José Afonso und Fados de Coimbra

Wiederbegegnung nach 45 Jahren

Die Brille hilft wenig, wenn Sie diese CDs in Händen halten. Ihre Qualität besteht nicht unbedingt in Lesefreundlichkeit, auch sollten man vorsorglich eine portugiesische Übersetzung aktivieren. Oder machen Sie sich doch zuerst anhand dieses Artikels kundig. Lesen Sie vor allem einiges mit dem ausdrücklichen Hinweis „hier“ (oder hier).

Grândola Vila Morena

Auch die Urheber in Vergrößerung lesbar gemacht:

https://de.wikipedia.org/wiki/Gr%C3%A2ndola,_Vila_Morena hier

https://www.klingendebruecke.de/wp-content/uploads/2018/12/1516_Grandolavila_1_por.pdf hier

WDR Matinee der Liedersänger 1980 mit José Afonso, Gesamtliste hier

José Afonso Wikipedia hier

ZITAT Am 25. April 1974 wurde kurz nach Mitternacht sein offiziell verbotenes Lied Grândola, Vila Morena im Radio gesendet: Dies war das vereinbarte Signal für die eingeweihten Soldaten und Zivilisten des Movimento das Forças Armadas (MFA), sich gegen die Diktatur zu erheben – die Nelkenrevolution begann. In den nachfolgenden Jahren war José Afonso als Unterstützer der Revolution tätig, er sang im In- und Ausland und unterstützte Selbstverwaltungsprojekte, ohne parteipolitisch gebunden zu sein.

hier

https://brokensilence.de/label/?m&label=Mais%205 hier

WANDERER SONGS

Pressetext

Zum 50. Jahrestag der portugiesischen Nelkenrevolution bringt das Label Mais 5 ein besonderes Tribute-Projekt als CD auf den Markt: Wanderer Songs. Die pan-lusitanische Band, initiiert von Afonsos Sohn Pedro, erweckt die Lieder des legendären Liedermachers José »Zeca« Afonso zu neuem Leben – mit kraftvollem Indie-Rock-Sound, afrikanischen Rhythmen und azorischen Einflüssen.

Als musikalischer Wegbereiter der Revolution bleibt Afonso bis heute Symbol für Freiheit, Menschlichkeit und Widerstand. Mit dem ikonischen Lied Grândola, Vila Morena gab er 1974 das Startsignal zur Befreiung von der faschistischen Diktatur. Die Wanderer Songs-Band führt dieses Erbe weiter – als Hommage und eindringliches Zeichen, dass Musik auch in unserer Zeit Mut machen und Hoffnung spenden kann. Diese verschiedenen Facetten einer spannenden Persönlichkeit arbeitet die Band heraus. Sie entwickelte neue, dem 21. Jahrhundert gemäße Versionen der Afonso-Lieder, die nun von einem kraftvollen, manchmal experimentellen Indie-Rock-Sound getragen sind, parallel hierzu afrikanische und azorische Einflüsse erkennen lassen. Nach zwei Wochen Probezeit im April 2024 trat die Band im Teatro Faialense auf der Azoren-Insel Faial auf und spielte die Songs, die Afonso auch in seinem letzten Konzert im Lissabonner Coliseu am 29. Januar 1983 vor einem enthusiastischen Publikum vortrug.

Nach ihrem Debüt auf der Atlantikinsel war die Band im vergangenen Sommer bereits auf dem Rudolstadt Festival zu hören, am 22. und 23. Januar 2025 folgten umjubelte Auftritte im Mutterland, in der Casa da Música in Porto und im Teatro Tivoli BBVA in Lissabon. Ein starkes Statement gegen Hass und für Solidarität!

hier jpc

Mein Buxtehude (auch für andere)

Wie ginge eine Analyse?

Ich erinnere mich an Scheidemann (und einen Urlaub jenseits von Norden). Was bin ich schuldig geblieben? An Buxtehude geht offenbar kein Weg vorbei. Aber überspringen Sie getrost alles, wenn Sie nur punktuell prüfen wollen, ob es für einen ersten Durchblick reicht.

Stylus Phantasticus

Fantastic Style

Orgel Pfeifen u.a.

Altdeutscher Reichtum

Das waren noch nicht alle Blog-Beiträge, in denen Buxtehude eine Rolle spielt. Ich rekapituliere nur diese, um zu wissen, wo ich jetzt stehe bzw.stehengeblieben bin. Und gehe einfach irgendwo weiter, wo ich glaube, dass es auch für andere nützlich ist.

Die mindesten Voraussetzungen möchte ich vorweg nennen: Choralkenntnis, und möglichst: Notenkenntnis, damit man eine einfache Choralmelodie notfalls mitsingen kann. Was dagegen musikalisch nicht besonders hilft, ist eine allgemeine Vorliebe für Orgelklang, falls man noch auf dem Stand ist, dass alles so vorüberrauscht. Man muss in den Klang hineinkriechen und Stimmen hören, melodische Linien, natürlich ist nicht alles von gleicher Wichtigkeit. Wenn Sie im Choralvorspiel den Choral nicht erkennen, ihn möglichst schon lieben, sollten Sie sich mit nichts sonst zufrieden geben. Er muss Ihnen vertraut sein, sonst ist aller guter Wille nicht viel wert: da fehlt die Substanz, jedenfalls in der Alten Musik.

Die Orgelspieler selbst kümmern sich offenbar nur um Orgelspieler; man kann froh sein, wenn man die Choralmelodie separat bekommt, – kümmern wir uns also zuerst um die CD-Aufnahme, die uns damit versorgt. Ich greife mir  heraus: „Von Gott will ich nicht lassen“. Die Fassung des Gesangbuches und die Fassung die im CD-Booklet mitgeteilt wird:

Man vergleiche die Melodie-Versionen.

Die beiden Melodien stimmen nicht überein, und auch die zweite, die aus dem CD-Booklet stammt, ist nicht genau dieselbe, die man danach in dem Orgelwerk hört. Es lohnt sich, genau die in dem Text beschriebene Fassung wahrzunehmen.

Tr.7 BuxWV 220 ist die einfache Fassung (Tr.6 schwieriger), und – wie beschrieben – hören wir die erste Choralzeile zweimal (bis zum Doppelstrich): 1. + 2. Phrase von 0:00 bis 0:30. Und 3. + 4. Phrase mit ornamentierter Melodie von 0:31 bis 0:51. Die 5. Phrase vom Doppelstrich bis zur Fermate = 6 Töne Haupttöne von 0:52 bis 1:12. Die 6., 7. und 8. Phrase ornamentiert von 1:13 bis 1:34 (Grundton als Orgelpunkt ausgehalten) + Nachspiel = 1:51.

Wenn Sie schon so weit sind, dass Sie die Umrisse der Choralmelodie nicht nur erkannt, sondern ein Gefühl für ihre Besonderheit entwickelt haben, lassen Sie es damit nicht genug sein: memorieren Sie sie nach den Noten, bedenken Sie die Varianten, die vorkommen können. Gewinnen Sie dieses Gebilde aus einfachen Tonfolgen lieb, nur – fühlen Sie sich nicht unterfordert. Ein Choral ist unglaublich wandelbar, je nach Umgebung. Vielleicht müssen wir auch Bach zu Hilfe rufen…

Vollkommen schön. Die Essenz der abendländischen Musik. Was folgen könnte: eine Meditation zur Melodie (ihre Logik), zum harmonischen Verlauf, Akkord für Akkord (probeweise vom Bassgang her hören).

Ja, für Bach tun wir alles, aber der Weg über Buxtehude ist nicht falsch, – der gleiche Choral kann ja noch einen ganz anderen Charakter annehmen: hier mit derselben Orgel-Interpretin wie oben, und der Notentext ist zu verfolgen, achten Sie auch hier auf den Bass, das Pedal, das unterste System (mit den vielen Pausen):

https://www.youtube.com/watch?v=aieXS06QiKk hier

Zurück zu Buxtehude, zum anderen Choralvorspiel „Von Gott will ich nicht lassen“ BuxWV 221, das ist Tr.6 auf der CD von Brine Bryndorf. Wir gehen am Booklet-Text entlang und fügen die Zeitangaben zur Orientierung ein:

…in der ersten Phrase verbirgt sich der Choral im Sopran, während sich die Motive durch alle vier Stimmen ziehen, ab 0:00 bis 0:14

während die Choralmelodie in der zweiten Phrase in Viertelnoten steht, [und zwar] als cantus firmus im Pedal unter der Manualfiguration. 0:14 bis 0:26

Die Satztechnik wechselt in der zweiten Hälfte, fast jede Zeile wird unterschiedlich behandelt. [3. und 4.Phrase] 0:27 bis 0:44 [5. Phrase] 0:44 bis 1:14

Im sechsten Verszeilenteil übernehmen alle vier Stimmen in imitativem Kontrapunkt eine aufsteigende chromatische Phrase in Achteln, während ansonsten die Sechzehntelmotive trotz der kompositionstechnischen Vielfalt den Zusammenhang wahren. Die letzte Phrase des Chorals (Verszeile 6-8) wird zweimal [??? sehe ich nicht so!] bearbeitet. [6-8] 1:14-1:35 hier Orgelpunkt und Nachspiel 1:52 (Ende)

Ich wende mich nun der Gesamtaufnahme der Orgelwerke Buxtehudes zu, eingespielt von Harald Vogel: hier ab 17:22 (auf Youtube schwer einzustellen, ich halte mich an die physische CD). „Von Gott will ich nicht lassen“ also als Tr. 4 und 5.

Der entsprechende Teil des langen und informativen Textes der CD:

Zu meinen liebsten Tätigkeiten gehört diejenige, die in irgendeiner Weise Zusammenhang schafft. Oder mich Zusammenhänge sehen lässt. Das gelingt hier z.B. mit dem Lied „Wie schön leuchtet der Morgenstern“, das zu meinen Lieblingsliedern gehört seit meiner Volksschulzeit. Ich weiß auch, warum!

(Beide Gesangbücher stehen noch in meinem Regal: das untere zerfällt fast, es enthält das Datum 1950, das andere hat mir meine Belgarder Großmutter zur Konfirmation geschenkt, mit Widmung.) Ich erinnere mich, dass das Lied für mich einen Störfaktor enthielt: es nimmt nach dem Doppelstrich – Terzsprung mit Fortsetzung auf der neuen Seite – einen deutlich empfundenen „Leiercharakter“ an, der gewissermaßen wettgemacht wird durch den Oktavsprung zum hohen d. Das gab mir zu denken, oder auch nicht, ich sang den Ton wahrscheinlich einfach mit mehr Inbrunst. Er war das Signal, auf den ersten Abschluss der Morgenstern-Melodie (vor dem Doppelstrich) zurückzugreifen, mit dem Wort „hoch“. Der Ton war der Morgenstern! Und dann ging der Blick abwärts zum Horizont…

(Anders hätte ich wohl gedacht, wenn die beisen ersten Töne der letzten Zeile als halbe Noten notiert wären, – also deutlicher abgeschlossen hätten -, ich hätte sie nie als Absprung zum hohen D deuten können.)

Soweit der Zusammenhang mit meiner musikalischen Geschichte. Im Gesamtzusammenhang der sämtlichen Werke Buxtehudes, Untergruppe Choralvorspiele. Ich kann mit diesem jetzt gleich beginnen, wenn ich im Youtube hier das Praeludium ex g hinter mir habe, stattliche 8:12 Minuten, auf der CD Tr.1, und danach bin ich nach Absolvierung des Morgensternes Tr.2 und einer kurzen Canzonetta in C (ab 16:10 bis 17:20) bald in bekanntem Gelände… (Tr.4 und 5).

Das Morgenstern-Lied zuerst mit 2 klar gespielten und umgarnten Strophen, später die entwaffnenden Terzrufe, die Probleme mit der „Leier“-Passage scheinen nachvollziehbar, und am Schluss die Apotheose der absteigenden Tonleiter macht alles wieder gut. Man sieht: ich versuche, mich selbst in der Behandlung wiederzufinden, ein Versuch, den ich natürlich ad acta legen werde, um in ein Lob der hellen Registrierung zu verfallen und mich zu erinnern, dass dies alles von mir als Kind irgendwie mit Bedeutung versehen wurde. (Wenn wir einzeln vorsingen durften, suchte meist gerade Friedrich Oberschelp vom Bielefelder Kinderchor Nachwuchs. Ich kam nie in Frage.) Ein anderes Lieblingslied damals: Die güldne Sonne voll Freud und Wonne.

All das verschwindet, wenn ich die „Netherlands Bach Society“ mit dem Lied meiner Kindheit höre, wieder nach der Fassung von Johann Sebastian Bach.

Nun kann ich fortfahren, weitere Zusammenhänge zu knüpfen. Hier ist noch die zweite der drei CDs aus Norden, eine wunderbare Zusammenstellung aus Bach-Werken und Werken seiner Vorbilder, u.a. mit Buxtehudes „Von Gott will ich nicht lassen“ BuxWV 120 als Tr.3.

Das virtuos orgelspielende Ehepaar Agnes Luchterhandt und Thiemo Janssen hat zu dem klugen Programm einen angenehm zu lesenden Text geschrieben, aus dem ich nur den Abschnitt kopiert habe, der „Bach und Buxtehude“ betrifft.

Zum Mitlesen

Zum Schauen und Hören (aber auch: Bach)

Ja, und wie ginge nun eine Analyse?

Wohl so ähnlich, mit Versuchen unterschiedlicher Versteh-Ansätze, und auf keinen Fall mit dem Zählen von Taktgruppen. Es sei denn, Sie suchen Zahlen-Symbolik mit dem Vorsatz, daran zu glauben. Aber das ist keine musikalische Analyse.

Weiteres über Melodien – auch um sie nicht zu verwechseln:

Wie schön leuchtet der Morgenstern hier

Der Morgenstern ist aufgedrungen hier

Und noch etwas (auch zur Selbstmotivation), rekapitulieren Sie doch auch dies:

Geschichte in drei Tagen

Sibelius, Mozart und zwei Geiger

Thomas Albertus Irnberger

Kritik, die mich aufmerksam machte:

in: das Orchester April 2025

Wichtig erschien mir, dass hier neben dem Violinkonzert einige mir unbekannte Kammermusikwerke des Komponisten präsentiert werden. Dann der Hinweis auf das ausführliche Booklet, der aus meiner Sicht übertrieben ist, – es ist ja recht kurz und wie immer schlecht entzifferbar, daher empfiehlt sich ohnehin eine Kopie. Unverständlich auch die Beobachtung, „beim ersten Hineinhören“ falle einem die klare Tonumgebung (sic!) des Solisten auf, der nicht auf den „romantisch weichen Ton“ setze und „klangliche Härten“ betone. Ganz im Gegenteil: er verharrt in einem weichen Flautando und verbindet auch kleinere Sprünge mit sanften Glissandi, wie man es so konsequent noch nirgendwo sonst gehört hat (vgl. hier). Die Distanzierung gegenüber Attila Csampai ist überflüssig, wenn man selbst nur solche Allgemeinplätze entgegenzusetzen hat, wie z.B.: „Irnberger vernachlässigt oft die großen Spannungsbögen“,  „manchmal dominiert das Material und nicht der Geist“, und bisweilen sei „der Bogendruck so stark (…), dass die Geige nicht mehr mitschwingt“, das alles klingt – gelinde gesagt – etwas dilettantisch.

Ich höre zwar an den exponierten Stellen leichte Intonationsschwächen, insbesondere bei den hohen (gebrochenen) Oktavpassagen, etwa am Ende der Kadenz des ersten Satzes oder bei der Wiederkehr des zweiten Themas in der Reprise. Andererseits klingt vieles tatsächlich nur ungewohnt anders, in der Wechselwirkung der Violine mit den Solobläsern ungemein lebendig. Es sind eigentlich, trotz aller Wucht der Expression, kammermusikalische Qualitäten, die dann auch die Werke mit dem hervorragenden Klavierpartner Michael Korstick zu einem beglückenden Erlebnis machen. Für diese Entdeckungen bin ich dankbar, und ich freue mich darauf, die Aufnahmen des Duos mit den Beethoven-Sonaten näher  kennenzulernen. Sie werden sich von allem unterscheiden, was man von bekannteren Stars hören kann.

Text: Christian Heindl

*    *    *    *

Gerade wenn man sich ausgiebig mit Sibelius und der oben behandelten  Aufnahme beschäftigt hat, wird man vom kostbaren Klang und Charakter dieser Mozart-Aufnahme überwältigt sein. Und zwar vom ersten Takt der „Overture 2nd“ an, einem Fragment, das vielleicht zu einer verschollenen, für die Paris-Reise komponierten Sinfonie gehört. Goebel schockt uns vielleicht, wenn er angesichts dieses wundersamen Understatements im Pastorale-Ton folgendermaßen anhebt: „Die etwas einfältige langsame Einleitung …“ und dann von einer „captatio benevolentiae“ spricht, einem „Kotau vor den Erwartungen und rezeptiven Möglichkeiten der französischen Hörer der frühen Louis-XVI-Zeit“. Und danach: „Wir benennen das heute mit ‚das Publikum dort abholen, wo es steht‘. Warum sollte Mozart genau DAS nicht getan haben?“

Also eine der Provokationen, um deretwillen es auch Spaß macht, sich mit Goebels Texten auseinanderzusetzen. Und mit der Musik, um die es geht, dem Klang, dem Tempo und mit der Damaturgie seiner Programme. Denn es folgt das weithin unterschätzte oder gar unbekannte Violinkonzert (Nr.7 bzw. 6), gespielt von einem ebenfalls fast unbekannten, phänomenalen Geiger namens Tobias Feldmann. Der klare, durchsichtige Orchesterklang wirkt augenblicklich fesselnd, ebenso die blitzsaubere Solovioline, besonders wenn sie dann in höchste Höhen steigt, die in keinem der vorigen Konzerte so wie hier präsentiert wurden (man erinnert sich an den Effekt in Isabelle Fausts Locatelli-Aufnahme). Rein technisch verlangt und zeigt dies Konzert offensichtlich mehr als das vorhergehende in A-dur. Was einem merkwürdigerweise bei Henryk Szeryng gar nicht positiv auffällt, – Mozart-Routine.

Tobias Feldmann

Text: Reinhard Goebel

In der stilistischen Echtheitsfrage hält sich also auch Goebel im vorliegenden Konzert  einigermaßen bedeckt und beschränkt sich erstaunlicherweise darauf, die früheren, „echten“ Konzerte in ihrer Genialität zu relativieren. Wenn ich es etwas umformuliere: sie seien jedenfalls für die internationale Bühne nicht recht tauglich gewesen und hätten  außerhalb Salzburgs wohl eher Befremden ausgelöst.

Fragt sich, wo man hier das erste Mal aufhorcht, abgesehen von der vagen Erinnerung an das frühere D-dur-Violinkonzert mit seinem punktierten Rhythmus: der „falsche“ Einsatz der Solo-Violine auf dem Schlussakkord des Ritornells mit dem Horn-Quinten-Motiv, und wenig später der hohe gehaltene Ton, der etwas „wimmert“, während das Orchester seine Start-Thematik wiederholt, das hat man so noch nie gehört, zumindest: es irrtitiert. Es ist gut, den Anfang mehrmals zu hören, statt ihn als gegeben hinzunehmen. Und beobachten, wo die nächste Irritation wartet: die Violine in der Tiefe, mit ihren seltsamen Terzen, es klingt wie ein Spaß mit der Majestät des Tutti-Themas. Wieder eine leichte Irritation, wenn in den folgenden Abschnitten des Cantabile-Themas, der Solist plötzlich die Melodie in der höheren Oktave mitspielt, – ein wohlwollender Überschwang? Noch ehe das eigene Cantabile angestimmt wird?

Ein neuer Tag beginnt mit neuem, unbefangenen Hören, – und zwar die andere Aufnahme des Mozart-Konzerts unter Goebel, also die mit Mirjam Contzen. Etwas forscher im Tempo, und fülliger im Orchesterklang (vielleicht einfach mehr „Hall“), die Solo-Violine eher (zu) leise, den ersten Ton des Einsatzes (Doppelgriff) hört man kaum (bzw.nur, wenn man ihn schon erwartet), es bleibt dabei: sie ist schön, aber unterbelichtet. Was hat Goebel damals (2013) über dies (vielleicht nicht ganz echte?) Konzert geschrieben?

(Fortsetzung folgt)

Zu prüfen:

https://www.kultur-port.de/kolumne/klassik/19139-original-oder-faelschung-mozart.html hier

https://academicworks.cuny.edu/cgi/viewcontent.cgi?article=1410&context=yc_pubs hier

https://de.wikipedia.org/wiki/Violinkonzerte_(Mozart) hier

Allerneueste Tonkunst

Keinen Zeitmangel vorschützen, aber was dann?

Natürlich ist es nur ein Trick, den alten liebenswerten Begriff Tonkunst zu verwenden. Gemeint ist ja das, was manche Leute als „keine Musik mehr“ bezeichnen. Und wie so oft möchte ich meinen eigenen Lebensweg betrachten, um einige Erfahrungen zu sortieren.

Als ich in den 50er Jahren begann, über den Tellerrand hinauszuschauen, begegneten mir auch unbekannte Komponisten, deren Verständnis mir Probleme bereiteten, z.B. ein Klaviertrio von John Ireland, der in keinem Musiklexikon meines Vaters stand. Aber Debussy und Ravel sagten mir etwas, weil mein Vater einige Préludes oder „Jeux d’eaux“ am Klavier spielte oder übte. Das prägte sich ein, und die ganze Familie kannte das und kritisierte nichts. Dann kam Paul Hindemith nach Bielefeld, und schon diese Tatsache machte von sich reden, und ich wollte ganz vorn dabeisein, ich erlebte ihn in der Oetkerhalle, seine „Sinfonia serena“ – ein leichtes Spiel. Auch „Mathis der Maler“, Oper und Sinfonie – sogar mein Vater ließ das gelten, der über Schönberg äußerte: „in 100 Jahren redet kein Mensch mehr darüber“. Im März 1956 besorgte ich mir auf eigene Faust Hindemiths „Unterweisung im Tonsatz“, das leuchtete mir alles ein, die Unterstreichungen sind original:

Der weitere Weg zeichnete sich durch das ab, was in der Bielefelder Stadtbücherei, Abteilung Musik, zu finden war, zuletzt tatsächlich die „Philosophie der Neuen Musik“ von Adorno, – die mir meine Grenzen des Verstehens aufzeigte. Der Erwerb dieses Buches in Berlin markierte eine neue Stufe des zu erreichenden Niveaus. Ich war nicht der einzige, der es wahrnahm, ein neuer Freund brachte mich darauf, die Oper „Moses und Aron“ von Schönberg nicht nur einmal, sondern mindestens dreimal zu besuchen. Er hatte sogar (vor meiner Zeit) die skandalumwitterte Uraufführung auf Tonband mitgeschnitten. Ich las große Teile des Adorno-Buches im Café Kranzler, ob ich`s verstand oder nicht, sozusagen im Kaffeerausch. Eine neue Epoche fühlend.

Unser Tonsatzlehrer Max Baumann konnte noch so schimpfen auf Neutöner und vor allem die „Seriellen“, die mit den punktuellen Strukturen, den scheinbar zufälligen, sinnnlosen Tonfolgen. – wir wussten es irgendwie besser. In Köln begegnete ich Stockhausen leibhaftig und erinnere mich noch an Sendungen von ihm, die ich nachts im Autoradio hörte und die mir Respekt abforderten. Er war also kein Scharlatan… Boulez kannte ich schon aus Berlin, Le marteau sans maître, ich wusste, dass ich nicht behaupten konnte, es zu verstehen. Denn was wäre das? Im Kölner Klaviertrio spielten wir Henze, Charles Ives, Peter Michael Braun (dieser ein Kommilitone), der noch ein Zwölftöner war und den ich später als „gemäßigten“ völlig ablehnte. Allerdings: schon damals machte es mir mehr Freude, neue Musik zu spielen als zu hören. Oder ich hörte sie so oft, bis sie mir gut bekannt war. Auch heute höre ich sie, treffe Praeferenzen, aber spiele sie nicht. Nicht nur weil sie zu schwierig ist, es würde viel zu viel Zeit kosten, und ich frage mich: wofür? Eine Frage, die ich bei meiner bevorzugten Musik (z.B. Bach) nie stellen würde. Warum nicht?

Kurz: ich möchte keine Materialerkundung auf mich nehmen, nicht mit verschiedenen Schattierungen von Kratz-Charakteren auf und neben der Geigensaite experimentieren, und auch keine anderen Geräte auf ihre Eigenschaften als Ton- und Geräuscherzeuger erproben. Mit ungewissen Erfogsaussichten. Lange Zeit habe ich behauptet, dass niemand, der ein Instrument von der Pike auf gelernt hat, es irgendwann nicht mehr nur spielen, sondern hauptsächlich bearbeiten will. Mein argumentativer Ausweg: Es soll mich „musikalisch“ weiterbringen. Natürlich höre und  beurteile ich als Musiker alle Geräusche des Lebens auch in ihrer Eigenschaft als Musik, nicht nur die Vogelstimmen, sondern auch das Wiehern der Pferde, das Heulen des Windes. Und natürlich alle Varianten von Maschinen, die mir begegnen. Aber ich behaupte nicht, dass mich das „musikalischer“ macht. Nur weil ich musikalisch immer empfänglicher geworden bin, erlebe ich ja auch alles andere, was tönt, so ähnlich wie Musik. Und wenn es sich tatsächlich als eine Imitation oder Simulation erweisen sollte, erfahre ich dies als einen Zuwachs von Bedeutung im Klang. Wenn nicht, ist es auch in Ordnung.

Allerdings – das muss ich zugeben – werde ich bei dem folgenden Stück – mit dem Titel „Instinkt“ – unweigerlich von wachsender Empathie zu den vorgestellten Lebewesen erfasst. Vielleicht, weil ich an den Gesang der Schlittenhunde denke. Oder an die Kranichzüge meiner Kindheit, deren Rufe von der Weite des Himmels und der utopischen Ferne ihres Flugzieles kündeten.

Was die Komponistin selbst über ihre Klänge schreibt, klingt vielleicht prosaischer:

Im Alltag stosse ich immer wieder auf schöne Geräusche. Aber ich bekomme sie einfach nicht gepackt, nicht kontrolliert. Ich kriege sie noch nicht einmal klar gehört. Ein Geräusch wirklich zu erfassen und zu verstehen, das ist unglaublich schwer. Wenn es mir dann doch gelingt, frage ich mich im nächsten Schritt: Wie kann man so ein Geräusch überhaupt imitieren? Wie kann man es modulieren und formen? Deshalb arbeite ich mit Musikern zusammen. Intuitiv machen sie die Klänge im Zusammenspiel musikalisch sinnvoll. Dabei entdeckt man auch neue Spieltechniken, die das Stück bereichern. (Carola Bauckholt)

Ein anderes Werk der Komponistin:

Das Zitat oben stammte aus einem aufschlussreichen Interview, das die Komponistin Carola Bauckholt der Luzerner Zeitung gab. Hier kann man es insgesamt nachlesen.

https://www.luzernerzeitung.ch/kultur/buch-buehne-kunst/carola-bauckholt-jeder-staubsauger-hat-seinen-eigenen-klang-ld.1532976

hier

Von dieser Seite gesehen, verliert auch der Anblick von Staubsaugern im Konzertsaal seine Schrecken. Und der Ernst der Künstlerinnen und ihre Virtuosität lässt keinen Zweifel am Sinn der Sache. Und an der sorgfältigen Inszenierung, bis hin zur heftigen Betätigung des Aus-Knopfes.

Es ist Jahrzehnte her, an der Kölner Hochschule gab es neben der auffälligen Avantgarde nach wie vor den konservativen Flügel, und ich vergesse nie die listige Zusatzfrage, die mir am Ende der mündlichen Prüfung gestellt wurde, und zwar von Seiten des Vorsitzenden, der kein Freund der Neuen Musik war: „Wie würden Sie einen Komponisten nennen, der von Ihnen verlangt, dass Sie das Klavier mit dem Ellenbogen traktieren, draufklopfen und den Deckel auf- und zuknallen?“ Ich war ratlos, und bekam zum Trost oder als Clou die Antwort: „einen Idioten, hoffentlich“. Worauf ich mein Zögern rechtfertigte: in diese Reihe der befremdenden Praktiken in der Musik gehöre ja schon das typische Bartók-Pizzicato, bei dem die angerissene Saite auf das Griffbrett schlägt. Da könne man kaum eine Grenze setzen… (Ein Widerwort, aber kein Eclat, und nicht wirklich befriedigend für beide Seiten.)

Man sollte allerdings bedenken, dass der komische Effekt mancher Techniken der Neuen Musik durchaus nicht ganz außerhalb des erwünschten Wirkungsspektrums liegt. Das Lachen oder Lächeln im Publikum ist durchaus einkalkuliert, es entspringt der Verblüffung. Und kann „adäquater“ sein als das vorsichtige Schweigen der „Insider“.

Dennoch entspringt der Passus am Ende eines Artikels, den ich in einem durchaus seriösen Fach-Magazin las, einer anderen Motivation, vielleicht einer doch eher zum Spott geneigten Kumpanei mit dem Konsumenten. Und ist nur alberne Zugabe nach einem ernsthaften Essay.

Quelle Christoph Türcke „Wie Musik eingreift“ in „Musik & Ästhetik“ Klett-Cotta Stuttgart, April 2025 (Seite 64-69)

P.S. Was sage ich, wenn mich jemand in die Enge treiben will  und fragt: „aber findest du das etwa schön?“ Ich verweigere die Aussage, weil das Wort schön ständig seine Bedeutung verändert. Finde ich die Stücke von Bach, die ich übe, etwa „schön“??? Das Wort ist viel zu klein. Jedenfalls wäre das nicht der Grund, weshalb ich sie übe. Sie erscheinen mir sinnvoll, auch bedeutsam, auch faszinierend, und vor allem: sie beschäftigen mich weiter, wenn ich längst nicht mehr spiele.

Die „Erarbeitung“ all der ethnologisch interessanten (?) Kulturen, die mir begegnen, ist für mich nicht dadurch motiviert, dass ich jede für sich und aus unterschiedlichsten Gründen schön finde, sondern weil ich wissen will, was die kulturellen Dinge für die Menschen bedeuten. Für andere Menschen, die mir  gleichen.

Wenn Carola Bauckholt innerhalb unserer Kultur sagt: „Im Alltag stosse ich immer wieder auf schöne Geräusche“, weiß ich, dass das Wort schön etwas anderes bedeutet als das, was die meisten Menschen ihres Alltags als schön bezeichnen würden. Und selbst wenn ich ausweiche, etwa mit dem Wort „interessant“, hat dieses bald eine ironische Bedeutung angenommen. Das Wort „faszinierend“ tendiert ebenfalls in diese Richtung. In der Tat müsste man aber wohl Farbe bekennen, sobald die Frage aufkommt, wieviel Zeit man dafür opfern würde. Wenn eine nette Bekannte mich ständig in Konzerte schleppen wollte, deren Inhalte ich privat nur in kleiner Dosis ertragen würde, sagen wir: Heino. Dann wäre zu klären, was man unter dem Begriff „nett“ versteht. Ein Desaster! Und warum „nur in kleiner Dosis“? Weil alles andere nach 5 Minuten voraussagbar ist. Und alle Fluchtwege zugestellt sind.

Harnoncourt in meinem Leben

Rückblick auf die frühe Phase „informierter“ Alter Musik

Es lässt tief blicken, dass diese CD einer Aufnahme aus dem Jahr 1963 mich heute dank jpc keine 4 Euro (ohne Porto) gekostet hat. Ich musste sie haben, aus „historischen“ Gründen. Wir – im Collegium Aureum – hatten damals kaum begonnen, den Concentus Musicus zu beobachten. Meine Erinnerung datiert die Frühphase auf Franzjosef Maiers Kurs Alte Musik (1964 Initiator Dr. Alfred Krings), Hauptgegenstand die Vorreden Georg Muffats zu seinem „Florilegium“ mit den verblüffenden Angaben zum Lully-Stil (1698). Ich finde den Hinweis auf diesen großen „Influencer“ schon in dem Booklet, das den Text von damals wiedergibt. Für uns wohl zum erstenmal präsent in dem vielgelesenen Sammelband „Musik als Klangrede“ 1982, dem 2 Jahre später „Der musikalische Dialog“ folgte. (In den 70er Jahren habe ich  – mit einem gewissen Durchblick – auch in Sigiswald Kuijkens „Petite Bande“ bei einer CD-Aufnahme mit Muffat-Werken mitgewirkt. In den Proben begeisterte ich mich für seine kontrapunktische Satzweise.) Die beiden genannten, hinreißend geschriebenen Bücher von Nikolaus Harnoncourt hatten einen enormen Einfluss, nicht nur auf mich. Als Texte, die sich aus der praktischen Arbeit ergeben hatten. Man sieht: der zweite Absatz im Booklet entspricht dem auch im Buch wiedergegebenen Text. Die Künstler konnten zu Forschern werden, und ihre Praxis wurde zur wichtigen Anregung der Forschung.

Fortsetzung s.u.

Foto 1956!

Inhalt der CD

Johann Joseph Fux Wikipedia  hier

Leopold I. Wikipedia hier Zitat: Als einer von sehr wenigen Herrschern hinterließ er als Komponist von 230 Werken nachhaltig kulturelle Spuren.

Giovanni Legrenzi Wikipedia hier

Heinrich Ignaz Franz von Biber Wiki hier

Johann Heinrich Schmelzer Wiki hier Zitat: 1658 war er Leiter der Instrumentalmusik im Gefolge Leopolds I. bei dessen Krönung in Frankfurt. Sein enges Verhältnis zum Kaiser brachte ihm vor allem einen finanziellen Vorteil, machte ihn aber auch zu dessen musikalischem Ratgeber, der dem Kaiser bei seinen Kompositionen half. 1665 wurde er zum Ballettkomponisten ernannt, weshalb er künftig den Hof mit Balletti zu versorgen hatte.

    Inhalt der Harnoncourt-Bücher von „Klangrede“ und „Dialog“

Depeche Mode

Wikipedia hier Web hier

Dieses Buch hatte ich verschenkt, und bekam inzwischen von kompeteter Seite die Rückmeldung: es ist zwar als Nachschlagewerk zu gebrauchen, aber als biographisches Werk sui generis ein Flop.

Besser hören, besser verstehen?

Was Musikvermittlung bewirkt

Quelle Hans Georg Nicklaus: Lecture-Concerts / Musikvermittlung in Großbritannien und den USA zwischen 1880 und 1900 / Seite 34-46 / Musik & Ästhetik Klett-Cotta Stuttgart April 2024

Die gesammelten Dokumente (…) stehen im Kontrast zur Idee einer ›Universalsprache Musik‹, die sich in Europa ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts etabliert und immer wieder (bis zur Gegenwart) manchmal direkt, oftmals eher impliziert in den Diskursen um Musik aufscheint.³° Dass aber Musik aus anderen Zeiten und (vor allem geographischen) Kontexten nur mit erläuternden Hilfen verständlich ist, veranlasst die Autoren keineswegs dazu, am Ideal der Unmittelbarkeit zu rütteln. Musik soll direkt zu den Hörenden sprechen.

Unmittelbarkeit einerseits und Vermittlung andererseits bilden hier darum keinen Widerspruch, weil zwischen den Komponisten und der Wirkung ihrer Werke das Hören als eigenständige und  zu trainierende Tätigkeit etabliert wird. Nicht einem bloßen Verstehen, sondern einem verständigen Hören sind die Bemühungen der Lecture-Concerts gewidmet. Die paradoxe Forderung nach einer Vermittlung zum Zweck der Unmittelbarkeit wird erst möglich und sinnvoll durch die gleichsam zwischen Werk und Wirkung geschobene Kategorie des ›richtigen‹ Hörens jener an einen anderen Ort und großteils auch in eine andere Zeit »verpflanzten« Musik.

Anm.³° Hans Georg Nicklaus: Weltsprache Musik. Rousseau und der Triumph der Melodie über die Harmonie München 2015

Als Anregung zwischendurch der aktuelle Beitrag von Bojan Budisavljević (s.a.hier).

https://www.nmz.de/politik-betrieb/kulturpolitik/relevant-schon-aber-bedeutend?utm_source=CleverReach&utm_medium=email&utm_campaign=03.04.25+Kampagnen-Name&utm_content=Mailing_16085025 HIER

Ich kenne seit Studienzeiten den Dissens zwischen Leuten, die Musik erklären und vermitteln wollen, und anderen, die dies ablehnen und meinen, Musik könne und müsse unbedingt für sich selbst sprechen. Ich selbst stand immer auf Seiten derer, die nach zusätzlichen Informationen verlangten. Diese bestünden z.B. allein schon in der Angabe des Komponisten und seiner Lebensdaten, ermögliche damit zumindest die Vergegenwärtigung der Epoche und des  Lebensraumes. Die Wahrnehmung eines begrifflich erfassbaren Umfeldes der scheinbar begriffslosen musikalischen Kunst.

Hilfreich ist vielleicht die Vorschaltung eines anderen Kulturproduktes, das zweifelsfrei mit Worten und Begriffen arbeitet, wo allerdings ganz ähnliche Diskussionen auftauchen. Gemeint ist die Lyrik. Bedarf sie der Interpretation oder nicht? Sie braucht den gesprochenen Vortrag, kein Zweifel (obwohl auch das stumme Lesen ausreichen könnte), – aber braucht sie nicht ebenso das Innehalten bei bestimmten Worten, das Reflektieren ihres Bedeutungsspektrums, das Wirken des Assoziationsraumes einzelner Wendungen?

Ein kurzer Blick in die mehr oder weniger zufällig bei mir angesammelte Literatur zum Thema Lyrik:

Warum? Obwohl doch fast alle Gedichte aus lauter Wörtern bestehen, die wir kennen? Warum müssen wir einander selbst im persönlichen Gespräch so oft erklären, wie wir das eben gemeint haben? Ja, aber das Gedicht ist in sich geschlossen, es enthält alles, was es zu sagen hat.

So? Sie verstehen deutsch? Dann sagen Sie doch mit Ihren Worten, was der Dichter meint:

(Fortsetzung folgt)

Das Ideal der Nachhaltigkeit

[prägt] vor allem Rechtfertigungsmuster, [tangiert] jedoch nur wenig unseren tasächlichen Ressourcenverbrauch.

Ein verkürztes, aber durchaus nicht verfälschendes Zitat aus einem hervorragenden Nachschlagewerk der großen Schlagworte unserer Zeit. 10 Seiten zum Thema, die sich am Ende so zusammenfassen lassen:

Im Anthropozän ist Nachhaltigkeit aller Wahrscheinlichkeit nach weder durch Modernisierung noch durch Transformation noch durch Kontrolle zu realisieren. Das Zukünftige wird nur noch als bedingt gestaltbarer Raum wahrgenommen werden können – und zu lernen, mit den Lasten der Vergangenheit umzugehen, könnte Voraussetzung jeder vernünftigen Regierungspraktik der Zukunft sein.

Quelle Glossar der Gegenwart 2.0 / Herausgeben von Ulrich Böcking, Susanne Krasmann und Tomas Lemke / Edition Suhrkamp Berlin 2024 (Zitat Seite 233 und 234, Autor Frank Adloff)

Christliches, ausnahmsweise?

Antipoden in der Rückschau

Rudolf Steiner und Dietrich Bonhoeffer neu in Film- und Printmedien

Wer viel Zeit hat, lese doch bitte vorweg meinen Erlebnisbericht, den ich Ende 2021 geschrieben habe. Darin habe ich mich auch mit der Steiner-Lektüre meiner Mutter beschäftigt, der Schock sitzt bis heute. Aber in den frühen 60er Jahren hatte ich doch geglaubt, dass etwas daran sein könnte, eben nur etwas unattraktiv formuliert. Aber wenigstens einzelne Zweige des Wunderbaumes, etwa die Waldorf-Pädagogik, oder die anthroposophische Medizin, vielleicht auch nur als Erfahrungswissenschaft, die biodynamische Landwirtschaft , ein esoterisches Christentum usw. usw.. Jetzt in dem Film kam nochmal alles zurück… aber eben ohne meine Mutter.

Ich will es nicht auf sie allein schieben, es war ja die Situation der Zeit und meine fixe Idee, alles für möglich zu halten: Kehrtwendungen, Neuanfänge, Sonderwege und Radikalismen, warum nicht neben der Psychologie (mit Sigmund Freud oder C.G.Jung) auch die Parapsychologie? Neben der Natur das Übernatürliche? Neben dem sinnlichen Gegenstand die außersinnlichen Phänomene? Ein einfacher Gedankengang hätte mich schon Anfang der 60 Jahre ernüchtern können: die Einsicht, dass die sogenannte geistige Welt einfach eine naive Verabsolutierung der individuellen und überindividuell nachweisbaren Imaginationsfähigkeit des Menschen sein könnte. Eine gewaltige Projektion.

Aber der Film hat empfindliche Schwächen….

Schwer erträglich: die aufdringliche Musik. Auch etwas nervig die Girlie-Stimme der Sprecherin. Wohl In Ermangelung filmischer Originaldokumente wurden viele Szenen per Hand nachgezeichnet und durch KI aufbereitet, besonders die Mundbewegugen des Steiner-Sprechers ziemlich lächerlich. Einblendungen von Geräuschkulissen in gezeichnete Szenen. Schreibtisch in Flammen.

Der Kontakt zur Nietzsche-Schwester Elisabeth Förster-N. wird nicht kritisch behandelt (der geisteskranke Philosoph konnte sich ihrer nicht mehr erwehren).

Gut: die Zeit nach dem 1. Weltkrieg ab 37:00 Krisen, „barfüßige Propheten“  usw. Führer-  und Messiasgestalten. Wirkung auf Morgenstern, Kafka … Albert Einstein: Was hat der Mann da für einen Kohl geredet!? Hermann Hesse: Steiners Texte sind mir vollständig ungenießbar geblieben; schon ihrer schrecklichen Sprache wegen. Kurt Tucholsky: Die Zuhörer schliefen reihenweise ein; daß sie nichtan Langeweile zugrundegingen, lag wohl an den wohltätigen Fogen weißer Magie. 39:40 Zurück nach Berlin in das Jahr 1900, drastische Wende in Steiners Leben, okkulte Einflüsse nehmen überhand. Die deutsche Theosophen. Rituale und Séancen. Hoch-Zeit für Geheimbünde in Europa: Glaube an eine geistige Welt, durch Übungen die Wirkung nutzbar machen. Theosophie. Marie von Siewers. Elitär, Fernost. Neosatanismus, Hubbard, Heinrich Himmler, Anthroposophie. Annie Besant. 43:00

https://www.arte.tv/de/videos/119539-000-A/geheimakte-rudolf-steiner/ hier

Geheimakte Rudolf Steiner

Anthroposoph, Okkultist, Influencer?

Verfügbar nur bis zum 24/06/2025 !!!

ZITAT

Was steckt hinter dem Mythos um den Begründer der Anthroposophie, Rudolf Steiner? Die Doku zeigt Steiners Lebensweg von den Anfängen in Wien, den Krisen in Weimar, den wilden Zeiten in der Berliner Bohème bis hin zum esoterischen Führer und geschäftigen Gründer, dessen Reformbewegung Tausende folgen. Rund hundert Jahre nach seinem Tod bleibt die Frage: Wer war Rudolf Steiner?

Ausführlicherer Pressetext:

Vor rund hundert Jahren starb Rudolf Steiner, der Vater der Anthroposophie. Auf seinen Theorien basieren Waldorfschulen, Demeter-Landwirtschaft oder Naturkosmetik. Sie sorgen, ebenso wie die Person selbst, bis heute für Kontroversen. Doch wer war dieser Visionär und Firmengründer? Was prägte ihn und trieb ihn an? Die Dokumentation enthüllt Steiners Lebensweg, wie er sich vom armen Studenten in Wien zum Goethe-Herausgeber in Weimar hocharbeitet und in der Berliner Bohème um 1900 in eine wilde Kunst- und Literaturszene abtaucht, zwischen Tabakrauch und Cognac sympathisiert er dort zeitweilig sogar mit dem Anarchismus. Der selbst ernannte Hellseher findet in einem okkulten Zirkel ein Publikum, das wie gebannt an seinen Lippen hängt. Bald ist sein Erfolg nicht mehr aufzuhalten, seine Reformbewegung erhält regen Zulauf. Warum wird Steiner von den einen vergöttert und von anderen gehasst? Wie sieht die Staatsmacht einen Mann, der zur Jahrhundertwende Schule, Landwirtschaft, Kirche und Staat neu denkt? Akten in einem Geheimarchiv zeugen von seiner Vergangenheit, selbst im Ausland hat man Steiner im Blick. Obwohl er rassistische und antisemitische Aussagen tätigt, mit denen seine Anhänger damals wie heute konfrontiert werden, wird er selbst zur Zielscheibe rechtsnationaler Gewalt. Der Film zeigt wenig bekannte Facetten Steiners: akademisches Scheitern, pikante Beziehungsdramen, esoterische Erleuchtungen, aber auch seinen Sinn für Marketing und Unternehmertum. Rund 100 Jahre nach seinem Tod bleibt die Frage: Wer war Rudolf Steiner?

Regie Anna Pflüger (Deutschland 2024 ZDF)

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Dietrich Bonhoeffer – warum JETZT?

Sowohl auf der Titelseite als auch im Blatt auf vielen Seiten (rot gekennzeichnet).

Ich kenne ihn nicht bzw. kannte ihn seit meiner Schulzeit in Bielefeld, wo ich glaubte, dass er wohl auch mit Bethel, mit Bodelschwingh oder Karl Rahner und Rudolf Bultmann („Entmythologisierug“!) zusammenhing, die im Religionsstoff eine Rolle spielten. Alles, was ich von mir abprallen ließ, denn ich „hatte“ ja Nietzsche.

Aber überall und immer wieder begegnete ich dem Gedicht oder dem Spruch von „guten Mächten wundersam geborgen“, – ohne es in einem der rund 15 Gedicht- oder Lyrik-Interpretationsbände zu vermissen, die sich angesammelt hatten, seit der Entdeckung von Trakl und Benn. Hat er etwa Lyrik geschrieben? Jetzt erfahre ich, dass es mit seinem Leben (und Tod) zu tun hatte, und Volker Weidermann, der Feuilleton-Chef der Zeit, den ich durch sein Thomas-Mann-Buch über das Meer schätzen gelernt habe, er würdigt ihn einer großen Interpretation.

Zitat Volker Weidermann

Warum das jetzt, in diesem Augenblick? Weil es einen Film über ihn gibt? Einen Film aus den USA, der ihn als aufrechten Christen für die unsägliche Vereinigung der Evangelikalen in Beschlag nimmt, eine gigantische Geschichtsverzerrung, die zu Bibelhochhalter Trump’s Fakeproduktion passt. Und so viele richtigstellende Seiten in der ZEIT, so gute, dass ich sie nicht ignorieren kann und will.

(Fortsetzung folgt)

Stylus Phantasticus

Mir fiel eine Orgel-CD in die Hände, die ich mal irgendwie durchgeackert hatte, einige rot unterstrichen Zeilen zeugen davon, und ich erinnere nichts. Im Blog-Register: nichts. Sie stammt aus dem Jahre 2003, – vielleicht fehlten mir die geeigneten Anknüpfungspunkte, vor allem die Blog-Arbeit … So etwas lässt mir keine Ruhe. Und siehe da! Matthesons „Vollkommener Capellmeister“ ist Kronzeuge, vielleicht besaß ich den Band noch gar nicht.

Ich kannte also auch noch nicht http://s128739886.online.de/altdeutscher-reichtum/ (2o19), auch noch nicht http://s128739886.online.de/die-beruehmte-toccata-und-der-junge-bach/ (2023). Also jetzt erst mal ran. Der schwer lesbare Text in größer:

Aha, der schöne Text ist also nicht von der Interpretin Bine Bryndorf, sondern von Kerala J. Snyder.

Gute Idee: Die Choral-Melodien sind im Booklet wiedergegeben.

So, – dies wäre eigentlich das Minimum an Vorarbeit, an Wissenserwerb, wenn ich die Stücke angemessen wahrnehmen und: jederzeit wiedererkennen möchte.

Zu dem Mattheson-Zitat auf der ersten Seite:

   

Quelle Johann Mattheson: Der vollkommene Capellmeister 1739 / Faksimile, herausgegeben von Margarete Reimann / Bärenreiter Verlag Kassel und Basel 1969 (Seite 87 ff)

Jetzt heißt es, die vorhandenen Aufnahmen zueinander in Beziehung setzen, diese vor allem mit denen der Gesamtaufnahme von Harald Vogel. So wären die Fächer im Gedächtnis (siehe die Links oben) neu sortiert und vielleicht besser greifbar.

Auch bedenken, was ich selbst einmal geschrieben habe:

Das Buch von Andreas Weil enthält ein wichtiges Kapitel über den Stile fantastico, allerdings auf eine spätere Entwicklung bezogen, während Andrew Manze bei Athanasius Kircher im17. Jahrhundert ansetzt. Unglaublich schön.

Wo stand das denn???

Es war eine Verpflichtung…