Radio)
Martin Tchiba, piano solo recital (s.a. hier)
Aufgenommen am 26. April 2023 in Budapest
Noch 2 Wochen abrufbar (ab 3. Juni)
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HIER (1. Musik beginnt bei 2:40, 2. Musik fast ohne Pause bei 3:30, 3. bei 5:03 etc.)
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PROGRAMM (die Links führen u.U. nicht weiter, siehe weiter unten)
[22:02:40] Martin Tchiba, 010616
[22:03:30] Gerhard Staebler, Music Box – jerkily, „Budapest Version“
[22:05:03] Kecskés D. Balázs, Prelude for Martin Tchiba
[22:07:35] Helmut Zapf, KME
[22:09:00] Bence Kutrik, 10100 – 10000 – 110 – 1
[22:11:30] Mateo Soto, Silent Music
[22:14:22] Peter Gilbert, Etching: Merged Reflection
[22:15:16] Michael Denhoff, Klangkreis(el)
[22:18:34] Karola Obermüller, fusion – femmage à Ruth Crawford
[22:19:21] Peter Michael Hamel, Aus dem Klang des Lebens für WIReless
[22:20:20] Johannes Sandberger, Erster Dezember
[22:22:01] Linna Zhang, … irgendwo dahinter …
[22:23:12] Jean-Jacques Dünki, Moderato für Martin Tchiba
[22:24:24] Gerhard Stäbler, now.here – here? / Akkordfetzen
[22:24:55] Bank Sary, Szivárvány
[22:26:37] Christian Banasik, Retweet K.
[22:27:33] Rainer Rubbert, restriction – meditation
[22:28:37] Martin Daske, exercise – meditation
[22:30:18] Bánkövi Gyula, Meggyőződés nélküli harangszó
[22:31:07] László Sándor, Offertorium musicum II. – Bells and Chimes
[22:32:52] Miro Dobrowolny, Kontrafaktur
[22:33:57] Lars Werdenberg, Glockenstück
[22:35:13] Norbert Laufer, in an instant
[22:38:38] Péter Tornyai, Variations for Martin Tchiba
[22:43:44] Martin Tchiba, 3 zongoradarab / 3 Piano Pieces
[22:51:58] Martin Tchiba, après – avant (world premiere)
[23:22:17] end
#ArsNova radio program by Gyula Bánkövi – #ArTRIUM concert series
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Hinweise zu Web-Informationen über die einzelnen Komponisten: 
(JR These: zum Hören gehört Hintergrundwissen, Ahnungen zum „Ernst der Lage“, Stilistik = Neuanfänge = Übergang von Stück zu Stück erkennen…)
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Gerhard Staebler https://de.wikipedia.org/wiki/Gerhard_St%C3%A4bler hier

Kecskés D. Balázs https://kecskesdbalazs.com/en/ hier

Helmut Zapf https://de.wikipedia.org/wiki/Helmut_Zapf hier

Bence Kutrik https://bencekutrik.com/en/home/ hier

Mateo Soto https://www.mateosoto.es/ hier

Peter Gilbert https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Gilbert_(Komponist) hier

Michael Denhoff https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Denhoff hier

Karola Obermüller https://de.wikipedia.org/wiki/Karola_Oberm%C3%BCller hier

Peter Michael Hamel https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Michael_Hamel hier

Johannes Sandberger https://johannessandberger.de/ hier

Linna Zhang (???)

Jean-Jacques Dünki https://de.wikipedia.org/wiki/Jean-Jacques_D%C3%BCnki hier

Bank Sary (???)

Christian Banasik https://de.wikipedia.org/wiki/Christian_Banasik hier

Rainer Rubbert https://de.wikipedia.org/wiki/Rainer_Rubbert hier

Martin Daske https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Daske hier

Bánkovi Gyula https://gyulabankovi.com/en hier

László Sándor https://static1.squarespace.com/static/582a4ade440243c12b2ac30b/t/5be1e4756d2a73dfb3fe0f12/1541530742391/LASZLO_SANDOR.pdf  hier

Miro Dobrowolny http://mirodobrowolny.de/ hier

Lars Werdenberg http://www.larswerdenberg.ch/wordpress/ hier

Norbert Laufer https://www.dohr.de/autor/n-laufer.htm hier

Péter Tornyai http://petertornyai.com/en hier

Melodie hier und heute

Geht das etwa so?

DIE ZEIT 11.05.23 Seite 68f

Ja, aber der ZEIT-Artikel stand nicht im richtigen Musik-Feuilleton, sondern im KULTURSOMMER, und stammt nicht von einer Musikjournalistin, die für Zeitgenössisches tonangebend ist. Sie schreibt gute Artikel, aber über Aftab Darvishi unversehens auch einen Satz wie diesen:

Hier geht es ihr um eine Bewegung, die keinen wirklichen Anfang und kein wirkliches Ende hat. Alles ist gleich viel wert, sie vermeidet in diesem Stück jede Form der Hierarchisierung – eine Idee, die zu Stockhausens Zwölttontechnik führen könnte.

Und man hört diese Musik auch nicht dort, wo Neue Musik kritische Beachtung findet, sondern beim (zweifellos) interkulturell verdienstvollen Morgenland Festival in Osnabrück am 25. Juni. Man kann jenseits aller Publicity-Aktionen aber einfach schon mal die neue CD erwerben: hier. Im übrigen kann man sich auf der Website der Komponistin über Leben und Werk auf dem Laufenden halten: hier.

Übersetzungsfehler

Was hat Eva dem Adam verabreicht?

Kürzlich, in einer der gängigen Fernsehquizshows , wurde den staunenden Ratern eröffnet, es war kein Apfel, auch keine Birne oder dergleichen, sondern laut originalem Text eine exotische Frucht, und der Übersetzer habe der besseren Verständlichkeit wegen stattdessen den in unseren Breiten gemeinen Apfel eingesetzt. Aber stimmt das auch? Man kann sich bei Wikipedia auf den rechten Weg bringen lassen (landet damit fast beim hebräischen Urtext, der mir weiterhin verschlossen bleiben mag), also etwa hier. Aber ich berufe mich auf diese Quizfrage nur, um auf ein Musikbuch zu kommen, das von vielfältigem Wissen überquillt und solche Fragen im Vorübergehen löst, so auch die, was im Englischen der Ausdruck „Artificial Intelligence“ wirklich bedeutet. Ich jedenfalls bin ganz naiv darauf hereingefallen und in großer Sorge gewesen, ob an dieser Stelle nicht die wahren Werte unserer Geistesgeschichte verteidigt werden müssten, na ja, wer weiß, – ob es nicht auch meinerseits nur ein Spiel war: hier und hier. Ich habe doch meinen Bach, unbeirrbar. Und nicht zu vergessen: Vilayat Khan, so ein Art von Genie kommt in dem ganzen Überblick nicht vor.

Jetzt lese ich jedenfalls in dem klugen Buch von Claus-Steffen Mahnkopf, wie einfach sich solche Missverständnisse auflösen lassen. Ich zitiere ihn in blauer Farbe:

Eva pflückte bekanntlich vom Baum der Erkenntnis einen Apfel. Im hebräischen Original gibt es jedoch keinen Apfel, aber in der lateinischen Übersetzung ein malum, das, je nachdem, ob das a gedehnt wird ‹Apfel› oder ‹das Böse› heißen kann. Eva nascht am Bösen, aber in der europäischen Kunstgeschichte wurde daraus ein Apfel. Ähnlich heute. Im Englischen gibt es »Artificial Intelligence«, »Intelligence« heißt Daten- und Informationsverarbeitung, und zwar künstlich, also mit Maschinen. Künstliche Datenverarbeitung wird in Deutschland übersetzt mit ›Künstliche Intelligenz‹, eine Formulierung, die so falsch ist, wie sie nicht mehr korrigiert werden kann. Sie ist ein Mem geworden, allerdings eines falschen Denkansatzes. Sie suggeriert, dass Computer und ihre Programme intelligent seien, so wie wir es intelligenten Zeitgenossen nachsagen. Daraus hat sich eine Großideologie gebildet.

Quelle Claus-Steffen Mahnkopf: Die Kunst des Komponierens / Wie Musik entsteht / Verlag Philipp Reclam jun. Ditzingen 2022 (Seite 124 f)

Die transhumanistischen Theorien von der bald bevorstehenden Macht der Algorithmen, die ›intelligenter‹ sein werden, als der Mensch es realiter ist, stammen durch die Bank von technikaffinen Männern, die ihre Allmachtsphantasien auf solche Geräte projizieren und dabei außer kaum belegbaren Behauptungen wenig Substantielles beitragen. Weder überprüfen und klären sie die Grundbegriffe des Denkens, des Lebens, des Verstehens, des Rechnens, des Bewusstseins, des Selbstbewusstseins, der Kreativität, ja des Algorithmus selbst, noch liefern sie uns die Beweise für ihre kühnen Thesen. Wenn Yuval Noah Harari, seines Zeichens Militärhistoriker, zu Zwecken von Bestsellern sich zum Universaldenker aufschwingt und erklärt, wir Menschen seien Algorithmen, und zwar veraltete, dann fragt man sich, welcher veraltete Algorithmus das Harari eingeflüstert hat. Was er über den Zusammenhang von sogenannter Künstlicher Intelligenz und Musik schreibt, bewegt sich, mit Verlaub, unterhalb des Gymnasialniveaus. Er behauptet, dass heute schon Computer Mozart-Symphonien oder Bach-Fugen komponieren können. Noch einmal: Sie können es nicht. Die wenigen Computerkomponierhilfsprogramme erleichtern lediglich Rechnungen wie Proportionen, Transpositionen oder Ähnliches. (…)

Auch unter selbsternannten Musikphilosophen wird eine Revolution durch die Digitalisierung ausgerufen. Sie wollen die Ersten sein, die eine neue Epoche heraufziehen sehen. Doch das geschieht seit bald 100 Jahren immer wieder, und es ist jedes Mal anders gekommen. Zukunftswissenschaft ist streng genommen ein Widerspruch in sich. Hegel wusste, warum er die Eule der Minerva erst mit der Abenddämmerung ihre Kreise ziehen ließ.

Ich weiß, wovon die Rede ist: vor über 10 Jahren hat es doch diesen Disput gegeben um das Buch von Harry Lehmann – „Die digitale Revolution der Musik“ -, ich habe es nicht lange in Betracht gezogen, weil es eine Zukunft entwirft, ohne einen Gedanken an andere Musikkulturen der Welt zu verschwenden. Da fällt mir ein, – wie steht es denn darum hier bei Mahnkopf? Er berichtet, wie er als Komponist in Shanghai gearbeitet hat: mit „rein chinesischen Instrumenten“ (Seite 165), aber die rein chinesische Musik, die damit gemacht werden könnte, interessiert ihn nicht, nur das ganz, ganz andere Klangwerkzeug. Sicher, er arbeitet dort als westlicher Komponist… Aber er kann doch (noch ein wenig weiter) über den Tellerrand gucken!

Kurze Zeit später scheint er es zu tun, er spricht von „klassischer südindischer Musik“ – die gibt es also, man nennt sie auch karnatische Musik, füge ich hinzu, weithin gerühmte Komponisten, ja, sie verstanden etwas von der Kunst des Komponierens, von der Kunst einen bloßen Raga in die Form einer Krti zu verwandeln. Aber was erzählt uns dazu der westliche Avantgardist? Null. Nichts. Hätte er nicht wenigstes sagen können, dass man in solch einem riesigen Land herumreisen kann, gewaltige kulturgetränkte Städte erkunden, – und nirgendwo kennt man den Namen Beethoven. Zu seiner Zeit haben sie einst die Violine von den englischen Militärmusikern übernommen, ja, sagten sie, aber wir können sie wirklich spielen, wir begleiten unsere Sänger:innen bei ihren Krtis damit! Und nun Mahnkopf:

Bei Sängern klassischer südindischer Musik beispielsweise sitzt der Kehlkopf höher als bei westlichen, so dass sie das Vibrato in Geschwindigkiet und Amplitude – auch getrennt voneinander – regeln können. Gerade dieser doppelte Zugriff auf das Vibrato (bei Streichern ganz üblich) wird in der zeitgenössischen Musik erwünscht. Freilich fehlen in der westlichen Welt jene anatomischen Voraussetzungen: Der Kehlkopf ist, wo er ist. Geiger können zwischen einem modernen und einem barocken Instrument wechseln, der Sänger jedoch bleibt, weil er selbst das Instrument ist, ein Individuum.

(Zitat a.a.O. Seiter 167) Klingt klar und deutlich. Schleierhaft dagegen bleibt, wieviel Unsinn man auf engem Raum zusammendrängen kann, wenn ein einziges Mal wirklich von „klassischer südindischer Musik“ die Rede sein soll! Wo tatsächlich im Gesang überhaupt nicht vibriert wird. Es gibt unendlich feine und flinke Ornamentationen, aber kein Dauervibrato, und soweit ich weiß, sind die Kehlen dort nicht anders gebaut, sondern nur anders ausgebildet. (Dürfte man eigentlich so genderfrei von anatomischen Details berichten, die den männlichen Kehlköpfen fremder Völker eigen sind? Was gäbe es da erst über die Khöömi-Sänger in Tuva  zu mutmaßen.)

Ich weiß nicht, was man zu solchem Gerüchtegebräu sagen soll, wenn sich schon ein Yuval Noah Harari  angeblich manchmal „unterhalb des Gymnasialniveaus“ bewegt (a.a.O. Seite 125). Vielleicht habe ich  ihn überschätzt? Damals habe ich ihn jedenfalls ganz anders gelesen, aber mir ist gewiss auch manches, was mich damals beschäftigt hat, längst wieder fremd geworden (siehe u.a. hier).

Ich würde einen wichtigen Punkt verhehlen, wenn ich nicht auch erwähnen würde, dass mir das Lesen viel Vergnügen und Anregung bereitet hat. Ich bewundere Claus-Steffen Mahnkopf seit seinem großen Tristan-Buch, und auch jetzt wieder beeindruckt er mich mit seiner Stofffülle und der Vielfalt der (westlichen) Aspekte. Zugegeben: selbst im noch recht nahen 20. Jahrhundert wird er mir oft zu anekdotisch-zufällig. Beispiel: wenn es um die „Öffnung immer weiterer Kulturkreise durch die Globalisierung“  geht, Seite 180, liefert er eine absurde private Meinung aus Litauen, und sie wird nicht diskutabler, wenn der, der sie äußert, sich Komponist nennt. Da könnte ich auch die ästhetischen Ansichten meines Opas anführen, der aus dem Ersten Weltkrieg erzählte, wo auch manchmal gesungen wurde. Was da fehlt, das fehlt mir überhaupt oft im Weltbild der Avantgarde: die „Welt“ ist nur da, wo auch in Neue Musik westlicher Prägung investiert wird. Und auch die Geschichte ist uns nur dort nah, wo sie uns greifbar in schriftlichen Dokumenten vorliegt. Die klassischen südindischen Kompositionen wurden zum ersten Mal notiert von Josef Kuckertz, aber man muss sie trotzdem in voller Länge im Original hören (HÖREN!), sonst hat man nichts davon. Ja, und dazu noch etwas „Theorie“ lernen, aber die indische …

Warum muss man Hildegard von Bingen erwähnenswert finden, nicht aber Tyagaraja, Muttusvami Dikshitar und Syama Shastri, die großen Zeitgenossen von Mozart, Beethoven, Schubert? – Ja, ich weiß warum, aber lassen wir es damit bewenden…

Etwas hat mich nachhaltig an dem Buch fasziniert: die Wendung, die da ein zeitgenössischer Komponist nimmt, um einen richtig alten, traditionellen Wert zu positionieren: SINN.

Natürlich lassen sich Klangdesigns errechnen, so wie Bildsequenzen. Aber es sind akustische Kaleidoskope, ohne jeden musikalischen Sinn. Rohmaterial vielleicht, Klänge, aber keine Musik. Computer verarbeiten mathematische Fakten, nicht Sinn. Musik gehört aber zum Reich des Sinns. Natürlich können Computer Töne aneinanderreihen, wie sie das auch mit Bildern, Filmsequenzen und Wörtern vermögen. Aber das war es dann auch schon. Denn Texte, Musikstücke, Bilderfolgen und Filme brauchen einen sinnvollen Zusammenhang; sofern Kunstanspruch dabei ist, erst recht. Sinn, der Verweisungszusammenhang von Lebendigem, ist aber eine Dimension, die einem Computer prinzipiell unzugänglich ist, da dieser nicht lebt.

(Zitat Mahnkopf a.a.O. Seite 126 f)

Ich bin (als lebendiger Mensch) sehr zufrieden!

Zum Buch: HIER

P.S. Eine private Geschichte von anekdotischer Evidenz

Ich beziehe mich auf die Aufführungssituation bei Kagels Match (1964), von der Mahnkopf auf Seite 186 erzählt. Ich war dabei. Bei den Proben im Kölner Funkhaus, der Aufführung und der Nachfeier mit Siegfried Palm im Ristorante „Alfredo“. Gerade wurde ich wieder drastisch daran erinnert: der Percussionist der damaligen Szene starb am 19. Februar dieses Jahres: Christoph Caskel, er war in derselben Stadt wie ich geboren (Greifswald), sein Vater war ein bekannter Orientalist.

Siegfried Palm, der agile Cellist und erfinderische Pionier ausgefuchster Streichertechniken für die Neue Musik, hatte uns hier Zugang verschafft (Lehrer der Cellistin Edith Frieser und unser gemeinsamer Kammermusiklehrer). Sein – in unseren Augen – wesentlich jüngerer Kollege Klaus Storck war neu in der „Branche“, ziemlich bekannt in der Alte-Musik-Szene (man munkelte, er wollte dies Image loswerden), gab sich redlich Mühe, den Kagel-Spaß über die Bühne zu bringen. Für uns sehr interessant, aber auch nicht ganz neu, damals erlebte man allenthalben auf Podien der Neuen Musik sogenannte Happenings. Bei Kagel faszinierte die bis in jede Geste festgelegte und festlegende Notation, zudem die irgendwie auch lebendigen Klanggestalten.

Was ich eigentlich erzählen wollte: als ich 20 Jahre später – auf anderen Wegen – im WDR unterwegs und in vielen Sendungen die Genres der Musik, die ich kennengelernt hatte, zu verbinden suchte, und zwar in einer Nachmittagssendung, in der man den zuhörenden Menschen nicht alles, aber doch einiges an Fremdheit zumuten konnte, ein Übungsplatz namens Musikpassagen, da kam ich auf die Idee, Kagels „Match“, das ich einst so lebhaft erfahren hatte, aus dem Archiv zu holen, zumindest in Ausschnitten vorzuspielen und zugleich etwas von der Geschichte zu rekapitulieren. Es gelang mir nicht. Ich hörte es zum erstenmal seit damals in meinem Büro ab, an einer der großen fahrbaren Maschinen, auf der Suche nach einem attraktiven Ausschnitt. Und fand nichts, was ich rein „akustisch“, ohne die Bühnen-Atmosphäre von einst, einem (hoffentlich) neugierigen (Klassik-)Publikum auf WDR 3 vorsetzen mochte. Und hatte nicht den Mut, das zu sagen, und gleichzeitig an anderer Stelle in freundlich werbendem Tonfall auf Einzelheiten indischer oder persischer Musik einzugehen, als sei „fremd“ und „fremd“ das gleiche… Zugleich schämte ich mich für mangelnde Einsatzbereitschaft.

Nebenbei: was ist eigentlich von Mauricio Kagel geblieben? Habe ich jemals noch von einem Kammermusikprogramm gehört, in dem „Match“ enthalten war? War es etwa an diese drei miteinander kontrastierenden und damals auch prominenten Personen auf der Bühne gebunden?

Am liebsten würde ich noch einmal auf das Problem der Übersetzungsfehler zurückkommen.

Mehr von Busoni, bitte!

(also sprach:) Meine innere Stimme (5.2.23)

Voraussetzungslos (nur hören!), Bild nach Beginn wegschalten. Nur Musik: Sarabande etc :

und … ein weiteres Mal (ernsthaft) hören, nichts unbeachtet lassen…

Der Pianist:

Content:

Ferruccio Busoni, piano LP, International Piano Archives, IPA 104, 1976 Rec. February 27, 1922, London studios of British Columbia Records

00:00 Bach: Prelude & Fugue in C major, WTC, Book 1 04:00 Bach-Busoni: Organ Prelude „Rejoice, Beloved Christians“ 05:51 Beethoven-Busoni: Ecossaises 07:53 Chopin: Prelude in A major, Op. 28 No. 7 — Etude in G-flat major, Op. 10 No. 5 10:44 Chopin: Etude in E minor, Op. 25 No. 5 14:08 Chopin: Etude in G-flat major, Op. 10 No. 5 (alternate version) 16:01 Chopin: Nocturne in F-sharp major, Op. 15 No. 2 19:41 Liszt: Hungarian Rhapsody No. 13 (abbreviated)

Lesen:

Frank Hentschel über Busoni und seine „Faust-Oper“: HIER.

Abstract:

Before its completion, Busoni once referred to one of his operas he was then composing, either Arlecchino or Doktor Faust, as an „opera (that won’t be an opera).“ The article takes this phrase as a point of departure to gain insight into some of the aesthetic and poetic features of Doktor Faust. Rather than focusing on the history or theory of genre, attention is given to Busoni ’s idea of opera, his dramaturgical intentions, his relationship to expressionism, and his use of independent forms.

Insbesondere zu beachten: 3. Keine Erotik S.314

,,Ein Liebesduett auf offener Bühne“ nannte Busoni „völlig falsch und verlogen und überdies lächerlich“. Er veranschaulichte dies durch die Absurdität von Bühnenkonstellationen, wie man sie durchaus kennt: ,,Nichts Schlimmeres zu sehen und zu hören als ein kleiner Mann und eine große Dame, die einander in Melodien anschwärmen und sich die Hände halten“. Aber hinter Busonis erregtem Wortschwall verbarg sich mehr: Er nannte das Liebesduett auch „schamlos“ (MO, 22), und darin dürfte der eigentliche Schlüssel zu Busonis Problem mit dem Liebesduett liegen. Jemand, der in der Oper überall das Wunderbare, Unwahrscheinliche suchte und der den Verismus ablehnte, konnte das Liebesduett nicht ernsthaft deswegen zurückweisen, weil es unwahr sei. Doch Busoni ging es eben um diesen anderen Aspekt – den der Schamlosigkeit. ,,Erotik“ sei „kein Vorwurf für die Kunst, sondern eine Angelegenheit des Lebens“, erklärte er daher auch und nannte die Situation eines Publikums, das einem Liebesduett zuhört, ,,peinlich“. Die Alten hätten
demgegenüber noch Geschmack besessen (MO, 23).

Wohlgemerkt: „eine Angelegenheit des Lebens“.

Kurz-Exkurs zur Schamlosigkeit: (folgt)  (JK Otello im Beifall Baden-Baden)

Zum Studium der Partitur

Kontinent der zwölf Töne

Eine Weltreise mit Steuermann

Für mich wieder so ein Fall, im Jahr 1960 anzusetzen, als ich in Berlin mit Adornos Philosophie der Neuen Musik im Gepäck ankam, wild entschlossen, das Phänomen Musik neu aufzurollen. Mein Vater war tot. Er hatte dekretiert, dass Mahler Kapellmeistermusik geschrieben habe und dass man in 100 Jahren von Schönberg nicht mehr reden würde. Mein Erzieher wurde nun Adorno.

Philosophie der Neuen Musik (JR 1960)

2022 wenn Sie genau hineinschauen, können Sie sagen: das sieht verdächtig nach pro domo promo aus, und irgendwie hätten Sie recht. Sowohl Martin Zenck als auch Michael Schwalb gehörten in der großen Epoche des WDR zu meinen engeren Musikkollegen, und ich verdanke beiden unzählige Anregungen. Ebenso vielleicht wie den Neue-Musik-Kollegen Harry Vogt und Frank Hilberg, die mich zuweilen in ihre interessanten Programme einbezogen. Über Volker Rülke, den ich dank dieses neuen Buches zu schätzen weiß, kann man sich an der Universität Würzburg informieren (nicht: Rühlke!) oder z.B. hier… Warum ich gerade heute von Michael Schwalb spreche? Die nahtlos passende Post kam sozusagen gleichzeitig auf meinen Tisch, auch im Radio gab es schon ausführliche Hinweise, siehe hier. Eine wirklich willkommene Ergänzung des Steuermann-Bandes: siehe dort Inhaltsverzeichnis Seite 523-637.

Steuermann, Leibowitz per Post

Zu einem andern, jüngeren Theoretiker und vor allem Praktiker der Neuen Musik habe ich schon lebenslang Kontakt gehalten, – was auf Gegenseitigkeit beruht und sich fast von selbst versteht.

Ich beobachte mit großem Interesse aus der Ferne (fast) alles, was er arbeitet und produziert, vor allem in Heidelberg und Stuttgart. Das KlangForum Heidelberg feierte im vorigen Monat 30jähriges Bestehen. In dem – wie immer äußerst vielschichtigen – Programmheft lese (blättere) ich noch fast jede Nacht vor dem Einschlafen, in der stillen Hoffnung, am nächsten Morgen mit neuen Ideen aufzuwachen. Ja, gewiss, ich übertreibe, denn ich kann mich nicht retten vor allerhand anderen Themen, die mir den Schlaf und die Zeit rauben. Sagen wir „Kurdistan“, „Bach-Fugen“, „Chopins Mazurken“. Und vor allem liegt da ja nun als gewaltige, begeisternde Lese- und Hör-Aufgabe das Steuermann-Buch auf dem Schreibtisch…

Foto: Thilo Ross

Ein alter und immer noch neuer Zugang zu Arnold Schönberg

Steuermanns frühe Erfahrungen mit dem Medium

(Ausschnitt aus dem Buch „Kontroverse Wege der Moderne“)

Vom sogenannten klassischen Werk

Was interessiert uns? Immer noch Adorno…

„Das Verhältnis zwischen dem musikalischen Werk – auch dem sogenannten ›klassischen‹ – und seinen Hörern wie Interpreten – und seinen Hörern ist insgesamt fragwürdig geworden.“  (JR 6.XII.1965)

Tageblatt (WAZ) 30.08.22

Die Sendung „Zukunftsmusik“ z.B. war komplett überflüssig, kein Wort über die mangelnde Schulbildung in puncto Klassik heute. Abgesehen von einem Beitrag mit Folkert Uhde, alles beliebig zusammengestoppelt. Ein flüchtiger Google-Blick auf das Angebot zum Thema Besucherzahlen führt weiter. Das informelle Gespräch mit einem Orchestermitglied klärt allerdings schnell darüber auf, dass der Corona-Einbruch wesentliche Spuren beim Publikumsverhalten hinterlassen hat: es hat sich z.B. gezeigt, dass gestreamte Konzerte, auch mit höheren verbalen Anteilen, sehr erfolgreich sind. Dass man damit paradoxerweise – oder selbstverständlich – den Interpreten und der Musik näher ist! Dass eine Oper im Fernsehen mehr zeigt und zuhaus mit mehr Vergnügen verbunden ist, als etwa der enge Theatersaal zulassen würde. Ich zum Beispiel will Salzburg sehen – aber nicht dabeisein.

Verkaufsrekorde, Bestsellerlisten, Echo-Preise sagen nicht viel über die Qualität des Angebots, oder orientieren wir uns etwa beim Essengehen an Testergebnissen von Vapiano, Mac Donald’s und Co.? Ich will nur dort leibhaftig teilnehmen, wo der Raum – das Hier und Jetzt -, die Kombination der Werke und die Zusammensetzung des Publikums eine eigene Rolle spielen. Ich weiß, welcher Society ich aus dem Wege gehe, egal ob sie sich zufällig für dieselbe Musik interessiert. Wesentlich bleibt der Erlebnisraum Erinnerung – im Kopf, – und nicht nur bei alten Leuten (dem sogenannten „Silbersee“ im Konzertsaal).

Auf andere (ähnliche) Ideen treffe ich bei Freund Berthold Seliger:

Endlich ist es wieder soweit: Das Musikfest Berlin kann nach zwei Pandemiejahren wieder aus dem Vollen schöpfen – einige der besten Orchester aus (fast) aller Welt, ein üppiges, elaboriertes Programm mit viel Mahler, mit Raritäten der Moderne, amerikanischer Sinfonik, mit Bela Bartók und Iannis Xenakis, mit einer Menge zeitgenössischer Musik. Und mit aus den Corona-Absagejahren übrig gebliebenen Konzerten, zum Beispiel Beethovens »Missa solemnis« oder Monteverdis »Marienvesper«, wartet auf das Publikum. Und last but not least: In vollem Haus! Wie sehr hat man das vermisst: eine ausverkaufte Philharmonie. Die Möglichkeit, dass Menschen zusammenkommen, miteinander Zeit verbringen und erlebte Musik teilen können.

Weiterlesen hier !

Und – HÖREN: ZUHAUS Berliner Philharmonie HIER ! (bis 3. September)

Mehr mit dem Dirigenten Klaus Mäkelä kürzlich im Blog.

Finales Zitat, – sich klassischer Werke erinnernd („immer neue Orgasmen“ bei 10:18):

https://archive.org/details/beethovensfuenftewalterkempowski1976 HIER

„Seit einigen Monaten habe ich alle möglichen Personen meiner Umgebung nach der fünften Symphonie von Ludwig van Beethoven ausgefragt, sie die Themen auf Band singen, Anekdoten und musiktheoretische Details erzählen lassen. Aus dem sehr umfangreichen Material will ich in freier assoziativer Verknüpfung beethovenscher Motive und deren sprachlicher Reflexion ein Hörspiel entstehen lassen, das im Endeffekt durch die Unzulänglichkeit des Gebotenen die Sehnsucht nach einer klassisch gewordenen Musik neu entfacht. Der Reiz des Hörspiels soll darin liegen, dass der Zuhörer sich mit den anonymen Personen bei dem Versuch identifiziert, die Symphonie wiederherzustellen, und mit ihnen geradezu bangt, daß dies mißlingen könnte.“ Das Stück wurde mit dem Karl-Sczuka-Preis fuer Radiokunst fuer das Jahr 1976 ausgezeichnet. Walter Kempowski

(Dank an JMR)

Und noch einmal: Was ist Klassik? Wie konnte ein Musterbeispiel der Klassik ausgerechnet im zerrissenen  Deutschland entstehen?

„Man nannte Weimar das deutsche Athen.“ (Madame de Staël 1804)

Abendgesellschaft bei Herzogin Anna Amalia

Die Köpfe von links nach rechts nach der Beschriftung: 1. Hofrath H. Meyer. 2. Frau v. Fritsch geb. v. Wolffskeel. 3. J.W.v. Goethe. 4. F.v. Einsiedel. 5. Herzogin Anna Amalia. 6. Frl. Elise Gore. 7. Charles Gore. 8. Frl. Emilie Gore. 9. Frl. von Göchhausen. 10. Praes. von Herder

„Die ständeübergreifende Geselligkeit in der dargestellten Szene ist verschwiegen, jeder ist mit sich selbst beschäftigt. Es wird gelesen, gemalt oder sinnierend umhergeschaut. An Gesichtern, Haltungen und Tätigkeiten ist inneres Monologisieren deutlich erkennbar, wobei sich die verschwiegenen Stimmen zu einem Bild kollektiv vollzogener Selbstversenkung addieren. Kraus zeigt eine Versammlung von aktiven Dilettanten, die sich erst bei anderer Gelegenheit über die Motive, Spielarten und Ergebnisse ihres Tuns verständigen werden.“

(Ich verdanke das obige Bild und den Text der Web-Recherche von Michael Mandelartz hier.

Wie kommt es, dass Weimar zu Lebzeiten Goethes und Schillers der kulturelle Mittelpunkt Deutschlands war, dessen Bekanntheitsgrad in ganz Europa seinesgleichen suchte? (…)

Weimar war ein Modell. Zum erstenmal war es möglich geworden, dass ein bürgerlicher Dichter – und überdies ein berühmter und bis dato wenig angepasster – konkret in das politische Geschehen eines Landes eingriff und zusammen mit dem Adel regierte. Bürgertum und Adel in gemeinsamem Bemühen um eine gerechtere Regtierung und darum, Kunst und Literatur neben den Staatsgeschäften zu ihrem Recht kommen zu lassen – das war unerhört nei, und das ganze bürgerliche Europa schaute auf diesen kleinen Staat, um zu sehen, ob hier nicht vielleicht die Keimzelle zu einer ganz neuen Art politischen und gesellschaftlichen Lebens jenseits der bislang so scharf geszogenen Klassenunterschiede liegen könne. Madame de Staël, die sich von Ende 1903 bis März 1804 in Weimar aufhielt, schreibt dazu:

Man nannte Weimar das deutsche Athen, und in der Tat war es der einzige Ort, in dem das Interesse für die schönen Künste sozusagen national war und als verbrüderndes Band zwischen den verschiedenen Ständen diente. Ein aufgeklärter Hof suchte dort die Gesellschaft der Schriftsteller, und die Literatur gewann ungemein durch den Einfluß des guten Geschmacks, der an diesem Hof herrschte. Man konnte nach diesem kleinen Kreis die gute Wirkung beurteilen, die eine solche Mischung in Deutschland hervorbringen würde, wenn sie allgemein gültig wäre.

Quelle Arbeitsheft zur Literaturgeschichte WEIMARER KLASSIK von Reinhard Lindenhahn / Cornelsen Verlag Berlin 1996 (siehe hier)

Daraus auch dies:

Beispielhaft!

Tchiba

Klänge zur Selbsterfahrung?

ZITAT nmz 2022/07 (Martin Hufner)

Kryptisch, ohne jeden Kommentar. Pure Klänge auf digitalem Papier, umgesetzt auf verschiedene Art und Weise. Das ist das neueste Netz-Projekt des Pianisten, Komponisten und Medienkünstlers Martin Tchiba. Jeden Tag um 8 Uhr gibt es einen neuen. Am 22. Juni war man beim 48. Akkord. Es werden insgesamt 180 Einträge zum Klingen gebracht. Das ist schon faszinierend anzusehen und vor allem anzuhören. Die glubschigen Notenköpfe übereinander lassen nicht wirklich erahnen, wie sie dann erklingen werden als elektroakustisches Ereignis. Ab und zu gibt es Hinweise dazu auf seinem Twitter-Feed (https://twitter.com/MartinTchiba) wie „für heute ein schwebender tritonus“. Auch dies ein Projekt, das durch eine Förderung im Rahmen von NEUSTART KULTUR auf den Weg gekommen ist.

HIER https://einhundertachtzig.blogspot.com/2022/05/akkord-001-050522.html

S. a. (als Vorbereitung) jede Menge Klänge hier im Blog.

Des weiteren vorzumerken (ebenfalls nach nmz-Hinweis):

Sisters with Transistors: Die verkannten Heldinnen der elektronischen Musik

Die Dokumentation erzählt die verblüffende Geschichte der Pionierinnen der elektronischen Musik. In einer virtuosen Mischung aus Archivmaterial, Interviews und visionärer Musik entsteht ein unterhaltsames Zeit- und Sittenbild von den Kriegsjahren bis heute, das von der befreienden Kraft neuer Technologien erzählt. Erzählerin ist die Musik-Ikone Laurie Anderson.

HIER https://www.arte.tv/de/videos/104017-000-A/sisters-with-transistors-die-verkannten-heldinnen-der-elektronischen-musik/

Mehrklänge hören, viel mehr Klänge!

Doch vorweg: Was sagt denn Wikipedia?

Siehe hier.

Ich sehe diesen Wiki-Artikel als eine Übung, um zu erkunden, was man überhaupt über „Akkorde“ weiß. Das weiter unten folgende (heftförmige) Büchlein stellt im Vorwort klar, dass nur die „Kenntnisse traditioneller europäischer Musik und aus ihr abgeleiteter Begriffe und Verfahrensweisen“ vorausgesetzt sind. Es wendet sich aber durchaus (oder gerade) an Studierende, die sich mit moderner Komposition beschäftigen, die „Neue Musik“ komponieren (oder auch nicht). Der Autor wagt es, Hindemiths „Unterweisung im Tonsatz“ ebenso zu berücksichtigen wie Messiaens Lehrbuch „Technik meiner musikalischen Sprache“. Er sagt Im Vorübergehen Erhellendes zum Konzeptualismus und zum Punktualismus, ohne zu fürchten, dass seine eigene Arbeit, die sich damit nicht weiter abgibt,  dadurch entwertet wird. Auch der Einwand, dass jedes zeitgenössische Werk einer eigenen Ästhetik, einem eigenen Gesetz folgt, gilt für ihn und seine Analyse nicht. Er behandelt keine Akkordverbindungen, keine Grammatik, sondern die einzelnen Gebilde. Nebenbei erfährt man, dass jenes Stück von Messiaen, das gewissermaßen den ganzen Boom des Serialismus auslöste („Mode de valeurs et d’intensités“), bei ihm selbst ohne entsprechende kompositorische Konsequenzen blieb. Der Komponist selbst meinte, man habe dieser „ganz kleine[n] Arbeit“  viel zu viel Bedeutung beigemessen… Das zu wissen hätte mir Anfang der 60er Jahre einige elementare Gewissensbisse erspart. Ich war ein Verfechter der Neuen Musik, sagen wir: bis Anton Webern. Aber es waren genau diese punktualistischen „Zufalls“-Ergebnisse, durch die ich meine Musikalität in Frage gestellt sah. Zweifellos war sie ja auch mit diesen Mitteln tatsächlich nicht weiter entwickelbar. Ich war – ohne es zu ahnen – anfällig für das Prestige anderer Musikkulturen. Im Tonsatzunterricht gab es heftige Diskussionen mit Traditionalisten wie Max Baumann und Ernst Pepping, die aus meiner Sicht (insgeheim) von Adornos „Kritik des Musikanten“ mitbetroffen waren.

Man lese, was ich damals im Konzertprogramm (mehr über das Boulez-Werk) unterstrichen und mit Ausrufezeichen versehen habe…

Berlin, Januar 1961

Hören? HIER

Solingen, August 2022

Nun also ein neues Werk zum Thema und zu vielen Themen: Claus Kühnl (eigene Website hier) Möglicherweise lege ich mir über kurz oder lang auch noch das von ihm empfohlene Harmonik-Buch von Nordhausen/ Gardonyi zu, und wenn jemanden das bloße Inhaltsverzeichnis schreckt – es gibt darin ja über 400 Notenbeispiele: wenn man nur etwas Klavier spielt, ist das eine unvergleichliche tönende Musikgeschichte: hier.

Doch zur Sache:

s.a. hier, erst kürzlich – dank NMZ bzw. Moritz Eggert – entdeckt …

Zusätzliche Musikbeispiele

Seite 6 – Schönberg Serenade op.24 hier Einzelsätze anklickbar Nr.4 „O könnt‘ ich je der Rach‘ an ihr genesen“

2 Sätze mit Partitur hier

alle Sätze: Mitropoulos-Aufnahme (1949) hier I. 0:00 II. 4:40 III. 11:37 IV. 15:37 V. 18:37 VI. 25:25 VII. 27:23

Seite 8 – Haydn (Nonenakkord) Klaviersonate (1771) XVI:20 Takt 25-26

Seite 9 „…ein früher spektakulärer Fall…“

Recordare:

Seite 10 Beethoven op. 22 (gemeint ist Takt 32 f)

Mir wird klar, dass ich diese „Disharmonien“ früher genossen, aber anders gedeutet habe, nämlich nicht als Klänge für sich, sondern immer als „Zufallsprodukte“, die aus Durchgangsnoten erklärbar, also gewissermaßen aus melodischen Gründen  exculpiert sind. Obwohl als „Reibungen“ eben: genossen. Dass der Orgelpunkt G nach Takt 30 einfach stehenbleibt, bedeutete, dass ich den Akkord der rechten Hand in Takt 32 einfach als Griff eis/gis/h/cis (Dominantseptakkord in Richtung fis-moll/ h-moll) auffassen darf, eine Zwischenstörung, die mit dem Wechsel von cis nach d einen Verminderten einführt, der sich in jede möglich Richtung auflösen kann. Und es wirkt plausibel, dass auf der 1 des nächsten Taktes der gleiche Akkord, – um einen Halbton höher gerückt -, als „gis/h/d/e“ erscheint, der sich nicht nur nach oben schein-auflöst (zum f), sondern auch unten (zum g) und sich damit überraschend zum Orgelpunkt-G bekennt: im nächsten Takt wird die Wendung plakativ im Dominantseptakkord der „vollgriffigen“ linken Hand.

Das heißt: ich habe immer syntaktisch gedeutet, nicht punktuell, den jeweiligen Akkord als Eigenheit, Eigenklang, Eigenwert betrachtend, obwohl ich dies insgeheim – wie gesagt – sehr wohl goustiert habe.

Natürlich könnte man sagen: nun bist du doch reingefallen auf das Punktuelle. Das lasse ich nicht gelten, – soll ich es ablehnen, nur weil ich einmal im Leben nicht damit klargekommen bin? Zu den größten Hör-Erlebnissen in meinem Leben gehört dafür ein Konzert in Darmstadt mit Ligetis „Atmosphère“, da fand ich Punktualität und linienhafte Dauer beispielhaft realisiert. Übrigens gefällt mir Kühnls Behandlung dieses Komponisten, der wegen seiner späteren Entwicklung oft geschmäht wurde (Horntrio), ebenso wie die des Geräuschpolyphonikers Lachenmann, den ich vergeblich „nachzuempfinden“ suchte, – um so einen Ausdruck der veralteten Ästhetik des ältesten Bach-Sohnes zu gebrauchen.

Die Begehrlichkeit wächst (Ausblick)

soeben eingetroffen…

Und was sehe ich dort, Johann Sebastian Bach betreffend??? Kontrapunkt… Choralsatz… und darüberhinaus Melodielehre