erhielt ich wieder einmal willkommene Post vom Philosophie-Magazin, das oft die Themen trifft, die einen gerade am meisten bewegen:
Liebe Leserinnen und Leser,
nach dem Attentat auf Donald Trump ist die Sorge vor einer noch weiter zunehmenden Spaltung innerhalb der Bevölkerung in den USA groß. Bereits durch den Sturm aufs Kapitol, den Trump maßgeblich befeuert hatte, lag die Gefahr eines Bürgerkriegs in der Luft. Wird sie sich jetzt, da der Ex-Präsident selbst Opfer eines Anschlags wurde, potenzieren?
Es lohnt sich, vor diesem Hintergrund „Masse und Macht“ von Elias Canetti wiederzulesen. Im Kapitel über „Das Wesen des parlamentarischen Systems“ beleuchtet er, inwiefern der Bürgerkrieg in seiner psychologischen Struktur im Zwei-Parteien-System aufgehoben ist. So liegt für Canetti die Errungenschaft des Politischen gerade darin, dass – trotz harter verbaler Auseinandersetzungen – der Tod durch die Sublimationsleistung der Stimmabgabe überwunden und ausgeschlossen wird. Wird diese heilige Regel angetastet, besteht in der Tat großer Anlass zur Sorge, dass der Krieg zurückkehrt.
Unsere politisch hochnervösen Zeiten machen es schwer, in die Entspannung zu finden. Wie komme ich zur Ruhe? So lautet das Titeldossier der aktuellen Ausgabe des Philosophie Magazins, die jetzt – pünktlich zur Sommerpause – im Handel erhältlich ist. Meine Kollegin Theresa Schouwink stellt wegweisende philosophische Strategien von Seneca, Sextus Empiricus, Michel de Montaigne, Martin Heidegger und Simone Weil vor, die uns helfen, runterzukommen.
Ich werde mir gern zu sommerlicher Entspannung verhelfen, wenn das so einfach geht: zum Bahnhof fahren und in der Buch- bzw. Zeitschriftenhandlung nach der aktuellen Ausgabe fragen!
Mehr noch: vorher muss ich bei Elias Canetti nachgelesen haben, was es mit dem „Wesen des parlamentarischen Systems“ auf sich hat. (Ich bin stolz: meine recht zerlesene Ausgabe stammt aus dem Jahr 1982. Weniger stolz, dass ich kaum von selbst auf die Idee gekommen wäre, diese Seiten dort wieder aufzuschlagen.)
Quelle Elias Canetti: Masse und Macht / Fischer Frankfurt am Main 1982 – neu und schonend gescannt wie folgt:
17.07.24 15.00 Uhr. Ich war also am Bahnhof und in der Buchhandlung Jahn (neues Exemplar Canetti „Masse und Macht“ als Geschenk für Emi), – allerdings, was das Philosophie-Magazin angeht, erwies sich der Kauf als ein Fehlschlag: offenbar war der politische Dreh mit Trump und Weltpolitik im Zwei-Parteien-Parlamentarismus eine Irreführung aus aktuellen Gründen. Es gab plötzlich Wichtigeres als den Sommerurlaub und allgemeine Ruhefindung. Aber das Heft war halt schon fertig. Und es liest sich auch gut, erfüllt aber nicht die geweckten Erwartungen…
Inhaltsverzeichnis Philosophie-Magazin
Selbst Svenja Flaßpöhlers Editorial über das Einschlafen lese ich nun mit Widerspruch. Ihr mehrere 100 Jahre altes Haus in der Bretagne, mit den dicken Mauern und dem kleinen Fenster, das den Blick auf den mittelalterlichen Turm einer Stiftskirche freigibt, wirkt auf mich durchaus klaustrophobisch. Ich möchte meine völlig unphilosophische Einschlafmethode dagegensetzen, die sich auf das Atmen oder Nicht-Atmen stützt, also etwas Inneres, und dabei zwanglos einer methodisch einfachen, wiederholten Zählpraxis von 1 bis 12 folgt.
(Fortsetzung folgt)
Nochmals: was ist mit dem Zwei-Parteien-System, dessen Schwachstelle doch in den USA offenzuliegen scheint? Die Spaltung der Gesellschaft scheint unheilbar, der Populismus hat leichtes Spiel. Selbst die Gefahr eines Bürgerkriegs ist offensichtlich, wie Canetti mit echten Toten statt mit Zahlen und Mehrheiten zu rechnen, scheint nicht absurd. Ich studiere wie immer zunächst, was Wikipedia über das Zwei-Parteien-System mitzuteilen hat: Hier.
Zudem sollte man sich über das Prinzip der Wahl überhaupt klar werden: Hier.
Auch z.B. über das in den USA geltende (problematische!) Wahlmännerverfahen.
Eine sehr hilfreiche Lektüre bietet der Wikipedia-Artikel über das „Politische Spektrum“, von dem man annehmen kann, dass es von der Überbewertung des Individuums bis zur Überbewertung der Masse als solcher reicht, von ganz rechts bis ganz links. Natürlich ist es komplizierter.
Ein politisches Spektrum ist ein Ordnungssystem, das politische Ideologien mithilfe von geometrischen Achsen vergleicht. Ursprung und bis heute verbreitetste Anwendung ist die eindimensionale Unterscheidung in links und rechts. Zur genaueren Klassifikation politischer Ideologien werden heute aber auch verschiedene andere eindimensionale oder mehrdimensionale Klassifikationssysteme verwendet… (weiter a.a.O.)
(…)
Ein Hauptkritikpunkt ist die extreme Vereinfachung der politischen Landschaft durch die Projektion verschiedener programmatischer Unterschiede auf eine einzige Achse. Für den Philosophen Johannes Heinrichs ist zudem „[d]as Operieren auf der eindimensionalen Achse von Links und Rechts … heute nicht bloß überholt, auch nicht bloß untauglich, sondern friedensstörend und fortschrittsfeindlich.“ (weiter a.a.O.)
Wenn Sie den zweiten Teil des folgenden Blog-Artikels aufsuchen, verstehen Sie, warum ich für jede unverhoffte Wiederbegegnung mit diesem Philosophen dankbar bin. Um es methodischer zu betreiben, dazu fehlt mir nicht der Bedarf, nur der direkte Anlass, – hier hat er sich plötzlich eingestellt. Gestern in der ZEIT. Zugleich die Rückbesinnung auf 2019 / 2020, jawohl die Jahre waren nicht umsonst. Vorweg etwas zur Biographie Charles Taylors (Wikipedia).
[Nebenbei: die Verwechslung der Philosophen Charles Taylor und Richard Taylor aufzuklären, wie in meiner Erinnerung an des letzteren eindrucksvollen Essay „Sisyphus und wir“ (Der Sinn des Lebens bzw. The Meaning of Life in: Good and Evil: A new Direction, New York 1970).]
(Fortsetzung folgt)
Romantik als Revolution
1961 2007
2024
Ich sollte hier innehalten und den Zusammenhang überdenken, allerdings werde ich beständig beim Lesen durch Assoziationen „belästigt“, die ich vorsortieren oder wenigstens erreichbar halten muss, auch wenn sie im Moment nichts Dringendes zum Thema beitragen. Z.B. lese ich in dem Jaspers-Buch (Thema Achsenzeit) hochinteressante Ausführungen zu Spengler (und Toynbee) und zu Portmann, die ich im Original nie aufschlage, ohne mich festzulesen. Oder z.B. aufgrund der folgenden Taylor-Bemerkung, die mich irritiert, obwohl ich dem Kanadier ohne zu zögern eine andere Meinung zugestehe, als Menschen, die im Bannkreis Kölns leben. (Ja, denke ich – wenn man eben Hölderlin assoziiert und nicht Kardinal Wölki!)
Und schon schlage ich ein in Schreibtischnähe positioniertes Buch auf, in dem ich triftige Sätze lese, rot unterstrichen, dazu den Hinweis auf Charles Taylor, – nämlich bei Daniel Martin Feige:
Quelle: Daniel Martin Feige: Die Natur des Menschen / Eine dialektische Anthropologie / Suhrkamp Berlin 2022
Die Menschheit steht vor existenziellen Konflikten über die Nutzung und Verteilung unserer wichtigsten Ressource. Wasser ist knapp, aber der weltweite Bedarf steigt exponentiell. Vor allem in der Landwirtschaft verschwenden wir weltweit kostbares Süßwasser. Welche Folgen hat die Art, wie wir leben, konsumieren und uns ernähren, auf die Wasserkreisläufe unseres Planeten?
Entlang von sechs Flüssen auf vier Kontinenten geht die Dokumentation „Wohin die Flüsse verschwinden“ der Frage nach, warum die existenzielle Ressource Wasser immer knapper wird und wer dafür die Verantwortung trägt. Mit 70 Prozent ist die Landwirtschaft der Hauptverbraucher von Süßwasser. Und davon geht ein großer Teil in die Produktion von Futtermitteln. Unser übermäßiger Fleischkonsum ist mitverantwortlich dafür, dass mächtige Flüsse wie der spanische Ebro oder der Colorado in den USA und Mexiko austrocknen. Große Agrarkonzerne verdienen damit Milliarden. Die Filmemacher Manuel Daubenberger und Felix Meschede sprechen mit den Verursachern und den Leidtragenden.
Mit der Übernutzung von Wasser geht häufig auch die Verschmutzung dieser überlebenswichtigen Ressource einher. Europa hat seine schmutzigsten Industriezweige in Länder wie Indien ausgelagert. Etwa 20 Prozent der weltweiten Wasserverschmutzung geht auf die Textilindustrie zurück. Der Dokumentarfilm gewährt seltene Einblicke in die indischen Fabriken und das Leben entlang ihrer Abwässer. Doch der Film zeigt nicht nur Probleme auf, er trifft auch Menschen mit Lösungsansätzen: In Frankreich werden Staudämme abgerissen, um Flüsse wiederzubeleben, in einer ägyptischen Oase experimentieren die Bewohner mit Hydrophonie und in Indien nutzt der sogenannte Wassermann eine jahrtausendealte Technik, um mitten in der Wüste Flüsse wieder fließen zu lassen, die Jahrzehnte ausgetrocknet waren. „Wohin die Flüsse verschwinden“ ist ein Dokumentarfilm, der zum Nachdenken anregt und zugleich Hoffnung macht.
Es ist ja ein bekanntes Phänomen: wer einen Text über Musik verstehen will, ohne die Musik zu kennen, von der die Rede ist, kann zwar mitreden, ohne aufzufallen, darf sich aber nicht aufs Singen verlegen, um sich zu verdeutlichen. Dann ist er geliefert. Er hat nicht gehört!
Also: egal welche Rolle das Video spielt, ich will mich nach alter Schule durch Mitsingen vorbereiten und prüfen, ob sich das Mitreden lohnt.
Und Sie? Funktioniert’s? (Springen Sie nach unten in die Videos, statt sich mit weiteren Texten abzurackern!)
Wie läuft’s mit dem Singen? Aha, Sie haben gleich den Songtext mitgeübt…
[Chorus] I’m not your friend or anything Damn, you think that you’re the man I think, therefore, I am I’m not your friend or anything Damn, you think that you’re the man I think, therefore, I am [Verse 1] Stop, what the hell are you talking about? Ha Get my pretty name outta your mouth We are not the same with or without Don’t talk ‚bout me like how you might know how I feel Top of the world, but your world isn’t real Your world’s an ideal.
Den gesamten Text findet man abrufbar unter dem oben gegebenen Youtube-Link. Im folgenden Link dagegen das Video, so wie es im Text beschrieben wird. (Allerdings mit minimal abweichenden Zeitangaben.)
2)
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Woher stammen diese Themen?
3/2024
Am Tag nach der Stoffsammlung überfällt mich mein Solinger Tageblatt mit der knappen Einsicht:
Zweifellos: unter dem Aspekt der melodischen Qualität habe ich bisher nicht draufgeschaut, während der M&Ä-Artikel sogar fast ausschließlich die Besonderheit der Videos behandelt hat, oder auch bestimmte Business-Vorgänge, und am Ende auf die (hoffentlich) zu erwartende politische Wirkung im amerikanischen Wahlkampf hinausläuft.
Pop arbeitet also einfach nur mit der Methode der Politik: es geht um Schlagzeilen-Wirkung. Ganz simpel!
Aber großartig, wenn es der demokratischen Sache dient!
Und dann kommt mit der Post die neue ZEIT, darin ein Dossier , 3 große ZEIT-Seiten über Taylor Swift, 2 davon eng bedruckt, ich lese hier, ich lese da, und mich erfasst eine solche Themenabstoßungskraft, dass ich diesen Artikel schleunigst verlasse, um andere Herausforderungen zu suchen…
Fassungslos bewege ich die Schlagzeile in meinem Herzen.
ZEIT Dossier 5.7.24
(10.07.24) Warum kann ich es mir nicht einfacher machen? Alles was unter Pop läuft: aus meinem Gesichtskreis / Hörbereich verbannen? Keine Zeit verlieren auf Nebenwegen, auch nicht andere Kulturen in Betracht ziehen, es ist nun mal so: der Gipfel der Musik (und der Metaphysik) wurde im Abendland erklommen. Wenn man wirklich einen Beweis dafür braucht, nehme man sich Zeit, denn es gilt, ein Buch zu durcharbeiten, etwa 800 Seiten lang, darin ist alles ausgebreitet, was an Wissen und Fühlen ausgebreitet werden kann. Sozusagen der Stein der Weisen in einer Nussschale, die riesengroß ist. In der Zeitschrift Das Orchester fand ich eine überzeugende Besprechung, die zwar all meinen Erwartungen widersprach, zumal ich durch ein früheres Buch des Autors vorgewarnt war: es könnte auch die ins Maßlose projizierte Erweiterung seiner alten Vorurteile darstellen. Aber er wird doch nicht vergebens ein so gewaltiges Wissen angehäuft haben. Wer sagt es mir, – mein Zeitkontingent ist endlich, ich habe selbst viel Jahre mit Klassik verbraucht, habe sogar im Lauf des Lebens immer mehr Klassikkulturen entdeckt, es nahm keine Ende, arabische, indische, indonesische Klassik. Und wieviel Volksmusiken in jeder Sphäre der Welt, wer sagt mir denn, welche nichts wert ist, oder derart anders, dass es gar nicht lohnt, genauer hinzuhören? Dasselbe gilt für Pop, – es sind zu viele Menschen, die darauf hereinfallen… Also zunächst dieser Zwischenschritt:
Eine Zweitmeinung könnte von Nutzen sein: Hier (SWR Hannah Schmidt).
Soll man das als (höhere) Kultur verkaufen? Schadet es ihr oder den Fans, wenn nicht ?
Natürlich: alles kann man unter dem Label Kultur anbieten, wenn es mit Sprache, Kunst und Musik im allerweitesten Sinne zu tun hat. Wenn auch eigentlich nicht mit den Bedeutungen, die heute noch dem Begriff der Kultur aus der „Bildungswelt“ anhaften. Wenn ein Sprachwissenschaftler herbeigeholt wird, der unbedeutende Texte „wissenschaftlich“ untersucht, als sei das mit der „großen“ Lyrik vergleichbar, die ihn beruflich fordert.
Man sieht auf einen Blick, wie er den Anspruch herunterschraubt, um irgendetwas im Song – losgelöst von der vielleicht vorhandenen Aufführungsmagie – als poetisch aufgeladen zu verstehen.
Schon nach 10 Sekunden Gitarreneinleitung wissen Sie mehr, und nach 10 Minuten begleitender Lektüre haben Sie eine ganze Anzahl von Zeilen, die lyrisch „aufgeladen“ sind und auch benannt und interpretiert werden könnten. Für jeden. Da hat er recht, aber er müsste es auch tun.
Quelle Solinger Tageblatt 16.07.24 Seite 7 „Swift erzählt Storys mit Humor“
Zitat t-online 22.07.24 (folgt)
Ohrenschmaus
Falls Sie dachten, Deutschland hätte den Hype um den größten Musikstar der Welt überstanden, habe ich eine schlechte Nachricht für Sie: Taylor Swift zieht weiter und spielt am Dienstag und Mittwoch im Hamburger Volksparkstadion. Wenn Sie sich immer noch fragen, was die eigentlich für Musik macht, kommt hier ihr Lied mit den meisten Abrufen bei YouTube. Es sind unglaubliche 3,5 Milliarden.
Warum??? Ist es die im Film gezeigte Geschichte?? Das märchenhafte Milieu als Teil der Schickeria? (Ein unlösbares Rätsel)
Musik in Noten (Anfang) hier ansatzweise, der Rest ist leicht zu ergänzen…
Text auf einen Blick hier – anschließend die inhaltliche Beschreibung, der „Sinn“ … Zitat:
Taylor Swift plays her “serial dater” image to her advantage with “Blank Space,” a synth-pop anthem that the RIAA certified 8x platinum in July 2018. Swift explained to GQ in October 2015 that she wrote the song from the perspective of the “crazy, but seductive, but glamorous, but nuts, but manipulative” woman that the media painted her as.
Throughout the song, Swift carefully brings this character to life through juxtaposition that showcases her raging passion. She also included the noise of a pen clicking towards the end of the chorus, suggesting that the character is writing her new lover’s name in her “blank space.”
In der Schule wohl kaum. Aber ob ich mich ohne sie je an Menander erinnert hätte? In der GUO1, Unterprima, 1958, das genaue Datum 15.8. steht unter dem Schrieb da unten, – am 31.8. starb mein Vater.
Wie man sieht, dachte ich an Robert Musil. Meine Rettung. Glasklare Mystik. Und an einer so kleinen Griechisch-Aufgabe scheiterte ich. 15.8.1958 . Unterschrift : Winkler. Oberstudiendirektor, und doch ein tadelloser Lehrer und Mensch. Er hat mir nachher unentgeltlich Nachhilfestunden gegeben.
Die genannten Städte Aigesta und Eryx betreffen Karthago. Hätte ich je auf die Idee kommen können, dass sich hinter Menanders blass gedruckten Texten Bühnenszenen von solcher Lebendigkeit verbargen?
um 200 v.Chr.
Wann hätte ich je das Cover-Bild der Schullektüre betrachtet, um es als Zeugnis einer stattgefundenen Realität zu erschließen? Leute, die mit Masken(köpfen) hantieren?
Worin also liegt die Lebendigkeit, die sich wirklich in solchen griechischen Festen Luft verschafft, in der Trilogie von Tragödien, denen ein Satyrspiel folgt. Was geschieht da wirklich an innerer Bewegung? Wir können sie nicht imitieren oder gar amalgamieren, wir müssen sie mühsam erarbeiten. Ich habe erst eine Ahnung davon bekommen bei – ja, ausgerechnet bei Oswald Spengler, einst! und jetzt bei Christian Meier, der lediglich schreibt, was ihm sonnenklar erscheint:
daß es sich bei den Griechen mit den Festen sehr anders verhalten haben muß als bei uns. Genaueres darüber wird man wohl am ehesten durch Analogieschlüsse aus ethnologischen Erkenntnissen ermitteln können.
Ein unschätzbares Buch:
Quelle Christian Meier: Die politische Kunst der griechischen Tragödie / C.H. Beck München 1988, ²2022
Oder läuft es über eine gelungene Übersetzung? Etwa von einem, der das Land der Griechen mit der Seele suchte? Gewiss, es ist angemessen, diese Welt über das WORT zu packen (statt über die Visualität). (Eingedenk der Zeile von Stefan George: Kein Ding sei, wo das Wort gebricht.)
Aber schon der Weg zu Hölderlin ist steinig, doppelt schwer vielleicht der Weg über ihn (mit ihm) ins Land der klassischen Antike, das uns von lauter Statuen zugestellt ist. Aber die Worte und der Geist? Ungreifbar, unbegreifbar.
http://www.hoelderlin.de/materialien/pdf/kolonos.pdf hier (öd = Ödipus, an = Antigone)
öd o augenlicht
antigone sind häuser nahe
wo ich betteln kann
um etwas
ich ödipus
von leid gelehrt
die lange zeit
und einsicht
königliche
kind ruhen muß ich
ists verboten hier
so hörts der fremde
früh genug an o vater nah ist die stadt
und heilig scheint der ort
drin schlägt die nachtigall
öl wein und lorbeer
wachsen beieinander wild
dort läd ein rauher stein
den wanderer zur ruhe öd achte auf mich blinden kind an lernt ich es nicht öd wo bin ich an dort hinten liegt athen öd den weg her hör ich das an ich frage wenn du willst öd wo keiner da ist
https://www.projekt-gutenberg.org/autoren/namen/sophokle.html hier
https://de.wikipedia.org/wiki/Orestie hier AISCHYLOS
Für ein 1954 gemeinschaftlich vom SWF/BR/RB/ORF unter der Regie Gert Westphals produziertes Hörspiel übersetzte und bearbeitete Walter Jens die Trilogie. Sein Ziel war es, die Tragödie in ihrer ganzen Unmittelbarkeit wirken zu lassen. Wie viele Hörspiele dieser Zeit hat es Kammerspiel-Charakter und kommt ohne besondere Toneffekte aus.
Abrufbar unten: Die Orestie – Hörspiel
Dazu als alternative Übersetzung:
https://otto-schoenberger.de/meisterdramen/agamemnon.html hier
Pressetext zum Hörspiel
Bei oberflächlicher Betrachtung erscheinen uns heute die Gestalten und Begebenheiten der „Orestie“ allzuleicht als barbarische Greuel einer längst vergangenen Frühzeit: Agamemnon lässt seine Tochter Iphigenie opfern, um günstigen Fahrtwind nach Troja zu bekommen. Klytämnestra ermordet ihren siegreich aus Troja zurückkehrenden Gemahl Agamemnon. Orest erschlägt, um den getöteten Vater zu rächen, seine Mutter Klytämnestra und deren Liebhaber Ägisth. Von den Rachegöttinnen gejagt, irrt Orest ruhelos durch Griechenland, bis er sich auf Geheiß des Gottes Apollon dem Gerichtshof von Athen stellt. Diesen Vorgang hat Aischylos in einer Trilogie gestaltet. Er hat damit aber nicht eine Vision des Nichts und der Grausamkeit beschwören wollen, sondern, und das ist das Entscheidende, die Nichtigkeit aller Menschengröße gezeigt und gleichzeitig die Größe des Menschen, der den Kampf mit seinem Schicksal annimmt. Es ist eine Macht oberhalb und außerhalb des Menschen. Daß er sich nicht mit der Verzweiflung begnügt, sondern handelt, macht seine tragische Größe aus. Aischylos wäre kein Grieche gewesen, wenn sein Blick nur die Nachtseite des Lebens umfasst hätte. Am Ende wird Orest von der Göttin Athene freigesprochen, weil das Gericht der Menschen vor der Gewalt seiner Schuld versagt. Orest darf in das Leben zurückkehren. Die Götter haben den Menschen mit einem Fluch belegt, die Götter befreien ihn von diesem Fluch.
Veröffentlichung: 1954 Autor: Aischylos Komposition: Rolf Unkel Technische Realisierung: Friedrich Wilhelm Schulz, Marlies Kranz Regieassistenz: Lothar Timm Regie: Gert Westphal
Hören bis Min. 48.04 (Ende des 1. Teils „Agamemnon“, im letzten Wort wir Orest angekündigt). Danach: „Die Grabesspenderinnen“ dazu hier https://www.projekt-gutenberg.org/aischylo/grabess/grabess1.html / Korrekter Titel Coephoren (siehe nochmals Wiki hier)
Anfangs in „Agamemnon“ die Leuchtfeuerstationen (wiederum aus Wikipedia):
– im Originaltext bei Schoenberger der Wortlaut entsprechend „Klytaimestra“ wie folgt:
Hephaistos war der Bote, der vom Ida leuchtenden Glanz aussandte. Und ein Flammenzeichen löste im Postenlauf des Feuers das andere aus: Vom Ida zum Hermesfels auf Lemnos, und von dieser Insel empfing der Athosberg des Zeus den dritten mächtigen Fackelschein; (285) übergewaltig drang die Kraft des wandernden Feuerscheins vorwärts, übersprang wie im Scherz den Meeresrücken, gab sonnengleich den golden leuchtenden Glanz den Warten des Makistos weiter. (290) Der aber, nicht zögernd oder achtlos von Schlaf übermannt, erfüllte seine Botenpflicht und meldete die Ankunft des Feuerzeichens den Wächtern auf dem Mesapios, fern bei den Fluten des Euripos. Diese wieder steckten einen (295) Haufen trockenen Heidekrauts in Brand, entfachten ein Feuer und gaben so die Botschaft weiter. Kraftvoll und durchaus nicht erlahmt übersprang der Fackelschein die Asoposebene wie der glänzende Mond, hinüber zum Felsgebirg des Kithairon, und weckte einen weiteren Feuerposten. (300) Die Wache sparte nicht am weithin meldenden Licht, ja sie verbrannte mehr Holz, als angeordnet war. Über den Gorgopis-See flog nun das Licht, kam zum Geißberg und trieb die Wächter an, befohlenes Feuer eilig zu entfachen. (305) Diese senden, die Flamme reichlich nährend, eine mächtige Feuersäule, die sogar die weithin sichtbare Steilküste des Saronischen Golfs übersprang; darauf eilte sie weiter und kam zur Arachnaion-Höhe, der Warte nahe unserer Stadt. (310) Dann drang das Licht, das dem Feuer auf dem Ida entstammte, hierher zum Dach der Atriden. Dies also war die Ordnung der Feuerzeichen, die ihre Pflicht der Reihe nach erfüllten. Den Preis aber gewinnen der erste und der letzte Läufer. (315) Solches Zeugnis und Zeichen meines Gatten nenne ich dir; er sandte es mir aus Troia.
Heißt das etwa, bestimmten Parolen folgen, die uns ein Gefühl von Stärke vermitteln, und zwar mit Hilfe von Mehrheiten, an denen wir teilhaben? Oder etwa die ANDEREN?
Wohl nicht. Es beginnt vielleicht einfach mit intensivierter Zeitungslektüre. Nachdenken. Mitdenken. Ich lese also, wie ein anderer etwas gelesen hat. Hier z.B. zündete es kürzlich gerade bei mir (ein neues Buch ist womöglich fällig, – der Titel wird gleich zu Anfang genannt):
bitte vergrößern durch Anklicken!
Ah, ich hätte auf Anhieb nicht einmal sagen können, was genau eine Liberale Demokratie ausmacht. Also bitte: lies nach. Es ist nur ein kurzer Wikipedia-Artikel! Ja, Gewaltenteilung, das hätte ich auch genannt, diese Balance hat mich schon immer fasziniert. Und da sind auch noch andere Nachschlag-Stichworte… freie Wahlen, Gewaltentrennung, Rechtsstaatlichkeit, Menschen- und Bürgerrechte … Oder soll ich erstmal den Zeitungsartikel weiterlesen?
Da wird des weiteren erläutert, dass dieses Narrativ nunmehr „dekonstruiert“ sei, es sei nämlich eine parteiische Erzählung. Es werde dabei so getan, „als sei die liberale Demokratie die Demokratie schlechthin, alles andere bloß eine elektorale Demokratie, der es zur vollen demokratischen Dignität an der rechtlichen Einhegung des Mehrheitswillens fehle.“ Dann heißt es:
Liberal sind Demokratien nur dann, wenn starke Verfassungsgerichte Gesetze verwerfen können, die von parlamentarischen Mehrheiten verabschiedet worden sind.
Liberale Demokratien in diesem Sinne seien historisch jung. Erst seit 1990 sei die Anzahl der Staaten mit starken Verfassungsgerichten sprunghaft in die Höhe geschossen, weil sich vor allem die osteuropäischen Länder am deutschen Modell orientierten. „Doch selbstverständlich gibt es historisch ehrwürdige Demokratien, die den Akzent ganz anders setzen – man denke an das Vereinigte Königreich.“ Sie hier. (https://de.wikipedia.org/wiki/Politisches_System_des_Vereinigten_K%C3%B6nigreichs)
Man könnte einschnappen bei dem Satz: „Je mehr Quatsch das Volk wählt…“, ebenso, wenn nachher vom „rohen Mehrheitswillen“ die Rede ist. Dabei spricht man privat ständig so über grundsätzliche Bedenken, wenn populistische Sentenzen Wirkung zeigen.
(Fortsetzung folgt)
ABBRUCH mit Quellenangabe
Quelle DIE ZEIT 20. Juni 2024 In welcher Welt werde ich leben? In diesem Buch spielen Kinder eigentlich gar keine Rolle, trotzdem geht es darin um sie: Der Politikwissenschaftler Philip Manow denkt über die Zukunft der Demokratie und ihre selbst gesteckten Grenzen nach / von Ijoma Mangold
(Fortsetzung bald)
Zum Widerspruch – dieses Gespräch mit Bazon Brock
Hatte ich es nicht selbst thematisiert im Jahre 2010 ? hier
Folkwang Universität der Künste in Essen Symposium „Kulturelles Handeln im transkulturellen Raum“
18. Nov. 11.30 Uhr
„Transkulturelle Verständigung und die Lust, sich musikalisch abzugrenzen“ (Reichow)
Man kann es üben an der gegenwärtigen Aufregung über das Zeichen der „grauen Wölfe“ bei der Fußball-EM, das man tolerieren oder ahnden kann. Gehört es zu der anderen Kultur (oder zu ihren Schattenseiten)?
Auch die Vergangenheit der Moderatorin (im Bazon Brock Video) ist nicht o.k., – spielt das hier eine Rollle? Sie arbeitete von 2014 bis 2021 für den russischen Propaganda-Sender RT DE. Dort moderierte sie von November 2014 bis zur Einstellung im Juli 2020 die Sendung Der Fehlende Part. Danach leitete sie die Social-Media-Abteilung von RT DE. (Siehe Wikipedia hier).
Seine Pauschalisierung ist nicht hinnehmbar. (Forts.folgt)
Das Dossier der ZEIT umfasst 4 volle Seiten, und einige Fotos von tüchtigen alten Leuten animieren uns, ihnen nachzueifern.
Und wir sind gespannt, mit welcher Einsicht wohl der Abschluss des Artikels aufwartet. Gibt es eine allgemeine Schlussfolgerung, vielleicht ein zwar spätes, aber immer noch gültiges Lebensprogramm? Für alle?
Unter den nicht mehr ganz jungen, abgebildeten und beschriebenen muskulösen Glückspilzen fällt uns ganz besonders ein gewisser Friedhelm Adorf (83) aus Heupelzen ins Auge. Kann er es mit den neuesten Studien zur Glücksforschung aufnehmen? Lesen Sie selbst (doppelt):
Quelle DIE ZEIT 13. Juni 2024 Seite 11 ff Der Sprung ins hohe Alter von Philipp Daum
Die Kehrseite
Falsch sei es, von nur einem Elixier des Lebens zu sprechen, – könnte man denken. Man brauche mindestens soviel Medikamente, wie man Organe hat, und noch viel mehr, wenn man sehr viel Geld hat. Einer der diese Haltung vorlebt, wird in Wikipedia folgendermaßen beschrieben (im Zitat habe ich alle weiterleitenden Links eliminiert):
Anti-Aging Vorhaben
Am 13. Oktober 2021 kündigte Johnson einen Anti-Aging-Versuch an, den er „Project Blueprint“ nennt. Johnson hält sich an ein strenges Diät- und Trainingsregime, um sein Leben zu verlängern. Er gibt dabei jährlich über zwei Millionen US-Dollar für seine Gesundheit aus und soll über 100 Pillen täglich schlucken. Für seine Verjüngungskur beschäftigt er über 30 persönliche Mitarbeiter. Sein biologisches Alter soll er so um fünf Jahre verringert haben. Johnson unterzog sich auch einer Reihe Bluttranfusionen, wobei sein Sohn als Spender für eine der Transfusionen fungierte, aber verkündete später, dass er die Transfusionen aufgrund des fehlenden Nutzens nicht wiederholen wird. Er gilt auch als ein Anhänger der Nutzung von statistischer Datenauswertung und künstlicher Intelligenz, um seine Lebensführung zu optimieren und seine Gesundheit zu überwachen. Den Tod bezeichnete er in einem Interview als ein „technisches Problem, das sich lösen lässt“ und verkündete seinen Plan, ewig leben zu wollen.
Einige Experten haben den Nutzen von Johnsons Anti-Aging Kuren angezweifelt, da die Lebenserwartung zum größten Teil genetisch bedingt sei. Auf X (Twitter) lieferte sich Johnson eine Auseinandersetzung mit Elon Musk, nachdem dieser einem Post zugestimmt hatte, der behauptete, dass Johnson „viel besser aussah, bevor er anfing, 2 Millionen Dollar pro Jahr für seinen Körper auszugeben“.
Der Mann ist Jahrgang 1977. Da kann einer das Blaue vom Himmel herunter beschwören, der Nachweis wird nicht möglich/nötig sein, weil die eventuell interessierten Zeugen nicht mehr leben.
Ich frage mich, wieso eigentlich ein Mensch davon überzeugt sein kann, dass ausgerechnet er als Individuum von dem allgemeinen Prozess des Lebens (und Sterbens) abgekoppelt werden sollte. Vielleicht ist die Religion schuld. Meine Oma hat mir eingehämmert: „144.000 jetzt lebender Menschen werden nie sterben“, buchstäblich, und sie betete dafür, dass sie selbst und ihre beiden Enkel dazugehören. Tatsächlich: zumindest wir zwei leben noch, mein Bruder und ich!
Aber – aus welchen Gründen auch immer – hat mich das Stichwort „Individuum“ bei der Lektüre in der Klinik bewegt, zumal das passende Büchlein spielend in meine Jeanshose gepasst hatte und – dank mangelnden Neuwertes – auch rigoroses Unterstreichen zu dulden schien. Davon später mehr. (Es könnte eine lange Geschichte werden.)
Wessen ich – ebenso wie möglicherweise dieser Mann namens Bryan Johnson – vor allem bedarf, ist eine klare Anthropologie, eine Handreichung zu der Frage: Was ist der Mensch? was meine Oma? Oder auch: was überhaupt bin ich ? Vielleicht auch: Wo stehe ich in der Welt? in unserem Universum?
Und was folgt als Punkt V.?
Also: kein kurzer Prozess mit dem Christentum!? Bleibt es Grundlage der „Humanität“? So dass dadurch wirklich jeder zählt, und wirklich ALLE gemeint sind? Hier sind erstmalig auch die Sklaven und die Rechtlosen nicht mehr ausgeschlossen. Geht es also um das ganz große WIR, das etwa … mit den kleineren Wir-Gefühlen nur anfängt? Wir lernen in diesem Punkt ja offenbar täglich etwas dazu:
Oder handelt es sich nur um eine Ich-Erweiterung? Sie sagen (mit Recht): das hat nichts miteinander zu tun. Auch die Christen haben genau hingeschaut, wer dazugehört und wer nicht. Egal, was es in der Theorie, etwa bei Thomas von Aquin, darüber zu lernen gab. Als kleine Warnung zitiere ich Adorno, wie schon früher einmal, als ich den Sport zu problematisieren trachtete, – möglicherweise zum Schein:
Denn zum Sport gehört nicht nur der Drang Gewalt anzutun, sondern auch der, selber zu parieren und zu leiden … Es prägt den Sportgeist nicht bloß als Relikt einer vergangenen Gesellschaftsform, sondern mehr noch vielleicht als beginnende Anpassung an die drohende neue … (ADORNO 1997, 43)
Während ich mich in den Gedankensprüngen dieses Blogs zu zügeln suche, erinnere ich mich der neuesten ZEIT-Lektüre, einem Gespräch mit Peter Sloterdijk, als er gefragt wird:
Sie haben Gesellschaften einmal als »Stressgemeinschaften« bezeichnet. Steht Europa vor der Zerreißprobe, weil der Stress – siehe Ukraine, Gaza, Klima – zu groß ist?
Sloterdijk: Das Konzept, auf das ich mich beziehe, geht auf den Kulturtheoretiker Heiner Mühlmann zurück, der in seinem Buch Die Natur der Kulturen von »Maximalstresskooperationen« spricht. Erfolgreiche Gesellschaften, so die These, sind diejenigen, die es gelernt haben, unter äußerem Druck nicht zu zerfallen, sondern zusammenzurücken. Man kann sich das gemeinsame Agieren wie die berühmte mazedonische Phalanx vorstellen. In ihr musste jeder Einzelne über seine Todesangst hinauswachsen und sich auf die Kooperation mit dem Nebenmann verlassen. Heute erwarten wir diesen Geist nur noch von unseren Fußballern. Wir wollen, dass wenigstens elf aus 80 Millionen wie eine Phalanx zusammenstehen.
Quelle DIE ZEIT 20. Juni 2024 Seite 48 Erklären Sie’s uns, Herr Sloterdijk Ist der Traum von Europa ausgeträumt? Ein Gespräch mit dem Philosophen Peter Sloterdijk in Paris (Peter Neumann)
Nebenbei: wie berühmt ist denn die mir völlig unbekannte „mazedonische Phalanx“? Siehe Wikipedia hier
Ich muss mich an dieser Stelle hüten wiedergeben zu wollen, was dieses ausgezeichnete Anthropologie-Büchlein zu Immanuel Kants Analysen der „Person“ (in ihrem großen Zusammenhang) erläutert. Oder zu dem weithin verkannten Max Stirner (und seinen „Einzelnen“ ohne jeglichen Zusammenhang). Dass er hier überraschenderweise auftaucht, erinnert mich an einige ihm gewidmete Seiten in Safranskis tollem Buch „Einzeln Sein“ (123-134). Alles zurückstellend, fahre ich fort mit dem Blick auf Adorno, dessen Gespräch mit Arnold Gehlen hier in Zitaten exemplifiziert wird. Der Autor und Herausgeber dieser „Philosophischen Anthropologie“ betont, dass Adorno die beiden Möglichkeiten (Kant und Stirner) in paradoxer Synthese zu einem emphatischen Begriff von „Subjektivität“ zusammenzudenken versucht hat, „dessen Verwirklichung die Fortschrittsgeschichte der Menschheit zwar versprochen, aber nie realisiert habe. Verheißen worden sei die Befreiung des Ich von allem Zwang, sowohl von seiten der Natur wie eines anderen Menschen. Verwirklicht worden aber sei das gerade Gegenteil.“ Die Rede ist vom „Projekt der Moderne“: – – – da es die logisch-begriffliche wie die technisch-wirkliche Unterdrückung der Natur zur Voraussetzung gehabt habe – – – (lesen Sie bitte weiter:)
Haben wir eigentlich zu Anfang dieses Blog-Artikels von Einzelnen gesprochen, die hervorragen aus der Menge der Alten, oder stillschweigend von Allen, da ja jeder Mensch die Chance haben soll, alt zu werden, ohne zu verkümmern? Wir haben schon dort darauf aufmerksam gemacht, wie die Anthropologie aus methodischen Gründen die Rubrik IV. „Der Mensch als Gesellschaftswesen“ der Rubrik V. „Der Mensch als Einzelwesen“ vorangestellt hat. Die Anthropologie oder die Soziologie? Im Büchlein folgen Auszüge aus einem Gespräch zweier Individualisten, wie sie im Buch stehen, Theodor W. Adorno und Arnold Gehlen. In den 60er Jahren habe ich Adornos Radio-Vorträge auf Tonband aufgenommen und in Einzelfällen – um sie nicht zu verlieren – verschriftlicht, ein mühsames Unterfangen, siehe im Blog hier. Im folgenden Gespräch – das Stichwort „der Mensch“ ab 5:23 (als geschichtliches Wesen, von Gesellschaft geformt, „Industriekultur“, Tauschverhältnisse, Max Weber, Fortschritt „von selbst“, Mündigkeit, „Entformung“, Nivellierung durch Tausch, Produzierung der Bedürfnisse, zu den Institutionen 32:00 siehe im Büchlein wörtlich S.124, Familie, Eigentum, Sicherheit, „Institutionen schützen den Menschen vor ihm selber“, technische Begabung, neurotisch, Überflüssigkeit des Menschen ).1965.
Quelle (das „Büchlein“): Arbeitstexte für den Unterricht / Philosophische Anthropologie / Reclam 5012 [2] Für die Sekundarstufe II Herausgegeben von Hans Dierkes Stuttgart 1989
Wollen Sie wissen, ob Adornos Diagnose von der Nivellierung durch Tausch, der Entwertung der Qualität durch den Markt, der „Entformung“ – heute noch so akut ist wie damals? Aber natürlich, mehr denn je, – jedoch: was hilft’s? – ein Blick in die Familienzeitschrift Hörzu oder bestimmte Fernsehsendungen würde genügen. Nur vergessen wir längst, uns wenigstens zu empören. Und ich denke an die Tomaten, die im Garten meiner Oma wuchsen und einen spezifischen Geschmack hatten…
Hörzu 23.Juni 2024 Seite 33
Man kann es keinesfalls damit bewenden lassen, dass man sich heute auf den intellektuellen Stand von vor 30 oder gar vor 60 Jahren zurückversetzt. Womit schon auf dem besten Wege wäre. Ich muss nur die Krisen der ganzen Welt beschwören, das sich verbreitende latente oder flagrante Katastrophengefühl, die Wut über die Zerstörung. Das alles ist greifbar nah! Ich wähle einen weniger lähmenden Ansatzpunkt, der mir – so hoffe ich – ein kontinuierliches Weiterdenken erlaubt. Ein Blick in das oben schon genannte Buch von Rüdiger Safranski scheint mir geeignet:
Gegen Ende des Buches kommt Safranski nochmal auf das Thema der neuen Medien:
und nachdem er Kafkas Parabel „Vor dem Gesetz“ hinzugezogen hat – die vergebliche Frage nach dem richtigen Eingang – , schließt er mit einem Satz, der wohl auch diesem Blog-Beitrag eine vorläufig tröstliche Abrundung verleihen kann:
Doch wenigstens solange man lebt, ist es nie zu spät für den eigenen Eingang, dafür, ein Einzelner zu sein.
Mein Vater zeigte keine Gefühle, vor allem nicht gegenüber seinen Söhnen. Ich könnte nicht sagen, ob er mich geliebt hat. Es war wohl vier Jahre vor seinem frühen Tod, dass meine Mutter mir etwas erschüttert erzählte, er habe geweint. Richtig geweint, und zwar bei Musik aus dem Radio. Was war’s denn? fragte ich. Er hat gesagt, antwortete sie, dass es ausgerechnet Wagner war (von dem meine Mutter nicht viel hielt: „menschlich war er ein Schwein“, aber nicht etwa weil er ein schrecklicher Antisemit war, sondern „wegen der Frauengeschichten“). Wie hieß das Stück? wollte ich wissen. So etwas wie . . . „Wotans Abschied“. Ich glaube, wir alle wussten, dass Papa (vielleicht unheilbar) krank war, er selbst hätte nie darüber gesprochen (erst später, als er gemeinsam mit meiner Mutter Tolstoijs „Tod des Iwan Iljitsch“ las und bemerkt haben soll „das bin doch ich“.) Warum sollte er über eine Abschiedsszene weinen? Abschied von Brünnhilde?
Ein paar Jahre später begriff ich es, als ich in meiner Kölner Studentenbude unentwegt den Tonband-Mitschnitt der Walküre aus Bayreuth 1961 hörte, dieser unglaubliche Abschied, der in den finalen Feuerzauber führt. Und ich dachte an meinen Vater, der vor zwei Jahren gestorben war. Ich hatte Blut gespendet für ihn und glaubte, das könne ihn gesund machen. Die letzten zwei Nächte hatte ich in seinem Krankenzimmer auf Gilead (Bethel) im Sessel geschlafen, damit er nicht allein blieb. Dies ist sein Klavierauszug, wahrscheinlich hat er das Werk in seiner Kapellmeisterzeit auch dirigiert.
Und nun kamen die Erinnerungen zurück, bei einem sonst nicht sehr ergiebigen Gespräch (Irrtum!) mit Christian Thielemann und Igor Levit in der ZEIT.
DIE ZEIT 13. Juni 2024 Seite 46f Gespräch Thielemann / Levit / Christine Lemke-Matwey
Ich kam partout nicht drauf, welche Akkordfolgen Thielemann im Wotan-Monolog meinte, und ich gäbe viel darum, sie dingfest zu machen. Bitte um Nachhilfe!
Götterdämmerung Anfang gute Theateratmosphäre (Musik ab 4:38) https://www.youtube.com/watch?v=kLly5R4gDiM hier
Mahler VI, 3 https://www.youtube.com/watch?v=Xxd-h3eW8xA hier
Ob jemand, der Jeremy Eichlers Buch „Echo der Zeit“ gelesen hat, auch eine solche Antwort gelten lassen könnte? Ich habe an meinen Vater gedacht, der im Krieg auch manches geglaubt hat, was die Nazis ihm erzählt hatten. Nach dem Krieg: kein apologetisches Wort von seiner Seite! – Freispruch?
andere Version „Aer tranquillo“: hier / Oder weiter im Booklettext:
Späte Selbstkritik
Ich glaube, solange ich denken kann, habe ich ein Vorurteil gegen die klassischen Dreiklangsthemen oder -melodien gehabt. Sie schienen mir zu simpel. Dabei hätte man mir bei ersten Kompositionsversuchen nur plausibel erklären müssen, dass sie eine wichtige Funktion hatten und durch zig Kleinigkeiten Charakter annehmen können. Auch wenn das erste Ziel eines Grunddreiklang – der die unvermeidbare Basis schafft – nur der (oft durch einen Terzvorhalt vestärkte) Wechsel zum zweithäufigsten Dreiklang ist, dem Dominantakkord auf der Quinte. Bei den hier zu betrachtenden Mozartkonzerten ist die Einhaltung der Regel selbstverständlich: K216 G-dur in absteigender Folge g – d – h (+ Wechsel zur Dominante), K218 D-dur auf und ab (mit Wiederholungen) d – fis – a – fis – d, K219 A-dur auf und ab (mit Zwischentönen und Vorhalten) a – cis – e – a – e- cis – a (+ Wechsel zur Dominante). Aber nicht im Traum könnte man diese Themen miteinander verwechseln, auch wenn sie alle drei in derselben Tonart gespielt würden.
Als Schüler wunderte ich mich, dass selbst Beethoven seine Sinfonien 1 – 4 mit Hauptthemen versieht, die „nur“ die Entfaltung des Grundakkordes demonstrieren: C-dur, D-dur, Es-dur, B-dur; bei der Nr. 5 könnte man bemerken, dass die Anfangstakte im Unklaren lassen, ob der Grundton schon vorkommt oder nicht. Bei Nr. 8 der fallende F-dur-Dreiklang, bei Nr. 9 eindeutig der (nach dem leeren Quintklang) aus der Höhe herabstürzende, fallende D-moll-Dreiklang.
Zugleich habe ich schon als Anfänger bemerkt, dass Mozarts sogenannte Facile-Sonate in wunderbarster und unverwechselbarster Weise Dreiklangsthemen inszeniert, die einem fortwährend bedeutungsvoll durch den Kopf gehen, im langsamen Satz sogar für einzigartige Stimmungswechsel sorgen.
Aber meine Begeisterung vor Jahren, als ich den Höhenunterschied zwischen den Violinkonzerten (1775) und der Sinfonia Concertante für Violine und Bratsche (1779) entdeckte, s.a. hier, sie beruhte ja vor allem auf der Einsicht in eine ungeheuer gewachsene Komplexität, – und wie beginnt nun dieses Konzert? Mit einem gewichtigen Unisono-Es, gefolgt von dem absteigenden Es-dur-Dreiklang, der wie eine Umkehrung der Tutti-Geigen im A-dur-Violinkonzert von einst anmutet.
Meine Notizen im Renner-Konzertfführer zeugen natürlich nur vom Lerneifer der Jahre 1954 f , nicht von geheimen Vorbehalten, obwohl mein Favoritstück, an dem ich alles maß, die späte G-moll-Sinfonie war.
Reclams Konzertführer, Hans Renner (1952)
Mozarts Wiederkehr
Soviel zu meiner frühen Mozart-Geschichte. Man sehe auch in diesem Blog den Hinweis auf Andrew Manze’s Aufnahme (2006) und die 2 zitierten Textseiten hier ! Für meinen Fortschritt in Sachen Mozart (neben der Reifeprüfung 1967 u.a. mit dem A-dur-Konzert) würde ich das Erlebnis der Mozart-Aufnahmen mit dem Collegium Aureum in den 70er Jahren nennen, ganz besonders der Sinfonia Concertante 1979 (mit Franzjosef Maier und Heinz-Otto Graf), dann die Erneuerung im SWR-Radiogespräch mit Tabea Zimmermann (betr. die Neuaufnahmen mit Zehetmair), dann: als das Collegium erstmals ein Konzert mit Andreas Staier gestaltete, der ein atemberaubendes Verständnis für Mozart-Rubato vermittelte, dann die Aufgabe, Texte für das Abegg-Trio zu schreiben, angefangen mit der Aufnahme sämlicher Mozart-Trios (1985).
Neue alte Violinkonzerte 1997 und 2011
Reinhard Goebels Text zu seiner Aufnahme mit allen Violinkonzerten Mozarts
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Es ist ein fabelhafter Text, den Reinhard Goebel zu der Doppel-CD mit Mirijam Contzen beigetragen hat. Unbedingt zur Kenntnis nehmen, – es ist das notwendige „Surplus“, das für mich zu einer zeitgemäßen Musik-Veröffentlichung gehört und doch selten genug realisiert wird. Man muss nicht nur ein paar neue Kadenzen entdeckt haben oder einige Nuancen des musikalischen Vortrags in Erinnerung behalten, sondern vertraut geworden sein mit dem Hintergrund einer Klangwelt, die sich eben nicht durch ein pures Hörerlebnis erschließt.
Nie wäre ich durch meine persönliche Geschichte dahin gekommen, – obwohl ich einer doch vielleicht nur ähnlichen Thematik auf einer anderen Ebene wiederbegegne und daher eine unvergessliche Sinn-Korrektur erfahre. Ich denke an meine oben erwähnte, ziemlich kindliche Einschätzung der Dreiklangs-Themen, ohne die ich aber nicht ein so erwachsenes Glück erfahren hätte, wie jetzt bei solchen scheinbar nur historisch korrekten Einordnungen: sehen Sie im Text mit der Seitenzahl 7, wie Goebel, von dem damaligen violintechnischen Horizont ausgehend, zu kompositorischem Neuland kommt. „Zwar könnten wir manchen Themenkopf (…) bei Myslivecek wörtlich vorgeprägt finden – aber diesen zündenden Exordien begegnet man ohnehin überall dort, wo von Anfang an Klarheit über den Inhalt und die Stilhöhe der nachfolgenden Rede zu herrschen habe. / Mozart hat sich im sinfonischen Bereich früh schon von diesen Standard-Anfängen zugunsten individueller Lösungen befreit, aber bei den Violinwerken ist nur die Thematik des Kopfsatzes des A-Dur-Konzerts (usw.) …“ – des weiteren Seite 9, wo er u.a. von der Fortführung der Dreiklangs-Motiven auf jenen Zuwachs kommt, wie er zwischen jedem einzelnen der vorausgegangenen Konzerte feststellbar ist. Schließlich auf jene „Komposition, die in exemplarischer Weise den großen internationalen Geschmack am Übergang zwischen ermüdetem galantem Zeitalter und erahnbarer Klassik trifft.“ Und am Ende schaut Goebel – zu meiner größten Befriedigung – voraus auf die Zeit nach der Paris-Erfahrung 1779, als Mozart „in der grandiosen Sinfonia Concertante KV 364 für Violine und Viola all die »Neuigkeiten« seiner großen Reise“ verband.
So beginnen die Konzerte auch als Aufschein eines Arbeitsprozesses zu leben, der sich von Standard-Anfängen zu individuellen Lösungen befreit.
Natürlich erwartet man an dieser Stelle, dass die Fetzen fliegen. Aber kann man denn nicht wirklich einfach nur zuhören, wenn lediglich zwei das Wort haben und die öffentliche Meinung sich an anderen Wortwechseln entzündet hat, die so nicht angelegt waren: die Diskussion ist natürlich offen, muss jedoch nicht besonders rabiat sein, nur weil die beiden Kontrahenten auf dem erleuchteten Podium sitzen und wir im Halbdunkel davor. Kurz: ich könnte in meinem Wohnzimmer soviel schimpfen, wie wie ich will, aber nicht einmal dort andere Zuhörer*innen behindern, irritieren oder in ihrer Meinungsbildung beeinflussen. Hinterher kann ich versuchen, eine eigene, faire Diskussion zu führen (?) oder zuzulassen, aber nicht auf der Grundlage von Stimmungen, wie z.B. – das sind mir zuviel Worte, der Lanz labert sowieso endlos und unterbricht notorisch, er will nur mit seinem naseweisen Bescheidwissen prunken. Tut er es auch hier (wenn er keinen Politiker vor sich hat) oder geschieht es etwa nur zugunsten spontaner Einfälle, die keinen Aufschub dulden und nun einmal zu einem lebendigen Gespräch gehören? Im letzten Podcast, der zur Diskussion steht, habe ich jedenfalls offensichtlich etwas gelernt, wollte jedoch auch noch einigen Namen und Begriffen nachgehen, die mir neu waren oder mich gereizt haben, das Handy als Lexikon hinzuzuziehen, was die Konzentration auf den Gesprächsverlauf mindert. Weder Lanz noch Precht hegt die Absicht, die Zuhörenden absichtlich zu verwirren, das darf man ihnen zugestehen. Und wir: sind halt gutwillig und tolerant, – das ist keine Schande. (Wenn Sie die Sendung schon gut genug kennen, – vermeiden Sie doch einfach diesen Zeitverlust im Blog. Ich will damit nicht glänzen, sondern einfach meine Zeit nutzen.)
Mich interessiert vor allem das Thema „westliche Werte“ – kann man diese Werte wirklich so dem Westen zuordnen? Sind es nicht menschliche Werte schlechthin? Wir neigen – in vorauseilender Selbstkritik – instinktiv dazu, die Werte – ähnlich wie Geschmacksunterschiede -als relativ zu betrachten, – andere Kulturen, andere Werte. Oder aber nein, das ist falsch verstandene Toleranz: zum Beispiel weibliche Genitalverstümmlung darf in keiner Kultur der Welt etwa „aus einer ehrwürdigen Tradition“ heraus als gültiger Brauch, als Wert gelten. Dennoch muss ich diese Auffassung begründen können, ohne als logikversessener „weißer alter Mann“ diffamiert zu werden…