Archiv der Kategorie: Theologie

Ergänzendes zu „Aneinander-vorbei-lieben“

Bezogen auf einen älteren Blog-Beitrag, auf die Zeilen:

am frühen Morgen (als ich) die neue ZEIT überflogen hatte. Also irgendwie „dialektisch disponiert“ war. Ausschlaggebend waren vielleicht zwei Artikel: „Ein kleines toxisches Glossar“ (Seite 53) und „Soll man Gott nun fürchten und lieben?“ (Seite 64). Ich werde sie im Hintergrund behandeln und am Ende dieses Blog-Artikels veröffentlichen (wenn es sich lohnt). – I.M.S.

Hier ist der Hintergrund. Was mich aufhorchen ließ: die Behandlung eines häufig selbst-therapeutisch akzentuierten Vokabulars, im einzelnen fast parodistisch beschrieben in dem Artikel „Ein kleines toxisches Glossar“ von Jolinde Hüchtker. Etwa zum Netflix-Thema der nicht gelingenden Verliebtheit eines Paares: zu reden von

„unterschiedlichen Punkten ihrer Healing Journey, der Reise zum geheilten, besseren Selbst. Wer heilt, will sich nicht erklären müssen , daher weißt meistens keiner, wovon sich alle so dringend erholen wollen. Wo es mal hier: »Ich will mich selbst verwirklichen«, oder: »Ich bin anderer Meinung«, hält heute diese – vermulich endlose – Reise her, um andere abzuwimmeln.

Trauma-Dumping  Der Begriff wurde für Situationen wie diese erfunden: Im Büro erzählt ein Kollege unerwartet vom Suizid seines Vaters oder von dem missbräuchlichen Sportlehrer, wodurch er sein Trauma beim überforderten Gegenüber »ablädt«. Nennt man bereits einen gruseligen Film oder ein schlechtes Date »traumatisch«, verändert sich, was Trauma-Dumping ist: wenn jemand von seinem Liebeskummer erzählt oder seinem schlechten Tag und man selbst eigentlich zuhöre, trösten, kurzum, einfach nur ein Freund sein muss.

Oder unter dem Stichwort „Grenzen“:

Un sich zu schützen, setzt man Grenzen (»Fass mich nicht an!«). Der US-Schauspieler Jonah Hill etwa formuliert seine »Grenzen« aber so: Wenn seine Freundin mit anderen Männern surfen gehe, modele oder Bikinifotos poste, sei er nicht der Richtige für sie, weil sie damit seine Grenzen nicht respektiere. Mit Selbstschutz hat das nichts zu tun. Stattdessen bemüht Hill dieses Wort aus der sogenannten Selfcare, um den Alltag seiner Freundin zu kontrollieren und das ins Vokabular tiefer Selbsteinfühlung zu verpacken.

Quelle DIE ZEIT 28. Sept. 2023 (Seite 53) Ein kleines toxisches Glossar / Von Jolinde Hüchtker

In diesem Stil könnte ich als ein „An-einander-vorbei-lieben“ auch (nachträglich) wichtigtuerisch eine unausgereifte, ängstliche Form der ersten Liebe bezeichnen, die sich nicht einmal ein vorsichtig angedeutetes Geständnis traut oder in der indirekten Verbalisierung noch gänzlich ungeübt ist. Aber diesen sozialen Defekt nicht ehrenrührig bezeichnen mag, der mit ein wenig Phantasie leicht aufgelöst werden könnte. Es ist bequemer, daraus einen Komplex zu konstruieren.

Das (allzu)große Thema GOTT aufgreifen, um es loszuwerden. Um es nicht argumentativ zurückzuweisen. Der islamisch getönte Lebensbericht, der eine große Geschichte inszeniert, um zu bemänteln, dass es eigentlich nichts zu sagen gibt…

Quelle DIE ZEIT (28.09.23 Seite 64) Mouhanad Khorchide: Soll man Gott fürchten und lieben? / Deutschlands bekanntester Islamtheologe hat einen Roman geschrieben. / Hier erzählt seine Hauptfigur von der Suche nach dem verlorenen Glauben (erschienen im Verlag Bonifatius).

Gott? Markus Gabriel hier plus LESCH hier

Noch einmal M. Gabriel (die drei epochalen Irrtümer) hier

1. der Gedanke, dass die gesamte Wirklichkeit physikalisch messbar und naturwissenschaftlich beschreibbar ist. So dass es NICHTS gibt, das nicht naturwissenschaftlich erforschbar ist. Physikalismus.

2. dass Denken, Geist, Bewusstsein, unsere inneren geistigen u. mentalen Zustände nichts anderes sind als Emergenze, ausstrahlende Phänomene des Gehirns. Neurozentrismus.

3. dass es keine objektiv feststehenden Wertemaßstäbe ethischer Natur gibt. Also dass das, was wir tun oder unterlassen sollen, aus moralischen Gründen, lediglich ein arbiträre Setzung einer Kultur oder des menschlichen Geistes ist. Moralischer Nihilismus.

Zurückblicken auf:

Kant und Swedenborg

und auf:

Frühe Bewusstseinsspaltung

und (bei der Suche nach „Begehren“) auf :

Zu Hegel

Begehren (Wille)

Quelle Byung-Chul Han: Philosophie des Zen-Buddhismus / Reclam Stuttgart 2002 (Seite 62)

Noch einmal: Timor Dei

Jahre und Jahrtausende

Es ist merkwürdig, dass ich gerade am Sonntag, morgens um genau 7 Uhr, am Tisch zu lesen beginne, und zwar gemäß einem Gelübde, dass ich vor fast 20 Jahren öffentlich abgelegt und nicht eingehalten habe. Etwa im Februar 1994, bei einer Radio-Besprechung der „Matthäuspassion“ mit Ton Koopman, – nämlich: gewissermaßen aus lauter Ergriffenheit nun auch das „schwierige“ gleichnamige Buch von Blumenberg zu studieren. Und so ist mir jetzt, als werde ich wie mit Glockenschlägen, die mich tatsächlich aus der nahen  Kirche erreichen, darauf gestoßen, dass ich dringend Erinnerungsarbeit zu leisten habe. Hier der erste Schritt:

Quelle Hans Blumenberg: Matthäuspassion / Suhrkamp Frankfurt am Main 1988

Wie konnte da jemand von „Plauderton“ reden?! Christoph Türcke war damit für mich als Apologet der falschen Sache erledigt. Theologe eben.

Ich habe es in der Folge nie geschafft, mehr als ein paar Kapitel zu erarbeiten und halb verstehend neue Vorsätze zu fassen. Gerade aber diesen Seiten über „DER WEISHEIT ANFANG“ bin ich dabei nicht begegnet; sie hätten mich extrem berührt, ich weiß nicht warum, sagen wir durch den wiederkehrenden Zufall hier und dort: also hier und dort und wieder hier.

Und jetzt habe ich während des Lesens innerhalb von zwei Stunden lauter neue Lese-Aufträge oder -Anregungen erhalten, auch dem Smartphone fortwährend weitergegeben: apotropäisch (S.16), Kosmogonie 1755 (S.18), Friedrich August Wolf (S.21), Elohim (S.25),  Verfasser einer Laienschrift Jahwist1 (S.27) und dann Seite 28ff , wie oben abgebildet.

Nein, das ist kein Gott, der mit seiner Kreatur schon zuviel erlebt hat, um mit den milden Mitteln noch etwas ausrichten zu können, der gerade die ägyptischen Generationen an sich hat vorbeiziehen lassen mit ihrer Servilität gegen die tierköpfigen Idole, gegen die Versprechungen fleischtöpfiger Genüsse für kultische Dienste.

Also etwa an dieser Stelle (S.23) kommt von auswärts die Botschaft:

 nochmal: 

Quelle Jan Assmann: Religion und kulturelles Gedächtnis. Beck, München 2000

Wer nicht von dreitausend Jahren / Sich weiß Rechenschaft zu geben, / Bleib im Dunkeln unerfahren / Mag von Tag zu Tage leben. (Goethe Westöstlicher Diwan)

Aber ich lasse mich nicht zu neuen Gelübden verleiten, für deren Einhaltung ich zuweilen mehr als 20 Jahre brauche: mit Musik ist einiges zu leisten. Im Sinne von gerade noch „leistbar“. Manchmal braucht man zusätzlich den verbindlichen äußeren Anlass… und jede Menge Lebenszeit.