… und der Wendepunkt? im Untergrund: während in der Höhe der Zielpunkt erreicht wird.
Wendepunkt in Bachs E-dur-Partita (die bis Takt 16 um den Grundton E kreist, ihn als Start in der Höhe, als Zielpunkt in der Tiefe nutzend), und zwar in Gestalt einer mit Bewegungstechnik glänzenden Sequenz (die eine neue „Konsequenz“ fordert):
auf der Geige sind es wandernde Griffe, die vom Bogen auf regelmäßig wechselnden Ebenen in organischer, gleichbleibender Arm-Bewegung als Töne aneinandergereiht werden, – aber das ist leicht gesagt. Sind es Kreise oder in die Luft geschriebene 8-Figuren, deren Klarheit die absolut präzise 16tel-Folge gewährleisten? Wohlgemerkt: so präzise, dass sie sogar hinsichtlich der Akzente steuerbar ist (und nicht nur in einem gewohnten Tempo). Zuerst als Doppelgriffe, dann „aufgelöst“, dies auch üben und prüfen durch Erweiterung in wiederholten Zweiergruppen „oben“ und „unten“ (A-E-Saite / A-D-Saite).
Melodische Zellen erschließen (es ist nur ein Spiel). Sie können jedes andere Melodieinstrument verwenden, auch Ihre Stimme! Am besten ohne Zeugen.
Ein Beispiel in dem Band V „La Musique Arabe“ von Rodolphe d’Erlanger. Links die vollständige Skala des Modus, unterteilt in die Abschnitte, die der Reihe nach einzeln melodisch erschlossen werden. Darunter die Analyse und die Spielanleitung. Auf der rechten Seite die Darstellung einer möglich Entfaltung, soweit sie sich in Notenschrift darstellen lässt. Es empfiehlt aber , das was man tut, in Worten zu beschreiben, statt es in Notenschrift wiederzugeben, da es nicht wie eine detaillierte Übevorschrift genommen werden soll: man sollte sich an bestimmte Töne und Tonfolgen halten, aber rhythmisch und bogentechnisch völlig frei bleiben, auch Wiederholungen sind erwünscht und anheimgestellt. Die Impression ist: man tastet schrittweise voran in dem anliegenden Tonraum, jedes Detail auskostend, verändernd, umfärbend „bis zum Überdruss“, bzw. solange es Vergnügen bereitet.
Ich beschreibe, frei nach dem schriftlichen Vorbild d’Erlangers, wie ich voranschreiten möchte:
Beginn auf der A-Saite 1.Lage, mein erster Zentralton ist der Ton d“‘, mit Einstieg auf Leiteton cis, zugleich im Sinn: das leere A (a“) schwingt innerlich mit, dort werde ich zwischenlanden. Im Notenbeispiel sind das die ersten anderthalb Zeilen. Das Anspielen des Tones f“‘ ist schon ein „Angang“ (egal wie ich den kleinen Lagenwechsel mache), danach, das lange e“‘, ist sozusagen eine „Wiedergutmachung“, weil ich es am Anfang nur gestreift habe. Jetzt gebe ich seinem Ruf nach, es verlangt nämlich nach den tieferen Tönen, die noch gar nicht weiter „karessiert“ sind, in Richtung A-Saite vor allem cis und b. Zur Stärkung kann der untere Wechselton g“ kurz berührt werden.
Beispiele anderer Geiger, die den armen Nachahmer inspirieren, aber nicht indoktrinieren.
Für mich ist dies eine Erinnerung (im Sinne von Mahnung), die Geige loszulösen vom stupiden Technik-Üben. Mich zwanglos mit melodischen Formeln zu beschäftigen, die mir in schriftlicher oder praxisnaher Form gegeben sind.
Also: ohne etwas anderes nebenbei zu tun. Sendungen, die ich auch ein zweites Mal einschalten würde…
Tatsächlich bin ich in beide Sendungen „hineingeraten“ und konnte mich nicht wieder lösen. Warum? Es ist die größte Musik, die existiert, zudem in bestmöglicher Aufführung. Beim ersten Chor dachte ich noch: natürlich zu schnell, aber virtuos gesungen. Bei Beginn der Johannes-Passion alles klar, die Sprünge im Verlauf begannen mich zu interessieren, die Übergänge, die hinreißenden Rezitative des Solisten, der Bass, die sparsame, aber überzeugende Regie des Chores. (Meine Sondersituation: alle Passionen etc. hundertmal auf der Bühne oder im Publikum miterlebt. Sie altern nicht!) Nach Schlusschor (der Bogen schließt sich), wird der Einzel-Choral folgen? nein – es geht weiter – warum, wohin? Übrigens: diese Bass-Arie mit den Einwürfen des Chores – unglaublich gelungen! Und ich habe den Sänger nicht erkannt: auf unserer Tournee mit dem Weihnachtsoratorium mit den Tölzern war er es, der erstmals als Bass einsprang, damals, als Quasthoff wegen Erkältung aufgeben musste: Christian Immler ! Aber wer ist der Rezitativ-Sänger? „Und ging hinaus und weinete bitterlich“, wer kann soetwas so? Mit dem Vater des Tenors habe ich schon gemeinsam Bach-Kantaten in Köln aufgeführt, als er noch ganz unbekannt war: Christoph Prégardien (später sein unvergesslicher „Atlas“ unter den Schiller-Liedern, auch „Schöne Welt, wo bist du?“), hier der fabelhafte Sohn als Evangelist. Die Stimme kenne ich doch seit 10 Jahren … und erkenne ihn nicht, wenn er dasteht.
Pfingstsonntag 28. Mai 17.00-18.25 Uhr
https://www.arte.tv/de/videos/107814-002-A/christus-sakrale-trilogie/ HIER abrufbar bis 24.08.24
Programm
Anonymus: Choral „O Traurigkeit, O Herzeleid!“
Johann Sebastian Bach: Teil I der „Johannespassion“, BWV 245
Johann Sebastian Bach: „Sehet, wir gehʼn hinauf gen Jerusalem“, BWV 159 (Auswahl)
Johann Sebastian Bach: Teil II der „Johannespassion“, BWV 245
Das Konzert wurde am 25. Februar 2022 im Auditorium von Bordeaux aufgezeichnet
TV-Text (den ich nicht kannte)
Johann Sebastian Bachs Kompositionen zum Leben Jesu gehören zu den herausragendsten Stücken der westlichen Musikliteratur. Die in ihnen enthaltene Botschaft von Menschlichkeit, Hoffnung und Licht kommt im Rahmen dieser originellen Programm-Idee besonders schön zum Ausdruck.
Raphaël Pichon und sein Ensemble werden bei diesem ebenso musikalischen wie humanistischen Vorhaben von sechs Sängern unterstützt: Julian Prégardien (Evangelist), Huw Montague-Rendall (Jesus, Bariton), Ying Fang (Sopran), Paul-Antoine Benos-Djian (Countertenor), Laurence Kilsby (Tenor) und Christian Immler (Bass). In dieser Begleitung erklimmen der Chor und das Orchester Pygmalion geradezu himmlische Höhen.
Pfingstmontag 29. Mai 17.05 – 18.00 Uhr
17.05 aus Nürnberg – es war Radio, aber ich habs über TV-Kanal erwischt…
https://www.br-klassik.de/aktuell/news-kritik/meret-luethi-interpretiert-biber-das-mysterium-der-mysterien-sonaten-100.html HIER
Hätte ich den folgenden Text vorher gelesen, hätte ich die Sendung nicht ernsthaft angehört. An einer frommen Feier mit Geige lag mir nichts. Liegt mir nichts. Aber Meret Lüthi hat was zu sagen… z.B. über ihre Stainer-Geige und den Erbauer. Oder eben :
Was hat sie erzählt über den Choral „Surrexit Christus hodie“? Stundenlang in alten Gesangbüchern der Bibliothek Bern danach gesucht? Konnte Biber, obwohl Katholik, ihn nicht schon bei Samuel Scheidt oder Zeitgenossen studieren, wenn auch etwas flotter? (hier)
(Fortsetzung folgt)
Nebenbemerkung: Sonntag nach Mitternacht gerieten wir in einen „Tristan“ aus Aix-en-Provence, eine Zumutung schon während des Vorspiels. Ich brauche keine Illusion, möchte aber auch kein ausnehmend korpulentes Liebespaar in einem großbürgerlichen Wohnzimmer samt Ausblick auf das wogende Meer erleben. Ich höre dann nicht gut, obwohl wissend, dass ich dazu doch die erstaunlichsten, verzehrendsten Klänge des 19. Jahrhunderts wahrnehme, für wahr nehme, man muss mir dazu keine parallel verlaufende tiefenpsychologisch kritische Perspektive in Szene setzen.
Ein Text von Andrew Manze (1996), der ebensowenig in Vergessenheit geraten sollte wie die zugehörigen Aufnahmen. (Ich knüpfe an Zitate in meinem früheren Artikel an: hier und – hier.)
Was beim flüchtigen Umgang mit den CDs irritieren könnte: ob die zweite sozusagen die erste fortsetzt oder eine relativ selbständige Rolle spielt, – jawohl, sie gehört in den Themenbereich Fantastischer Stil, der in CD 1 anhand verschiedener Komponisten dargestellt ist.
Frappierend die Sonata „Victori der Christen“ CD 2 Tr. 5-11, die tatsächlich eine Bearbeitung der Mysteriensonate „Die Kreuzigung Jesu“ von I.F.Biber darstellt, siehe Text oben: sie ist „nahezu identisch“. Von Anton Schmelzer, dem Sohn! Für Leute, die diese CD besitzen, ist es sicher nützlich, zum Vergleich im Hintergrund das Original greifbar zu haben. Nebenbei handelt es sich dabei auch um eine bemerkenswerte Aufführung:
Von Andrew Manzes Schmelzer-Fassung (Anton !) desselben Werkes kann man zumindest eine kurzen, intensiven Eindruck auf YouTube erhalten:
Alles, was Mattheson über den Stil der Toccata weiß:
auf der Spur von Andreas Weil:hinüber ins Original von Johann Mattheson:
Aber jetzt erst weiß man zu schätzen, wie wertvoll Andreas Weils Ausführungen sind, vor allem durch die Beispiele, die man als Normalverbraucher/in natürlich nicht zur Hand hat, – und die mich sofort an ähnliche visuelle Eindrücke bei Bach erinnern:
schlechte Kopie aus Weils tollem Buch…
Es ist nicht so, dass ich im Augenblick nicht sauberer scannen kann: ich möchte nur bei niemandem den Wunsch erlöschen lassen, das Buch selbst zu erwerben. Es lohnt sich, darin ganz sorgfältig nachzulesen, auch wenn man die Mattheson-Werke z.B. im Nachdruck besitzt, – man muss sie entschlüsselt bekommen und mit „zeitgenössischem“ Leben erfüllt sehen. Der nächste Schritt ist, die benannten Musikstücke zu hören… und nachzufühlen. Buxtehude, Lübeck, Bruhns und Bach. Im oben wiedergegebenen Mattheson-Original lese man nach, dass bei all dem an die Orgel und die Meister ihrer Zeit zu denken ist. In § 69. kommt er (nach Frescobaldi) über Händel auf Bach, in § 70. auf die nächstberühmten Meister, von denen die Mehrzahl heute unbekannt ist. (Wer war z.B. der genannte Händel-Schüler Babel?) Er kommt von der Orgel auf andere geeignete Instrumente, auf die „Violdigamb“ und die Laute „in der Kammer“, wobei er die Violine nur wegen ihrer „durchdringenden Stärcke“ hervorhebt. Mir fehlen die anderen Tasteninstrumente, mir fehlt ein Hinweis auf Froberger, der gerade in seinen Praeludien erwähnenswert wäre.
Worüber ich gern in diesem Zusammenhang noch berichtet hätte: betr. Praeludien von Louis Couperin – verwandt im freien Prinzip mit Froberger – s.a. hier (falscher Link, richtigen suchen!) Artikel in Musik & Ästhetik, eine letzten Ausgaben…
Nachgeliefert:
Hier der kurze Einblick zur weiteren Erinnerung: die erstaunliche Vorstellungswelt der Préludes von Louis Couperin, dargestellt von Niels Pfeffer in Musik & Ästhetik Heft 108, April 2023:
Ich weiß nicht, ob man versteht, dass der Artikel von Niels Pfeffer ein großes Potential Verunsicherung vermittelt für dem, der sich seiner Bach-Werke sicher zu sein scheint: als gebe es bei Louis Couperin (heimlicher Gedanke: bei Froberger, dem frühen Bach-Leitbild!) eine Ästhetik, die Bach nicht gekannt oder aufgegeben hat! Das Labyrinthische vielleicht nicht, aber das indirekte Kadenzieren, die geplante Verunsicherung. Man lese sich nur noch hinein in diese „Reflexion“:
Fortsetzung: man rate…
„… als ob das Cembalo sie von sich aus, ohne die Zustimmung [consentement] Accompagnateurs, zurückgibt.“
In welcher Zeit befinden wir uns mit diesem Zitat? In der heutigen Moderne? Wir befinden uns in einem Traktat von Michel Saint-Lambert, veröffentlich in Amsterdam – 1710. „Ohne die Zustimmung“ – – – Werk ohne Autor???
Warum lese ich im Zusammenhang mit Louis Couperin / Froberger nie das Wort vom „stile phantastico“? Vielleicht liegt doch der gemeinsame Bezugspunkt bei Frescobaldi?
Hören Sie Bachs Partita V mit – Niels Pfeffer (https://www.nielspfeffer.com/cembalo):
* * *
Und – Themawechsel, an den inspirierten Booklettext zu Anfang dieses Artikels anknüpfend – auch darüber berichten, wie Andrew Manze anlässlich seiner Aufnahme Mozartscher Violinkonzerte (2006) zu außergewöhnlichen Einsichten gekommen ist… als Geiger habe ich ihn zum ersten Mal im WDR gelobt bei der Besprechung der Matthäus-Passion mit Ton Koopman. Mitte der 90er Jahre…
Man sollte aber diese CD besitzen, nicht nur um die hinreißende Musik zu hören, sondern auch um den klugen Text zu lesen. Reinhard Goebels besonderer Blick auf das herrliche Instrument fasziniert, – auch wenn man durch den medialen Abstand ohnehin immunisiert ist gegen eine Fetischisierung der bloßen Klang-Eigenschaften. Es ist die alte Geschichte: warum gerade dieses Instrument (und nicht etwa die Gambe), warum wird man des neutraleren Charakters nicht überdrüssig und verlangt nach anderen Mischungen?
Ich könnte ein Loblied singen auf den sehnsüchtigen Klang der Hörner, auf die melancholische Kantilene der Klarinette, auf die rührende Unschuld der Oboe, – aber etwas Schwärmerisches über den Geigenton??? Ich denke an Kolisch und sein spöttisches Wort über „die Religion der Streicher“, an das nervende Dauer-Vibrato , und an das mickrige Pizzicato und sonstwas, ich höre Leute verzückt vom Cello reden, vom Zauber der Bratsche, die sie dann auch lieber Viola nennen. Nein, ich übertreibe: aber wenn es um die Geige geht, rede ich von Musik: vom „Adagio molto e mesto“ aus Beethovens op. 59 Nr.1, vom Siciliano einer Bach-Solosonate, vom Anfang des Sibelius-Konzertes.
Ja, aber dann gibt es auch noch Janine Jansen mit den 12 Stradivaris. Da ändert man leichtfüßig die Meinung und achtet geduldig auf den Unterschied der Klangfarben und der Saitenübergänge.
Ach, ist es möglich, dass ich im Begriff bin, mich peinlich zu wiederholen? Dann will ich lieber nur nachlesen, welcher Meinung ich wirklich bin: hier.
Dann hätte ich aber auch noch ein anderes Beispiel, von dem ich weiß, dass mich beim Hören der reine Geigenklang begeistert hat. Es mag auch an der genial-idiomatischen Schreibweise des Geigers Eugène Ysaÿe legen, ebenso an der bestechenden Technik und Musikalität der beiden Interpretinnen, in meinem Fall kommt die Erinnerung an den Lehrer Wolfgang Marschner hinzu, dessen Unterricht ich 1961/62 genoss: seine suggestive Art, eine französische Spielweise als Ideal zu vermitteln: eine gewisse Glätte und Eleganz, die er unnachahmlich etwa an der „Havanaise“ von Saint-Saëns exemplifizierte, während er sie bei Bachs Solo-Partiten selbst völlig vermissen ließ. Und ich glaube ihm aufs Wort, wenn er von dieser Aufnahme meint:
Das Violinduo Penny-Starkloff setzt die Tradition und Verkörperung eines besonderen Klangbildes gepaarter Violinen nicht nur fort, sondern belebt es in exzellenter Weise. Dies war der Hauptanreiz für mich, für diese Kombination meine „Sinfonischen Variationen“ zu schreiben.
Bezaubernd „französisch“ sind seine Bagatellen für zwei Violinen, – aber natürlich ist es eher die fast 30minütige Sonate von Eugène Ysaÿe, an deren Klangbild ich mich nicht satthören kann. Es ist nämlich nicht nur das Klangbild – diese beiden (mir unbekannten) Geigerinnen spielen einfach unglaublich gut. Wenn ich die Aufnahme beim Blindhören einordnen müsste, würde ich sagen: Weltklasse! Marschner muss ein guter Lehrer gewesen sein!
Man merkt wohl, dass mein Lob der größeren Marschner-Komposition, die er „Sinfonische Variationen“ nennt, irgendwie nicht rüberkommen will.
Stimmt, ähnlich wie er es damals mit mir gehalten hat, als er merkte, dass ich „die Karten meines Lebens“ nicht vollständig auf das Geigenspiel setzen mochte, sondern dass mir nebenbei noch andere Ziele vorschwebten, etwa: mehr Bach und Alte Musik und schließlich auch arabische und indische Musik – dass ich z.B. ihm, dem Pädagogen Marschner, nicht nach Freiburg folgen wollte, als er dorthin berufen wurde. Seine etwas zurückhaltend verklausulierte Beurteilung sollte ja eigentlich nur dazu dienen, dass die Firma Oetker in Bielefeld mein Musikstudium weiterhin mit monatlich 230.- DM unterstützte. Während er mir abschließend nochmal seine Meinung „geigen“ wollte… Es reichte allerdings auch so:
Nicht immer verlaufen Geiger-Sympathien so früh im Sande, – kaum zu glauben, fast genau 60 Jahre später: die neueste CD von RG kommt wie eh und je auf dem geradesten Weg:
DANKE, so ist es uns recht, scherzando aus Solingen, Dein JR
Wie gebräuchlich war früher die gleitende Verbindung zwischen den Tönen?
Anstelle eines Kommentars gebe ich nur Stichworte zu den Originaltexten. Im folgenden zu beachten die Namen: Baillot, Spohr.
Quelle MGG Musik in Geschichte und Gegenwart Kassel 1998 Sachteil Band 9 Violine Sp 1642
Der nächste Text bezieht sich auf Baillot (darin erwähnt: Spohr). Genau ansehen: die Fingersätze, insbesondere zu Mozart (das andere ist eine nützliche Etüde): am Anfang des Klarinetten-Quintetts KV 581, – der allerdings eigentlich der Klarinette zugedacht ist: der dritte und der vierte Melodieton würde, auf der Geige mit dem 3. Finger gespielt, einen Rutscher ergeben, den man heute unbedingt vermeiden würde. Egal, wie dezent oder lässig man ihn gestalten kann.
Lässiges Portamento, aber Bilder wie
aus einer Zwangsanstalt?
Quelle Marianne Rônez: Pierre Baillot, ein Geiger an der Schwelle zum 19. Jahrhundert. Ein Vergleich seiner Violinschulen von 1803 und 1835 / pdf hier
„… während das Hineingleiten in Töne in romanischer und slawischer Musik häufiger Anwendung finden kann, ja, zur stilvollen Darstellung dieser Musik gehört.“
Quelle Hans Diestel: Violintechnik und Geigenbau / Die Violintechnik auf natürlicher Grundlage nebst den Problemen des Geigenbaues / Kahnt Leipzig 1912, ²1919
Über Spohr und in der Folge Ferdinand David und Joseph Joachim…, aber nicht etwa „jüdische Einflüsse…“ (1948), über die Nachahmung der Sänger und über deren Portamento…
Quelle Arthur Jahn: Methodik des Violinspiels / Breitkopf & Haertel Leipzig 1948
Auers Empfehlung, eine Passage mit Portamento zu singen, um zu entscheiden, ob es gerechtfertigt ist oder nicht. Die abschließende Anekdote hat eigentlich wenig mit dem Thema zu tun („the spicing of the tone they produce with vibrato, portamento and other similar devices“).
Quelle Leopold Auer: Violin Playing As I Teach It / Dover Publications New York (1921) 1980
Violin-Transkription der Sarabande aus Bachs Suite für Cello Nr.V (Fingersatz!)
Bach – „con dolore“
Joseph Ebner 1913
Ich habe keine Cello-Version gefunden, die so klingt, wie diese Violin-Transkription – dem Fingersatz nach – empfunden sein müsste. Die heutigen Cellisten – schon seit Pablo Casals – halten sich sehr zurück, niemand romantisiert ein derart verinnerlichtes Stück. Es gehört zum Allerheiligsten. – Die Geiger aber lassen sich am ehesten im Ausdruck zügeln durch die Akkorde, mit denen Bach seibst seine Solissimo-Adagios einhüllt. Und dementsprechend sieht dann auch die (von Bach) harmonisierte Cello-Sarabande der Suite VI in der Violin-Version ganz anders aus, sparsamster Lagenwechsel ist durch die Akkorde vorgegeben:
Und ausgerechnet dazu gibt es eine historische Aufnahme des Cellisten Julius Klengel, in der er sich allein auf die Melodie konzentriert, die er mit zahlreichen Portamenti anreichert, während er die (leicht abgewandelten) Harmonien einem Klavier anvertraut. Vermutlich in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts.
Die Geiger sind allerdings nicht pauschal entlastet, im Gegenteil: ich erinnere an die unsägliche Fassung des Air aus der Bach-Suite D-dur von August Wilhelmj: die ganze Melodie auf der G-Saite. Statt vieler Worte folgt gleich der Verweis auf die entsprechende Website: hier. (Oder ist dies die Originalversion des Artikels? Hier). Im Link vorher zu beachten: Wilhelmj wurde 1875 von Wagner, der ihn bewunderte, als Konzertmeister ans Bayreuther Festspielhaus berufen!
Fritz Kreisler, siehe auch Chopins Nocturne in Es-dur hier, sowie anschließend Sarasates Malaguena—
Was mich jedoch am meisten erstaunte, war die Wiederkehr (?) und systematische, „chorische“ Anwendung des Portamentos der Streicher im Orchester unter Mengelberg. (Der Zufallseffekt bei Richard Strauss war mir als Negativum in Erinnerung: eine Stelle am Anfang der Mozart G-moll-Sinfonie Takt 12 in den Tönen a“-c“‘-fis“-a“ , nämlich von c“‘ abwärts nach fis“). Übrigens realisierte es ausschließlich in Aufnahmen mit dem Orchestre Concertgebouw Amsterdam, es war sorgfältig einstudiert.
Dazu Kommentar in „Mahler-Dokumente“ (folgt noch!)
Und zum Abschluss etwas ganz Anderes, – von allen guten Geistern verlassen… oder… besessen?
(Zur Sicherheit – ein „Original“: Hier (https://www.youtube.com/watch?v=BB-cpNtbVuo)
Noch ein schönes Gitarren-Beispiel: „Slide“ (Dank an C.A.)
Beispiel eines Konzertes: Ranjani Memorial Concerts 2021
Ranjani Hebbar is remembered in Udupi by her parents and her well wishers through ‚Ranjani Memorial Trust‘ established in 2014. The trust is organizing educative concerts and helps those who promise to dedicate themselves for the cause of Indian classical music. The Trust has been arranging concerts during the week of Ranjani’s birthday i.e, 9th September every year for the past 7 years to commemorate this great artiste and bring forth many more Ranjanis of today.
1. Raga-Interpretation: Raga Kalyana Vasantam / Alapana bis 2:23, dann 2. Geige plus Mrdangam etc. (Grundton auf D) / Rh wechselt bei 4:30 Mel. zur oberen Oktave / bei 6:14 Rückkehr / Ende bei 8:35
Persönliches: Wohlwissend, dass die indische Pädagogik keiner Notenschrift bedarf, sondern gesungene Tonsilben zum Einüben verwendet, man ist damit perfekt im Tonraum lokalisiert (organisiert) – sehe ich (je)den Raga beim Hören im westlichen Notensystem vor mir, den Grundton immer als C (egal ob er absolut auf D oder G „sitzt“, immer also das eingestrichene C auf der Hilfslinie direkt unter den fünf Linien). Als sei dies das Do im Do-re-mi-System, das SA im indischen SA-RE-GA-System. Ich höre in der ersten Minute die melodische Linie Es-d-c, unterhalb davon bis zum tiefen F etwas Ornamentales mit dem übermäßigen Sekundschritt h-as darin, und auch: dass oberhalb dann der Ton f eine prominente Rolle spielt (nicht etwa g), länger ausgehalten. Ich vermerke mit Sympathie das Erreichen der höheren Oktave c und dort später das gleiche Motiv Es-d-c nach Minute 1:30, wo die zweite Geige sich in der tiefen Oktave dazugesellt hat. Virtuos wird von der ersten Geige die gesamte Skala eingeflochten, als sei sie uns allen längst präsent. Das ist schön genug. Ich halte beide Geigen im Auge (d.h. im Ohr). Wunderbar wie sie auf dem Ausgangspunkt C im zartesten Pianissimo wieder zueinanderfinden.
Mir ist klar, dass für viele vieles, was ich hier aufliste, völlig überflüssig scheint, sie hören lieber intuitiv, erfüllt – vielleicht – von einem „ozeanischen Gefühl“. Sie hören unerschöpfliche Improvisationen im wesenlosen Weltraum der Musik, aber – soweit ich das indische Denken verstehe (wer kann das schon?) – funktioniert es in diesen Fragen sehr präzise und definitiv: bei einer der frühen WDR-Aufnahmen mit karnatischer Musik – ich habe sie miterlebt, 24.03.73, Josef Kuckertz hat uns vermittelt – spielte das Dwaram-Ensemble, im Zentrum auch ein Violin-Duo, den Raga Kalyani, etwa 45 Minuten lang, perfekt in jedem Detail, virtuos, ohne die geringste Unsicherheit, – und dann brachen sie plötzlich ab, alles ungültig, der Geigerin war 1 falscher Ton unterlaufen, ein Tönchen, ein ragafremdes, und damit war alles Gelungene hinfällig. – Und da sollte ich als hergelaufener deutscher Geiger beschwichtigen und sagen: ist nicht so schlimm, „das merkt doch keiner“? Niemals. Und für die, denen die folgende knappe Datendarstellung zu weitläufig ist, sage ich trotzdem vorweg: das ist noch keine Katastrophe, die Hauptsache ist: zu begreifen, dass es nur das Mindeste ist, was man als Inder/in gelernt haben muss, bevor ein „Konzert“ für andere sinnvoll ist. Vielleicht nicht genau so, wie es in meiner westlich geprägten Auswahl steht, sondern in 10.000 Tagen des Übens und Studierens amalgamiert, in Monaten des Formelsingens, in Stunden des Fleißes und der Verzweiflung.
Die Skala dieses Ragas (+ Song) im folgenden Beitrag mitüben (Achtung: Grundton hier auf G)
Weitere Ragas (lexikalisch) hier (https://www.ragasurabhi.com/carnatic-music/ragas.html)
2. Raga-Interpretation: Raga Murali (?) ab 8:37 Alapana bis 20:16 Ende bei 39:04
3. Raga-Interpretation: Raga Abhogi ab 39:04 (ohne Alapana) Ende bei 51:45
https://en.wikipedia.org/wiki/Abhogi
Ein Meilenstein der Ragakunde war 1999 der „Raga Guide“ (mit 4 CDs), der allerdings in erster Linie die Nordindischen (Hindustani-) Ragas betraf. Abhogi findet man aber auch darin, weil der Raga südindischen Ursprungs ist. Für Notenleser sehr instruktiv, da nicht nur die Skala, im Aufstieg anders als im Abstieg, wiedergegeben ist, sondern auch eine melodische Verlaufsform.
Beim bloßen Hören könnte man meinen, es handle sich um einen petatonische Raga mit den Tönen C- d – f – a – c , bis bei 39:32 plötzlich in der höheren Oktave deutlich der Ton „es“ – im Text = „flat Ga“ – auftaucht.
4. Raga-Interpretation: Raga Khamboji ab 51:45 bis 1:03:55 Rh Ghatam-Solo + Morsing-Solo Ende bei 1:26:16
5. Raga-Interpretation: Raga Ahir Bhairav ab 1:26:28 Alapana bis 1:30:28 Ende bei 1:34:00
https://en.wikipedia.org/wiki/Ahir_Bhairav
aus Raga Guide s.o.
Seite 250f aus Walter Kaufmann: „The Ragas of North India“ Published for the INTERNATIONAL AFFAIRS CENTER by INDIANA UNIVERSITY PRESS Bloomington USA & London 1968
Konzert im Bürgerzentrum Ehrenfeld 22.7.22 ab 18 – 21 Uhr
Nachrufe und Würdigungen für Prof. Dr. Srinivasa Ayya Srinivasan und Dr. Pia Srinivasan HIER bzw. HIER
Es folgen Hinweise zu Interpretationen des Werkes, dessen Analyse weiter unten zu finden ist: „Shiva Shiva Shiva“ von Tyagaraja. Neben Prof. Dr. Josef Kuckertz (Universität Köln) war es vor allem Frau Dr. Pia Srinivasan (und – im Hintergrund wirkend – ihr Mann), die die Verbindung des WDR nach Südindien betreute und immer wieder für neue Anregungen sorgte. Davon zeugen zahlreiche Radio-Aufnahmen, wie auch die LP-Dokumentation in der Reihe Museum Collection Berlin: hier mit der Vina-Spielerin Rajesvari Padmanabhan und ihrem Bruder. Oder in den Konzerten mit Lalgudi G. Jayaraman sowie Sohn und Tochter in Köln, Brüssel und Paris. Oder auch in dem oben – neben dem Buch „il raga che porta la pioggia“ – annoncierten Dritten Kölner Geigen-Festival mit V.V.Subrahmanyam (und Sohn), für das zugleich der Beitrag über die Südindische Violine und den Komponisten Tyagaraja geschrieben wurde. Diese schöne Arbeit soll nicht vergessen sein.
HIER Shiva Tracks: https://mio.to/show/Raagam/Panthuvarali/tracks
HIER https://www.youtube.com/results?search_query=Siva+Siva+Siva+-+Pantuvarali+
Aus dem Programmheft West-Östliche Violine 1989 (Drittes Kölner Geigenfestival):
Über das Ensemble V.V.Subrahmanyam – sowie ein Essay von Pia und S.A. Srinivasan:Von der südindischen Violine, der Krti-Komposition und Tyagarajas religiöser Bedeutung
Anknüpfend an diese letzte Seite: Kolja Lessing, der mit Solowerken von Béla Bartók und Isang Yun ebenfalls beim WDR Festival West-Östliche Violine 1989 mitwirkte. Seine jüngst veröffentlichten Erinnerungen sind nicht leicht zu entdecken, gehören aber mit ihren Themen durchaus in den weitgefassten Interessenkreis der violinistischen Welt. Daher dieser Hinweis:
Zurück zu dem Video ganz oben (es sollte im separaten Fenster vorbereitet sein), die Mitwirkenden sind: Violine – V.V. Subrahmanyam & V.V.S.Murari / Mrdangam Trommel – Thiruvarur Vaidhyanathan / Kanjira Tamburin – K.V. Gopalakrishnan / Biographisches zu Vater & Sohn hier
1) Sri Ganapathini / Raga: Sourashtram / Tala: Adi / Komponist: Thyagaraja / über den Raga siehe hier
Es handelt sich um gesungene Kompositionen von Tyagaraja (Thyagaraja); die Rolle der Violine war ursprünglich, den Gesang zu begleiten, Pausen zu überbrücken, ihm ansonsten tongetreu zu folgen, wie ein Schatten, aber nicht unbedingt synchron. Die Kenner im Publikum denken den Text mit: Tyagaraja war nicht nur Komponist, sondern auch Dichter, religiöse Autorität, – ein Heiliger.
Krti ab 1:19 (1:26) b ab 2:43 c ab 4:05 bis 6:09 / Applaus
2) ab 6:14 Raga Chandrajyoti / Alapana bis 7:25 / Krti: Bagayanayyana / Tala: Adi / Komponist: Thyagaraja / bis 12:38 / Applaus / über den Raga siehe hier / einmalig schön in diesem Raga: der – allmählich vollzogene – chromatische Schritt zum Grundton (vom darüberliegenden Nachbarton aus, Ri-Ri-Sa), z.B. gleich am Anfang von 6:14 aus, genau 6:28 bis 6:37 – und immer wieder. Das winzige Lächeln des Meisters bei 7:06 hat darin seine Ursache! („How great is your magic!“), sein Blick bei 7:20. Eigentlich eine Antwort auf die Vorgabe des Sohnes… Wunderbar!
3) ab 12:43 Raga Lalitha (siehe hier) Alapana bis 14:49 (Applaus) ab 14:50 Krti „Chindepoke O Manasa“ / Raga Lalitha / Tala: Adi / Komponist: Walajapettai Venkataramana Bhagavathar / bis 19:12 (Applaus)
4) ab 19:15 Raga Kapi (siehe hier und hier) Alapana bis 25:10 (Appl.) ab 25:12 Krti „Meevalla gunadosha“ / Raga Kapi / Tala Kanda Chapu / Komponist: Thyagaraja / bis 30:14 (Applaus) / andere Version mit Knabenstimme Rahul Vellalhier .
5) ab 30:19 Raga Kamboji (siehe hier und hier) Alapana bis 36:55 (Appl.) ab 37:00 Krti „O Rangasayee“ / Raga Kamboji / Tala Adi / Komponist: Thyagaraja / ab 42:52 Neuansatz 48:15 (Appl.) + Mrdangam-Solo, ab 49:47 Kanjira-Solo 51:15 wieder Mrdangam + weitere Wechsel bis 58:10 Geigenschluss – Ende 58:33 (Applaus) / Gesungene Version mit T M Krishna hier, zu ihm siehe im Blog hier .
6) ab 58:34 Raga Sindhu Bhairavi (siehe hier und hier) Alapana bis 1:01:10 / Bhajan „Maathth Jaa Mathth Ja / Komponistin: Meerabai / Raga Sindhu Bhairavi / Tala: Adi / Ende: 1:03:53 (Applaus)
7) ab 1:03:54 Zugabe bis 1:05:11 (Applaus)
Die zitierten Texte der Kompositionen von Tyagaraja stammen aus dem Buch „The Spiritual Heritage of Tyagaraja“ von C. Ramanujachari mit einer Einführung von Dr. V. Raghavan. Vorwort von Dr. S. Radhakrishnan (President of India) Herausgegeben von SRI RAMAKRISHNA MATH Mylapore Madras-4 / Second Edition, 4300 copis, Oct. 1966