Schlagwort-Archive: Julia Fischer

Bachs „Chaconne“ verfremdet

… oder nähergerückt?

14 Violinist(inn)en: Julia Fischer, Augustin Hadelich, Renaud Capuçon, Klaidi Sahatçi, Alexander Sitkovetsky, Nicola Benedetti, Andreas Janke, Daniel Röhn, Lisa Batiashvili, Lena Neudauer, James Ehnes, Stefan Jackiw, Rudens Turku, Vadim Gluzman

Jascha Heifetz, Violine

Orchesterfassung Stokowski

John Feeley, Gitarre

Für Streichquartett von (Albert) Maria Herz: Asasello Quartet

The Galvin Cello Quartet

Busoni-Fassung: Hélène Grimaud, Klavier

Andrea De Vitis, Gitarre

Nur ein flüchtiger Blick sei einer seltsamen Deutung des Bachschen Werkes geworfen, deren Lektüre mir noch unerträglicher war, als die mit gesungenen Choralzitaten durchsetzte Violin-Wiedergabe der Ciaccona auf CD (ECM 2001), die auch dem Buch beigegeben wurde:

Ich bekenne mich bedingungslos zu dem Urteil, das Reinhard Goebel in seinen 2024 herausgegebenen Sammelband eingefügt hat, – auch wenn ich jede andere klingende Deutung des Werkes vom jeweiligen subjektiven Standpunkt der Interpreten aus irgendwie nachempfinden kann, – nachzählen und nachrechnen will ich nie und nirgends, gerade auch nicht bei Bach. Es sei denn, es gäbe einen glaubwürdigen Hinweis aus seinem biographischen Umfeld. (Mauricio Kagel gilt nicht!)

Quelle Reinhard Goebel: »Der Kopf macht die Musik« Texte zur Musik Essays – Interviews – Würdigungen / Verlag Klaus-Jürgen Kamprad / ZITAT Seite 158, dort mit folgender Überschrift (die nicht Bachs Orthographie folgt): »Mona Lisa« / Eine Etude zur »Ciacona« von Johann Sebastian Bach (Achtung: Scharf gewürzt)

Wer kann sich so radikal ändern?

Und wieviel Zeit bleibt?

Ich überlegte, warum ich selten mit Ausdauer darüber nachdenke, während es doch ständig im Untergrund schwelt. Zuletzt hier? Immer nur, wenn die Zeitungen es zum Thema machen, in der Hoffnung, dass es etwas zu hoffen gibt. Wie ärgerlich ist der Pauschal-Knüppel „Lügenpresse“, das allgemeine Schimpfen ist am leichtesten, die guten Beispiele fände man leichter individuell in der seriösen Presse, aber die Leugner kommen lieber mit einer (scheinbar) perfekten wissenschaftlichen Mimikry daher. Man weiß, es ist falsch, aber man würde viel Zeit mit Theorien zur Großmachtpolitik verlieren, wenn man es widerlegen wollte. Und es erledigt sich von selbst. Anders als in der Klimapolitik, wo man von einem Politiker folgende Entgegnung lesen kann:

Die Wis­sen­schaft ist sich sehr wohl ei­nig. Das ist jüngst im Welt­kli­ma­be­richt be­stä­tigt wor­den, dass der Mensch ei­nen er­heb­li­chen An­teil an der Erd­er­wär­mung und dem Kli­ma­wan­del hat.

Die­se Auf­fas­sung tei­le ich nicht. Schau­en Sie sich die Fach­ka­pi­tel in Un­er­wünsch­te Wahr­hei­ten von Vah­ren­holt und Lü­ning an, zwei ex­zel­len­ten Ken­nern der Ma­te­rie. Hier wird un­ter an­de­rem aus­ge­führt, dass der Bei­trag der Son­ne zur Erd­er­wär­mung nach wie vor nicht ge­klärt ist. Es gibt al­ter­na­ti­ve Hy­po­the­sen. Wis­sen­schaft ist kei­ne De­mo­kra­tie, wo ei­ne Mehr­heit ent­schei­den könn­te, was rich­tig ist. Wis­sen­schaft ist ei­ne Fra­ge von ra­tio­na­ler Be­weis­füh­rung. Ei­ne sol­che ra­tio­na­le Be­weis­füh­rung liegt nicht vor.

Man kann sich aber auch in umgekehrter Richtung leicht orientieren, nämlich unter Vahrenholt und Lüning, schon weiß man, dass sie als Kronzeugen auf tönernen Füßen stehen. Man muss nicht die gesamte Literatur des Für und Wider studieren, um es beurteilen zu können. Man kennt Leute, die das getan haben. Und der (AfD-)Politiker beruft sich bezeichnenderweise nur auf das eine gemeinsame Buch genau dieser beiden Autoren. Es reicht.

Zur seriösen Presse zählt zweifellos auch die ZEIT, was mich nicht verpflichtet, einem Artikel zu folgen, der mir wenig Hoffnung lässt. Denn dies liegt auch nicht in der Absicht des Autors, der uns alle Werkzeuge des Widerspruchs selbst in die Hand gibt:

Ich muss wenigstens die einzelnen Schwerpunkte aufzählen, die Fragestellungen, vielleicht lässt man sich verlocken, es ganz genau nachzulesen (man kann!) und individuelle Folgerungen zu ziehen. (Artikel von Jens Beckert.)

Warum zögert die Wirtschaft?

Hinzu kommt die mangelnde Transparenz der Märkte. Was ist eine nach ethischen Maßgaben produzierte Jeans? Wann ist eine Finanzanlage nachhaltig? Skandale um das sogenannte Greenwashing zeigen auch: Für die Nachfrageseite ist nicht erkennbar, was an weit entfernt liegenden Enden von Lieferketten tatsächlich geschieht. Eine Änderung klimazerstörender Produktionsweisen ist durch ein den Individuen aufgebürdetes Konsumverhalten am Markt nicht zu erreichen.

Warum zögert der Staat?

Und warum zögert das Staatsvolk?

Überall droht eine Absenkung des Lebensstandards. (…)

Beschränkung steht im Widerspruch zu einem ökonomischen System, das auf Konsum als Motor baut, und einem politischen System, das den Konsum der Bevölkerung als Steuergrundlage benötigt.

Und welche Spielräume bleiben?

Die während der letzten 300 Jahre entstandenen Strukturen der kapitalistischen Moderne zerstören die biologische Nische, in der menschliche Kultur stabil bestehen kann, und verhindern zugleich eine hinreichende Reaktion auf die Krise.

(folgt)

DIE ZEIT gibt keine Ruhe (17.11.2022)

NEU 28.11.22

JULIA FISCHER (nicht nur eine große Künstlerin):

siehe HIER

Geschmäcker (Bach – einst und heute)

Stoff zum Nachdenken

Die Geigerin (und Pianistin) Julia Fischer schreibt über ihre Erfahrungen mit Bach:

CD Pentatone Classics PTC 5186072

Dieser Text verwunderte mich, – die Künstlerin war ja 2004 zur Zeit der Aufnahme erst 21, und sie spricht von prägenden Eindrücken, die noch 7 oder sogar 10 Jahre zurückliegen. Menuhin war ein Meister des Wortes, und das, was der weise alte Mann als Lehrer sagte, hat eben das Kind begeistert. Andere, die zugehört haben, waren ganz anderer Meinung, – und das war übrigens schon in meinen 1960er Jahren so –, sie aber sagt: „Nun, das bleibt Geschmacksache.“ Bei allem Respekt, das darf man heute (und auch 2004) so nicht in den Raum stellen. Jeder kann doch ohne weiteres anhand seiner vorliegenden Bach-Aufnahmen heraushören, was er gesagt haben könnte: und das ist keine Geschmacksache, sondern sehr altmodisch; er spielt Bach, wie eben ein großer Geiger spielt, mit großem Ton, konsistent, mal laut, mal leise. Ich habe ihn 1985 persönlich getroffen, es war eine nette Begegnung; ich schätzte ihn vor allem, weil ich eine unglaublich musikalische Platte aus seiner frühen Zeit kannte. Und: weil er die indische Musik so gefördert hat.

Und bei Glenn Gould gehen und gingen die Meinungen aus ganz anderen Gründen auseinander, ich ertrage ihn schwer. Auch er wird erwähnt, als gelte seine Auffassung heute wie damals.  „Es war, als erwache Bach zu neuem Leben, als ob Gould alles neu entdeckt.“  Könnte doch sein!? Ja, sicher… „Sein Mut, neue Wege zu gehen“. Genau. Und so weiter: Die „Ciaccona“ in Busoni-Fassung gehört ohnehin zwei Zeiten (mindestens) an. Spielt Kissin sie wesentlich anders als Hamelin? Natürlich, aber das ist nicht wesentlich….

(Schnittfehler: 3 Töne am Anfang fehlen) Produzent: Paul Gordon / The film, entitled Concert Magic, and featuring other artists besides Menuhin, was shot in the last months of 1947 at the studio formerly used by the comedian Charles Chaplin. Released about a year later, it was reasonably well received, but never caught on. Television was beginning to take over this sort of territory, and as a medium it was better able to present musical performances with immediacy and flair. Concert Magic has been virtually unseen for many years.

Geige und Klavier

Wie kompatibel sind die Instrumente?

Chopin Bass für Violine y

Chopin Bass für Violine yy

Diese Transkription soll nichts beweisen… außer: mit der linken Klavierhand Chopins kann eine Violine schon beidhändig ziemlich zufrieden sein. Die harmonische Logik stimmt, jeder einzelne Ton hat Sinn. Natürlich ist man dann nicht mehr glücklich mit einer Interpretation, mag sie noch so pianistisch sein, die die linke Hand „beiläufig“ behandelt. Versuchen Sie nur, sie in der Notation mitzulesen und auch zu hören! Gewiss, das ist kein Kriterium. (Aber eine gute Übung!) Hier ist Valentina Lisitza. Ich weiß, es ist eine Zumutung zu verlangen, gleich wieder zurückzuklicken und intensiv aufs Notenbild zu schauen. Aber bitte: es geht um Fortbildung!

Der meistangeklickte Beitrag dieses Blogs ist übrigens der, der David Garrit betrifft, und ich weiß, für wieviel Enttäuschung die Lektüre bei vielen Menschen in unserem Lande sorgt. Ich möchte das in einem Punkt wettmachen, – gleich zu Anfang habe ich dort Julia Fischer erwähnt, werde dort einen Link einfügen, der dann wiederum mittelbar zu einem Talkshowausschnitt mit David Garrett leitet (falls Sie es zulassen, s.u.), vor allem aber – unmittelbar – zu dem Gespräch, das der wirklich ahnungslose, aber wohlmeinende Moderator Kai Pflaume mit Julia Fischer (er nennt sie meist Julia Schäfer) geführt hat. (Wer auch immer: für zuhörende Musiker sind fast alle Moderatoren, die der Künstlerin Fragen zur Musik stellen, nichts als peinlich; unfassbar bewundernswert deren Geduld und Sorgfalt in der Beantwortung auch dämlichster Fragen: ob sie nun von Kai Pflaume, Hajo Schumacher oder Hinnerk Baumgarten kommen, die durchaus vorbereitet sind. Ganz schlimm aber die spontanen, schulterklopfenden Reaktionen auf Live-Musikeinlagen. Die Links folgen am Ende dieses Artikels.)

Besonders interessierte mich, was sie, als eine Geigerin, die auch hervorragend Klavier spielt, über den Wechsel zwischen den beiden Instrumenten sagt. (Eine solche Perfektion in der Beherrschung der zwei „Welten“ habe ich bisher nur 1 Mal erlebt: bei Kolja Lessing, der allerdings auch intellektuell völlig aus dem Rahmen fiel.) Julia Fischer würde bei einem Konzertauftritt mit beiden Instrumenten grundsätzlich zunächst Geige spielen, Klavier erst an zweiter Stelle, einfach, weil das Klavier mehr Kraft erfordert, die Geige aber äußerste Empfindlichkeit in der Feinmmotorik. Auf die Frage, welches Instrument sie wählen würde, wenn sie sich aus irgendeinem Grunde für ein einziges entscheiden müsste, antwortete sie – verblüffend, wenn man visuell erlebt, wie sie als Person eine künstlerische und „physiologische“ Einheit mit ihrer Violine bildet, wie gut sie dieses Körpergefühl auch Schülern zu vermitteln weiß  -, dann würde sie nur noch Klavier spielen. Dabei ist es leicht zu verstehen: sie ist in erster Linie eine große Musikerin. Und das lernt und realisiert man am Klavier, man hat immer das Ganze im Auge und in den Händen: und beide Hände (Arme) werden auf gleiche Weise und mit dem gleichen Ziel ausgebildet: Musik. Die Geige braucht die Fingertechnik der linken Hand und die Bogentechnik der rechten Hand – zwei völlig unterschiedliche Tätigkeiten -, und beide müssen auf höchst komplizierte Weise zusammengeführt und ausbalanciert werden. Deshalb reden die Violinstudenten auch immer noch über Techniken, wenn Klavierstudenten sich schon längst mit der Musik selbst auseinandersetzen. Ich will nicht geringschätzen, dass die violinistische Art, Musik über ein komplizierteres bewegungstechnisches System zu erfahren, – dabei fortwährend Kontakt zum Zentrum der Tonerzeugung an der Saite haltend -, auch unvergleichliche Vorteile bietet; das Klavier aber vermittelt – ohne dass darüber reflektiert werden müsste – von vornherein die harmonisch-melodische Totale der abendländischen Musik, die der Geiger sich durch Reflexion und Phantasie ergänzen muss. (Ganz anders verhält es sich in anderen Kulturen, die von der melodisch-linearen Komponente geprägt sind und als „inneren Kontrapunkt“ allein den Rhythmus – als eine Welt für sich – denken und realisieren, wie die traditionelle iranische oder indische Musik.)

***

Talkshows mit Julia Fischer, – als Information über das, was die Künstlerin in dieser Situation zeigt und zu offenbaren bereit ist. Aber auch über die Hilflosigkeit (Jovialität, Chuzpe, Kulturfremdheit) der Medienmenschen im Umgang mit Klassik:

HIER Julia Fischer WDR „Anke hat Zeit“  (Anke Engelke) gleich zu Anfang ab 1:03 über den Wechsel zwischen Geige und Klavier, bei 2:47 A.E.: „ich hatte gedacht, das habe mit den Fingern zu tun“ J.F.: „erst Geige, dann Klavier, das funktioniert wunderbar!“ Am Ende Paul Hindemith Solosonate op.11, Nr. 6  „Finale.Lebhaft“ / ab 8:45 bis 13:05 / Studiobeifall bis 13:50 ! Engelke: „Das ist ja zum Weinen schön!“, danach soll J.F. sagen, ob sie es selber schön fand, „auf der Suche nach dem perfekten … Konzert…?“ „Nein. Ich hab mich so gefreut, weil … man kriegt ja nicht immer soviel Sendezeit für 20. Jahrhundert.“ Lachen. Engelke beharrt: „Fandst du’s selber gut? Gab’s so Stellen…?“ – „Ziemlich am Anfang hab ich festgestellt, dass ich mit der Geige mit voller Wucht aufs Mikrofon bin…“

zum Vergleich derselbe Hindemith-Satz als Zugabe im Sinfoniekonzert HIER

HIER  Julia Fischer NDR Fernsehen „DAS!“ vom 07.11.2010 (Hinnerk Baumgarten)

über Suzuki-Methode ab 5:30 / ab 9:20 über Klavier (und Geige)

HIER  Julia Fischer & David Garrett in der NDR Talk Show  März 2013 (Kai Pflaume u.a.)

über Klavier & Geige (Feinmotorik) bei 3:30

HIER  Julia Fischer bei „Typisch deutsch“ DW TV 2013 (Hajo Schumacher)

über Suzuki bei 2:53 / bei 29:28 über Klavier / bei 43:45 Geige oder Klavier?

WIKIPEDIA zu Julia Fischer. Da sie in den Talkshows mehrfach auf ihre Anfänge mit der Suzuki-Methode zurückkommt: hier wird der Name ihres Suzuki-Lehrers erwähnt: sie „erhielt ihren ersten Geigenunterricht mit vier Jahren bei Helge Thelen in Gilching bei München.“ Der Name sagt mir etwas, Ich schaue nach (hier) und siehe da: es trifft zu, er hat damals wie ich bei Franzjosef Maier in Köln studiert, in Lüdenscheid haben wir wenigstens einmal (Mitte der 70er Jahre) zusammen unter Konrad Ameln gespielt. Nichts Weltbewegendes. Aber wenn das nun keine Koinzidenz ist!

Interessant: Julia Fischer unterrichtet das Brahms-Violinkonzert, die technische Qualität der Aufnahme ist nicht gut, das Vorspiel der Schülerin dauert bis 7:23. (Abkürzen sei erlaubt!) HIER. Ab 7:50 Klang der dreistimmigen Akkorde, Haltung der Violine, Übung: Bogen in die Faust nehmen, ab 12:17 Dezimenstelle, Größe der Hand, Empfehlung der „Violin Technique left hand“ von Ruggiero Ricci….

Ich breche die Notizen ab & fahre erst fort, wenn das Werk von Ricci bei mir eingetroffen ist…

Nachtrag 27.07.2015 Es ist so weit… aber erstmal heißt das: etwas üben…

Ricci Left Hand

Die Ausgabe (alles in allem $ 14,94) hat sich gelohnt, sehr nützliche Übungen, besonders die dringende Empfehlung (samt durchgehender Notation): ständig  „drones“ (leere Saiten) mitklingen zu lassen. Für mich ein guter Gedankensprung zur indischen Musik. (Auch als Anregung, Christine Hemann und Doris Keller zu rekapitulieren, siehe unten.) Vorsicht bei der Umsetzung der Dehn-Übungen durch extreme Fingersätze: man braucht das normalerweise nicht, und man kann sich die Hand damit verderben.

Christine Hemann: Intonation auf Streichinstrumenten / Melodisches und harmonisches Hören / Bärenreiter Basel 1964

Doris Geller: Praktische Intonationslehre für Instrumentalisten und Sänger / Bärenreiter Kassel etc. 1997 / ISBN 3-7618-1265-5