Mozart par excellence

Kammermusik für zwei (nicht allzu) ungleiche Partner

Es gibt keine schönere Verwandtschaft als die zwischen Geige und Bratsche. Das Duo Geige/Cello ist grob antagonistisch. Ich provoziere: Das von Geigern vielbeneidete Cello hat doch auch etwas Ungeschlachtes und Auftrumpfendes, das die feinen Ideen der Violine proletenhaft untergräbt. Und bei einer freundlichen Übernahme verwandelt es die edelsten Melodien in Schmalz. Im Pizzicato kennt es kein Pardon, würde aber von einer armseligen Gitarre im Handumdrehen schachmatt gesetzt. Die leicht näselnde Bratsche aber demonstriert das vornehme Understatement in der Tiefe, was für einen herrlich-lockeren Klang haben Doppelgriff-Terzen, die in gleicher Lage auf dem Cello nur glänzen wollen. Die Quinte, die Oktave, dicht unter dem Cantabile der Violine, was für ein Eigenwert, was für Verschmelzungsgrad! Und das gemeinsame Spiel in Oktaven, wer könnte mit diesem Klang konkurrieren?

Bis 1:23 Einleitung, ab 3:00 Wiederholung Exposition, 4:37 Doppelstrich, 5:37 Reprise, bei 7:25 keine Wiederholung, direkt in die Coda (8:00 Ende)

Mit der zweiten Wiederholung wäre der Satz 10:48, also exzessiv lang – für ein Duo.

Andere Kopfsätze zum Vergleich (öffnen sich im externen Fenster):

Mozart 1784 Sonate für Klavier und Violine in B-Dur KV 454, 1. Satz, Largo Allegro Hier

Bis 1:22 Einleitung; Exposition 2:51 Doppelstrich, 3:34 Reprise, 5:34 Ende.

Mozart 1786 Trio für Klavier, Violine und Cello B-dur KV 502, 1.Satz, Allegro  Hier

Ab 2:23 Wiederholung Exposition, 4:44 Doppelstrich, 5:48 Reprise, 8:06 Ende

Diese Bezeichnung der Form-Zäsuren dient der leichteren Orientierung mit dem Ohr, unabhängig von der Notation. Jeder musikalische Mensch kann sagen, was innerhalb der durch Zeitangaben markierten Flächen passiert. Durch den Sprung ins externe Fenster und Blick auf die betr. Zeitangabe kann man sich vergewissern, ob die eigene Beobachtung der Realität entspricht. (Man spotte nicht über die Simplizität dieses Mitdenkens; sie ist die Voraussetzung, um auch kompliziertere Formverläufe zu erfassen. Für Musiker selbstverständlich, aber für Nichtmusiker durchaus nicht ganz einfach; sie werden von der Fülle der Töne leicht erschlagen…) Ich denke auch an Angehörige einer anderen Kultur, die bei uns neugierig werden, weshalb wir Namen wie Mozart oder Beethoven so hoch halten – und sie – sie hören da vielleicht nichts Nennenswertes. Angenommen: sie fragen, was gibt es denn da groß zu erleben??? Moment, sagen wir, man sollte bestimmte Themen und Abläufe erkennen. Nachher auch bestimmte (Schlüssel-)Worte. Wie oben z.B. „Exposition“ oder „Reprise“. In der Exposition stellt der Komponist sein „Material“ vor, Themen und Läufe, bis zum „Doppelstrich“, von dem aus man zum Anfang zurückspringen kann oder soll, so dass man etwa die Exposition wiederholt (was nicht jeder tut). Nach dem Doppelstrich kommt dann „etwas anderes“ (vielleicht aber aus demselben Material), und ab der „Reprise“ bewegt man sich wieder im vertrauten Gelände, das Material der Exposition kehrt wieder und erscheint einem trotzdem irgendwie neu… 

Ich habe übrigens damit begonnen, mir all dies genauer anzuschauen, weil mich das Thema des Duos (ab 1:23) an irgendein anderes Mozart-Werk erinnerte, ebenfalls in B-dur, – war es eine Violinsonate, war es ein Trio? Es war das Klaviertrio KV 402, aber die Ähnlichkeit ist nicht beweisbar, eher kann man von hier auf das Klarinettenkonzert kommen. Aber nicht nur die Tonart ist ganz anders, auch das Spiel der Motivik. Und schon ist man in sehr angenehmen Überlegungen, was eigentlich ein Thema zu einem Thema macht. Es bedeutet aber noch lange nicht, dass Sie es auch schön finden. Da müssten Sie es 50 mal gehört haben, auch noch vieles Ähnliche, und es unterscheiden lernen, – und vor allem: es mitsingen können, mitempfinden können. Das kommt nicht von selbst, aber es kommt!

Allerdings gibt es noch etwas, das gilt nur für das Duo, und deshalb habe ich mit einer Eloge auf die beiden Instrumente angefangen.

Hier wird nur quasi nebenbei der Antagonismus zwischen Ober- und Unterstimme ausgespielt; wenige Stellen, an denen die Viola eine Art Cello-Bass artikuliert (z.B. 1:38 bis 1:50). Ansonsten dieses reizende Ineinander und Abwechseln der Figuren, auch der etüdenhaften, wie sie zur Idiomatik der leichtfüßigeren Instrumente gehören (Beispiel: 5:10 bis 5:37).

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Alles ändert sich mit dem Mittelsatz: man glaubt sich im sicheren Hafen, cantabile, Liedform, bitte einzeichnen, Vordersatz, Nachsatz, Variante u.ä., – ich vermute, manch einer gerät hier ins Schleudern. Man hat zudem den Eindruck, dass es nicht einer der stärksten Cantabile-Sätze Mozarts ist. Was tun? – Ihn ganz, ganz ernst nehmen. Ich schreibe ihn ab (so dass man ihn auch leicht am Klavier spielen kann) und suche ihn dabei so übersichtlich zu gliedern, dass mir klar wird, wie er zu interpretieren ist.

Hier haben wir den ersten Teil, die eine Hälfte, Takt 1 bis 18, vor der Wiederkehr des Anfangs auf der nächsten Seite. Wenn Sie Klavierspielen können, tun sie es; nach dem letzten Takt können Sie unmittelbar aufs neue bei Takt 1 ansetzen, – und stellen Sie sich vor, der Satz sei nicht original, sie müssten eine Variante entwerfen, die Ihnen „natürlicher“ erscheint, versuchen Sie es doch… Ich werde Sie nicht allzu lange warten lassen. Aber zunächst muss sich eine Unzufriedenheit einstellen, die zu beheben wäre… Gelingt es Ihnen?

Haben Sie nicht das Gefühl, ab Takt 7 ins Schwimmen zu geraten? Wie kann man das ändern? Erst ab Takt 11 ist wieder alles im Lot…

Vielleicht hören Sie dazu die obige Aufnahme, der Satz beginnt dort bei 8:00.

Hier folgt mein Verbesserungsvorschlag:

Natürlich ist das nicht ernst gemeint; aber begründen Sie bitte, warum denn um Gottes willen immer nur das besser sein soll, was Mozart gemacht hat! Ich habe mir größte Mühe gegeben und fürchte geradezu, wenn ich ich nicht wüsste, wer was wirklich komponiert hat, ich würde eine Fehlentscheidung treffen. Der Rotstift muss her. Um es also noch einmal etwas deutlicher zu fassen (ich habe Zeit und Platz):

Habe ich nicht etwas mit dem Holzhammer doziert? Der Halbschluss auf der Melodieterz (Takt 4), der Halbschluss der neuen Dominante (Takt 8), die Kadenz zur Dominante (Takt 11 zu 12). Wir haben eine erfreuliche 4-taktige Klarheit. – Ist sie nicht allzu erfreulich? Vielleicht wollte Mozart genau dieses Gleichmaß verhüllen, und etwas anderes war ihm wichtiger, die Emphase vielleicht, die sich schon im Sextsprung des ersten Taktes ausdrückt, ähnlich wie später bei Schubert im Lied Frühlingstraum („Ich träumte von bunten Blumen“ hier).

  

Schauen Sie hier in Takt 8 auf den rot eingekreisten Gang der Viola: es ist genau die Andeutung des Halbschlusses b – a (mit vorgeschobenem c); „mein“ g-moll folgt natürlich nicht, weil es vorher schon da war (als Ausweichung in Takt 6). Wenn man nun aber auf die melodische Entwicklung des emphatischen (Sext-) Sprungs achtet, so begegnen wir ihm/ihr allenthalben: in Takt 5, Takt 8, Takt 9, Takt 10, beim Übergang von Takt 13 auf 14 haben wir ihn abwärts und als Reaktion sogleich den Aufwärtssprung über die Dezime vom as zum hohen c. Schließlich die Tendenz, die Sprünge vollkommen durch schnelle Notenwerte auszufüllen (Takt 23) und die Reaktion im Extremsprung der Geige Takt 24. (Es wäre wohl übertrieben, dies nur als feine Schikane gegenüber dem geigenden Erzbischof zu deuten.) Die Sprünge in „Reinkultur“ (als Oktave) ab Takt 26 – mit dem Mordent vorher als zartem Hinweis, die abwärtsweisenden Oktaven ab Takt 33. Was für ein wundersamer Ausgleich zwischen Höhe und Tiefe in den letzten beiden Zeilen…

Die zunehmende Bedeutung der Subdominante As-dur in der Reprise bewirkt eine stark melancholische Einfärbung der Frühlingsstimmung. Oder geht das schon zu weit?

Aber deshalb folgt vielleicht eine Art Schlager als Thema des abschließenden Variationensatzes? Ein virtuoses Spiel mit der Trivialität. Jedoch ist ganz wichtig: auch diesen Satz nicht unterschätzen!

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Übrigens muss man unbedingt die im Internet abrufbare Mozart-Ausgabe (hier) zu Rate ziehen (bzw. die gedruckte Urtext-Ausgabe!), im youtube-Beispiel bedient sich weder das Grumiaux-Duo einer akzeptablen Version (die gab es nicht), noch stimmt der dort wiedergegebene Notentext mit dem Spiel überein; er kann auch sonst nur als Erinnerungsstütze gelten. Hier die von uns verwendete Version:

  

Meine Meinung zu Takt 20: genau so spielen, wie es dasteht, es ist so gemeint (sagen wir: mit großer Wahrscheinlichkeit).

Beim ausgedehnten Schlussteil denke ich an die Abschlüsse der langsamen Sätze in den Violinkonzerten KV 216 und 218, die Andrew Manze 2006 so wunderbar eingespielt und (im CD-Booklet der Harmonia-Mundi-France-CD) unserer Aufmerksamkeit empfohlen hat:

Zu klären wäre noch: was eigentlich einen Variationensatz ausmacht. Man darf ihn nicht zu hoch ansiedeln, aber vor allem nicht – zu niedrig. Es ist wahr, dass er in jedem Punkt leicht überschaubar bleibt, das ist sein Prinzip

(Fortsetzung folgt)

Nachtrag

Zur Entstehungsgeschichte der Duos für Violine und Viola findet sich alles Wesentliche im Vorwort des betreffenden Kammermusikbandes NMA VIII/21 (Dietrich Berke Kassel 1974):

In Briefen vom 6. und 24. Dezember bittet Mozart seinen Vater, ihm „die 2 Violin Duetten“ nach Wien zu schicken.