Archiv der Kategorie: Interpretation

Rubinstein spielt Brahms

Kammermusik am Klavier und mit Streichquartett

↑ ab 3:33 eins meiner Lieblingsstücke überhaupt, das Intermezzo op.117, 2 b-moll (1892)

↓ Balladen op.10, 1-3 d, D, h (1854)

Das Guarneri-Quartett erlebt Artur Rubinstein:

Quelle Arnold Steinhardt: Mein Leben zu viert / Albrecht Knaus Verlag München 2000

Die erwähnte Stelle (das Trio des Scherzos) beginnt in der folgenden Aufnahme bei 3:13

Guarneri Quartet: Arnold Steinhardt, John Dalley, Violins Michael Tree, Viola David Soyer, Cello These performances were recorded at Webster Hall, New York City, December 28,29 and 30, 1966

Schubert spielen

Hier sehr guter Interpretationsvergleich in VAN (Arno Lücker) zu:

Schuberts D-Dur-Sonate D 850 Mit Artur Schnabel, Sviatoslav Richter, Emil Gilels, Clifford Curzon, Wilhelm Kempff, Alfred Brendel und Mitsuko Uchida

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Außerdem vormerken: https://van-magazin.de/mag/hatto-beyerle/ hier

Wegen des Hinweises auf Primrose und seine Anregung zum Lagenwechsel, den man ignorieren können soll…

aus: Yehudi Menuhins Musikführer

Yehudi Menuhin / William Primrose: Violine und Viola / Fischer Taschenbuch 1982 (1976)

Goethes Briefe 1823 – 1824

Umfeld „Trilogie der Leidenschaft“

Angefangen mit Martin Walsers „Ein liebender Mann“ … zunächst mit Aufmerksamkeit teilgenommen, erst nach der Marienbader Elegie (Goethes echter Text darin) die Geduld verloren und mit den folgenden Briefen an Ulrike (Walsers fingierter Text) endgültig aufgehört. Was  für eine Anmaßung, als derangierter Goethe auftreten zu wollen. Wie unglaubwürdig! – Stattdessen Neu-Bestellung (altes Exemplar verloren gegangen) des Buches „Lotte in Weimar“ von Thomas Mann, mit einem wohl gelungenen „alternativen Goethe“.  Zu wiederholen wäre auch die Lektüre der ebenfalls verschwundenen, aber aus den 50er Jahren erinnerten „Sternstunden der Menschheit“. Noch kopieren: was neuerdings Safranski zur Interpretation der Elegie in seinem Goethe-Buch beigetragen hat.

Gerade dieses gelesen in „Faustkultur“ (über „Lotte in Weimar) hier :

Auch das ist in seinen Grundzügen von Goethe her gedacht; er nämlich, Goethe, holte die Welt ein, vereinnahmte sie, hielt sie besetzt vor dem Prägegrund abstreichender Vergänglichkeit; nur so, im Licht, das gegeben wird und empfangen, war ihm Selbstfindung und Selbstbestätigung möglich. „Am Abglanz haben wir das Leben”, wusste Goethe und wollte bis zuletzt nicht nachgeben und nicht unterliegen. Thomas Mann hat es ihm gleichgetan, er bleibt mit seinem Vorbild auf so vertrautem Fuße, dass er an seiner Seite noch einmal das Spiel zu Würden gebracht hat: Er macht sich den literarischen Spaß, Goethes Lotte in Weimar zu begleiten, eine alte Dame, die, da sie merkwürdig klug geworden ist und mit dem Vergänglichen keine Probleme mehr hat, eine Devise verkünden darf, die ihr wohl gleich von beiden Herren, vom Geheimen Rat Goethe und seinem Bewunderer Mann, eingeflüstert worden sein könnte: „Der Erinnerung zu leben, ist eine Sache des Alters und des Feierabends nach vollbrachtem Tagwerk. In der Jugend damit zu beginnen, das ist der Tod.“

(26.08.23)

  Goethes Sekretär Riemer (die Vorlage)

Thomas Mann (Zitat):

Charlotte Buff-Kestner Dr. Riemer erinnert sich (bei Thomas Mann): „Er war bleich, Schweißtropfen standen auf seiner Stirn, seine Rindsaugen blickten glotzend, und sein offener Mund, dessen sonst bloß maulender Zug dem Ausdruck einer tragischen Maske ähnlicher geworden war, atmete schwer, rasch und hörbar.“

Seite 64: «Die Augen», sagte Dr. Riemer, «die Augen sind mächtig bisweilen». Seine eigenen, glasig vortretenden, zwischen denen ein Kerbzeichen bemühten Grübelns stand, zeigten an, daß er schlecht zugehört und eigene Gedankengänge verfolgt hatte. Sich über das Kopfnicken der Matrone aufzuhalten, wäre ihm übrigens nicht zugekommen, denn wie der die große weiße Hand vom Stockknauf zu seinem Gesicht hob, um irgendein leichtes Jucken an der Nase nach Art des feinen Mannes durch eine zarte Berührung des Ringfingers zu beheben, sah man deutlich an, daß auch diese Hande zitterte.

Lotte in Weimar“  (das Buch)

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Wann es für mich begann: seit ich die Aufnahme des „Faust“ mit Gründgens kannte. Danach, im September 1958 Klassenfahrt nach Berlin, großer Buchladen in der Karl-Marx-Allee, Ost-Berlin, Gespräche mit Goethe , „Eckermann“. Ausgabe 1956. Aufbau Verlag

Goethes Gespräche (nach Marienbad 1823)

Zur Marienbader Elegie:

Schon die ersten Strophen musste ich mir vor allem in meine Sprache übersetzen. Wie konnten die frühesten Leser (Zelter, Humboldt, Eckermann) diese fremd verschlungenen Sätze auf Anhieb verstehen?

https://www.deutschlandfunkkultur.de/goethe-im-dritten-fruehling-100.html hier (Jörg Magenau)

https://www.welt.de/kultur/article1740320/Martin-Walser-verhebt-sich-nun-an-Goethe.html hier (Tilman Krause)

Bilder (privat) aus Marienbad hier

Die Nußbäume im Werther:

Die Nussbäume bei Walser:

– – – – – – – – – – s.a. hier bei 2.2.2.

Zur weiteren „Vergegenwärtigungsarbeit“:

http://www.zeno.org/Literatur/M/Goethe,+Johann+Wolfgang/Briefe/1823 hier

http://www.zeno.org/Literatur/M/Goethe,+Johann+Wolfgang/Briefe/1824 hier

Marienbader Elegie – zur Interpretation

https://www.grin.com/document/47839 hier

https://de.wikipedia.org/wiki/Marienbader_Elegie hier

https://www.projekt-gutenberg.org/zweig/sternstu/chap007.html „Sternstunden der Menschheit“ (vorgelesen durch Jürgen Hentsch hier)

https://www.zora.uzh.ch/id/eprint/159037/1/1871-1622-1-PB.pdf  Ulrike Zeuch:
Goethes Trilogie der Leidenschaft

Wörthersee, Thunersee …

Die ganze Welt in drei Werken

… ja, wie ist es nur möglich? Wollten Sie wirklich darüber etwas lesen? Oder zuerst die Musik hören? Bitte HIER (mit Isabelle Faust und Alexander Melnikovm, weiterhin beim Lesen verfügbar halten).

 

Brahms Sonate Nr. 2 A-dur HIER (die im Text angegebenen Zeiten gelten nicht)

Brahms Sonate Nr. 3 D-moll HIER (die im Text angegebenen Zeiten gelten nicht)

Text: 2011© Dr. Jan Reichow für TACET Andreas Spreer / Cover Photo: ©Fotolia / olly / Booklet Layout : Toms Spogis

Diabelli gegen Goldberg

Sinn und Unsinn beim Schreiben über Musik

Schlechter Journalismus zu guter Musik hat immer auch ein Gutes: er zwingt uns, nach dem Wesentlichen zu fragen.

Durch Zufall schneite mir die Welt am Sonntag (20. August 2023) ins Haus, ein neuer Goldberg-Variationen-Interpret interessiert mich wenig, wahrscheinlich mal wieder einer, der an Glenn Gould gemessen werden soll… Ach, es geht wohl eher um einen schönen Zeitvertreib in Schloss Elmau? Wenn das Frühstück auf so absurde Weise in den Vordergrund tritt? Ein elitärer Publikumsmagnet? Besonders, wenn man dort eingeladen ist.

Ja ja, das Universum, die Bananen

& der Hotelbesitzer

Mich beleidigt vor allem die eine Banane für Ravel…

Immerhin: auch Beethoven ist eine Zeile wert:

Und dann kommt er ins Schwärmen über Details. „Allein der Triller in der 28. Variation, wie der etwa Beethoven beeinflusst hat! Die Goldberg-Variationen sind das Wörterbuch für alles Kommende.“

So allgemein genommen, wird es ganz falsch. Man lernt Triller in Beethovens eigener Geschichte, und Beethoven lernt bei Bach, was man ganz anders machen kann.

Ein Brief an Beethoven

Wir wissen ja nicht einmal genau, ob Du sie überhaupt kanntest. Ich bin allerdings davon überzeugt. 33 Diabelli-Variationen gegen Bachs insgesamt 32 Sätze – Aria, 30 Variationen, Aria da capo –, das kann kein Zufall sein. Und es sieht Dir so ähnlich: noch einen Satz mehr zu schreiben als der alte Bach!

Deine 31. Variation, das große Largo in c-Moll, scheint ja geradezu Bachs 25., das g-moll-Adagio, heraufzubeschwören in der extravaganten und herzzerreißend traurigen Art, wie die Melodie ausgeziert ist, ebenso wie im Zusammenstürzen des Gesangs am Ende; zutiefst ergreifend, wie alles gleichsam zu Staub zerfällt. Und dass eine Fughetta und eine Fuge unter Deinen Variationen sind, lässt jeden sowieso an Bach denken.

Auf weite Strecken kommen mir Deine Diabelli-Variationen geradezu vor wie gegen die Goldberg-Variationen angeschrieben. Bach schreibt als Thema eine wundervolle Aria, die er so zu lieben scheint, dass er sie am Ende unverändert wiederholt. Du dagegen hältst nicht viel von Diabellis Walzer, dem „Schusterfleck“, wie Du mal schriebst. Aber irgendwann muss es einen Moment gegeben haben, in dem Dir das Potential aufging, das gerade darin liegt, Variationen über ein triviales Thema zu schreiben.

Der ironische Abstand zum Walzer, dessen Zertrümmerung, wird gerade in den zuletzt komponierten Variationen immer stärker zum Ausgangspunkt Deiner Erfindung – stimmt das? Ist der Sarkasmus das, was Dich je länger desto mehr reizte, bei der Stange hielt? Dachtest Du so etwa: „Was habe ich bisher noch nicht ad absurdum geführt – ach ja, der Walzer hat ja gar keine Melodie. Also nehmen wir diese Nicht-Melodie, dass x-mal wiederholte g der Oberstimme und zeigen, wie doof das ist?“

Der Ton mag irritieren, unkonventionell, aber ansonsten: Jeder Satz interessiert mich, da redet jemand von einer Sache, die er versteht! Sofort entsteht der Drang, das hörend nachzuvollziehen, was er meint. Das ist Andreas Staier.

Staier hier im Deutschlandfunk „Lieber Ludwig, welche Rolle spielten für Dich Bachs Goldberg-Variationen?“ Der Cembalist und Pianist Andreas Staier stellt sich in seinem Brief an Beethoven die Frage, welche Rolle Bachs Goldberg-Variationen bei der Komposition von Beethovens Diabelli-Variationen gespielt haben. Hat er sich gar bestimmte Bach‘sche Variationen vorgenommen, um sie zu negieren, gegen sie zu rebellieren? Von Andreas Staier | 25.05.2020

Ludwig van Beethoven: 33 Veränderungen über einen Walzer von Diabelli / 33 variations on a waltz by Diabelli in C major, op. 120 („Diabelli Variations“). Andreas Staier – fortepiano. With an improvised introduction by Andreas Staier. [Bis 3:20]

Die einzelnen Variationen!

Wahlverwandtschaften (Lebende Bilder)

Eine vergessene Kunst? Oder bloß ein Spiel?

Wie mein Interesse begann

Schubert und das lebende Bild

Eine andere Beschreibung, die ich durch Zufall in Goethes „Wahlverwandtschaften“ fand und für meine Entdeckung hielt:

Damals gab es doch schon Wikipedia…

https://de.wikipedia.org/wiki/Tableau_vivant hier

Aber wohl noch nicht diese unvergleichliche Website (mit den Erläuterungen zu den lebenden Bildern ab dem Fünften Kapitel):

http://wwwhomes.uni-bielefeld.de/bseiler/Wahlverwandt/kultur.htm HIER

ZITAT aus dieser Arbeit:

Das Titelblatt der Erstausgabe

Die Aufmerksamkeit, die der Roman fand, war groß, das Urteil jedoch keineswegs nur positiv. Von den moralischen Bedenken abgesehen, wurde auch die nicht immer konsequente Erzählweise beanstandet. Wilhelm Grimm schrieb am 22. November 1809 an seinen Bruder: „Ich begreife auch, daß das ganze Verhältnis sehr langsam und sorgfältig mußte entwickelt werden, nur nicht langweilig, wie es mir durchaus ist. Ich erkläre mir es aus der Art der Entstehung des Buchs, weil es durchaus diktiert ist, wo der Faden wohl nicht streng angehalten worden, sondern ganz gemächlich abgehaspelt worden und zuweilen auf die Lehne des Schlafsessels herabgefallen ist.“

Goethe in seinem Arbeitszimmer

Auch wenn Goethe stehend und nicht sitzend diktierte, muss man wohl wirklich die oft umständliche Allgemeinheit der Aussagen auf diese Arbeitsweise zurückführen. Zur Besinnung auf plastische Einzelheiten wird man bei einem vorwärtsdrängenden Diktieren kaum veranlasst.

Zitat-Ende / der Autor:

SEILER Bernd W. Seiler, Januar 2015 hier

Zu Humboldts Kritik: Mir waren bei der Goethelektüre durchaus auch stilistische Schwächen aufgefallen, die sich aus der Praxis des Diktierens ergeben, z.B. die stereotype Verwendung des Wortes „entgegnen“ statt entsprechender Varianten. Andererseits: las er denn das Diktierte nachher nicht mehr durch? –  Mir fiel jedoch das Wort vielleicht nur deshalb auf, weil es heute so viel auffälliger klingt als  „antworten“, das ich nicht moniert hätte.

Ein anderes Thema dieses interessanten Autors:

http://wwwhomes.uni-bielefeld.de/bseiler/Lesmona/ hier

Adorno noch einmal

Von der Terz und der Zersetzung der musikalischen Sprache

Adorno 1960 in Berlin

Quelle Theodor W. Adorno: Philosophie der Neuen Musik / Europäische Verlagsanstalt Frankfurt am Main 1958 (Seite 76 f)

1993 Beethoven-Buch + umgeblättert:

… „der gleiche Tatbestand nach seinen verschiedenen Aspekten. Wie aber, wenn schließlich der Ausdrucksdrang gegen die Möglichkeit des Ausdrucks selber sich kehrte?   [141]“

Quelle Theodor W. Adorno: Beethoven / Philosophie der Musik / Fragmente und Texte herausgegeben von Rolf Tiedemann / Suhrkamp Frankfurt am Main 1993

P.S. Natürlich war mir damals klar, dass man diese (hier isolierten) Äußerungen Adornos nicht grundsätzlich als gegen die Idee der „Zwölftonmusik“ gerichtet verstehen darf.

Vom Salon mit Chopin

JR 6.12.1966 Solingen

Quelle Theodor W. Adorno: Einleitung in die Musiksoziologie / Zwölf theoretische Vorlesungen / Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1962

Chromatische Tonsprache und kujawische Motivik (s.a. hier)

Tadeusz A. Zielinski Chopin Lübbe 1999

Universalität?

Museum und integrales Konzert

Ich hätte damals noch etwas ergänzen können oder müssen: aus Adornos Kritik am Persönlichkeitsideal (jetzt 24.07.23 wiedergelesen, damals in „Stichworte“ von 1969, zuvor auch im Radio gehört):

So gehört es zur eisernen Ration pädagogischer Theorien, die auf der Höhe der Zeit sein möchten, das Humboldtsche Bildungsziel des allseitig entwickelten und ausgebildeten Menschen, eben der Persönlichkeit, abzufertigen. Unvermerkt wird aus der Unmöglichkeit, es zu verwirklichen – wenn anders es je verwirklicht gewesen sein sollte -, eine Norm. Was nicht sein kann, soll auch nicht sein. Die Aversion gegen das hohle Pathos der Persönlichkeit tritt, im Zeichen eines angeblich ideologiefreien Realitätsbewußtseins, in den Dienst der Rechtfertigung universaler Anpassung, als ob diese nicht ohne Rechtfertigung bereits allerorten triumphierte. Dabei war Humboldts Persönlichkeitsbegriff keineswegs einfach der Kultus des Individuums, das wie eine Pflanze begossen werden soll, um zu blühen. So wie er noch die Kantische Idee »der Menschheit in unserer Person« festhält, hat er zumindest nicht verleugnet, was bei seinen Zeitgenossen Goethe und Hegel im Zentrum der Lehre vom Individuum steht. Ihnen allen kommt das Subjekt zu sich selbst nicht durch die narzißtisch auf es zurückgezogene Pflege seines Fürsichseins, sondern durch Entäußerung, durch Hingabe an das, was es nicht selbst ist. In Humboldts Bruchstück ›Theorie der Bildung des Menschen‹ heißt es: »Bloß weil beides, sein Denken und sein Handeln nicht anders als nur vermöge eines Dritten, nur vermöge des Vorstellens und des Bearbeitens von etwas möglich ist, dessen eigentlich unterscheidendes Merkmal es ist, Nichtmensch, d.h. Welt zu seyn, sucht er, soviel Welt als möglich zu ergreifen und so eng, als er nur kann, mit sich zu verbinden.« Den großen und humanen Schriftsteller konnte man einzig dadurch in die Rolle des pädagogischen Prügelknaben hineinzwängen, daß man seine differenzierte Lehre vergaß.

Quelle Theodor W. Adorno: Stichworte / Kritische Modelle 2 / darin: Glosse über Persönlichkeit / Suhrkamp Frankfurt am Main 1969 / Zitat Seite 54

Damals schon früher aus der Radiosendung mit Adorno notiert:

Zumindest Negatives läßt über den Begriff eines richtigen Menschen sich sagen. Er wäre weder bloße Funktion eines Ganzen, das ihm so gründlich angetan wird, daß er dovon nicht mehr sich zu unterscheiden vermag, noch befestigte er sich in seinern puren Selbstheit; eben das ist die Gestalt schlechter Naturwüchsigkeit, die stets noch überdauert. Wäre er ein richtiger Mensch, so wäre er nicht länger Persönlicheit, aber auch nicht unter ihr, kein bloßes Reflexbündel sondern ein Drittes. Es blitzt auf in der Hölderlinschen Vision des Dichters: »Drum, so wandle nur wehrlos / Fort durchs Leben, und fürchte nichts!«

*    *     *

P.S. Und heute nach 54 Jahren ein Wermuthstropfen in Adornos Hölderlin-Zitat? der – doch so ermutigende – letzte Halbsatz lautet im Original womöglich anders: nämlich so. (nein! Aufklärung folgt)

Fazit: auch angesichts höherer Autoritäten lohnt sich die Überprüfung von Zitaten ebenfalls hoher oder höherer Autorität. Oder? Am Ende behält gar die Philologie das allerletzte Wort…

Kritischer Bericht Seite 305 – 322, hier wiedergegeben Seite 316 – 319 / und die letzte Fortsetzung von „Dichtermuth“:

Neue Links zu Hölderlins Ode „Dichtermut“  1. Fassung 2. Fassung und Wikipedia hier (darin Link zu Versmaßen). Neue Ermutigung, Hölderlin selbst im Original zu suchen und verstehen zu lernen, gefunden bei Roland Reuß in dem sehr lesenswerten Buch „Ende der Hypnose“, Zitat:

Quelle Roland Reuß: Ende der Hypnose Vom Netz zum Buch / Verlag Strœmfeld Frankfurt am Main 2012 ( hier )

Patmos bei Wikipedia hier

Haydn immer wieder entdecken

Quartette als Wundertüte

Ja, ich bin versucht, nach dem Neuansatz bei Op.33 – dank einer DLF-Sendung – mich etwas salopper auszudrücken. Aber ich suche gar kein neues Publikum, ich suche bei Haydn doch zunächst mich selbst, und werde alsbald mit Verwandten und Freund(inn)en darüber sprechen, als gebe es in puncto klassischer Musik wirklich Neuigkeiten, „als hätte ich den Finger in der Steckdose“. Aber in der Tat war mir z.B. dieser lustige Glissando-Effekt im Trio des Scherzos nicht in Erinnerung (z.B. beim Auryn-Quartett, von dem ich die Gesamtaufnahme besitze). Ich schaue erstmal, was in der Noten steht. Dann folgendes Youtube, bis und ab 1:05. Übrigens: es stört mich nicht, dabei moderne technische Schallgeräte zu betrachten. Aber…

Was ist mit dem Da capo? Was steht genau in der Partitur? Was geschieht in der „echten“ Aufnahme (auf die ich warte). Laut Anzeige dauert der Satz dort  3:04 (hat also ein wirkliches Dacapo). Ein schlechter „Joke“ im YouTube!

Henle Studienausgabe

Bisher:

Zur ersten: immer noch unverändert schön, auf seine Weise…

Zur zweiten: siehe hier

Nun werde ich aufs neue Charles Rosen lesen, das Beste immer noch, was ich kenne über Haydn in „Der klassische Stil“:

Und dann diese Sätze, nachdem er darauf kam, wie Haydn Erfahrung als Komponist komischer Opern sammelte:

Dieses Gefühl, daß Bewegung, Entwicklung und dramatischer Verlauf eines Werkes sämtlich im Material enthalten sind und daß man das Material dazu bringen kann, seine geballte Ladung so zu entladen, daß die Musik sich nicht so wie im Barock entfaltet, sondern wahrhaft von innen getrieben ist – dieses Gefühl war Haydns größter Beitrag zur Musikgeschichte. Unsere Liebe mag ihm für andere Dinge gelten, aber diese neue Auffassung von Musik änderte alles in ihrem Gefolge. Deshalb zähmte Haydn seine Exzentrik oder seinen groben Humor nicht, sondern benutzt sie, und zwar nicht mehr hemmungslos, sondern mit Respekt für die Integrität jedes einzelnen Werkes. Er begriff, daß Konflikt im musikalischen Material des tonalen Systems möglich war und zur Erzeugung von Energie und Dramatik eingesetzt werden konnte. Das erklärt die außergewöhnlich Vielfalt seiner Formen, denn die Methoden änderten sich mit dem Material.

Uner »Material« sind hier vor allem die am Anfang eines jeden Stücks implizierten Beziehungen zu verstehen. Haydn hat noch nicht zu Beethovens Vorstellung einer sich allmählich entfaltenden musikalischen Idee gefunden und erst recht nicht zu Mozarts weitem Blick für tonartlich Massen, der in manchem sogar Beethoven überstieg. Haydns Grundideen sind knapp, werden unverzüglich vorgestellt und vermitteln augenblicklich den Eindruck latenter Energie, nach dem Mozart selten strebte. Sie drücken unmittelbar einen Konflikt aus, dessen volle Austragung und endliche Lösung das Werk ausmachen. Das ist Haydns Aufffassung der »Sonatenform«. Die Freiheit dieser Form besteht nun nicht mehr wie in einigen großen Werken der 1760er Jahre im Ausleben einer launenhaften Phantasie, sondern im freien Kräftespiel eine phantasievllen Logik.

Quelle Charles Rosen: Der klassische Stil / Haydn – Mozart – Beethoven / dtv / Bärenreiter Verlag München, Kassel etc. 1983 (Seite 131 f)

30.06.23 Die CD ist angekommen. Aber mein Scanner ist nicht funktionsfähig. Daher so:

 

Kein Zweifel: Wer diese CD nicht besitzt, ist ärmer! Auch der Text ist sehr lesenswert (setzt ebenfalls an bei Haydns Erfahrungen als Komponist komischer Opern). Autor: © Richard Wigmore.

Selbstkritische Frage: wie gut höre ich (oder Sie)? Lesen Sie den Booklet-Text Seite 13 (zum ersten Satz). Hören Sie die Wiederholungen, z.B. die des Durchführungsteils. Hören Sie die Scheinreprise? Etwa nach dem Innehalten auf den Fermaten (bei 4:05)? statt bei 4:33? Dies ist keine Scheinreprise, sondern die wirkliche Reprise in der „falschen“ Tonart, „Korrektur“ wenig später. Die besagte Wiederholung etwa bei 5:45? Von Neuharmonisierung des Themas in den allerletzten Takten kann man nach so vielen Veränderungen kaum sprechen: es wird zu einer Schlusspassage umgedeutet. Zur schönen Freiheit der Interpreten darf man wohl rechnen (was man erst beim Blick in die Noten feststellt), dass die Pause bei 5:18 und 7:52 um einen ganzen Takt verlängert ist, Takt 124 die letzte Sechzehntelgruppe + Achtel (fast) nicht mehr zu hören ist.

Haltlose Goebel-Kritik

Am Beispiel des Dritten Brandenburgischen Konzertes

Ich muss glücklicherweise keine Rezensionen schreiben. Aber über ein Buch, das mich fesselt, rede ich gern; ich lasse mich auch gern zu Assoziationen oder gar zu eigenen weiterführenden Gedanken verführen (siehe hier, hier und hier), ob sie richtig sind oder nicht. Rezensionen lese ich gern,  wenn sie mir vorweg (oder im Nachhinein) eine deutlichere  Übersicht geben oder Einzelheiten vermitteln, die ich allein weiterdenken oder rekapitulieren kann. Auch kritische Bemerkungen sind willkommen, wenn sie die Schwächen des Buches markieren, während die des Rezensenten nur ärgerlich sind, da sie – ob auf Fehleinschätzung des Gegenstandes oder purer Selbstüberschätzung beruhend – dem unschuldigen Buch doch schaden können. Die Auffindbarkeit im Internet genügt, niemand, der die Kritik liest, muss ja fähig oder willens sein, sie einer seriösen Prüfung zu unterziehen. Im allgemeinen fehlt die Zeit, aber – „irgendwas bleibt doch hängen“.

Dies ist das Buch:

und dies die Kritik: „Peter Sühring,  info-netz-musik“ .

Zitat Sühring (in roter Farbe: kritische Anmerkungen JR )

Eigentlich haben die von Johann Sebastian Bach im Jahreswechsel 1720/21 in Köthen komponierten (? die Spuren zumindest von Nr.3 und Nr.6 führen zurück in das Umfeld der Weimarer Kantaten, Goebel Seite 118 Anm. ) Concerti grossi (oder in der vom Komponisten bevorzugten französischen Bezeichnung „Concerts avec plusieurs instruments“) mit dem Land Brandenburg wohl kaum etwas zu tun. (mit dem Land? wer kommt denn auf diese Idee?) Vielleicht spielte beim Komponieren der Hintergedanke eine nebensächliche Rolle, dass es möglich wäre, diese zwar mit einer im Vagen bleibenden Beauftragung (daraus wird kein guter deutscher Satz), aber hauptsächlich aus innerem Drang (wer kennt sich aus mit Bachs „innerem Drang“?) geschriebenen Werke einer fürstlichen Person zwecks Erlangung (zwecks was?) einer gewissen Publizität oder Aufführungsmöglichkeit zu widmen. (na? gutes Deutsch, wie geht das?) Darum ist es auch konsequent, den ebenso fest eingebürgerten wie höchst fragwürdigen Titel „Brandenburgische Konzerte“ für diese Serie von sechs Instrumentalkonzerten Bachs zunächst auf dem Titelblatt des hier vorgestellten Buches in Anführungsstriche zu setzen. Leider wird diese Anmutung (welche?) nicht durchgehalten, sondern im weiteren Verlauf der Darstellung so getan (wer tut so?), als hätten diese Konzerte  tatsächlich etwas mit „Brandenburg in Preußen“ und der dort herrschenden Dynastie nähers zu schaffen. (sie sind aber von Bach ausdrücklich diesem mit Namen genannten Markgrafen von Brandenbourg gewidmet, – ist das nichts?) Hieraus spricht ein falsches Verständnis oder eine verfehlte, sprich tendenziöse Anwendung von Musikanalyse (?) mit Rücksicht auf kulturgeschichtliche Hintergründe. (der Sinn dieses Satzes ist nicht zu ergründen, – miserabler Gedanke, miserables Deutsch; ähnlich geht es nachher weiter:)

Dazu reicht aber eigentlich eine bloße allgemeine Gegenüberstellung von als barock bezeichneten Komponistenpersonen (?) und einer höfischen Repräsentationskultur mit angewandtem Missbrauch (?) der Musik oder eine spezielle Gegenüberstellung des Köthener Kapellmeisters und des Crétien Louis Monseigneur Marggraf de Brandenbourg noch nicht aus. Es fehlt ein veritables, empirisch nachweisbares Faktum, das die Beziehung beider und die Widmung begründen würde. Es wird auch vom Komponisten in dem in diesem Buch faksimilierten und abgedruckten Widmungstext nicht geliefert. (die Beziehung ist durch Bachs eigenhändige Widmung ausreichend begründet. Sollte er etwa noch eine Extra-Bemerkung für begriffsstutzige Musikwissenschaftler einfügen?)

Ziemlich sicher ist also, dass die Widmung ins Leere ging, aus einer Verlegenheit oder Laune heraus entstanden war (willkürliche Behauptung) und von der Nachwelt am ehesten und guten Gewissens hätte vernachlässigt oder ignoriert werden können, wäre man zu Zeiten von Spitta nicht immer noch adelsfixiert gewesen (absurd) und (bis heute?, bis Goebel?) geneigt gewesen, die Bedeutung der höfischen Musikkultur überzubetonen und die prägende Abhängigkeit der Künstler von ihren durchlauchten Fürsten zu überschätzen (völlige Verkennung der damaligen Machtverhältnisse; der Kritiker hat nicht begriffen, dass Goebels  Anliegen gerade in der Verortung der Concerti im höfischen Kontext lag). Solche Überschätzung wird bestraft, wenn dann eine modisch-fesche Rundfunkmoderatorin (ein krampfhaft heraufbeschworenes Phantom) nach der übereilten Einspielung (er meint nicht, dass die Einspielung übereilt erfolgte, sondern dass es sich um eine im Tempo übereilte Wiedergabe des Concertos handelte) einer Goebelschen Wiedergabe eines der Köthener Concerti grossi Bachs (mit Vorliebe III,2) plaudert (einer… eines = schlechtes Deutsch) , da wäre es „doch recht flott durch die Mark gegangen“. Solche Ansagen gehen einem dann doch durch Mark und Bein und man verflucht ebenso die seit Spitta nachhaltige (falsches Wort, gemeint ist so etwas wie „fortwirkende“) Namensgebung für diese Konzerte wie auch Goebels Hatz. (Aha! nur deshalb  hat er sich anfangs auf das Land Brandenburg capriziert, um das dümmliche Wortspiel mit der „Mark“ einflechten zu können; mit dem Wort „Hatz“ versucht er – nachschiebend – die vorher auch für ihn selbst fühlbar missglückte Wortwahl  „übereilt“ zu rektifizieren.)

Goebel hat zu jedem einzelnen der sechs Konzerte illustre Ideen (Ironie?!). Es reicht hier und zeigt, welche Schwächen mitunter Goebels Ansichten anhaften, wenn man auf seine Ausführungen zum dritten der Konzerte eingeht (der Kritiker cachiert, dass er weiter nichts gelesen hat), das wohl als das am meisten missverstandene angesehen werden kann. (eher das bekannteste und vielleicht das einzige, das der Kritiker kennt!)  Es ist auffällig, dass auch der sonst als sehr findig und ketzerisch auftretende Goebel (sonst als sehr findig und ketzerisch „auftretend“!) hier ganz konventionell der üblichen Aufteilung der Stimmen in drei Stimmgruppen von je drei Geigen, drei Bratschen und drei Violoncelli folgt (er will partout ignorieren, dass Bachs es so und nicht anders geschrieben hat) und nicht auf die Idee kommt, dass Bach hier vielleicht die Chori-spezatti-Technik (er versucht, mit Fachwissen zu imponieren, aber Bach wollte hier „vielleicht“ bzw. ganz sicher überhaupt nicht auf die venezianischen „Chori Spezzati“ [sic!] anspielen, sondern fasste die Gruppen genau so sinnvoll auf, wie er sie komponiert hat) angewandt haben wollte, nämlich drei Stimmgruppen aus je einer Violine, einer Viola und einem Violoncello, denn alle sonstigen mehrchörigen Stücke, bei denen die einzelnen Chöre aus je einem Vertreter der verschiedenen Stimmgruppen gebildet sind, sind so notiert, dass die Stimmen 1-3 jeder Stimmgruppe als zusammengehörig spartiert sind. (bei Bach eben nicht, weil er es nicht so gedacht hat, – wie man auf den ersten Blick erkennt:)

vom Tutti in die Dreiergruppen!

Weiter Zitat Sühring:

Für seine These, dass das Tempo der zu schlagenden Viertel in dem ersten, von Bach unbezeichneten Satz und in dem mit Allegro überschriebenen zweiten Satz gleich bleiben soll (aber wie schnell ist ein angeblich standardisierbares Viertel der Bach-Zeit oder bei Bach?), gibt Goebel leider keine Begründung. Käme sie allerdings in seinen eigenen Einspielungen zum Zuge, müsste er entweder den ersten Satz schneller oder den zweiten Satz langsamer spielen, denn seine Behauptung (?) kann gerade nicht zur Rechtfertigung dafür dienen, die Sechzehntel des zweiten Satzes zu spielen als wären sie Zweiunddreißigstel.

Der Rezensent liest nicht ordentlich. Goebel schreibt nicht, dass das Tempo der zu schlagenden Viertel gleich bleiben soll, sondern wörtlich folgendermaßen: „Aus Vierteln werden punktierte Viertel. Der Schlag bleibt (im Tempo) gleich, die Bewegung innerhalb des Schlages ändert sich, wird schneller.“ (Siehe Goebel Seite 75, aber auch Seite 118) Mit Zweiunddreißigsteln hat das nichts zu tun.  Wer das nicht bersteht, dem ist nicht zu helfen. Wahrscheinlich will er es sich, wie auch sonst, zu einfach machen. Er hat das Buch ungenau oder gar nicht gelesen! Und unterstellt diese Bequemlichkeit auch dem Komponisten, der sich sogar die Mühe machte, die Cellostimme dreifach auszuschreiben, sozusagen nur fürs Auge des Markgrafen.

Zitat Sühring (Hervorhebung in rot JR):

Manchmal reicht es, einfach zu spielen, was dasteht, wenn man es nach den Spielgewohnheiten der jeweiligen Zeit, in der es komponiert wurde, verstehen kann, anstatt sich über Dreieinigkeit, griechische Musen und Stimmführerschaften auszulassen. Jedes der sechs Köthener Concerti grossi Bachs hat ein mit den plusieurs instruments vorgenommenes Klangexperiment zum Inhalt, das innerhalb des bei Bach notorischen polyphonen Gewebes bei charaktervollen Themen zum Tragen kommt – einfach zur „Ergötzung des Gemüts“.

Nein, es reicht einfach nicht! Und das nachgereichte Lob ist natürlich im Vorhinein ausreichend vergiftet.

Dem Buch sind zwei CDs mit der Einspielung der Konzerte mit dem von Goebel geleiteten Ensemble Musica antiqua Köln aus dem Jahr 1987 beigegeben, in der sich etliche andere der von Goebel gefundenen und eloquent beschrieben[en] Finessen Bachs sehr gut nachhören lassen.

Kein Wunder, dass dieser Heuchelsatz von den durch Goebel gefundenen und eloquent beschriebenen „Finessen“ Bachs noch mit einem Schreibfehler garniert ist.

Der Rezensent, der pauschal den Bezug des dritten Brandenburgischen Konzertes auf die 9 (3×3) Musen ablehnt, hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, die Paten der anderen Konzerte bei Goebel ausfindig zu machen. Ich hole es an dieser Stelle nach:  I die Jagdgöttin (Diana), II der Ruhm des Fürsten (Fama), III die neun Musen, IV der gute Hirte, V der Kriegsherr, VI der Gedanke an den Tod (die Apotheose?). Wobei Goebel selbst nicht vergisst hervorzuheben, dass diese letzte Verbindung problematisch ist. Um so faszinierender!

ZITAT Goebel Seite 122

Deutet das Instrumentarium ziemlich frank und frei auf den Tod – sowohl Bratschen als auch Viola da gamba waren das traditionelle Klang-dekorum für deutsche Funeral-Kompositionen – so stand es Bach in seiner Rolle als Diener – und nicht Hofprediger – des Fürsten in keiner Weise zu,  das Lebens-Ende anders als in einer Apotheose zu thematisieren. Legt man das Augenmerk auf die Wahl der nur in diesem Concerto auffallend prominent verwendeten kompositorische Gestaltungs-Mittel – Kanon, Trommelbass, Ciacona, Unisono, Giguen-Finale en Rondeau – und bedenkt Bachs immer doch komplizierte, sich selten nur geradeaus erklärenden „Findungs-Prozesse“, so bleibt als Angebot „auf Verdacht“ nur die Verquickung dieser beiden so konträren, sich dennoch bedingender Umstände Tod und Apotheose.

Einem Rezensenten, der auf eine einfache Lösung der Probleme aus ist, wird das nicht einleuchten. Er wird einerseits das moderne Tempo monieren, andererseits die Verflechtung Bachs mit seiner realen Lebenswelt entrüstet aus dem Blickfeld verbannen, – wahrscheinlicher ist, dass Goebels Buch einen lernfähigen Leserkreis findet, der genau das zu schätzen weiß: den komplexen Zusammenhang, nicht die Simplifizierung.

Hinweis: Rezension im Juliheft 2023 „Das Orchester“(Text-Foto)

Fantastic Style

Ein Text von Andrew Manze (1996), der ebensowenig in Vergessenheit geraten sollte wie die zugehörigen Aufnahmen. (Ich knüpfe an Zitate in meinem früheren Artikel an: hier und – hier.)

Was beim flüchtigen Umgang mit den CDs irritieren könnte: ob die zweite sozusagen die erste fortsetzt oder eine relativ selbständige Rolle spielt, – jawohl, sie gehört in den Themenbereich Fantastischer Stil, der in CD 1 anhand verschiedener Komponisten dargestellt ist.

Frappierend die Sonata „Victori der Christen“ CD 2 Tr. 5-11, die tatsächlich eine Bearbeitung der Mysteriensonate „Die Kreuzigung Jesu“ von I.F.Biber darstellt, siehe Text oben: sie ist „nahezu identisch“. Von Anton Schmelzer, dem Sohn! Für Leute, die diese CD besitzen, ist es sicher nützlich, zum Vergleich im Hintergrund das Original greifbar zu haben. Nebenbei handelt es sich dabei auch um eine bemerkenswerte Aufführung:

Von Andrew Manzes Schmelzer-Fassung (Anton !) desselben Werkes kann man zumindest eine kurzen, intensiven Eindruck auf YouTube erhalten:

Alles, was Mattheson über den Stil der Toccata weiß:

auf der Spur von Andreas Weil: hinüber ins Original von Johann Mattheson:

 

Aber jetzt erst weiß man zu schätzen, wie wertvoll Andreas Weils Ausführungen sind, vor allem durch die Beispiele, die man als Normalverbraucher/in natürlich nicht zur Hand hat, – und die mich sofort an ähnliche visuelle Eindrücke bei Bach erinnern:

schlechte Kopie aus Weils tollem Buch…

Es ist nicht so, dass ich im Augenblick nicht sauberer scannen kann: ich möchte nur bei niemandem den Wunsch erlöschen lassen, das Buch selbst zu erwerben. Es lohnt sich, darin ganz sorgfältig nachzulesen, auch wenn man die Mattheson-Werke z.B. im Nachdruck besitzt, – man muss sie entschlüsselt bekommen und mit „zeitgenössischem“ Leben erfüllt sehen. Der nächste Schritt ist, die benannten Musikstücke zu hören… und nachzufühlen. Buxtehude, Lübeck, Bruhns und Bach. Im oben wiedergegebenen Mattheson-Original lese man nach, dass bei all dem an die Orgel und die Meister ihrer Zeit zu denken ist. In § 69. kommt er (nach Frescobaldi) über Händel auf Bach, in § 70. auf die nächstberühmten Meister, von denen die Mehrzahl heute unbekannt ist. (Wer war z.B. der genannte Händel-Schüler Babel?) Er kommt von der Orgel auf andere geeignete Instrumente, auf die „Violdigamb“ und die Laute „in der Kammer“, wobei er die Violine nur wegen ihrer „durchdringenden Stärcke“ hervorhebt. Mir fehlen die anderen Tasteninstrumente, mir fehlt ein Hinweis auf Froberger, der gerade in seinen Praeludien erwähnenswert wäre.

Worüber ich gern in diesem Zusammenhang noch berichtet hätte: betr. Praeludien von Louis Couperin – verwandt im freien Prinzip mit Froberger – s.a. hier  (falscher Link, richtigen suchen!) Artikel in Musik & Ästhetik, eine letzten Ausgaben…

Nachgeliefert:

Hier der kurze Einblick zur weiteren Erinnerung: die erstaunliche Vorstellungswelt der Préludes von Louis Couperin, dargestellt von Niels Pfeffer in Musik & Ästhetik Heft 108, April 2023:

Ich weiß nicht, ob man versteht, dass der Artikel von Niels Pfeffer ein großes Potential Verunsicherung vermittelt für dem, der sich seiner Bach-Werke sicher zu sein scheint: als gebe es bei Louis Couperin (heimlicher Gedanke: bei Froberger, dem frühen Bach-Leitbild!) eine Ästhetik, die Bach nicht gekannt oder aufgegeben hat! Das Labyrinthische vielleicht nicht, aber das indirekte Kadenzieren, die geplante Verunsicherung. Man lese sich nur noch hinein in diese „Reflexion“:

Fortsetzung: man rate…

„… als ob das Cembalo sie von sich aus, ohne die Zustimmung [consentement] Accompagnateurs, zurückgibt.“

In welcher Zeit befinden wir uns mit diesem Zitat? In der heutigen Moderne? Wir befinden uns in einem Traktat von Michel Saint-Lambert, veröffentlich in Amsterdam – 1710.  „Ohne die Zustimmung“ – – –  Werk ohne Autor???

Warum lese ich im Zusammenhang mit Louis Couperin / Froberger nie das Wort vom „stile phantastico“? Vielleicht liegt doch der gemeinsame Bezugspunkt bei Frescobaldi?

Hören Sie Bachs Partita V mit – Niels Pfeffer (https://www.nielspfeffer.com/cembalo):

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Und – Themawechsel, an den inspirierten Booklettext zu Anfang dieses Artikels anknüpfend – auch darüber berichten, wie Andrew Manze anlässlich seiner Aufnahme Mozartscher Violinkonzerte (2006) zu außergewöhnlichen Einsichten gekommen ist… als Geiger habe ich ihn zum ersten Mal im WDR gelobt bei der Besprechung der Matthäus-Passion mit Ton Koopman. Mitte der 90er Jahre…