Wie? Wieso denn – Wien?
Hat er sich denn nicht beim Umzug nach Wien – so wie von Salzburg – auch von der Violine endgültig verabschiedet? Als Wendepunkt könnte man seine Paris-Reise (und – vielleicht – den Tod seiner Mutter auf der Reise) betrachten. Eine beinah schöne Vorstellung: dass diese Erschütterungen ihn zum Genie machten.
Mozart 11. Sept.1778 an seinen Vater
Ich versichere Sie, daß mir diese Reise nicht unnützlich war – in der Composition versteht es sich; denn das Clavier – spiel ich so gut ich kann. Nur eins bitte ich mir zu Salzburg aus, und das ist: daß ich nicht bey der Violine bin, wie ich sonst war, – keinen Geiger gebe ich nicht mehr ab; beim Clavier will ich dirigiren, die Arien accompagniren.
Wenn da die Costa-Violine in Wien nicht wäre.
Zur Erinnerung: der unglaubliche Qualitätssprung zwischen den großen Violinkonzerten 1775 und der Sinfonia concertante für Violine und Viola 1779, noch in Salzburg. Der langsame Satz: vielleicht dem Andenken der Mutter? Mozart ist jetzt nicht mehr Konzertmeister, sondern Hoforganist. Auch „am Clavier“ oder am Cembalo sitzend.
Mozarts Violinen (Text von Ulrich Leisinger)
Es mag merkwürdig erscheinen, dass Mozart zwei Geigen – die Salzburger Konzert-Violine und die Costa-Violine – besessen haben soll. Das Rätsel kann gelöst werden, wenn man die Möglichkeit in Betracht zieht, dass diese Instrumente nicht gleichzeitig, sondern nacheinander benutzt wurden.
Die Überlieferung der Mittenwalder Konzert-Violine über Mozarts Schwester lässt vermuten, dass dieses Instrument stets in Salzburg verblieben ist. Die Annahme liegt auf der Hand, dass Mozart bei seiner Abreise nach München am 5. November 1780 keine Geige im Gepäck hatte, denn er beabsichtigte sicherlich, die Premiere von Idomeneo in zeitüblicher Praxis vom Cembalo aus zu leiten. Wenn die Klotz-Geige dann beim letzten Besuch in Salzburg im Sommer und Herbst 1783 nicht nach Wien mitgenommen wurde, könnte dies bedeuten, dass Mozart das Instrument nicht mehr dringend benötigte – am wahrscheinlichsten deshalb, weil er inzwischen eine andere Violine erstanden hatte. Die Costa-Violine – ein überdurchschnittlich gutes, zugleich aber mit dem Baujahr 1764 recht neues und damit wohl seinerzeit nicht übermäßig teures Instrument – konnte diese Lücke ohne weiteres füllen. Den „Beweis“, dass Mozart – entgegen eines weit verbreiteten Missverständnisses – auch am Anfang der Wiener Zeit auf eine eigene Violine nicht verzichtet hat, liefern die Fragmente von Sonaten für Klavier und Violine KV 402 bis KV 404 aus der Zeit seiner Eheschließung mit Constanze Weber. Die Sonate KV 403, die aufgrund des Schriftbilds und des Wasserzeichens sicher auf das Jahr 1782 datiert werden kann, trägt von Mozarts Hand die Überschrift, „Sonate Premiere. Par moi W: A: Mozart pour ma très chère Epouse“; die Sonate KV 402, die als Sonata IIda [seconda] bezeichnet ist, huldigt im Allegro Constanzes Fugenliebe, die er am 20. April 1782 in wärmsten Worten Vater und Schwester schildert. Einen Beleg, dass Constanze, für die diese Werke nachweislich bestimmt waren, Violine gespielt haben könnte, gibt es nicht. Das gut informierte Jahrbuch der Tonkunst von Wien und Prag für das Jahr 1796 führt Constanze im Abschnitt Virtuosen und Dilettanten von Wien jedenfalls nur als Pianistin und Sängerin an: „Mozart, Madame, spielt Klavier und singt ganz artig.“ Wenn nun die Sonaten dem häuslichen Musizieren des jung vermählten Ehepaars dienen sollten, so muss Constanze daher den Klavier-Part, Wolfgang den Violin-Part übernommen haben – wofür er aber ein (eigenes) Instrument benötigte.
Aus dem Booklet-Text zur CD Mozarts Costa-Violine
Mit Dank an Prof. Dr. Ulrich Leisinger (Stiftung Mozarteum Salzburg) für die Abdruckgenehmigung (6.12.2016).
Kannte Mozart Bachs Kanon 10 aus dem „Musikalischen Opfer“?
A propos Fuge: Kennen Sie dies Thema?
Es handelt sich um den Anfang der Sonate op. 24/2 von Muzio Clementi. Und jeder erkennt – das Fugen-Thema aus Mozarts Zauberflöten-Ouvertüre. … also gar nicht Mozarts Thema? Bei der Neuherausgabe seiner Werke im Jahre 1804 sah Clementi an dieser Stelle Grund genug, in einer Anmerkung dezent auf seine Priorität hinzuweisen: „Cette sonate, avec la Toccata qui suit, a été jouée par l’auteur devant Sa M. J. Joseph II. en 1781; Mozart étant présent.“ (Die Zauberflöte aber entstand im Jahr 1791, – das wollte er wohl sagen.)
Doch zurück zur Mozarteums-CD (den Instrumenten und den Interpreten). Eine sehr hörenswerte Aufnahme, deren Live-Charakter man erst wahrnimmt, wenn man über den Beifall eines Publikums erschrickt. ist es die Geige, die so schön klingt, oder die Geigerin, die so schön spielt? Esther Hoppe über die Costa-Violine in einem Interview von Radio Swiss 2015 (Quelle hier):
Mozart kaufte diese Geige für seine eigenen Konzerte während seiner Zeit in Wien. Man wusste, dass es diese Geige gibt und dass sie aus dem Hause Dalla Costa ist, aber man wusste nicht, wo sie sich befand. Vor zwei Jahren hat sich der Besitzer dieser Geige, der sie als Amateurmusiker regelmässig zu privaten Zwecken spielte, gemeldet und wünschte, dass das Instrument zu Mozarts Geburtsort zurückkehren möge. Eine Gönnerin hat es daraufhin zu einem fairen Preis erworben und der Stiftung Mozarteum Salzburg übergeben.
Mir wurde die Ehre zuteil, das Instrument in einem Konzert der Öffentlichkeit vorzustellen. Seither durfte ich zwei weitere Konzerte darauf spielen, aber dass sie mir so kurzfristig für mein Festival zur Verfügung gestellt werden konnte, war nicht selbstverständlich.
Es war schon ein sehr spezielles Gefühl, auf dem Instrument zu spielen, mit dem Mozart selber seine Werke aufführte. Vom Spielen her war ich nicht einmal erstaunt, dass ich keine Schwierigkeiten hatte, ja sie mir sogar vertraut vorkam. Der Geigenbauer Dalla Costa hatte seinerzeit für Amati gebaut und der Zufall will es, dass Gioffredo Cappa, von dem meine eigene Geige stammt, ebenfalls für Amati gearbeitet hat. Allerdings ist der Klang der Mozart-Geige sehr viel heller. Man hat wirklich das Gefühl, dass sie zu Mozarts Musik passt und ihn vielleicht auch inspiriert hat. Aber es kann sein, dass hier der psychologische Aspekt ein bisschen mitspielt.
Um mehr über Violinistin Esther Hoppe zu erfahren, habe ich mich auf youtube-Recherche begeben. Dort fand ich ein hochinteressantes Dokument, das die Mozarteums-Professorin 2015 bei der Arbeit zeigt: HIER. Oder beim ARD-Wettbewerb 2007 (Beethoven Tripel-Konzert 2. und 3. Satz) HIER.
Wenn man sagen kann, dass die Violine sozusagen das „Original-Instrument“ ist, so vielleicht auch, dass der Flügel (Graf 1839) sogar für Schubert viel zu spät ist, so würde ich gern hinzufügen: das ist doch völlig egal. Wäre es denn erstrebenswert, eine Original-Aufführung (welchen Jahres auch immer) anzustreben? Ehrlich gesagt, hätte ich gern – zumindest zwischen den Sätzen einen Hauch Original-Atmosphäre, ein deutliches Husten aber keinesfalls unausweichlich für die nächsten 100 Original-Hör-Situationen im Auto oder im Wohnzimmer.
Nachtrag am 7. August 2019
Über 2 Jahre hinweg gehört dieser Beitrag zu den meistaufgerufenen im Blog. Liegt es an Mozart oder an der Musikwissenschaft? (Auch dieser hier wird überraschend häufig angeklickt.) Oder liegt es an der Feinarbeit des Salzburger Professors Ulrich Leisinger? Der folgende Ausschnitt aus der heutigen Süddeutschen Zeitung deutet in diese Richtung:
Quelle: Süddeutsche Zeitung 7. August 2019 Seite 9 Lückenloser Mozart Im Salzburger Mozarteum wurde zum ersten Mal die vollständige Fassung der c-Moll-Messe aufgeführt / Von Helmut Mauró
Sehr lesenswert (und im Wikipedia-Artikel hier noch nicht berücksichtigt).
Nachtrag am 3. November 2020 (Mozarts Salzburger Geige)
https://www.swr.de/swr2/musik-klassik/christoph-koncz-spielt-auf-mozarts-geige-104.html
Und noch einmal, direkt anklickbar, das Video:
19.11.2020 Heute im Zeit-Magazin ein größerer Beitrag über genau diese Salzburger Geige und die Aufnahmen, die mit Christoph Koncz entstanden sind. Damit ist das Thema für mich erledigt. Ein Hype von und für Laien, man muss es nicht weiter hochspielen. Zitat:
In den vergangenen Jahrzehnten kamen immer wieder Violinisten in Mozarts Geburtshaus vorbei, um auf ihr zu spielen, mal für ein paar Minuten, nur um sie auszuprobieren, mal ein ganzes Konzert lang. Ein Instrument muss regelmäßig gespielt werden, sonst klingt es immer schlechter. Manchen Musikern liefen bei der Begegnung Tränen über die Wangen, einer fiel vor der Geige auf die Knie.
Das Zitat auf dem Titelblatt des Magazins hat allerdings damit gar nichts zu tun. Es bezieht sich auf ein sehr lesenswertes Gespräch mit Ex-Terrorist Peter-Jürgen Boock.
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Noch ein letzter Blick in das Booklet zur CD „Mozarts Costa-Violine“ mit dem Foto von Esther Hoppe und dem Abschluss des Textes von Prof. Karl Leisinger.
Und was entdecke ich da? Den Namen Josef-Stefan Blum, das ist derjenige „Zwischenhändler“, der mir 1964 meine heutige Geige verkauft hat, eine alte Maggini-Kopie, zugleich an Freund Hanns-Heinz in Köln-Brück eine „Pistucci“; dort haben wir auch vorher die beiden Geigen verglichen, auf Band gespielt und lange darüber geratschlagt. Blum hatte den Ruf, die ganze Cappella Coloniensis, in der er selbst auch mitspielte, mit alten Violinen versorgt zu haben, und so lernten wir uns kennen, – um uns dann für immer aus den Augen zu verlieren.