Nur ein flüchtiger Blick sei einer seltsamen Deutung des Bachschen Werkes geworfen, deren Lektüre mir noch unerträglicher war, als die mit gesungenen Choralzitaten durchsetzte Violin-Wiedergabe der Ciaccona auf CD (ECM 2001), die auch dem Buch beigegeben wurde:
Ich bekenne mich bedingungslos zu dem Urteil, das Reinhard Goebel in seinen 2024 herausgegebenen Sammelband eingefügt hat, – auch wenn ich jede andere klingende Deutung des Werkes vom jeweiligen subjektiven Standpunkt der Interpreten aus irgendwie nachempfinden kann, – nachzählen und nachrechnen will ich nie und nirgends, gerade auch nicht bei Bach. Es sei denn, es gäbe einen glaubwürdigen Hinweis aus seinem biographischen Umfeld. (Mauricio Kagel gilt nicht!)
Quelle Reinhard Goebel: »Der Kopf macht die Musik« Texte zur Musik Essays – Interviews – Würdigungen / Verlag Klaus-Jürgen Kamprad / ZITAT Seite 158, dort mit folgender Überschrift (die nicht Bachs Orthographie folgt): »Mona Lisa« / Eine Etude zur »Ciacona« von Johann Sebastian Bach (Achtung: Scharf gewürzt)
In Göttingen entdecke ich das Haus der Brüder Grimm, in dem die uns aus der Kindheit gut bekannten Märchen entstanden waren. Am letzten Mittag meines Aufenthaltes kritzelte ich ‚Göttingen‘ im kleinen Garten, der an das Theater grenzte, nieder. Am letzten Abend habe ich den Text zu einer unfertigen Melodie vorgelesen und gesungen, wobei ich mich dafür entschuldigte. In Paris habe ich dieses Chanson fertiggestellt. Ich verdanke dieses Chanson also der Beharrlichkeit Gunther Kleins, zehn Studenten, einer mitfühlenden alten Dame, den kleinen blonden Kindern Göttingens, einem tiefen Verlangen nach Aussöhnung, aber nicht nach Vergessen.
Das Chanson ist in Frankreich sehr bekannt und leistete Mitte der 1960er Jahre einen bedeutenden Beitrag zur deutsch-französischen Verständigung. Es trug auch dazu bei, Stadt und Universität Göttingen in Frankreich bekannt zu machen.
Quelle: DIE ZEIT 19.09.2024 Leitartikel von Bernd Ulrich: Großes Schweigen / Österreich, Ostdeutschland, USA – in den Wahlkämpfen spielt das Klima kaum eine Rolle. Die Gründe dafür liegen tief
Und was ist mit der Jugend, die AfD wählt?
1 Woche später, Leitartikel der ZEIT, dieselbe Stelle, 26.09.24
Quelle: DIE ZEIT 19.09.2024 Leitartikel von August Modersohn: Gruselig happy Warum um Himmels willen wählen so viele jungen Menschen die AfD?
unter Berufung auf Ernst Cassirer und Susanne K. Langer
Die folgenden rot hervorgehobenen Sätze haben sich mir eingegraben, sie strahlen Zuversicht aus bis in die Gegenwart. Schwieriger wird es, wenn ich sie im Detail ausführen soll. Der „Kern“ dürfte aus mehreren Stichworten bestehen, nur dass ich mich nicht von allen guten Geistern verlassen führe. Also voran: eine Übung! Mit längeren Lesestücken zum Überfliegen.
… die Idee, etwas mit einem Namen zu belegen, ist der fruchtbarste Gedanke aller Zeiten; sein Einfluß mag durchaus imstande gewesen sein, das gesamte Leben und Fühlen der Gattung binnen weniger Generationen zu verwandeln. (…) Kaum war der erste Funken geschlagen, so war auch das Licht der Vernunft entzündet; ein Zeitalter phänomenaler Neuerungen, Veränderungen, vielleicht sogar zerebraler Entwicklungen hatte begonnen, als aus der nichtigen Affenkreatur, die er gewesen, der Mensch hervorging.
Natürlich nicht von mir erdacht, immer nur aufs neue entdeckt, – was eben den Wunsch erweckt, das Phänomen in einigen Formeln jederzeit präsent zu habe. Nicht zum ersten Mal versuche ich das, es hat ja in gewisser Weise geholfen, nicht auf unnütze Nebengeleise zu geraten. Aber es bedarf immer neuer Übungen, so des Cassirer-Originaltextes, der mir in dem Reclamband begegnete: „Texte zur Kulturtheorie und Kulturwissenschaft“ (Stuttgart 2010 / Reclam 18715), den ich mir an anderem Ort und in anderer Situation wohl nicht erschlossen hätte. Mir ginge es sicher wie vielen anderen Leserinnen und Lesern: diese von mir verunstaltete Form, die sich beim oftmaligen Lesen von selbst eingestellt hat, hätte mir nicht geholfen, wenn sie nicht mit Denkpausen verbunden gewesen, in denen sich einzelne Worte und Sätze mit Bedeutung gefüllt hätten, die mich an frühere „Offenbarungen“ erinnerten und die ich hier rekapitulieren will. Zunächst der strapazierte Reclam-Text:
Neu war mir der Ansatz bei Herder, ausgerechnet ihn als Antipoden Hegels zu erfassen, und gleichwohl von einer „Phänomenologie des Geistes“ zu sprechen. Wobei es alsbald nicht mehr einfach um die „Natur der Sprache“ geht, sondern unvermerkt um „die Frage der Wirklichkeitserkenntnis“, die eine immer komplexere Gestalt annimmt und eine immer reichere Gliederung erfährt. Von dieser Stelle an möchte ich dem Text Satz für Satz folgen, ihn abschreiben, an einzelnen Stellen innehalten, um sie mir vollkommen anzueignen.
ZITAT (Texte zur Kulturtheorie … Seite 136f)
Jetzt wird deutlich und unverkennbar, dass diese Frage nicht nur nicht gelöst, sondern in ihrem eigentlichen und vollen Sinne nicht einmal gestellt werden kann, solange die „physischen“ Gegenstände das einzige Thema und das einzige Ziel der Betrachtung bilden. Der physische Kosmos, das Universum der Naturwissenschaften, bildet nur nnoch einen Sonderfall ud ein Paradigma für eine viel allgemeinere Problemstellung. Diese Problemstellung ist es, die jetzt an die Stelle jenes Ideals der Pan-Mathematik, der Mathesis universalis tritt, das seit Descartes das philosophische Denken beherrscht hatte. Der mathematische und der physikalische-astronomische Kosmos ist nicht der einzige, in dem die I d e e des Kosmos, die Ideeeiner durchgreifenden Ordnung, sich darstellt. Diese Idee ist nicht auf die Gesetzlichkeit der Naturphänomene, auf die Welt der „Materie“ eingeschränkt. Sie tritt uns überall entgegen, wo an einem Mannigfaltigen und Verschiedenen ein bestimmtes einheitliches Strukturgesetz sichtbar wird. Das Walten eines solchen Strukturgesetzes: das ist der allgemeinste Ausdruck für das, was wir im weitesten Sinne mit dem Namen der „Objektivität“ bezeichnen.
Man könnte fragen, was mit dem Ideal der Pan-Mathematik gemeint ist (man ahnt es), am deutlichsten wird es in den Worten Heideggers, der laut Wikipedia „in Descartes den Schlüssel zur Wissenschaftsgenese der Neuzeit [sieht]. Durch die (anti-aristotelische) Einklammerung der Qualitäten des Organischen und durch Fixierung auf die Quantifizierung der Objektwelt stelle seine Philosophie den Beginn der unheilvollen technischen Beherrschung der Welt dar.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Philosophie_der_symbolischen_Formen hier
ZITAT (Texte zur Kulturtheorie … Seite 137)
Um dies für uns zu voller Deutlichkeit zu erheben, brauchen wir nur an jene Grundbedeutung des Begriffs „Kosmos“ anzuknüpfen, die schon das antike Denken festgestellt hatte. Ein „Kosmos“, eine objektive Ordnung und Bestimmtheit, ist überall dort vorhanden, wo verschiedene Subjekte sich auf eine „gemeinsame Welt“ beziehen und denkend an ihr teilhaben. Dies ist nicht nur dort der Fall, wo wir uns durch das Medium der sinnlichen Wahrnehmung das physische Weltbild aufbauen. Was wir als „Sinn“ der Welt erfassen, das tritt uns überall dort entgegen, wo wir uns, statt uns in die eigene Vorstellungswelt zu verschließen, auf ein Über-Individuelles, Allgemeines, für alle Gültiges richten. Und nirgends tritt diese Möglichkeit und diese Notwendigkeit der Durchbrechnung der individuellen Schranke so fraglos und so deutlich hervor wie im Phänomen der Sprache. Das gesprochene Wort geht niemals im bloßen Schall oder Laut auf. Es will etwas bedeuten; es fügt sich zum Ganzen einer „Rede“ zusammen, und diese Rede „ist“ nur, indem sie von einem Subjekt zum andern hingeht und beide im Wechselgespräch miteinander verknüpft.
Man vergegenwärtige sich den Inhalt des Satzes „Das gesprochene Wort geht niemals im bloßen Schall oder Laut auf.“ Das gilt auch in scheinbar urtümlichen Fällen, wenn man darauf verweisen will, dass etwa das Wort (?) „Kikeriki“ sehr wohl mit Schall oder Laut etwas aussagt. Es kann Schall und Laut in etwas verwandeln, das über seine onomatopoetische Erscheinung hinaus etwas bedeutet, und nicht etwa nur den individuellen Schrei eines mir gut bekannten Haushahnes, nämlich den Schrei aller Hähne und schließlich diese Tiere selbst in ihrer Allgemeinheit. So wie das Wort „Hirsch“ die Allgemeinheit aller Hirsche meint, den Hirsch schlechthin.
Ich greife jetzt vor, also in dem Text, dem ich folge, dort, wo es um SPRACHTHEORIE geht, die eine Vorbedingung der ERKENNTNISTHEORIE ist. (Im folgenden zunächst Anspielung auf „Pan-Mathematik“, siehe oben.)
ZITAT (Texte zur Kulturtheorie … Seite 138)
Wer die Kritik der Erkenntnis erst mit der Wissenschaftstheorie, mit der Analyse der Grundbegriffe und Prinzipien der Mathematik, der Physik, der Biologie, der Geschichte beginnen lässt, der setzt den Hebel gewissermaßen zu hoch an. Aber ebenso verfehlt derjenige den richtigen Ansatz, für den das Wissen nichts anderes als eine einfache Konstatierung dessen ist, was uns in den Elementen der Sinnesempfindung unmittelbar gegeben ist. Auch die psychologische Analyse lässt, sofern sie ohne erkenntnistheoretische Vorurteile getrieben wird, diesen Sachverhalt klar hervortreten. Denn sie zeigt uns, dass die Sprache durchaus nicht der einfache Abdruck von Inhalten und Beziehungen, die uns die Empfindung unmittelbar darbietet. Ihre Ideen sind keineswegs, wie es das sensualistische Dogma verlangt, die bloßen Kopien von Impressionen. Die Sprache ist vielmehr eine bestimmte Grundrichtung des geistigen Tuns: ein Inbegriff psychisch-geistiger Akte, und in diesen Akten erst schließt sich uns eine neue Seite der Wirklichkeit, der Aktualität der Dinge auf.
Achtung: … die uns die Empfindung unmittelbar darbietet… denke an „das Gewühl“ (Jaspers)
… eine neue Seite der Wirklichkeit, der Aktualität der Dinge auf. Wilhelm von Humboldt, der zugleich der Schüler Herders und der Schüler Kants ist, hat für diesen Sachverhalt den Ausdruck geprägt, dass die Sprache Funktion, nicht Affektion sei. Sie ist kein einfaches Produkt, sondern ein kontinuierlicher, sich ständig erneuernder Prozess, und in dem Maße, als dieser Prozess fortschreitet, zeichnen sich für den Menschen die Umrisse seiner »Welt« immer klarer und bestimmter ab. Der Name wird somit nicht einfach an die fertige und vorhandene gegenständliche Anschauung, als ein äußeres Kennzeichen, angefügt, sondern in ihm drückt sich ein bestimmter Weg, eine Weise und Richtung des Kennen-L e r n e n s aus.
Ein wenig zurück im Text…
ZITAT (Texte zur Kulturtheorie … Seite 137f)
Von der Vernunft, die in der Sprache investiert ist und die sich in ihren Begriffen ausdrückt, führt der Weg zur wissenschaftlichen Vernunft weiter. Die Sprache kann mit den ihr eigentümlichen Mitteln die wissenschatliche Erkenntnis nicht erzeugen oder auch nur erreichen. Aber sie ist eine notwendige Etappe auf dem Wege zu ihr; sie bildet das Medium, in dem allein das Wissen um die Dinge entstehen und sich fortschreitend ausbauen kann. Der Akt der Benennung ist die unentbehrliche Vorstufe und die Bedingung für jenen Akt der Bestimmung, in dem die eigentümliche Aufgabe der Wissenschaft besteht. Es ergibt sich hieraus, dass und warum die Sprachtheorie ein notwendiges und integrierendes Moment im Aufbau der Erkennnistheorie bildet. Wer die Kritik der Erkenntnis erst mit der Wissenschaftstheorie, mit der Analyse der Grundbegriffe und Prinzipien der Mathematik, der Physik, der Biologie, der Geschichte beginnen lässt, der setzt den Hebel gewissermaßen zu hoch an. [siehe oben]
Oder: Ein Vermächtnis aus jungen Jahren, fortgesponnen
Wie soll man darüber reden? Der einst revolutionäre Griff nach der Alten Musik ist brisant geblieben, man staunt, dass wirklich Jahrzehnte vergangen sind, seit man sie – um Bachs und Monteverdis willen – insgesamt zur Kenntnis genommen hat. Und nicht nur dank Reinhard Goebel und in seinem unmittelbaren Umfeld. Es hat insgesamt – man kann sagen: weltweit – Schule gemacht. Man beachte, was allein die Heidelberger Schola – inspiriert durch die Neue Musik – an Projekten entwickelt hat, etwa zum Rätsel Gesualdo da Venosa („Eros und Gewalt“ ).
Zurück zu Reinhard Goebel, dem man heute vielleicht zum ersten Mal auf die Schliche kommen kann, ohne das Gesamtwerk in hundert Einzelaufnahmen und zahllosen verstreuten Quellen um sich versammeln zu müssen. Überhaupt: für seine glänzende Sprache braucht man kein Studium (das hat er selbst schon geleistet), sondern das gleiche unstillbare Interesse an lebendiger Musik, das ihn selber auszeichnet.
Geplant waren einige Anmerkungen, die ich während der Lektüre des Goebel-Buches besonders memorabel fand. So im ersten Text (Seite 15 ff) » Auf der Suche nach der verlorenen Zeit…« die nicht weiter spezifizierte Quelle eines FAZ-Artikels aus dem Jahr 2009, der Goebel zu den Worten veranlasste: „Alles hier über Rezeption und Darstellung des Mittelalters Gesagte trifft auch den musikalischen Barock-Nagel mitten auf den Kopf.“ Schon ist der Goebel-Fan begierig, so detailliert wie möglich zu eruieren, worum es sich dabei handelt, und stößt dabei auf ein Buch, das in der Anmerkung 1 des Vorwortes einen klärenden Weg zur Quelle anbietet.
¹Mittelalter-Symposion. Das Mittelalter zwischen Vorstellung und Wirklichkeit. Probleme, Perspektiven und Anstöße für die Unterrichtspraxis. 24.09.2009−26.09.2009. Pädagogische Hochschule Freiburg. Vgl. URL: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/termine/id=11667 (Konferenzankündigung von Thomas Martin Buck); http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=2835 (Tagungsbericht von Nicola Brauch). Siehe auch den Bericht von Maik NOLTE, Das Mittelalter als Wille und Vorstellung. Und der Mediävist als Experte für Requisiten: Zur populären Aneignung einer Epoche, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30.12.2009, Nr. 302, S. N3.
Das Werk lohnt sich insgesamt als Einübung in die Mediävistik, vorausgesetzt man lässt sich wirklich auf die echte Fährte ein: Hier ist das gesamte Vorwort und die Inhaltsangabe zu dem betreffenden Mittelalter-Symposion, das 2009 in Freiburg stattgefunden hat.
Aus fünf Kapiteln Fankreich von »Le Roi Danse« bis Spätbarock
Man definierte sich in Frankreich ganz einfach und rigoros neu, löste alle alten Bindungen und schuf neue Wege, die Musik optimal der Prosodie der französischen Sprache anzupassen. Selbst der Opern-Prolog diente nicht mehr dazu, die Götter als die das Schicksal bestimmenden Mächte einzuführen. Stattdessen sang man hier unverhohlen das Lob des Herrschers, und slbst des Göttern war es eine Ehre, dem Sonnenkönig zu huldigen: Selten wurd Musik so eindeutig zum Politikum.
Dem reinen, absoluten Gehalt der Sonate oder des Concerto jedoch standen die Franzosen weitgehend ratlos gegenüber. Frankreich geriet in Aufruhr, als nach mehr als 60jähriger Herrschaft des Sonnenkönigs mit Konzerten von Antonio Vivaldi und Giovanni Battista Pergolesis »Stabat Mater« erstmals wieder unpolitische, ihren eigenen Gesetzen gehorchende Musik zur Aufführung kam. (…) Notation der Tanzschritte und der Armbewegungen
Nie aber ist sie intellektuelle Kunst, die um ihrer selbst willen existiert und wahrgenommen werden will. Das Absolute ist ihrem Wesen fremd. (Goebel Seite 27)
Im Jahr 1700 lag übrigens auch eine der Notenschrift im weitesten Sinne vergleichbare Notation der Tanzschritte und der Armbewegungen vor, (…) basierend auf den Vorarbeiten des Monsieur Pierre Beauchamp, der 1635 geboren, noch mit allen Meistern der Frühzeit – Robert Cambert, Molière und Pierre Perrin – gearbeitet und sämtliche Opern und Ballette des königlichen Hofes bis 1686 choreographiert hatte. (…)
Zum Debütstück für den ersten solistischen Auftritt dieser jungen Mädchen wurde nach 1715 das Werk »Les Caractéres de la Danse« des Lully-Schülers Jean-Féry Rebel, der zwanzig Jahre später mit seinem inzwischen wieder häufiger gespielten »Le Cahos« noch ein weiteres Mal Geschichte schreiben sollte. Die Tänze – sie basieren übrigens auf der Idee des Sonnenkönigs, dass alle Provinzen Frankreich[s] durch einen typischen Tanz am Hofe zu repräsentieren seien – haben alle neben einem charakteristischen Tempo ein klar bestimmtes Figuren- und Bewegungsprofil, und so wurde das Stück zum Prüfungsstück für die Tänzerinnen – nicht nur in Paris, sondern auch in London und Dresden – und obgleich man immer behauptet, dass »Les Caractéres« völlig neuartig gewesen seien, basiert das Werk dennoch auf dem Auftritt des Maître des Danse in der ersten Szene von Molières und Lullys »Bourgeois Gentilhomme«, wo der Tanzmeister dem einfältigen Bürger Jourdain einen kurzen Einblick in seine Kunst gewährt […]. (Goebel Seite 29)
Youtube-Beispiele, an dieser Stelle nicht durch das Buch autorisiert, sondern vom Abschreiber JR als Nachhilfe ausgewählt und eingefügt:
Erinnerung an die Aufnahme vom „Bourgeois Gentilhomme“ mit La Petite Bande unter Gustav Leonhardt (1973):
Man höre sorgfältig die Ausführung der Ouvertüre, insbesondere die Punktierungen, um zu verstehen, was 10 Jahre später geschehen ist. Uns Mitspielern war oft selbst nicht recht klar, welche alten Schriften zur Überpunktierung „berechtigten“ oder warum und ab wann es doch wieder anders zu lesen oder zu interpretieren war. Der Name Neumann (Frederick) wurde genannt, ohne dass damals die leichte Internet-Orientierung von heute vorauszusetzen war, es blieb im ungefähren. Goebels Aufnahmen der Bachschen Ouvertüren entstanden in den Jahren 1982 und 1985, für mich ganz starke Eindrücke, – sie beruhten auf den neuen Überlegungen, die Goebel auch gewissenhaft dargelegt hat (Seite 150 ff). Heute könnte man das hier nacharbeiten: Ornamentation in Baroque and Post-Baroque Music, with Special Emphasis on J.S. Bach (Frederick Neumann 1978).
Goebel:
Diese Auffassung von den synchronisierten Überpunktierungen basiert eindeutig auf Fehlübersetzungen und -interpretationen der Flötenschule von Quantz (XVII. Hauptstück, VII. Abschnitt, § 58).
(…) Für den Tuttisten um 1720 galt genau die gleiche Regel wie für den Tuttisten des 20. Jahrhunderts: Kein rhythmischer Wert wird verändert. Wenn Quantz dennoch von scharfen Punktierungen redet, so im Zusammenhang von Tanzsätzen nach französischer Manier -aber die Ouvertüre ist nun einmal kein Tanzsatz. Quod licet Jovi, non licet bovi – was dem Solisten aus augenblicklicher Caprice erlaubt ist, nämlich die Veränderung des vorgegebenen Notentextes, ist dem Tuttisten schlichtweg verboten. (a.a.O. Seite 152f)
Siehe auch hier. (=Blog-Artikel „Wie Goebel in Frankreich“.)
Neugierig geworden: Wer war „Fritz“, ein unbekannter Bach, wie klang seine Musik? Ein Anfang sei gemacht mit diesem Stück aus „Pygmalion“:
Alle Titel der Goebel-CD „Cantatas of the Bach family“ anspielen: hier
Dreißig Jahre lang stellte Johann Sebastian Bach die musikalische Speerspitze der Welt: Sie war immer genau dort, wo er war, in seinen Händen und auf seinem Schreibtisch. Um 1735 aber drängten ambitionierte Konkurrenten auf den Markt und zeigten Bach, wo das neue Vorne war: im galanten Stil, der sich ab 1715 von Neapel aus nach Norden verbreitete und der flamboyanten, religiös bedeutsam verschlüsselten und manchmal auch überlasteten Musik des Spätbarock etwas entgegen stellte – eine einfachere Musik mit leichter verstehbarer Harmonik und im weitesten Sinne singbaren Melodien mit weniger komplexer Polyphonie.
Bachs Söhne, ebenfalls gestandene Musiker, die zu einflussreichen Komponisten heranwuchsen, hatten das Handwerk bei ihrem Vater gelernt – aber bei aller Verwurzeltheit in der Tradition des großen Johann Sebastian sind diese modernen Einflüsse auch bei Carl Philipp Emanuel Bach, Johann Christoph Friedrich Bach und Wilhelm Friedemann Bach deutlich zu erkennen. Bei Carl Philipp ist der Prozess der musikalischen Emanzipation nur noch mittelbar nachvollziehbar, da er einen guten Teil seiner Kompositionen aus jener Umbruchzeit verbrannte – eine hier erstaufgenommene Sinfonie in F-Dur kann ihm mit der nötigen musikwissenschaftlichen Vorsicht zugeschrieben werden.
Ebenfalls eine Weltpremiere ist die Aufnahme der dreisätzigen Solo-Kantaten Carls »Ich bin vergnügt mit meinem Stande«. Eine gar dritte Erstaufführung erlebt hier die Sinfonie in B-Dur Wilhelm Friedemann Bachs. Abgerundet von Musik von Bachsohn Johann Christoph Friedrich und einer Kantate des Übervaters Johann Sebastian selbst macht diese grandiose neue Produktion der Berliner Barocksolisten und dem gefeierten Bariton Benjamin Appl unter Leitung von Reinhard Goebel die musikalische Metamorphose des 18ten Jahrhunderts akustisch erlebbar.
Weiterlesen und -suchen:
http://www.musicweb-international.com/classrev/2020/Dec/Bachfamily-Cantatas-HC19081.htm hier
(Ensemble) Pygmalion interprète la Cantate „Es erhub sich ein Streit“ de Johann Christoph Bach sous la direction de Raphaël Pichon. Extrait du concert enregistré le 7 avril 2023 à la Chapelle Royale de Versailles.
Da ich die Goebel-CD seltsamerweise übers Internet nicht bestellen kann, habe ich einen Ersatz finden müssen (27.09.24), bemerkenswerterweise schon aufgenommen 1988:
Text: Hannsdieter Wohfahrt
ENTSCHULDIGUNG! Da ich von Goebels im Buch veröffentlichten Texten ausgehe, zu denen ich mich etwas frei „auslasse“, – auch ohne alle CDs besitzen, denen sie ihre Entstehung verdankten -, kann ich in einer gewissen Konfusion enden wie JETZT. Ich hatte gehofft, mehr über „Pygmalion“ und den Bückeburger Bach-Sohn zu erfahren, fand Goebels Ausführungen wie immer erhellend, ohne recht zu bemerken, dass er sich unvermerkt gänzlich auf das die CD abschließende Werk des alten Bach bezieht, die Kantate BWV 82 „Ich habe genug“, mit einigen Seitenblicken wiederum auf dessen rhetorische Prinzipien docere, movere & delectare. Für uferloses Staunen und Studieren sei auch der Youtube-Link wenigstens zu dieser Aufnahme beigesteuert: hier.
In Goebels Text blieb ich u.a. stecken bei der Bemerkung:
Zauberhaft unbeantwortet bleibt die Frage: »Hat er nun, hat er nicht?«
Erst allmählich fiel der Groschen: Diese Frage kann sich nur aus dem maßlosen Wunschziel des „Pygmalion“ ergeben, – wobei Goebel seinen Kopf dezent aus der Schlinge zieht, indem er von dem sinnlichen Begehren hinüberlenkt zu der Todesfreude des trunken in den Himmel tanzenden Simeon, und damit zur „Climax“ der Kantate „Ich habe genug“. Was mir an Reinhard Goebel von Anfang an auffiel, war sein eigenartiger Humor, eine zuweilen etwas drollige Respektlosigkeit. Bei den Aufnahmeprojekten unseres Lehrers Franzjosef Maier inmitten des Ensembles Collegium aureum erlebte ich ihn 1974 zum erstenmal als jungen Kollegen, witzig, wortgewandt, aufmüpfig, belesen. „Missa Salisburgensis“! Siehe alle Mitwirkenden…
1974
Kein Zweifel: man sollte auch seine „besserwissende“ Aufnahme kennen:
Das neue Buch, das ich Berthold Seliger verdanke, verbindet sich aufs wunderbarste mit einer Reihe starker Eindrücke, die bis in meine Gymnasialzeit zurückreichen und sich erst jetzt allmählich in etwas Gegenwärtiges, Lebendiges verwandeln. Hoffentlich nicht nur, weil es vom Untergang handelt.
5.9.2024
Gabriel Zuchtriegel: Vom Zauber des Untergangs / Was Pompeji über uns erzählt / Propyläen Ullstein Verlage Berlin 2023
(NZZ) Für den Rezensenten Hans-Albrecht Koch blitzt in Gabriel Zuchtriegels Buch über Pompeji die Frage auf, was wir aus der Vergangenheit lernen können. Der Direktor der Ausgrabungsstätte bei Neapel überzeugt Koch mit ungewöhnlichen Perspektiven auf die Katastrophe am Vesuv und ihre Folgen. So widerlegt der Autor laut Rezensent nicht nur bisherige Annahmen zu den Geschehnissen vor 2000 Jahren, sondern liefert auch einen frischen Blick auf die Archäologie und ihre Aufgaben und Ziele.
(Die Welt) Eine rundum gelungene Auseinandersetzung mit dem Faszinosum Pompeji liest Rezensent Jonas Greth bei Gabriel Zuchtriegel, seit 2021 Direktor der Ausgrabungsstätte. Zuchtriegel verknüpft Einlassungen zur antiken Lebenswelt klug mit eigenen, gegenwärtigen Überlegungen, ohne einen allzu konstruierten Gegenwartsbezug herzustellen, freut sich Greth. So erfährt der begeisterte Leser, dass Sexualität um 79 n. Chr. nicht nach der geschlechtlichen Orientierung, sondern nach der „Hierarchie von Aktivität und Passivität“ bewertet wurde und auch, dass sich immer noch neue Funde in Pompeji aufstöbern lassen. Einige der persönlicheren Passagen sind für den Rezensenten zwar etwas dick aufgetragen, aber der breit aufgestellten Erzählung mag er insgesamt doch gerne folgen, zeugt sie doch auch von einer großen, mitreißenden Liebe des Archäologen zu seiner Tätigkeit, lobt er.
Wie aber passt das in unsere heutige Zeit? Dumme Frage: durch die nachvollziehbare Lebendigkeit, die es ausstrahlt. Ist unsere Zeit das Maß aller Dinge? Ich habe es trotzdem einmal an einem antiken Beispiel einmal ausführen wollen…
Was die Bücher von Gabriel Zuchtriegel und Tonio Hölscher innerlich verbindet, erfährt man im Vorwort des letzteren: sie kommen aus der gleichen altklassischen Schule, in der ein durchaus frischer Wind weht. Frisch? Ein jugendliches Lebensgefühl, tragisch getönt. Bezeichnend das Motto, das am Ende dieses Blogartikels kommentarlos wiedergegeben sei.
Tonio Hölscher: Der Taucher von Paestum / Jugend, Eros und das Meer im Antiken Griechenland / Klett-Cotta Stuttgart 2021
Seit mehr als einem Jahr läuft in Pompeji eines der ehrgeizigsten Grabungsprojekte unserer Zeit: Ein italienisches Archäologenteam entdeckte einen bisher unerforschten Häuserblock und förderte unter anderem eine Bäckerei, ein Wohnhaus und ein Wandgemälde, das eine Art Pizza zeigt, zutage.
Die Ausgrabung beginnt mit der Entdeckung eines riesigen Steinofens. Viel zu groß, um zu einem Privathaus gehört zu haben, finden die Forscher heraus, dass er Teil einer Bäckerei war, in der Brot an die Bewohner von Pompeji verkauft wurde. Nicolas Monteix, Experte für das Backgewerbe in der Antike, besichtigt eine der 40 Bäckereien, die bisher in Pompeji gefunden wurden, und erzählt davon, wie das Leben der Sklaven vermutlich ausgesehen hat, die dort Tag für Tag bei gleißenden Temperaturen schufteten und permanent dem Mehlstaub ausgesetzt waren.
In einem Nebenraum der Bäckerei entdecken die Archäologen drei Skelette. Ihr Zustand deutet darauf hin, dass die Menschen von der einstürzenden Decke erschlagen wurden. In den ersten 18 Stunden des Vulkanausbruchs fiel ein dichter Niederschlag aus Pyroklasten und Asche auf Pompeji. Unter dem Gewicht der Gesteinsfragmente brachen überall in der Stadt Gebäude ein.
Neben der Bäckerei entdecken die Archäologen das Wohnhaus. In jedem Raum türmen sich unberührte Lapilli bis zu drei Meter hoch. Das bedeutet, dass seit dem Vulkanausbruch niemand dieses Haus betreten hat. Im Atrium finden die Forscher unbenutzte Dachziegel, Steine und Werkzeug. Daraus schließen sie, dass das Gebäude zum Zeitpunkt der Eruption renoviert wurde. Tatsächlich hatte 17 Jahre zuvor, im Jahr 62 nach Christus, ein Erdbeben viele Häuser in Pompeji zerstört, die längst noch nicht alle wieder aufgebaut waren.
NEU (19.01.2015)
HIER https://www.t-online.de/nachrichten/panorama/wissen/id_100576734/italien-jahrhundertfund-enthuellt-spektakulaeren-luxus-in-pompeji.html
DIE ZEIT vom 29. August enthielt ein langes, ein überlanges Interview mit der Sängerin Edda Moser, und darin ging es unvermeidlicherweise um ihren Vater, den berühmten Musikwissenschaftler, dessen neueste Bücher ich noch in den frühen 50er Jahren geschenkt bekam. Vergessen seine emsige Tätigkeit bis Kriegsende im Sinne einer musikalischen Rassenlehre. Aber die Tochter Edda Moser sollte doch davon gehört haben.
Möglicherweise hat mein Vater das Lexikon erst nach dem Krieg (in Bielefeld) antiquarisch gekauft; es hatte offenbar seinen Wert für ihn behalten, obwohl er Moser aus Studienzeiten in Berlin kannte.
Eine Ahnung dessen, was sich wenige Jahre später abgespielt haben wird, erhält man, wenn man – immer empfehlenswert – bei Fred K. Prieberg im „Handbuch Deutsche Musiker 1933-1945“ nachliest. Auch das überarbeitete Moser-Lexikon hat sein Gesicht verändert.
Bei meinem Vater gab es nicht den Hauch eines Widerspruchs gegen den Zeitgeist. Ich erinnere, dass er sich über Mahler äußerte, der habe nur Kapellmeistermusik geschrieben. Von Schönberg würde in 100 Jahren kein Mensch mehr reden. Über Mosers „barocken Sprechstil“ sprach er belustigt, aber nicht ganz ohne Bewunderung. Es gab keine Tradition des Widersprechens, auch bezüglich etwa Franz Schrekers: das sei eine kurzlebige Blüte der 20er Jahre gewesen, und was habe man damals daraus gemacht! – Zitat Wikipedia:
Von den Nationalsozialisten als „entartet“ diffamiert, gerieten Schrekers Werke nach 1933 nahezu in Vergessenheit. Ende der 1970er Jahre setzte eine Schreker-„Renaissance“ ein, die bis heute anhält…
(Wie alle Interessen sich biografisch zusammenfügen – ohne Harmonie und gegen alle Wahrscheinlichkeit.)
Ein Wendepunkt
Wo mir der Name zum ersten Mal hätte begegnen können (1988):
Gutschow!
Zugleich enthält das Vorwort alle Hinweise, die mich auf Distanz gehalten haben („Geisterglaube“). Der alte Widerspruch Adorno/Indien, der mich seit etwa 1960 beschäftigt.
Niels Gutschow heute, der vielseitige Architektur-Forscher an seinem Arbeitsplatz
ZITAT
Vor gut einem Jahr erschütterte eine Erdbebenserie die Region am Himalaya. Das Epizentrum des stärksten Bebens, das sich am 25. April 2015 ereignete, lag in der Nähe der nepalesischen Hauptstadt Kathmandu. Nach Schätzungen starben infolge der Erdbeben allein in Nepal fast 10.000 Menschen – die meisten davon in den Trümmern eingestürzter Bauten. Bei den Erdbeben wurden zahlreiche bedeutende Kulturgüter zerstört oder stark beschädigt – darunter auch mehrere der berühmten und zum Weltkulturerbe gehörenden Pagoden, Tempel und Paläste in den drei Königsstädten Kathmandu, Bhaktapur und Patan. Diese sollen nun nach und nach wieder wiederhergestellt werden. Gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt unterstützt die Gerda Henkel Stiftung mehrere Wiederaufbauprojekte in Nepal, unter anderen ein Projekt des Architekten, Denkmalpflegers und Bauhistorikers Prof. Dr.-Ing. Niels Gutschow. Wir haben ihn im Odenwald besucht.
Project
Two severe earthquakes hit Nepal on 25 April and 12 May 2015. Thousands of people lost their lives. Apart from the humanitarian disaster, the earthquakes also had a devastating impact on human cultural heritage. Numerous buildings of historical importance in Nepal were partly or completely destroyed, and a great many houses and temples collapsed and cannot be rebuilt. Since 1979 the architectural legacy of Kathmandu Valley has been a UNESCO World Cultural Heritage Site and even before the most recent earthquakes was greatly endangered by the population explosion, environmental problems, climate change, fires, and earlier earthquakes. From 2003 to 2007 Kathmandu Valley was on the List of World Heritage in Danger.
Immediately after the earthquake on 25 April 2015 the German Federal Foreign Office and Gerda Henkel Foundation decided to pool their resources to preserve and restore the cultural heritage of Nepal. The initiative aims to supplement humanitarian aid with measures that strengthen the country’s cultural identity. There is a very strong connection between the population and cultural heritage in Nepal; in many villages individual families tend to the local temple and integrate the temple’s gods into their everyday lives. There is a tradition of good relations between Nepal and Germany as regards cultural preservation. In the 1970s German architects, engineers, scientists and conservationists were the first members of a foreign state to begin restoring the cultural monuments damaged by the severe earthquake in 1934. In subsequent years, a great many projects were initiated. For example, in keeping with the promise German Chancellor Helmut Kohl made during a state visit in 1987, a temple lost in Bhaktapur in 1934 was reconstructed. It survived the quake of 2015 undamaged.
ZITAT = Einleitung zu dem folgenden Interview (dieses im Link live auf deutsch):
https://lisa.gerda-henkel-stiftung.de/gespraech_mit_niels_gutschow_ueber_das_leben_und_die_arbeit_eines_forschers_nepal?nav_id=7104&language=en hier
Ethnographische Episoden aus dem Leben des Forschers Niels Gutschow
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Und von Katastrophen einer anderen Welt
https://www.fr.de/kultur/ersehnte-katastrophe-11212310.html hier
https://www.zeit.de/1988/02/die-ersehnte-katastrophe/komplettansicht hier
In Deutschland hatte Adolf Hitler 1933 mühelos Städtebauer und Architekten mitziehen, wenn nicht gar mit reißen können. Wie viele Berufsverbände, so kam auch der Bund Deutscher Architekten der Gleichschaltung zuvor. Für die einen bedeutete dies Berufsverbot, die anderen bekamen Aufträge noch und noch. Als Hitler dann 1940 eine gigantische Inszenierung des scheinbar bevorstehenden Endsieges plante, kannte die Euphorie keine Grenzen. Nach dem Sieg über Frankreich im Juni 1940 – die Planer sprachen fortan von der Zeit „nach Compiègne“ – sollten nun die Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Im selben Monat hatte Hitler verlangt: „Berlin muß in kürzester Zeit durch seine bauliche Neugestaltung den ihm durch die Größe des Sieges zukommenden Ausdruck als Hauptstadt eines starken neuen Reiches erhalten. In der Verwirklichung dieser nunmehr wichtigsten Bauaufgabe des Reiches sehe ich den bedeutendsten Beitrag zur endgültigen Sicherstellung des Sieges.“ München, Linz, Hamburg und Nürnberg sollten als „Führerstädte“ neu gestaltet werden, aber auch alle anderen Gauhauptstädte wetteiferten bereits im Bemühen, den „Sieg sicherzustellen“.
Deutschlands Planer und Architekten ließen sich von einer Welle der Begeisterung tragen, und es waren nicht nur die Großstädte, die eine städtebauliche Aufrüstung betreiben wollten. Für alle Bereiche der Planung… (Forts. siehe Link )
Es hat mich immer interessiert, auf welchen Wegen die Familien der Reichows von Pommern nach Westdeutschland (Hamburg bzw. Westfalen) gekommen sind und wie sie an welchem Ort Fuß fassen konnten. Es gab eben dort oben „die Hamburger“ und hier unten „die Bielefelder“, die sich eigentlich durch das kleine Dorf Lohe bei Bad Oeynhausen definierten, aus dem meine Mutter stammte; es war unsere Anlaufstelle am Ende des Krieges. Wie es in Hamburg gelaufen war, fand ich in großen Zügen in einem Erinnerungsbuch, dass meine Cousine Daniela für ihre Familie geschrieben hat.
Da kommt also ein anderer Name ins Spiel, der eines Studienfreundes, der als Architekt in Hamburg fest etabliert war: Konstanty Gutschow, ein Glücksfall für die zuwandernde Familie, wenn auch, möchte man aus heutiger Sicht anmerken, eine Zumutung für die ansässige. Eine ausgreifende historische Reflexion von dieser Seite sähe wohl ganz anders aus. Die großen antipodischen Leitbegriffe könnten sein: „Stadtlandschaft“ und „Ordnungswahn“. Oder: von der allmählichen Neu-Orient-ierung…