Archiv der Kategorie: Interpretation

Diabelli gegen Goldberg

Sinn und Unsinn beim Schreiben über Musik

Schlechter Journalismus zu guter Musik hat immer auch ein Gutes: er zwingt uns, nach dem Wesentlichen zu fragen.

Durch Zufall schneite mir die Welt am Sonntag (20. August 2023) ins Haus, ein neuer Goldberg-Variationen-Interpret interessiert mich wenig, wahrscheinlich mal wieder einer, der an Glenn Gould gemessen werden soll… Ach, es geht wohl eher um einen schönen Zeitvertreib in Schloss Elmau? Wenn das Frühstück auf so absurde Weise in den Vordergrund tritt? Ein elitärer Publikumsmagnet? Besonders, wenn man dort eingeladen ist.

Ja ja, das Universum, die Bananen

& der Hotelbesitzer

Mich beleidigt vor allem die eine Banane für Ravel…

Immerhin: auch Beethoven ist eine Zeile wert:

Und dann kommt er ins Schwärmen über Details. „Allein der Triller in der 28. Variation, wie der etwa Beethoven beeinflusst hat! Die Goldberg-Variationen sind das Wörterbuch für alles Kommende.“

So allgemein genommen, wird es ganz falsch. Man lernt Triller in Beethovens eigener Geschichte, und Beethoven lernt bei Bach, was man ganz anders machen kann.

Ein Brief an Beethoven

Wir wissen ja nicht einmal genau, ob Du sie überhaupt kanntest. Ich bin allerdings davon überzeugt. 33 Diabelli-Variationen gegen Bachs insgesamt 32 Sätze – Aria, 30 Variationen, Aria da capo –, das kann kein Zufall sein. Und es sieht Dir so ähnlich: noch einen Satz mehr zu schreiben als der alte Bach!

Deine 31. Variation, das große Largo in c-Moll, scheint ja geradezu Bachs 25., das g-moll-Adagio, heraufzubeschwören in der extravaganten und herzzerreißend traurigen Art, wie die Melodie ausgeziert ist, ebenso wie im Zusammenstürzen des Gesangs am Ende; zutiefst ergreifend, wie alles gleichsam zu Staub zerfällt. Und dass eine Fughetta und eine Fuge unter Deinen Variationen sind, lässt jeden sowieso an Bach denken.

Auf weite Strecken kommen mir Deine Diabelli-Variationen geradezu vor wie gegen die Goldberg-Variationen angeschrieben. Bach schreibt als Thema eine wundervolle Aria, die er so zu lieben scheint, dass er sie am Ende unverändert wiederholt. Du dagegen hältst nicht viel von Diabellis Walzer, dem „Schusterfleck“, wie Du mal schriebst. Aber irgendwann muss es einen Moment gegeben haben, in dem Dir das Potential aufging, das gerade darin liegt, Variationen über ein triviales Thema zu schreiben.

Der ironische Abstand zum Walzer, dessen Zertrümmerung, wird gerade in den zuletzt komponierten Variationen immer stärker zum Ausgangspunkt Deiner Erfindung – stimmt das? Ist der Sarkasmus das, was Dich je länger desto mehr reizte, bei der Stange hielt? Dachtest Du so etwa: „Was habe ich bisher noch nicht ad absurdum geführt – ach ja, der Walzer hat ja gar keine Melodie. Also nehmen wir diese Nicht-Melodie, dass x-mal wiederholte g der Oberstimme und zeigen, wie doof das ist?“

Der Ton mag irritieren, unkonventionell, aber ansonsten: Jeder Satz interessiert mich, da redet jemand von einer Sache, die er versteht! Sofort entsteht der Drang, das hörend nachzuvollziehen, was er meint. Das ist Andreas Staier.

Staier hier im Deutschlandfunk „Lieber Ludwig, welche Rolle spielten für Dich Bachs Goldberg-Variationen?“ Der Cembalist und Pianist Andreas Staier stellt sich in seinem Brief an Beethoven die Frage, welche Rolle Bachs Goldberg-Variationen bei der Komposition von Beethovens Diabelli-Variationen gespielt haben. Hat er sich gar bestimmte Bach‘sche Variationen vorgenommen, um sie zu negieren, gegen sie zu rebellieren? Von Andreas Staier | 25.05.2020

Ludwig van Beethoven: 33 Veränderungen über einen Walzer von Diabelli / 33 variations on a waltz by Diabelli in C major, op. 120 („Diabelli Variations“). Andreas Staier – fortepiano. With an improvised introduction by Andreas Staier. [Bis 3:20]

Die einzelnen Variationen!

Wahlverwandtschaften (Lebende Bilder)

Eine vergessene Kunst? Oder bloß ein Spiel?

Wie mein Interesse begann

Schubert und das lebende Bild

Eine andere Beschreibung, die ich durch Zufall in Goethes „Wahlverwandtschaften“ fand und für meine Entdeckung hielt:

Damals gab es doch schon Wikipedia…

https://de.wikipedia.org/wiki/Tableau_vivant hier

Aber wohl noch nicht diese unvergleichliche Website (mit den Erläuterungen zu den lebenden Bildern ab dem Fünften Kapitel):

http://wwwhomes.uni-bielefeld.de/bseiler/Wahlverwandt/kultur.htm HIER

ZITAT aus dieser Arbeit:

Das Titelblatt der Erstausgabe

Die Aufmerksamkeit, die der Roman fand, war groß, das Urteil jedoch keineswegs nur positiv. Von den moralischen Bedenken abgesehen, wurde auch die nicht immer konsequente Erzählweise beanstandet. Wilhelm Grimm schrieb am 22. November 1809 an seinen Bruder: „Ich begreife auch, daß das ganze Verhältnis sehr langsam und sorgfältig mußte entwickelt werden, nur nicht langweilig, wie es mir durchaus ist. Ich erkläre mir es aus der Art der Entstehung des Buchs, weil es durchaus diktiert ist, wo der Faden wohl nicht streng angehalten worden, sondern ganz gemächlich abgehaspelt worden und zuweilen auf die Lehne des Schlafsessels herabgefallen ist.“

Goethe in seinem Arbeitszimmer

Auch wenn Goethe stehend und nicht sitzend diktierte, muss man wohl wirklich die oft umständliche Allgemeinheit der Aussagen auf diese Arbeitsweise zurückführen. Zur Besinnung auf plastische Einzelheiten wird man bei einem vorwärtsdrängenden Diktieren kaum veranlasst.

Zitat-Ende / der Autor:

SEILER Bernd W. Seiler, Januar 2015 hier

Zu Humboldts Kritik: Mir waren bei der Goethelektüre durchaus auch stilistische Schwächen aufgefallen, die sich aus der Praxis des Diktierens ergeben, z.B. die stereotype Verwendung des Wortes „entgegnen“ statt entsprechender Varianten. Andererseits: las er denn das Diktierte nachher nicht mehr durch? –  Mir fiel jedoch das Wort vielleicht nur deshalb auf, weil es heute so viel auffälliger klingt als  „antworten“, das ich nicht moniert hätte.

Ein anderes Thema dieses interessanten Autors:

http://wwwhomes.uni-bielefeld.de/bseiler/Lesmona/ hier

Adorno noch einmal

Von der Terz und der Zersetzung der musikalischen Sprache

Adorno 1960 in Berlin

Quelle Theodor W. Adorno: Philosophie der Neuen Musik / Europäische Verlagsanstalt Frankfurt am Main 1958 (Seite 76 f)

1993 Beethoven-Buch + umgeblättert:

… „der gleiche Tatbestand nach seinen verschiedenen Aspekten. Wie aber, wenn schließlich der Ausdrucksdrang gegen die Möglichkeit des Ausdrucks selber sich kehrte?   [141]“

Quelle Theodor W. Adorno: Beethoven / Philosophie der Musik / Fragmente und Texte herausgegeben von Rolf Tiedemann / Suhrkamp Frankfurt am Main 1993

P.S. Natürlich war mir damals klar, dass man diese (hier isolierten) Äußerungen Adornos nicht grundsätzlich als gegen die Idee der „Zwölftonmusik“ gerichtet verstehen darf.

Vom Salon mit Chopin

JR 6.12.1966 Solingen

Quelle Theodor W. Adorno: Einleitung in die Musiksoziologie / Zwölf theoretische Vorlesungen / Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1962

Chromatische Tonsprache und kujawische Motivik (s.a. hier)

Tadeusz A. Zielinski Chopin Lübbe 1999

Universalität?

Museum und integrales Konzert

Ich hätte damals noch etwas ergänzen können oder müssen: aus Adornos Kritik am Persönlichkeitsideal (jetzt 24.07.23 wiedergelesen, damals in „Stichworte“ von 1969, zuvor auch im Radio gehört):

So gehört es zur eisernen Ration pädagogischer Theorien, die auf der Höhe der Zeit sein möchten, das Humboldtsche Bildungsziel des allseitig entwickelten und ausgebildeten Menschen, eben der Persönlichkeit, abzufertigen. Unvermerkt wird aus der Unmöglichkeit, es zu verwirklichen – wenn anders es je verwirklicht gewesen sein sollte -, eine Norm. Was nicht sein kann, soll auch nicht sein. Die Aversion gegen das hohle Pathos der Persönlichkeit tritt, im Zeichen eines angeblich ideologiefreien Realitätsbewußtseins, in den Dienst der Rechtfertigung universaler Anpassung, als ob diese nicht ohne Rechtfertigung bereits allerorten triumphierte. Dabei war Humboldts Persönlichkeitsbegriff keineswegs einfach der Kultus des Individuums, das wie eine Pflanze begossen werden soll, um zu blühen. So wie er noch die Kantische Idee »der Menschheit in unserer Person« festhält, hat er zumindest nicht verleugnet, was bei seinen Zeitgenossen Goethe und Hegel im Zentrum der Lehre vom Individuum steht. Ihnen allen kommt das Subjekt zu sich selbst nicht durch die narzißtisch auf es zurückgezogene Pflege seines Fürsichseins, sondern durch Entäußerung, durch Hingabe an das, was es nicht selbst ist. In Humboldts Bruchstück ›Theorie der Bildung des Menschen‹ heißt es: »Bloß weil beides, sein Denken und sein Handeln nicht anders als nur vermöge eines Dritten, nur vermöge des Vorstellens und des Bearbeitens von etwas möglich ist, dessen eigentlich unterscheidendes Merkmal es ist, Nichtmensch, d.h. Welt zu seyn, sucht er, soviel Welt als möglich zu ergreifen und so eng, als er nur kann, mit sich zu verbinden.« Den großen und humanen Schriftsteller konnte man einzig dadurch in die Rolle des pädagogischen Prügelknaben hineinzwängen, daß man seine differenzierte Lehre vergaß.

Quelle Theodor W. Adorno: Stichworte / Kritische Modelle 2 / darin: Glosse über Persönlichkeit / Suhrkamp Frankfurt am Main 1969 / Zitat Seite 54

Damals schon früher aus der Radiosendung mit Adorno notiert:

Zumindest Negatives läßt über den Begriff eines richtigen Menschen sich sagen. Er wäre weder bloße Funktion eines Ganzen, das ihm so gründlich angetan wird, daß er dovon nicht mehr sich zu unterscheiden vermag, noch befestigte er sich in seinern puren Selbstheit; eben das ist die Gestalt schlechter Naturwüchsigkeit, die stets noch überdauert. Wäre er ein richtiger Mensch, so wäre er nicht länger Persönlicheit, aber auch nicht unter ihr, kein bloßes Reflexbündel sondern ein Drittes. Es blitzt auf in der Hölderlinschen Vision des Dichters: »Drum, so wandle nur wehrlos / Fort durchs Leben, und fürchte nichts!«

*    *     *

P.S. Und heute nach 54 Jahren ein Wermuthstropfen in Adornos Hölderlin-Zitat? der – doch so ermutigende – letzte Halbsatz lautet im Original womöglich anders: nämlich so. (nein! Aufklärung folgt)

Fazit: auch angesichts höherer Autoritäten lohnt sich die Überprüfung von Zitaten ebenfalls hoher oder höherer Autorität. Oder? Am Ende behält gar die Philologie das allerletzte Wort…

Kritischer Bericht Seite 305 – 322, hier wiedergegeben Seite 316 – 319 / und die letzte Fortsetzung von „Dichtermuth“:

Neue Links zu Hölderlins Ode „Dichtermut“  1. Fassung 2. Fassung und Wikipedia hier (darin Link zu Versmaßen). Neue Ermutigung, Hölderlin selbst im Original zu suchen und verstehen zu lernen, gefunden bei Roland Reuß in dem sehr lesenswerten Buch „Ende der Hypnose“, Zitat:

Quelle Roland Reuß: Ende der Hypnose Vom Netz zum Buch / Verlag Strœmfeld Frankfurt am Main 2012 ( hier )

Patmos bei Wikipedia hier

Haydn immer wieder entdecken

Quartette als Wundertüte

Ja, ich bin versucht, nach dem Neuansatz bei Op.33 – dank einer DLF-Sendung – mich etwas salopper auszudrücken. Aber ich suche gar kein neues Publikum, ich suche bei Haydn doch zunächst mich selbst, und werde alsbald mit Verwandten und Freund(inn)en darüber sprechen, als gebe es in puncto klassischer Musik wirklich Neuigkeiten, „als hätte ich den Finger in der Steckdose“. Aber in der Tat war mir z.B. dieser lustige Glissando-Effekt im Trio des Scherzos nicht in Erinnerung (z.B. beim Auryn-Quartett, von dem ich die Gesamtaufnahme besitze). Ich schaue erstmal, was in der Noten steht. Dann folgendes Youtube, bis und ab 1:05. Übrigens: es stört mich nicht, dabei moderne technische Schallgeräte zu betrachten. Aber…

Was ist mit dem Da capo? Was steht genau in der Partitur? Was geschieht in der „echten“ Aufnahme (auf die ich warte). Laut Anzeige dauert der Satz dort  3:04 (hat also ein wirkliches Dacapo). Ein schlechter „Joke“ im YouTube!

Henle Studienausgabe

Bisher:

Zur ersten: immer noch unverändert schön, auf seine Weise…

Zur zweiten: siehe hier

Nun werde ich aufs neue Charles Rosen lesen, das Beste immer noch, was ich kenne über Haydn in „Der klassische Stil“:

Und dann diese Sätze, nachdem er darauf kam, wie Haydn Erfahrung als Komponist komischer Opern sammelte:

Dieses Gefühl, daß Bewegung, Entwicklung und dramatischer Verlauf eines Werkes sämtlich im Material enthalten sind und daß man das Material dazu bringen kann, seine geballte Ladung so zu entladen, daß die Musik sich nicht so wie im Barock entfaltet, sondern wahrhaft von innen getrieben ist – dieses Gefühl war Haydns größter Beitrag zur Musikgeschichte. Unsere Liebe mag ihm für andere Dinge gelten, aber diese neue Auffassung von Musik änderte alles in ihrem Gefolge. Deshalb zähmte Haydn seine Exzentrik oder seinen groben Humor nicht, sondern benutzt sie, und zwar nicht mehr hemmungslos, sondern mit Respekt für die Integrität jedes einzelnen Werkes. Er begriff, daß Konflikt im musikalischen Material des tonalen Systems möglich war und zur Erzeugung von Energie und Dramatik eingesetzt werden konnte. Das erklärt die außergewöhnlich Vielfalt seiner Formen, denn die Methoden änderten sich mit dem Material.

Uner »Material« sind hier vor allem die am Anfang eines jeden Stücks implizierten Beziehungen zu verstehen. Haydn hat noch nicht zu Beethovens Vorstellung einer sich allmählich entfaltenden musikalischen Idee gefunden und erst recht nicht zu Mozarts weitem Blick für tonartlich Massen, der in manchem sogar Beethoven überstieg. Haydns Grundideen sind knapp, werden unverzüglich vorgestellt und vermitteln augenblicklich den Eindruck latenter Energie, nach dem Mozart selten strebte. Sie drücken unmittelbar einen Konflikt aus, dessen volle Austragung und endliche Lösung das Werk ausmachen. Das ist Haydns Aufffassung der »Sonatenform«. Die Freiheit dieser Form besteht nun nicht mehr wie in einigen großen Werken der 1760er Jahre im Ausleben einer launenhaften Phantasie, sondern im freien Kräftespiel eine phantasievllen Logik.

Quelle Charles Rosen: Der klassische Stil / Haydn – Mozart – Beethoven / dtv / Bärenreiter Verlag München, Kassel etc. 1983 (Seite 131 f)

30.06.23 Die CD ist angekommen. Aber mein Scanner ist nicht funktionsfähig. Daher so:

 

Kein Zweifel: Wer diese CD nicht besitzt, ist ärmer! Auch der Text ist sehr lesenswert (setzt ebenfalls an bei Haydns Erfahrungen als Komponist komischer Opern). Autor: © Richard Wigmore.

Selbstkritische Frage: wie gut höre ich (oder Sie)? Lesen Sie den Booklet-Text Seite 13 (zum ersten Satz). Hören Sie die Wiederholungen, z.B. die des Durchführungsteils. Hören Sie die Scheinreprise? Etwa nach dem Innehalten auf den Fermaten (bei 4:05)? statt bei 4:33? Dies ist keine Scheinreprise, sondern die wirkliche Reprise in der „falschen“ Tonart, „Korrektur“ wenig später. Die besagte Wiederholung etwa bei 5:45? Von Neuharmonisierung des Themas in den allerletzten Takten kann man nach so vielen Veränderungen kaum sprechen: es wird zu einer Schlusspassage umgedeutet. Zur schönen Freiheit der Interpreten darf man wohl rechnen (was man erst beim Blick in die Noten feststellt), dass die Pause bei 5:18 und 7:52 um einen ganzen Takt verlängert ist, Takt 124 die letzte Sechzehntelgruppe + Achtel (fast) nicht mehr zu hören ist.

Haltlose Goebel-Kritik

Am Beispiel des Dritten Brandenburgischen Konzertes

Ich muss glücklicherweise keine Rezensionen schreiben. Aber über ein Buch, das mich fesselt, rede ich gern; ich lasse mich auch gern zu Assoziationen oder gar zu eigenen weiterführenden Gedanken verführen (siehe hier, hier und hier), ob sie richtig sind oder nicht. Rezensionen lese ich gern,  wenn sie mir vorweg (oder im Nachhinein) eine deutlichere  Übersicht geben oder Einzelheiten vermitteln, die ich allein weiterdenken oder rekapitulieren kann. Auch kritische Bemerkungen sind willkommen, wenn sie die Schwächen des Buches markieren, während die des Rezensenten nur ärgerlich sind, da sie – ob auf Fehleinschätzung des Gegenstandes oder purer Selbstüberschätzung beruhend – dem unschuldigen Buch doch schaden können. Die Auffindbarkeit im Internet genügt, niemand, der die Kritik liest, muss ja fähig oder willens sein, sie einer seriösen Prüfung zu unterziehen. Im allgemeinen fehlt die Zeit, aber – „irgendwas bleibt doch hängen“.

Dies ist das Buch:

und dies die Kritik: „Peter Sühring,  info-netz-musik“ .

Zitat Sühring (in roter Farbe: kritische Anmerkungen JR )

Eigentlich haben die von Johann Sebastian Bach im Jahreswechsel 1720/21 in Köthen komponierten (? die Spuren zumindest von Nr.3 und Nr.6 führen zurück in das Umfeld der Weimarer Kantaten, Goebel Seite 118 Anm. ) Concerti grossi (oder in der vom Komponisten bevorzugten französischen Bezeichnung „Concerts avec plusieurs instruments“) mit dem Land Brandenburg wohl kaum etwas zu tun. (mit dem Land? wer kommt denn auf diese Idee?) Vielleicht spielte beim Komponieren der Hintergedanke eine nebensächliche Rolle, dass es möglich wäre, diese zwar mit einer im Vagen bleibenden Beauftragung (daraus wird kein guter deutscher Satz), aber hauptsächlich aus innerem Drang (wer kennt sich aus mit Bachs „innerem Drang“?) geschriebenen Werke einer fürstlichen Person zwecks Erlangung (zwecks was?) einer gewissen Publizität oder Aufführungsmöglichkeit zu widmen. (na? gutes Deutsch, wie geht das?) Darum ist es auch konsequent, den ebenso fest eingebürgerten wie höchst fragwürdigen Titel „Brandenburgische Konzerte“ für diese Serie von sechs Instrumentalkonzerten Bachs zunächst auf dem Titelblatt des hier vorgestellten Buches in Anführungsstriche zu setzen. Leider wird diese Anmutung (welche?) nicht durchgehalten, sondern im weiteren Verlauf der Darstellung so getan (wer tut so?), als hätten diese Konzerte  tatsächlich etwas mit „Brandenburg in Preußen“ und der dort herrschenden Dynastie nähers zu schaffen. (sie sind aber von Bach ausdrücklich diesem mit Namen genannten Markgrafen von Brandenbourg gewidmet, – ist das nichts?) Hieraus spricht ein falsches Verständnis oder eine verfehlte, sprich tendenziöse Anwendung von Musikanalyse (?) mit Rücksicht auf kulturgeschichtliche Hintergründe. (der Sinn dieses Satzes ist nicht zu ergründen, – miserabler Gedanke, miserables Deutsch; ähnlich geht es nachher weiter:)

Dazu reicht aber eigentlich eine bloße allgemeine Gegenüberstellung von als barock bezeichneten Komponistenpersonen (?) und einer höfischen Repräsentationskultur mit angewandtem Missbrauch (?) der Musik oder eine spezielle Gegenüberstellung des Köthener Kapellmeisters und des Crétien Louis Monseigneur Marggraf de Brandenbourg noch nicht aus. Es fehlt ein veritables, empirisch nachweisbares Faktum, das die Beziehung beider und die Widmung begründen würde. Es wird auch vom Komponisten in dem in diesem Buch faksimilierten und abgedruckten Widmungstext nicht geliefert. (die Beziehung ist durch Bachs eigenhändige Widmung ausreichend begründet. Sollte er etwa noch eine Extra-Bemerkung für begriffsstutzige Musikwissenschaftler einfügen?)

Ziemlich sicher ist also, dass die Widmung ins Leere ging, aus einer Verlegenheit oder Laune heraus entstanden war (willkürliche Behauptung) und von der Nachwelt am ehesten und guten Gewissens hätte vernachlässigt oder ignoriert werden können, wäre man zu Zeiten von Spitta nicht immer noch adelsfixiert gewesen (absurd) und (bis heute?, bis Goebel?) geneigt gewesen, die Bedeutung der höfischen Musikkultur überzubetonen und die prägende Abhängigkeit der Künstler von ihren durchlauchten Fürsten zu überschätzen (völlige Verkennung der damaligen Machtverhältnisse; der Kritiker hat nicht begriffen, dass Goebels  Anliegen gerade in der Verortung der Concerti im höfischen Kontext lag). Solche Überschätzung wird bestraft, wenn dann eine modisch-fesche Rundfunkmoderatorin (ein krampfhaft heraufbeschworenes Phantom) nach der übereilten Einspielung (er meint nicht, dass die Einspielung übereilt erfolgte, sondern dass es sich um eine im Tempo übereilte Wiedergabe des Concertos handelte) einer Goebelschen Wiedergabe eines der Köthener Concerti grossi Bachs (mit Vorliebe III,2) plaudert (einer… eines = schlechtes Deutsch) , da wäre es „doch recht flott durch die Mark gegangen“. Solche Ansagen gehen einem dann doch durch Mark und Bein und man verflucht ebenso die seit Spitta nachhaltige (falsches Wort, gemeint ist so etwas wie „fortwirkende“) Namensgebung für diese Konzerte wie auch Goebels Hatz. (Aha! nur deshalb  hat er sich anfangs auf das Land Brandenburg capriziert, um das dümmliche Wortspiel mit der „Mark“ einflechten zu können; mit dem Wort „Hatz“ versucht er – nachschiebend – die vorher auch für ihn selbst fühlbar missglückte Wortwahl  „übereilt“ zu rektifizieren.)

Goebel hat zu jedem einzelnen der sechs Konzerte illustre Ideen (Ironie?!). Es reicht hier und zeigt, welche Schwächen mitunter Goebels Ansichten anhaften, wenn man auf seine Ausführungen zum dritten der Konzerte eingeht (der Kritiker cachiert, dass er weiter nichts gelesen hat), das wohl als das am meisten missverstandene angesehen werden kann. (eher das bekannteste und vielleicht das einzige, das der Kritiker kennt!)  Es ist auffällig, dass auch der sonst als sehr findig und ketzerisch auftretende Goebel (sonst als sehr findig und ketzerisch „auftretend“!) hier ganz konventionell der üblichen Aufteilung der Stimmen in drei Stimmgruppen von je drei Geigen, drei Bratschen und drei Violoncelli folgt (er will partout ignorieren, dass Bachs es so und nicht anders geschrieben hat) und nicht auf die Idee kommt, dass Bach hier vielleicht die Chori-spezatti-Technik (er versucht, mit Fachwissen zu imponieren, aber Bach wollte hier „vielleicht“ bzw. ganz sicher überhaupt nicht auf die venezianischen „Chori Spezzati“ [sic!] anspielen, sondern fasste die Gruppen genau so sinnvoll auf, wie er sie komponiert hat) angewandt haben wollte, nämlich drei Stimmgruppen aus je einer Violine, einer Viola und einem Violoncello, denn alle sonstigen mehrchörigen Stücke, bei denen die einzelnen Chöre aus je einem Vertreter der verschiedenen Stimmgruppen gebildet sind, sind so notiert, dass die Stimmen 1-3 jeder Stimmgruppe als zusammengehörig spartiert sind. (bei Bach eben nicht, weil er es nicht so gedacht hat, – wie man auf den ersten Blick erkennt:)

vom Tutti in die Dreiergruppen!

Weiter Zitat Sühring:

Für seine These, dass das Tempo der zu schlagenden Viertel in dem ersten, von Bach unbezeichneten Satz und in dem mit Allegro überschriebenen zweiten Satz gleich bleiben soll (aber wie schnell ist ein angeblich standardisierbares Viertel der Bach-Zeit oder bei Bach?), gibt Goebel leider keine Begründung. Käme sie allerdings in seinen eigenen Einspielungen zum Zuge, müsste er entweder den ersten Satz schneller oder den zweiten Satz langsamer spielen, denn seine Behauptung (?) kann gerade nicht zur Rechtfertigung dafür dienen, die Sechzehntel des zweiten Satzes zu spielen als wären sie Zweiunddreißigstel.

Der Rezensent liest nicht ordentlich. Goebel schreibt nicht, dass das Tempo der zu schlagenden Viertel gleich bleiben soll, sondern wörtlich folgendermaßen: „Aus Vierteln werden punktierte Viertel. Der Schlag bleibt (im Tempo) gleich, die Bewegung innerhalb des Schlages ändert sich, wird schneller.“ (Siehe Goebel Seite 75, aber auch Seite 118) Mit Zweiunddreißigsteln hat das nichts zu tun.  Wer das nicht bersteht, dem ist nicht zu helfen. Wahrscheinlich will er es sich, wie auch sonst, zu einfach machen. Er hat das Buch ungenau oder gar nicht gelesen! Und unterstellt diese Bequemlichkeit auch dem Komponisten, der sich sogar die Mühe machte, die Cellostimme dreifach auszuschreiben, sozusagen nur fürs Auge des Markgrafen.

Zitat Sühring (Hervorhebung in rot JR):

Manchmal reicht es, einfach zu spielen, was dasteht, wenn man es nach den Spielgewohnheiten der jeweiligen Zeit, in der es komponiert wurde, verstehen kann, anstatt sich über Dreieinigkeit, griechische Musen und Stimmführerschaften auszulassen. Jedes der sechs Köthener Concerti grossi Bachs hat ein mit den plusieurs instruments vorgenommenes Klangexperiment zum Inhalt, das innerhalb des bei Bach notorischen polyphonen Gewebes bei charaktervollen Themen zum Tragen kommt – einfach zur „Ergötzung des Gemüts“.

Nein, es reicht einfach nicht! Und das nachgereichte Lob ist natürlich im Vorhinein ausreichend vergiftet.

Dem Buch sind zwei CDs mit der Einspielung der Konzerte mit dem von Goebel geleiteten Ensemble Musica antiqua Köln aus dem Jahr 1987 beigegeben, in der sich etliche andere der von Goebel gefundenen und eloquent beschrieben[en] Finessen Bachs sehr gut nachhören lassen.

Kein Wunder, dass dieser Heuchelsatz von den durch Goebel gefundenen und eloquent beschriebenen „Finessen“ Bachs noch mit einem Schreibfehler garniert ist.

Der Rezensent, der pauschal den Bezug des dritten Brandenburgischen Konzertes auf die 9 (3×3) Musen ablehnt, hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, die Paten der anderen Konzerte bei Goebel ausfindig zu machen. Ich hole es an dieser Stelle nach:  I die Jagdgöttin (Diana), II der Ruhm des Fürsten (Fama), III die neun Musen, IV der gute Hirte, V der Kriegsherr, VI der Gedanke an den Tod (die Apotheose?). Wobei Goebel selbst nicht vergisst hervorzuheben, dass diese letzte Verbindung problematisch ist. Um so faszinierender!

ZITAT Goebel Seite 122

Deutet das Instrumentarium ziemlich frank und frei auf den Tod – sowohl Bratschen als auch Viola da gamba waren das traditionelle Klang-dekorum für deutsche Funeral-Kompositionen – so stand es Bach in seiner Rolle als Diener – und nicht Hofprediger – des Fürsten in keiner Weise zu,  das Lebens-Ende anders als in einer Apotheose zu thematisieren. Legt man das Augenmerk auf die Wahl der nur in diesem Concerto auffallend prominent verwendeten kompositorische Gestaltungs-Mittel – Kanon, Trommelbass, Ciacona, Unisono, Giguen-Finale en Rondeau – und bedenkt Bachs immer doch komplizierte, sich selten nur geradeaus erklärenden „Findungs-Prozesse“, so bleibt als Angebot „auf Verdacht“ nur die Verquickung dieser beiden so konträren, sich dennoch bedingender Umstände Tod und Apotheose.

Einem Rezensenten, der auf eine einfache Lösung der Probleme aus ist, wird das nicht einleuchten. Er wird einerseits das moderne Tempo monieren, andererseits die Verflechtung Bachs mit seiner realen Lebenswelt entrüstet aus dem Blickfeld verbannen, – wahrscheinlicher ist, dass Goebels Buch einen lernfähigen Leserkreis findet, der genau das zu schätzen weiß: den komplexen Zusammenhang, nicht die Simplifizierung.

Hinweis: Rezension im Juliheft 2023 „Das Orchester“(Text-Foto)

Fantastic Style

Ein Text von Andrew Manze (1996), der ebensowenig in Vergessenheit geraten sollte wie die zugehörigen Aufnahmen. (Ich knüpfe an Zitate in meinem früheren Artikel an: hier und – hier.)

Was beim flüchtigen Umgang mit den CDs irritieren könnte: ob die zweite sozusagen die erste fortsetzt oder eine relativ selbständige Rolle spielt, – jawohl, sie gehört in den Themenbereich Fantastischer Stil, der in CD 1 anhand verschiedener Komponisten dargestellt ist.

Frappierend die Sonata „Victori der Christen“ CD 2 Tr. 5-11, die tatsächlich eine Bearbeitung der Mysteriensonate „Die Kreuzigung Jesu“ von I.F.Biber darstellt, siehe Text oben: sie ist „nahezu identisch“. Von Anton Schmelzer, dem Sohn! Für Leute, die diese CD besitzen, ist es sicher nützlich, zum Vergleich im Hintergrund das Original greifbar zu haben. Nebenbei handelt es sich dabei auch um eine bemerkenswerte Aufführung:

Von Andrew Manzes Schmelzer-Fassung (Anton !) desselben Werkes kann man zumindest eine kurzen, intensiven Eindruck auf YouTube erhalten:

Alles, was Mattheson über den Stil der Toccata weiß:

auf der Spur von Andreas Weil: hinüber ins Original von Johann Mattheson:

 

Aber jetzt erst weiß man zu schätzen, wie wertvoll Andreas Weils Ausführungen sind, vor allem durch die Beispiele, die man als Normalverbraucher/in natürlich nicht zur Hand hat, – und die mich sofort an ähnliche visuelle Eindrücke bei Bach erinnern:

schlechte Kopie aus Weils tollem Buch…

Es ist nicht so, dass ich im Augenblick nicht sauberer scannen kann: ich möchte nur bei niemandem den Wunsch erlöschen lassen, das Buch selbst zu erwerben. Es lohnt sich, darin ganz sorgfältig nachzulesen, auch wenn man die Mattheson-Werke z.B. im Nachdruck besitzt, – man muss sie entschlüsselt bekommen und mit „zeitgenössischem“ Leben erfüllt sehen. Der nächste Schritt ist, die benannten Musikstücke zu hören… und nachzufühlen. Buxtehude, Lübeck, Bruhns und Bach. Im oben wiedergegebenen Mattheson-Original lese man nach, dass bei all dem an die Orgel und die Meister ihrer Zeit zu denken ist. In § 69. kommt er (nach Frescobaldi) über Händel auf Bach, in § 70. auf die nächstberühmten Meister, von denen die Mehrzahl heute unbekannt ist. (Wer war z.B. der genannte Händel-Schüler Babel?) Er kommt von der Orgel auf andere geeignete Instrumente, auf die „Violdigamb“ und die Laute „in der Kammer“, wobei er die Violine nur wegen ihrer „durchdringenden Stärcke“ hervorhebt. Mir fehlen die anderen Tasteninstrumente, mir fehlt ein Hinweis auf Froberger, der gerade in seinen Praeludien erwähnenswert wäre.

Worüber ich gern in diesem Zusammenhang noch berichtet hätte: betr. Praeludien von Louis Couperin – verwandt im freien Prinzip mit Froberger – s.a. hier  (falscher Link, richtigen suchen!) Artikel in Musik & Ästhetik, eine letzten Ausgaben…

Nachgeliefert:

Hier der kurze Einblick zur weiteren Erinnerung: die erstaunliche Vorstellungswelt der Préludes von Louis Couperin, dargestellt von Niels Pfeffer in Musik & Ästhetik Heft 108, April 2023:

Ich weiß nicht, ob man versteht, dass der Artikel von Niels Pfeffer ein großes Potential Verunsicherung vermittelt für dem, der sich seiner Bach-Werke sicher zu sein scheint: als gebe es bei Louis Couperin (heimlicher Gedanke: bei Froberger, dem frühen Bach-Leitbild!) eine Ästhetik, die Bach nicht gekannt oder aufgegeben hat! Das Labyrinthische vielleicht nicht, aber das indirekte Kadenzieren, die geplante Verunsicherung. Man lese sich nur noch hinein in diese „Reflexion“:

Fortsetzung: man rate…

„… als ob das Cembalo sie von sich aus, ohne die Zustimmung [consentement] Accompagnateurs, zurückgibt.“

In welcher Zeit befinden wir uns mit diesem Zitat? In der heutigen Moderne? Wir befinden uns in einem Traktat von Michel Saint-Lambert, veröffentlich in Amsterdam – 1710.  „Ohne die Zustimmung“ – – –  Werk ohne Autor???

Warum lese ich im Zusammenhang mit Louis Couperin / Froberger nie das Wort vom „stile phantastico“? Vielleicht liegt doch der gemeinsame Bezugspunkt bei Frescobaldi?

Hören Sie Bachs Partita V mit – Niels Pfeffer (https://www.nielspfeffer.com/cembalo):

*     *     *

Und – Themawechsel, an den inspirierten Booklettext zu Anfang dieses Artikels anknüpfend – auch darüber berichten, wie Andrew Manze anlässlich seiner Aufnahme Mozartscher Violinkonzerte (2006) zu außergewöhnlichen Einsichten gekommen ist… als Geiger habe ich ihn zum ersten Mal im WDR gelobt bei der Besprechung der Matthäus-Passion mit Ton Koopman. Mitte der 90er Jahre…

Woher kam der Jazz?

Maximilian Hendlers Forschungsreisen

Zitat:

Die befremdlichen Züge, welche die Musik der Afroamerikaner für Weiße an sich hatte und immer noch hat, führten zu einem bis heute weiterwirkenden Irrtum. Die afroamerikanische Musik kommt von den Schwarzen – die Schwarzen kommen aus Afrika -, daher kommt die afroamerikanische Musik aus Afrika. Die Jazzforscher, die alles, was nicht in der Musikästhetik der westlichen Hochkultur enthalten ist, nach Afrika verlegen wollen, ziehen ein Faktum nicht in Betracht: Der größte Teil der traditionellen afrikanischen Musik wurde zu religiösen und sozialen Anlässen gemacht, an denen Afrika extrem reich war und selbst heute noch immer ist.

Für die Afrikaner, die in die amerikanische Sklaverei gerieten, fielen diese Anlässe weg. Ihnen blieb nichts anderers übrig, als sich jener musikalischen Formen zu bedienen, die sie zunächst bei ihren weißen Besitzern und später auch beim weißen Proletariat zu hören bekamen. Ihre Rezeption dieser Musikformen bildet die Basis, aus der in den Jahrzehnten um 1900 der Jazz erwuchs.

GRAZ 2008

WIEN 2023

Was mich das angeht?

Titel, die leicht aufzufinden sind:

S.40 My Gal is a highborn Lady hier oder hier

S.41 Crappy Dan hier

S.43 All coons look alike to me hier (Arthur Collins) hier und hier

S.47 Nobody / When life seems hier

S.77 A Georgia camp meeting hier

S.89/90  Jelly Roll Morton (gesamt) hier Tiger Rag hier different tempi hier

S.94 A happy little chappie hier ?

S.106 Scott Joplin Easy winners (mit Noten) hier

S.106 Frank P. Banta hier

S.120 Original Dixieland Jazz Band 1917 Tiger Rag hier Livery Stable Blues hier

S.126 Duke Ellington 1927 (?) Bugle Call Rag hier

(Fortsetzung folgt)

Als Gegenposition sei an dieser Stelle auf das Buch von Gerhard Kubik (1999) verwiesen, der ein ausgewiesener Afrikakenner ist. Was die Argumentation, dass der Blues aus Afrika kommt, nicht von vornherein glaubwürdiger macht, – als habe sich über Generationen von Sklaven eine solche Erinnerung halten können. Zu berücksichtigen wäre die schlichte Tatsache, dass mit ihrer Ankunft in Amerika das absolute kulturelle Prägerecht der afrikanischen Sklaven die Kirchen und Sekten  übernommen hatten. Da blieb nichts übrig.

Der Name Kubik kommt bei Hendler nicht vor, weil die neueren Forschungen am überlieferten Material und die Einbeziehung der frühen Schichten europäischer Volksmusik einen ganz anderen Weg wiesen.

Und vor allen Dingen: statt den schnellen Weg nach Afrika zu nehmen, lohnt es sich in die Tiefe der Geschichte einzutauchen, und nicht nur dort, wo sie für Menschen unserer Zeit (rückwirkend) interessant ist und Musikprojektionen befeuert. Man lese daraufhin den Wikipedia-Artikel „Great Awakening“ mit Blick auf die unterprivilegierten Schichten der amerikanischen Bevölkerung.

Edwards’ Predigten waren machtvoll und zogen von etwa 1731 an ein großes Publikum an. Der aus England eingereiste methodistische Prediger George Whitefield setzte die Erweckungsbewegung fort, bereiste die britischen Kolonien und predigte in einem dramatischen und emotionalen Stil, der in dieser Zeit neu war. Neu war auch, dass Whitefield im Publikum jedermann – auch Afroamerikaner und Sklaven – akzeptierte…

Durch das Great Revival gelangten erstmals auch viele Sklaven zum christlichen Glauben. In den südlichen Kolonien erlaubten die Baptisten seit den 1770er Jahren sowohl Sklaven als auch Sklavenhaltern das Predigen. Nachdem Frauen in den Kirchen bis dahin überrepräsentiert gewesen waren, stieg auch die Anzahl der männlichen Kirchenmitglieder…

Wie die amerikanische Theologin Kimberly Bracken Long 2002 dargestellt hat, führen Geisteswissenschaftler die Camp Meetings seit den 1980er Jahren auf die Tradition der Holy Fairs zurück, die im 17. und 18. Jahrhundert in Schottland verbreitet waren. Bis dahin hatte man ihre Wurzeln ausschließlich in der amerikanischen Grenzland-Erfahrung vermutet…

Die Bemühungen, christliche Lehren auf die Lösung sozialer Probleme anzuwenden, waren wichtige Vorläufer und Präzedenz-Fälle für die Social-Gospel-Bewegung des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, auch wenn sie in ihrer eigenen Zeit nur sehr eingeschränkt auf bestimmte Themen wie Alkohol und Sklaverei zur Geltung kam und nicht auf die Gesamtwirtschaft bezogen wurden…

NEU (11.05.23) DIE ZEIT Seite 52 Buch-Empfehlung

Béla Bartók Violinkonzert II u.a.

Form (1939)

Man sollte die Eckpunkte dessen kennen, was für den Komponisten von Bedeutung war, selbst wenn es langweilig aussieht. Auch Bartók sprach in langweiligen Worten über den Formablauf einer spannenden Komposition. Aber wenn ich diese Eckpunkte nicht (oder erst nach oftmaligem Hören) erfasse, fehlt mir der rechte hörende Zugang zum Werk. Es genügt nicht, nur „das schöne Thema“ oder seine Abwandlungen zu erkennen. Ich beginne bewusst mit der klanglich unattraktiveren historischen Aufnahme, die den authentischen Stoff bietet.

SATZ I Exposition Anfang bis 2:56 / Durchführung ab 4:37 / Reprise 8:05 Kadenz 11:10 (13:06) bis 14:37 (Ende)

SATZ II Thema ab 14:53 bis 16:05 / Var.1 bis 17:03 / Var.2 bis 18:32 / Var.3 bis19:25 / Var.4 bis 21:10 / Var.5 (scherz.) bis 21:43 / Var.6 bis 22:42 / Thema bis 23:52 (Ende)

SATZ III (folgt, Faust ab 37:37)

(man sollte wissen, dass es 2 Schlüsse gibt: Isabelle Faust spielt den von Székely gewünschten, – Solist aktiv bis zum letzten Takt -, Tetzlaff 1991 z.B. den von Bartók ursprünglich vorgesehenen)

Beschreibung Wikipedia hier

Leeres Wort „Emotion“

Das Konzert mit Isabelle Faust – jetzt Mediathek) hier (bis 21.07.23) – überragend

Bartók ab 11:09 / endet mit dem alternativen Finalteil bei 49:17

Hörenswert (für später) auch die Live-Version mit Augustin Hadelich hier

Erinnerung (Achtung: hier!) an die frühe Lektüre, die nach wie vor aktuell ist: Ernö Lendvai

 

Quelle Ernö Lendvai: Einführung in die Formen- und Harmonienwelt Bartóks, in: Béla Bartók Weg und Werk / Bärenreiter-Verlag Karl Vötterle Kassel etc. 1972 (Corvina Verlag Budapest 1957)

Weitere sehr gute Interpretation mit Barnabás Kelemen hier (ohne Film)

(zum Nacharbeiten)

NEU

hier oder bei Tacet

Die CD und der Text Brückenbau am Rande der Katastrophe Ein Essay von Jan Reichow

Italian Institute Budapest 24.-30.Juni 2019 Fotos: László Emmer, László Mudra, Andrea Felvégi / Produktion © 2023 TACET Aufnahme und Produktion: Andreas Spreer

Neue Kraft fühlend

Die alten Quellen

(Kurze Erinnerung JR 22.02.23 – 10.03.23 Klinik und danach)

Wie oft in einer Krisensituation, musste ich jetzt obsessiv an eine bestimmte Musik denken, konnte aber bisher ohne Partiturzugang nicht genau sagen, warum. „Neue Kraft fühlend“ im „Dankgesang“ natürlich, versteht sich innerhalb des Großen Zusammenhangs, – nur wenn ich von da nach außen vor- und zurückdenke, so stocke ich: was ist mit dem Riesensatz, der sich – wenn ich mich recht erinnere – auf ein einziges kurzes Motiv stützt? Wie „macht“ das Sinn? Ich muss es intensiv extensiv lesen und vor allem: hören, wenn ich wieder zuhaus bin. Verhält es sich als Tanzsatz (?) zu seinem Trio etwa so wie der Dankgesang zu „Neue Kraft fühlend“? Beginnen wir also mit der faszinierenden Monotonie dieses Satzes! Leisten wir uns die grandiose Beethovensche Monomanie!

Trio-Teildas „Savoyardlied“ (s.u. „La Marmotte“)

die Ländler-Partie

Was Cooper (grüne Tinte!) über das Wiener Großstadttreiben vermerkt, darf man durchaus verallgemeinern. Und tatsächlich ein verlässlicher Beobachter des Volkstreiben, der Goethe-Sohn August 1830 aus Frankfurt auch „den Savojard mit einem Murmelthier“:

Quelle Stephan Oswald: Im Schatten des Vaters / August von Goethe / C.H.Beck München 2023 S. 248

Ich brauche, von wem auch immer, Anknüpfungspunkte, nein, mehr: eine kurze, plausible Darstellung des roten Fadens, die Andeutung eines inneren Sinnes, etwas „Inhaltliches“. Sagen wir so:

Mainard Solomon S. 364

Eine andere Blickrichtung findet man im alten Beethovenbuch des gar nicht hoch genug zu schätzenden Walter Riezler (Vita!):

Walter Riezler (Atlantis 1936)

Zum Nachhören der einzelnen Sätze von op.132 (Alban-Berg-Quartett):

00:12 First Movement 10:45 Second Movement (Trio ab 14:39 Dacapo ab 16:46)  20:25 Third Movement (Heiliger Dankgesang) 36:56 Fourth Movement 39:01 Fifth Movement

Unvergesslich: der Beethoven-Zyklus mit dem Alban-Berg-Quartett 1989

Beispiele Solomon : „Ah perfido!“ Szene und Arie op.65 hier / op.48, 3 „Vom Tode“ hier

Zum „Savoyardlied“ (La Marmotte) hier ! Es heißt nicht, dass eine Verwandtschaft zwischen den Melodien behauptet wird, es geht um die Sphäre, die beide beschwören. – Ähnlich, wie es im folgenden um die Sphäre des Ländlers geht, die Gerd Indorf (Beethovens Streichquartette 2007, S.394) sogar dingfest macht:

Dieses Achtelthema (T. 141 – 149) gestaltet den zweiten Teil eines Deutschen Tanzes, den Beethoven in den 90er Jahren für die Redoutenbälle des kaiserlichen Hofs komponiert hatte (WoO 8, vgl. TDR V, S.265).

In WoO 8 nicht gefunden JR hier (siehe neuen Nachtrag betr. WoO 3 und WoO 81 !)

„What actually follows is not an answer but a turning aside into purely musical fantasy – a whole piece made out of the double theme contained within two bars“ (siehe im folgenden).

Jedenfalls sind wir den Sphären-Zitaten auf der Spur, wie einst in der Partitur notiert (s.o. grüner Eintrag in die Noten), verschiedenen Hinweisen von Basil Lam folgend (die ersten beiden Absätze im folgenden Text beziehen sich noch auf Satz I und ein Fidelio-Zitat):

Um so erstaunlicher, wenn Standardwerke wie das von Gerd Indorf solchen offensichtlichen Zusammenhängen ausweichen und sich auf eher technische Angaben beschränken, als gebe es ein Berührungsverbot, sobald es eindeutig die Sphäre der Volksmusik betrifft:

Es beginnt dolce mit einer Introduktion (….), einem elftaktigen Violinduo, das aus 3 Takten Einleitung und einer schlichten Melodie von zweimal 4 Takten Vordersatz und Nachsatz besteht. Die 1. Violine erzeugt einen bordunartigen Drehleiereffekt, indem sie die leere A-Saite zur Melodie kontinuierlich erklingen läßt. Die unteren Instrumente beteiligen sich an der Wiederholung und verstärken den Bordun-Effekt durch zwei weitere Oktaven.

Violinduo? Drehleiereffekt? Bordunartig? Bordun-Effekt? Hat das weiter nichts zu bedeuten?

Und der heftige Einbruch der „Viertongruppe in diesen harmlosen Satz hinein“: was soll uns an dieser Stelle die motivische Beziehung zum anderen Quartett, – entscheidend ist allein, dass die Harmlosigkeit der Umgebung grob in Frage gestellt wird! Die technischen Mittel interessieren überhaupt nicht, nur: was sie bedeuten!

Man könnte mit Maynard Solomon antworten:

Wir brauchen diese Analyse allerdings nicht, um zu spüren, daß Schmerz und seine Überwindung das Wesen dieses Quartetts sind. Eben von einer ernsten Krankheit genesen, überschrieb Beethoven das Choralthema des langsamen Satzes »Heiliger Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit, in der lydischen Tonart«. (Die Musik scheint hier zu einem heilenden Wesen, zu einem Talisman gegen den Tod zu werden.) Der kontrastierende tanzähnlich (oder besser tanzen wollende) Abschnitt trägt den Titel »Neue Kraft fühlend«, eine Überschrift, die auch den Grundcharakter der übrigen Sätze trifft, des Alla Marcia und des beschließenden Rondos, Allegro Appassionato, dessen drängende, fließende Walzermelodie wie eine ins Ätherische erhobene und tänzerische Vollendung jenes Abschnittes mit seinem zögernd-drängenden Dreiachteltakt erscheint [»Neue Kraft fühlend«].

Maynard Solomon „Beethoven“ Gütersloh 1979 (Seite 364)

Zurück also zum 2. Satz. Man höre mit Liebe die endlose Permutation ein und derselben Motive. Wer fragt, wer antwortet? Wohin geht die Fahrt?

Am Ende geht es unvermittelt ins Trio: die große Ruhe breitet sich aus, der Ländler schafft eine allmähliche Belebung, kommt endlich an ein Ziel, da bricht ein rüpelhaftes Element hervor, Mutwille: man merke sich die Gänge im Bass, ein Taktwechsel, aber „L’istesso Tempo“. Hat Martin Cooper (grüne Tinte!) recht, wenn er offen lässt, ob es als „joke“ oder als private Anspielung auf ein künftiges Quartett gemeint sei?

Martin Cooper: Beethoven The Last Decade / Oxford, New York 1970, 1985 / S. 361

Noch einmal die kristalline Stille des „Savoyardelieds“, doch die Bass-Gänge sind noch im Ohr, und sobald das Dacapo des Satzes beginnt, erkennt man die auf zwei Takte verteilte Wiederkehr der Bass-Gänge: T.1 Gis, T.3 Ais / T. 7 Ais, T. 9 His – beschwichtigt; ich wage zu sagen: der Heilungsprozess darf fortgesetzt werden. Mit der bewährten Zauberformel.

Worauf zielt meine Betrachtung des Beethovenschen op.132 ???

Zu formulieren, wodurch das Ungenügen an vielen verbalen Interpretationen des Werkes verursacht wird. Es fehlt am Wesentlichen, und zwar gerade dadurch, dass das scheinbar Unwesentliche – die kleineren Zwischensätze – über Gebühr vernachlässigt wird, als sei die entscheidende Aussage allein in den spektakulären großen Sätzen konzentriert: im Kopfsatz, im Choral des „Dankgesangs“ und im Finale. Ganz im Gegenteil! Und seien es Schimären, denen Beethoven hier Gestalt gewährt, – s.o.: „Ein kleines Haus allda so klein, dass man allein nur ein wenig Raum hat. . . Nur einige Tage dieser göttlichen […] Sehnsucht oder Verlange, Befreiung oder Erfüllung“ (1817/18) – , sie spielen in seinem Denken eine Rolle, auch wenn es für uns „Moderne“ näher liegt, allein in Tönen und Motiven allen Sinn zu sehen. Ausgerechnet bei Beethoven, der über alles Kommensurable hinausgeht.

Naturgemäß nimmt in den meisten Interpretationen der Dankgesang „in der lidischen Tonart“ den meisten Raum ein. Aber wie kann es danach weitergehen? Im Ernst: mit diesem naiv-jugendlichen Wanderlied, „Alla Marcia“? Geradezu einer Schülerarbeit gleichend, mit demonstrativen Kadenzen und Zäsuren. Beide Teile wiederholt, dann aber – als sei die Zeit knapp geworden – „attacca subito“, mit dem soeben eingeübten aufsteigenden Motiv von einer Taktlänge. Es führt zu dem bewegenden Rezitativ, das – wie in der Neunten, für die Beethoven das folgende Thema ursprünglich skizziert hatte – die Musik mit dem finalen „Allegro appassionato“ zu neuen ungeahnten, unerhörten Höhepunkten treibt. Am Ende ein Presto, in dem noch ein letztes Mal das Ländlermotiv aufleuchtet.

(Zwischengedanken)

Beethoven: WoO 13 nr.11 aus „Zwölf Deutsche Tänze“

Beethoven: WoO 81 Allemande in A-dur

Fazit?

Mir ist klar, dass alle diese Details nicht darüber hinweghelfen, dass wir einstweilen die drei Haupsätze ausgelassen haben, die jedoch alllenthalben bis zum Exzess erörtert wurden. Ich belasse es bei wenigen Hinweisen: (xxx).

Doch wenn alldas nicht zur Hand ist, so genügt mir – vor dem wiederholten Hören des ganzen Werkes die wunderbare, abschließende Suggestion von Basil Lam:

No other composition in all Beethoven’s works shows the unintegrated contrasts of this quartet, but once he had become possessed by the unique vision of the ‚Heiliger Dankgesang‘, no solution of the formal problem was available other than to surround it with sound images united only by their total diversity. The only common factor, itself made obligatory by the diatonic severity of the Lydian sections, is an extraordinarily narrow range of tonality, far more restricted than would be possible in mature Haydn or Mozart, though familiar in the Baroque concerto.

Basil Lam: Beethoven String Quartets / Ariel Muc BBC Publications London 1975 (1786) / S.98

Basil Lam

Gutes vom Geigenspiel

Was ich gerne höre

die neueste CD

Man sollte aber diese CD besitzen, nicht nur um die hinreißende Musik zu hören, sondern auch um den klugen Text zu lesen. Reinhard Goebels besonderer Blick auf das herrliche Instrument fasziniert, – auch wenn man durch den medialen Abstand ohnehin immunisiert ist gegen eine Fetischisierung der bloßen Klang-Eigenschaften. Es ist die alte Geschichte: warum gerade dieses Instrument (und nicht etwa die Gambe), warum wird man des neutraleren Charakters nicht überdrüssig und verlangt nach anderen Mischungen?

Ich könnte ein Loblied singen auf den sehnsüchtigen Klang der Hörner, auf die melancholische Kantilene der Klarinette, auf die rührende Unschuld der Oboe, – aber etwas Schwärmerisches über den Geigenton??? Ich denke an Kolisch und sein spöttisches Wort über „die Religion der Streicher“, an das nervende Dauer-Vibrato , und an das mickrige Pizzicato und sonstwas, ich höre Leute verzückt vom Cello reden, vom Zauber der Bratsche, die sie dann auch lieber Viola nennen. Nein, ich übertreibe: aber wenn es um die Geige geht, rede ich von Musik: vom „Adagio molto e mesto“ aus Beethovens op. 59 Nr.1, vom Siciliano einer Bach-Solosonate, vom Anfang des Sibelius-Konzertes.

Ja, aber dann gibt es auch noch Janine Jansen mit den 12 Stradivaris. Da ändert man leichtfüßig die Meinung und achtet geduldig auf den Unterschied der Klangfarben und der Saitenübergänge.

Ach, ist es möglich, dass ich im Begriff bin, mich peinlich zu wiederholen? Dann will ich lieber nur nachlesen, welcher Meinung ich wirklich bin: hier.

Dann hätte ich aber auch noch ein anderes Beispiel, von dem ich weiß, dass mich beim Hören der reine Geigenklang begeistert hat. Es mag auch an der genial-idiomatischen Schreibweise des Geigers Eugène Ysaÿe legen, ebenso an der bestechenden Technik und Musikalität der beiden Interpretinnen, in meinem Fall kommt die Erinnerung an den Lehrer Wolfgang Marschner hinzu, dessen Unterricht ich 1961/62 genoss: seine suggestive Art, eine französische Spielweise als Ideal zu vermitteln: eine gewisse Glätte und Eleganz, die er unnachahmlich etwa an der „Havanaise“ von Saint-Saëns exemplifizierte, während er sie bei Bachs Solo-Partiten selbst völlig vermissen ließ. Und ich glaube ihm aufs Wort, wenn er von dieser Aufnahme meint:

Das Violinduo Penny-Starkloff setzt die Tradition und Verkörperung eines besonderen Klangbildes gepaarter Violinen nicht nur fort, sondern belebt es in exzellenter Weise. Dies war der Hauptanreiz für mich, für diese Kombination meine „Sinfonischen Variationen“ zu schreiben.

Bezaubernd „französisch“ sind seine Bagatellen für zwei Violinen, – aber natürlich ist es eher die fast 30minütige Sonate von Eugène Ysaÿe, an deren Klangbild ich mich nicht satthören kann. Es ist nämlich nicht nur das Klangbild – diese beiden (mir unbekannten)  Geigerinnen spielen einfach unglaublich  gut. Wenn ich die Aufnahme beim Blindhören einordnen müsste, würde ich sagen: Weltklasse! Marschner muss ein guter Lehrer gewesen sein!

Coviello Classics hier

Man merkt wohl, dass mein Lob der größeren Marschner-Komposition, die er „Sinfonische Variationen“ nennt, irgendwie nicht rüberkommen will.

Stimmt, ähnlich wie er es damals mit mir gehalten hat, als er merkte, dass ich „die Karten meines Lebens“ nicht vollständig auf das Geigenspiel setzen mochte, sondern dass mir nebenbei noch andere Ziele vorschwebten, etwa: mehr Bach und Alte Musik und schließlich auch arabische und indische Musik – dass ich z.B. ihm, dem Pädagogen Marschner, nicht nach Freiburg folgen wollte, als er dorthin berufen wurde. Seine etwas zurückhaltend verklausulierte Beurteilung sollte ja eigentlich nur dazu dienen, dass die Firma Oetker in Bielefeld mein Musikstudium weiterhin mit monatlich 230.- DM unterstützte. Während er mir abschließend nochmal seine Meinung „geigen“ wollte…  Es reichte allerdings auch so:

Nicht immer verlaufen Geiger-Sympathien so früh im Sande, – kaum zu glauben, fast genau 60 Jahre später: die neueste CD von RG kommt wie eh und je auf dem geradesten Weg:

DANKE, so ist es uns recht, scherzando aus Solingen, Dein JR