Archiv der Kategorie: Politik

Nachlese zum „Universalismus“

Bezogen auf den Versuch hier (und vielleicht hier)

Dank einer Anregung durch Daniel Martin Feige auf Facebook komme ich auf diesen lesenwerten Essay:

Der Universalismus der Aufklärung trotz postkolonialer Abgesänge von Arnd Pollmann

(…) Auf Seiten vieler politisch „links“ stehender Menschen herrscht seit den schockierenden Massakern vom 7. Oktober nicht bloß unschlüssiges oder betretenes Schweigen. Spätestens seit der letzten Documenta drängt sich der ungute und in diesen Tage dann auch heftig diskutierte Verdacht auf, nicht wenige Befürworter:innen postkolonialer Herrschaftskritik könnten ein allzu sympathetisches Verhältnis zu israelkritischen oder sogar direkt antisemitischen Organisationen hegen. Und bisweilen ist gar so etwas wie ein postkoloniales Liebäugeln mit dem palästinensischen Terror zu vernehmen. Zugleich richtet sich Sarasins Kritik ( siehe hier JR) gegen einen israelisch-deutschen Kantianer, der selbst nicht recht in die üblichen Schubladen passt. Als „Universalist“ ist Boehm (siehe hier JR) nicht nur ein erklärter Gegner postkolonialer Relativierungen. Eben dieser Universalismus führt ihn auch zu einer vehementen Kritik der israelischen Besatzung; was ihn in der Öffentlichkeit beinahe allseitig zur Zielscheibe macht.

Die Würde aller Menschen

In Boehms zuvor erschienen Buch Israel – eine Utopie (2020) hat dieser sich sowohl gegen die sogenannte Zwei-Staaten-Lösung als auch gegen die Idee eines jüdischen Einheitsstaates gewendet und stattdessen für die Utopie einer „Republik Haifa“ argumentiert; für eine föderale, binationale Demokratie, die insofern auf der Idee „universeller Menschenwürde“ fußen würde, als dort die prinzipielle Gleichberechtigung aller Menschen – in diesem Fall: Juden wir (wie) Araber – garantiert wäre. Ein solcher Staat käme laut Boehm allerdings erst dann in Sicht, wenn die jüdische Besatzung als Besatzung ein Ende hätte: „Wo der Begriff des Rechts von der Würde und Gleichheit aller Menschen abgeschnitten wurde, ist sein Anspruch auf Autorität von innen heraus zersetzt“.

(weiterlesen hier)

Exkurse zu den Universalien: s.a. hier und z.B. in der Ethnologie bei Kohl und Antweiler

Quelle: Christoph Antweiler: Mensch und Weltkultur / Für einen realistischen Kosmopolitismus im Zeitalter der Globalisierung / [transkript] Bielefeld 2011

Nachschrift nach dem 17. November

Jetzt bezogen auf den Artikel von Omri Boehm in der Süddeutschen Zeitung, Thema: ein wirklich universalistischer Humanismus, allerdings mit Gedankengängen, die Widerspruch herausfordern können. Sollen wir wirklich einem bedeutsamen Antagonismus der „Weimarer Zeit“ nachgehen, der sich in Gestalt einer jüdischen Bibelübersetzung und dem Nachwirken Nietzsches mit dem Lobpreis des griechischen Polytheismus manifestiere? Ich denke, weder das eine noch das andere war zu jener Zeit von Bedeutung, – so wenig wie heute die sehr menschliche des von Omri Boehm herausgehobenen Navid Kermani, der eine israelische Freundin zitiert. Einzelne Thesen in einem gewaltigen Stimmengewirr…

 

Mich überrascht das Narrativ, die Propheten könnten eine beschwichtigende Rolle innerhalb des Monotheismus spielen, für dessen Beurteilung in unserer Zeit wohl eher Jan Assmann paradigmatisch geworden ist. Für die Sicht der Propheten aber würde ich weniger deren Stellungnahme für die „Bewährten“ in Sodom und Gomorra sehen, als den Ablauf des Isaak-Opfers mit der Willkürentscheidung zugunsten des unschuldigen Opfers. Wo bleibt die Gerechtigkeit als universales Prinzip?

(Fortsetzung folgt)

Neue Ratlosigkeit

Wöchentliche Orientierung, ein Irrweg?

Begleitet von der imaginierten Kritik derer, die sich auf schnelle Intuitionen verlassen, lese ich an jedem Donnerstagmorgen die ZEIT, von vorne natürlich – also zuerst die Titelseite, dann die Rückseite dieses Teils, die Inhaltsangabe Seite 14, gehe von dort meist zuerst ins Feuilleton, dann in Wissen. Ich will heute protokollieren, was für mich lebenswichtig (?) war, – weshalb ich die möglichen antibürgerlichen Kritiker ignoriere, ohne sie zwischen den Zeilen zu übersehen. Sie schauen durchs Gitterwerk. (Könnte etwa eine Täuschungsmaschinerie am Werk sein?) Ich notiere allerdings die Zeilen, die ich markiert habe. Nicht meine Gedanken, die ich vielleicht bei Gesprächen ins Offene schicke. Manche stammen von Adorno (nach seiner Rückkehr in den 50er Jahren). Aber am späten Vormittag will ich im Garten tätig gewesen sein, zumal ich Jan Schweitzer gelesen habe, Seite 41 mit „Dreieinhalb Minuten Schwitzen“.

Die Terroristen hatten es auf Juden abgesehen, aber auch auf das, wofür Juden in ihren Augen stehen: die westliche, liberale Welt, in der es möglich ist, dass junge Menschen auf einem Trance-Festival unter dem Motto »Freunde, Liebe und unendliche Freiheit« halb nackt in der Wüste tanzen. Es ging nicht nur um den Freiheitskampf der Palästinenser. Die Hamas will einen Staat nach islamischen Regeln errichten. Ihre Mitglieder würden die säkularen arabischstämmigen Jugendlichen auf der Berliner Sonnenallee verachten, die vor wenigen Tagen gemeinsam mit der antiimperialistischen Szene »Free, free Palestine« riefen.

QUELLE Sascha Chaimowicz: Dieses Schweigen / Seite 1

Dieser Sieg der Opposition ist weit über Polen hinaus bedeutsam. Das Bündnis unter Führung des ehemaligen Premiers und EU-Ratspräsidenten Donald Tusk hat bewiesen, dass der Vormarsch des Rechtspopulismus kein unabwendbares Schicksal ist – nicht einmal unter extrem schwierigen und unfairen Bedingungen.

QUELLE Jörg Lau: Willkommen zurück / Seite 1

Zu Isoldes Liebestod, am Ende der Oper, standen sie an der Rampe, und hinter ihnen ging ein goldenes Quadrat auf, leuchtete heller und heller – wie das Tor zu einer anderen Welt. Diese Idee des Bühnenbildners Erich Wonder hat mich zusammen mit Wagners Musik schwer ergriffen. (Lemke-Matwey)

… und es musste etwas passieren zwischen diesen beiden Menschen, die von ihrer Leidenschaft noch gar nichts wissen. Auf so engem Raum! Und es passierte! Mit aller Entschiedenheit. Die Wonder-Räume duldeten keine Verlegenheit, keine Schleichgänge. Nein! Jede Aktion musste groß sein, jede Aktion musste etwas bedeuten! (Waltraud Meier)

QUELLE »Der Mensch hat so viel zu sagen!« Doch jetzt ist Schluss, die Sängerin Waltraud Meier gibt ihren Abschied. Ein Gespräch über das Leben im Rampenlicht / Seite 54

Viele wollen nicht verstehen, dass wir den Mord an 1400 Israelis nicht dulden können. Ich frage die Deutschen: Würden sie so etwas hinnehmen? Gemessen an der Bevölkerungszahl wären das 10.000 ermordete und 1000 entführte Deutsche. Mich stört die Doppelmoral: Unsere Kritiker setzen Israel und Palästina gleich, fragen nicht, wer den Krieg begonnen hat. Wir kämpfen aber nicht gegen Palästinenser, sondern gegen die Hamas und den Islamischen Dschihad. Wir kämpfen nicht gegen die Iraner, sondern gegen das Mullah-Regime. Nicht gegen den Libanon, sondern gegen die Hisbollah. Am meisten ärgert mich die Forderung nach »verhältnismäßiger« Gegenwehr. (Wieso?) Was wäre denn verhältnismäßig? Sollen wir es machen wie die Hamas? Sollen wir ein Musikfestival im Gazastreifen stürmen, Frauen vergewaltigen und Kinder enthaupten? Vielleicht am Ramadan? Ohne Vorwarnung?

QUELLE »Sie lachen, während sie uns töten« Arye Sharuz Shalicar ist Sprecher der israelischen Armee. Hier berichtet er über die Gräueltaten der Hamas, warum ihm die Bilder nicht aus dem Kopf gehen – und wie es ist, sich für die militärische Gegenwehr rechtfertigen zu müssen / Seite 62

Analyse eine neuen Welt in Aufruhr, mit Hilfe der alten Theoretiker

(Thukydides, Machiavelli, Clausewitz, Herfried Münkler)

Auf die Frage – nachdem es Hoffnung gab, den nahöstlichen Raum weiter zu befrieden – woher dieses Interesse kommt an CHAOS und UNORDNUNG…

Einige haben die Annäherung zwischen Israel, Saudi-Arabien sowie den Golfstaaten in Gestalt der sogenannten Abraham-Abkommen als Befriedung des Raumes angesehen und dabei den Iran und die Palästinenser außer Acht gelassen. Die aber wären die Verlierer der Befriedung des Raumes gewesen; also haben sie nach Möglichkeiten gesucht, diese Entwicklung zu stören, zu zerstören und dabei sind sie wohl erfolgreich gewesen. Dass auch der russische Präsident Putin ein Interesse an der Eröffnung eines zweiten »Kriegsschauplatzes« hat, weil der den Westen zusätzlich in Anspruch nimmt, spielt sicherlich auch eine Rolle. Politische Akteure, die mit den bestehenden Verhältnissen unzufrieden sind, profitieren von Chaos und Unordnung – also befeuern sie diese.

Zur Prognose, dass es künftig fünf Machtzentren geben werde…

Die Kandidaten auf der demokratischen Bank werden die USA und die EU sein, auf der autoritären Bank Russland und China – und Indien als »Zünglein an der Waage«. Warum fünf? Sie müssen Ordnungsaufgaben übernehmen, die für sie nicht bequem sind und Anstrengung bedeuten – etwa dafür zu sorgen, dass eine Organisation wie Hamas nicht ganze Regionen in Brand setzen kann. Dafür bekommen sie etwas zurück: Einfluss. Die fünf wollen unter sich bleiben und keine anderen dabei haben, mit denen sie Macht teilen müssen. Historisch haben solche Fünferkonstellationen eine gewisse Stabilität, in der Regel zwei gegen zwei, und einer ist das Zünglein an der Waage. (…)

Die Kategorien, mit denen Sie die Lage bedenken, sind die ganz alten: Macht, Polarität, Einflusszone (…).

Vermutlich besitzen Kategorien, die sich über Jahrhunderte bewährt haben, eine höhere Erklärungskraft, auch angesichts einer sich schnell wandelnden Welt, als Theorien, die in gerade stattfindende Entwicklungen hineingeschrieben werden, von denen man aber annehmen kann, dass sie nur intellektuelle Widerspiegelungen einer augenblicklichen Lage sind. Es kommt nicht von ungefähr, dass ich mit Thukydides oder Machiavelli Theoretiker nehme, die als Politiker gescheitert sind und die unter dem Gesichtspunkt ihres Scheiterns schrieben. Sie treten nicht mit dem Gestus der Selbstverliebtheit in ihre eigenen Ideen auf, wie so mancher, der zuletzt hoch im Kurs stand und angesichts der jüngsten Entwicklungen – Russland, Türkei, Hamas – jetzt vor einem Scherbenhaufen steht. (…)

Man hat den Raum vom Westbalkan bis zum Kaspischen Meer, von der ukrainischen Nordgrenze bis über die türkische Südgrenze hinaus bis nach Israel nicht als einen postimperialen Raum betrachtet, sondern gedacht, man könne ihn gut in Ordnung halten. Aber postimperiale Räume bringen revisionistische Akteure hervor. (…)

Ich schätze die Klassiker einer Theorie, die stark mit geschichtlichen Erfahrungen argumentiert – bei Thukydides, vor allen Dingen bei Machiavelli, aber auch bei Clausewitz, der sich mit den Hoffnungen der Aufklärung über das Verschwinden der Kriege auseinandersetzt. Bei diesen Autoren spüre ich eine Weigerung, sich täuschen zu lassen durch Wunschdenken. Denn indem man sich der Geschichte vergewissert, tritt sie als tatsächliches Geschehen an die Stelle des Gewünschten. Ich sage nicht, alles wiederhole sich eins zu eins, aber Grundkonstellationen sind bereits in der Vergangenheit immer wieder aufgetreten und werden das wohl auch in Zukunft tun. Ansonsten müsste man plausibel nachweisen, warum sich das, was sich in zweieinhalbtausend Jahren wiederholt hat, nicht mehr wiederholen wird. Für diese Erwartung gibt es keinen Grund. Mit Schopenhauer kann man sie als »ruchlosen Optimismus« bezeichnen.

Quelle: alle wörtlichen Zitate stammen aus einem Gespräch mit dem Historiker Herfried Münkler, DIE ZEIT 12. Oktober 2023 Seite 58 »Der Worst Case war nicht vorgesehen« / Gespräch Thomas E. Schmidt mit dem Politologen H.M. über Israel, Russland und das Chaos in der Welt. Wie es zwischen den großen Mächtigen ohne Kriege weitergehen könnte, beschreibt er in seinem Buch »Welt in Aufruhr«.

Eine philosophische Antwort auf die Situation in Palästina / Israel:

HIER

Für die Philosophin Susan Neiman steht fest, dass das Festhalten an der Würde aller Menschen die einzig richtige Antwort auf die Situation in Israel ist. Das bedeute, das Leid aller ernst zu nehmen. Zugleich dürfe erfahrenes Leid nicht zur Richtschnur eines politischen Handelns werden, das von Rachewünschen getrieben ist.

Was heute wichtig wäre (nebenbei-Notizen)

Alles zusammendenken wollen (oder müssen)

nach der ZEIT-Lektüre Frankreich (die Banlieues) und (Ost-)Deutschland (die AfD) plus Ungarn

Thema Ressentiment (plus Resilienz)

dazu Lanz heute Nacht: HIER

Umweltpolitik (EU von der Leyen gegen Manfred Weber) =“Recht auf Gülle“ (Petra Pinzler)

Titelseite: „All die Besserwisser“ (zu Frankreich) / „Recht auf Gülle“ (Bauernland oder wilde Natur)

„Auseinander!“ (Anna Mayr) „…verdammt kompliziert, gute Lebensbedingungen für alle zu schaffen“ – „Ob ein Rentner in Deutschland seine Wärmepumpe nicht aus der Portokasse bezahlen kann oder ob eine Familie in der Sahelzone nicht verdurstet – alles ist erstmal eine soziale Frage! Ein Problem der sogenannten anderen.“

„Bald auch bei uns?“ (Matthias Krupa) bzg. Frankreich / bei uns „liegt kein historischer Konflikt zugrunde, keine Erinnerung an koloniales Unrecht“.

„Einer gegen alles“ (Samiha Shafy) Ungarn sabotiert die Europäische Union, stärkt Putin

»Wenn der Polizist die Waffe hält, ist es unser kollektives Unbewusstes, das den Finger am Abzug hat« (Mahir Guven)

„Kann dieser Mann helfen?“ Moritz von Uslar (über Carsten Schneider, Ostbeauftragter)

dazu Lanz-Sendung 5.7.23 die Stimmung im Osten

„Nicht immer nur im Kreis laufen!“ (Katharina Teutsch über Cynthia Fleury und Ressentiment)

Nicht relevant: Musik „die schönste Stimme der Gegenwart“ (Jens Balzer) Anohni „My Back was a Bridge for You to Crow“ oder dies (muss man das kennen?):

…am Leben zu sein in einer Welt, die zum Sterben verurteilt ist…  (auf jeden Fall mit soft music)

Ende 10:56 Uhr

„Die Reue des Prometheus“

Habeck und Sloterdijk im Gespräch (WDR 5)

in WDR 5 anklickbar HIER

Pressetext

Bei der Philcologne 2023 treffen Meisterdenker Peter Sloterdijk und Robert Habeck, Minister für Wirtschaft und Klimaschutz und studierter Philosoph, aufeinander. Beide sprechen über unseren Umgang mit fossilen Ressourcen. Ein Thema, dem Sloterdijk sein neues Buch gewidmet hat: „Die Reue des Prometheus. Von der Gabe des Feuers zur globalen Brandstiftung“. Denn als Prometheus dem Mythos zufolge einst den Menschen das Feuer brachte, änderte sich alles. Seitdem können wir Menschen Nahrung garen, Werkzeuge härten und in großem Stil fossile Brennstoffe verheizen.

Bisher als Heilsbringer verehrt, ist sich Sloterdijk heute nicht mehr so sicher, ob Prometheus den Menschen damit einen Gefallen getan hat. Robert Habeck setzt sich seit langem mit den Problemen der fossilen Energieträger auseinander und versucht, politische Lösungen zu finden. Im Gespräch mit Moderator Armen Avanessian suchen sie nach konstruktiven Ideen und fragen sich, ob Prometheus sein Geschenk heute wohl bereuen würde.

Redaktion: Tobias Habig

Ab 00:51:50 über Weltkulturerbe 00:52:52 Sloterdijk hinführend zu „Weltbodenschatzerbe“, pathogene Kurzschlüsse zu Territorien / Habeck: Klimaschutzabkommen Ausstieg aus Öl oder Gas „Enteignung steht im Raum“ Slot.s Stichwort „Räderwerk“ Drogencharakter der Waren

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Sloterdijks Website HIER

Maja Göpel Wiki hier

Es ist dem Andenken Bruno Latours gewidmet.

Des weiteren: Sloterdijks Buch, vorgelesen auf CD hier

Fußball Katar Korruption

Is was im Fernsehen?

Ich will diese Filme nur in Erinnerung behalten und als erneuerbare Motivation aufrufen können: Katar und was immer dort gespielt wird, wird keine ernstzunehmende Rolle spielen. Ich will die Torszenen nicht sehen, und nirgendwo „teilnehmender Beobachter“ sein. Aber was ist mit der FIFA insgesamt?

Geheimsache Katar

von Julia Friedrichs und Jochen Breyer

Eine Weltmeisterschaft in der Wüste. Im Winter. Aller Kritik zum Trotz: Sportjournalist Jochen Breyer und Autorin Julia Friedrichs gehen der Frage nach, wie Katar dieser Coup gelingen konnte. 43 min Datum: 17.11.2022 Video verfügbar bis 14.11.2027

https://www.zdf.de/dokumentation/zdfzeit/zdfzeit-geheimsache-katar-100.html

HIER

FIFA – Das Monster

«Le monstre», das Monster – so nennt der langjährige FIFA-Präsident Sepp Blatter den Weltfussballverband. SRF DOK hat anlässlich der WM-Katar 2022 die Geschichte der FIFA aufgearbeitet.

Der Film zeigt auch, wie die Schweizer Justiz, allen voran der damalige Bundesanwalt Michael Lauber, bei der Aufarbeitung der Korruptionsvorwürfe stolperte. Schritt für Schritt werden die umstrittenen Geheimtreffen des Bundesanwalts mit dem jetzigen FIFA-Präsidenten Gianni Infantino aufgearbeitet. Auch jenes Treffen, an das sich angeblich kein Teilnehmer mehr erinnern kann. Das Bundesverwaltungsgericht urteilte, «dass sich keiner der vier Teilnehmer mehr an das Treffen erinnern können soll, erscheint wenig glaubhaft. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist es schlicht abwegig, dass alle vier Personen (…) an ein bestimmtes Treffen keinerlei Erinnerung mehr haben sollen.»

Nach diesem vernichtenden Urteil räumte Bundesanwalt Lauber bekanntlich seinen Posten. Die Hintergründe der Treffen sind bis heute unbekannt und immer noch Gegenstand von Ermittlungen.

HIER bis 16.12.22

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Was mich noch besonders interessierte: die Kamelrennen, – ist es wahr, dass die kleinen Roboter (früher saßen an ihrer Stelle Kinder!) mit Peitschen ausgestattet sind? Ich wähle einen Film, der nicht kurzfristig auf die Zeit der Fußball-WM zugeschnitten ist. Dies nur nebenbei.

HIER (ARD Weltspiegel 14.04.2013) Emirate: Roboter – die neuen Jockeys bei Kamelrennen

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ZITAT (Béla Réthi, t-online Interview 16.11.22)

Diese WM dürfte nicht in Katar stattfinden. Die schlechteste Bewerbung, die schlechtesten Voraussetzungen, den europäischen Kalender auf den Kopf gestellt. Dazu kaum Unterkünfte für die Fans. Alle Kriterien, die für die Fifa hätten gelten sollen, wurden ad absurdum geführt.

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P.S. DIE ZEIT 17.11.22 Thema Fußball und Katar

Was entgegnet der Philosoph, wenn man von den Hintergründen lieber schweigt und sagt, die Kritik aus Europa an der Lage in Katar sei arrogant und rassistisch?

Peter Sloterdijk:

Solche Aussagen tragen dazu bei, den Ausdruck »Rassismus«, der noch immer eine kritische Ladung beinhaltet, zu inflationieren. Das Wort wird immer weniger wert, wenn es zu häufig in falschen Zusammenhängen gebraucht wird.

Und wenn gesagt wird: Wir müssen euch unsere Traditionen nicht erklären …. ihr müsst sie respektieren – so ist noch eine andere Ebene zu berücksichtigen:

Die Menschen dort wissen ja, dass sie von sich aus fast nichts produzieren können. Alles, was mit Arbeit zu tun hat, wird importiert. Man könnte meinen, Arbeit sei eine unarabische Idee. Nur zehn Prozent der Bevölkerung sind einheimische Staatsangehörige, alles andere sind Ausländer, Expats und Arbeiter, die nicht eingebürgert werden. Sie kommen nicht über den Besucherstatus hinaus. Die einfachen Arbeiter haben oft keine Pässe, können auch nicht ohne Weiteres das Land verlassen, können keine Gewerkschaften bilden. Wenn eine Arbeiterschaft selbstbewusst aufträte, wäre es mit der herkömmlichen Herrlichkeit vorbei.

Quelle DIE ZEIT, 17.11.2022 »Sie holen sich unsere Unterhaltungsdrogen« Der Philosoph Peter Sloterdijk über die Gier der Katarer nach Fußball, die Kunst der stilvollen Niederlage und die hilflose Herrlichkeit des Torwart-Egos / Seite 32 / Nur die farblich gekennzeichneten Blöcke sind wörtliche Zitate.

Zugleich gab es die interessanten Filme von Golineh Atai über „Arabiens Traum von der Zukunft“ hier und hier (abrufbar bis 2024). Gut auch das Gespräch zu kennen bei Lanz: HIER (darin unbedingt auch Chelsea Manning, zugleich den aktuellen ZEIT-Beitrag zur Person). Besonders ab 40:33 (über den Berater des saudischen Prinzen Salman).

Interessant, aber zugleich auch abstoßend. Von dort also schaut man hochmütig auf „das alte Europa“?!

Ich bin ein Freund der arabischen Welt. Um das zu begründen, würde ich von der Musik ausgehen, – die aber in der saudi-arabischen Welt offenbar überhaupt keine Rolle spielt (?). Würde ausgehen von einem Suk in Marrakech, Fez, Tunis, Algier, also eher peripher gelegen. Wo ist die Kunst, die Melancholie, der Tanz, die Lebensfreude? Was aber bleibt? Das computergestützte Kamelrennen in der Wüste? Mein Gefühl, so fehlbar es ist, sagt mir, dass diese ganze Kunstwelt in der Wüste untergehen wird, wie ein Treibhaus, dem das Wasser abgeschaltet wird. Eine Welt ohne Kunst (man schweige mir von den Lichtblicken der Graffiti).

Infantino mit seiner allumfassenden, verlogenen  Rede zur WM ist ein hervorragendes Symbol für die westliche Amalgamierung gerade dieser Welt. (Kostprobe: hier).

Neueste Meldung:

Senegals Spieler Idrissa Gueye wird für den weiteren Turnierverlauf auf seinen Nachnamen verzichten müssen: Die Fifa sieht vor allem phonetisch eine zu große Nähe zum englischen Begriff „gay“ und will möglichen Missverständnissen aufseiten der katarischen Sicherheitskräfte vorbeugen. Senegals Ausstatter sei bereits darüber informiert worden, dem Mittelfeldspieler neue Trikots mit seinem Vor- statt Nachnamen auf dem Rücken ausstellen zu müssen.

(t-online)

Was ist mit Homosexualität?

Siehe im oben verlinkten Film Geheimsache Katar ab 24:10

Jochen Breyer: „In Deutschland und vielen anderen Ländern gibt es viel Kritik an der WM in Katar. Denn es gibt hier keine Meinungsfreiheit, Frauen sind nicht frei, Homosexuelle sind nicht frei. Was sagen Sie zu dieser Kritik?“

Khaled Salman (Katarischer WM-Botschafter) : „Während der WM werden viele Dinge hier ins Land kommen, lass uns zum Beispiel über Schwule reden. Das Wichtigste ist doch: Jeder wird akzeptieren, dass sie hierherkommen, aber sie werden unsere Regeln akzeptieren müssen.“

„Aber im Gesetz ist Homosexualität verboten! Also ist es verboten für sie, hier zu existieren.“

[In diesem Moment wird von außen in das Gespräch eingegriffen] Er sagt, es sei ein Problem, wenn Kinder Schwule sehen würden. Jochen Breyer: „Was ist ein Problem, wenn ein Kind einen Homosexuellen sieht?“

„Wenn Kinder Schwule sehen, lernen sie, dass das nicht gut ist.“ – „Nein, man ist schwul oder nicht, man kann es nicht lernen!“ – „Ein Beispiel: Wenn ich in meinem Haus hier Wasser hinstelle, und hier Whisky, wenn dann aber mein Kind fragt: Vater, warum darf  ich den Whisky nicht trinken? dann sage ich: Whisky ist haram. Weißt du, was haram ist?“ – „Ja, eine Sünde.“ – „Sie finden, Schwulsein ist haram?“ – „Ja, es ist haram! Ich bin kein strenger Muslim, aber warum ist es haram? Es ist ein geistiger Schaden.“ – [Unterbrechung von außen] 26:08

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Nun ist Khaled Salman in Katar, auch wenn er den „WM-Botschafter“ gibt, nichts anderes als ein ehemaliger Fußballspieler, – keine geistliche oder gar geistige islamische Autorität.

Hier ist der Ort, an ein Buch zu erinnern, das erschütternd bewusst macht, was es in der (offiziellen) muslimischen Welt bedeutet, schwul zu sein:

Kubri-Verlag hier

Zwei Seiten daraus zum Thema „Krankheit“:

Es gibt heute viele Gelegenheiten, sich seriös kundig zu machen. Zum Beispiel hier oder hier. Dies nur als weitere Anregung…  – auch zu berücksichtigen, dass der Schutz von Minderjährigen – anders als in früheren Jahrhunderten – heute mit Recht die entscheidende Rolle spielt.

Da kommt ein netter Artikel der Völkerverständigung, und ich fühle mich in allen Vorurteilen bestätigt. Man lese die ZEIT und folge der Autorin wohlwollend. Dieses „Klein-Stätchen“ ist einfach zu reich, um auch noch klares Denken hervorzuzaubern.

leider hinter Bezahlschranke

Die Poesie ist wichtig am Golf. Al-Hadschri sagt, es habe sie sehr gefreut, dass auch bei der WM-Eröffnung Verse gesungen worden seien. [Oh, auf die Schönheit der Wüste, auf die gewaltige Sonne, die Blumen, die über Nacht sprießen?] Allerdings lobten diese nicht das Heimatland, sondern den Emir, das widerstrebte ihr. »Gibt es Krieg, kann der gehen, wir bleiben zurück.«

Der Emir hat eine Art Parlament zugelassen, das über die Vergabe öffentlicher Gelder mitberät. Nur bedient sich die Herrscherfamilie selbst aus den Öl- und Gaseinnahmen, bevor die überhaupt in die Staatskasse eingehen. Niemand weiß, um wieviel Geld es sich dabei handelt. (….) Wir leben einen Aufstieg, der so schnell passiert, dass wir kaum begreifen, wie uns geschieht. Und wir sehen, dass ihr im Westen einen Niedergang erlebt, so langsam, dass ihr seiner vielleicht noch nicht gewahr seid. (…)

Außenminister Mohammed bin Abdulrahman Al Tham hatte der FAZ schon vor WM-Beginn gesagt, man sei enttäuscht, wie sich Politiker auf Katars Kosten profilierten. Den Ton der Deutschen empfinde man, »ehrlich gesagt«, als »sehr arrogant und sehr rassistisch«.

Hier in der Wüste knirscht jeder Schritt, Katars Boden ist aus grobem Sand voller kleiner Muscheln. Nura al-Hadschri ist an diesem Freitagnachmittag ins Dorf der Familie gefahren, wie die meisten Katarer an Winterwochenenden. »Klar gibt es hier Schwule«, sagt sie, »wie überall, in jedem Stamm. Das zu sagen ist das eine. Etwas zu verändern etwas anderes.«

Quelle: DIE ZEIT 1. Dezember 2022 Seite 14 Fußball und Fremdscham Deutschland streitet über die WM und Katar. Was sagen eigentlich die Menschen dort zu der Aufregung? Von Lea Frehse

18.12.2022 Am Ende hat doch der Fußball gesiegt. Argentinien und Frankreich.

Das meistgebrauchte Worte der Kommentatoren: „Unfassbar!“ Minute 120: „Das ist kaum noch auszuhalten!“ Und dann: „Die grausamste aller Entscheidungen!“

Und zurück in die schöne, kalte Realität.

Zuhaus!

Nein, noch ein letzter Blick zurück, und ein letztes Bild: Messi bei der Siegerehrung mit dem dunklen Umhang der arabischen Halbinsel, den ihm der Scheich über die Schultern geworfen hat, zur Freude Infantinos. Was besagte diese Geste? „Am Ende der Weltmeisterschaft (…) instrumentalisieren wir den weltbesten Fußballer, auf dem Höhepunkt seiner Karriere, um die sportlich gelungene Veranstaltung auch symbolpolitisch zu zementieren.“ Zitiert aus einem der besten Kommentare die ich gelesen habe. Des weiteren: „Die erneute Überführung des Fußballs auf die Ebene der Zeichen, nur wenige Minuten nach dem Schlusspfiff, wirkte am Sonntagabend auch deshalb so ernüchternd, weil sich das vorangegangene Finale zu einem der mitreißendsten Spiele in der Geschichte der WM entwickelt hatte. Zwischen der 80. und 120. Minute zeigten Argentinien und Frankreich, warum der Fußball von Milliarden Menschen so bedingungslos geliebt wird: ein völlig offenes, unvorhersehbares Spiel, ohne Kalkül, am Rande der Erschöpfung, noch in den letzten Sekunden der Verlängerung hätten beide Mannschaften um ein Haar den Siegtreffer zum 4:3 erzielt, bevor das Elfmeterschießen entscheiden musste.“ Ich muss den Rest des Kommentars im Original wiedergeben, er gipfelt in einem resümierenden Satz, den man nicht vergisst: Ausgerechnet die bisher korrupteste Weltmeisterschaft hat das bislang beste Finale hervorgebracht.

Süddeutsche Zeitung 20. Dezember 2022 Seite 20 Das beste Finale, ausgerechnet / Über das Grunddilemma der WM – beispielhaft im Finale zu sehen: die letzte Folge der WM-Kolumne / von Andreas Bernard.

Privater Ausklang

Ich denke zurück an eine Zeit vor 50 Jahren, als der Fußball noch seine Unschuld hatte –  –  –  und das Klavierspiel (meines Vaters) trotzdem ganz allmählich auch in der jüngsten Generation „Fuß fasste“. (Siehe auch hier.)

JMR (1972?)

Slavoj Žižek

Ein unorthodoxer Denker zur Lage unserer Welt

Es ist mir entfallen, warum ich dieses Buch damals nicht verschlungen habe, ich glaube, ich hatte es wegen „Così fan tutte“ gekauft, nie gehörte oder gelesene Gedanken, die ich gerade brauchte, weil ich immer wieder von der Mozart-Oper besessen war. Auch heute fesselt es mich sofort, – aber 80% des Buches, das ich seit 1. März 2007 besitze, sehen absolut ungelesen aus. Während spezielle Themen offenbar um so nachhaltiger wirkten (siehe hier). Heute z.B. erinnerte ich mich, weil ein Freund sich gerade für Sibelius zu interessieren beginnt, und schon droht uns Adornos uraltes Verdikt den Weg zu versperren, – da könnte vielleicht doch gerade der musikliebende linke Philosoph aus Slowenien zu einem probaten Gegengift verhelfen…

Doch es gibt noch mehr Gründe, sein Werk hervorzukramen und zu Rate zu ziehen. Er ist kein Denker von der ganz peniblen Art, er ist impulsiv, man glaubt ihm beim Vorgang des Denkens zuzusehen, und schon ist man persönlich eingebunden: wie sagt man doch? man ist involviert… und ich studiere – zumal als Musiker – aufs neue intensiv seine Themenliste von damals.

Nun traf alldies zusammen mit einem Werbeheft der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft, und das Verhängnis nahm seinen Lauf: ich begann mir allerhand zu notieren, weils womöglich der Wahrheitsfindung dient. Ganz sicher war ich mir nicht, aber als erst ein Anfang gemacht war, musste ich immer weiterschreiben. Mich interessiert, wie eine linke Position heute argumentiert (nach Putins Wahnsinn).

Folgender Text ist – als eilige Abschrift – noch nicht gründlich Korrektur gelesen.

(Moderation: Die Philosophin Dr. Rebekka Reinhard, stellvertretende Chefredakteurin »Hohe Luft«)

Slavoj Žižek :

(auf deutsch beginnend) Es ist eine grroße Ähre für mich, hier zu sein. Leider muss ich jetzt ins Englische wechseln (wir folgen dem Übersetzer), – ich glaube, die Frage ist die alte Leninsche Frage: „Was tun?“ Eigentlich wissen wir, was zu tun ist, die Medien sagen es uns, – Globalisierung, Kooperation usw. – das Problem ist unsere Apathie. Wir wissen, was zu tun ist, aber wir tun es nicht. Ich bin froh, darüber mit Ihnen zu sprechen, denn Deutschland ist immer noch das Land des Denkens. Ich denke , und das ist meine erste Provokation für heute: Wir haben es vielleicht mit der elften umgekehrten These von Karl Marx zu tun: die Philosophen haben die Welt nur interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern. Vielleicht haben wir im 20. Jahrhundert versucht, die Welt zu schnell, zu stark zu verändern, ohne sie wirklich zu verstehen. Heute müssen wir vielleicht einen Schritt zurücktreten und nachdenken. Wir brauchen eine neue Interpretation, und das sage ich als radikaler Linker.

(Mod. Sie haben von Apathie gesprochen, seit Beginn der Pandemie, erst recht seit Beginn des Krieges in der Ukraine, frage ich mich mehr und mehr, wie real die Realität noch ist, bis hin zu dem Punkt, dass ich mich frage: bin ich eigentlich wach, wenn ich mich frage, ob ich wach bin, oder wenn ich mich frage, ob ich träume. Was ist realer: die Träume, die ich nachts habe, oder die Realität, in der ich jeden Tag neu und wieder anders erwache? Wie geht es Ihnen?)

Das ist eine sehr interessante Frage. Ich gehe nicht im Detail auf Freuds Interpretation ein, aber vielleicht ist es der ultimative Freudsche Traum, wenn ein Sohn zu seinem Vater kommt und sagt: Vater, siehst du nicht, dass ich verbrenne, und dann wacht der Vater auf. Wissen Sie: oft sind unsere Träume – und hier rede ich nicht von leeren Träumen, sondern von Träumen über das, was uns erwartet, so schrecklich, dass wir sogar bereit sind, in der Realität zu erwachen, um schlafen zu können. Denn die Realität scheint auf den ersten Blick noch normal: Okay, Krieg in der Ukraine usw., aber schau mal, die Blumen, da gehen Menschen, so schlimm ist es doch nicht, also ja, wir können auch in die Realität flüchten. Heute scheint mir, der ich mich als atheistischer Christ definiere, ein Bezug auf das Thema der Apokalypse sehr passend. Wissen Sie: die Offenbarung des Johannes am Ende des Neuen Testaments, die vier Reiter der Apokalypse, sind wir da nicht schon? Es gibt die Interpretation, dass der erste Reiter die Pest ist, den haben wir: die Pandemie. Der zweite Reiter ist der Krieg, den bekommen wir jetzt. Dann der Hunger, der wird kommen, wir kennen die Konsequenzen des Krieges und in der Ukraine, nicht nur globaler Krieg, es wird deswegen in der Ukraine und in Russland nicht genug Weizen, Dünger usw. geben.

Und, was mich besonders schockiert hat, als Philosoph versuche ich darüber nachzudenken, dieser Schock hat nicht, wie man erwarten könnte, gute Folgen, in dem Sinne, o.k. es ist ein Trauma, aber es weckt uns auf, es ermöglicht uns, Probleme zu vergessen. Erstens die Zeitlichkeit dieser Krise, erinnern Sie sich noch an den Beginn der Pandemie? Die üblichen Zeiteinheiten der Behördem und der Wissenschaft waren damals zwei Wochen. Hab noch 2 Wochen Geduld, dann wird das besser. Dann waren es zwei Monate, dann hieß es vor einem Jahr: nächstes Jahr, und jetzt weiß keiner mehr Bescheid. 6:10

Und noch etwas: ich weiß nicht, wie es in Deutschland ist, aber in meinem Land erinnern sich viele meiner Freunde fast nostalgisch an die Pandemie. Die Regeln waren klar, man hat ein bisschen gelitten, aber man hatte genug Zeit, alles war irgendwie unter Kontrolle. Und jetzt ist alles viel schlimmer. Und dabei sind wir wohl bei weitem noch nicht am Tiefpunkt angelangt.

Ein dritter Punkt ist extrem wichtig: was sind die negativen Folgen dieser Krise? Ich weiß wieder nicht, wie es in Deutschland ist, aber hier in Slowenien – und ich habe überall das gleiche gehört – feiern die Neokonservativen diesen Krieg. Und warum? Weil sie ihn so interpretieren: in den letzten Jahren haben wir in einer Ära der künstlichen Probleme gelebt. Feminismus zum Beispiel. Mal ernsthaft: die Lage ist doch gar nicht so schlimm für die Frauen. Oder Rassismus, das ist eine Randerscheinung. Politische Korrektheit: das ist doch lächerlich. JETZT sind wir wieder bei den harten Tatsachen angekommen. Auch die Geswchlechterrollen sind klar festgelegt. Das ist ein Lieblingsthema der heutigen Konservativen. Ukrainische Frauen fliehen ins Ausland und kümmern sich um die Kinder, das ist ihre eigentliche Arbeit, während die Männer in der Ukraine bleiben, um zu kämpfen. Sehen Sie, das ist die eigentliche Tragödie dieses Krieges,- er mag eine globale Katastrophe sein, aber dieser Krieg ist kein Moment der Wahrheit. It’s not a moment of truth! Er ist ein Moment, der uns brutal von den wirklichen Problemen ablenkt. Nicht, dass er selbst kein echtes Problem wäre, abewr erlenkt uns von großen Problemen ab, wahren Katastrophen, die uns erwarten.

Also ja, ich bin ein Pessimist.

(Damit sind wir schon genau bei dem Titel Ihres neuen Buches: Unordnung im Himmel. Es ist ein Buch buchstäblich über alles. Sie schreiben kleine, scharfe kurze Beobachtungen über die aktuelle Weltlage, es ist eine Kaleidoskop Sie beleuchten Was meinen Sie damit?)

Etwas sehr Einfaches! 10:00 Für Mao ist der Himmel noch in Ordnung, er will einen allgemeinen Überblick geben, wohin die Geschichte geht. Und Unordnung unter dem Himmel bedeutet hier nicht einfach Chaos. Wir Kommunisten, die wir wissen, wohin sich die Geschichte bewegt, können das Chaos ausnutzen, um unsere Ziele zu verfolgen. Heute glaube ich nicht, dass wir Linken immer noch den Anspruch haben können, einen globalen Blick zu haben. Die Karten sind so seltsam gemischt, dass Gescgehnisse, die einst typisch für die Linke waren, nun von der Rechten vereinnahmt werden. Nur ein Satz, ein bekanntes Beispiel, wir erinnern uns leider alle an den 6. Januar 2021, als die von Trump aufgehetzte Meute das Capitol stürmte, und wissen Sie was? Viele meiner linksgerichteten Freunde waren fasziniert und weinten, sie sagten: Wir hätten das machen sollen, die Linken wo waren wir? Selbst dieser ultimative, radikal linke Traum vom Volksaufstand wird nun von der radikalen Rechten vereinnahmt.

Der nächste Punkt ist diese Orientierungslosigkeit. Ich nutze gern diesen Begriff des kognitiven Mapping meines guten Freundes Fredric Jameson

es geht darum, einen allgemeinen Überblick über die Situation zu bekommen. Wie sind vollkommen desorientiert! Eine grundsätzliche Frage. Was ist China heute? Ist es noch kommunistisch? Oder eine neue Art von postautoritärer, neokkapitalistischer Gesellschaft? Undsoweiter. Oder wie ist es mit unseren eigenen Gesellschaften? Ich bin nicht ganz einverstanden mit manchen meiner Freunde, Yanis Varoufakis zum Beispiel behauptet, dass der Kapitalismus bereits in etwas anderes übergeht. Manche nennen das Technofeudalismus. Ich habe daran meine Zweifel. Aber Figuren wie Bill Gates, Elon Musk oder Jeff Bezos sind tatsächlich keine Kapitalisten alten Stils, die die Arbeiter ausbeuten. Sie sind eher Feudalherren über ein bestimmtes Gebiet, die Pacht kassieren.Ich weiß nicht, wem Zoom (?) gehört, aber wir sind wahrscheinlich irgendwie über Microsoft verbunden, also bekommt er Gebühren dafür. Es passiert soviel Neues, und wir haben nicht einmal eine grobe Orientierung. Wenn ich also kurz auf das von Ihnen eingangs Gesagte eingehen darf: Ich stimme Ihnen zu, dass man den Hintergrund, die Komplexität der Situation sehen muss, aber meinen Sie nicht auch, dass diese Komplexität oft nur eine Ausrede ist, um das Offensichtliche zu verleugnen? Z.B. haben einige meiner Freunde, nicht nur die rechtsgerichteten, sondern auch linksradikale, immer noch diese uneindeutige Haltung Putin gegenüber. Sie sagen okay okay, aber trotzdem ist er ein Stachel im Fleisch des amerikanischen Imperialismus, und der ist immer noch unser Hauptfeind. Also spricht auch manches für Putin. Deshalb sagen sie gerne, die Situation ist komplexer. Meine Antwort: ja natürlich. Aber das sollte uns nicht blind machen für die offensichtliche Tatsache, dass ein großer Staat einen anderen Staat brutal angegriffen hat. Diese grundlegende Tatsache darf man nicht weginterpretieren. 14:52

(Die Unordnung ist total, der Wunsch nach einer neuen Ordnung ist natürlich auch sehr dringlich ….Und die Medien )

16:08 Um Missverständnissen vorzubeugen, ich stehe trotz aller Komplexität ganz auf der Seite der Ukraine. In dem Sinne, dass ich voll und ganz für die ukrainische Verteidigung bin.Im übrigen gibt es soviel Absurdes in der russischen Argumentation. Ich bin nicht so drauf, dass ich sage: hören Sie sich die andere Seite an, Entschuldigung, aber zufällig verstehe ich russisch. Ich höre die ganze Zeit zu, ich folge ihren Podcasts usw. also bin ich durchaus informiert. Ist Ihnen das auch aufgefallen: laut russischer Propaganda ist die Ukraine ein Land von Neonazis. Es gibt da einen Typen, der ist der Horror in Person. Nicht Dugin, Putins offizieller Philosoph, sondern – merken Sie sich diesen Namen Timofei Sergeitsev, der schrieb in einem offiziellen Kommentar, der in einigen russischen Bulletins veröffentlicht wurde: dass der ukrainische Nazismus ungleich gefährlicher sei als der von Hitler. Das ist die wichtigste Botschaft: dass Russland uns alle rettet.Was ich sagen will – und das als Linker – denken Sie daran, welchen Namen Putin nannte, als er seine Abnsicht erklärte, in die Ukraine einzumarschieren, einen einzigen Namen hat er negativ erwähnt und angegriffen: LENIN. Und in gewisser Weise hatte er recht: vor der Oktoberrevolution war die Ukraine unterdrückt, die einzige wirklich goldene Ära für die Ukraine waren die zwanziger Jahre, als die Ukraine als Nation voll entwickelt war. 18:07 Gleichzeitig redete er aber über die Nazis. Also hat die Ukraine für Putin zwei Väter: Lenin und Hitler. Das macht es für mich ein bisschen verdächtig. Ja, all das stimmt. Ich bin aber trotzdem beunruhigt. Ich bin nicht für einen totalen Weltkrieg, der enorme Risiken birgt, trotzdem stört mich vieles an der westlichen Reaktion. Ich traue den großen Worten nicht, Sie wissen schon: Putin, Den Haag, Strafgerichtshof, aber viele Menschen wissen beispielsweise nicht, dass trotz des Krieges in der Ukraine immer noch russisches Gas durch die Ukraine in den Westen fließt. Gegen reguläre Bezahlung natürlich. Das wirkliche Grauen für mich ist das hier: in diesem Moment, wo wir hier – wie Sie sagen – die Russen so leicht als Barbaren, als unzivilisiert abtun, sollte sich der Westen an zwei oder drei Dinge erinnern: erstens, sagt Putins offizieller Philosoph Dugin, der Westen müsse akzeptieren, dass es nicht nur ein Wahrheit gibt, die europäische, somdern auch eine russische Wahrheit. Wir dürfen nicht dieselbe Sprache sprechen. Das stört mich. Auch wenn ich Selenski voll und ganz unterstütze, wenn er sagt, wir verteidigen hier Europa, aber wenn ich Selenski wäre, würde ich noch einen Schritt weiter gehen und sagen: in Wahrheit verteidigen wir hier auch alle Russen. Die Ukraine verteidigt das russische Volk vor der Katastrophe, in die Putin es treibt. Vergessen Sie nie den Terror, unter dem das russische Volk leidet, sie sind unsere Verbündeten!

Zweiter Punkt: diese Idee, es nicht Krieg zu nennen, sondern spezielle Intervention … manchmal verwenden die Russen sogar den Begriff „humanitäre Intervention“ um den Frieden zu erhalten. Kommt Ihnen das nicht bekannt vor? 20:48 Hat der Westen das nicht auch jahrelang getan? Immer wieder sehr brutal interveniert, mit genau der gleichen Argumentation?

Letzter Punkt. Hier liegt die westliche Heuchelei klar auf der Hand. Putin, Kriegsverbrecher, Bombardierung von Kiew, Katastrophe. Sorry. Aber Putin – erinnern Sie sich? – hat vor ein paar Jahren Aleppo bombardieren lassen, die größte Stadt Syriens, viel brutaler als sie es jetzt in der Ukraine tun, – bis jetzt, wer weiß was noch kommt. Abgesehen von Mariupol. Aber: wo ist hier die Ausgewogenheit, wir haben damals protestiert, aber nicht so richtig ernsthaft. Jetzt ist es auf einmal ernst, und das hinterlässt einen schrecklichen Eindruck. Die Menschen in Lateinamerika, Asien, Afrika, der Dritten Welt bemerken diese europäische Heuchelei, und wir sollten auch hier den Mut aufbringen, dies nicht zu akzeptieren, dass dies ein Konflikt der Zivilisationen ist. Nochmals: wir sprechen sonst die russische Sprache, – Dugin, Sergeitsev, und all die anderen sagen dasselbe, nur genau andersherum. Sie sagen: Russland ist dieselbe Insel der Zivilisation, Europa und der amerikanische Liberalismus fallen in die totale Barbarei zurück. Ich denke, die Lehre daraus ist, dass wir unbedingt universalistisch bleiben sollen, hier würde ich sogar Jürgen Habermas und seinem Universalismus zustimmen. Deshalb bin ich für Europa, denn, was auch immer man gegen Europa sagen kann, Sklaverei, das Schreckliche, was wir in der Moderne getan haben, – diejenigen, die das Vermächtnis Europas angreifen, die Sklaverei, die Unterdrückung der Frauen, usw., tun dies aber immer in Begriffen, die aus dem Erbe der europäischen Aufklärung stammen. Die Größe Europas besteht nicht darin, dass es keine Fehler macht, sondern darin, dass es immer noch die beste Quelle für begriffliche Instrumente ist, die uns helfen, uns selbst zu kritisieren.

(Ja, Sie plädieren immer wieder dafür, die Blickrichtung zu wechseln…) 24:35

Jetzt werde ich Sie wieder überraschen – erstens: lassen Sie uns nicht in Selbstzufriedenheit verfallen. Meine Formel, die ich vor Jahren auf der Grundlage meiner eigenen Erfahrungen in Ex-Jugoslawien oder in Ruanda vertreten habe, gilt meines Erachtens überall: Sie lautet: es gibt keine ethnische Säuberung ohne Poesie. Um ethnische Säuberungen zu verstehen, sollte man einen Blick auf die Dichter, die Intellektuellen und Philosophen werfen, die den Boden dafür bereitet haben. Bei uns hier ist es der berüchtigte Karadziz, aber das ist in allen Ländern so ähnlich. Z.B. war ich schockiert, dass in Irland William Butler Yeats, den Sie vielleicht auch kennen, 1936 die sogenannten Nürnberger Rassengesetze, die die Rechte der Juden einschränkte, voll unterstützt hat.

Wieviele große Dichter waren Rassisten, Faschisten, sie haben oft genug den Weg dafür bereitet, und deshalb sollte man Künstlern nicht zu leichtfertig vertrauen. Manche leisten Großartiges, wie Paul Celan, Samuel Beckett, aber man muss immer auf der Hut sein.

Ich sage nicht, dass wir jede Liebe zu unserem Heimatland verurteilen sollen, aber was wir von wirklich großen Schriftstellern und Dichtern lernen können, will ich anhand eines Beispiels aus Russland zeigen. Der größte russische Schriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts Andrej Platonow, der sich mit dem Schicksal dieses geringen, heimatlosen, primitiven Volkes beschäftigt hat, das es nicht geschafft hat sich einzugliedern. Und da berkommt man ein ganz anderes Bild von Heimat. Nicht diese große, nationalstaatliche Heimat, sondern eine wunderbare kleinteilige Heimat. Ich erinnere mich an einen Baum hinter meinem Haus, ich erinnere mich, wie im Wald der Wind wehte, usw. usf. Die Linke sollte sich das alles wieder zueigen machen. Überlasst dem Feind nicht das Gebiet, dass er besetzen will. Ich gehe noch weiter:

Warum sollte die Rechte das Recht haben, über Familienwerte zu sprechen, wo der neoliberale Kapitalismus alles getan hat, um die übermäßig ausgebeuteten Frauen und Familienwerte und kleine Gemeinschaften und die Solidarität effektiv zu zerstören.

Also noch einmal: machen Sie keine Kompromisse, indem Sie das Thema dem Feind überlassen. Wenn ich also sage: „ich liebe mein Land“, bin ich nicht gleich ein Nazi. 28:00

(Unordnung überall Mao – warum Kommunismus nicht ausgeträumt)

Ich habe hier ein klare, sehr kurze Antwort. Es geht wieder um Scheinheiligkeit. Erinnern Sie sich noch an das große Treffen in Glasgow vor ein paar Monaten? Mit Prince Charles, vielen Promis, Premierministern usw. sie forderten das Richtige, globale Zusammenarbeit, allgemeine Gesundheitsversorgung, und zwar international. Die ökologische Krise ist nicht lokal beschränkt. Erinnern Sie sich, dass im letzten Sommer im Südwesten Kanadas und dem Nordwesten der Vereinigten Staaten 50 Grad herrschten. Das ist die Folge einer Störung der Luftzirkulation in allen nördlichen Teilen der Erde, hier ist also unbedingt Zusammenarbeit erforderlich. Die globale Erwärmung birgt auch die Gefahr von Hungersnöten, viele Länder sind betroffen, auf dem Treffen wurde vor allem viel geredet, und ich würde sogar sagen: insgeheim machen sich alle bewusst, dass es keine ernsthaften Konsequenzen geben würde. Was mein kommunistisches Programm angeht, ich bewundere intelligente, ehrliche Konservative, die sich der praktischen Grenzen der Machbarkeit bewusst sind. Was man zusammen mit ihnen alles erreichen kann. Versuchen wir eine Ordnung zu schaffen, deren Programm darin besteht, das zu tun, worüber die großen Medien immer sprechen. Die großen Medien sprechen über die aktuellen Gefahren auf diese zwangsneurotische Weise, man redet viel und muss nichts tun. Mein kommunistisches Programm ist also das zu tun, was wir die ganze Zeit in den Medien lesen. Pandemien können nur durch globale Zusammenarbeit zumindest in Schach gehalten werden. Wir brauchen eine Art globaler, wenn nicht Gesundheitsvorsorge, so doch zumindest Selbstkontrolle, so dass wir wissen, wie das alles zusammengeht.

Was die Ökologie betrifft, sind wir sogar – würde ich sagen – zu besessen von der globalen Erwärmung. Wir schauen zuviel nach oben, schauen wir auch nach unten: was zum Teufel geht in den Tiefen unserer Ozeane vor, das ist dann beunruhigend, und wenn das ein Regime bedeutet, das ein bisschen autoritärer ist, natürlich nicht im faschictischen Sinn, nicht in dem Sinn, dass wir eine Weltregierung bekommen sollten, das würde totale Korruption bedeuten, aber eine Art von internationalem Gremium, das souveränen Ländern verbindlich Entscheidungen auferlegen kann. Wenn wir diesen Schritt nicht machen, habe ich große Angst um unsere Zukunft. Und ich meine das sehr ernst. Ich spreche nicht von unseren Enkeln, ich spreche davon, wie es in 20 bis 30 Jahren ausgeht, wenn die gegenwärtigen Tendenzen weitergehen.

(Wenn Sie, die uns hier zuschauen, Slavoj Zizeks neues Buch : Slavoj, hätten Sie denn noch eine Buchempfehlung? )

Ich tue etwas Paradoxes und lege Ihnen ein Buch ans Herz, dessen Grundthese ich nicht teile, das aber eine wunderbare alternative Sicht auf die Geschichte vermittelt, es handelt sich um David Graebers und David Wengrows Buch „The Dawn of Everything“, in der deutschen Übersetzung „Anfänge“. Es ist eine Art alternative Geschichte, die mit dem Mythos aufräumt, die übrigens auch der marxistische Mythos ist, dass die Ausbeutung der Frauen und das Patriarchat automatisch mit der Entstehung von Staaten begonnen hätten. Den großen Übergang zu Siedlungen und ortsgebundener Landwirtschaft, und sie beweisen das ziemlich überzeugend. Ein Beispiel ist das Inkareich, ein Aspekt dieses Reiches waren Kinderopfer, Autorität, ein anderer Aspekt war eine außergewöhnliche Form gleichberechtigter Zusammenarbeit. Ich glaube nicht, dass wir heute etwas direkt Vergleichbares tun können, aber deshalb mag ich alternatives Science Fiction, das ist die Lektion, die ich von Hegel gelernt habe. Deshalb hat Hegel verboten, Pläne für die Zukunft zu machen. Es ist gut, sich vor Augen zu halten, dass, wenn etwas passiert, es immer andere Möglichkeiten gibt, und dass die Dinge auch eine andere Wendung hätten nehmen können. Die Notwendigkeit ist immer eine rückwirkende Notwendigkeit. Wir können nur einen einigermaßen logischen Überblick darüber geben, wie es den Menschen bisher ergangen ist. Die Zukunft ist offen. Und dieses Buch gibt Ihnen das Gefühl dafür.

Verlag Klett-Cotta (s.a. hier)

(Ich stelle nochmal eine Frage…Sachbuchempfehlung WBG?)

Ich habe eine traurige Empfehlung, ich mag diese absolut pessimistischen Bücher, die eine Alternative aufzeigen, und dann darstellen, wie wir bei einem Versuch, eine Katastrophe zu vermeiden, die Welt noch verschlimmern würden. Z.B. gibt es ein Buch von Steven Fry, dem britischen Schauspieler, „Geschichte machen“ – „Making History“ , kein großartiges Buch, aber die Idee gefällt mir. Ein jüdischer Wissenschaftler erfindet nach dem Zweiten Welktkrieg eine Möglichkeit, wie man die Vergangenheit ein wenig modifizieren, also nicht komplett verändern kann. Da Hitler die Katastrophe war, führte er rückwirkend Chemikalien in den Bach des Dorfes ein, in dem Hitler geboren wurde. So dass in den Jahren, in denen Hitler hätte geboren werden sollen, alle Frauen dort unfruchtbar waren. Dadurch wird Hitler also nicht geboren. Was passiert? Die Nazis tauchen trotzdem auf, aber ein anderer, viel intelligenterer Kerl, der sich in Atomphysik auskennt, übernimmt die Führung. Deutschland entwickelt als erstes Land Atomwaffen, und Deutschland siegt. Und so widmet er, der heutige Wissenschaftler, sein ganzes Leben der Aufgabe, Hitler nachträglich zurückzubringen. Dieser radikale Pessimismus gibt meine Sicht auf das Leben wieder. (lacht)

(Wonderful! Vielen Dank )

(Satz in deutsch) Und es war mir eine grroße Ähre für mich und eh… eine Sache tut mir aber leid, es wirkt so etwas männlich-chauvinistisch, warum sollten Sie nur ein Medium sein, es hätte mich gefreut, wenn Sie sich etwas mehr beteiligt hätten. Sonst wird man mir männlichen Chauvinismus und sexuelle Objektivierung vorwerfen. Aber Sie sind der lebende Beweis dafür, dass intelligente Frauen nicht hässlich sein müssen. (Lachen auf beiden Seiten)

Und so wäre es schön, vielleicht ein anderes Mal darüber zu sprechen, damit ich auch Ihre Sicht der Dinge kennenlerne.

(Mod. Abschließend: Wenn Sie Fragen dazu haben, Anregungen, Kritik – was sagen Sie dazu?) 38:22

Nachwort JR: die letzten Sätze gehen leider ziemlich nach hinten los, – im Gespräch mit einer weiblichen Person anerkennende Worte über ihr Aussehen zu verlieren, zumal das Phänomen des männlichen Chauvinismus etc. ja gerade kritisch benannt wurde. Das geht gar nicht. – Ich schließe aber eine ironische Absicht nicht aus…

Die Andeutung der Geschichte von Steven Fry bleibt am Ende völlig unverständlich, daher der Link zum Nachlesen, – obwohl die echte Version auch nicht soviel erhellender ist.

Die Sequenz über den Traum (oben im Moderationstext) bezieht sich wohl auf Tschuangtse (Schmetterling); ich empfehle eine Orientierung hier.

Zur Ablenkung notiere ich, was ich gerade im Fernsehen bemerkenswert fand (und was mich an die obigen Bemerkungen über Heimat erinnerte): unser Europa. Schauen Sie in terra X HIER  Meilensteine der Kontinental-Geschichte Europas ab etwa hier bei 28:35 (!).

ZITAT Gunther Hirschfelder, Anthropologe der Universität Regensburg:

Wir haben lange geglaubt, diese Regionen werden mal in den Nationen aufgehen. Heute wissen wir aber, dass Nationen durch Regionen konstituiert werden, und dass der Mensch, der in einer Region lebt, eine regionale Identität braucht, aber nicht unbedingt eine nationale.

siehe Link

Zurück zu Slavoj Žižek, aber in konsistenterer Darstellung,

aus der SFR-Reihe Kultur Sternstunden 30.05.2022 mit Yves Bossart

Putins Drohung

Die Analyse von Timothy Snyder (NZZ 16.10.2022)

Wenn die Realität die Regie übernimmt – wie der Ukraine-Krieg ohne nukleare Eskalation zu einem Ende finden könnte

Mit seiner Drohung, Atomwaffen einzusetzen, verstrickt Putin die westliche Öffentlichkeit in ein psychologisches Spiel, das deren klares Urteil trüben soll. Will man wissen, wie der Krieg enden könnte, sollte man den Spuren der Logik der Macht im Kreml nachgehen.

Der Text ist auffindbar HIER

Zusatzfrage (eingefügt nach dem 18.10.22) Beteiligt sich Iran aktiv an russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine? Die Hinweise verdichten sich. (Siehe hier.)

Wo und wann ist mir Timothy Snyder schon begegnet? Habe ich ihm zu recht vertraut?

Das Opfer-Syndrom

11.11.18

Aronstab

29.04.22

Medien Misstrauen Durchblick

19.05.22

Debattenkultur – was ist los?

Es geht um schwere Geschütze in den Medien

LANZ-Sendung 29.September 2022: Über das Twittern (ab etwa 40:00)

17:40 MELANIE AMANN (an Precht): Als ich Ihr Buch gelesen habe, habe ich gedacht: ich glaube, da stehen viele Dinge drin, die viele Leute so denken. Da stehen aber auch viele Dinge drin, die … etwas mehr Recherche verdient hätten. Weil: Sie haben ja nicht systematisch ausgewertet, wie wir über den Krieg berichtet haben. Sondern Sie haben berichtet, wie Sie wahrnehmen, Sie haben beschrieben, wie Sie wahrnehmen, wie wir über den Krieg berichtet haben. Es ist ja nicht so, dass Sie da irgendwie jetzt in irgend ’ner Weise qualitativ quantitativ untersucht hätten, wie haben die Medien über den Krieg berichtet. (Precht: das geht ja doch gar nicht!) Doch, natürlich geht das! Das dauert halt ’n bisschen länger als zwei, drei Monate, ich weiß nicht, wie lange Sie gebraucht haben, das Buch zu schreiben, – es ist sozusagen wie ein geschriebener Podcast, in dem mal sozusagen dargestellt wird, wie die Welt so wahrgenommen wird. Und inhaltlich – würd ich sagen – dass die Positionen, die Sie einfordern, das Zögern, das Zweifeln, das Vor-Ort-Recherchieren, das Berichten, die Unsicherheit der Berichterstattung, das wurde umfassend thematisiert. Was sich auch wiederfindet, sind die unterschiedlichen Meinungen, über die wurde extrem – beim Spiegel, ich war ja teilweise selber beteiligt -, berichtet in allen Qualitätsmedien. Also der Vorwurf, dass abweichende Meinungen nicht stattfinden, der ist objektiv falsch. (Precht: Ja, den gibts auch nicht!) Wo man drüber diskutieren kann, was ich eher sehe, ist: haben die Journalisten selber in ihren Kommentierungen mehrheitlich eine Position gehabt oder haben sie eine Fifty-Fifty-Bandbreite von Positionen gehabt? da würde ich sagen: es stimmt, dass es ein Übergewicht einer Meinung gab, aber das ist im Journalismus eher selten. Also – Ihre Unterstellung, die ja leider der Verlagsankündigung ja so ’n bisschen mit diesem hässlichen nationalsozialistischen Wort der Selbstgleichschaltung umschrieben war, (LANZ: das ist aber ein Begriff, der im Buch nicht fällt -) ja, wir alle sind hier Buchautoren, und wir sind … 19:36

HIER

41:10 PRECHT Die Frage ist sozusagen, warum man Stilmittel, – wenn man gezwungen ist, sich auf 280 Zeichen zu reduzieren -, Stilmittel wie eben die extreme Personalisierung, die Dekontextualisierung, die Sätze aus dem Kontext reißen und mal kurz die Meinung dazu geben, – warum solche Dinge als Stilmittel auch in den Leitmedien auftreten, und das hat in letzter Zeit wahnsinnig zugenommen, und meine Kritik daran ist: nicht, dass der eine oder der andere beleidigt ist, sondern die Kritik daran ist: das geht auf Kosten unserer demokratischen Debattenkultur.

https://www.zdf.de/gesellschaft/markus-lanz/markus-lanz-vom-29-september-2022-100.html

Und eine der Reaktionen aus den Medien

Jens Jessen ist ein Journalist, den ich schätze. Precht und Lanz kommen oft genug in diesem Blog vor, ich kann nicht leugnen, dass ihre Themen mich oft beschäftigen, was nicht bedeutet, dass ich ihrer Argumentation, ihren Diskussionen oder Gesprächen stets mit einhelliger Begeisterung folge. Ausdrücklich würde ich jederzeit gute Journalist:innen wie Melanie Amann und Robin Alexander hervorheben, die mindestens ebenso klar denken und reden wie der Gastgeber und der Philosoph.

Einstweilen warte ich allerdings begierig auf das neue Buch von Jürgen Habermas: hier „Ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit und die deliberative Politik“ Suhrkamp Verlag – ZITAT:

Kernstück des Buches ist ein Essay, in dem er sich ausführlich mit den neuen Medien und ihrem Plattformcharakter beschäftigt, die traditionelle Massenmedien – maßgebliche Antreiber des »alten« Strukturwandels – zunehmend in den Hintergrund drängen. Fluchtpunkt seiner Überlegungen ist die Vermutung, dass die neuen Formen der Kommunikation die Selbstwahrnehmung der politischen Öffentlichkeit als solcher beschädigen. Das wäre ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit, mit gravierenden Konsequenzen für den deliberativen Prozess demokratischer Meinungs- und Willensbildung.

Etwas ganz Anderes vom 6. 10.22

Eine Meldung von heute Morgen, die mich eigentlich nicht überrascht, aber sehr gefreut hat: Nobelpreis für Annie Ernaux. Hatte ich sie womöglich vergessen?

siehe im Blog hier, hier und hier.

Ich wollte alles sagen, über meinen Vater schreiben, über sein Leben und über die Distanz, die in meiner Jugend zwischen ihm und mir entstanden ist. Eine Klassendistanz, die zugleich aber auch sehr persönlich ist, die keinen Namen hat. Eine Art distanzierte Liebe.

Daraufhin begann ich einen Roman zu schreiben, mit ihm als Hauptfigur. Mittendrin ein Gefühl des Ekels.

Seit Kurzem weiß ich, dass der Roman unmöglich ist. Um ein Leben wiederzugeben, das der Notwendigkeit unterworfen war, darf ich nicht zu den Mitteln der Kunst greifen, darf ich nicht »spannend« oder »berührend« schreiben wollen. Ich werde die Worte, Gesten, Vorlieben meines Vaters zusammentragen, das, was sein Leben geprägt hat, die objektiven Beweise einer Existenz, von der ich ein Teil gewesen bin.

Keine Erinnerungspoesie, kein spöttisches Auftrumpfern. Der sachliche Ton fällt mir leicht, es ist derselbe Ton, in dem ich früher meinen Eltern schrieb, um ihnen von wichtigen Neuigkeiten zu berichten.

Aus: Annie Ernaux: Der Platz / Aus dem Französischen von Sonja Finck / Bibliothek Suhrkamp Berlin 2019 ( Seite 19f)

Und am 7.10.22 – als aktueller Epilog – am Tag des Friedensnobelpreises

Mehr darüber: hier von Jan Dafeld / Shervin Hajipours Song „baraye“ entwickelt sich zur Hymne der Protestwelle im Iran. Tausende singen das Lied bei Demonstrationen, iranische Schülerinnen stellen ihre eigene Version ins Netz. Das Video des 25-Jährigen wird wenig später gelöscht, der Künstler festgenommen. (Quelle RTL News)

Andere Quelle: hier (DW Akademie)

*      *      *

12. Oktober 22 Habermas – Neu, endlich angekommen (schon 2. Auflage):

Allerdings: prüfen Sie doch bitte, ob die Seiten, die in meinem Exemplar doppelt vorhanden sind – Seite 81 bis 96 -, womöglich anderswo fehlen…

Und wenn Sie gerade die Lektüre unterbrechen, – informieren Sie sich vielleicht auch bei Wikipedia, was über „Deliberative Demokratie“ vorweg zu lernen ist…

 

Dürre in Deutschland

Für alle, die es satt sind, Katastrophenmeldungen zu lesen: zuerst an den Schluss scrollen!

Hart aber fair im Ersten am 29.8.22

abrufbar:

HIER  https://www1.wdr.de/daserste/hartaberfair/videos/video-die-jahrhundert-duerre-erleben-wir-gerade-unsere-zukunft-102.html

Die Teilnehmer der Diskussion:

  • Mona Neubaur (B‘90/Grüne, NRW-Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie)
  • Sven Plöger (Meteorologe, ARD-Wetterexperte)
  • Carla Reemtsma (Klima-Aktivistin; Sprecherin und Mitorganisatorin der „Fridays for Future“-Demos)
  • Werner Marnette (langjähriger Industriemanager und ehemaliger CDU Wirtschaftsminister in Schleswig-Holstein)
  • Alexander Held (Forstwissenschaftler und Feuerökologe; Waldbrandexperte)

Einige Text-Nachschriften JR ohne Gewähr (in Auszügen – warum? insbesondere die wichtigen Beiträge von Carla Reemtsma sind akustisch oft nicht nachvollziehbar, weil allzu eilig gesprochen; man muss manches raten. Ich empfehle auf jeden  Fall, auch das Original zu hören!)

Beiträge Reemtsma ab 7:12 / 16:57 /  30:47 / 46:43 (fehlt noch) /

Plasberg: … ABER DAS AUSMASS UND DIE LÄNGE DER DÜRRE IN DIESEM JAHR, HAT SIE DAS ÜBERRASCHT? 7:12

Reemtsma:  Die Heftigkeit, mit der uns grade Wetterphänomene, Klimaextremlagen treffen, und sei es hier irgendwo in Europa, seien es die Waldbrände, sei es die Dürre, sei es die Wasserknappheit, seien es aber auch Extremwetterlagen wie grade der Monsun in Pakistan, das tritt alles gerade in einer Häufung auf und in einer Schwere, die selbst die weitesten Klimaforschungen so nicht prognostiziert haben, sondern übertrifft nochmal mehr oder weniger die schlimmsten Erwartungen. Was wir grade erleben, ist nicht wo alle von sagen, erleben wir grade unsere Zukunft, nein, wir erleben unsere Realität und wir erleben unsere Gegenwart, mit der wir JETZT, auf die wir jetzt Antworten finden müssen. Und davon sind wir meilenweit entfernt.

Plasberg: HAT ES SIE ÜBERRASCHT? IN DIESEM JAHR?

Nein. Also: das Ausmaß ist erschreckend, was wir irgendwie erleben mit über 10.000 Hitzetoten auch alleine in Deutschland, wir haben mit diesem Hitzesommer tatsächlich die tödlichsten Naturkatastrophen in Europa seit Jahrzehnten gehabt, das mehrmals jetzt auch schon hintereinander. Das ist furchtbar, und das zeigt aber auch, dass wir als Gesellschaft überhaupt gar nicht in der Lage sind, angemessen auf diese Krise zu reagieren, in der wir sind und [stattdessen]eine politische Verantwortungslosigkeit erleben.

Plasberg: DIE POLITIK IST N BISSCHEN BESCHÄFTIGT …z.B. mit GAS — sind das mildernde Umstände bei Ihnen?

Reemtsma: Definitiv nicht! Die Politik versagt grade auf beiden Seiten, wir erleben einerseits mit genau den aufgezeigten Folgen der Klimakrise, von denen wir eben gesprochen haben, dass es nicht um Jahrzehnte oder Jahre geht, und – wir können die Klimakrise nicht aufschieben, deswegen können wir auch den Kampf gegen die Klimakrise nicht aufschieben. Und gleichzeitig trifft genau das, was die Regierung im sozialen Bereich macht: sie müsste sich darum kümmern, dass Menschen Möglichkeiten haben, einerseits nicht ihre Sorgen vor der nächsten Lebenskostenabrechnung zu haben und Möglichkeiten haben, z.B. beim Klimaschutz unterstützt zu werden. Was macht es, dass sie eine sozial gerechte Maßnahme, die auch den Klimaschutz fördert, dass man das 9-Euro-Ticket, ohne Nachfolge auslaufen lässt, dass mit der Gas-Zulage und Milliarden an Gas-Konzerne (lacht) umverteilt, und wir gerade Umverteilung an fossile Klimakillerkonzerne erleben – und das ist eine Politik, die macht beide Krisen schlimmer und ist maximal verantwortungslos. 9:30

Plasberg (rhetorisch:) WANN TRETEN SIE ZURÜCK; FRAU NEUBAUR? SIE SIND ZWAR GRADE ERST IM AMT…

*     *     *

Werner Marnette: Natürlich habe ich das Gas gern genommen, weil wir einen Beitrag zum Klimaschutz erbringen wollen. Wir haben beispielsweise – darf ich das noch ausführen – vom Koks auf Erdgas umgestellt, vom schweren Heizöl auf Erdgas umgestellt, weil das besonders klimafreundlich ist, Erdgas ist ja C, 1 Kohlenstoff-Atom und 4 Wasserstoff-Atome – das ist doch ein Riesenfortschritt gewesen! (Einwurf Plöger „… auch schon blöd…“) (Plasberg: „soviel zum Chemieunterricht… Frau Reemtsma!“)

16:57 Reemtsma:  Und womit Sie, gerade als Unternehmer und gerade in dieser Zeit und als Leiter des Kreises Energiepolitik – BDI Verband der Industrie – gemacht haben – um es zu sagen: Sie haben uns in genau diese Abhängigkeit von billigem russischen Gas gebracht, und das hat uns jetzt in diese Situation geführt, und das ist nach dem Krieg und in der Klimasituation eindeutig klar: das größte Sicherheitsrisiko ist unsere Abhängigkeit von fossilen Energieträgern, von Gas, aber auch von Kohle und Öl. Die einzige Antwort kann der massive Ausbau von erneuerbaren…

Plasberg: Im Augenblick nicken hier alle, Frau Reemtsma – Frau Neubaur nickt.

Werner Marnette: Ich würde Ihnen das nochmal gerne erklären, was damals gemacht worden….

Plasberg: Sie müssen, glaube ich, einem jungen Menschen nicht erklären, der so im Stoff ist, wie Frau Reemtsma… müssen Sie nicht erklären…

Werner Marnette: Man muss ja auch n bisschen bei den Fakten bleiben, ich glaube, ich habe mich kräftig gegen die damalige Kartellsituation gewehrt, und ich war auch einer derjenigen, die sich damals heftigst gegen die Fusion von EON und RUHRGAS gekämpft hat.

Plasberg: Wir haben Sie eingeladen, weil Sie immer eigene Gedanken auch gepflegt haben… ich würde jetzt gerne die Vergangenheit Vergangenheit sein lassen, weil es gibt ja genug für die Zukunft zu tun. Und wir sind ja noch ein bisschen bei der Vermessung der Katastrophe. 18:29

Aber zur Vermessung der Katastrophe gehört ein Blick in den Wald. [etc.]

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30:47 Plasberg: Stichwort KOHLEKRAFTWERK Haben Sie Verständnis, dass Grüne in dieser Situation nicht grüne Politik aus dem Lehrbuch machen können?

Reemtsma: Wofür ich Verständnis habe, ist dass wir im Moment dieser Krisen und auch im Zusammenkommen dieser Krisen, wie wir grad eben gehört haben, ja auch miteinander zusammenhängen, man pragmatisch darüber nachdenken muss, was können Antworten sein. (also Kohlekraftwerke) Das heißt aber nicht, dass Antiklimamaßnahmen, wie beispielsweise …also, die bleiben, auch wenn sie pragmatisch sind, Antiklimamaßnahmen, und man muss dann in dem Moment um so entschlossener sagen, o.k. wo sind die Möglichkeiten, wo wir einsparen können, wo wir reduzieren können, wo wir verzichten können, auf Energie verschwendet wird, z.B. in zu großen industriellen Prozessen, die wir nicht brauchen. Aber auch ganz besonders in der Regierung, was wir erleben, dass wir da, wo wir beispielweise Klimaschutzgesetzgebungsprozesse haben, um so mehr tun müssen. Und was wir gerade erlebt haben: die Regierung hat ihre Ziele verfehlt, sowohl im Bereich Bauen als auch im Bereich Verkehr, und ihre eigenen Klimaziele sind zu nbiedrig. Dann war sie angefordert, o.k. Zu sagen, wir mach jetzt Sofortprogramme, um das auszugleichen, um aufzuzeigen, wie können wir diese Klimaziele einhalten, und Volker Wissing hat es geschafft, ein Sofortprogramm für den Verkehrsbereich vorzulegen, der zwanzig mal mehr machen müsste, um tatsächlich  das auszureichen, also er schafft es 14 Millionen Tonnen CO2 einzusparen bis 2030, und er müsste über 260 Millionen einsparen.

Und der regierungseigene Expertenrat hat nach Schritt 1 der Prüfung 8 gebrochen, nur weil sie gesagt haben, dass es nicht mal im Ansatz ausreichen würde, was grad gemacht wird. Und das ist eine Regierungspolitik, die grad in Zeiten der Klimakrise, wie wir grad auch gesehen und immer wieder gehört haben, wirklich aufzeigt: wir können nicht den Kampf gegen die Klimakrise aufschieben, –  wo ich mich frage, was machen die Grünen gerade in der Regierung besser und wie können sie es noch verantworten, in dieser Regierung zu sein, wenn sie es nicht mal schaffen, einem der relevantesten Ministerien im Bereich Klima, dem Verkehrsminister da irgendwelche roten Linien aufzuzeigen. (Beifall)

(folgt MONA NEUBAUR ab 32:46 ich würde Ihnen zustimmen: der Verkehrsminister müsste seine Hausaufgaben machen … etc.)

47:23 REEMTSMA: Es ist nicht so, dass wir den Energiebedarf nicht aus den erneuerbaren Energien decken können, es gibt die Studien, es gibt die Technologien, die genau das aufzeigen, wie das funktioniert. Sowohl im Bereich der Gebäude, als auch im Bereich der Industrie, als auch (Plasberg: In welchem Jahr sind wir jetzt, Frau Reemtma?) – 2035. ( Marnette: Machen wir Frieden hier untereinander, ich lad Sie mal nach Hamburg ein, und dann gehen wir durch die Zahlen einverstanden?!). Nee, ich würd aber relativ gern mit Ihnen nochmal kurz über die Atomkraft sprechen (gerne!) – Sie sprechen von horrenden Energiepreisen und sagen: naja, unsere Antwort sollte mal jetzt der Atomstrom sein, und von der Klimakrise und unsere Antwort sollte die Kohle sein. Beides sind keine Antworten! Kohle bringt uns einfach mitten in die Klimakrise rein, das wissen wir alle, und das führt dazu, dass zum Beispiel dann die Pegel niedriger werden, was wieder die Versorgungssicherheit der Industrie gefährdet. Die Atomkraft ist die allerteuerste Art; Energie zu produzieren, wo selbst die großen Industriekonzerne sagen: die wollen das überhaupt nicht, wir wollen diese Kraftwerke loswerden, weil das die allerteuerste Art ist, Energie zu produzieren, die ist ungefähr 5mal so teuer pro Gigawattstunde  zu produzieren [??]  (Plasberg: darf ich Ihnen eine kleine Frage stellen? Die „Friday for Future“ weisen energisch auf Probleme hin, sagen aber „Lösungen muss die Politik bringen“, Politik braucht die Unterstützung von Menschen, das ist so in der Demokratie, Herr Putin braucht das nicht. Das ist asymmetrische Kriegsführung. Weil, der kann einfach anordnen, Frau Neubaur muss gewählt werden, muss wiedergewählt werden, muss sich die Legitimation abholen. Wenn Sie sagen, 2035 ist es soweit, was sagen Sie dann zum Beispiel – hatten wir letzte Woche – einer 80jährigen Frau, die sagt, sie hätte nie mehr darüber nachgedacht, Existenzangst zu haben, weil dsie hat n Krieg mitgemacht, sie hat Existenzangst, weil sie liest, Strom 1000% teurer, Vorauszahlungen erhöht, Gas auch, das sind Menschen, die wollen jetzt Antworten haben, niemand betwewifelt Ihre Ziele, aber ist es nicht etwas vermessen von Politik, so über die momentanen Erfordernisse hinwegzugehen?) 49:16

Reemtsma: Wenn wir Klimaschutz machen, dann müssen wir nicht über die momentanen Erfordernisse in der Preiskrise hinweggehen. Es gibt Instrumente, die Antworten auf beides sind, und das 9-Euro-Ticket ist das beste Beispiel, wo die Politik sich gerade aktiv dagegen entscheidet, eine soziale Entlastungsmaßnahme auslaufen zu lassen ohne Nachfolger, die Menschen hilft kein Klimaschutz und direkt Entlastung bietet. Und das ist ein Beispiel, das zeigt, wie verantwortungslos Regierung, wenn beide Sache zusammenkommen, ist, wo klar ist, wir können nicht die eine oder die andere aufschieben. Wir können die Klimakrise nicht aufschieben, das zeigt dieser Sommer mit seiner gesamten Realität. Und natürlich können wir die Existenzängste von Bürgerinnen und Bürgern, die sich fragen, wie kann ich meine Heizkosten bezahlen, auch nicht aufschieben. 49:59

Dann darf die Antwort aber nicht sein: Milliarden an fossile Konzerne umzuverteilen, in Form von nem Tankrabatt, in Form von ner Gasumlage, in Form von nem Dienstwagenprivileg, anstatt beispielsweise Übergewinnsteuer einzuführen, 50:14

(Fortsetzung folgt)

Die vorhergehende ARD-Sendung „Die große Dürre“ ist ebenfalls in der Mediathek abrufbar: HIER

Deutschland bereitet sich auf Dürren vor, Bauern kämpfen gegen die Trockenheit, Notfallpläne werden erarbeitet. Wie lange reicht unser Wasser noch? Dieser Frage geht Filmemacher Daniel Harrich gemeinsam mit einem Forscherteam nach.

31.08.22 Solingen-Ohligs / Heute Nacht, als ich aufwachte, habe ich dem Regen zugehört. Keine Musik konnte schöner sein.

Zufall: am Abend des gleichen Tages las ich in der Süddeutschen einen Artikel, den ich hilfreich fand, obwohl er auf Anhieb nur leichtfertig wirkte:

Autor: Philipp Bovermann