Eine unverhoffte Wiederkehr
Fundsache. Auf der Rückseite nur Datum und Ort. Wie war doch gleich der Name?
Dr. Karaikudi Sambasivayer Subramanian mit Vina beim Workshop (mit JR). Soviel Zeit muss sein. Es war kein einfacher Prozess, ebensowenig wie die ganze karnatische Musik Südindiens, die damit heraufbeschworen wird. Samt Josef Kuckertz und Pia Srinivasan …
Dieses Foto weckte ganz verschüttete Erinnerungen, doch stark genug, mich für den Rest des Tages in emsige Tätigkeit zu versetzen. Am Ende zwangen sie mich sogar, alte Übungen in südindischer Musik wieder aufzunehmen. Oh, großer Gott Sambhu!
Und wieder gilt es weite Zeiträume rückwärts zurückzulegen, wiederzugewinnen, zuerst bis 2008, dann bis 1975. „Oh, großer Gott Sambhu!“
Dieses alte Musikstück soll mir ein Leitfaden sein, erkenne ich es wieder? Ich wähle Youtube, obwohl CD wie auch LP aufzutreiben war, unter 200 Indien-Relikten. Der Titel führt mich also auch ins Internet. Dann: mein altes Verzeichnis, ein Nachtrag führte noch bis 2005. Oder 2006? Ende. Nein, zu den Anfängen.
Ich erinnere mich an den Namen M.S. Subbulakshmi. Und der Musiktitel ist mir geläufig vom Titel der alten CD (s.u.).
Der als Komposition gesungene Text beginnt bei 2:16, kein Zweifel, er spielt auch schon vorher eine Rolle, aber das nehmen wir als Einleitung, die Komposition beginnt ab 2:16 ( „Sam-bho“ ).
Wer Noten kann, darf auch Notationen studieren, siehe unten, westlicher Notbehelf als Gedächtnisstütze, – gutes Hören ist wichtiger. Sie werden bestimmte Ruhepunkte erkennen, eine Gliederung der endlos aktiven Melodiestimme (endlos? nein, zeilenweise), an der uns ansonsten eine Vorliebe für die Töne des Dreiklangs auffallen könnte. Ohne dass das etwas in unserem Sinne zu sagen hat.
Die einzelnen „Neuansätze“: 1) ab 2:16 bis 3:11 2) ab 3:12 bis 3:58 3) ab 3:59 bis 4:26 4) 4:27 bis 5:43 5) ab 5:44 bis 6:06 (Ende 6:13)
Man bekommt eine Ahnung von der formalen Gestaltung, ist aber noch weit entfernt von einem „ästhetischen Vergnügen“. Ein fein ziseliertes Linienspiel, das magisch um eine geheime Mitte kreist. Doch allmählich sehen wir die Umrisse jener Form, die in der karnatischen Musik Südindiens Kriti genannt wird. Pia Srinivasan beschreibt sie – anhand eines anderen Beispiels – folgendermaßen:
Wir haben beim Hören vielleicht ein Gefühl für die einzelnen Teile bekommen, ohne sie einstweilen noch genau benennen zu müssen. Nun gilt es innerhalb jeden Teils die melodischen Charakteristika zu erfassen, die zeilenweise Wiederholung bei gleichzeitigem Ausbau der melodischen Bögen. Im Pallavi ( 1. ) dreht es sich um die Haupttöne der unteren Oktave, des „Dreiklangs“, im Anupallavi geht es um die höhere Oktave und ihren Umkreis ( 2. ), im Carana werden beide Bereiche verbunden ( 3. ).
Selbst wenn es sich bei dem ursprünglichen Gesang, wie meist, um eine Komposition handelt, müssen die verschiedenen Wiedergaben angesichts der mündlichen Überlieferung nicht identisch ablaufen. Wie uns sofort auffällt, wenn wir die folgende Version gleichen Titels Teil für Teil auf die andere beziehen wollen.
Zwischenwarnung: ich weiß, dass dieser Blogartikel Arbeit bedeutet, – übrigens auch für die Instrumentalisten: sie haben ihr Leben lang daran gearbeitet, so zu spielen, wie sie spielen, viele Stunden täglich, auch daran, jede scheinbar unscheinbare Nuance der Komposition (!) in den Fingern und im Kopf abzurufen. Unmöglich ist es für ein „fremdes“ Publikum, die notwendige Aufnahmefähigkeit im ersten Moment bereitzustellen und das „Stück“ adäquat zu erfassen. Es besteht nicht einfach aus einem Dur-Dreiklang, die Inszenierung dieser Töne und ihrer Umgebung ist eine völlig andere, als wir gewöhnt sind, und es kommt genauso darauf an, Missdeutungen auszuschließen, wie neue Deutungen, neue Gewohnheiten anzunehmen. Die wissenschaftliche Annäherung, wie sie im Kommentarheft der CD nahegelegt wird, ist nicht die einzig wahre, kein Mensch wird als Wissenschaftler/in geboren. Die Ahnung des Gemeinten und die Lernbereitschaft – das sind die wichtigsten Voraussetzungen des musikalischen Vergnügens. Der Vina-Zauber, den unsere Überschrift meint, entsteht beim bloßen Klang aus dem Obertonreichtum, – wenn Sie so wollen…
Noch eins: die zu vergleichenden Aufnahmen stehen auf unterschiedlicher Grundtonhöhe. Sie benutzen dieselbe Skala, aber deren Grundtöne weichen um ein Terzintervall voneinander ab. Es gibt keinen genormten Stimmton, der für alle Sänger und Instrumentalisten gilt. Der Grundton aber, wenn wir die Skala in unsere Notenschrift übertragen, wird immer als C gedacht bzw. notiert.
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Unsere Referenz-Aufnahme von 1975
Die ganze Doppel-CD heißt Sambho Mahadeva, aber uns geht es natürlich um den entsprechenden Einzeltitel, der als Track 4 angeklickt werden kann. Wenn Sie hier wie auch oben bei der Subbulakshmi-Aufnahme die Youtube-Fassung separat auf dem Bildschirm parat halten, können Sie zur Übung die Teile beider Versionen – stückweise vergleichend – abwechselnd nacheinander anspielen. So oft und so lange, bis Sie ein Gefühl für die Länge und die Vergleichbarkeit der einzelnen „Zeilen“ entwickeln.
Wenn es Ihnen „erkenntnisträchtig“ gelingt, zeugt dies von interkultureller Musikalität, und Sie können stolz auf sich sein.
Sie beginnen also auf der Vina-CD – siehe folgende Auflistung – im Tr. 4, das ist in der Gesamtzeitzählung der Youtube-Aufnahme bei 15:21, jedoch startet der Krti-Teil 1. , der zum Vergleich ansteht, erst bei 16:46. Die Gesamtdauer der Komposition in dieser Version endet bei 21:50.
Vina: Rajeswari Padmanabhan & Karaikudi S. Subramanian
1. Varnam: Moha-Lahiri 0:00 2. Krti: Sri-jalamdharam 4:44 3. Krti: Samkari Niv’ani 9:40 4. Krti: Sambho Mahadeva 15:19 5. Krti: Cittam Eppadiyo 21:58 6. Alapanam – Tanam – Krti: Kaddanuvariki Mit / With Kalpana-Svarams 28:04 7. Tillana: Di Mi Ta Ja Nu 46:26 8. Mangalam: Pavamanasutudu 54:25 9. Krti: Ramacandram 55:29 10. Krti: Mari Vere 1:02:17
Unten die WERGO-CD, deren Begleitheft mit Notationen und guten Analysen von Pia Srinivasan Buonomo stammt.
PAUSE für eigene Experimente und Vergleiche.
Links auf dem Titelfoto der CD (und LP): das ist er, den ich am 1.2.2008 im Münster wiedersah: damals hatte er gerade in den USA promoviert: Dr. Karaikudi S. Subramanian. Jetzt soll es um die Musik gehen, zu der die Aufnahmen von damals – dank der Vorarbeit von Dr. Pia Srinivasan Buonomo – nach wie vor beste Hilfestellung leisten. Zunächst folgt der ganze Artikel, der sich auf dieses eine Stück der CD bezieht, das wir nun ja sogar in zwei exemplarischen Versionen zur Hand haben.
Ein langes schwieriges Wort (Madhyamakala…) wird an anderer Stelle erläutert, anhand einer anderen Komposition:
Dies hier ist die Skala des Raga Bauli (Bowl), die normalerweise auch nicht ohne die melodisch verbindlichen Ornamente (zweite Zeile) vorgetragen wird:
Zugegeben: das alles ist viel Text für ein kleines Stückchen Musik, und ohne gründliche Vorbildung und Einübung – denke ich – kann man daraus kaum klare Tongestalten imaginieren oder hörend identifizieren. Und um mit meiner Ermunterung glaubwürdig zu bleiben, müsste ich noch viel mehr Text produzieren. Ich versuche es trotzdem, – ohne Rücksicht auf Verluste! Ich werde von Zeilen (der Melodie) sprechen, obwohl im Kommentar davon nicht die Rede ist. Sondern von „Avartam“, das ist der kleine Melodieabschnitt, der auf eine Talam-Länge passt (Talam: 1 Rhythmusperiode, in diesem Fall 2+4 oder 3+3 oder 4+2). In Beispiel 16 sehen wir 2 „Avartams“, die zusammen (!) eine Melodieperiode bilden. Es wäre hilfreich, wenn wir genau diese eine Zeile in den klingenden Tönen wiedererkennen, das hieße: wir haben sie be-griffen. Tatsächlich: wir hatten gesagt, unsere Krti beginnt genau bei 16:46, Avarta 1 und 2 konzentrieren sich dann auf das untere c, die Trommel hat sich minimal später dazugesellt, auf 16:55 beginnt das im Notenbeispiel wiedergegebene Avartam-Doppel (genannt 1. + 2. Variante), und so geht es bis genau 17:05 (wieder auf c gelandet). Bis 17:55 folgen nun die weiteren Avartams incl. Ruhepunkt auf g, Pallavi-Teil zuende (oder wird er wiederholt?).
Sie werden zwangsläufig oft neu angesetzt haben, um diese 2 (und die danach folgenden) Varianten genau wahrzunehmen. Es kann auch nicht schaden, den Rhythmus (Talam) mitzuzählen, jeweils 1 bis 6 pro Avartam. Wieviel – Zeilen haben Sie, oder hätten Sie, wenn Sie nachgezählt und vielleicht ein Notenschema vorbereiten wollte (als fleißiger Musikethnologe zum Beispiel?).
Wenn Sie jetzt zurückgehen in die Einleitung, um dort die für den Raga(m) Bauli festgelegten Töne in ihrer Charakteristik zu erfassen, sie finden sich in Notenbeispiel 16, Arohanam ist Skala aufwärts, Avarohanam abwärts, man sieht die kahle Skala und darunter die verbindlichen Ornamente.
Aber noch etwas Interessantes steht im Kommentar:
Dieser Sanskritvers beginnt in unserer Subbulakashmi-Aufnahme bei 0:55 und endet bei 2:14, zu vergleichen mit der Vina-Aufnahme ab 15:57 bis 16:45 (also hier sehr verkürzt).
Sie werden des öfteren die Vina-Solistin singen hören, hier im Untergrund, in der tiefen Oktave, aber vor allem die zweite Vina wunderschön mitgehen hören: Zauber der Vina.
Wenn Sie das letzte Beispiel weiterlaufen lassen, hören Sie – wie gesagt – den Pallavi mit seinen Varianten vollständig, und noch weiter, um den besagten Schlusswendungen des Refrains auch nach den nächsten Teilen wiederzubegegnen (19:05, 19:30, 20:40, 21:30 Ende). Immer mit gedehntem „as“ auslaufend auf die Quinte g (nicht auf den Grundton c): für mich ist dies das Signum des Frühlings, von dem im folgenden Youtube-Film die Sängerin Charulatha Mani spricht.
Ich möchte für heute abschließen mit 2 Seiten des Skriptes, das ich damals für die Sendung des Münsteraner Konzertes geschrieben habe.
Von Vina zu Sarod
Der 15. März 2008 angekündigt, der 16. Januar 1997 im Sinn:
bei Amjad Ali Khan