Mahlers Neunte – „historisch“?

Vorgemerkt

Performing on period instruments from around 1900 the Originalklang-Project of the Mahler Academy Orchestra brought to life the sound of Vienna at the turn of the century. 47 students of the Gustav Mahler Academy, who were selected from over 800 applicants, met outstanding musicians from Europe’s top ensembles in South Tyrol. Together they learned historic playing techniques of the fin de siècle and played on the very instruments that Gustav Mahler bought for the Vienna Court Opera during his directorship. On September 8, 9 and 10, 2022, Mahler’s Ninth Symphony was being performed on period instruments in Toblach, Bolzano and Ferrara The Originalklang-Project was created by conductor and curator of the Gustav Mahler Academy Philipp von Steinaecker who also directed the performances. The academy worked closely with Prof. Dr. Clive Brown, the leading specialist in the field of performance practice of romantic music. Mahler Academy Orchestra – Originalklang-Project

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Zu Clive Brown

Mendelssohn-Teil wieder rausnehmen!

Vorwort zur Bärenreiter-Ausgave des Mendelssohn-Violinkonzerts (hier)

Mendelssohns Violinkonzert op. 64 ist ein zentrales Werk des 19. Jahrhunderts, das zum einen noch dem klassischen Stil eines Beethoven verbunden ist, zum anderen aber auch den Weg zum romantischen Ausdrucksideal eines Brahms weist. Seit langem ist bekannt, dass Mendelssohn das Werk nacheinander mit drei Solisten aufführte: Ferdinand David, der während des Entstehungsprozesses eng mit dem Komponisten zusammenarbeitete und die Premiere spielte, Joseph Joachim, das ‚Wunderkind‘, und Hubert Léonard, ein junger belgischer Virtuose, über den wir wenig wissen.

Korrekturfahnen zum Violinkonzert in e-Moll galten lange als verschollen; so konnte man es als kleine Sensation bezeichnen, als kürzlich doch ebensolche zur Solo-Violinstimme zusammen mit einem Brief von Mendelssohn an Léonard gefunden wurden.

Der Brief informiert uns, dass der Komponist Léonard zu sich nach Hause in Frankfurt einlud, um ihn kennenzulernen. Es war bereits bekannt, dass Mendelssohn David Korrekturfahnen gab; aber nun wissen wir, dass auch Léonard ebensolche erhielt.

Die jüngst entdeckten Korrekturfahnen bezeugen, wie Léonard das Konzert zusammen mit Mendelssohn an jenem Abend im Februar 1845 spielte. Sie enthalten Strichbezeichnungen und Fingersätze und zeigen, wie Léonard Lagenwechsel ausführte und wo er leere Saiten einsetzte; sie umfassen darüber hinaus modifizierte Dynamik-Angaben sowie zusätzliche Legato-Bögen.

Wir können davon ausgehen, dass all dies in Mendelssohns Sinne erfolgte. Dass der junge Geiger einen positiven Eindruck auf Mendelssohn machte, wird in den Briefen des Komponisten nach dem gemeinsamen Abend bestätigt; Mendelssohn lobt Léonards Spiel sehr und stellt in Aussicht, ihn dabei zu unterstützen, in Deutschland Arbeit zu finden.

Bärenreiters revidierte Ausgabe von Mendelssohns Violinkonzert – lediglich die Orchesterstimmen sind unverändert geblieben – schließt ein separates Heft zur Aufführungspraxis ein. Herausgeber ist der ausgewiesene Experte für romantische Aufführungspraxis Clive Brown.

SPIEGEL-Gespräch unbedingt lesen:

Steinaecker: Klassische Musik, der viele Menschen ihr ganzes Leben verschreiben, ist keine Materie, die man in einer gemütlichen Viertelstunde vermitteln kann, leider wird das trotzdem häufig versucht. Ich bin kein Experte, aber das erste Ziel in der Musikvermittlung ist immer die Niedrigschwelligkeit, immer geht es darum, vor allem niemanden abzuschrecken. Ich denke, dass man damit die meisten Leute total unterschätzt, die beteiligten Musiker fühlen sich damit auch unwohl. Sie wissen ja, dass es um komplexe Sachen geht, müssen aber so tun, als ob sie doch ganz einfach wären.

SPIEGEL: Man behandelt Erwachsene wie Kinder?

Steinaecker: Genau, wie kleine Kinder, denen man ein Spielzeug hinreicht und sagt: »Hier, wenn du an diesem Rädchen drehst, passiert das und das«. Das ist einfach unangemessen. Klassische Musik verhandelt die großen Fragen der Menschheit. Musik ist eine Sprache, die sich nicht einfach so in Worte übertragen lässt, und das soll ja auch so sein.

SPIEGEL: Was also bringt Musik dem Menschen?

Steinaecker: Vor dem Auftritt von Sigmund Freud und seinen psychologischen Traumdeutungen war die klassische Musik und Musik überhaupt die Möglichkeit, das Unbewusste sprechen zu lassen. Seit Freud nehmen wir das anders wahr. Das Unbewusste ist weitgehend erforscht, folglich spielt Musik heute eine andere Rolle für uns. Hochkomplex bleibt sie, aber das ist kein Problem, wie alle immer denken, sondern es ist großartig. Komplexe Sachen reizen das menschliche Interesse, sie beschäftigen uns, sie wecken Neugierde und machen Lust. Dafür müsste man den Leuten ein Gefühl geben. Es geht darum, dass da in der Musik Großes verhandelt wird, das sich nicht von jetzt auf gleich verstehen lässt. Aber wer dem nachgeht, wird belohnt.

Andere Mahler-Version

Hier

Auf der Suche nach Mahlers Ideen

Von innen und

auch von außen

Jedenfalls: in Toblach 2009 (dort hat er schon alles wegkomponiert)