Archiv der Kategorie: Psychologie

Rätsel Fußball

Ein Abend mit Bayer Leverkusen (6.Februar 2024)

Wie entsteht Wirkung? Nach diesem Spiel weiß man es wieder. So laut und wild es zugeht: es hat auch rituellen Charakter, der sich eher in der Kreuzung der Gesänge und Rhythmen spiegelt. Ich versuche, es auf dem Handy einzufangen, aber ich vermag es nicht. Vielmehr: ich kenne jemanden, der es besser kann. Ich helfe der Erinnerung visuell nach.

Fotos: ©JR

In Fußballsprache / Zitat:

Lange Zeit hatte Bayer Leverkusen vor 30.210 Zuschauer*innen in der ausverkauften BayArena große Probleme im Aufbau mit den Stuttgartern. Diese boten den Gastgebern Paroli und verhinderten klare Torchancen für B04. Eine Ecke brachte dem VfB die Führung: Angelo Stiller schlenzte den Ball von der rechten Seite an den zweiten Pfosten, wo Waldemar Anton recht frei zum Kopfball kam – und zum 1:0 einnickte (11. Spielminute). Weiterhin zeigte die Hoeneß-Elf ein bärenstarkes Spiel: Wenn sie in Ballbesitz waren, schalteten sie sofort gefährlich um. Erst in der Schlussphase nahm der Druck der Werkself nahezu minütlich zu – dennoch blieb es zur Pause beim 1:0 für die Gäste. Ohne Wechsel ging es weiter. Die Gastgeber kamen mit Schwung aus der Kabine und durften schon nach wenigen Minuten jubeln: Florian Wirtz flankte von der linken Seite nach innen, wo die Hereingabe nur vermeintlich geklärt wurde. Der Ball landete halblinks vor dem Sechzehner bei Robert Andrich, der anschließend im hohen Bogen über Keeper Alexander Nübel hinweg unter die Querlatte schlenzte (50.). Ein Traumtor! Als Bayer wenig später den Ball im Aufbau am eigenen Sechzehner verlor, ging der VfB dann durch einen Rechtsschuss von Chris Führich wieder in Führung (58.). Wieder glichen die Gastgeber aus, diesmal durch Joker Amine Adli, der halblinks im Sechzehner frei zum Abschluss kam (66.). Lange Zeit sah es ganz danach aus, als würde es in die Verlängerung gehen – ehe Jonathan Tah die Partie in letzter Minute per Kopf für Leverkusen entschied (90.). Die Aufstellungen: Bayer 04 Leverkusen: Kovar – Tapsoba, Tah, Hincapie – Frimpong (90.+3 Stanisic), G. Xhaka, Andrich, Grimaldo – Hofmann (63. Adli), Schick (63. Borja Iglesias), Wirtz (90.+3 Hlozek) Trainer: Xabi Alonso VfB Stuttgart: Nübel – Rouault, Anton, H. Ito – Vagnoman, Karazor, Stiller, Mittelstädt (70. Stergiou), Millot (62. Leweling), Führich (79. Dahoud) – Undav Trainer: Sebastian Hoeneß Schiedsrichter: Daniel Schlager (Hügelsheim) Kommentator: Moritz Zschau  

Nächstes Spiel: Samstag 10.02.24 um 18.30 Uhr Bayer Leverkusen gegen Bayern München

ST 9.2.24 S.9 Thomas Schulz „Der Fußballflüsterer“ Xabi Alonso

Ich habe mich schon mehrfach mit dem Thema theoretisch beschäftigt, und wiederhole, was ich damals u.a. auch zitiert habe:

Auch wenn Fußball von Menschen gespielt wird, entsteht seine Poesie nicht durch menschliche Handlungen allein. In die unvergesslichen Spiele mischt sich etwas ein, was über Menschen hinausgeht. Der Zufall lässt unfassbare Dinge entstehen: übermenschliches Gelingen, aber auch unbegreifliches Versagen. Eine geheimnisvolle Dramaturgie kann einen Spielverlauf hervorbringen, der die menschliche Phantasie übersteigt. Fußball ist freilich nicht mit den Schönen Künsten verwandt. Er ist ein rohes Geschehen und vollzieht sich im Augenblick, wie der Einschlag eines Meteoriten.

Und doch:

 Im Drama des Fußballs findet man Elemente, die wir von anderen Dramen kennen, von den Dramen des Theaters, des Films, der Politik. Anders als in diesen entsteht seine Poesie aus einem gemeinen Spiel, das sich von der hohen Kultur abkehrt. Die Abwehr gegen den hohen Ton, den guten Geschmack, die vergeistigte Haltung lässt sich nicht mit Begriffen beschreiben, die der Hochkultur entnommen werden.

Quelle Gunter Gebauer Poetik des Fussballs, Campus Verlag, Frankfurt / M. 2006 (a.a.O. Seite 8 und 9)

Interessant auch Otto A. Böhmer in der Wiener Zeitung 4.6.2016: „Als Heidegger Sein und Zeit vergaß„.

10.02.24 abends – Das Wunder ist geschehen! (Kein Wunder!)

Die letzten Minuten im Kicker-Ticker-TV

Was ist hier passiert???

Korrektur – hier

Meditation als Übung des Alltags

Die Instrumente

Arme und Beine und deren Ansatz-„Scharniere“, Schultern und Hüfte, Bewegung – auch das Dehnen! – genießen. Und die Finger? In meiner Situation bedeutet die „Harfenetüde“ auch, das Strecken, Spreizen und Anspannen in der Hand wahrzumehmen.

Die Pianistin Danae Dörken in ihrem Tutorial

Was will ich in dieser Form umschreiben oder benennen? Nur nicht höher einstufen, als es anzusetzen ist, nicht wichtigtuerisch vorbereiten, nicht wie eine Andacht oder Betstunde, nur das Bewusstsein „im Auge behalten“, den Fokus wandern lassen, wenn er wandern will; beobachten, was von selbst geschieht.

Wie der Besen des Zen-Schülers: mit der Tätigkeit des Fegens zusammenwachsen lassen, eins werden, keine Good-Will-Zusatz-Muskeln des Oberkörpers einsetzen, die Banalität der Banane auf dem Frühstückstisch, die mit der Gabel auf dem Teller flüssig geknetet werden kann (nicht mit den Armen, sondern so weit weit möglich vorn, rechts herum und links herum).

Wie komme ich wieder auf Zen? Nur durch alte und erneute Lektüre, hier. Auch durch die ZEIT vom 9. November, die neben dem Schreibtisch liegt und in der ich in Pausen nachlese, was ich vorige Woche unterstrichen habe. Oder in dem dicken Buch, das hinter mir im Regal steht, das von Thomas Metzinger herausgegebene, was ich darin vor Jahrzehnten bemerkenswert fand. Fehl-Alarm bei Ikebana-Ästhetik. Aber es geht nicht um Zen. (Doch! ich komme weiter!)

In der ZEIT verweist er heute auf Karl Friston und hat die Zitationen nachgesehen, zu denen ich jetzt womöglich auch beitrage. Oder? Es geht nicht um mich.

Quelle DIE ZEIT 9.November 2023 Seite 58 Thomas Metzinger: „Meditation wird als irgend so ein Schnuller für Erwachsene betrachtet. Es geht aber um Erkenntnis“ (Interview: Johannes Gernert)

Zitate

„Einfach weitermachen, selbst wenn es nur alle drei Wochen mal ein kleines bisschen schön ist. Selbst wenn Sie oft denken: »Das ist doch alles irgendwie scheiße!« Genau in diesen Momenten einfach total stur weitermachen – die schlechten Gefühle anschauen, den Zweifel spüren, bei der Unruhe verweilen.“  [20 Minuten, zweimal täglich.]

„Und man wirft sich hin, und alle Leute gucken. Das kommt davon, wenn man 30 Jahre zweimal täglich ein Bein in so eine Position dreht, nur weil man gedacht hat, die machen das in Indien auch so. Wenn Sie langjährige Meditationslehrer anschauen: Die sitzen oft alle nur noch auf Stühlen.“

„Sie müssen nur sichergehen, dass Sie kerzengerade auf den Sitzhöckern sitzen, nicht anlehnen. Ich habe auch oft im Büro meditiert und in Zügen und Flugzeugen. Man kann auch beim Autofahren meditieren, wenn man es schon ein bisschen gemacht hat.“

„Die Aufmerksamkeit ganz sanft, aber sehr präzise immer wieder in den Moment zurückbringen. Dann loslassen und im Erleben der Bewusstheit selbst verweilen. Nach ein paar Sekunden von neuen Gedanken weggetragen werden. Sich erinnern, zurückkehren in den Moment.“

„Nehmen wir etwa die »Sammlungs-Meditation«: Sie kehren mit der Aufmerksamkeit immer zu Ihrer Atemempfindung zurück. Wenn etwas Ruhe da ist, die »Einsichts-Meditation«: einfach nur die Gedanken beobachten, wie sie entstehen und vergehen. Die richtige Art, wie man die Aufmerksamkeit lenkt, ist: sanft und präzise, mit einer fast zärtlichen Einstellung. Nicht: Ich richte den Laserstrahl meiner Aufmerksamkeit dahin und brenne diese Gedanken weg, Ganz sanft, so anstrengungslos und unperfektionistisch wie möglich. Aber genau!“

„Es geht aber nicht um Eso-Quatsch, um Sterblichkeitsverleugnung und das, was ich in dem neuen Buch »narrative Selbsttäuschung« nenne – dass man sich selbst eine scheinbar sinnvolle, aber im Grund fiktive Lebensgeschichte erzählt.“

„Der Trick besteht sozusagen darin, ganz einfach den Geist sich selbst wahrnehmen zu lassen und nicht an den immer von Neuem entstehenden Inhzalten zu kleben. Auf einem Retreat hat jemand mal gesagt: Als ob Güterzüge durch den Kopf fahren, nie enden wollende Züge. Ketten von Waggons, wie man die als Kinder immer angeguckt hat. Meine Morgenmeditation war auch wieder so, völlig für die Füße.“

„Mir geht es auch nicht anders als den meisten – da kommt kein Erleuchtungs-Giga-Bingo, und alles ist gut. Es ist viel subtiler. Das, was einen beim Meditieren ja oft vollkommen rausreißt, ist soziale Kognition. Sie haben auf der Arbeit eine soziale Position, Sie habe Ihre Familie, und die mentale Simulation dieser sozialen Situation läuft beinahe permanent. Was glauben Sie denn, warum die Leute, die diesen Weg bis ans Ende gehen wollten, warum die Einsiedler geworden sind, also alle sozialen Interaktionen minimiert haben? Oder Mönche und Nonnen. Warum Retreats im Schweigen und möglichst ohne Blickkontakt stattfinden? Es gibt dafür einfach Rahmenbedingungen.“

Vor allem komplett offline?

… … … … …

*    *     *

Ja!

Die Verwechselbarkeit der Zen-Einstellung zur Natur mit einem sentimentalen Kitschgefühl hatte schon Alan W. Watts (1961) gesehen und die Toleranzgrenze zum Banalen bewusst herausgehoben:

Das Geräusch vom Scheuern / der Bratpfanne vermengt sich / mit dem Quaken der Laubfrösche. (Ryokan)

  die Formel Nianfo

Um noch einmal zu dem Philosophen Byung-Chul Hang zurückzukehren:

Das Haiku „ist nicht nach innen gekehrt. Im wohnt kein ›Tiefsinn‹ inne. Diese Abwesenheit des ›Tiefsinns‹ macht gerade die Tiefe des Haikus aus. Sie korreliert mit der Abwesenheit der seelenhaften Innerlichkeit. Die helle Offenheit, die ungehinderte Weite des Haiku entspringt dem ent-innerlichten, ent-leerten Herzen, der niemandigen Sammlung ohne Innerlichkeit.“ Han (a.a.O. Seite 80f)

Und zurück zu den Übungen am Instrument, am Musikinstrument, dessen Techniken samt und sonders ins Banale führen, in die schiere Wiederholung.

Was ist Satori? die Erleuchtung, – etwa beim Geist des Geigenspiels? Fragwürdig. Siehe Byung-Chul Han Seite 67, wo er es als Gegensatz des Hegelschen Geistes definiert, dessen Grundzug gerade die Innerlichkeit sei.

*     *     *

Physische Beispiele

Atmen – Liegen – Sitzen – Laufen – (Hängen)

Atmen: die Regel 4 – 7 – 8 = ein – halt – aus / wenn man als dritte Zahl die 11 bekommt, ist plötzlich nicht von Sekunden, sondern von Minuten die Rede und davon wie lange die Atemvorgänge wiederholt werden sollen – das ist für mich falsche Zahlenmagie.

Hängen: beim Rückweg vom Klavier Treppenstufe über dir greifen und „abhängen“! Aber vorsichtig, nur kurz verweilen, mit Zehenkontakt zur Treppe.

Schulter: z.B. https://www.liebscher-bracht.com/routinen/schulter/# hier Manche Musiker sind auch erfahrene Bewegungstherapeuten (geworden), ich halte allerdings mehr davon, professionelle Physiologen zu befragen, wenn es sich um Probleme des Körpers handelt. Zu der Übung des Kopfkreisens kann man sehr unterschiedliche Meinungen hören. Ich persönlich fand diese hier hilfreich, obwohl sie nicht aus der Physiotherapie, sondern aus der Sporterfahrung stammt. Ich glaube dem großen Klavierpädagogen Seymour Bernstein in dieser Frage eben nur bedingt… obwohl alles richtig ist, was da steht. Rot unterstreichen würde ich die Wörter „vorsichtig“ und „unter sanftem Druck“.

Bernstein: Mit eigenen Händen

Mit dem schönen Buch am Klavier aber habe ich das Gefühl, die Übungen halten mich nur auf, als trennten sie mich unnötig von der Musik. Im täglichen Leben wären sie selbstverständlich, ja, denn die Fehler, die man mit Kopf und Schultern macht, stören überall und werden schon im Kleinkindalter „erlernt“: Man zeigte damals, dass man sich richtig Mühe gibt, – nicht dass man erreicht, was man soll, mit geringstmöglichem Aufwand. Als Erwachsener will ich wissen, warum ich in vielem so linkisch geblieben, nein, geworden bin. Durch Mangel an Bewegung. An notwendiger und sinnvoller Bewegung. Mit der Geige in der Hand oder vollends: am Klavier sitzend, will ich Vergeistigung, die angeblich körperlose. Ohne Instrument aber wäre ich ganz und gar Körper, habe ich bis ins Alter den Gebrauch des Körpers zu üben. Auch wenn ich singe und spreche.

Der Irrweg: auf dieses Problem zu stoßen, wenn vor mir nicht das Buch, sondern die Noten der „Harfenetüde“ liegen. Zudem die Imagination einer meisterhaften Video-Vorführung mit mustergültigen Bewegungen: ich sollte nicht die speziellen Probleme – links und rechts eine Traube von Tönen, weitgriffig, schnelle Abfolge und jeweils in Sprünge mündend – mit dem allgemeinen der hochgezogenenen Schultern angesichts einer andauernden Schwierigkeit gleichzeitig zu lösen versuchen. Die Noten wollen klingen, produziert, gehört werden, die angezogenen Schultern arbeiten nur antiproduktiv: als Bremsklotz. Den sollte ich separat kennengelernt haben. Er gehört ins tägliche Leben. Zum Körpersein.

Der Geist erinnert sich allerdings besser an Chopin und sein Verhältnis zu den kleinen, ornamentalen Notenwerten, – in geschriebenen Werken sind sie hart erkämpft. Es kommt auf jedes Pünktchen an, auch wenn es nachher wie beiläufig erscheinen soll.

Das Zitat aus George Sands Histoire de ma vie (Paris 1855) stammt aus dem wunderbar reichen und vielseitigen Bildband von Ernst Burger „Frédéric Chopin / Eine Lebenschronik in Bildern und Dokumenten“ Hirmer Verlag München 1990  / Die Handschrift der Etüde op.25 Nr.1 ist auf Seite 146 f wiedergegeben und zwar mit folgendem Vermerk:

Die Noten gehören in allen Details zum Stoff der Meditation. Und so kann ich die Bemerkung von Ernst Burger nicht ganz unkommentiert lassen. In dem Autograph fehlt mir dies und das, was mir lieb und teuer ist. Vor allem der allererste Ton, ein Auftakt zur Melodie, das es“. Der kritische Kommentar am Ende meiner Paderewski-Ausgabe gibt mir die Lösung, – soviel Zeit muss sein! Ein Ausschnitt nur, bitte beachten Sie den Anfang des Textes und das Ende zu Takt 1.

Erster Takt der Etüde und viele praktische Anregungen zum Hören und Üben dieser Etüde op.26 Nr.1 siehe im Blog-Artikel http://s128739886.online.de/vorsaetze-beim-ueben-der-harfen-etuede/ →  hier

Täglich steige ich hinab in den Tiefkeller, wo der Flügel steht, mehr als 45 Stufen vom PC, hinab und hinauf, und nach 45 Jahren merke ich, dass ich die drittletzte Treppe ÜBER mir, das ideale Gerät zum Abhängen, bisher nicht erkannt habe. Die Übungen von Liebscher & Bracht haben mir die Augen und Arme geöffnet. Lächerlich. Auch alle Türen für Streck-Übungen. Und überhaupt das aufrechte Steigen von Stufe zu Stufe, freihändig, ohne zu schwanken.

Das alles geht doch ziemlich ins Lächerliche. So darf es auch sein, warum denn nicht? Byung-Chul Han Seite 34:

Am Treppenabgang Platz und Zeit für Kinderbilder:

Darf man einen unschönen Menschen beschreiben?

Beispiel Thomas Mann und Adele Schopenhauer

Keine Chance für die nachträgliche Durchsetzung von „political correctness“. Aber ein Königsweg, aufmerksamer zu lesen . . .

aus: Lotte in Weimar s.a. hier

… und Caroline von Egloffstein – hier. Erwähnt von Adele Sch. auf Seite 117

Adele Schopenhauer in einem Porträt von Alexander von Sternberg aus dem Jahre 1841 (Wikipedia)

Und wie beschrieb sie selbst die Frauen?

Hier  (Orig.1845, alte Ausgabe) Hier (neue Ausgabe 1845)

Text aus „Anna. Ein Roman aus der nächsten Vergangenheit“ (neuer Nachdruck):

Josephine hatte ihren Gatten sehr lieb; sie hatte den viel älteren Mann aus Enthusiasmus geheirathet. Wenn man jetzt die anmuthig gelassene Erscheinung in der Färbung sah, die ihr mannichfaches Erfahren, Zeitenwechsel und ganz aristokratische Gewöhnungen gegeben, konnte man sich gerade in ihr keine solche Aufregung möglich denken. Auch war sie deren nur noch im tiefsten Herzen fähig, und diese sehr seltenen inneren Erschütterungen der Seele nahmen immer eine so bestimmte äußere Form des Handelns an, daß man kaum umhin konnte, sie für Früchte einer großen Besonnenheit zu halten. Und eine solche Frucht der ihr ganzes Wesen durchzitternden Angst um Waldau war die Art und Weise, mit der die noch an der Jugendgrenze stehende Frau es möglich machte, sich dem allgemein lastenden Druck zu entziehen und um sich und ihren Gatten eine Gesellschaftsoase zu bilden, die ihm äußere Sicherheit und das geistige Lebenselement bot, von dem die Erhaltung körper- und gemüthskranker Menschen weit öfterer abhängt, als wir es uns eingestehen mögen.
Umsonst umgibt uns der weite Wesenkreis der auf unsere Geistesfragen ringsum antwortenden Natur mit analogen äußern, die inneren Erscheinungen unsers Lebens rückspiegelnden Erfahrungen; wir beachten sie nicht. Die Lösung so mancher quälenden Verworrenheit liegt in Riesenhieroglyphenschrift um uns her gebreitet; aber wir wenden unser Auge ab. Der Cappflanze geben wir mit stets erneuter Fürsorge die ihr zusagende Erde; wir stellen sogar die Gewächse zu einander, deren Odem eine verwandte Atmosphäre um sie her bildet, ängstlich entfernen wir die fremdartigen, denen vielleicht gerade diese Ausströmung gefährlich werden könnte – nur den Menschen, die edelste Blüte der Schöpfung, stoßen wir kalt in eine ihn erdrückende, seinen besten Eigenschaften fremde Umgebung! Wir knicken die zarten Keime seines angebornen Empfindens und dann fodern wir eine Entwickelung von ihm, die kaum das günstigste Verhältniß zu sichern vermocht hätte. Zum Glück gibt es Frauen, die allenthalben instinctmäßig das Amt der Pflegerinnen übernehmen. Wie man zuweilen Kinder eine Blume an die Lippen drücken und gleich darauf ein runzliches, altes Muhmengesicht mit gleicher Inbrunst herzen sieht, als leuchte dem frischen jungen Blick das Göttliche durch jede Hülle zu; eben so unbewußt verleihen jene edeln weiblichen Naturen der schwankenden Ranke den Stab, dem wankenden Schritt den Arm, dem zagenden wie dem erstarrenden Herzen die Umgebung, deren es zum Genesen bedarf!
Und eine solche geborene Soeur grise alles Lebens war Josephine. Waldau hätte ohne sie das Dasein nicht zu ertragen vermocht. Sie wußte ihn von einem Tage zum andern hinzuhalten und durch stete Theilnahme und stets erneutes Interesse zu hindern, daß ihn diese Mitteltemperatur der Existenz, die so plötzliche Unthätigkeit, nicht vernichte. Was damals Weimar an ungewöhnlich begabten Männern und anmuthigen Frauen in sich schloß, das verstand Josephine um sich und Waldau herzuziehen, das Störende suchte sie mehr und mehr zu entfernen, und ihr Haus ward bald mitten im Drang der drückenden Zeitumstände zum Sammelplatz aller wissenschaftlich Gebildeten und Künstler.

(Fortsetzung folgt)

Weltfluchtmomente

Entgrenzung oder Verdichtung?

Texel Nähe Leuchtturm

unten: Oudeschild Treppe mit Hafenblick

in der Ferne: der Kirchturm von Den Hoorn

 

Texel Den Hoorn Kirche – fern, nah und von innen

Piet de Bruin

    Eine gewisse thematische Biederkeit, aber der universale Orgelkosmos im Klang, Autofahrten…

Warum dieser Haydn – unbedingt?

Zur ständigen Anmahnung: die thematische Weite. Dabei immer im Sinn: Ecomare hier. Und oben dies:

Vogelflug und trügerische Auspizien: Himmel!

Ergänzendes zu „Aneinander-vorbei-lieben“

Bezogen auf einen älteren Blog-Beitrag, auf die Zeilen:

am frühen Morgen (als ich) die neue ZEIT überflogen hatte. Also irgendwie „dialektisch disponiert“ war. Ausschlaggebend waren vielleicht zwei Artikel: „Ein kleines toxisches Glossar“ (Seite 53) und „Soll man Gott nun fürchten und lieben?“ (Seite 64). Ich werde sie im Hintergrund behandeln und am Ende dieses Blog-Artikels veröffentlichen (wenn es sich lohnt). – I.M.S.

Hier ist der Hintergrund. Was mich aufhorchen ließ: die Behandlung eines häufig selbst-therapeutisch akzentuierten Vokabulars, im einzelnen fast parodistisch beschrieben in dem Artikel „Ein kleines toxisches Glossar“ von Jolinde Hüchtker. Etwa zum Netflix-Thema der nicht gelingenden Verliebtheit eines Paares: zu reden von

„unterschiedlichen Punkten ihrer Healing Journey, der Reise zum geheilten, besseren Selbst. Wer heilt, will sich nicht erklären müssen , daher weißt meistens keiner, wovon sich alle so dringend erholen wollen. Wo es mal hier: »Ich will mich selbst verwirklichen«, oder: »Ich bin anderer Meinung«, hält heute diese – vermulich endlose – Reise her, um andere abzuwimmeln.

Trauma-Dumping  Der Begriff wurde für Situationen wie diese erfunden: Im Büro erzählt ein Kollege unerwartet vom Suizid seines Vaters oder von dem missbräuchlichen Sportlehrer, wodurch er sein Trauma beim überforderten Gegenüber »ablädt«. Nennt man bereits einen gruseligen Film oder ein schlechtes Date »traumatisch«, verändert sich, was Trauma-Dumping ist: wenn jemand von seinem Liebeskummer erzählt oder seinem schlechten Tag und man selbst eigentlich zuhöre, trösten, kurzum, einfach nur ein Freund sein muss.

Oder unter dem Stichwort „Grenzen“:

Un sich zu schützen, setzt man Grenzen (»Fass mich nicht an!«). Der US-Schauspieler Jonah Hill etwa formuliert seine »Grenzen« aber so: Wenn seine Freundin mit anderen Männern surfen gehe, modele oder Bikinifotos poste, sei er nicht der Richtige für sie, weil sie damit seine Grenzen nicht respektiere. Mit Selbstschutz hat das nichts zu tun. Stattdessen bemüht Hill dieses Wort aus der sogenannten Selfcare, um den Alltag seiner Freundin zu kontrollieren und das ins Vokabular tiefer Selbsteinfühlung zu verpacken.

Quelle DIE ZEIT 28. Sept. 2023 (Seite 53) Ein kleines toxisches Glossar / Von Jolinde Hüchtker

In diesem Stil könnte ich als ein „An-einander-vorbei-lieben“ auch (nachträglich) wichtigtuerisch eine unausgereifte, ängstliche Form der ersten Liebe bezeichnen, die sich nicht einmal ein vorsichtig angedeutetes Geständnis traut oder in der indirekten Verbalisierung noch gänzlich ungeübt ist. Aber diesen sozialen Defekt nicht ehrenrührig bezeichnen mag, der mit ein wenig Phantasie leicht aufgelöst werden könnte. Es ist bequemer, daraus einen Komplex zu konstruieren.

Das (allzu)große Thema GOTT aufgreifen, um es loszuwerden. Um es nicht argumentativ zurückzuweisen. Der islamisch getönte Lebensbericht, der eine große Geschichte inszeniert, um zu bemänteln, dass es eigentlich nichts zu sagen gibt…

Quelle DIE ZEIT (28.09.23 Seite 64) Mouhanad Khorchide: Soll man Gott fürchten und lieben? / Deutschlands bekanntester Islamtheologe hat einen Roman geschrieben. / Hier erzählt seine Hauptfigur von der Suche nach dem verlorenen Glauben (erschienen im Verlag Bonifatius).

Gott? Markus Gabriel hier plus LESCH hier

Noch einmal M. Gabriel (die drei epochalen Irrtümer) hier

1. der Gedanke, dass die gesamte Wirklichkeit physikalisch messbar und naturwissenschaftlich beschreibbar ist. So dass es NICHTS gibt, das nicht naturwissenschaftlich erforschbar ist. Physikalismus.

2. dass Denken, Geist, Bewusstsein, unsere inneren geistigen u. mentalen Zustände nichts anderes sind als Emergenze, ausstrahlende Phänomene des Gehirns. Neurozentrismus.

3. dass es keine objektiv feststehenden Wertemaßstäbe ethischer Natur gibt. Also dass das, was wir tun oder unterlassen sollen, aus moralischen Gründen, lediglich ein arbiträre Setzung einer Kultur oder des menschlichen Geistes ist. Moralischer Nihilismus.

Zurückblicken auf:

Kant und Swedenborg

und auf:

Frühe Bewusstseinsspaltung

und (bei der Suche nach „Begehren“) auf :

Zu Hegel

Begehren (Wille)

Quelle Byung-Chul Han: Philosophie des Zen-Buddhismus / Reclam Stuttgart 2002 (Seite 62)

KI – steckt doch mehr dahinter?

Was unsere Sicht behindert

DIE ZEIT 7.09.23 Seite 47

auf Texel 19.6.22

  DIE ZEIT 7.09.23 Seite 57

in Solingen-Ohligs 10.11.22

Wo wird die Abwesenheit von realem Inhalt wirklich zu unwirklich? Künstlicher Tiefsinn? Geht es auch ohne den leeren Himmel? Kein Einwand: er ist gar nicht leer. Er deutet unsagbare Fülle an. Nichts. Nonsens. Besinnung auf frühere Begegnungen:

Der Caspar David Friedrich an der Wand (Hochzeit 1961)

  Lektüre1961

Caspar David Friedrich 2006 in Essen ; das unangenehm Missionarische , wie hier

Rauterberg ZEIT 7.9.23

Romantisches Missverständnis auch bei Haiku-Übersetzungen (Manfred Hausmann). Aber nicht hier:

1993

2014

Heute 2023 betr. David Chalmers – Frage: Bin ich mein Gehirn? ↓

(Englische Version des Gesprächs hier)

Darin bei 12:40 Daniel Dennett 27:10 website David Chalmers erwähnt / weiter ab 30:00

Der ZEIT-Artikel (2023) von Peter Neumann (mit David Chalmers) überzeugt mich weit weniger als das Youtube-Gespräch (2019). Woran liegt das? Der Punkt ist einfach:

Die Gewissheit des „also bin ich“ können wir keinen Moment hinnehmen, als ob das „ich“ über jeden Zweifel erhaben sei. Da hilft es auch nicht, wenn wir es wenig später wie eine Figur aus dem Computerspiel betrachten sollen. (Rechts im Bild taucht der Name Turner [s.a. hier] auf, ein Hinweis auf das Unechte der Kaufhauskunst, – der Kunstdruck, „feuerroter Himmel, eines dieser Wohnzimmerbilder, die man vor allem in Baumärkten kaufen kann“ , oder – füge ich hinzu – leicht selber produzieren kann, siehe oben). Wir wissen nicht, so erklärt Chalmers damals, wie

: die ganz subjektiv – Fortsetzung: – die Erfahrungen in diesen virtuellen Simulationen machen [wir ? die wir ein erfülltes, glückliches Leben darin führen??], und schließlich beruhen auch digitale Objekte auf realer Informationsverarbeitung in einem realen Computer: «Virtuelle Welten sind keine Realitäten zweiter Klasse».

„Immerhin sind immer noch wir es“? Ganz subjektiv?  Geht man so mit unserm scheinbar realen Kern um? Ich erinnere mich selbst – hier !

Ich frage mich nach dem Unterschied zwischen Realität und Imagination. Aber nicht im Ernst: die Schwierigkeiten entstehen, wenn man an Wunder glaubt: Von Petrus, der Jesus übers Wasser schreiten sieht, bis zu Rudolf Steiner, der seine Visionen als real Gesehenes weitergibt:

Meine Erkenntnisse des Geistigen, dessen bin ich mir voll bewußt, sind Ergebnisse eigenen Schauens. Ich hatte jederzeit, bei allen Einzelheiten und bei den großen Übersichten mich streng geprüft, ob ich jeden Schritt im schauenden Weiterschreiten so mache, daß voll-besonnenes Bewußtsein diese Schritte begleite. (…) Daß man von einer Imagination weiß, sie ist nicht bloß subjektives Bild, sondern Bild-Wiedergabe objektiven Geist-Inhaltes, dazu bringt man es durch gesundes inneres Erleben.

Siehe dazu: hier.

Siehe auch den Bewusstseinsphilosophen Thomas Metzinger hier„Wir halten unser Ich für real. Doch es ist nur ein Bild von uns selbst, das wir nicht als Bild erkennen.“

Nun schauen Sie, was über dem ZEIT-Artikel steht, aus dem ich zitiert habe:

Und nun das, worauf diese „Vision“ hinausläuft:

Und des weiteren a.a.O.:

Da sind wir wieder beim „simulierten Turner“  und müssen allein weiterdenken. Werden wir in zehn, zwanzig Jahren Chatbots und virtuelle Welten kaum noch unterscheiden können von der echten Realität und von echten Menschen? (Was ist „echt“ bei Gemälden? Zu wissen, wie es gemacht ist? gedacht ist…)

Eros (Thanatos) Gewalt

Eine phänomenale CD : genug Stoff zum Hören, Fühlen und Weiterdenken

Cover & Einführungstext aus dem Booklet

HIER vorweg der Link zum Gespräch „Eros und Gewalt – Gehirn, Gefühl, Gesang“ mit Hannah Monyer, Walter Nußbaum und J. Marc Reichow mit ausführlichem Themenindex.

Das Gespräch ergänzt und erweitert den kurzen Essay der Heidelberger Neurophysiologin Prof. Dr. Hannah Monyer im zweisprachigen Booklet der am 8. September 2023 beim Label Genuin (https://genuin.de) veröffentlichten neuen CD der SCHOLA HEIDELBERG unter Leitung von Walter Nußbaum.

Es berührt interdisziplinär folgende Themenkomplexe: 01:50 Madrigal: Musik und Sprache – Warum Rezitation? 04:30 „Psycho-Musik?“ und Einführungstext 05:00 Vorstellung Prof. Dr. Hannah Monyer 06:05 Psychologie der Aufmerksamkeit, Abwechslung und Dichte 07:42 Bernini und das Gewaltcover 10:09 Extreme Ausdrucksmittel 10:33 Warum Begriffe wie „Neuroökonomie“ ? 12:35 Eros UND Gewalt 14:00 Versuch der Objektivierung: Vertonung und Schlüsselbegriffe 16:00 Kontrollverlust, doch rationales Komponieren? 18:00 Gewalt in Biographien und Werk 19:10 Gesualdos „Beltà“ als Beispiel 21:00 Moment und Gegenwart 21:43 Zeitstil, Rhetorik und Besonderheiten 23:00 Gesualdos Dichte … 24:00 … und Verfeinerung 24:25 Gewalt als Gefangenschaft der Liebe 26:00 Manierismus 26:50 Rollenbilder und literarische Tradition 28:45 Gesualdo „nicht polyphon“? 29:40 Für welches Publikum? 30:15 Gesualdo, als szenische Musik gehört 30:34 … am Beispiel „Tu m’uccidi“ (1) 31:10 Phantastik und Diagnose von „Ideenflucht“ 33:25 Grenzsituationen und Eifer-Sucht 34:00 Gewalt und motorischer Handlungszwang 35:00 Gewalt bei Bernini (2) 35:23 „Tu m’uccidi“ im Detail (2) 39:00 Erotischer Subtext, Tod und Orgasmus 41:15 Verlust, Kontrolle, Melancholie und Humoralpathologie 44:18 Physiologie der Liebesempfindung 51:00 Kunst als Sublimation 53:00 Claude Viviers Text über „Chants“ 54:44 Schlüsselstelle aus „Chants“ 57:00 Trauma und spirituelle Musik 58:20 Liebe, Mutterliebe, Marienverehrung bei Vivier und Gesualdo 59:30 Bedeutung von Glenn Watkins für die Gesualdo-Forschung 1:00:20 Stravinsky, Gesualdo und die Folgen 1:00:40 KlangForum Heidelberg: Netzwerk Madrigal 1:01:10 Zitat (und Bedeutung) von Glenn Watkins 1:01:30 [Farbfehler] 1:01:42 Physiologische Nachbarschaft von Hirnarealen (Frage zum Text) 1:04:00 Akzeptanz und Umschreiben des Vergangenen im Gehirn 1:06:00 Trauma und Traum 1:07:30 Was ist mit Michelangelo Rossi? 1:09:50 Beispiel „O miseria d’amante“ (mit Fotos aus den CD-Aufnahmen) 1:13:47 Intonation, reine Intonation und verwandte Probleme 1:17:30 „… Reinheit nur, … wenn man ohne Vibrato singt“ 1:18:00 Vicentino und das Archicembalo 1:20:00 „So erklärt die Neurowissenschaft …“ ? 1:23:00 Weiteres Leben, Rückzug, Schuldkomplex von Gesualdo 1:24:00 Schlusswort und Hoffnung auf die Kunst

Anregung JMR:

Volker Beck: Weltrisikogesellschaft (dt. 2008) aber siehe hier

Die zwei Gesichter des Risikos – Chance und Gefahr – werden während der Industrialisierung, beginnend mit der internationalen Handelsschiffahrt, zum Thema. Das Risiko stellt die Wahrnehmungs- und Denkschablone der mobilisierenden Dynamik einer Gesellschaft dar, die mit der Offenheit, den Unsicherheiten und Blockaden einer selbsterzeugten Zukunft konfrontiert und mehr durch Religion, Tradition oder die Übermacht der Natur festgelegt ist, aber auchden Glauben an die Heilswirkungen der Utopien verloren hat.

Während sich zwischen Gott und dem Risiko eine Kluft auftut, ist der europäische Roman eine Verbindung mit dem Risiko eingegangen. Als das Risiko auf den Plan trat, mußste Gott seine Position als Weltenlenker räumen, mit allen umstürzlerischen Konsequenzen. Die »Kunst des Romans« (Milan Kundera 1986) hat gemäß ihrer eigenen Logik die vielen Gesdichter des Risikos entdeckt und seine existentielle Dimension erkundet und ausgemalt: In der Gestalt des Don Quichotte ist das Leben auf Erden, dessen Zukunft nicht der Macht der Götter oder Gottes Weisheit gehorcht, zu einem unabschließbaren Abenteuer geworden. Denn in der Abwesenheit Gottes entfaltet das Risiko seine verheißungsvolle  und schreckensvolle, schier unbegreifliche Ambiguität. Die Welt ist nicht, wie sie ist, sondern ihr Sein und ihre Zukunft setzen Entscheidungen voraus, Entscheidungen, die Nutzen und Schattenseiten gegeneinander abwägen, die Fortschritt und Verfall miteinander verbinden und, wie alles Menschliche, Irrtum, Nichtwissen, Hybris, Kontrollversprechen und am Ende gar den Keim der möglichen Selbstzerstörung in sich tragen.

Vor- und Nacharbeiten, Zettelsammlung JR

Verbindung zu „Dessiner les Passions“ bzw. Le Brun HIER

zu schön um wahr zu sein?

Hemmung in der Bildenden Kunst, die Leidenschaft hässlich darzustellen, mit verzerrtem Gesicht. Siehe Lessing: „Laokoon“. Dagegen Leonardos Fratzen (für Nahkampf-Darstellungen? aber auch das Gesicht bei seiner Zeichnung eines physiologischen Coitus-Querschnitts, hier). S.a. hier (Sütterlin: Fratzen, Monster / 2005) und hier (Haag: Porträtkarikatur im Barock / 2013)

https://www.ypsilon-psychoanalyse.de/01-2016-kreative-zerstoerung/das-todestriebkonzept hier

Weiter werde ich darauf zu sprechen kommen, […]wieso gerade bei den kulturschaffensten Menschen (KünstlerInnen, SchriftstellerInnen beispielsweise) oft ein hohes Maß an Leiden mitschwingt. Denn schließlich ist das Werk des Todestriebs nicht der Kurzschluss mit dem Tod, der Selbstmord etwa, sondern Produktivität schlechthin.

Freuds Streben nach Verwissenschaftlichung, sein Versuch, sich in den naturwissen­schaftlichen Diskurs einzureihen, erscheint nie so vergeblich wie hier und es ist auch oft kritisiert worden, worauf ich jetzt nicht weiter eingehen will [Birgit Meyer zum Wischen]. Die Biologie versagt die Unterstützung bei der Begründung der Konstruktion des Seelischen, was Freud aber nicht von seiner „Hypothese“ abbringen kann. Statt ein Scheitern zu konstatieren, kann man an dieser Stelle einen Wechsel auf die Ebene des Repräsentationsvermögens vollziehen.

Der Schritt vom Ursadismus zum ursprünglichen Sadismus kann nicht nur auf eine Angelegenheit des speziellen Organsystems der Muskulatur20 eingeschränkt werden. Er ist auf der Ebene einer Ab­fuhr durch Organsysteme nicht beschreibbar, da er nicht weniger „bewirkt“ als dass „überhaupt etwas ist und nicht vielmehr nichts“. Der ursprüngliche Sadismus ist zu iden­tifizieren mit dem Repräsentationsvermögen, das die ontologische Konstitution von Welt erst ermöglicht.21 Im Unterschied zur Metaphysik „fundiert“ die Todestriebtheorie die­ses also im Gewaltakt der Umwendung des Ursadismus. Alles, was wir tun, ist Ableistung dieses ursprünglichen Sadismus (der prinzipiell jederzeit zum Sadismus als Perversion zusammenbrechen kann). Die gesamte menschliche Existenz, die sich im Vollzug des Repräsentationsvermögens manifestiert, tritt genau hier hervor: Wahrnehmen, Den­ken, Fühlen, Handeln, usw.

Die Freud’schen Todes- und Lebenstriebe können nun nicht länger als biologische In­stinkte angesehen werden. Denn der Mensch besitzt keine rein biologischen Instinkte und Bedürfnisse. Er befindet sich stattdessen immer schon in der Ordnung der Repräsentation oder der Ordnung des Begehrens. Wenn dann versucht wird, die Konstitution des Repräsenta­tionsvermögens selbst als biologische Genese zu beschreiben, kommt es zu derart para­doxen Gebilden wie den Freudschen „Ursprungs-Erzählungen“.

Mit dem Sadismusvokabular will Freud wohl darauf hinweisen, dass alles, was wir kulturell leisten, eine Angelegenheit von Gewalt ist, was wiederum auf die Hypothek unserer Sterblichkeit zurückfällt. In diesem Sinne ist jeder Wunsch nach Gewaltfreiheit illusorisch, insofern es aller Kulturarbeit zuwi­derläuft.

https://de.wikipedia.org/wiki/Gewalt hier

https://de.wikipedia.org/wiki/Sadismus hier

https://en.wikipedia.org/wiki/Claude_Vivier hier (die Umstände seines Todes!)

https://de.wikipedia.org/wiki/Carlo_Gesualdo hier

  Detail: hier

https://www.kammermusikfuehrer.de/werke/4037 hier

https://www.perlentaucher.de/buch/glenn-watkins/carlo-gesualdo-da-venosa.html#reviews hier

https://klangforum-heidelberg.de/eros-und-gewalt hier

https://www.leopoldina.org/fileadmin/redaktion/Mitglieder/CV_Monyer_Hannah_D.pdf hier

https://de.wikipedia.org/wiki/Temperamentenlehre hier

https://de.wikipedia.org/wiki/Blutkreislauf_des_Menschen_und_der_S%C3%A4ugetiere hier

https://de.wikipedia.org/wiki/Lokalisation_(Neurologie) hier

https://de.wikipedia.org/wiki/Mesolimbisches_System hier

https://www.dasgehirn.info/denken/motivation/sucht-motivation-zu-schlechten-zielen hier

Bernini: https://de.wikipedia.org/wiki/Gian_Lorenzo_Bernini hier

https://de.wikipedia.org/wiki/Verz%C3%BCckung_der_heiligen_Theresa hier

Borromini: https://de.wikipedia.org/wiki/Francesco_Borromini hier

Rivalität zwischen Bernini und Borromini hier

Zu untersuchen (Ideen zur Psychologie):

Notwendiger Zusammenhang 1 Liebe (Begehren) und 2 Verschmähte Liebe, die umschlägt in Gewalt (Hass)

1 zielt auf Ich-Erweiterung, Alleinbesitz 2 auf Isolation, Verminderung, Entbehrung, fühlbare Leerstelle

1 Euphorie (Überschuss) 2 Verlustängste (Herabminderung)

Unerwiderte Liebe?

Man leidet ohnehin vermehrt unter der Abhängigkeit, – wenn sie jedoch auf feindselige Ablehnung trifft, schlägt sie um in Gewaltbereitschaft (Rache).

Es hat mit Machtlosigkeit, Entmächtigung zu tun. Eros als „Wille zur Macht“? Mit Sondermitteln. Wer am meisten liebt, ist am meisten ausgeliefert, zu demütigenden Konzessionen bereit. In der erfahrenen Hilflosigkeit aber auch zu unkontrollierten Gewaltausbrüchen disponiert. Man macht kaputt, was einen kaputt macht.

Die Gewaltanwendung (bis hin zur planmäßigen, nicht nur jähzornigen Tötung), etwa im Krieg, auch präventiv, hat mit dem Bewusstsein des immer im Hintergrund drohenden eigenen Todes zu tun: mein Überleben ist ein sichtbares Zeichen, dass ich vom Gesetz des allgemeinen Sterbenmüssens ausgenommen bin. Canetti hat das beschrieben. (Masse und Macht: der Überlebende).

Ich hörte einmal das zynische Touristen-Wort: Es genügt nicht, reich zu sein. Die anderen müssen auch arm sein.

Umgekehrt geht die Logik der Liebe: wer leichtfertiger liebt, muss nicht die Gedankenlosigkeit des Partners fürchten. Wer sich immer wieder der Liebe des anderen versichern muss, – um zu glauben, dass jene/r wirklich liebt/treu ist/jeder Anfechtung widersteht -, sorgt für Fahrlässigkeit auf der anderen Seite. Die verbalen Liebesbeteuerungen (als lästige Pflicht) kosten wenig. Rilke: „Seht euch die Liebenden an: wenn erst das Bekennen begann, wie bald sie lügen.“

Wer einen anderen Menschen leiden lässt, – durch scherzhafte Andeutungen, durch gespielte Missverständnisse -, entgeht der Gefahr, selber leiden zu müssen.

Wer aus dem eigenen Leiden Gedichte (Romane oder Harmoniefolgen) machen kann, erlebt als Ausgleich kreativen Lustgewinn. Gedachte (benannte) Leiden verbinden sich leichter mit ihrer Verklärung. Das wirkliche Leiden blockiert oder lähmt.

Was ist Liebe? bei Erich Fromm https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Kunst_des_Liebens hier

Vgl. Jose Ortega Y Gasset „Signale unserer Zeit“ (1963)

Erinnerung an die Lektüren 1962, 2007, 2007, 2015

Inhaltsverzeichnis (S.115 zu Proust S.138 zum Tango S.225 zu Amok)

Frühe Bewusstseinsspaltung

Rückblick auf Adornos Nachhilfe

As ich 1955 anfing, ernsthaft philosophische Literatur zu lesen (ich glaube, „Sokrates im Gespräch“ von Romano Guardini), stieß ich bald auf Nietzsche, nicht ahnend, dass er es mir zu leicht machte. Kant, von dem ich ein/zwei Jahre später (für Langeoog) zwei Bände der Dünndruck-Gesamtausgabe aus der Bielefelder Stadtbücherei entlieh, daneben eine voluminöse „Einführung in das Werk“ unbekannter Provenienz. Im Original – einigen naturwissenschaftlichen Schriften – blieb ich stecken. Jedenfalls begegnete mir nicht dort, sondern in Nietzsches „Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik“ zum ersten Mal das Wort „Subjekt-Objekt-Spaltung“; es erschien mir wie die Andeutung höherer Weihen. Ich weiß nicht, ob  mir klar war, dass Nietzsche diesen Begriff von Schopenhauer übernommen hatte, und dass er über diesen Philosophen bereits eine frühe Schrift veröffentlicht hatte. Schumann, Brahms, Wagner (Lohengrin). Laufend Neues in der Musik? 1956 kaufte ich Hindemiths „Unterweisung im Tonsatz“, nachdem ich ihn in der Oetkerhalle persönlich erlebt hatte („Sinfonia serena“), siehe live hier. Mein Vater, der mir immerhin die Harmonielehre von Louis/Thuille erschloss, sah die Sache skeptisch. Er sagte auch: Von Schönberg spricht in 100 Jahren kein Mensch mehr. Ein günstiger Anlass zu weiterer Opposition meinerseits, die zunächst bei Hindemith verweilte.

Beilage aus Hindemiths „Unterweisung“

Drei Jahre später – im Bielefelder Freibad – hatte ich Adornos „Philosophie der Neuen Musik“ (ebenfalls aus der städtischen Bibliothek) zu knacken gesucht, 1960 in Berlin dann ernsthaft (mühevoll – im Café Kranzler) mit einem Stift, der das Unterstreichen in Blau und Rot erlaubte, damals auch noch mit Lineal. Großer Respekt. Irgendwann habe ich gelesen, dass Ludwig Klages ein Buch „Der Geist als Widersacher der Seele“ geschrieben hatte, von dem ich annahm, dass es mir zutiefst entspräche. Weit gefehlt. In solchen Widersprüchen glaubte ich mich einrichten zu können. Die 60er Jahre waren von Adorno gezeichnet, was mich letztlich vor einem Versinken in Mystizimus (Indien) bewahrte. Nach fast allen anderen Werken von ihm erwarb ich 1970 – kurz nach seinem Tode – auch noch das letzte mit dem Titel „Stichworte“, das ich jetzt – im August 2023 – wieder hervorholte, um das zu wiederholen, was ich damals nicht verstanden hatte. Vor allem die Stichworte, die spezifisch philosophischen Themen gewidmet waren. Seite 20 ff hätte schon früh zur Einsicht führen können. Statt meine Zeit mit Merkzetteln zu vergeuden und sie in Bücher über Parapsychologie oder Halbwahrheiten wie „Zen in der Kunst des Bogenschießens“ zu verteilen, die mich von Berlin nach Köln begleiteten.

„dauernd im Transzendentalen“, nur „bestritten von  seichten Empirikern“?

das Gegengift ab Seite 11, 151, 169

Aber jetzt erst, nach 50 Jahren, könnte ich wohl ernsthaft damit anfangen…

Zum Beispiel dort, wo Adorno mit seinen Worten über Subjekt-Objekt-Spaltung spricht. Und diese mit der Schimäre eines zeitlich oder außerzeitlich ursprünglichen Zustands glücklicher Identität von Subjekt und Objekt verbindet (Seite 152), passend zu den Gedanken in „Vernunft und Offenbarung“ (Seite 20). Ich zitiere den Passus (Seite 152 f) ausdrücklich, Verständnishilfen interpolierend, weil ich immer mal wieder in die Falle getappt bin, ein vages All-Einheitsgefühl – wie im Zustand einsetzender Trunkenheit – für eine Verheißung mystischen Glücks zu halten.

Das Bild eines zeitlich oder außerzeitlich ursprünglichen Zustands glücklicher Identität von Subjekt und Objekt aber ist romantisch [„romantisch“ als Epoche]; zuzeiten [eben: zu Eichendorffs Zeiten] Projektion der Sehnsucht, heute nur noch Lüge. Ungeschiedenheit, ehe das Subjekt sich bildete, war der Schrecken des blinden Naturzusammenhangs, der Mythos; die großen Religionen hatten ihren Wahrheitsgehalt im Einspruch dagegen.

Übrigens ist Ungeschiedenheit nicht Einheit; diese erfordert, schon der Platonischen Dialektik zufolge [die Kunst der logischen Unterteilung siehe hier],Verschiedenes, dessen Einheit sie ist. Das neue Grauen, das der Trennung, verklärt [!] denen, die es erleben, das alte, das Chaos, und beides ist das Immergleiche. Vergessen wir über der Angst vor der gähnenden Sinnlosigkeit die einst nicht geringere vor den rachsüchtigen Göttern, welche der epikureische Materialismus und das christliche Fürchtet euch nichtvon den Menschen nehmen wollte. Anders nicht als durch das Subjekt ist das vollziebar. [An dieser Stelle wird Adornos Text durch Abbreviatur unnötig schwierig, enthält vielleicht sogar einen Druckfehler:] Würde es liquidiert, anstatt in einer höheren Gestalt aufgehoben, so bewirkte das [eine] Regression des Bewußtseins nicht bloß [allgemein als „Regression“] sondern eine [Reduktion] auf reale Barbarei. Schicksal, [das] die Naturverfallenheit der Mythen [kennzeichnet], stammt aus totaler gesellschaftlicher Unmündigkeit, einem Zeitalter, darin Selbstbesinnung noch nicht die Augen aufschlug, Subjekt noch nicht war [einem Zeitalter, in dem von „Subjekt“ noch niemand hätte reden können]. Anstatt jenes Zeitalter durch kollektive Praxis zur Wiederkehr zu beschwören, wäre der Bann des alten Ungeschiedenen zu tilgen. Seine Verlängerung ist das Identitätsbewußtsein des Geistes, der repressiv sein Anderes sich gleichmacht.

Es ist eine Adorno-Stelle, in deren Verlauf er unnötig feierlich, geradezu biblisch wird. An Gottfried Benn gemahnend. ( „Verlorenes Ich“ oder „Astern“ ). Ansonsten bedeuten die roten Eintragungen keine Beckmesserei, sondern eigene Verständnisbrücken.

Man kann den Gedankengang der 12 Abschnitte des Artikels „Zu Subjekt und Objekt“ rekapitulieren, indem man nach der Lektüre nur die jeweils ersten Zeilen als Markzeichen memoriert:

1 Mit Erwägungen über Subjekt und Objekt einzusetzen, bereitet die Schwierigkeit anzugeben, worüber eigentlich geredet werden soll.

2 Die Trennung von Subjekt und Objekt ist real und Schein.

3 In der Erkenntnistheorie wird unter Subjekt meist soviel wie Transzendentalsubjekt verstanden.

4 Durch die Einsicht in den Vorrang des Objekts wird nicht die alte intentio recta restauriert, das hörige Vertrauen auf die so seiende Außenwelt (…)

5 Vom Vorrang des Objektes ist legitim zu reden nur, wenn jener Vorrang, gegenüber dem Subjekt im weitesten Verstande, irgend bestimmbar ist, mehr also denn das Kantische Ding an sich als unbekannte Ursache der Erscheinung.

6 Was unter dem Namen Phänomenalismus geht: daß von nichts gewußt werde, es sei den durchs erkennenden Subjekt hindurch, das verband sich seit der Kopernikanischen Wendung mit dem Kultus des Geistes. Beides wird von der Einsicht in den Vorrang des Objekts aus den Angeln gehoben.

7 Identitätsdenken, Deckbild der herrschenden Dichotomie, gebärdet sich im Zeitalter subjektiver Ohnmacht nicht länger als Verabsolutierung des Subjekts. (…) Es ist die gegenwärtig charakteristische Form verdinglichten Bewußtseins, falsch wegen seines latenten und desto verhängnisvolleren  Subjektivismus.

8 Auch nach der zweiten Reflexion der Kopernikanischen Wendung behält Kants anfechtbarstes Theorem, die Distinktion von tranzendentem Ding an sich und konstituiertem Gegenstand, einige Wahrheit.

9 Ebensowenig allerdings ›gibt‹ es eigentlich Subjekt. Dessen Hypostasis im Idealismus führt auf Ungereimtheiten.

10 Die Differenz von Subjekt und Objekt schneidet sowohl durch Subjekt wie durch Objekt hindurch. (…) An Subjekt läßt eigentlich alles dem Objekt sich zurechnen: was daran nicht Objekt ist, sprengt semantisch das »Ist«.

11 Objekt ist, wenngleich abgeschwächt, auch nicht ohne Subjekt. Fehlte Subjekt als Momentan an Objekt selber, so würde dessen Objektivität zum Nonsens.

12 Die Reflexion des Subjekts auf seinen eigenen Formalismus ist die auf Gesellschaft, mit der Paradoxie, daß, gemäß der Intention des späten Durkheim, die konstitutiven Formanten gesellschaftlich entsprungen sind.

*    *    *

Nochmal von vorn: was ist denn daran falsch, wenn ich – wie Descartes bzw. nach seinem Vorbild – anfange mit dem „Cogito ergo sum“ – „Ich denke, also bin ich“ ? Da habe ich doch – besonders in der deutschen Übersetzung – den Angelpunkt des Denkens oder sagen wir: der Weltbetrachtung: „ich“.

Leider hat sich aber inzwischen die Philosophie vollkommen auf dieses denkende Ich (das eigene Erkenntnisvermögen) konzentriert, und dabei ist es sehr fragwürdig geworden. Anders als in meiner Jugend hilft einem heute Wikipedia auf den rechten Denkweg. Zitat:

Mit der Reflexion auf das eigene Erkenntnisvermögen erfolgte in der Neuzeit ein Bedeutungswandel. Der Begriff des Subjekts wurde nun eingeschränkt auf das erkennende Ich. Es entstand die Vorstellung eines Dualismus von einer (geistigen) Innenwelt und einer (materiellen) Außenwelt. Seitdem versteht man in der Philosophie unter Subjekt den menschlichen Geist, die Seele, das seiner selbst gewisse und sich selbst bestimmende Ich-Bewusstsein. Daraus ergibt sich allerdings ein philosophisches Problem, denn die Welt erscheint einem Subjekt nicht mehr zwangsläufig so, „wie sie wirklich ist“, vielmehr wird nunmehr alles Wahrgenommene subjektiv, indem es vom Erkenntnisapparat des Subjekts zurechtgeschnitten wird (Subjekt-Objekt-Spaltung). Indem es sich auf die Dinge in der Welt richtet, ist das Subjekt Träger sogenannter intentionaler Akte. Die intentionalen Gegenstände der Erkenntnis werden dann im Denken repräsentiert und als Objekte bezeichnet.

Nachzulesen im Wikipedia-Artikel „Subjekt“: im Zitat habe ich die Links eliminiert, in der Hoffnung, dass wir zunächst einmal den Denkfluss nicht durch Einschübe und weiteres Nachlesen unterbrechen müssen. Man kann es natürlich in einem zweiten Durchgang nachholen oder erweitern: also hier.

*    *    *

Was macht Adorno etwas schwierig zu lesen? Ein Beispiel aus „Vernunft und Offenbarung“ (Stichworte Abschnitt 3 , Seite 12 f), wo er beginnt mit: „Das Opfer der Intellekts, das einmal, bei Pascal und Kiekegaard, vom fortgeschrittensten Bewußtsein (….ich kürze) gebracht war, ist mittlerweise sozialisiert, und wer es bringt (das Opfer, – heute zu bringen vorgibt), ist dabei unbeschwert von Furcht und Zittern : keiner hätte mehr mit Empörung darauf reagieren können als Kiekegaard selbst.

JR „Furcht und Zittern“ ist natürlich eine Anspielung auf ein Werk dieses Titels von Kierkegaard, die Worte sind also eine nur für Kenner wahrnehmbare Anspielung. Nachzuvollziehen heute z.B. hier. Oder hier: „Kierkegaard bekräftigt in dieser Schrift, dass der Mensch, indem er aus der ethischen Sphäre heraus- und in die religiöse Sphäre eintritt, als der Einzelne höher steht als das Allgemeine, also das Ethische, und nur noch Gott Gehorsam schuldet. Ausdrücklich wird daher Abrahams Absicht gutgeheißen, Isaak auf Gottes Befehl hin zu opfern, auch wenn sich Abraham damit über die Ethik hinwegsetzt. Gleichzeitig wird ausgeführt, dass kraft des Glaubens alles möglich ist.“

Bei Adorno geht es weiter, an die Formulierung „ist mittlerweile sozialisiert“ anknüpfend, mit den Worten „Anpassung in der verwalteten Welt“:

Zitat (Adorno a.a.O.)

Weil zuviel Denken, unbeirrbare Autonomie (Akk.:) die Anpassung in der verwalteten Welt erschwert und Leiden bereitet, projizieren Ungezählte dies ihr gesellschaftlich diktiertes Leiden auf die Vernunft als solche.

Sie soll es sein, die Leiden und Unheil über die Welt gebracht hat. Die Dialektik der Aufklärung, die in der Tat den Preis des Fortschritts, all das Verderben mitbenennen muß, das Rationalität als fortschreitende Naturbeherrschung bereitet, wird gewissermaßen zu früh abgebrochen (…).

JR: Vorausgesetzt natürlich, man kennt das Buch „Dialektik der Aufklärung“, siehe zumindest hier. [Lesepause]

1971

[und Fortsetzung des zuletzt zitierten Satzes:]

… zu früh abgebrochen, nach dem Modell eines Zustands, dessen blinde Geschlossenheit den Ausweg zu versperren scheint.

Krampfhaft, willentlich wird verkannt, daß das Zuviel an Rationalität,

über das zumal die Bildungsschicht klagt und das sie in Begriffen wie Mechanisierung, Atomisierung, gern auch Vermassung registriert,

ein Zuwenig an Rationalität ist,

die Steigerung nämlich aller kalkulierbaren Herrschaftsapparaturen und-mittel auf Kosten des Zwecks,

der vernünftigen Einrichtung der Menschheit, die der Unvernunft bloßer Machtkonstellationen überlassen bleibt,

und zu der das Bewußtsein,

getrübt von unablässiger Rücksicht auf bestehende positive Verhältnisse und Gegebenheiten,

sich überhaupt nicht mehr zu erheben getraut.

Wohl ist einer ratio, als stures Herrschaftsmittel, frevelhaft verabsolutiert, Selbstbesinnung geboten,

und davon drückte das religiöse Bedürfnis heute einiges aus.

Aber diese Selbstbesinnung kann nicht bei der bloßen Negation des Gedankens durch sich selbst, bei einer Art von mystischem Opfer stehenbleiben [Anspielung auf Abraham/Isaak], nicht durch einen »Sprung« sich vollziehen:

der ähnelte nur allzusehr der Katastrophenpolitik.

Sondern Vernunft muß versuchen, die Rationalität selber,

anstatt als Absolutes sie

sei es zu setzen, sei es zu verneinen,

als ein Moment innerhalb des Ganzen zu bestimmen, das freilich diesem gegenüber auch sich verselbständigt hat.

 Sie muß ihres eigenen naturhaften Wesens innewerden.

Dies Motiv ist den großen Religionen nicht fremd: gerade es [dies Motiv] bedarf heute der ›Säkularisierung‹,

soll es nicht, isoliert und überhöht, zur Verfinsterung der Welt helfen, die es bannen möchte.

(Fortsetzung folgt)

Als ich am 12.08.23 die neueste Adorno-Lektüre begann (8:13) und als sie endete (12:08)

 

Klinikum Solingen Ausblick 8. Stock

Eilige Bayreuth Notizen 2023

Parsifal Mediathek bis 23.08.2023 / auf BR bis 31.Dezember 2023

im Wohnzimmer: Doppelt verminderte Realität

Ich denke zurück an die Realität des Filmes über die Amzari-Sängerin

… an die ZEIT-Lektüre:

Auch Wagner hätte, angesichts des ungeheuerlichen Potentials von AR, VR (Virtual Reality) und KI (künstlicher Intelligenz), wohl keinen Parsifal geschrieben, der fünf Stunden lang um die Leerstelle des Weiblichen kreist und in dem Frauen nur als verdammte Verführerinnen oder notdürftig geläuterte Kräuterhexen vorkommen; kein Musikdrama, in dem es so pseudoliturgisch-kunstreligiös-buddhistisch-hinduistisch-alchemistisch wallt und wabert, dass man kaum den Plot mitkriegt: die Geschichte des Schwanentöters und Erlösers Parsifal, der durch Kundrys Kuss »welthellsichtig« wird und erkennt, dass es Amfortas, dem Gralskönig, und seinen siechen Rittern weniger an Energie gebricht oder an esoterischen Kraftquellen als an Menschlichkeit und Mitleid.

Christine Lemke-Matwey

Im Wohnzimmer (unter des Miniatur-Beethovens Aufsicht):

Am Schreibtisch mit Computer: Musik im Höreindruck viel besser („Reduced Reality“)

Wie wär’s mit Parsifal im Handy? Etwa als Bußübung.

Hier Mediathek Gesamtaufführung bis 23.08.23

BR Hier bis 31.12.23

Weiteres zur Aufführung hier zu Augmented Reality hier

Inhaltsangabe lesen: Inakzeptables von vornherein – „im Kampf gegen den abtrünnigen Ritter Klingsor, der trotz seines Verlangens nach Heiligkeit nicht fähig war, ein reines Leben zu führen und sich deshalb selbst entmannte und eine Zauberburg geschaffen hat, den heiligen Speer verloren, als er sich von der dämonischen Kundry verführen ließ.“

Zwischen den Akten 1. Pausengespräch mit Jay Scheib 2. mit Sängerin der Kundry Elina Garanca

Gralsritter: „Gemeinschaft der Kobaltminenarbeiter“ siehe Anfang 1.Pausengespräch  mit Jay Scheib

Kobaltbergbau

Stichwort: „Coltan“ Jean Ziegler

Milo Rau Ausbeutung hier

Zu Wagners Vorstellungen über „Kunstreligion“ im Zusammenhang mit „Parsifal“ siehe HIER

ZEIT-Lektüre:

Die eigentliche Hypothek der Aufführung aber liegt, man staune, in der erschwerten Zugänglichkeit der Musik. Die Sinne sind an diesem Abend schlicht überfordert. Und so schiebt sich das Auge vors Ohr. Das mag eine Frage der Übung und der Erfahrung sein. Aber geht so Immersion? Entspricht das Wagner?

Christine Lemke-Matwey

Quelle DIE ZEIT 27. Juli 2023 Seite 39: PARSIFAL / Mit Brille sieht man doppelt: In Bayreuth wird Richard Wagners letztes Werk jetzt digital erweitert – Revolution oder Budenzauber? Von Christine Lemke-Matwey

Den Wagnerverächtern ins Stammbuch – die gewaltigste Stelle des Werkes (s.o.): Mediathek ab 1:04:39 / BR ab 01:00:22

der meistzitierte Satz: „Du siehst mein Sohn, zum Raum wird hier die Zeit“.

Der größere Text-Zusammenhang und die Motiv-Tafel:

Quelle: Richard Wagners MUSIKDRAMEN Sämtliche komponierten Bühnendichtungen / durchgesehen, mit den ursprünglichen Fassungen verglichen, mit Einleitungen sowie den hauptsächlichsten Motiven und Notenbeispielen versehen, nebst einem Vorwort, einem Anhang und einer Zeittafel aus Wagners Leben herausgegeben von Edmund E.F. Kühn / Globus Verlag G.m.b.H., Berlin W 66 / 1914 / JR Berlin 7.7.1960

Man muss zum Verständnis eigentlich keine Esoterik bemühen, auch nicht in kühnem Vorgriff auf Einstein dessen Relativitätstheorie beschwören, sondern vielleicht dasselbe tun wie Wagner, der sich an die Philosophie hielt, schon seit 1854, als er auf dem Weg zum „Tristan“ Schopenhauers „Welt als Wille und Vorstellung“ viermal hintereinander las. Wir lesen den hier wiedergegebenen Dramentext, auch das Kleingedruckte: wie die beiden Protagonisten zu schreiten scheinen (!), „verwandelt sich die Bühne von links nach rechts hin in unmerklicher Weise: es verschwindet der Wald; in Felsenwänden öffnet sich ein Tor, welches nun die beiden einschließt; dann wieder werden sie in aufsteigenden Gängen sichtbar, welche sie zu durchschreiten scheinen“ (!). Verwandlung auch in der Musik, Chromatik („Heilandsklage“), Modulation, Diatonik, das feierliche Schreiten, das Glockenläuten, schließlich folgt der Ritus, den man in der katholischen Kirche Wandlung nennt. Und wir suchen Ähnliches in dem faszinierenden Text, der uns die Grundbedingungen unseres Bewusstseins und unserer Begriffsbildung zu erschließen scheint (!):

Quelle Arthur Schopenhauer: Werke in zwei Bänden Bandt 1 Herausgegeben von Werner Brede

Es kann nicht schaden, damit noch lange fortzufahren. Dann Musik mit verwandelten Ohren zu hören. Oder zu warten, bis man den zerschmetterten Kobaltblock zu Parsifals Füßen erlebt hat, den grünen Tümpel, den sie durchwaten, und Wagners Ideen von Erlösung beiseitezuwischen. Bayreuther Publikum strömt heraus. Die trostlose Erde hat uns wieder!