Archiv für den Monat: Dezember 2017

Das Neue Jahr mit Mozart!

Die Süddeutsche Zeitung macht’s möglich bzw. nötig oder sogar notwendig: das dort besprochene Buch muss man (?) besitzen. Autor Laurenz Lütteken. Ich bin kein Mozartforscher, aber wenn ich die wichtigsten Menschen in meinem Leben aufzählen sollte, würde dieser Komponist zu den ersten fünf gehören. (Gewiss, darin folge ich Hildesheimer, der mir die Sinne dafür geöffnet hat und der selbst Shakespeare und Mozart an erster Stelle genannt hat.) Und ich habe nicht vergessen, wie mich Così fan tutte im Jahr 2004 begleitet hat, – angeleitet, über „Lug und Trug“ nachzudenken.

ZITAT Radiosendung 2002 WDR 3 (Skript)

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich gleich mit der Tür ins Haus fallen: das schönste, innigste und hintergründigste Drei-Minuten-Stück, das je geschrieben wurde, stammt von Mozart: ein Abschiedslied – man wird den Ruf „Addio“ hören, zwei Frauen und zwei Männer verabschieden sich voneinander, ein dritter ist Zeuge, die Frauen weinen und stammeln: „Ich sterbe. Schwöre, mir jeden Tag zu schreiben!“

1) Così fan tutte / Jacobs CD I Tr. 11 Di scrivermi 2’57“ [oben – weil auf youtube leichter erreichbar – in einer anderen Aufnahme als in der Radio-Sendung damals; enthält leider auch Werbung]

Das Traurige ist eigentlich nicht, dass diese Menschen, die sich lieben, Abschied voneinander nehmen müssen, – die Männer hier täuschen die Frauen, der Zeuge, der alles eingefädelt hat, meint: „ich platze gleich, wenn ich nicht lache“, und die nichtsahnend betrogenen Frauen werden sich bald trösten lassen. Wie ehrlich aber meint es die Musik in all ihrer Schönheit???

Wäre es nicht schöner, alles stimmte überein? Der Text, das Gefühl, der Mann, die Frau, die Situation, die Musik?

Es ist spät, das Dorf liegt im Dunkel und die Welt schweigt; der Bursche gibt der Geliebten das Geleit nach Haus und redet von seiner Liebe. „Solltest du meinetwegen Schwierigkeiten bekommen, dann ist es mir recht, wenn wir uns sofort trennen.“ So etwa spricht der Bursche. Aber nun das Mädchen — wie das schon angekündigt wird: „Spricht das Mägdelein, Mägdelein spricht“! Josef Wenzig ist der Dichter, Johannes Brahms der Komponist. Ja, und was sagt sie nun? Marmor, Stein und Eisen…NEIN! das nun grade nicht! Aber es ist wie ein Traum, – vergessen wir nur nicht: geträumt von den Herren Wenzig und Brahms!

2) 5046 920 1 Tr. 14 „Von ewiger Liebe“ Brigitte Fassbaender 4’25“

Brigitte Fassbaender sang, am Klavier Irwin Gage.

Was für ein Aufschwung! Kann man sich ewig, ewig auf dieser Höhe halten? Der junge Mann, so kleingläubig kann er nicht gewesen sein, wie er vorgab; er hat nur dies hören wollen! „Unsere Liebe muss ewig bestehn!“
Dann ist das Lied zuende. Und der Bursche geht überglücklich ins Dorf zurück. Oder? Was meinen Sie? Kommt ihm nicht irgendwann der Gedanke: Sie hat „muss“ gesagt, sie wünscht es sich und zwar mit aller Energie, – aber warum hat sie nicht „wird“ gesagt? „Unsere Liebe wird ewig, ewig bestehn!“ Sie ist sich also nicht ganz sicher? Eines Tages könnte sie sagen: ich habe es gewollt, habe es gehofft, aber das Leben hat es nicht zugelassen. Ich kannte dich ja kaum, – usw., was dann eben alles so gesagt wird.
Nein, das wollen wir nicht weiterspinnen. Gönnen wir uns diesen schönen Traum noch einmal. Aus paritätischen Gründen singt jetzt ein Mann.

3) Brahms op.43 Nr.1 (1864) „Von ewiger Liebe“ Dietrich Fischer-Dieskau 4’39“

Dunkel, wie dunkel in Wald und in Feld, Abend schon ist es, nun schweiget die Welt.
Nirgend noch Licht und nirgend noch Rauch, Ja, und die Lerche, sie schweiget nun auch.

Kommt aus dem Dorfe der Bursche heraus, Gibt das Geleit der Geliebten nach Haus,
Führt sie am Weidengebüsche vorbei, Redet so viel und so mancherlei:

„Leidest du Schmach und betrübest du dich, Leidest du Schmach von andern um mich,
Werde die Liebe getrennt so geschwind, Schnell wie wir früher vereiniget sind.“

Spricht das Mägdelein, Mägdelein spricht: „Unsere Liebe, sie trennet sich nicht!
Fest ist der Stahl und das Eisen gar sehr, Unsre Liebe ist fester noch mehr.

Eisen und Stahl, man schmiedet sie um, Unsere Liebe, wer wandelt sie um?
Eisen und Stahl, sie können zergehn, Unsere Liebe muß ewig bestehn!“

*** *** ***

Die WDR-Sendung von damals kann man im nachfolgenden Link weiterlesen, aber ich vergesse nicht: das war in meinem anderen Leben. 24.04.2002 – WDR 3 Musikpassagen 15.05 – 17.00 Uhr
Gespaltene Gefühle: Von Lug und Trug (und ewiger Liebe) / Lieder von Johannes Brahms und Hugo Wolf / Ausschnitte aus Così fan tutte von Wolfgang Amadeus Mozart / Aufnahmen des indischen Ragas Lalita mit dem Flötisten Hariprasad Chaurasia und dem Sänger Bhimsen Joshi  / Moderation: Jan Reichow / Skript der Sendung HIER.

In der SZ-Besprechung des neuen Mozartbuches schrieb Helmut Mauró u.a. über die Situation Mozarts, auch – und das ist ein sehr wichtiger Aspekt! – in steter Auseinandersetzung mit den Ideen seines Vaters:

Wie die Musik so aus ihrer untergeordneten Kunstrolle als unvollkommene Naturnachahmerin herausfand und sich über die bis dahin führende Malerei erhob, wie sie schließlich zur Leitkunst des 19. Jahrhunderts wurde, auch diesen Aspekt diskutiert Lütteken im Zusammenhang mit Mozart oder „den Mozarts“, wie man nach der Lektüre des Buches sagen muss.

Natürlich ging der Sohn dann viel weiter, richtete seine ganze Existenz auf ein neues Künstlerbild aus, riskierte viel und zwar nicht nur im Bezug auf die eigene materielle Existenz, sondern, und das ist vielleicht doch neu, auch im Bezug auf sein Werk selber. Auch Mozarts menschenfreundlicher und so lebensnaher Musik – selbst für die als Türken verkleideten Ehemänner in seiner „Così fan tutte“ gibt es einen realen Hintergrund – wurde in der Opera buffa auf einmal der schaurige Abgrund einer pragmatischen Realität. So mutig er in seinen Opern die Bedingungen des menschlichen Daseins und die soziopolitischen Bedingungen vorführt, indem er die Labilität moralischer Kategorien aufzeigt, so zielsicher demontiert er auch die eigenen Überzeugungen. Lütteken verweist auf die Schriften des Materialisten Julien Offray de La Mettrie, die in Wien damals kursierten – und verboten waren. Für Mettrie war die Seele keine göttliche Inspiration, sondern das Resultat komplexer Körperfunktionen.

Diese Haltung scheint in Mozarts Opere buffe nicht nur durch, er erweitert, etwa in „Così fan tutte“, das Spiel um Affekte und Erotik gegenüber dem Drama, das schon die Anlage eines radikalen Gesellschaftsexperiments aufweist, um eine entscheidende Komponente: Er stellt nun auch die von ihm geschaffene Musik selber auf die Probe. Er unterläuft die kalkulierte Wirkung auf das Publikum, vor allem durch eine neue harmonische Doppelbödigkeit, die eine einzige musikalische Wahrheit unmöglich macht. Im Moment der größten Wirkung seiner Komposition muss Mozart erkennen, dass seine Musik „keine wahre Seele mehr hat“. Da ist auch die aufklärerische Vernunft bestenfalls nur ein Notanker. Lütteken zitiert einen Brief Mozarts an seine Frau aus dieser Zeit: „Es ist alles kalt für mich – eiskalt. Ja wenn du bei mir wärest, da würde ich vielleicht an dem artigen Betragen der Leute gegen mich mehr Vergnügen finden, – so ist es aber so leer.“

Quelle Süddeutsche Zeitung 27. Dezember 2017 Seite 12 So kalt, so leer Leopolds Meisterschüler – Laurenz Lütteken zeigt Mozarts aufklärerischen Ehrgeiz und sein tragisch-logisches Ende / Von Helmut Mauró

Zu Julien Offray de La Mettrie siehe auch den ZEIT-Artikel von Rudolf Walther: Weder Gott noch Zufall / Das wilde Denken des Julien Offray de La Mettrie / aufzufinden Hier

Die abschließenden Sätze des SZ-Artikels geben wohl eher die Assoziationen des Journalisten als die des Mozartforschers wieder, sind aber durchaus nachzuvollziehen:

Man kann nicht umhin, zu denken, Mozart habe durch sein eigenes Werk psychisch-metaphysischen Selbstmord begangen; der körperliche Zerfall und frühe Tod wären dann nur logische Folge, also Symptome. Lütteken sagt das nicht, aber seine Darstellung erklärt so viel von der tiefen Traurigkeit, die den Komponisten Mozart in einer kalten Dezembernacht aus der Welt hinaustrieb.

Das heißt auch: es gibt in Sachen Mozart nur den Weg, sich auf denselben Wissensstand zu bringen, der durch das neue Buch umrissen ist.

Vielleicht handelt es sich um eine ähnliche Aporie, wie sie sich am Ende des Bachschen Lebensweges einstellte. Man findet sie in dem Buch von Peter Schleuning über die „Kunst der Fuge“ zumindest angedeutet: selbst der vollkommenste Komponist muss gerade an dem Denkrahmen scheitern, dessen Belastungsfähigkeit er bis zum äußersten ausgetestet hatte. Darüberhinaus gibt es nichts. NICHTS.

P.S.

Zweifellos bin ich gestern am Ende übers Ziel hinausgeschossen. Ein Grund mehr, das Buch selbst zu studieren. Oder einstweilen noch die Rezension von Peter Gülke einzubeziehen und zu überdenken: Hier.

Zumal, wenn man sich hier befindet:

Langeoog 29 Dezember 2017 Langeoog (Foto E.Reichow)

„Weltmusik“ der Sängerknaben

Oder: Kitsch und Fake?

Eine Sendung, die man studieren sollte
Der Werbetext:
Die Wiener Sängerknaben: Wege in die Ferne
Die Wiener Sängerknaben sind einer der ältesten Knabenchöre der Welt und wohl der mobilste. Als Gründer gilt Kaiser Maximilian I. Das Kofferpacken gehörte für die kaiserliche Kapelle zum Alltag, die Musiker folgten ihrem Dienstherrn quer durch Europa. Und auch heute sind die Knaben zehn bis zwölf Wochen im Jahr auf Tournee. „Es war immer schon üblich, Musik unserer Gastländer zu singen“, so Gerald Wirth, künstlerischer Leiter. „Wir suchen nach interessanter Musik mit guten Texten, die den Knabenstimmen entsprechen.“
Ausgangspunkt für diesen Film war ein Weltmusikprojekt des Chores mit Liedern von der alten Seidenstraße. Regisseur Curt Faudon begleitete die Wiener Sängerknaben über drei Monate lang auf ihren Auslandstourneen in die USA, Japan, Korea und Australien und erzählt in farbenprächtigen Bildern von Begegnungen mit Musikern und Kindern entlang der Seidenstraße in Usbekistan, Shanxi, Xinjiang und Gansu.
Curt Faudon zeigt die Wiener Sängerknaben während ihrer Ausbildung im Palais Augarten und zeigt die anstrengende Arbeit, aber auch die Abenteuer während der aufwändigen Dreharbeiten zu den Liedern entlang der Seidenstraße. Man lernt viele kleine Persönlichkeiten kennen, die bereits genaue Vorstellungen von ihrer Zukunft haben.
Dokument über Leben, Arbeit und Träume des Chores

Curt Faudon lässt die Knaben auch in historische Kostüme schlüpfen, um Geschichten aus der Vergangenheit des Chores nachzustellen. Die jungen Sänger zeigen die große Bandbreite ihres Könnens – von der Zeit der Motetten bis hin zur Moderne, von der westeuropäischen Musik bis hin zu den Liedern der Seidenstraße, die aus Feldforschungen verschiedener Musikethnologen von 1911 bis heute stammen. Die Lieder werden von Originalinstrumenten begleitet und in Originalsprache gesungen. 

Der Film ist ein einzigartiges Dokument über das Leben, die Arbeit und die Träume der Wiener Sängerknaben, eine Mischung aus Dokumentation, Musik und Kostümfilm.
Entstanden ist ein prächtiger Bilderbogen, der rund um den Globus bis in den äußersten Winkel der chinesischen Wüste entführt und der von der Gegenwart bis in das 15. Jahrhundert reicht.

***

Regie: Curt M. Faudon siehe Wikipedia hier.

Er lebt seit 1979 in Manhattan, New York und produziert Spielfilme und Dokumentationen vorwiegend für den ORF sowie Werbefilme für multinationale Unternehmen.

Wiener Screenshot 2017-12-26 11.08.03 Abwarten… inzwischen im Netz… siehe oben… aber nur noch zwei Tage… ein Film u.U. mit abschreckender Wirkung… alle Klischees der sogenannten Weltmusik sind erfüllt. Nie und nimmer war ein einziger Musikethnologe verantwortlich beteiligt. Ein Werbefilm nach amerikanischen Mustern, unglaubwürdig in allen Details, übrigens auch in der Behandlung der klassischen Musik. Natürlich – großartige Bilder, eindrucksvolle (bevorzugt exotistische) Portraits, wie eben in Werbebroschüren, aber sobald Musik ins Spiel kommt, wenn jemand singt, erzählt, kommentiert, wirkt es aufgesetzt, dahergefabelt, einstudiert, inszeniert, verlogen. Nicht zwei Minuten authentischer Musik der asiatischen Regionen, nur Staatsmusik. Alles Staffage für eine Weltmusik-Operette. Man kann es nicht milder sagen…

Rückblick und Ausblick

Soweit ich denken kann…

Es hat mich begeistert, als wir in der Grundschule – „viel zu früh“, sagte mein Vater – den Neandertaler durchnahmen. Aber schon begann ich heimlich seinen Bücherschrank zu durchforsten, bis ich ein Werk über Frühgeschichte fand. Und an den Hängen des Teutoburger Waldes suchte ich fortan nach Faustkeilen. Bei meinem Onkel „Am Alten Saupark“ in Misburg hatte ich in den Ferien schon ein Buch von Bruno Bürgel über den Kosmos entdeckt und mit Feuereifer durchgeblättert. Spät abends betrachteten wir den Sternenhimmel, und ich schwadronierte wie ein Kenner. Das sollten ja nun auch meine Rahmenbedingungen sein! Und eines Tages lag ein Buch im Schaufenster bei Velhagen & Klasing, das mich extrem faszinierte, weil es Allumfassendes versprach: „Weltall und Urwelt“. Ich bekam es nie, aber das Titelbild grub sich in mein Gedächtnis; jetzt habe ich es im Internet wiedergefunden. Es kostet fast nichts, nur der Zeitpunkt ist falsch. Und das Wort „kurzweilig“ ist mir damals nicht aufgefallen, es hätte mich empfindlich gestört. Mir war es durchaus ernst! Und die wirklichen Rahmenbedingungen sehe ich heute bei Kant (siehe hier).

Steinzeit Kunst Steinzeit Kunst rück HEUTE

Weltall und Urwelt Screenshot 2017-12-26 18.31.14 VOR 60 JAHREN

EDITORIAL zu NATUR 1/18 von Sebastian Jutzi

Seit Homo sapiens gen Himmel blickt, haben sich zumindest einige Vertreter seiner Art schon immer gefragt, was da oben sein mag. Mangels technischer Möglichkeiten musste die Antwort auf diese Frage zunächst ein Mysterium bleiben. Also bevölkerte der Mensch den gewaltigen Raum, den er da sah, mit allerlei Wesen wie Göttern und Dämonen. Das hat sich in den vergangenen Jahrhunderten grundlegend geändert. Mit immer leistungsfähigerer Technik erkunden Forscher den Weltraum und entreißen ihm zusehends seine Geheimnisse. Noch sind nicht alle Rätsel gelöst. Das größte: Gibt es Leben außerhalb der Erde? Wenn das Universum tatsächlich etwa eine Billion Galaxien beherbergt, wie Forscher im vergangenen Jahr errechnet haben, dann ist die Zahl der Sterne noch viel größer, die der Planeten erst recht. Das alles übersteigt zwar die menschliche Vorstellungskraft, führt aber gleichzeitig vor Augen: Die Wahrscheinlichkeit, dass sich irgendwo dort draußen Leben entwickelt hat, ist sehr hoch. Sogar ganz in unserer astronomischen Nähe könnten Lebewesen existieren, zum Beispiel auf den Monden des Jupiter oder des Saturn. Die Voraussetzungen dort sind, nach derzeitigem Wissensstand, nicht schlecht. Vielleicht werden wir noch erleben, dass Raumsonden Spuren von Leben dort finden. Das wäre eine weitere fundamentale Veränderung in unserem Wissen und würde auch das Selbstbild des Menschen verändern.

Viel näher liegt dagegen ein anderes, ebenfalls schwer zu knackendes Rätsel: Der Klimawandel findet statt und dennoch wollen oder können wir nicht begreifen, dass er eine ernste Bedrohung darstellt. Durch unser eigenes, unvernünftiges Verhalten schlittern wir in eine gewaltige Misere. Auch diese Erkenntnis könnte dazu verhelfen, unser Selbstbild zurechtzurücken. Jedenfalls stehen damit das evolutionäre Modell Mensch und vor allem die derzeitige, sogenannte westliche Zivilisation wieder einmal vor einer entscheidenden Prüfung.

Wie die Entwicklung weitergeht, ist noch offen. Sicher ist dagegen, dass sie nur im Rahmen der Bahnen verlaufen kann, die die Naturgesetze vorgeben. Geht man davon aus, dass letztere überall im Universum gelten, wäre dann leider nicht unwahrscheinlich, das sich Ähnliches noch anderswo im Weltall abspielt. Entgegen vieler Fantasien, die sich in Science-Fiction-Geschichten niederschlagen, wären außerirdische Zivilisationen unserer dann erstaunlich ähnlich. Das wäre eine wahlweise faszinierende, groteske oder auch traurige Verbindung zwischen uns und dem Kosmos. Vorerst bliebt das ein vage Vision und der Blick zum Himmel darf, irdischen Malaisen zum Trotz, weiterhin zum Rätseln und Träumen einladen.

Text: ©Sebastian Jutzi / siehe auch hier /Abdruck im Blog mit freundlicher Erlaubnis.

Natur Jahreswechselheft

Nachtrag 9. Januar 2018

Wie groß ist unser Sonnensystem? Sehr eindrucksvoll finde ich immer noch die Verdeutlichung von Bill Bryson („Eine kurze Geschichte von fast allem“ Goldmann München 2004 / Seite 39f):

Die Entfernungen sind sogar so groß, dass es unter praktischen Gesichtspunkten völlig unmöglich ist, das Sonnensystem maßstabsgerecht zu zeichnen. Selbst wenn man in Lehrbücher viele Seiten zum Ausklappen einfügen oder ein wirklich langes Stück Plakatpapier verwenden würde, käme man nicht einmal annähernd zurecht. In einer maßstabsgerechten Schemazeichnung des Sonnensystems, in der die Erde ungefähr den Durchmesser einer Erbse hat, wäre der Jupiter mehr als 300 Meter entfernt, und den Pluto würden wir erst nach zweieinhalb Kilometern finden (außerdem hätte er ungefähr die Größe einer Bakterienzelle, das heißt, man könnte ihn ohnehin nicht sehen). Proxima Centauri, unser nächstgelegener Fixstern, wäre im gleichen Maßstab mehr als 15000 Kilometer entfernt. Und selbst wenn man alles so weit verkleinert, dass der Jupiter so groß wie der Punkt am Ende dieses Satzes und der Pluto nicht größer als ein Molekül, wäre Pluto immer noch mehr als 100 Meter von uns entfernt.

Das Sonnensystem ist also wirklich riesengroß. Wenn wir den Pluto erreichen, sind wir von der Sonne- unserer geliebten, warmen, bräunenden, Leben spendenden Sonne – so weit entfernt, dass sie auf die Größe eines Stecknadelkopfes geschrumpft ist. Eigentlich ist sie dann nur noch ein heller Stern. Angesichts einer derart einsamen Leere versteht man besser, wie selbst die bedeutendsten Objekte – beispielsweise der Plutomond – der Aufmerksamkeit so lange entgehen konnten. (…)

An eines müssen wir dabei natürlich immer denken: Wenn wir das Universum als Ganzes betrachten, wissen wir eigentlich noch nicht einmal, was alles zu unserem eigenen Sonnensystem gehört.

(Fortsetzung folgt)

Am 29.12.2017 antwortete der Astrophysiker Hermann Nicolai im Berliner Tagesspiegel auf die folgende Frage des Journalisten:

Also nix mit der Menschheit als Krone und Zentrum der Schöpfung?

Wir sind so unvorstellbar unbedeutend, wie das Universum unvorstellbar groß ist. Die Voyager-Sonde, die 1977 gestartet ist, fliegt mit 17 000 Metern pro Sekunde durchs All und ist jetzt nach 40 Jahren gerade mal am Rande des Sonnensystems. Der nächste Stern von uns ist Alpha Centauri, vier Lichtjahre entfernt, im kosmischen Maßstab also ein Katzensprung. Mit jeder realistisch denkbaren Technologie braucht man dahin mindestens 30 000 Jahre. Und wir haben hier auf der Erde auch völlig falsche Vorstellungen davon, welche Materie im All dominiert. 74 Prozent der sichtbaren Materie im Kosmos – die dunkle lassen wir jetzt mal beiseite – ist Wasserstoff und 24 Prozent Helium. Die schwereren Elemente, die wir hier auf der Erde überwiegend vorfinden und aus denen wir bestehen, kommen von den restlichen zwei Prozent. Aber alles das wird von der Dunklen Materie überwältigt, von der es fünfmal so viel wie sichtbare Materie gibt.

Quelle hier

Das Glück der Unruhe

So nenne ich es mal und halte fest, wie es heute morgen zustandegekommen ist: durch inspirierende Radiosendungen zwischen 9 und 10 Uhr, sowie durch die Möglichkeit, eine davon perfekt nachzuarbeiten, oder besser: auszubauen.  Durch Wiederholung und inhaltliche Verbindungen. Im Falle einer Abrufmöglichkeit in der Mediathek war ich bereit, sie Wort für Wort abzuschreiben, wenn nicht heute, dann morgen oder übermorgen. Und dann finde ich den gesamten Text schriftlich im Angebot des Senders. DLF. Übrigens ein Fall, in dem der Moderator dem interviewten Gast gewachsen ist.

„Kultur ist der Raum der Unruhe“, sagt der Kieler Philosoph Ralf Konersmann und stellt dies in seiner Monografie „Die Unruhe der Welt“ und dem aktuellen „Wörterbuch der Unruhe“ unter Beweis. Wer denkt, ist keinesfalls gelassen, sondern wird von rastloser Neugier getrieben. –

 Ralf Konersmann im Gespräch mit Florian Felix Weyh (oder umgekehrt).

Auffindbar im DLF: HIER !!!

Konersmann Unruhe Buch 2015

Konersmann Kultur 2003

Im übrigen lese ich ein Buch, das nie in meine Hände gelangt wäre, obwohl (oder weil) ich den Autor in meiner WDR-Zeit eigentlich kennengelernt haben müsste. Das war nicht der Fall. Die Wortabteilungen bedeuteten immer Gefahr für die Musikstrecken. (Oh, wie sich meine Fingern krümmen, das Wort „strecken“ mit Musik zu verbinden!) Ein Vorweihnachtsgeschenk meiner Tochter, die das Buch auch selbst besitzt und liest. Also ist es gut.

Wiebicke nervöses Land

Er beginnt seine Wanderung bei Mary Bauermeister und lässt mich nun auch deren Buch, an das ich mich mit einer Mischung aus Faszination und Grauen erinnere, aufs neue ins Auge fassen:

Bauermeister Stockhausen

Und noch eins, worüber ich mich freue: Post aus Luxembourg. So schön gedruckt habe ich noch nie einen eigenen Text gesehen.

Luxembourg AußenLuxembourg Text 0Luxembourg Text 1Luxembourg Text 2Luxembourg Text 3Luxembourg Text 4Luxembourg Text 4a

Düstere Pracht am Wipperkotten 24.12.2017

Wipperkotten Wasserfall+ 171224 Panorama, bitte anklicken!

Rosen am Wipperkotten 171224

(Fotos E.Reichow)

Wie die alte Eiche starb

In der Nacht vom 20. auf den 21. Dezember 2017

Eiche Frühjahr 1989 a Eiche Doppelbild Frühjahr 1989 b April 1989

Eiche 140414 Eiche 140419 18Uhr51

Oben: Am 19. April 2014 abends 18:51

Reh im Garten 141011Okt 2014 Eiche Juli 2017Juni 2016

Eiche Juni 2016Juli 2017

Vor dem Bau der Häuser wurde der Abhang aufgeschüttet, viele Bäume mussten weichen: nur diese alte Eiche haben wir 1976, als wir hier einzogen, wieder ausgraben lassen; sie wurde mit einem Mantel aus Kies umgeben und konnte über abwärts eingelagerte Plastikrohre im Wurzelbereich bewässert werden. 1989 wollte ich den Garten erneuern, habe alles umgegraben und geglättet. An den Abhang und im Tal hatte ich im Lauf der Zeit an die hundert Bäume gepflanzt (Hainbuchen, Ahorn, Kastanie, Erlen). Aus einem Schmuckgarten wurde nichts, die Wildnis breitete sich aus, wie der Efeu an der Eiche, – ein Vogelparadies. Immer noch grünten einige starke Äste, es regnete sogar noch Eicheln. Bis nun dieser Tag kam, diese Nacht… Dort wo der schwere, efeubepackte Stamm mit großem Gekrache niedergegangen ist, war ich tagtäglich zum Kompost gegangen, dort wo man noch bis vorgestern die Steinplatten von 1989 liegen sah, habe ich im Sommer -zig Schubkarren mit Erde hinuntertransportiert und am steilen Hang abgekippt. Heftige Stürme sind durch die Eiche gebraust, ohne nennenswerten Schaden anzurichten. Vor kurzem noch: der schwere Schnee.

Eiche + Schnee 171210 Eiche, Lampe, Schnee 171210

Und nun dies. Wie die Nachbarn sagten, wohl in zwei Schüben, der erste um 1.15 Uhr, von kleineren Bäumen etwas aufgefangen, gegen 3.15 Uhr der zweite, der auch den Rest niederbrach.

Eiche der Länge nach 171222

Eiche am Boden b

Eiche Bruchstelle b

Die morsche Bruchstelle. Die Wurzeln sind natürlich nicht die der Eiche, denn die befinden sich in drei Meter Tiefe; man sieht nur die des Efeus.

Bilder der Seele

Anbetung

Ich habe Pech: meine Seele entwickelt fortwährend Widerstände. Zumal wenn ich zur Weihnachtszeit die ZEIT lese, die mich ganz offensichtlich auf den Weg der freien Entscheidung führen will. Aber doch die Suggestiv-Frage stellt (als gehe es nur um den Wohnsitz der Seele):

ZEIT Titel Seele Dez 2017

Und gleich darunter: „Muss die Kirche immer voll sein?“ Ein Pro und Contra zu einer nicht nur spirituellen Frage. –  Ein Satz von Evelyn Finger (contra) bleibt mir in Erinnerung: „Alle, die je aus Glaubensgründen gehasst wurden, wissen, dass sie mit weniger Frömmigkeit sicherer leben. Das belegt auch eine aktuelle Studie der deutschen Kirchen zur Religionsfreiheit: Diese ist ein rares Gut – und in frommeren Regionen unbekannt.“

Und dann hake ich mich fest auf der Seite „Glauben & Zweifeln“, einer Rubrik, die selber die Dichotomie festschreibt. Nein, das gilt wiederum nicht für mich, wenn das Zeichen & besagt, dass beide Begriffe zusammengehören. Es ist das Gemälde, das mich innehalten lässt, nicht nur das farbige Bild vielleicht, sondern auch die Idee, es mit Einzel-Stichworten zu umrahmen: Der Monfort-Altar – Der Maler – Die Details – Die Szene – Die Hände – Die Augen – Die Gaben – Die Farben.

ZEIT Goes Weihnachten 2017

Zu allererst die Bemerkung, dass auf der ZEIT im Querformat das Gemälde von Hugo van der Goes sich tatsächlich im ORIGINALformat wiedergeben lässt. Dann die Sache mit den Farben:

Als van der Goes lebte, konnte man noch keine Farben künstlich herstellen. Rot wurde aus einer Art Schildlaus gewonnen, Blau aus zerriebenem Lapislazuli. Die hier verwendeten Farben kosteten ein Vermögen. Hinter Josef erhebt sich eine seltene blaue Schwertlilie. Sie ist ein Sinnbild der Reinheit Marias.

Seltsam, ich dachte – die Lilie! Aber schon vorher las ich: „Die Akelei ist Symbol der Jungfrau Maria und der Anbetung Gottes.“ Gleich beides? Und dann: die AUGEN!

Alle Blicke treffen das Jesuskind. Trotz seiner Nacktheit und des nur zarten Strahlenkranzes [Ich sehe ihn ausschließlich bei Maria!] herrscht es über die mit Tuch und Pelzmützen, also mit den Zeichen von Macht und Reichtum ausgestatteten Männer. Der Blick des Kindes richtet sich auf uns, die Betrachter.

Stimmt das denn? Es schaut neben mich, weiter unten, ich könnte auch behaupten: weiter vorn, auf  das glänzende Goldgefäß. Und schaut etwa Josef auf das Jesuskind? Nein, er schaut nach rechts, an dem dunkelhäutigen König vorbei, als nahe aus dem Hintergrund ein vierter König, dem er das Gefäß zeigen möchte, auf das seine linke Hand weist. Und auf ihn, nicht auf das Jesuskind, schauen auch die anderen zwei Könige.  Ich verstehe: Offenbar gehöre ich nicht zu den Menschen guten Willens, den wahrhaft gläubigen Bildbetrachtern. Aber ich kann nicht davon ablassen, es zu betrachten. Ich lade mir die Wikipedia-Wiedergabe hier in den Beitrag (bitte zum Vergrößern anklicken):

Hugo_van_der_Goes_-_The_Adoration_of_the_Kings_(Monforte_Altar)_-_Google_Art_Project Hugo van der Goes (um 1470)

Wohnt hier vielleicht die Seele? Ich liebe die kleinen Darstellungen des Lebens im Hintergrund, auch die Schwertlilie und die Akelei. Und vieles andere. Oder wohnt sie eher auf dem Titelbild der ZEIT, das mir kitschig erscheint (aber auch von einem alten Meister stammt). Ich soll ins ZEITMAGAZIN schauen. Wenn es von Sabine Rückert geschrieben ist, lese ich es sehr gern:

Die Seele ist der letzte unverwechselbare und unverfügbare Kern eines Menschen. Die Wissenschaft versucht die Seele als biochemischen Vorgang im Gehirn und Körper (weg-) zu definieren. Google und Facebook bemühen sich, die Seele des Einzelnen durch Dauerbeobachtung all seiner Regungen zu durchschauen und zu erfassen. Damit wird aber nicht klar, was die Seele ist. Jeder Mensch trägt von seinem innersten Wesen nur einen Bruchteil nach außen. Wir zeigen unsere Individualität, unsere Unteilbarkeit, besonders dort, wo wie sie (mit)teilen: in der Liebe. In ihr äußert sich die Seele. In Beziehungen, lebendigen, guten, starken, ehrlichen Beziehungen, wird die Seele erkennbar. Anderen helfen, anderen etwas bringen, nicht nur für sich selbst da sein, das ist nach christlicher Vorstellung der Sinn des Lebens und gut für die Seele. Denn sie ist etwas, das von sich selbst weiter aufs Ganze verweist und das ein Zeichen der Dankbarkeit ist für den geschenkten Lebenshauch.

Und wo wohnt die Seele? An vielen Orten. „Es waren die Augen“, beschreibt der Schriftsteller Jack London einen Mann, „die die Seele unter tausend Verhüllungen verbargen und die sich mitunter, bei seltenen Gelegenheiten, öffneten und ihr erlaubten, hervorzustürzen, als wolle sie sich nackt und bloß auf ein wundervolles Abenteuer in die Welt begeben.“

Quelle: ZEIT MAGAZIN 20. Dezember 2017 Was ist die Seele? / Seite 20 „Vom Wesen der Seele“ (Sabine Rückert)

Das ist wunderschön gesagt, aber dann wird es weiter und weiter gefasst: im Gesicht, wie du lachst, wie du redest oder schaust, wie jemand geht oder die Brille hochschiebt. Vergangenheit, Kindheit, Eltern usw. usw.

Dann glaube ich am Ende doch lieber gar nichts mehr, und kehre glücklich zur Philosophie zurück, bzw. glaube lieber mit Immanuel Kant, dass wir über die Seele keine sichere Erkenntnis gewinnen können, weil wir aus der Tatsache, dass wir denken, nicht auf ein „denkendes Ding“ schließen können, also auf eine eigenständige Substanz.

Der traditionelle Seelenbegriff verlor seine Bedeutung, und an seine Stelle traten schließlich Bewusstsein und Selbst. Zugleich hat die moderne Philosophie den Dualismus von Descartes [Körper und Seele] grundlegend erschüttert. Nur noch wenige Denker glauben heute, dass Geist und Körper wesensverschiedene Substanzen sind, die unabhängig voneinander existieren können. Damit ist aber der Vorstellung einer immateriellen Seele der Boden entzogen. Die moderne Neurobiologie schließlich hat unsere Seelenvorstellungen ein weiteres Mal grundlegend verändert. Aus ihrer Sicht brauchen wir die Vorstellung einer immateriellen Seele schlicht nicht, um geistige und psychische Vorgänge zu erklären. Wir sind demnach nichts anderes als unser Gehirn.

Quelle Thomas Vašek: Philosophie! die 101 wichtigsten Fragen / Theiss/ Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2017 / Artikel SEELE Seite 53

Der Körper ist das beste Bild der Seele.

Ludwig Wittgenstein / Philosophische Untersuchungen, 1953

Immer wieder Mozart

Mozart A-dur Mozart A-dur alt

Zwei Ausgaben der Mozart-Sonaten: die eine im Henle Verlag, München 1977, die andere im Peters Verlag Leipzig, aus der Übe-Epoche meines Vaters, sagen wir ca.1920.

Mir scheint der für die Interpretation entscheidende Punkt in der Ausführung der Sforzati zu liegen. Sie stehen im Notentext, und wenn er nicht vollständig im Original vorliegt, so ist es doch kaum denkbar, dass sie der Willkür eines Bearbeiters zu verdanken sind. Aber wie erklären wir uns (oder dem Schüler) den Akzent auf dem schwachen Taktteil in Takt 4 und in Takt 7 ? Jeder rühmt das Thema, aber niemand sagt uns, was diese scheinbar sinnlose Hervorhebung zu bedeuten hat. Es ist leicht gesagt, dass die eigentliche Betonung auf dem darauf folgenden Akkord liegt – hervorgehoben gerade durch das plötzliche Piano. Nach der „voreiligen“ Betonung am „falschen“ Ort.

Gibt vielleicht das dreimalige Sforzato im zweiten Teil, in Takt 11 und 12, rückwirkend Aufschluss?

Mozart Sforzato

Angesichts der Weichheit des Themas in den ersten Takten ist die Hartnäckigkeit in diesen Takten erstaunlich, die Insistenz auf dem Melodieton e“ und die Rückkehr zur weiblichen Endung der ersten Zeile, nebst Wiederkehr (Reprise) des Anfangsmotivs; die Rückkehr mittels eines starken Mittels, der Zwischendominante in Gestalt des Leitetones dis‘. Was war geschehen? Zum ersten Mal war am Anfang des zweiten Teiles die Subdominante aufgetaucht, der D-dur-Akkord in Takt 9. In seinem Gefolge zugleich die Vorwegnahme des abschließenden (definitiven) Aufstiegs der Melodie zum hohen a“ in Takt 17.

Mozart A-dur Detail a  Takt 17f:  Mozart A-dur Detail bb

Man vergleiche einmal (es weihnachtet gerade) das vielgerühmte Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“ mit der Mozart-Melodie, um den Riesen-Abstand zu ermessen, besonders zum schwächlich wiederholenden, quasi aufzählenden Charakter des Liedes, der im Fortgang zu einer bedeutender Überbietungsemphase zwingt: Unmittelbar nach der wiederum repetierenden Melodiephrase „nur das traute hochheilige Paar / holder Knabe im lockigen Haar“, die von ferne an die Mozart-Takte 9-11 erinnern.

Die folgende Stelle in der Variation II

Mozart A-dur crescendo

entspricht genau der oben schon wiedergegebenen Stelle des Themas:

Mozart Sforzato

Und so wird der latente Sinn der sforzato-Takte offenbar. Als eine dynamische Steigerung, deren Ziel als piano (statt forte) völlig zurückgenommen wird: es ist zu delikat, um damit herauszuplatzen: wie ein Geheimnis, das man versehentlich beinahe laut ausgeplaudert hätte. Was ist das Geheimnis? Die Rückkehr zum unbegreiflichen Grazioso-Thema.

Ein entscheidender Punkt bei der Charakteristik dieses Themas und der ganzen 18taktigen Ausformung: die Quinte des Grundtons, der „schwebende“ Ton E wird unentwegt angeschlagen – die einzigen Akkordanschläge auf denen er vollständig fehlt, sind die Sforzato-Anschläge auf dem schwachen Taktteil in Takt 7 und Takt 15, sowie in Takt 17 – und in Takt 18, hier ausgerechnet auf dem Schlussakkord (!). Bemerkenswert, dass der Ton in Takt 4 (an der Stelle, wo er an sich homolog zu den anderen Sforzato-Akkorden des Satzes fehlen dürfte) doch „noch“ präsent bleibt in Gestalt des Vorhaltes. Der aufmerksame Notenlesen wird allerdings auch bemerkt haben, dass ich zwei Stellen übergangen habe, an denen der Ton E ebenfalls fehlt, nämlich im Subdominant-Einsatz Takt Takt 5 und 6, und wie zum Ausgleich folgen in Takt 7 und 8 die drei Sforzati auf dem insistierenden E der Oberstimme. (Für mich ist der Ton E in diesem Thema ein Glockenton.)

Sachdienliche Ausflüge:

Neues vom Henle-Verlag (in den Noten zu vermerken!) Hier
und HIER

Ich kann nicht sagen, dass ich die klingende Musik in diesen Beispielen freudig akzeptiere. Gulda benutzt zweifellos eine alte Ausgabe und ebnet den Unterschied zwischen Sforzato und Piano ein. Ich finde nicht, dass man sich seine Auffassung zueigen machen darf (obwohl ich eine unvergessliche Wiedergabe der Sonate von ihm im WDR Sendesaal miterlebt habe). Andererseits möchte ich auch die vorgeschlagenen neuen Lesarten im folgenden „Henle-Gespräch“ nicht durchweg akzeptieren.*

*plausibel in der Variation 5 (Takt 5 und 6), auch im Menuett (Takt 3 und 33), inakzeptabel aber in Takt 23 ff (muss meines Erachtens a-moll bleiben bis zur Rückleitung nach A-dur in Takt 30).

Musik in politischen Visionen

Neues für meine Sammlung

Ich glaube, es war in den 80er Jahren, als ich mal begonnen habe, alle Fotos, Verse und Karikaturen zu sammeln, in denen Geigenspieler oder Geigen eine Rolle spielten. Es durfte auch eine Viola sein, zumal in der Wendezeit, als durch den ehemaligen Bratschisten Lothar de Maizière reiche Ernte winkte. Mich interessierten in anderem Zusammenhang aber auch Sujets, auf denen zu erkennen war, dass die musizierenden Menschen gar keine Ahnung hatten von den Instrumenten, die sie in Händen hielten. Besonders attraktive Beispiele gab es aus der Modebranche, etwa die in ahnungslosen Händen einer Ohrschmuckträgerin. Ich habe das Sammeln aufgegeben, erst als ich jetzt eine Geige im Handelsblatt sah, war ich wieder fokussiert. Es wird um die Stradivari-Preise gehen, – so mein erster Gedanke. Es ging jedoch wieder einmal um die Redensart, wer denn „die erste Geige spielt“, – fast so beliebt wie die Wendung, wer wohl „die Kuh vom Eis holen“ wird.

Geigenspiel in Politik

Die Kanzlerin besitzt also nur eine erste Geige, vielleicht die ihrer frühen Kindheit, aber ein anderer darf darauf ein Werk interpretieren, das allerdings von ihr dirigiert wird. Ob es ihr bekannt ist, steht nicht zur Debatte.

Und während alle Welt selbstkomponierte Lieder singt, bewegt der Finanzminister nur die Lippen zu einer Melodie, die von anderen geschaffen wurde, vielleicht sogar mit Text. Für die bloße Melodie würde allerdings ein halbgeöffneter Mund genügen, ohne Lippeneinsatz. – Der Schöpfer dieser visionären Bilderwelt ist der Herausgeber des Handelsblattes selbst, Gabor Steingart („Morning Briefing“ 19.12.2017).

Willkommener Anlass für einen Blick in meine Geigen-Sammlung:

Mode Geige Ohrenschmuck

Der Bogen als Säge

Maizière Säge 1 Peter Muzeniek SZ 24.Juli 1990

Maizière Säge 2Gabor Benedek  „Eulenspiegel“ Nr.19/1990

Vielarmiger indischer Geigengott

Doppel Geiger (Foto: „Selbstauslöser“ 1974)

(Reinhard Goebel, der 1990 tatsächlich von der einen Seite auf die andere umsattelte.)

Zugabe 21.12.2017

Soeben wurde mir bekannt, dass Reinhard Goebel in seiner Funktion als Dirigent eines vielköpfigen Ensembles an meinem Geburtstag ein Telemann-Konzert in Berlin geleitet hat. Da ich zu dieser Zeit auf der holländischen Insel Texel weilte, konnte ich nicht eruieren, ob es mir gewidmet war oder vielmehr dem Komponisten zum 250. Todesjahr. Es klingt auf jeden Fall so lebendig, als gehöre es in unsere Zeit!

Kleiner Vorstoß zu Hegel

Phänomenologie des Geistes

Wie so oft. Früher schon durch Herbert Schnädelbachs schönes Buch, das verständlich macht, weshalb es ohne diesen hohen Abstraktheitsgrad nicht geht. (Was aber mir dann doch nicht half.) Und gerade auch am konkret fasslichen Herr-Knecht-Dualismus, der mir leicht zugänglich schien, bin ich gescheitert.

Jetzt aber plötzlich nahe gerückt, z.T. durch den Zugang über Wikipedia:

Hier Herrschaft und Knechtschaft

Hier Phänomenologie des Geistes

Dann aber vor allem durch den einen Artikel „Anerkennung“ im tollen und sehr empfehlenswerten Stichwort-Buch „Philosophie! die 101 wichtigsten Fragen“ von Thomas Vašek (Theiss/ Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2017). Seite 146:

Für Georg Wilhelm Hegel (1770-1831) braucht die Ausbildung des Selbstbewusstseins notwendig die Anerkennung durch ein anderes Selobstbewusstsein. In seiner „Phänomenologie des Geistes“ stellt er diesen Gedanken vor. Das Selbsbewusstsein ist dialektisch – es besteht aus zwei entgegengesetzten Komponenten: dem Herrn und dem Knecht. Der Herr ist dabei „für sich“, er gebnügt sich selbst und will diesen Zustand um jeden Preis erhalten. Der Knecht hingegen begehrt die Gegenstände der Sinnenwelt (zu denen der Herr keinen Zugang hat, weil er nicht körperlich arbeiten muss) und lebt in Furcht vor dem eigenen Tod. Vereinfacht könnte man sagen, der Herr steht für das absolute, der Knecht für das partielle, abhängige Selbst. Beide brauchen sich gegenseitig, da ihnen ohne den anderen etwas fehlt. Hegel beschreibt die Beziehung von Herr und Knecht als Prozess, stellenweise sogar als Kampf, in dem sich das Selbstbewusstsein in gegenseitiger Anerkennung der beiden Parteien formt.

Was in Bezug auf die Bildung des Selbstbewusstseins noch sehr abstrakt klingt, wird anschaulicher, wenn man es auf die zwischenmenschliche Ebene überträgt. Wie Johann Gottlieb Fichte (1762-1840) darlegt, muss der Einzelne seinen Totalitätsanspruch aufgeben, um in ein soziales Miteinander zu treten. Nur wer den anderen als gleichwertiges, selbstständiges Individuum anerkennt, wird bereit sein, sich moralisch zu verhalten. Somit ist die gegenseitige Anerkennung, die wir heute vielleicht eher als Respekt vor der Integrität des anderen beschreiben würden, die gesellschaftliche Basis, auf der Rechte, Gesetze und Normen entstehen können. Zwischen uns selbst und dem anderen vollzieht sich ein Wechselspiel. Wir können unser Gegenüber darum anerkennen und respektvoll behandeln, weil wir uns selbst in ihm erkennen und auch er uns als Person anerkennt. Ohne den anderen, den Gegenspieler, bleibt uns also auch ein Teil von uns selbst verborgen.

Und nun mit neuem Elan hinein in die „Phänomenologie“:

Hegel Herr und Knecht kl

Es ist nicht leichter geworden? Ich lese kreuz und quer, beobachte den wieder wachsenden Widerstand, werde milder gestimmt (gegen mich? oder ihn?), wenn ich auf die Botanik oder das Organische stoße, auf die absurde Schädellehre (im Verhältnis zum Gehirn), dann aber auf den fahrlässigen Gebrauch von Zitaten, selbst im Fall Goethe, wo der Wortlaut wohl auch für Hegel leicht auffindbar wäre (im „Faust“):

Hegel Lust

Da steht im Ernst in der Anmerkung 2):

Derartig frei umgestaltete Zitate finden sich bei Hegel häufig.

Ja, und wie heißt es denn nun korrekt???? Herr Georg Lasson, ich meine Sie! Dessen Ausgabe (1921) schon Adorno benutzte, und dieser konnte gewiss auch das Gemeinte sofort auswendig hersagen, mit seiner Roboter-Stimme. Und ich, im Moment recht vorurteilsfrei, lasse es mir korrekt per Internet von einem Jesuiten verklickern, der in der Zeitschrift für Christliche Kultur („Stimmen der Zeit“) schrieb:

Hegel bezieht sich mit seinem ungenauen Zitat auf eine schadenfrohe Bemerkung Mephistos über Faust; diese beginnt mit den Worten: „Verachte nur Vernunft und Wissenschaft, Des Menschen allerhöchste Kraft, Laß nur in Blend- und Zauberwerken Dich von dem Lügengeist bestärken, So hab‘ ich dich schon unbedingt.“ Und sie schließt: „Und hätt‘ er sich auch nicht dem Teufel übergeben, Er müßte doch zugrunde gehn!“

Hegels Text trifft jenen Menschen, der durch sein bloßes Tun die Vernunft verachtet, weil er unüberlegt und unvernünftig „zum Genüsse der Lust“ handelt; er unterstellt jedoch nicht, daß dieser auch die Überzeugung hegt, die Vernunft sei verächtlich. Faust hingegen bekennt ausdrücklich: „Mich ekelt lange vor allem Wissen.“ Er steht also bewußt dazu, „Vernunft und Wissenschaft“ zu verachten, weil sie ihm mit ihrer „grauen Theorie“ nicht – wie er es sich von ihnen versprochen hatte – die bunte Fülle des Lebens nahezubringen vermögen.

Quelle siehe HIER.

Sind wir nun weiter? Immerhin, die Anerkennung meiner selbst ist gewachsen, zunächst bei mir, aber die breite Öffentlichkeit wird folgen.