Archiv für den Monat: April 2024

Bachs Jodler

Meine „fixe Idee“

BWV 848

Quelle: hier

Dies nur als Appetizer. Man könnte nachforschen, ob etwa zu Bachs Zeit schon Tiroler Musikgruppen in Sachsen unterwegs waren… aber man kann sich auch mit der Vorstellung zufriedengeben, dass Bach ein besonders heiteres Thema verwenden wollte, das nicht gerade nach der Fugenform schrie… da kam er auf den Sextsprung aufwärts.

Ein Charakteristikum sollte einem bei der Betrachtung des Thema bewusst werden: wo liegt eigentlich der natürliche Akzent? Der höchste Ton exponiert den schwächsten Punkt des Taktes, und der Rückfall auf den Ausgangston gis wirkt durch die Stellung am Taktanfang weder geadelt, noch durch Wiederkehr gewichtiger. Entscheidend ist, wie dieser Ton behandelt wird, wenn es mehrstimmig weitergeht: die andere Stimme bildet immer mit ihm eine Dissonanz, die weitertreibt. Man sehe den Anfang des Taktes 4 (eis zu dis) oder der Takte 6, 11 oder 15 – genau genommen immer, und doch ist man selbst als Spieler zuweilen überrascht, weil die Sekundreibung durch einen Sprung erreicht wird: eine kühne Kontrapunkt-Idee! Mein Gott, auf dieser Basis kann man nicht jodeln!

Wir dürfen gespannt sein. In Cis-dur, eine Tonart mit 7 Kreuzen, – absurd genug? Ich erinnere mich, dass ich mich mit dieser Tonart schon einmal auseinandergesetzt und befreundet habe: hier. Und nun dies: Erster Band, BWV 848. (Zum „Wohltemperierten Klavier“ überhaupt folgt ein Link weiter unten im heutigen Text).

Allerdings möchte ich bei analytischen Betrachtungen ungern Leser/inner, Hörer/innen ausschließen, die im Notenlesen nicht zuhause sind, aber denen doch jeder Jodelanklang  ein wissendes Lächeln ins Gesicht zaubert. Also hören Sie doch den Fugenbeginn, bis Sie entsprechend heiter gestimmt sind, bereit, es in jedem Versteck aufzuspüren.  (Das folgende Titelbild mit dem Crucifix führt in die Irre. Nebenbei: das Porträt auch.)

I ab 0:10 (Sopran) (Alt) (Bass) (überz.) II ab 0:49 (Bass) III ab 1:21 (Sopran) IV (Sopran) ab 2:16 Oder lieber mitsamt Praeludium? 0:00 bis 1:32 dann Fuge bis 4:01 im folgenden Beispiel:

Übrigens würde ich niemandem, der das „Wohltemperierte Klavier“ noch nicht gut kennt, raten, eine Gesamtaufnahme aufzulegen und sie von Anfang bis Ende durchzuhören. Man wird von der Fülle erschlagen und leicht sagen: „Auf die Dauer etwas eintönig“. Nichts falscher als das! Zur ersten Übersicht orientiere man sich hier.

Noch einmal von vorn:

 Gekennzeichnet sind die Anfänge der einzelnen Teile („Durchführung“ genannt), hier erkennt man vielleicht (violett eingekreist) I, II und III, die weiteren regulären Themeneinsätze innerhalb dieser Teile an den runden Halbkreisen vor ihrem ersten Ton. Der unscheinbare Buchstabe ü heißt überzähliger Einsatz (dazu nichts weiter! wohlgemerkt: nicht „überflüssiger Einsatz“ ), Z bedeutet Zwischenspiel. Damit wären Sie analytisch vollständig ausgerüstet. – Auf der nächsten Notenseite (s.o.) gibt es nur noch die Durchführung IV, und die ist – o Wunder! man hört es nicht auf Anhieb! – praktisch fast identisch mit der Durchführung I.

Ein Blick in die Noten zeigt, dass man den Zwischenspielen eine wesentliche Rolle zubilligen muss, sie nehmen nicht nur viel Platz ein, sie bilden auch musikalisch einen wunderbaren Kontrast, indem sie Elemente des Haupthemas hin- und herwenden oder sequenzenartig aneinanderreihen.

Wer mit dem Notentext Lese-Probleme hat, halte sich an die genauen Zeitangaben für die Youtube-Klangbeispiele, – man kann alles, wovon ich rede, hören: es ist keine Papiermusik, so wenig wie der Jodler, von dem wir ausgingen.

Wesentlich für eine Bachsche Fuge ist, nicht nur die Themen-Wiederkehr wichtig zu nehmen (dies gilt übrigens auch für Interpreten), ihr Wiederauftauchen in den anderen Stimmen zu beobachten,

z.B. in Durchführung I in der Reihenfolge (Oberstimme), (Mittelstimme), (Unterstimme), (überz. in der Oberstimme), – überzählig? weil es in den 3 Stimmen dieser 3-stimmigen Fuge bereits „durch“ ist -,

sondern eben auch: die Zwischenspiele, die kurzen zwischen den einzelnen Einsätzen und die langen, die den einzelnen Durchführungen folgen oder vorangehen.

Nur eins erwartet man vergebens: Atempausen, die der Gliederung entsprechen – wie man sie aus der Klassik kennt, etwa bevor das 2. Thema einsetzt. Die Nahtstellen sind in die fließende Textur perfekt eingebettet.

Das alles klingt in Worten etwas verzwickt, in der Musik aber einfach und eher verspielt. Insbesondere, wenn Sie die Zwischenspiele nicht als nebensächlich, sondern als Witz der Fuge betrachten. Auch das Haupthema nicht als absoluten Herrscher hofieren, sondern seine starken „Gefährten“ erleben: z.B. gleich am Anfang, wenn das Thema allein (1-stimmig) in der Oberstimme zu hören war und in der Mittelstimme in etwa gleichlautend beantwortet wird, zugleich der hohen Stimme weiterhin lauschen, wie sie nun dazu die Gegenstimme, den Contrapunctus, etabliert. Und dann?

Es ist klar, dass man aufmerksam zuhört, aber mehr nicht, ein spezieller kontrapunktischer Scharfsinn ist nicht gefordert. Eher wird die helle Freude am kaleidoskopischen Austausch der Stimmen erwachen. Keine Prüfungsaufgabe – ich spreche von Freude, wünsche vor allem viel Vergnügen!

Ja, aber … wann habe ich denn nun diese Bach-Fuge wirklich verstanden?

Ach, wenn Sie noch mehr benennen wollen: Sie kennen ja nun die 4 Durchführungen, und das ist schon viel: zu wissen, dass die erste und vierte sich gleichen (jeweils drei Themenauftritte und ein „überzähliger“).

Die Durchführungen II und III haben aber auch etwas gemeinsam: jede hat nur zwei Themenauftritte, die II. in Unterstimme (Takt14f) und Mittelstimme (Takt 19f), die III. in Oberstimme (Takt 25 mit „Anlauf“) und Mittelstimme (Takt 27 mit Auftakt).

Dem nachfolgenden Zwischenspiel gilt dann unsere ganze Aufmerksamkeit: es vertieft sich a) in die verspielten Sequenzen aus den früheren Zwischenspielen, b) sie widmet sich dem Anfang des Haupthemas und lockert es durch die Kippfiguren der linken Hand, vertauscht dann die Rollen der beiden Hände (Takte 35-38 und Takte 39-42). Und schon sind wir unvermittelt (oder besser: mehrfach vermittelt) im Beginn der Durchführung IV (Takt 42).

Habe ich damit wenigstens den groben Formverlauf der Fuge verstanden? Allerdings ohne den Wechsel der Tonarten zu benennen. Ich vermute doch, den fühlen Sie schon von selbst ausreichend. Ansonsten genügt es, das kaleidoskopische Spiel der Themen und Zwischenspielmotive zu verfolgen: sie haben keine Bedeutung, die man verstehen muss. Vielleicht gehört noch die Wahrnehmung der Auflockerung und Verdichtung des Tonsatzes dazu, z.B. die ausgedehnte Zweistimmigkeit vor der Durchführung IV, die durchgehende Dreistimmigkeit dieser Durchführung und nach deren letztem („überzähligem“) Themenzitat in Takt 58 – in der kurzen Coda – das nahezu dramatische Zusammengehen der linken und der rechten Hand in 16teln (20 Noten!), bevor die bündige Schlusskadenz folgt.

Ich muss zugeben: Worte der Musikbeschreibung machen einen langweiligen Eindruck, so wie die Beschreibung einer Hügelkette nichts von der Schönheit der Landschaft verrät, an denen sich unsere Augen nicht sattsehen können. Wenn sie nicht vor uns liegt, kann ich nur versichern, dass die Wirkung sehr schön ist. Ja, beseligend. Und schweigen.

Ziehen Sie keine vorschnellen Folgerungen aus dem folgenden Titelbild, die Aufnahme ist einfach „bezaubernd“. Und danach fühlen Sie sich vielleicht ähnlich enthusiasmiert wie die Künstlerin.

0:00 – 0:29 II 0:30 – 0:53   III 0:54 – 1:33   IV 1:34 – 1:58 (+ Coda) 2:07.

Angela Hewitt ! Wir lächeln auch.

Han: Was ist Macht?

Durchbruch in der Strahlentherapie

Der pathetische Untertitel macht nur für mich Sinn: denn dort habe ich heute in der Klinik gesessen. Schier unendliche Wartezeit, die ich durch dieses Büchlein strukturieren wollte, das ich hauptsächlich wegen seiner Handlichkeit gegriffen und in der Jackentasche mitgeführt hatte. Reclam! Vielleicht der dritte Versuch seit 7. Nov. 2014: immer wieder hatte ich die Lektüre wegen Überforderung oder Langeweile aufgegeben. Zu früh, wie ich heute weiß!

Han: Was ist Macht? Reclam Stuttgart 2005

Beim letzten Mal hatte ich etwa bei Seite 30 (ich sehe es an meinen Unterstreichungen) aufgegeben, nachdem Luhmanns Theorie den Gedankengang bestimmt hatte. Hatte ich etwa nicht realisiert, welche Rolle darin Kafka spielt? Heute

verschmolz er mit der Situation: nach der Einnahme eines halben Liters von dem Kontrastgetränk, das mich für Durch-Sichtigkeit in der Röhre des Computer-Tomographen präparieren sollte, saß ich mit 6-7 Personen im engen Wartezimmer, der Rücken (Vorstufe Hexenschuss) tat weh, während ich versuchte, in die Buchstabenwelt, die sich in meiner Hand befand, einzutauchen. Es gelang, sobald der Philosoph sich mit Elias Canetti beschäftigte, dessen Buch „Masse und Macht“ mich jahrelang begleitet hatte (seit 1983). Interessantes Beispiel von der Macht der Katze über die Maus.

Canetti verfügt offensichtlich nur über einen sehr beschränkten Machtbegriff. Er setzt die Macht weitgehend mit Zwang, Unterdrückung und Unterwerfung gleich. So geht die Machtbeziehung über die Beziehung zwischen Katze und Maus nicht hinaus. (…)

Die Macht ist „geräumiger“ als die Gewalt. Und die Gewalt wird zur Macht, wenn sie „sich mehr Zeit lässt“. Die Macht beruht, so gesehen, auf einem Mehr von Raum und Zeit. Beim Katz-und Maus-Spiel hat aber der Raum nur die Enge eines Vorraumes zum Tod. (…)

Todesversessen vergißt Canetti offenbar, daß die Macht nicht einfach nur tötet, sondern vor allem leben läßt.

Han Seite 35 f

Dann zu Nietzsches Auffassung des „Willens zur Macht“, völlig anders als ich bisher gedacht habe, viel komplexer, ich kann nicht glauben, dass es im Nietzsche-Buch von Jaspers (s.u.) auch nur andeutungsweise ähnlich dargestellt war. Dann Foucault.

Dann wieder zuhaus, instinktiver Griff nach einem vergessenen Heft, in dem sich auf Anhieb ein Essay auftut, den ich als Pendant zu Byung-Chul Han’s Nietzsche-Sicht betr. Wille zur Macht herausfordern oder überprüfen kann. (Ich bin voreingenommen, da es in Wikipedia hieß, Heinrich Meier habe zeitlebens eine rechte Position verfochten.)

in mehr davon hier

Wie Han zur Semantik der Macht bei Nietzsche kommt, sieht man im folgenden Text:

Im Gegensatz zur nackten Gewalt kann sich die Macht mit Sinn verbinden. Vermittels ihres semantischen Potentials schreibt sie sich einem Verstehenshorizont ein. Was bedeutet aber Sinn?

selbst thematisch sein. Die Macht wird sich also einem Sinnhorizont einschreiben oder gar einen Sinnhorizont bilden müssen, um den Verstehens- und Handlungsprozeß effektiv steuern zu können. Sie gewinnt nur dann an Stabilität, wenn sie im Lichte des Sinns oder des Sinnvollen erscheint. Darin unterscheidet sie sich von der Gewalt, die deshalb nackt wirkt, weil sie jeden Sinnes entkleidet ist´. Eine nackte Macht gibt es dagegen nicht.

Nietzsche hat gewiß als erster den komplexen Zusammenhang zwischen  Macht und Sinnerzeugung eindringlich formuliert.

Byung-Chul Hang: Was ist Macht a.a.O. Seite 37 f

Man muss dies an Ort und Stelle nachlesen. Ich habe mir die folgenden Seiten geradezu aufdringlich markiert. Zum Auswendig-Lernen gewissermaßen. Danach folgt auf Seite 40 Han’s Statement:

Der Sinn ist Nietzsche zufolge kein zu nichts gedrängtes Es-ist-so, kein So-sein-der-Welt und der Dinge, das in einer interesselosen Anschauung nur zu entdecken wäre. Beruhte der Sinn auf dem So-sein und nicht auf dem Besitz oder der Herrschaft, so wäre der Namensgeber kein Machthaber, sondern ein Sehender oder Hörender. Nietzsches Monismus der Macht nimmt den Dingen jedes So-sein. Der fehlende Wille zur Macht führte zu einer Sinnleere. (…)

Macht stiftet Bedeutsamkeit.

Mein Fehler lag darin, Nietzsches Formel vorschnell als kryptisch-politische Diagnose im Sinne Macchiavellis zu verstehen, statt ihr „Verständnis“ ständig zu revidieren. Kindisch, – das kommt, wenn man Nietzsche in früher Jugend zu lesen beginnt und es nicht schafft, beizeiten zu Schopenhauer und weiter zu Kant zurückzugehen, um sich methodische Zusammenhänge zu erschließen. Damals gab es noch keinen Byung-Chul Han…

Für wenig Geld erstanden in der „Brockensammlung“ zu Bethel. Der Lehrer Gutberlet, bei dem wir Religion hatten, kommentierte: „Gut, Reichow, mit Schopenhauer kann man anfangen.“ Ich war beleidigt, denn seine Religionsthemen waren durchaus nicht mein eigentliches Ziel.

Im Nietzsche-Buch von  Jaspers hätte ich schon frühzeitig (1965) auf den „richtigen“ Weg kommen können. Letztlich war ich aber noch nicht reif dafür, ich musste mich – wie hier – erst von einer anderen Seite nähern. Siehe dort ab Seite 272 („Die Auslegung der Welt als Erscheinung des Willens zur Macht“). Kopieren!

(Satz vom Grund: Wikipedia hier) incl. Schopenhauers Interpretation

(Satz vom Widerspruch: Wikipedia hier)

  

   

Quelle Karl Jaspers: Nietzsche / Einführung in das Verständnis seiner Philosophierens / Verlag Walter de Gruyters & Co. Berlin und Leipzig 1936

Musik und Leben . . .

. . . im Zeitalter der Weltkriege

Das beste Buch, das ich seit langem gelesen habe. Jedes Wort, das man oben im Cover-Text darüber liest, ist wahr.

Hier finden Sie eine Anzeige des Buches mit einer überzeugenden, langen Leseprobe (!!!). Mich interessierte besonders die Frage, ob es Vorbilder gibt, in der Art dieses Autors mit biographischem „Stoff“ umzugehen. Hier sein eigener Hinweis:

Ein späterer deutscher Autor, dessen Werke mich besonders inspiriert haben, ist W. G. Sebald (1944 –2001). Mit seinen Romanen Austerlitz, Die Ausgewanderten und Die Ringe des Saturn profilierte sich Sebald als der deutsche Nachkriegsdichter der Erinnerung, der meisterlich vormachte, wie Landschaft, Kunst und Architektur als Zugang zur Vergangenheit dienen können. Holocaust, Exil, Kolonialismus und die Geschichte der menschengemachten Zerstörung sind allgegenwärtige Themen in seinem Werk, aber die Erinnerung an sie ist durch Sebalds elliptische Prosa gefiltert wie durch mehrere Lagen Baumwollstoff, weshalb das einstmals blendende Licht dieser Katastrophen nur noch als schwaches Leuchten wahrgenommen wird. Und auch wenn Sebald nur selten über Musik schrieb, hat sein Umgang mit den ständig weiter verschwindenden Überbleibseln der Vergangenheit, den Spuren früherer Verluste, eine große Ähnlichkeit mit dem geisterhaften Spiel der Musik, mal an- und dann wieder abwesend zu sein, sowie ihren flüchtigen Momenten des Kontakts mit den wortlosen Wahrheiten einer anderen Zeit.

Die Musikbeispiele, soweit ich sie mir in Lesepausen zusammenstellen konnte:

(Fortsetzung folgt, – anfangen mit den „Metamorphosen“ von Richard Strauss!)

Beginn bei 1:06 / hören bei 2:02 Beethoven-Zitat (s.u. Marcia funebre Takt 3)

⇑ ⇑ ⇑ Was im Buch steht zum Thema „Metamorphosen“, ⇓ ⇓ ⇓ Beethoven „Eroica“ Trauermarsch

Schostakowitsch 13. Sinfonie „Babyn Jar“ hier (Buch S.342 ff) Wikipedia hier

hier (Beginn erst bei 1:14) VALERY GERGIEV – MUSICAL DIRECTOR AND CONDUCTOR THE MARIINSKY ORCHESTRA AND CHORUS 8° de Enero del 2013 – January 8th, 2013

mit Jewtuschenko-Text Baby Yar (engl. Übersetzung)

Schostakowitsch 14. Sinfonie hier (Buch S.360 ff) Wikipedia hier

Dmitrij Schostakowitsch: 14. Sinfonie op. 135 für Sopran, Bass und Kammerorchester auf Gedichte von Federico García Lorca, Guillaume Apollinaire, Wilhelm Küchelbecker und Rainer Maria Rilke ∙

(Auftritt) 00:00 ∙ 1. De profundis (Bass) 00:44 ∙ 2. Malagueña (Sopran) 05:50 ∙ 3. Loreley (Sopran und Bass) 08:52 ∙ 4. Der Selbstmörder (Sopran) 17:50 ∙ 5. Auf Wacht (Sopran) 24:54 ∙ 6. Sehen Sie, Madame! (Sopran und Bass) 27:46 ∙ 7. Im Kerker der Santé (Bass) 29:39 ∙ 8. Antwort der Zaporoger Kosaken an den Sultan von Konstantinopel (Bass) 40:07 ∙ 9. O Delvig, Delvig! (Bass) 42:06 ∙ 10. Der Tod des Dichters (Sopran) 46:48 ∙ 11. Schlußstück (Sopran und Bass) 52:23

hr-Sinfonieorchester – Frankfurt Radio Symphony ∙ Miina-Liisa Värelä, Sopran ∙ Mika Kares, Bass ∙ Klaus Mäkelä, Dirigent ∙ hr-Sinfoniekonzert ∙ hr-Sendesaal Frankfurt, 1. Oktober 2020

Was Schostakowitsch zu dieser Sinfonie sagte (nach Wikipedia):

„Zum Teil versuche ich, den großen Klassikern etwas entgegenzustellen, welche das Thema ‚Tod‘ in ihren Werken behandeln. Denken Sie an den Tod Boris Godunows: Wenn Boris Godunow gestorben ist, wird es gleichsam hell. Denken Sie an Verdis Otello: Wenn die ganze Tragödie endet und Desdemona und Othello sterben, erleben wir auch eine wunderbare Verklärung. […] Ich finde dies sogar unter unseren Zeitgenossen, nehmen Sie zum Beispiel den außerordentlichen englischen Komponisten Benjamin Britten: Ich habe in dieser Hinsicht auch an seinem War Requiem etwas auszusetzen. Ich finde, all dies kommt von verschiedenartigen religiösen Lehren her, […] daß uns im Jenseits der absolute Friede erwarte. So scheint es mir, daß ich zumindest teilweise in die Fußstapfen des bedeutenden russischen Komponisten Mussorgski trete. Sein Zyklus Lieder und Tänze des Todes – vielleicht nicht alles davon, aber auf jeden Fall ‚Der Feldmarschall‘ – ist ein großer Protest gegen den Tod […]. Der Tod erwartet jeden von uns. Ich kann nichts Gutes darin sehen, daß unser Leben so endet, und das ist es, was ich in diesem Werk vermitteln will.“

Nachtrag 27.06.24

Ich stehe nicht allein mit meiner Meinung über dieses Buch:

DIE ZEIT 27. Juni 2024 Seite 47 Alexander Cammann: Hier Cowboys, da Chruschtschow

Ave maris stella

Der Hymnus

Gestern Nacht auf ARTE:

https://www.arte.tv/de/videos/103384-000-A/das-vokalensemble-amarcord-singt-josquin-des-prez/ HIER

Separat anklicken:

1:21

Josquin des Préz – Ave Maria…Virgo serena

7:54

Sequenz – Ave Maria

10:01

Josquin des Préz – Missa Ave maris stella, Kyrie – Gloria

18:03  ⇐ ⇐ ⇐ ⇐ ⇐

Hymnus – Ave maris stella

Information bei WIKIPEDIA : HIER

Erinnerung an Aufführungen … unvergesslich: Marien-Vesper von Claudio Monteverdi

Diese Fassung von Monteverdi (Marienvesper), in Noten nachlesbar:

Das bei Amarcord folgende „Illibata Dei Virgo“ von Josquin hier mit dem Taverner Consort (mit Notentext!):

Eine gute Einführung in Josquins Kompositionsweise gibt Prof. Dr. Michael Kube hier.

Mehr davon:

https://josquin.boulezsaal.de/de hier  (darin weiteren Links folgen, etwa dorthin:)

Tony Craggs einzigartige Morphologie

Besuch 16.04.24 im Kunstpalast Düsseldorf

Mehr über Tony Cragg hier und über den Kunstpalast hier

Zum erstenmal: Bildwerke berühren!

 

         

       

Tony Craggs Werkstatt

 

(Alle Fotos von JR, bis auf drei – von ER)

Wenn Sie folgender Zeitungsbeilage begegnen, – studieren sie doch das NRW-Blättchen, es lohnt sich!

Nicht nur wegen Kunstpalast, – es ist lebendig aufgemacht und erschließt aktuell lauter interessante Projekte.

Ich liebe Zeitsprünge, vielleicht um die Jahrzehnte in meiner Hand zu fühlen: wenn Sie noch etwas Zeit haben, mir auf einen Sprung zu folgen, lesen Sie doch dort noch etwas weiter:

Zeitsprung 16. August 1960

Noch etwas zum Kunstpalast Düsseldorf: es gibt einen phantastischen Bildband zum gesamten Museumsbestand (außerhalb der Cragg-Ausstellung). Exzellente großformatige Wiedergaben, und separat, in kleinformatigen Bildreihen, jeweils nach Großepochen gegliedert, dazu Kommentare von Felix Krämer (Felicity Korn und Westrey Page), – hier mit meiner Tageszeitung zum Maßstabvergleich (=latentes Bekenntnis zur Region).

19./20.04.24 Süddeutsche Zeitung

In dem schönen Bericht gibt es zwei Missverständnisse: da ist der Hinweis auf John Bergers Buch „Sehen“, als gehöre zu der Thematik des Sehens (Das Bild der Welt in der Bilderwelt) implizit der Hinweis „Anfassen verboten“.  In Wahrheit war sie eng verbunden mit der Entwicklung der Ölmalerei, die das Sehen unerhört intensivierte, – als sei der Gegenstand dargestellt, die Haut, das Fell, die Kleidung real berührbar, zum Greifen nah. Darin lag durchaus eine sexuelle Komponente, die neuerdings sogar krass vordergründig aufgefasst werden könnte: „Darf ich jetzt hemmungslos die Genitalien streicheln?“ Ah, falsch verstanden: im Fall der Skulptur des „Sitzenden Knaben“ ist nur die Rede davon, „dass man ihr unweigerlich wie aufmunternd über den Kopf streicheln möchte“. Die glänzenden Stellen der bronzenen Nacktskulpturen in Indien und anderswo verraten andere Vorlieben, die sich vielleicht nur im banalen Alltag äußern.

Künstliche Intelligenz, mehr davon

Bis zum Überdruss?

Jede Zeitung, jede Illustrierte weiß irgendetwas darüber zu berichten und hat irgendwelche Experten an der Hand. Und ausgerechnet ich, der ich voller Skepsis war und bin, will mich nun auch noch einmal vergewissern, dass diese Erfahrung mit der Künstlichkeit auch ihr Gutes hat. Haben wir uns früher nicht auch ernsthaft gestritten, wenn es um neue Techniken des Übens ging, und hat nicht sofort jemand gehöhnt (und sei es ein innere Stimme): Ja ja, ihr vorbildlichen Deutschen, euch geht es immer nur um das rein Menschliche, ihr wollt nur Künstler sein, keine Virtuosen. Wie war das noch mit Hermann Hesse, nachdem Karlheinz Deschners „Kunst, Kitsch und Konvention“ erschienen war? 1962 erst??? Oder schon?? Zur Sache, keine blinde Schwärmerei… Im Lexikon Philosophie von Thomas Vašek von 2017 jedenfalls gab es noch keine KI im Namen der übermenschlichen Erkenntnis, wenn auch lauter gute Artikel zu Geist und Denken.

Lexikon „Philosophie!“ Theiss 2017

Zitat, gefunden beim Kurkurator JMR:

Die „Sorge vor … der Technisierung [des Organischen hat] auch ihre
Begründung … – aber dann richtet sie sich eher auf die Frage, wer über solche neue Macht der Menschen verfügen wird und wie sie auf das Wohl des Menschen eingegrenzt werden kann, als auf die andere Frage, ob ein vermeintliches Recht der Natur auf Enthaltung des Menschen von letzten Eingriffen dadurch verletzt würde.“ / The „concern about … the
mechanisation [of the organic] also has its justification … – however, it is directed more towards the question of who will have such new human power at their disposal and how it can be limited to the good of mankind, rather than the other question of whether a supposed right of nature to abstain from final interventions would thereby be violated.“

Hans Blumenberg (1966)

04/2024 www.kurkurator.de/futuristic-footers-2024

siehe human hier

Und wie kam ich kürzlich auf diese neue Zeitschrift,- es war ein Hinweis in Facebook (Meta), vertrauenswürdig, mit respektablen Namen verbunden (Thomas Vašek ! , Daniel Martin Feige). Das wird keine kritiklose Beschreibung einer von menschlichen Schwächen befreiten Zukunft sein. Und nach einer unnötig langen Recherche im Internet fand ich das Heft (vorrätig) im  nahen Buch- und Zeitschriftenladen des Haupt(!)bahnhofs Solingen.

von Daniel Martin Feige

(Fortsetzung folgt)

Neu (1.6.24) Florian Harms (t-online) hier zitiert zum Vormerken:

Während wir auf die aktuellen Nachrichten starren, vollzieht sich im Hintergrund eine grundstürzende Entwicklung, die alle anderen Technologien in den Schatten stellen kann, mit denen der Mensch es je zu tun gehabt hat: Die Künstliche Intelligenz ist drauf und dran, sich zur Superkraft aufzuplustern. Zur Gottheit des gesamten Universums.

Sie haben sicher schon manches über ChatGPT gehört, und vielleicht nutzen Sie es ja auch. Das wäre gut, denn wer diese Technologie nicht versteht und sie nicht anzuwenden weiß, könnte bald ein großes Problem bekommen. Generative Sprachmodelle werden unseren Lebens- und Arbeitsalltag umkrempeln, so viel dürfte feststehen.

Was sich in der KI-Entwicklung tut, geht aber weit über ChatGPT, Google Gemini, Perplexity und all die anderen Anwendungen hinaus, die gegenwärtig wie heilige Grale bejubelt werden. Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, die ganze Welt zu verändern – zum Guten oder zum Schlechten. Führende KI-Experten haben diese Woche davor gewarnt, die Risiken Künstlicher Intelligenz zu unterschätzen: Sie bewerten deren Gefahren so hoch wie bei einem Atomkrieg.

Kann Künstliche Intelligenz die ganze Menschheit ausrotten? Oder beschwert sie uns ein herrliches Leben ohne Mühen? Diese Frage gehört nicht in einen Science-Fiction-Roman, sie gehört an jeden deutschen Küchentisch und in jedes Wohnzimmer. Um Ihnen einige Denkanstöße für Ihre Gespräche im Familien-, Freundes- und Kollegenkreis zu geben, haben Lisa Fritsch und ich einen der klügsten Köpfe zum Thema eingeladen: Fabian Westerheide zählt zu den führenden Experten für Künstliche Intelligenz und Zukunftstechnologien in Europa. In unserem Gespräch sagt er Sätze, über die man tagelang nachdenken kann. Wenn Sie wissen wollen, was auf Sie und Ihre Lieben zukommt: Schenken Sie uns ein paar Minuten Ihr Ohr. (Interview mit Fabian Westerheide)

„Die KI ist ein Werkzeug. Sie ist ein Ebenbild von uns, sie ist kulturbewahrend, sie verstärkt uns, was Vorurteile angeht, aber auch was Fortschritte in der Gesundheit angeht, in der Kriegsführung sehen wir zum Beispiel: sie nimmt Menschenleben, aber sie nimmt weniger Menschenleben als die Menschen vorher genommen haben. Also das Werkzeug ist ne Verstärkung von uns, die größte Gefahr sind die Menschen, die sie missbrauchen. Für Cyberangriffe, für Desinformation, für Deepfakes, für Wahlkampf, – also die KI ist erstmal unschuldig bis zu dem Zeitpunkt, wo sie durch uns Menschen missbraucht wird.“ [Weiter ab 2:26]

Ist der vorausgeschickte journalistische Text nur alarmierend? Bitte weiterhören, Länge 30’05, jedoch  hoch interessant schon bis 4:40, – man kann nicht aufhören!)

Tiktok

Für und Wider

Zur Einführung:

https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-11-april-2024-102.html hier

ab 52:03 (bis 59:23) d.h. viertletzte Markierung, zu Tiktok spricht Sascha Lobo , kurz und glasklar / zeigt Herstellung von Bildern Deep Fakes „Putin lacht, eine Katze haltend“

„Tiktok“ in Wikipedia hier

Titelzeile dazu: »Es scheint, als hätten sie sein Gesicht gehäutet, noch bevor das Video beginnt«

Um nicht zu vergessen, was in der obigen ZEIT detailliert beschrieben wurde. Über den Autor Clemens J. Setz hier Artikel DIE ZEIT 4. April 2024 Seite 49.

  am Ende ist von gore videos die Rede. Was ist das?

Indirekt darüber: https://www.youtube.com/watch?v=8n4T3hOag2w hier (Dauer 17:50)

Zitat

Ein Klick, der das ganze Leben beeinflussen kann: das gilt bei Gore-Videos, die brutale Bilder und extreme Gewalt zeigen. Zu finden sind sie einfach im Netz auf Plattformen wie Pr0gramm, dem Fight Club des Internets. Auch hier gilt die Regel: Man spricht nicht über Pr0gramm. Und trotzdem schauen sich viele die Schock-Videos an, oft „zum Spaß“ oder aus „Neugierde“. Reporterin Carolin von der Groeben trifft zwei junge Männer, die sich regelmäßig Gore-Videos anschauen. Sie sind auf der Plattform hängen geblieben.

Externes Info:

„pr0gramm“ ist eine Imageboard-Online-Plattform, die seit 2007 Beiträge in Form von Bildern und Videos verzeichnet. Innerhalb der Plattform hat sich eine eigene Community gebildet, die sich über eine eigene Kultur und Sprache auszeichnet. Häufig können nur interne Mitglieder verstehen, worüber gesprochen wird.Quelle: https://praxistipps.chip.de/pr0gramm-was-ist-das-alle-infos-zur-webseite_140954

Was hat diese  , in den letzten Jahrzehnten offensichtlich zunehmende Grausamkeit der ganz „normalen“ Fernseh-Krimis mit dem Tiktok-Sadismuszu tun? Die Phantasie, die an den Tag gelegt wird – bei der Erfindung von Mord-Varianten und Todesarten? und die Bereitschaft, dies alles detailverliebt im Bild zu zeigen? Ist diese Neigung, eine Art Voyeurismus zu bedienen, unter dem Begriff Sadismus zu subsumieren? Die als Fiktion erkennbare Grausamkeit mit der realisierten im Prinzip gleichzusetzen?

ST 6.4.24

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Nochmals – zur Einführung:

Über Kommunikation allgemein und speziell: bei Harald Lesch in „Was die Welt am Laufen hält“ Hier

E-Mail, Facebook, WhatsApp & Co – die digitale Kommunikation hat aus der Erde einen Ort der Gleichzeitigkeit gemacht. Harald Lesch schlägt einen Bogen von den Anfängen der Sprache bis hin zur künstlichen Intelligenz und fragt: Wo stehen wir heute?

Videolänge: 43 min / Datum: 03.03.2024 / Video verfügbar bis 21.02.2034

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Neu!!!! 24.07.24

Tchibas neue CD und mehr

Wie man Klanggestalten erleben kann

In den 80 Jahren gab es im WDR eine Sendereihe, wo man am helllichten Tage Gespräche über Neue Musik hören konnte: unbescholtene Zuhörer befragten auskunftswillige Komponisten. Manches war wohl interessanter als die Stücke selbst, aber ich erinnere mich an einen dieser „Workshops“, in dem ein Stück gespielt (?) wurde, worin der Komponist eindrucksvoll einen gesprochenen Satz behandelte, der in einem Gespräch live vorgekommen war: „Das ist doch keine Musik mehr!“ Er benutzte ihn, zerlegte ihn, re-kom-ponierte seine phonetischen Details, – es war einfach spannend mitzuerleben, wie eine sehr äußerliche Kritik verinnerlicht und konstruktiv entwickelt wurde. Zugleich war es ein leicht ironisches Spiel, das den Zuhörer und wohl auch Fragesteller zum Schmunzeln brachte. Zum Vorschein kam, dass schon in seiner verbalen Distanzierung genug Musik steckte.

Ich habe mir angewöhnt, – vielleicht seit ich Stockhausen, den ich aus der leichtfertig bevorzugten Perspektive des Hochschulorchesters kannte, auf nächtlichen Autofahrten im Radio reden hörte – , mein Urteil zurückzustellen oder vielmehr angemessen anders als vorher zu reagieren. Statt zum Beispiel über fehlende Melodik oder Harmonik zu lamentieren, einfach zu fragen: sind es Klanggestalten, denen ich etwas abgewinnen kann? Etwas „Gestalthaftes“? Oder interessant Gestaltloses? Dergleichen gelingt ja fast immer, wenn ich Klänge des Alltags höre und – zugegeben – schon mit dem Vorsatz, sie als bedeutungsvoll zu betrachten, allen voran: Vogelstimmen (nach dem Vorbilde Messiaens: mit Empathie), ebenso  Babygeschrei (natürlich: mit Empathie), Meeresrauschen, komplexe Maschinengeräusche oder was auch immer. Wieso sollte ich mich über elektronisch erzeugte Klänge aufregen, wenn ich weiß, dass andere Menschen von ihnen fasziniert sind? Es genügt vorauszusetzen, dass sie den von ihnen selbst erzeugten oder vollendeten Klanggestalten Bedeutung beimessen. Ich muss ihnen nicht gleich triumphierend Beethovens letzte Streichquartette entgegenschleudern.

Allerdings scheint es mir sehr hilfreich zu sein, wenn man im Fall Neuer Musik Äußerungen des Komponisten oder der Komponistin kennt, an denen ablesbar oder wahrnehmbar ist, dass er/sie es ernst meint und nicht ein belangloses Spiel treibt. Zum Beispiel hat mich im unten zitierten Text positiv überrascht, dass Martin Tchiba von seiner „Auseinandersetzung mit Popmusik“ spricht. Darauf kommt man beim Zuhören nicht ohne weiteres, zumal Tr. 1 zunächst an Steve Reich denken lässt. Empfehlenswert: auf die eigene Position vor den Lautsprechern zu achten , so dass man auch „wandernde“ Impulse lokalisieren kann.

Web-Seite Martin Tchiba https://www.tchiba.com/923 hier

Zitat:

Von Komposition zu Komposition entstand in dieser Zeit eine eigene Ästhetik, die evident auch von meiner Auseinandersetzung mit Popmusik beeinflusst ist; hier geht es vor allem um ein Klangideal, das von einer gewissen „Glattheit“ geprägt ist, die in einem dialektischen Spannungsverhältnis zu den dezidiert „unperfekten“ – bisweilen auch trashigen – elektronischen Artefakten und Field Recordings steht: Während bei Studioaufnahmen sogenannter E-Musik in der Regel ein „natürliches“, auch räumlich dem Konzerterlebnis nachempfundenes Klangbild präferiert wird, herrscht in der Popmusik unserer Tage meist eine „nahe“, (im nicht negativen Sinne) eher sterile Studio-Klangästhetik vor. Ich finde dieses Pop-Klangideal zumindest für manchen musikalischen Content absolut reizvoll und auch konsequent: Eine „genuin elektronische“ (oder: akusmatische) Musik darf und soll durchaus nach Studio klingen …

Weitere Infos siehe im oben gegebenen Link! Des öfteren auch in diesem Blog: hier, hier, hier, hier und hier.

Ich habe mich frühzeitig – auch dank der Sendungen meines Kollegen Harry Vogt, die er mich moderieren ließ, obwohl ich für eine andere Musik im WDR „zuständig“ war –  mit Komponisten wie Giacinto Scelsi oder Salvatore Sciarrino beschäftigt. Zwar setze ich mich nicht pausenlos mit ihnen auseinander, – es gibt vielzuviel, was mir näherliegt -, aber ich weiche ihnen nicht aus, im Gegenteil. Es genügt die kleinste zusätzliche Anregung. Wieder ist der Auslöser ein Text, der mir seltsamerweise erst neuerdings begegnet, obwohl er einen Doppel-Aspekt behandelt, der mich jederzeit fesselt: dem des Physischen und des Geistigen, so wie es tagtäglich präsent ist, wenn man als Instrumentalist mit den eigenen physiologischen Grenzen ebenso wie mit dem extern darzubietenden geistigen Gehalt  konfrontiert ist.

Stefan Drees
Orientierung an der »Logik des Körpers«
Zu einem zentralen Aspekt von Salvatore Sciarrinos Sei Capricci
per violino (1975/76)

aus: Stefan Drees / Titel s.o.

Zitat Drees a.a.O. Seite 101

Sciarrinos Aussage aus einem Werkkommentar von 1988, die Musik der
Sei Capricci entspringe einer »Logik des Körpers«, weshalb die Stücke »sich
wirkungsvoll jeder abstrakten Kompositionstechnik«, das heißt »jeder Methode, die über den Klang und den Akt seiner Hervorbringung hinausgeht«, widersetzen, lässt sich auf diesen Zusammenhang beziehen: Gemeint ist damit, dass die Musik weniger auf strukturellen Erwägungen basiert, als durch den Einsatz gestischer Momente bestimmt wird, wobei sich jedes einzelne Capriccio anderer Bewegungsformen bedient: Verteilung der Klangfarben, Entwicklung der musikalischen Verläufe und Form der einzelnen Capricci
werden daher von den Beschränkungen und Möglichkeiten des Instruments
und der vom Körper vorgegeben Grenzen, also von der Wechselbeziehung
zwischen dem Ausführenden und seinem Klangerzeuger, diktiert; nimmt man
jedoch die hohen Tempi der Musik ernst, wird deutlich, dass Sciarrino über
diesen Rahmen hinaus zielt, weil er den Interpreten zugleich mit den Grenzen
des körperlichen Bewegungsvermögens konfrontiert und sein Agieren unverkennbar in die Nähe des Scheiterns rückt.

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Körperliche Bewegung sehen

(Fortsetzung folgt)

Leonardos Frauen

Was gehn sie uns an?

Als blutige Laien in der Kunstbetrachtung haben wir immer ein schlechtes Gewissen, wenn wir ein Gemälde oberflächlich nach seiner Lebensähnlichkeit beurteilen; andererseits beginnt man sofort zu spotten, wenn einer dagegenhält mit Bemerkungen zum strukturellen Aufbau des Werkes. Ich erinnere mich, dass zeitweise ein impressionistisches Kalenderbild an der Wand über dem Schreibtisch meines Vaters hing, in das ich mich „verliebte“, während er, der sich gerade Hamanns große dickleibige Kunstgeschichte zugelegt hatte, offenbar einen rein sachlich-ästhetischen Zugang suchte. Die farbenfroh schöne Frau von Renoir oder Monet hatte sogar einen Namen, sie war einmal „real“ (gewesen). Als mein Freund zu Besuch kam, führte ich ihn wie zufällig zum Porträt, beiläufig murmelnd „findichschön“, worauf er knallhart entgegnete: „hat viel Holz vor der Hütten“, und damit war sie schlagartig entweiht. Ja, entweiht. Alerdings hatte ich  schon ein ungutes Gefühl, wenn ich auf dem Cover meiner ersten Concert Hall Schallplatten las: „Hohe Lebensstunden weihet mit Musik“. Auch Musik sollte etwas mit dem wirklichen Leben zu tun haben. Einmal legte ich ein Bild auf das Notenpult und versuchte, auf der Violine die irgendwie geforderten oder unterstellten „überströmenden Gefühle“ zum Ausdruck zu bringen. Da trat überraschend mein Vater ins Zimmer trat und rief „das ist viel zu schnell“, während ich eiligst mit dem Geigencorpus das kompromittierende Bild verdeckte. –

Eines Tages kam meine 5 Jahre ältere Cousine auf der Durchreise mit ihrer Freundin zu uns, beide Kunststudentinnen in Basel, wir schauten gemeinsam den Prachtband „Europäische Meisterbilder“ an, – einige kannte ich allzugut -, mir schwante Unheil, plötzlich hielten sie inne, allerdings nicht dort, wo ich mich auskannte: sondern beim Jesus am Kreuz. Sie bewunderten die „Formauffassung“, die (attraktive?) Freundin legte den Finger auf die Reihe fein ausgearbeiteter Bauchfalten, oberhalb des Lendentuches. Mir stockte der Atem, und sie sagte: „wie fein ausgearbeitet!“ Gott sei Dank, beide waren vom Fach und bemerkten nicht die Röte in meinem Gesicht.

So etwa begann meine Pubertät, von der ich wenig wusste. Meine Mutter bemerkte nur verdächtig oft: „Die Flegeljahre bleiben bei ihm aus!“ Hat mich die Klassik gezügelt? Eine unendlich lange Zeit verging, ehe ich die Mentaltät der 50er Jahre in all ihrer Verklemmtheit durchschaute, die 6oer Jahre, die ich als Befreiung erfuhr, auch kunstästhetisch umsetzte. Erste Erleuchtungen (nach André Malraux‘ „Das Imaginäre Museum“ 1963): das Bändchen vom „Sehen der Welt in der Bilderwelt“ von John Berger (1974).

Derlei Dinge gingen mir durch den Kopf, als ich heute einer Anregung von Wilfried Schaus-Sahm folgte und mich mit der folgenden Betrachtung von Kia Vahland beschäftigte.

https://www.stadtmuseum-duisburg.de/leonardo-da-vinci-und-die-frauen/ hier

https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2019/09/die-malerei-leonardo-da-vincis-ist-weiblich hier

https://de.wikipedia.org/wiki/Anbetung_der_K%C3%B6nige_aus_dem_Morgenland_(Leonardo_da_Vinci) hier

https://de.wikipedia.org/wiki/Bildnis_der_Ginevra_de%E2%80%99_Benci hier

https://de.wikipedia.org/wiki/Cecilia_Gallerani hier

https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Verk%C3%BCndigung_(Leonardo_da_Vinci) hier

Zitat Vahland: vom Kuss

3:44 „Leonardo da Vinci hat ganz außergewöhnliche Frauen gefunden, die einen heute noch überraschen. Er malt erstmal natürlich viele Marien, da wissen wir nicht, wer die Modelle sind. Dann aber malt er noch als junger Mann Ginevra de‘ Benci (…). Er möchte, dass sich die Leute in seine Bilder verlieben. Er erzählt eine Geschichte, wie die Leute Bilder mit weiblichen Heiligen zurückbringen in die Werkstatt und ihn bitten, die Heilgenscheine zu übermalen, damit sie die Bilder besser küssen können. Und das ist ganz genau in Leonardos Sinn. Das heißt, er nutzt die Stärke der Frauen, er nutzt die Verführungskraft der Frauen, um seine Kunst, um die Malerei zu stärken. Die Malerei ist so verführerisch wie die Frauen, die er malt. Und stark, so unabhängig und so klug wie diese. Dafür müssen es natürlich selbständige Objekte sein und keine Objekte, über die man einfach verfügt. Und die Frauen auf den Bildern liefern sich den Betrachtern nie aus. Das sind immer ganz, ganz eigenständige Wesen. Denn sie stehen für Leonardo auch für die Malerei an sich. Schon seit der Antike ist das Bild einer schönen Frau auch das große Meisterwerk eines Malers, an dem er seine Kunst zeigt, und so ist es eben auch bei Leonardo da Vinci. Denen gehört seine Sympathie, auf die lässt er sich ein, mit denen tritt er in einen Dialog.“ 5:11

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(Abstrakte) Kunst in der Realität, was nicht unbedingt bedeutet: die neue Irrealität dank Caspar David Friedrich. Jedoch auch Düsseldorf (20 Minuten entfernt, nächste Woche):

https://www.kunstpalast.de/de/event/tony-cragg/#Ausstellung hier

Video mit Cragg – siehe bei 6:40 von Menschen, – „die streicheln meine Arbeit„.

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13.04.24 Noch etwas ganz Neues aus dem Kunstpalast in Düsseldorf: ! Blumen ! HIER .

16.04.24 Ich war dort, im Kunstpalast Düsseldorf Ausstellung Tony Cragg, hier „Die Welle“:

Bach bei Blumenberg nachgelesen

Matthäuspassion

Noch einmal: Timor Dei

Die Zeit vergeht. Es ist jetzt nur eine Ostererinnerung, die ich hatte dokumentieren wollen, und dann ist nur der Ansatz stehengeblieben,bzw der Vorsatz, einige Leseerlebnisse festzuhalten. Vor allem, wieviel Text bei Blumenberg den theologischen, exegetischen Implikationen gewidmet ist und einen gewahr werden lassen, wie sehr Bachs Musik über Anflüge des Zweifels und jede grundsätzlichere Infragestellung seiner Quelle hinweggetragen hat.

Achtung: der folgende Abschnitt beruht teilweise auf Erinnerungfehlern (geschrieben ohne vergleichende Rücksprache mit den Notentexten der Original-Passionen. Ich korrigiere nicht, weil die Irrtümer und deren Aufklärung eine interessante Aufgabe ergeben.

Es wird vielen so gehen, dass sie – wie der Evangelist Julian Prégardien hier von sich berichtet – zutiefst erschüttert werden durch die „Erbarme-dich“-Arie, vorbereitet schon durch das extensive Melisma „…und weinete bitterlich“. Man ist bereit, sich mit dem Schicksal des Petrus zu identifizieren -, und bemerkt doch kaum, dass diese Hauptfigur für den Rest der Geschichte keine Rolle mehr spielt. Man hat begriffen, was Sünde ist. In diesem Sinn wird er im Anfangschoral der zweiten Teil nochmal genannt. Im folgenden tritt Judas an seine Stelle und erlaubt – so scheint es – eine eindeutige Parteinahme. Das hat enormes dramatisches Potential vom Judaskuss bis zum Suizid und dem Nachklang der Silberlinge, aber so, dass man sich auch viel leichter von ihm trennt. Und doch wirkt diese Figur nach und lässt, anders als Petrus, bei näherer Untersuchung keine Ruhe. Petrus ist schwach, aber ob Judas böse ist (oder nur sein muss), das wissen wir nicht.

Ich erinnere mich, dass mich schon in meiner Jugend ein Fischer-Taschenbuch, das ich im April 1956 zu lesen begann, begeistert hat; es machte mir erstmals ein Denken in Ambivalenzen plausibel: es begann mit „Caesar und Brutus“ und behandelte im Anhang „Jesus und Judas“. Von einer  „Judastragödie“ ist die Rede. Quelle: Rudolf Goldschmit-Jentner: „Die Begegnung mit dem Genius“. (Heute sucht man in der allzu kurzen Wikipedia-Biographie vielleicht vergeblich Aufschluss über den Zeitraum 1933 -1945, für mich ist daher ein bestimmtes Detail der Vita an anderer Stelle wichtig: hier Mai 1943.)

Blumenbergs Buch „Matthäuspassion“ in der Besprechung von Christoph Türcke (ZEIT 19.5.89)

ZEIT 19.5.1989

https://www.zeit.de/1989/21/philosophie-im-plauderton HIER

(Fortsetzung folgt)