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Gänsehaut – unwissenschaftlich

Vorläufiges zu einem gängigen Thema

Es hat mich des öfteren beschäftigt (man muss das besagte Wort nur mal oben im Suchfensterchen eingeben). Aber eigentlich war es mir immer zuwider. Das Wort, nicht das Phänomen; klar war mir nur, – allerdings erst nach vielen Jahren der Selbsttäuschung -, dass es überschätzt wird, nämlich in dem Sinne, dass es ein Signal für die Wahrheit einer Empfindung sei. Heute will ich dieser abgelehnten Einschätzung wieder näherrücken: es signalisiert mir durchaus die Empfindung einer Wahrheit, – scheint mir. Aber: Egal, ob wahr oder nicht!

Das unsympathische Wort „Gänsehaut“ bezieht sich bekanntlich auf den Anblick der erschauernden Menschenhaut (sich aufgestellende Haare), die an eine gerupfte Gans erinnert, also an ihre aller Federn entledigte Leiche. Ich hätte lieber ein wissenschaftliches Wort dafür, zumal die schlaffe tote Gans kaum für die aktive, wenn auch unwillkürlich sich kräuselnde Menschenhaut einstehen kann. Aus der Zeitung lerne ich ein Wort, das dem zwar entspricht, aber mir alles andere als geheuer ist: Piloerektion. Darüber darf nachgedacht werden. Wo liegt die Aktivität?

Süddeutsche Zeitung 25./26.06.22 ST 29.06.22 „Gänsehautmoment“

Ich gehe aus von einem Gänsehautmoment, den jeder kennt, Merksatz: „Ist da jemand?“.  Man kehrt nachts heim und betritt das leere Haus, aber das Licht funktioniert nicht, und man tastet sich vor bis zur ersten Tür, die offen steht. Da hört man aus dem Inneren des Raums ein leises Geräusch, kaum wahnehmbar, man erstarrt und lauscht: war da was? Oder nichts? Stille. In diesem Moment überläuft ein Schauer den Rücken, die Nackenhaare sträuben sich, ein Moment äußerster Wachheit. Alles andere als ein Genuss. Möglicherweise lauert eine akute Gefahr. Man glaubt nicht an Gespenster. Aber: wenn es da nun doch irgendwas gibt?

Ein anderes Beispiel: der Moment des Wiedererkennens: ein fremder Mensch, der einem begegnet, entpuppt sich als der verlorene Sohn, der im Krieg vermisste Vater oder gar ein totgeglaubter Freund. Ein Moment der Überraschung, – eines Schreckens, der von Freude kaum unterscheidbar ist.

„Ich sei, gewährt mir die Bitte, in eurem Bunde der dritte!“ In Schillers Bürgschaft eigentlich eine Zumutung, aber der Effekt ist: Gänsehaut.

Die Geschichte mit John Lennon ist von vornherein als digitaler Trick eingefädelt. Anders wäre es, wenn die Stimme von John Lennon sich unerwartet – wie aus dem Nichts – während des Konzertes hinzugesellt hätte. Und selbst Paul McCartney sichtlich erschrocken reagiert hätte. Was für ein Gänsehaut-Effekt im gesamten Publikum, was für ein Gekreisch!

Ich habe erlebt, wie bei einer Grabrede (Krings) die Unersetzlichkeit des Verstorbenen sehr plastisch beschrieben wurde. Und der Redner schloss mit dem Hinweis, dass der Freund vielen Menschen unvermindert gegenwärtig scheint, als sei er nach wie vor anwesend, und dann mit leisem Nachdruck: „Ich glaube, er ist es“.

Ein gewagter Schluss, für die einen suggestiv, für die anderen peinlich. Gänsehaut bei Leichtgläubigen.

Die Gänsehaut gehört in die Nähe des offenbaren Wunders. Sie ist oft genug mit Scham verbunden, als sei man auf den Enkeltrick hereingefallen.

Eine Pause (ein „Stutzen“ findet statt, ein Moment des Nachdenkens) zwischen Phänomen und Gänsehaut… – „Kontrastive Valenztheorie“??? es ist aber wohl gerade nicht so, dass in der Musik eine Erwartungshaltung vorausgeht, die mit Dynamikwechseln zu tun hat, „egal ob sie plötzlich kommen oder als Crescendi“.  Vielleicht kann man von Intensitätssteigerung sprechen, dann auch z.B. von spannenden Harmoniewechseln, meinetwegen auch von einer Vorahnung des Besonderen (Stutzen) – entscheidend aber wäre die Erfahrung der Realität. Es ist das Eintreten des Erwarteten, die Realisierung, die Enthüllung, die Erfahrung von Realität, nicht „Brüche mit Erwartungshaltungen“, sondern deren Einlösung. Man hört, was man vage erwartet hat, wirklich – und die Gänsehaut ist da. Vielleicht handelt es sich um ein grammatisches Missverständnis, das man bei dem kanadischen Hirnforscher selbst aufklären müsste. Seine Forschung war mir bisher entgangen. Ich hatte zuletzt den amerikanischen Psychologen Jaak Panksepp 1998 dazu Triftiges sagen gehört, zugleich aber manches, was eher skeptisch stimmte. Hier nun: David Huron. Schon der Titel seines Essays scheint eine abweichende Deutung zu bestätigen, und die Jahreszahl der in der SZ aktuell wirkenden Meldung irritiert: Sweet anticipation (2006).

(Fortsetzung folgt)

→ Gänsehaut bei Kitsch (das gleichzeitige Bewusstsein der Täuschung)

→ Oder frag mal deinen Hund, er kennt den emotionalen Konflikt, siehe hier

Freiheit, die ich meine(n möchte)

Der schönste politische Begriff

… von dem ich heute als erstes gelesen habe, als ich die neue CD eines fabelhaften iranischen Musikers gehört habe? Er hatte als Motto seines Booklets ein Wort von Beethoven gewählt:

Allein Freiheit, Weitergehen, ist in der Kunstwelt wie in der ganzen großen Schöpfung Zweck.

Und ich erinnerte mich, wie ich am 6.12.1992 – als Schmetterlingsfreund – an die ganze große Schöpfung erinnert wurde, und zwar durch das Geburtstagsgeschenk des Bienenfreundes (und Mitarbeiters) Werner Fuhr:

„… kreativ und verantwortungsbewußt, das freie Spiel der Natur zu unserem eigenen machen können.“ Hubert Reeves: hier

Jetzt aber wurde ich wieder an jenen Begriff gemahnt, den ich gut zu kennen glaubte, als ich auf Anraten des Freundes (und Sohnes) JMR in der ZEIT nachlas – die ich auf Texel nicht lesen konnte, weil sie zuhaus im Solinger Briefkasten lag -, dass es der schönste sei, den die Menschheit je erfunden habe: eben – die Freiheit? Und dazu eben diesen großen Artikel, dessen Ende hier zitiert sei:

Für viele, für die allermeisten Freiheiten, die wir genießen, hat der ökologische Fallout unseres Tuns keine unmittelbare Wirkung: Versammlungsfreiheit, Meinungsfreiheit, Gewerbefreiheit, Meinungsfreiheit, Wahlfreiheit, Tariffreiheit, Freiheit der Berufswahl und der Wissenschaft – all diese Freiheiten bleiben weitgehend unberührt. Abders sieht es mit jenen Freiheiten aus, die durch ihre spezifische, im fossilen Zeitalter eingeübte Ausübung zur ökologischen Zerstörung beitragen: Autofahren, Fleischessen, Vielfliegen, Überkonsum von Kleidung und so weiter. Mithin aller Freiheitsgebrauch, der über den Umweg seiner »Nebenwirkungen« zu einer Massierung von Zwängen führt.

Bislang gelang es der Gesellschaft, dem Staat, der Wirtschaft und der Werbung ganz gut, den Menschen die Kollateralschäden ihres eigenen Tuns vom Leib zu halten und den Freiheitskonsum als einen reinen, unschuldigen Akt erscheinen zu lassen. Der Mensch, der den Zündschlüssel drückt, sollte und wollte möglichst nicht wissen, was geschehen sein musste, bevor er dies tun konnte, und was passieren würde, sobald er es getan hatte. Die Sicherung der Ölversorgung durch das Militär, gegebenenfalls durch Kriege; die Subventionierung von Petro-Autokraten, die dann im zweiten Schritt mit unserem Geld unsere freiheitlichen Gesellschaften bedrohen; die Zerstörung von Landschaften zur Beschaffung der Rohstoffe, die für den Bau eines Autos benötigt werden; die Wohnraumknappheit in den Städten nicht zuletzt wegen der Bedürfnisse des Autoverkehrs; die Verkehtstoten; die Zerstörung von Wäldern und Auen für die Autobahnen; die Zersiedelung der Landschaften; die CO2 – und Stickoxid-Emissionen; der Feinstaub vom Reifenabrieb – um nur mal einen kleinen Ausschnitt der Kollateral-Voraussetzungen und der Kolllateralschäden des motorisierten Individualverkehrs zu zeigen. Von alldem wurde der Mensch bei der Ausübung seiner automobilen Freiheit lange verschont.

Nun lässt sich argumentieren, dass wir überhaupt nichts mehr tun könnten, wenn wir stets und immer alle möglichen Nebenfolgen unseres Handelns berücksichtigen müssten. Das stimmt, der Schmetterling würde es nicht mehr wagen, mit dem Flügel zu schlagen, wenn er wüsste, dass er damit womöglich einen Orkan auslöst. Allerdings sind die Proportionen beispielsweise beim Auto genau umgekehrt: Es müssen ständig Orkane ausgelöst werden, damit am Ende ein Flügel geschlagen werden kann. Die Nebenwirkungen unseres Tuns sind in Wahrheit die Hauptwirkungen. Und das Nichtwissen um diese Wirkungen ist nicht der Schleier, den die Freiheit eben auch braucht, vielmehr ist es hochgradig neurotisierend; zwanghaft muss das Offensichtliche verdrängt werden. So verwahlost dieser Freiheitsbegriff zum Anspruch, konsumieren zu dürfen, ohne von den Folgen zu wissen und dafür einstehen zu müssen. Es ist essenziell antiaufklärerisch.

So offensichtlich das alles sein mag, so sehr kann die Desillusionierung gleichwohl schmerzen. Weil es eine ganze Weile sehr schön war, den Zündschlüssel zu drehen, den Fahrtwind zu genießen und nichts weiter. Nur dass es sich eben im Nachhinein gesehen weniger um eine Freiheit handelte als um ein vergängliches Privileg.  Das nun eben vergangen ist.

Schade eigentlich.

Quelle DIE ZEIT 15. Juni 2022 Dossier Seite 15-17 Bernd Ulrich und Fritz Engel: Der verletzte Mensch Wie kann es sein, dass wir alles über die Klimakrise wissen und trotzdem so wenig dagegen unternehmen? Fritz Engel und Bernd Ulrich haben eine Erklärung. Sie hat mit Stolz, Ehre und der Idylle der Normalität zu tun.

Übrigens wäre ich sehr vorsichtig, den Beethoven-Satz über die „Freyheit“ auszudeuten, wenn ich das Umfeld betrachte: siehe hier , 29. Juli 1819 an Erzherzog Rudolph.

Qanat dagegen bezieht sich im Iran eindeutig auf alte Strukturen, durch die frisches Wasser aus unterirdischen Quellen hervortritt. In der Wüste wurde an solchen Stellen gegraben, bis man die Dörfer mit diesem Wasser versorgen konnte.

die neue CD. Doch darüber demnächst mehr…

„… kreativ und verantwortungsbewußt, das freie Spiel der Natur zu unserem eigenen machen können.“

*    *    *

Heute noch lesen:

Jürgen Habermas über Adorno und (nach Sloterdijk) über die  „Querdenker“ im Philosophie-Magazin Hier (gefunden dank eines Hinweises bei Daniel M. Feige).

ZITAT

Peter Sloterdijk bemerkt jüngst im Hinblick auf die „Querdenker“, es handele sich um „Figuren wie aus dem Spätmittelalter, die den Weg in die Moderne und damit zu naturwissenschaftlicher Evidenz und zum Staatsbürgertum innerlich nicht mitgegangen sind. Das hat im Verwechseln der eigenen Wünsche mit der Welt etwas Kleinkindliches.“ Würden Sie in diesem Fall mit Sloterdijk übereinstimmen?

Der Beschreibung stimme ich zu. Ich würde sie durch einen auffälligen Zug ergänzen. An der Bewusstseinslage dieser Leute fällt nämlich ein merkwürdiger Kontrast auf: Einerseits projizieren sie ihre verdrängten Ängste verschwörungstheoretisch auf dunkle Mächte, die sich der Autorität der bestehenden Institutionen bedienen. Das Autoritäre dieser geschlossenen, meistens antisemitisch besetzten Weltbilder verrät die rechtsradikalen Wurzeln dieses Potenzials, das von der AfD sofort erkannt worden ist. Andererseits erlaubt die Denunziation der bestehenden Ordnung den Coronaleugnern ein antiautoritäres Auftreten: Ihre Demonstrationszüge bieten das libertäre Erscheinungsbild linker Jugendproteste. Die Demonstranten können sich auf diese Weise zu den „wahren“ demokratischen Verteidigern einer durch die angeblich autoritäre Regierung verletzten Verfassung aufspielen. Tatsächlich spiegelt sich in diesem libertären Habitus nur jene nackte Verfolgung eigener Interessen, die man sonst eher bei Vertretern eines radikalisierten Wirtschaftsliberalismus vermutet. Aber hier ist es der Egozentrismus der Schwachen und Marginalisierten, nicht der Robusten. Nach meinem Eindruck wird uns dieses Protestpotenzial ganz unabhängig vom Auslöser der Pandemie noch lange beschäftigen. Ich vermute, dass sich darin jene Art der systemisch erzeugten sozialen Desintegration äußert, deren Ursachen Präsident Biden nach dem Sturm aufs Kapitol wohl richtig diagnostiziert hat und die er nun mit dem Versuch einer Rückkehr zu rooseveltschen Programmen beseitigen will.

Soweit Jürgen Habermas. Weiteres direkt im oben gegebenen Link zum Philosophie-Magazin.

Ich muss noch einmal zurückkehren zu dem obigen Zeit-Artikel. Was ich davon wiedergegeben (und ehrlich abgeschrieben) habe, spiegelt nicht vollständig das, was er mir inhaltlich bedeutet. Zumindest 1 Beispiel muss ich noch nachliefern.

(folgt:)

Es geht im Wesentlichen auch darum, unsere Ausweichargumente hier oben „im globalen Norden“ zu entlarven:

ZITAT

Denn mit ihrem Ausweich-Argument hüllen sich die reichen Länder gewissermaßen in die weitaus existentielleren Nöte von Kongolesen und Philippinern, von den Bewohnerinnen Madagaskars oder Indonesiens. Deren Naturzerstörung kann schließlich durch das eigene Überlebenwollen legitimiert werden, jedenfalls besser als im globalen Norden.

Warum aber wird für uns im Norden die Atmosphäre erhitzt, der Regenwald abgeholzt, das Meer leergefischt, wozu werden die Flächen versiegelt und die »Nutz«tiere gequält? Für eine in der Geschichte der Menschheit beispiellose Bequemlichkeit, für ebenso andauerndes wie achtloses Fleichessen, für mehr Kleider, als man tragen kann, für mehr Konsumgüter im Haus, als man zählen kann, für die Beschleunigung von null auf hundert in fünf Sekunden. Und so weiter. Wir sind nicht rücksichtslos, um Epochales zu leisten, sondern rücksichtslos, um Dinge zu tun, die wir eigentlich gar nicht gut finden. Darin liegt eine gewaltige Selbstkränkung des (reichen) Menschen.

(Hervorhebung vom Zitator)

Und es ward Laut im Mesozoikum

VORSPIEL ZITAT aus Wikipedia

Das Mesozoikum begann nach einer ökologischen Katastrophe (Perm-Trias-Grenze) am Ende des Perms (zugleich das Ende des Paläozoikums), deren Ursache noch nicht eindeutig aufgeklärt ist. Bei diesem größten bekannten Massenaussterben der Erdgeschichte starben zwischen 75 % und 90 % aller Tier- und Pflanzenarten aus. Dies ermöglichte die Evolution einer neuartigen Fauna und Flora.

Die Dinosaurier entwickelten sich während der Trias aus den Kriechtieren und sollten die Ökosysteme der Erde bis zum Ende der Kreidezeit dominieren. Aus der Gruppe der Theropoden entwickelten sich die Vögel. Darüber hinaus erschienen die ersten kleinen Säugetiere, Blütenpflanzen und die meisten Bäume, die wir heute kennen.

Hinweise deuten darauf, dass am Ende des Mesozoikums ein Meteorit nahe der Yucatánhalbinsel (Mexiko) einschlug. Dieser sogenannte KT-Impakt wird vielfach für das Aussterben von 50 % aller Tier- und Pflanzenarten verantwortlich gemacht – darunter alle größeren Wirbeltiere (einschließlich der Nicht-Vogel-Dinosaurier), viele Pflanzengattungen sowie ein Großteil der Meeresfauna/-flora (Ammoniten, Belemniten).

Was ein Paläontologe erzählt (Zitat aus SZ)

Frage: So richtig laut wurde es dann aber erst später, im Mesozoikum?

Ja, das Mesozoikum ist das Erdmittelalter. Es begann vor 250 Millionen Jahren und endete vor 66 Millionen Jahren. Im Mesozoikum bricht der Superkontinent Pangäa auf, Amphibien wir Frösche erobern schrittweise das Land und entwickeln ein großes Repertoire an Gesängen. Auch die ersten Fossilien von Säugetieren stammen aus dieser Zeit. All diese Tiere erzeugen Laute mit einem Kehlkopf, der ihre Stimmbänder umgibt und durch den sogenannten Stimmnerv gesteuert wird. Da der Kehlkopf aus Knorpel besteht – einem Material, das schlecht fossiliert – können wir leider nicht ganz genau sagen, ab wann sie in der Lage waren, auch komplexere Laute zu erzeugen. Da aber alle heutigen Reptilien, Amphibien und Säugetiere einen Kehlkopf haben, können wir darauf schließen, dass er vom letzten gemeinsamen Vorfahr aus dieser Zeit stammt.

Frage: Auch die ersten Fossilien von Vögeln sind etwa 150 Millionen Jahre alt. Warum können Vögel so gut singen?

Vögel profitieren von einer anatomischen Besonderheit. Während Säugetiere und die meisten anderen Wirbeltiere Laute mit einem Kehlkopf erzeugen, nutzen Vögel dafür ihren sogenannten Stimmkopf. Der Stimmkopf befindet sich – anders als der Kehlkopf – nicht am oberen, sondern am unteren Ende der Luftröhre, also weiter entfernt vom Schnabel und näher an der Lunge. Das bietet Vögeln zwei Vorteile: Einerseits können sie dadurch die Luftröhre selber als Resonanzkörper nutzen, ähnlich wie eine Orgel, was eine klangverstärkende Wirkung hat. Auch kleine Vögel können daher sehr laut singen. Andererseits sitzt der Stimmkopf so genau dort, wo sich die Luftröhre aufgabelt, zum rechten und linken Lungenflügel hin. Diese Position ermöglicht es Vögeln, den Luftstrom der jeweiligen Lungenflügel unterschiedlich einzusetzen – und mehrere Töne gleichzeitig zu singen. Die Begabtesten unter ihnen können Harmonien mit sich selber singen.

Quelle Süddeutsche Zeitung 9. Juni 2022 Seite 15 „Tyrannosaurus hupte“ Paläontologe Michael Habib erklärt, welche Tiere in der Erdgeschichte die ersten Töne erzeugten und woran man merken würde, dass man in der Kreidezeit gelandet ist: an der Dino-Blaskapelle / Interview: Maximilian von Klenze.

Weiteres über den Stimmkopf, auch Syrinx genannt: HIER

Und noch einmal (wie schon hier) sei erinnert an die ganz große Vogelstimmensammlung und eine kleine ZEIT-Sammlung mit ebenfalls echten Vogelstimmen, dazu auch lesenswerten Kommentaren von Fritz Habekuß: hier.

Zum Titel dieses Blogbeitrags: Ich habe es nie verstanden, dass schon im dritten Vers der Bibel steht: „es ward Licht“ – und zwar unabhängig von Sonne und Mond, die erst in Vers 16 erscheinen. Noch komplizierter wäre es gewesen, von der Erschaffung des Schalls und des Widerhalls zu sprechen, ohne auch das Gehör in Betracht zu ziehen. Und wie das klingt, wenn etwas wüst und leer ist. Die Wechselwirkung der Dinge. Daran dachte ich, als ich diesen Zeitungsartikel las:

Fossilien zeigen, dass das Leben vor ungefähr 3,7 Millionen Jahren im Ozean seinen Anfang nahm. Doch die ersten Organismen wie Mikroben oder Quallen waren wohl eher ein ruhiger Haufen. Mit dem Evolutionsschub im Kambrium, der sich zwischen 541 und 484 Millionen Jahren vor unserer Zeit ereignete, entwickelten sich dann Krustentiere und Gliederfüßer mit einer harten äußeren Schale, dem Exoskelett. Und diese harte Hülle machte Geräusche, wenn ein Tier sich bewegte, etwa um Futter zu suchen. Die Stille unter Wasser wurde also wahrscheinlich durch seltsame Schleif- und Klickgeräusche unterbrochen, durch ein gelegentliches Knirschen oder Klopfen. Vielleicht könnte man auch hören, wie ein Krake eine Muschel oder einen Krabbenpanzer knackte.

Und am Ufer?

Nein, an Land blieb es noch lange still. Wir müssen mehr als 200 Millionen Jahre vorspulen, bevor Insekten anfingen, zu summen und zu zirpen – und damit eine völlig neue Akustik erschufen. Fossile Überreste von Laubheuschrecken und Zikaden aus der Zeit vor 250 Millionen Jahren deuten darauf hin, dass diese Tiere erstmals über eine Art Trommelkopf mit Hohlraum an ihrem Hinterleib verfügten. Das rapide An- und Losschnallen dieser Trommel erlaubten ihnen, extrem hohe Rasselgeräusche zu erzeugen. Ähnlich wie ein ratschender Rasensprenger an einem Sommertag oder eine surrende Starkstromleitung. Damit konnten die Insekten über Distanzen kommunizieren und um Partner buhlen – eine Revolution.

Quelle siehe oben: Michael Habib im Interview mit Maximilian von Klenze (Süddeutsche 9.6.22)

Die zitierten Texte, ob sie nun wörtlich so im Interview formuliert wurden oder in der redigierenden Arbeit des Interviewers entstanden, sind ein Beispiel, wie guter Journalismus funktioniert. Man wird durch vertraute Stichworte hineingelockt und interessiert sich für Fakten, bei denen man normalerweise ausgestiegen wäre. Die tolle Vorstellung eines „ruhigen Haufens“ aus Mikroben und Quallen über Millionen Jahre etwa – klingt nicht missglückt, sondern arbeitet in einem weiter. Die Genese einer Wechselwirkung zwischen Kommunikator und Rezipient wird zum spannenden Gedankenexperiment, gerade weil sie so nicht benannt wird. Mich z.b. „thrillt“ die Vorstellung vom ratschenden Rasensprenger. Dies nebenbei: ich habe drei gleichzeitig arbeitende Geräte in der Gartenanlage eines Herrenhauses in Völs am Schlern als Tondokument gespeichert, ein Rhythmus, der mich dort immer wieder vergnüglich beschäftigte. Aber ich wäre nie darauf gekommen, ihn auf ein Phänomen vor 250 Millionen Jahren zu beziehen. Jetzt „sitzt“ es.

Andererseit: die Neigung, solche Assoziationen mit einer gewollten Metaphernsprache herzustellen, kann auch das Gegenteil bewirken, – das richtige Maß ist entscheidend. Vermutlich gelingt es hier so gut, weil der Autor nicht nur seine Profession als Wissenschaftler ausübt, sondern auch psychologische Erfahrungen mit Film und Computerspielen einbringt… Die Zeitung tat ein übriges, indem sie über die ganze Seite ein realistisches Bild des furchteinflößenden, zähnefletschenden „Tyrannosaurus“ ausbreitete, und zwar mit dem Zusatzwort: dass er – an uns vorüberstampfend – „hupte“.

Formen des Lebens

Ein Gang durch die Botanik

Japanischer Blumenhartriegel

Geschlitztblättrige Rotbuche (hinter dem Zaun: der Gesang des Zaunkönigs)

Drüben, der weiße Strauch, dort hatte unser Weg begonnen. Pflanzenformen. Und insgesamt nur 2 Menschen, 2 Tiere und 1 Taubenhaus? Siehe auch hier. Auch hier. Des weiteren?

Der Zaunkönig hier klang anders als zuhaus.

Es war der 6. Juni 2022, 2. Pfingsttag. Danach zum Griechen „Villa Zefyros“ …

Ich denke das, was Bruno Latour so eindringlich dargelegt hat: wir sind nicht in diesem wunderbaren Planeten, wir leben nur auf einer ganz dünnen Schicht an der Oberfläche.“

Botanik, Lebewesen, Gaia… Was heute Abend noch dazukam:

Aus dem Naturkunderegal im Übezimmer (ein Buch aus dem Jahr 2007)

Bernhard Edmaier: Die Muster der Erde / Mit Anmerkungen von Angelika Jung-Hüttl / Phaidon Verlag Berlin 2007

Zitat aus der Einleitung:

Die Muster der Erde besitzen eine kaum zu beschreibende, geheimnisvolle Ästhetik. Der Grund dafür könnte es sein, dass diese Strukturen ganz nach den Naturgesetzen entstehen. Flüsse zum Beispiel oder auch fließendes Gletschereis suchen – immer der Schwerkraft folgend – den direktesten Weg bergab. Stoßen sie dabei auf Hindernisse, nagen sie solange daran, bis sie sie überwunden oder beseitigt haben. Fels verwittert am schnellsten dort, wo er gebrochen ist oder aufgrund seiner mineralischen Zusammensetzung am leichtesten durch Wasser aufzulösen ist. Der berühmte Fotograf Andreas Feininger schrieb dazu in seinem Buch Die Sprache der Natur (1966): „Ihre Formen sind … funktional gestaltet. Und eben weil sie im besten Sinne des Wortes funktional sind, empfinden wir sie als schön.“

  Von hoch oben

Aus dem Briefkasten (frische Post aus Mühlehorn/Schweiz)

Fernsicht

Insekt sucht Unterkunft

Ich war dabei!

Aber letztlich hat es verzichtet…

An den Nektarquellen im Botanischen Garten 6. Juni 2022

 

Immer dasselbe? Ich konnte mich von keinem Foto trennen und hätte dort gern noch länger gestanden…

(Handy-Fotos JR 1. und 6. Juni 2022)

Und dann fand ich auf Whatsapp ein Bild mit der Kennzeichnung: „Auch ein seltenes Insekt!“

(Foto E.Reichow)

Die größte Vogelstimmensammlung

Zum Kennenlernen und Üben

Was ist die Macauly Library? Wikipedia:

Die Macaulay Library (auch Linda and William Macaulay Library, früher Library of Natural Sounds, NLS) ist eine am Cornell Lab of Ornithology der Cornell University angesiedelte Sammlung von Gesängen, Rufen und anderen Lauten sowie Videoaufnahmen von Tieren. Das Archiv umfasst 175.000 Tierstimmen von etwa 9.000 Arten sowie rund 50.000 Videos von 3.500 Arten. Nach Angaben des Archivs ist es die größte Sammlung dieser Art.

Weiterlesen s.o. „Wikipedia“-Link

The Internet Bird Collection + The Macaulay Library

HIER  https://www.macaulaylibrary.org/the-internet-bird-collection-the-macaulay-library/

About the Cornell Guide to bird sounds:

HIER https://www.macaulaylibrary.org/guide-to-bird-sounds/

Dank an JMR !

Hier und Heute 11. Mai 2022 gegen 17 Uhr, ein starker Sommerwind bewegt die Bäume, eine einzelne Schwarzdrossel singt unentwegt aus dem Unterholz, „meine“. Ich kenne jedes Wort.

Foto: JR

Vogelstimmen Auch diese wachsende ZEIT-Sammlung (Fritz Habekuss) nicht vergessen: hier.

25.05.22 unter vorigem Link neu: der Mauersegler. Früher (in Bielefeld) gab es Scharen von Mauerseglern am Himmel, hier in Solingen habe ich letztes und vorletzes Jahr noch kleine Gruppen (4-5 Exemplare) beobachtet und mir Sorgen gemacht. Dieses Jahr noch nichts… (vgl. auch hier ). S.a. meine Erwähnung am 17. April 2017 hier.

Anfang Juni 2022

Neuerdings haben wir abends um 22 Uhr herum Fledermäuse am Himmel beobachtet, gegen den Himmel, zwischen Haus und „Waldrand, weiter unten im Tal, aber auch dicht am Balkon, es ist wie früher, vor 20, 30 Jahren. Und – ganz wichtig – 2 (zwei!) Mauersegler in großer Höhe kreisend. Ein Jammer – sie können nicht mal mehr eine Gruppe bilden…

Donnerstag, 9. Juni 22, interessantes Interview mit einem Paläontologen namens Michael Habib in der Süddeutschen Zeitung Seite 15.

Montag, 18. Juli 22, abends um 22 h, einen Schwarm Mauersegler gehört und hoch am Himmel gesehen: mindestens 10 Stück, die nach Westen zogen, vielleicht eine große Kreisbahn beschreibend.

Aronstab

Warum Giftpflanze des Jahres 2019?

Ich kenne ihn im Garten seit mindestens 20 Jahren und verschone ihn (wie alles andere) , weil mir seine Blätter gefallen. Auch seine kostbar wirkende Blüte und sein Stab. Die Pflanze fühlt sich offensichtlich wohl an diesem Platz und kehrt immer prächtiger wieder. Ich werde sie das Jahr über im Auge behalten.

Wikipedia Aronstab hier

Warum Giftpflanze 2019 hier

Was gibts noch, wild und doch in Sichtweite und Griffnähe?

Globemaster (im Ernst). „Zierlauch“ Zwiebeln aus Texel 24. und 28. April im braunen Bereich (oben, vorne rechts, die rundliche Frucht, leider nur mein Stiefel). Was ich mir davon erwarte:

9.5. vor allem aber: Insektenfreundlichkeit…

Für alle, die sich wundern, warum ihnen solche Bilder, solche Notizen in einem Blog vorgesetzt werden, – in einer Zeit, die uns zwingt, ununterbrochen an den Krieg (und vorübergehend weniger an die Pandemie) zu denken -, müsste klar sein, dass es mir nicht anders geht als jenen. Die eigentliche (?) Aufgabe liegt neben mir, die Süddeutsche (29.04.), gekauft wegen Habermas. Auch die ZEIT von neulich (21.04. wegen Heinrich August Winkler 7 Mythen über Europa). Es sind nur Nachhilfen, die eine gewisse Eigentätigkeit erlauben, aber im Ganzen so wenig ändern wie Klavierüben, Konzertbesuch oder Gartenarbeit.

   SZ 29.04.22

SZ, dank der „Personen auf dem Fahrgleis“, später dank „Stau der verspäteten Züge vor Köln“ die Dauerlektüre auf der Bahnfahrt Solingen Köln 15.27 hin, nach Konzert Gleis 1 ab 22.52 zurück

Schlaflabor notiert (Alexander Schubert wg. Hegel, = nicht identisch)  -„Musik Amnesie Gedächtnis“ Das Gras wächst / weiter, erinnere dich – Stefan Fricke (Autor, s. hier). Mein durch Musik geläutertes Gedächtnis suggerierte mir später: das stand was über Ameise und Gras…

Am nächsten Morgen (Verurteilung des Habermas-Artikels – wie erwartet – Solinger Tageblatt)

Für die Aburteilung genügt 1 Satz (wie im Fall Kant, um ihn als Rassisten zu brandmarken, s. Alexander Schubert² betr. Hegel)

Man muss nicht etwa mühsam suchen, um in dem sehr differenzierten Essay von Habermas den zitierten Satzteil zu finden, er springt als Extra-Block in die Augen, aber nur bei einer sorgfältigen Lektüre  entdeckt man ihn im engeren Kontext, der keinesfalls eine tendenziöse Verkürzung gestattet: Habermas warne vor einer Eskalation des Krieges und

beklagt dabei fatalerweise das „ungestüme moralisierende Drängen der zum Sieg entschlossenen ukrainischen Führung“.

Es geht aber folgendermaßen weiter:

Und man sieht, dass Habermas nicht klagt, sondern denkt.

Um hier den berühmt-berüchtigten Begriff rechtmäßig zu gebrauchen: er denkt dialektisch. Und damit der Sachlage vollkommen angemessen. Man muss nur dem Text genau folgen, die Funktion von Worten wie „Dilemma“ erfassen, die penible Beschreibung der zwei Seiten, ihrer Asymmetrie, der völkerrechtlich definierten Schwelle, der roten Linie, der national oder eher postnational, postheroisch  geprägten Identitäten; bedrängt von der atomaren Drohung, der Konfusion gleichzeitig aufeinanderstoßender, aber historisch ungleichzeitiger Mentalitäten, all das kann nicht logisch in eine pragmatische Formel politischen Handelns münden. Es gibt keinen Ratschlag, keine leichtfertige Schlagzeile, keine „gordische“ Lösung. Daher kann es auch keinen kernigen Abschluss dieses Essays geben, sondern nur einen vagen Ausblick:

Macrons Wiederwahl markiert eine Galgenfrist. Aber zunächst müssen wir einen konstruktiven Ausgang aus unserem Dilemma finden. Diese Hoffnung spiegelt sich in der vorsichtigen Formulierung des Zieles, dass die Ukraine den Krieg nicht verlieren darf.

Quelle Süddeutsche Zeitung 29. April 2022 Jürgen Habermas: Krieg und Empörung / Schriller Ton, moralische Erpressung: Zum Meinungskampf zwischen ehemaligen Pazifisten, einer schockierten Öffentlichkeit und einem abwägenden Bundeskanzler nach dem Überfall auf die Ukraine.

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Weiteres zum Ukraine-Krieg HIER  (Dank an JMR)

Pressetext hr

Es wird Frühling. Und es ist Krieg. Der Zwiespalt ist kaum auszuhalten, sagt die Schriftstellerin Katja Petrowskaja. Sie lebt in Berlin und Tbilisi und blickt aus der Ferne auf die unfassbare Gewalt, auf getötete Kinder und Massengräber in ihrer Heimat, der Ukraine. Juri Andruchowytch ist mittendrin und verliert trotz allem seinen Humor nicht. Die Botschaft der beiden Schriftsteller*innen aber ist klar: Wenn ihr der Ukraine nicht helft, diesen Krieg zu gewinnen, dann kommt der Krieg morgen zu euch! Und was sagt der Historiker? Timothy Snyder analysiert die deutsche Sehnsucht nach historischer Unschuld, die zu schlimmen Fehlern führt – im perversen Versuch, Vergangenheitsbewältigung und Gasgeschäfte zu verbinden. Es sind drei verschiedene Perspektiven auf den russischen Krieg gegen die Ukraine, die Jagoda Marinic in dieser Folge von FREIHEIT DELUXE auslotet. Am Ende steht die Erkenntnis: Das russische Vorgehen gegen das Nachbarland ist zutiefst faschistisch. Das zu stoppen, kann nicht allein die Aufgabe der Menschen in der Ukraine sein. Hier hört ihr: – wie Katja den Frühling in Zeiten des Kriegs wahrnimmt (7:00) – wieviel Normalität im Krieg ist und wieviel Krieg in der Normalität (8:45) – warum wir alle für die Toten verantwortlich sind und warum Appeasement-Politik ein Fehler ist (18:35) – warum für Katja ein Satz von Richard David Precht das Ende des deutschen Humanismus markieren könnte (20:40) – warum die Menschen in Iwano-Frankiwsk scheinbar entspannt mit ihren Hunden spazieren gehen (44:30) – warum Juri mit einer Partisanengruppe auch in den Kampf ziehen würde (59:20) – warum Juri Schriftsteller und trotzdem nicht verrückt ist (1:05:20) und warum der Krieg schon morgen nach Deutschland kommen kann (1:06:20) – wie Deutschland versucht, Gasimporte und Vergangenheitsbewältigung zu verbinden (1:26:00) – warum Timothy glaubt, dass Scholz, Steinmeier und andere deutsche Politiker den Faschismus in Russland nicht sehen wollten (1:31:00) – wie man auf atomare Erpressung reagieren sollte (1:44:00) – und warum die Welt ohne den ukrainischen Widerstand viel düsterer wäre (1:58:20) Ein Transkript der Folge findet ihr hier: https://download.hr2.de/podcasts/freiheit_deluxe/ukraine-spezial-100.pdf

FREIHEIT DELUXE mit Jagoda Marinic ist eine Produktion des Hessischen Rundfunks und des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels.

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Zurück in den Garten: Sie wollen wissen, was es mit Arons Stab wirklich auf sich hat? In Arnold Schönbergs Oper „Moses und Aron“ erlebt man folgende Szene (darüberhinaus könnten Sie in die Bibel nachschauen, wie Aarons Stecken grünte, so im 4. Buch Moses Kapitel 17, – aber das ist eine andere Geschichte):

Quelle Karl H. Wörner: Gotteswort und Magie / Die Oper »Moses und Aron« von Arnold Schönberg / Verlaf Lambert Schneider Heidelberg 1959

Ameisen – Insekten – wilde Tiere

Dem Klang der Natur auf der Spur

Zur genaueren Untersuchung (z.B. die Funktion der Musik im Film):

Dezember 2014

Und gestern dies: HIER „Im Königreich der Ameisen“

Goulson: hier Perlentaucher über seine Bücher (Hummeln, Insekten!), das neue Buch!

Zu den Filmen Film Serengeti 1/2 Der große Aufbruch von Reinhard Radke (folgt die Liste der Verantwortlichen, um sie von den Terra-X-Filmen zu unterscheiden), über seinen Serengeti-Film (2011) siehe hier. Dann auch Die große Wanderung (John Downer) .

Zur Erinnerung (Grzimek bzw. Kritik an seinem Film): die Serengeti lebt, und es gibt zur Zeit eine verwirrende Anzahl von Filmen – überall ist man quasi dabei!! z.B. auch Hier bei der unglaublichen Reise der Gnus, – woher kannte ich das schon? ihren Sturz in die Tiefe, die Flußdurchquerung, die Krokodile, der tödliche Irrtum drüben beim Aufstieg, die Geparden, die Elefanten, die narrative Anlage nach dem Prinzip eines Puzzle, die originalen Geräusche und die ihnen angepasste Musik. – Naturfilmer John Downer!

Verwirrend? Wieso? Warum? Das ist doch alles klar, aber seit wann interessierst du dich für Ameisen!? Ich persönlich? Dumme Frage, seit meiner Kindheit! Als es noch Maikäfer gab! Und „im Ernst“: begonnen hat es dann erst mit Bienen. Oder mit den Ameisen im Engadin, den roten Waldameisen? Oder doch früher, – war es Debussy mit seiner Maeterlinck-Mystik? Wahrscheinlich, ja, es war dieser Autor, der den Sinn für das Geheimnis der Insekten weckte.

… das war in Berlin im Januar1961, – und Weihnachten davor:

 

Die Seele der weißen Ameise 1963, und 1989 von Freund Dr. Werner Fuhr, dem Bienenzüchter und Volksmusik-Mitarbeiter – damals noch per Sie – die historische Kurzfassung Maeterlinck:

Noch etwas zur Frage, wie es eigentlich begann: mit einem Kinderbuch „Was mir die Wiese erzählt“. Ein Titel also wie von Gustav Mahler. Damals aber war mir neu, dass die Wiese neben Hobergs Busch so interessant sein könnte. Und der Zufall will es, dass heute Abend sozusagen der entsprechende Film zu sehen ist, allerdings aus der Steiermark: HIER. Ab ca. 11:10 über Heuschrecken und wie sie „singen“. (Man hört einfach nix!) Dazu leider eine etwas alberne Instrumentalmusik als Untermalung oder Einsprengsel. Auch eine überflüssige Frauenstimme, die das Summen der Tiere überlagert, auf den „Ennstaler Iriswiesen“. Ab 20:40 Ameisenlöwe (dazu rhythmisch malende Wild-West-Klänge).

Ein Gang durch den Botanischen Garten Solingen 11. April 2022

Was mir durch den Kopf ging (die falsche Jahreszeit, aber der passend schöne Wort-Klang):

Wir schreiten auf und ab im reichen flitter
Des buchenganges beinah bis zum tore
Und sehen außen in dem feld vom gitter
Den mandelbaum zum zweitenmal im flore.

Was ist das? Siehe unter Strophe (dieses war die erste).

Fotos Handy JR / Strophe: Stefan George

Nachtrag 14. April 2022

ARTE Mediathek „Unsere Wälder – Die Sprache der Bäume“ Ein Film von Petra Höfer und Freddie Röckenhaus  HIER

Achtung: ich sehe nirgendwo im Nachspann einen Hinweis auf wissenschaftliche Mitarbeiter, leichter Kitschverdacht in der Deutung der Phänomene.

Gender-Fragen!

Ein ZEIT-Gespräch

„So blicken männliche Säuglinge im Schnitt länger auf Mobiles, Mädchen länger auf Gesichter. Und schon im Alter von zwei Jahren verfügen Mädchen über einen Vorsprung im Wortschatz. Später haben die Geschlechter deutlich unterschiedliche Präferenzen in der Berufswahl, und zwar unabhängig von der Sozialisation.“ (Korte)

Paula-Irene Villa-Braslavsky / Alexander Korte, LMU München (siehe u.a. bei Lisa Littmann)

DIE ZEIT 31.März 2022 Seite 33/34

ZEIT (Martin Spiewak): Am Ende landen Sie stets am selben Punkt: Der Naturwissenschaftler Korte bringt die Biologie in Stellung, die Soziologin Villa die Gesellschaft.

Korte: Ich versteh mich keineswegs nur als Naturwissenschaftler.

Villa: Und ich habe auch von Materialität und Körperlichem gesprochen! Wenn wir von Männern und Frauen reden, hängt aber so viel mehr dran als bloße Biologie. Warum reden wir im Sinne der Präzision nicht besser von Menschen mit Gebärmutter oder von Menschen, die Spermien produzieren?

*    *    *

Korte: Die allermeisten Patienten sind biologische Mädchen, die sich als Transjungen selbstkategorisieren. ZEIT: Wie erklären Sie sich das? Korte: Da gibt es mehrere Gründe: Medienberichte, in denen eine Geschlechtsangleichung als unkompliziert dargestellt wird, spielen eine Rolle, aber auch neuartige Behandlungsangebote, die die Nachfrage fördern. Das ist beim Transthema nicht viel anders als sonst in der Medizin: Mehr Radiologen sorgen für mehr Röntgenaufnahmen.

Villa: Halt! Der wichtigste Grund für diese Entwicklung dürfte wohl sein, dass sich die Betroffenen heute eher trauen, Hilfe zu suchen. Insofern fände ich es verheerend, wenn es medizinische Angebote wie das Ihre nicht mehr gäbe. ZEIT: Frau Villa, wie erklären Sie sich, dass vor allem Mädchen mit ihrem Geschlecht hadern?

Villa: Das hat wohl damit zu tun, dass sie stärker eine Pflicht zur Selbstgestaltung spüren als Jungen. Das sieht man auch bei Mode und Kosmetik.

Korte: Wir Psychiater wissen seit Langem, dass Mädchen größere Schwierigkeiten mit dem Erwachsenwerden haben als Jungen. In Befragungen empfindet jedes zweite Mädchen den Eintritt der Pubertät als unangenehm, bei Jungen sind es unter fünf Prozent. Das Hadern mit dem sich verändernden Körper schlägt sich bei weiblichen Jugendlichen unter anderem in gehäuften Essstörungen nieder. Für mich deutet einiges darauf hin, dass der Hype um Transsexualität bei Jugendlichen eine neue Form der Hysterie sein könnte. ZEIT: Wie behandeln Sie denn diese Jugendlichen?

Korte: Jedenfalls nicht, indem ich möglichst rasch mit Medikamenten eine Transition einleite. Ich versuche erstmal in Gesprächen herauszufinden: Wie hat sich dieses Gefühl entwickelt, im vermeintlich falschen Körper zu leben? Wir geben keine Hormone, die die Pubertät blockieren. Das unterschiedet uns von anderen Kliniken. ZEIT: Warum hadern gerade die Mädchen so sehr?

Korte: Die erste Regelblutung markiert bei ihnen nicht selten einen schmerz- oder schamhaft besetzten Eintritt in die Geschlechtsreife, beim Jungen hingegen ist es die erste Ejakulation. Letztere geht mit einem sehr angenehmen, orgastischen Erleben einher. Ein grundlegender Unterschied!

Villa: Dass sie die weibliche Pubertät und Sexualität per se mit Schmerz und Scham verbinden, ärgert mich wirklich. Ich hoffe, meine Tochter bekommt es nie mit Ärzten oder Ärztinnen Ihrer Haltung zu tun. Ich kenne das übrigens aus dem Sexualkundeunterricht an einem bayerischen Gymnasium, wo die oberste Botschaft war: Bloß nicht ungewollt schwanger werden! Keine Lust, kein Spaß, kein Stolz! Wenn wir das mit Weiblichkeit verbinden, müssen wir uns nicht wundern, dass es vermehrt Mädchen sind, die ihr Geschlecht ablehnen.

*    *    *

Ich könnte sagen: Mit alldem habe ich nichts zu tun, alles klar: heterosexuell, verheiratet, zwei Kinder (Junge und Mädchen), nie im Leben anders orientierte physische Kontakte, oder doch: immer wieder „Kontakte“ mit anders orientierten Menschen, was zwangsläufig Distanzierung bedeutete. Trotzdem würde ich jederzeit auch die eigene sexuelle Sozialisation als Problem behandeln, angefangen mit der Kindheit, die bedeutend vom weiblichen Geschlecht geprägt war: Großmutter, Mutter, kindliche Gespielinnen und – ihre Puppen. Modelle des Menschen. Nicht zentral, aber deren An- und Auskleiden war ins Spiel integriert, und sie waren geschlechtslos; es gab kein Zusatzglied, und das war aus meiner Sicht ohne Zweifel vollkommener. Dieses Faktum war mir auch in früher Jugend nicht gleichgültig, das Gegenteil von Penisneid. Zum Glück sah ich in meinem älteren Bruder einen Verbündeten, auch wenn wir das nie verbalisierten. Später wurde das anders, er entwickelte sich, gab Hinweise , wenn auch mit einer gewissen Herablassung. Aber unser Vater, der über alles schwieg, hatte die Macht. Und ein entscheidender Punkt war, dass er sie auch impulsiv ausübte: er schlug zu. (Auch meinem Großvater mütterlicherseits wurde das nachgesagt.) Die Schlüsselszenen meiner Kindheit haben damit zu tun. Mit Macht und Demütigung. Übrigens auch nicht abgemildert durch unsere Mutter, sie hatte das System verinnerlicht und ein sekundäres – kitschig beschönigendes – Linnen darübergebreitet. (Nur die ferne Schwester meines Vaters war anders, mildtätig, lieb und allverzeihend.) Ich versuche eine Schlüsselszene etwa aus dem Jahr 1955 zu erzählen:

Es hatte ein Chorkonzert gegeben, – mein Vater leitete in Bielefeld „Die Leineweber“ -, mein Bruder, der den Stimmbruch längst hinter sich hatte, durfte mitsingen, hatte Chancen bei einer mitsingenden, etwas älteren Schülerin, die möglicherweise auch dem Dirigenten gefiel. Es gab einen gemütlichen Ausklang, ich war längst zuhaus, meine Eltern trafen ebenfalls ein, machten sich allerdings Sorgen um den Ältesten. Ich spitzte die Ohren. Das Mädchen hieß Waltraud Papke und trug die Haare wie Marina Vlady. Die beiden hatten nach dem Fest auf einer Bank im Park gesessen und waren sich näher gekommen. Mein Vater, ahnungsvoll, geriet außer sich, als er heimkehrte, schon beim ersten Erklärungsversuch schlug er auf ihn ein, Mutti schrie: nicht an den Kopf! – heftiger Wortwechsel. Ich hörte zum ersten Mal in meinem Leben das Wort „Nutte“, und das Mädchen war gemeint! Ich wartete im Kinderzimmer, es dauerte eine Weile. Als ich aufwachte, hörte ich meinen Bruder in seinem Bett schluchzen. – Zwei Jahre später war ein anderes Mädchen im Spiel, Sigrid T., sie gingen viel in der Natur spazieren, nach Ruheplätzen suchend, ich erfuhr von ihm – vertraulich – etwas über den Bedeutungsumfang des Wortes „Petting“, wobei für mich das Verwunderlichste daran war, dass auch auf der weiblichen Seite „Lust“ eine Rolle spielte. Ich dagegen fuhr mit einem Mann in Urlaub, der älter war, beim Landeskirchenamt arbeitete und schon einen VW besaß, – weite Fahrten, Urlaube, FKK, ohne die leiseste Berührung; erst sehr allmählich wurde mir hier wie auch in ähnlich gelagerten Fällen klar, welcher psychologische Hintergrund die Hauptrolle spielt. Ich dachte, es sei das gemeinsame Musikinteresse. Lästig nur, wie wirkungsvoll ich von begehrenswerten Mädchen abgeschirmt wurde. Hinzukam die lethale Erkrankung meines Vaters (†1959), der mich einstweilen von jedem Hausball, jeder Kellerparty per Telefon zurückbeorderte, bevor die wahre Nacht anbrach. Noch im Studium hat mich jedes Schrillen eines Telefons aufschrecken lassen: „Ach…., mein Vater!“ – Die Sperre betraf das ganz normale zwischengeschlechtliche Verhalten, die jugendliche Entgrenzung in den biologisch bekannten Grenzen. Das war vor rund 65 Jahren. Man kannte nicht einmal das Wort homosexuell, man sprach vieldeutig von einem warmen Bruder, oder einem vom anderen Ufer. Meiner gehörte nicht dazu. Im Gegenteil.

ZEIT: Selbst in der Medizin zweifelt niemand daran, dass es intersexuelle Menschen gibt. KORTE: Richtig, das ist aber kein Beleg dafür, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, im Gegenteil. Als intersexuell werden Menschen mit einer körperlichen Geschlechtsentwicklung bezeichnet, die von der Norm abweicht – das ist noch einmal etwas ganz anderes als eine Transsexualität. Mediziner kennen runbd 50 verschiedene Syndrome, von denen die meisten extrem selten sind. Und in der Regel ordnet sich die allergrößte Mehrheit dieser Menschen klar einem Geschlecht zu. Für mich ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts also leider ein Hinweis darauf, dass Ideologien selbst auf hohe Institutionen Einfluss nehmen.

ZEIT: Frau Villa, Sie dagegen haben mal geschrieben, die Zweigeschlechtlichkeit sei eine Ideologie. VILLA: Damit meinte ich zugespitzt, dass die Vorstellung von der Binarität der Geschlechter ideologisch motiviert ist. Alles, was da nicht hineinpasst – das Nichtbinäre, das Fließende – , wird als Ausnahme oder als zu therapierende Abweichung verstanden.

ZEIT: In Deutschland haben bisher weniger als 1000 Menschen ihr Geschlecht offiziell als divers angemeldet. Spricht das nicht doch für Ausnahmen? VILLA: Als psychische Realität, aber auch als praktische Erfahrung gibt es ohne Zweifel mehr als zwei Geschlechter. So, wie es innerhzalb der Geschlechter viele Varianten gibt. Genau das haben die Verfassungsrichter erkannt. ZEIT: Ich beschäftige mich seit bald 20 Jahren mit diesen Themen und beobachte, wie sich die Debatte immer weiter aufheizt. Warum ist das so?

KORTE: Das liegt auch daran, dass queere Strömungen, die auf eine Auflösung der Geschlechtsbegriffe hinarbeiten, in den Gender-Studies die Oberhand gewonnen haben. Der traditionelle Feminismus, der die strukturellen Ursachen der Benachteiligung von Frauen kritisiert, hat derweil an Einfluss verloren.

VILLA: Mit der Geschlechterdiskussion verbinden sich, wie wir gesehen haben, Ordnungsvorstellungen und Moralauffassungen. Wer das infragestellt, verursacht Verunsicherung und erntet teilweise heftige Kritik. Das kenne ich, solange ich mich mit dem Genderthema befasse. Ich bekomme alles: von gut gemeinten Korrekturvorschlägen bis hin zu Drohbriefen und Vergewaltigungsfantasien. ZEIT: Herr Korte, ich habe ein Jahr gebraucht, bis dieses Gespräch zustande kam. Von Medizinern uns Sexualwissenschaftlerinnen hagelte es Absagen: »Das gibt nur Ärger«, »Ich will keinen Shitstorm«. Sie fürchten offenbar keine Kritik? KORTE: Auch ich bekomme beleidigende E-Mails bis hin zu Drohungen. ZEIT: Wäre es nicht einfacher, wenn das Mannsein und Frausein weniger wichtig wären?

VILLA: In einer Gesellschaft, in der die Frage der Geschlechtsunterschiede nicht mehr diese große Bedeutung hat, verliert die Debatte an Schärfe – das wäre zumindest meine Hoffnung. Vielleicht gäbe es sogar das beschriebene bLeiden am falscxhen Geschlacht deutlich weniger, wenn wir an das Geschlecht weniger Erwartungen stellen würden. Zum Glück existieren dafür erste Hinweise: Die Zahl von Mednschen, die sich als genderfluid oder nonbinär bezeichnen, nimmt bekanntlich zu. KORTE: Ihre Hoffnung in Ehren, aber ich fürchte, das ist eher ein Problem und nicht die Lösung.

Das Gespräch führte Martin Spiewak.

Quelle DIE ZEIT 31. März 2022 Seite 33/34 Die Unordnung der Geschlechter Wie unterscheiden sich Frauen und Männer? Was ist biologisch festgelegt, was sozial beeinflusst? Ein Streitgespräch über die wissenschaftlichen Grundlagen einer endlosen Debatte.

Warum bedeutet mir dies alles etwas? Obwohl es mich scheinbar nicht betrifft? Ich denke an ein altes Bilderbuch, das ich vor drei Jahren schon mal kurz gestreift habe: hier (ganz am Ende). Weiteres hier. Was ich nie behandelt habe, war die Machtfrage bzw. die meiner kindlichen Ohnmacht. Schon mein Bruder, nur anderthalb Jahre älter, war deutlich mächtiger, er durfte manches für mich entscheiden, er stand jahrelang der Übermacht Mutter näher, ich war fast nichts. Er hatte Sinn für alles Technische, er ging mit Modellflugzeugen um und malte schnittige Autos (ich krückelige Kühe und Rehe), er hätte gewiss als Baby die Mobiles beobachtet, ich nur die sich nähernden Gesichter! Und dann war da ein Schlüsselerlebnis, das mich mit dem Begriff Wahrheit konfrontierte, mit Ausweglosigkeit, Verlassenwerden, Alleinsein: an der Wand, hinter einem Vorhang, nein, einem  großen Badetuch, das über einer blanken Stange zum Trocknen aufgehängt war.

Ich erzähle es lieber, als sei es die Geschichte eines fremden Kindes, etwa viereinhalb Jahre alt. Oder fünf? An der Wand über dem Doppelbett, in dem es lag, hing die Taschenuhr des Vaters, die er nicht mit in den Krieg nehmen wollte. Allein. Das Kind fühlte sich nicht mehr krank, ließ die Augen im Zimmer wandern, seitlich und hinter sich, über sich, – da war die Uhr. Wenn es aufstand und sich reckte, reichten die Fingerchen bis dort hinauf. Vor dem Haus hörte es die Stimmen der anderen Kinder, die spielten; jetzt rutschte die Kette der Uhr über den haltenden Nagel, auf die Ärmchen, das Kind umklammerte das tickende Etwas und raus aus dem Bett! War es so umsichtig sich anzukleiden? Vielleicht war Sommer, draußen brauchte man nichts Warmes. Woher kam der kleine Hammer, wir wissen es nicht, der Bruder fragte eindringlich: „Das ist nicht die Uhr von Papa?“ „Neinnein, ankucken! aufmachen!“ Gleich neben den Treppenstufen an der Mauer ließ sich das Ding gut anschauen und bearbeiten. Als die Mutter nach Hause kam, war nichts zu beschönigen, Glas kaputt, Silber platt, alles verbogen, heile machen ging nicht. Wer war das?! Der Kleine hat gesagt, es ist nicht die Uhr von der Wand! Nein, sagte der, ich war das nicht. Er wollte es nicht mehr sein. Das Strafgericht fand im Badezimmer statt, die Schläge taten weh, die Mutter war sehr böse, wer hat das gemacht? Sag die Wahrheit! Immer wieder: Sag die Wahrheit! Und der Kleine antwortete immer wieder: „Die Wahrheit!“ Wie sie’s wollte. Und wenn sie weg war, stellte er sich  mit dem Gesicht hinter das Badetuch, sie sah ihn sofort, und es gab wieder Schläge. Und wieder gehorchte das Kind und sagte „die Wahrheit“, immer wieder, sie wollte es doch! Die Mutter. Sie wusste, wer jetzt so lügt, wird zwangsläufig später auf die schiefe Bahn geraten. Es war Krieg, die Russen würden kommen. Und eines Tages begann sie dem Kind ihr eigenes Lieblingsbuch vorzulesen: „Wie Engelchen seine Mutter suchte“. War Engelchen wirklich ein Bübchen? Ich weiß es nicht. Jedenfalls schämte ich mich.

Vom Kosmos

Nominalismus: was schert mich das? Und auch: was lehrt mich das?

Schall und Rauch? Goethe „Faust“

Das Weltbild meiner Kindheit (ich liebte die Tiere, also: dies musste alles wahr sein):

Heute beginne ich aber mit Wikipedia: HIER über den Universalienstreit. Oder auch: Nominalismus. Ich: immer in grün.

aus Wikipedia a.a.O.

Auch dies sei zunächst dahingestellt. Ich zitiere aus einem Text über den Philosophen Hans Blumenberg (unter Weglassung der Quellenhinweise, außerdem: statt ß meist ss, unerwähnt: kleine Umsetzung eines Textbausteins). ZITAT (Wetz S. 31 bzw. 30):

In der vorchristlichen Antike galt der Kosmos als Inbegriff des schlechthin Möglichen; außer dem Wirklichen war nichts möglich. Auch im christlichen Mittelalter von Augustinus bis Albertus Magnus und Thomas von Aquin soll das »Was der Welt«, deren essentieller Bestand, für Gott als Schöpfer alternativlos gewesen sein. Dessen Willensmacht bezog sich lediglich auf das »Dass der Schöpfung«, deren existentiellen Bestand: Es lag in seiner Macht zu entscheiden, ob die Welt sein wird oder nicht, aber nicht, welche Gestalt sie haben soll.

All diese Grundaussagen sind nach Blumenberg im spätmittelalterlichen Nominalismus fragwürdig geworden.

Der theologische Absolutismus des spätmittelalterlichen Nominalismus verkehrte das zeitlich vorausgehende System des mittelalterlich-scholastischen Rationalismus gewissermaßen in sein Gegenteil. Dort wurde behauptet, was hier in Abrede gestellt wird. Im Hochmittelalter wurde das Ganze der vergänglichen Schöpfung noch als sinnvoller Ordnungszusammenhang von beruhigender Beständigkeit, Verlässlichkeit und Wohlgeordnetheit vorgestellt. Dieses Ganze hatte den Charakter eines hierarchischen Stufenbaus, an dessen Spitze der Mensch stand, der in der Ordnung des Wirklichen eine Vorzugsstellung beanspruchte, da er sich als Krone der für ihn eingerichteten und zu seinen Gunsten disponierten Welt betrachten durfte. Zugleich sah er sich durch seine Gottebenbildlichkeit in den Stand gesetzt, Gott und die Welt sicher erkennen zu können. Seine Gottebenbildlichkeit war Garant für die Zuverlässigkeit seiner Gottes- und Welterkenntnis, denn Gott ebenbildlich zu sein hieß, im Besitz eines Verstandes zu sein, der tendenziell mit dem Gottes übereinstimmte.

All diese Grundaussagen sind nach Blumenberg im spätmittelalterlichen Nominalismus fragwürdig geworden. Die sichtbare Welt offenbarte jetzt nur noch einen kleinen Ausschnitt des Gott Möglichen, der seiner Schöpfung jederzeit ein anderes Aussehen geben konnte. Nachdem so Gottes Wille zu höchster Mächtigkeit gesteigert worden war, soll es anschließend zu einem großen Vertrauensverlust in seine Zuverlässigkeit gekommen sein. Wurde Gott aber in seiner absoluten Macht für die Menschen unberechendbar, so konnte auch die Wohlgeordnetheit der Schöpfung sowie die Sonderstellung und Bedeutsamkeit des Menschen nicht mehr länger metaphysisch begründet werden. Der Zuverlässigkeitsschwund Gottes zog einen Ordnungsschwund der Welt und einen Bedeutsamkeitsschwund des Menschen nach sich. Gott, der im Spätmittelalter die Menschheit aller metaphysischen Garantien und Zusicherungen beraubte, war für sie ebenso unbelangbar wie ungreifbar geworden. Mit seiner Macht hatte auch seine Verborgenheit zugenommen. Die »potentia absoluta« ist ein »deus absconditus«. Nun ist ein verborgener Gott aber für die Menschen soviel wie ein toter Gott, denn von Fürsorge für Welt ist bei einem solchen Gott nichts mehr zu spüren. Folgerichtig schreibt Blumenberg: Der nominalistische Gott ist ein verborgener Gott » – und ein verborgener Gott ist pragmatisch so gut wie ein toter«. Oder: »Der nominalistische Gott ist der überflüssige Gott, er kann durch den Zufall […] ersetzt werden.«

Dies bedeutete das Ende des Mittelalters und den Beginn der Neuzeit als Epoche der humanen Selbstbehauptung.

Quelle Franz Josef Wetz: Hans Blumenberg zur Einführung (2004) www.junius-verlag.de / Seite 30 ff

Die andere Quelle (1920):

Das wichtigste Buch meiner Oma (neben dem „Realien-Buch“), und wenn ich darin las, daraus abmalte o.dgl., schaute sie mit Wohlgefallen auf mich und ersparte sich und mir die weitausholenden und lang andauernden eigenen Predigten… Das kleine Bild – hier in Vergrößerung – hing „in groß & bunt“ über ihrem Bett und beflügelte meine kindlichen Träume unermesslich: das Kind in freundlicher Gesellschaft mit Löwe und Lamm – das könnte doch ICH selber sein. Ich war es. So wie ich auch, in all meiner Hilflosigkeit, jederzeit  „der starke Hans“ oder „der Tannendreher“ war.

 

Fortsetzung Text (Quelle a.a.O. Seite 32):

Dies bedeutete das Ende des Mittelalters und den Beginn der Neuzeit als Epoche der humanen Selbstbehauptung. Die verschärfte Transzendenz des göttlichen Umgangs mit der Schöpfung erzwang gewissermaßen die Immanenz der menschlichen Daseins- und Weltorientierung. Der seit dem Ausgang des Mittelalters von den Ordnungs- und Bedeutsamkeitsgarantien verlassene Mensch sah sich fortan mehr und mehr zur Selbstbehauptung gegen eine rücksichtslose Welt veranlasst. Wenn Gottes Zuverlässigkeit schwindet, seine Allmacht sich das menschliche Handeln restlos unterwirft und schließlich der Mensch sogar seine Bedeutsamkeit einbüßt, dann wird die menschliche Vernunft zwangsläufig herausgefordert, sich durch Abkehr von der Metaphysik auf sich selbst zu konzentrieren sowie die Welt den eigenen Bedürfnissen gemäß verfügbar und beherrschbar zu machen.

Damit wird die innere Logik des Zusammenhangs von theologischem Absolutismus und humaner Selbstbehauptung deutlich: Der spätmittelalterliche Nominalismus mit seinem Willkürgott hatte den Menschen einer solchen Gleichgültigkeit und Rücksichtslosigkeit der Natur ausgeliefert und in eine derartige metaphysische Unsicherheit gestürzt, dass er nun sein Geschick selbst in die Hand nehmen musste: »Der in der Verborgenheit Gottes seiner metaphysischen Garantien für die Welt beraubte Mensch konstruiert sich eine Gegenwelt von elementarer Rationalität und Verfügbarkeit.« Anders formuliert: »Je gleichgültiger und rücksichtsloser die Natur gegenüber dem Menschen erscheint, um so weniger gleichgültig kann sie ihm sein, um so rücksichstloser muss er selbst das, was ihm als Natur gegeben ist, […] verfügbar machen und als den Spielraum seiner Daseinschancen sich unterwerfen.« So legt der theologische Absolutismus indirekt dem Menschen die Last der Selbstbehauptung auf. Mit dieser These widerspricht Blumenberg der weitverbreiteten Ansicht, dass die Neuzeit mit einem absoluten Neuanfang begonnen habe und in keinem Verhältnis zum Mittelalter stehe. Der Beginn der Neuzeit sei kein absoluter Anfang, weil er irreduzible Voraussetzungen im spätmittelalterlichen Nominalismus habe. Die Neuzeit sei aus einer extremen Nötigung des Menschen zur Selbstbehauptung hervorgegangen, die sich aus dem theologischen Absolutismus herleiten lasse. Repräsentant und Prototyp der auf sich selbst gestellten Neuzeit sei Faust.

(a.a.O. Seite 33)

Damit bin ich mit meiner Abschrift genau an dem Punkt angelangt, der für mich persönlich wichtig war und ist. Warum?

1 ich brauche den großen historischen Zusammenhang, auch, weil ich die großen Narrative, die Bilderwelt des Christentums nicht über Bord werfen kann. Damit verbunden die Welt aller symbolischen Formen samt der Musik.  Und Faust ist das Stichwort, das mich mit den Jahren um 1958 verknüpft (und gewissermaßen versöhnt). 

2 dann – das Wort Verfügbarkeit… (bzw. Unverfügbarkeit) – Resonanz… (nicht zu verwechseln mit Konsonanz, auch Neue Musik gehört dazu.)

3 das Hören (Bach ohne Pietismus)

Nur die folgenden Inhalte als visuelle Wegmarken:

  alle nur möglichen Narrative…

Villanders: Kapelle mit „Fegefeuer“

Man könnte meinen, ich hätte es inzwischen ein für allemal begriffen, nachdem ich ja schon 2020 das entsprechende Blumenberg-Original über die Geburt des schöpferischen Menschen mit Rotstift durchgearbeitet habe. Trotz (oder wegen) meiner Oma habe ich in meiner Jugend ja durchaus kein brennendes Interesse für Kirchenväter entwickelt (Nietzsche hätte mich früher oder später auch davon kuriert). Nur an eins erinnere ich mich: Religionsunterricht in der Oberstufe, Thema Buddhismus – ich hatte schon Laotse gelesen, aber auch Marc Aurel -, und wandte ein, da könne man ja schon alles finden, was dem Christentum Positives zugeschrieben werde, und der Lehrer hob hervor: was fehle, sei die tätige andere (himmlische) Seite: die Gnade. Ich habe nicht weiterargumentiert, – dafür brauche man aber die Sünde, die Schuld, vor allem das Sündenbewusstsein, mit anderen Worten, die ANGST und ein glaubwürdiges Jenseits, die Drohung des Fegefeuers und die Macht der Kirche, all diese Hilfsvorstellungen durchzudrücken, die Möglichkeit, uns „Erlösung von dem Übel“ zu versprechen. Aber in Südtirol habe ich immer wieder daran gedacht. Daher die gespannte Aufmerksamkeit, wenn Augustinus mit dem Gnadebegriff bei Blumenberg auftaucht:

Und jetzt ist das entscheidende Kapitel des Büchleins erreicht, Grund genug, es immer wieder genau hier aufzuschlagen, zurückzugehen, voranzuschreiten… „die Inkongruenz von Sein und Natur … als Möglichkeit schöpferischer Originalität erkennen und ergreifen“ zu können.

Quelle:

s.a. hier im Blog unter „Tiere sehen“ (Texel)

Wenn Sie mich aber fragen, was denn die Einleitung dieses Artikels, die Symbolbilder mit den Pferdchen, zur Klärung beigetragen haben, so frage ich zurück, was denn an der Inkongruenz von Sein und Natur so problematisch sein soll? Lesen Sie doch auf der zweiten Seite des eben wiedergegebenen Kapitels VI die Sätze vom Sein der Welt und dessen hypothetischer Ersetzbarkeit, verstehen Sie, weshalb die Debatte über die Allmacht Gottes und über dessen Unendlichkeit eine so existentielle Bedeutung erlangen konnte. Was hing denn für den Menschen davon ab? Wie kam es, dass aus den logischen Elementen  emotionale  wurden? Da steht der leicht übersehene Satz von Hans Blumenberg: „Ich vermag keine Darstellung dieses Transformationsprozesses zu geben. Mir geht es darum, etwas über das Anwachsen der Inkongruenz von Sein und Natur und damit über die Relevanz des Spielraumes der schöpferischen Ursprünglichkeit auszumachen.“