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Zweite Natur = Kultur?

Der philosophierende Mensch in seiner Umwelt

Als die Welt immer fragwürdiger zu werden begann, wurde mir immerhin klar, dass es mir nicht gelingen würde, so einfach in der Natur zu leben, wie es mein kindlicher Plan gewesen war. Ganz allein wie sollte das gehen? Trotzdem behielten solche Lebensentwürfe ihre Anziehungskraft. Ich wollte die Wälder Schwedens kennenlernen, wahrscheinlich wegen Nils Holgerssohn (also dank der poetischen Imagination der Schriftstellerin Selma Lagerlöf), dann kam Hamsun („Pan“ , „Segen der Erde“ ), der Komponist Sibelius. Diese Ära endete mit dem Buch „Kunst, Kitsch und Konvention“ von Karlheinz Deschner. Auch Hesse war damit erledigt („Klingsors letzter Sommer“ – auf Langeoog). Eine Art Rausch tatsächlich, jetzt dank Fernsehgedenkfilm leicht revidierbar, – und unerträglich für immer. Damals auch mit der Lektüre von Adolf Portmann verbunden, die ich auf mich persönlich beziehe, eine biologisch anteilnehmende Perspektive: „Nesthocker und Nestflüchter“, wahrscheinlich wollte ich zuerst fliehen und dann hocken. Die Frage (nach dem Krieg, Jahre auf der Lohe): Was ist Natur, was ist meine wahre Heimat, was kann ich definitiv darüber wissen?

Wikipedia HIER  Man beachte, was hier von Aristoteles gesagt wird, der den Begriff der „zweiten Natur“ erfunden hat; ich zitiere es aus der Nikomachischen Ethik, die ich seit 1966 besaß, ohne ihre Bedeutung zu verstehen:

Natürlich würde ich dies nicht als Hauptentwicklungslinie für mich seit Mitte der 50er Jahre gelten lassen; ich habe damals auch ganz andere Sachen gelesen, und „in echt“, würde ich sagen, wenn ich jetzt renommieren wollte. Platon zum Beispiel, Leonardo, sogar Kant hatte ich in Dünndruckausgabe mit auf Langeoog, – nur leider nicht verstanden. Aber an die oben genannte Lektüre denke ich am ehesten, wenn ich mich für die Anthropologie von Daniel Martin Feige motivieren will: da gibt es etwas Verwandtes, das mich nicht erlahmen lässt. Und vor allem: ich sehe die damalige Zeit mit einer gewissen Sympathie, nicht mit Herablassung, als hätte ich es inzwischen so herrlich weit gebracht. Die Evolution (Darwin nach Julian Huxley) spielte eine wesentliche Rolle, und im Zielgebiet winkt – nach wie vor – ein neuer Blick auf die Musik.

Ich überspringe den 1. Teil, den „biologischen“, der mich mit Verwunderung erfüllt, aber nie ganz ratlos gelassen hat. Dass ich dabeibleiben würde, wusste ich erst im zweiten Teil, nach der Überschrift „Zweitnatürlicher Naturalismus“ (siehe Portmann-Erinnerung und Wikipedia-Artikel). Nun geht es zu Kant und Aristoteles, auch da gibt es Vorerfahrungen, auch dank Blumenberg. Und man ist gewappnet, die große Parabel von den Wölfen zu ertragen, ohne zu lachen. Man macht sich kundig betreffend MacDowell (Wikipedia hier), und liest gründlich, was er uns über den „imaginierten rationalen Wolf“ mitteilen will, auch wenn es noch im Dunkeln bleibt, was mit den Wikipediasätzen gemeint sein soll: dass nämlich …

bereits die Wahrnehmung selbst begrifflich strukturiert sei, bzw. mit ihr schon begriffliche Fähigkeiten in Anspruch genommen werden müssten. Das sich hieraus ergebende Problem, dass Tieren und Säuglingen dann offenbar Wahrnehmung abgesprochen werden müsse, versucht McDowell im Anschluss an Überlegungen von Aristoteles und jüngere Denker außerhalb der analytischen Tradition, wie Karl Marx und Hans-Georg Gadamer, zu lösen. Tiere nähmen keine „Welt“, sondern nur eine „Umwelt“ wahr, in der sie lebten und, ohne Abwägung von Gründen, auf sich unmittelbar stellende biologische Probleme reagierten.

Wiki Wölfe

Daniel Martin Feige spricht über Positionen,

die unsere Form des Lebendigseins mit starken inhaltlichen Bestimmungen eines »Guten« des menschlichen Lebens verbinden [….] ohne unser Lebendigsein und unsere Vernünftigkeit angemessen zusammen zu bekommen,

was ich hier etwas gewagt verkürze. Daher das folgende (garantiert ungekürzte) Zitat zu einem vieldiskutierten Gedankenexperiment von John McDowell:

Tugenden als Ausdruck unserer praktischen Vernunft können nicht derart als Aspekt unserer Lebensform verstanden werden, wie das Jagen im Rudel zur Lebensform des Wolfes gehört. Sein Gedankenexperiment besagt, dass wir uns einige Wölfe als rationale Wölfe vorstellen und dann fragen sollen, welche Autorität Lebensformtatsachen im bislang diskutierten Sinn dann noch haben. Ein vernünftiger Wolf, so seine Antwort, handelt nicht länger der Lebensform des Wolfes gemäß, sondern ist Träger einer anderen Lebensform, in der aus Gründen als Gründen gehandelt wird. Der vernünftige Wolf wäre insofern nicht allein ein Denkender, als er Ereignisse und Zustände als Ereignisse und Zustände der Welt erfassen könnte, sondern er wäre auch ein Handelnder, insofern er Ereignisse und Zustände in der Welt aufgrund der Einsicht in das, was zu tun ist, hervorbringt. McDowell weist zu Recht darauf hin, dass wir einem solchen Wesen Freiheit zuschreiben sollten. Und sein Argument lautet: Die Lebensformtatsache, dass Wölfe im Rudel jagen, hat für den vernünftigen Wolf nun keine unumstrittene Autorität mehr, da sie unabhängig davon, dass Wölfe als Wölfe sich so verhalten, für das Handeln des vernünftigen Wolfes normative Kraft für sein Handeln entwickeln müsste. Das aber ist nicht ausgemacht. Nicht allein könnte er ein lasterhafter Wolf werden, der nicht länger jagt und dennoch die Beute, die die anderen Wölfe herbeigeschafft haben, frisst. Dabei ist auch McDowell der Meinung, dass mit einem solchen Wolf etwas nicht stimmen würde. Aber der entscheidende Punkt ist: Dieser Wolf könnte nun Überlegungen anstellen, ob die Gründe für die gemeinsame Jagd tatsächlich gute Gründe sind. Der Unterschied zwischen einem Wolf und dem imaginierten rationalen Wolf besteht diesbezüglich im Folgenden: »Die Form, in der das, was Wölfe benötigen, auf sewin Verhalten einwirkt, beinhaltet keinen Schluss auf das, was er benötigt. Aber sobald wir uns einen vernunftbegabten Wolf vorstellen, der sich fragt, was er tun soll, macht dieser Gedanke tatsächlich einen Unterschied.«

McDowells Überlegung legt nahe, dass wir Vernunft nicht einfach als natürliche Ausstattung des Menschen verstehen können, da sie seine natürlichen Anlagen derart, wie Tiere sie haben, nicht einfach bestehen lässt. Er schlägt dabei anders als die bislang diskutierten Ansätze vor, die Vernunft des Menschen nicht als dessen erste Natur zu begreifen, sondern vielmehr als seine zweite Natur. Das tut er deshalb, weil sein Gesprächspartner nicht allein Aristoteles ist, sondern auch Kant; er entwickelt das Erbe von Aristoteles nicht zuletzt durch das Prisma der kantischen Philosophie fort.

Quelle Daniel Martin Feige: Die Natur des Menschen / Eine dialektische Anthropologie / Suhrkamp Berlin 2022 / Zitat Seite 117 ff

Ich erinnere mich immer wieder an Kant-Begegnungen, z.B. hier oder hier oder hier. Wandere über die Wikipedia-Brücke hierher und finde dort auch dieses handliche Schema der Erkenntnis:

Weit gefehlt, wenn ich nun glaube, bei Feige auf eine besonders fassliche Darstellung zu stoßen. Er sagt es mit seinen Worten, und die klingen nun mal anders:

(Fortsetzung folgt)

Die Welt an sich

Kapiert?

Man soll die Gelegenheit beim Schopfe fassen, sobald man etwas kapiert: aufschreiben, abschreiben oder was auch immer. Kopieren, was man kapiert. Das geht auch. Mir geht es so mit dem Ding an sich. Jahrelang dachte ich, dass sei so etwas wie Platos „Idee“ in seiner „Ideenlehre“, von der ich auch noch nicht viel wusste. Oder wissen wollte. Seit ich in einem aus der Stadtbibliothek Bielefeld entliehenen Buch eine graphische Skizze gesehen habe, darin durch einen Kreis markiert: die Idee oder das Ding an sich, seitdem weiß ich gar nichts mehr. Aber jetzt! Hier:

Aber viel früher (in Bielefeld) hatte ich bei Nietzsche Aphorismen gelesen, in denen er über das „Ding an sich“ bei Kant spottete. Da war es für mich eine Weile tabu. Ich wollte mich natürlich auf das letztlich Richtige beschränken und las erstmal keinen Kant mehr… So hielt man das in Bielefeld. Man wollte ganz vorne mitspielen, nicht auf den Hinterbänken bei den Hinterweltlern, die ich natürlich auch nur von Nietzsche kannte. Am 31.Mai 1965 kaufte ich mir in Köln antiquarisch das Buch von Jaspers über Nietzsche (für 12.-DM) und ahnte, dass ich Nietzsche nie verstanden hatte. Jedenfalls nicht im philosophischen Sinne. Hier las ich nun, und es dämmerte mir: „Versuchen wir eine Welt zu denken, wie sie an sich sei, so scheitern wir.“ Ist das nicht reinster Kant? „Die Welt ist Ausgelegtsein.“ Sie ist, wie wir sie auslegen… Mit ihm sind wir durchaus keine Hinterweltler, „Hinterwelt“ – das ist nicht Bielefeld!

Quelle: Nietzsche – Einführung in das Verständnis seines Philosophierens / Von Karl Jaspers / Verlag Walter de Gruyter & Co. Berlin und Leipzig 1936

Um nun zu prüfen, dass ich den Text oben, der von Volker Gerhardt stammt (genaue Quelle weiter unten), nicht vorschnell verstanden habe, gebe ich auch die darauffolgenden Seiten wieder, die den Sinn der Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding an sich näher beleuchten. Und wir erfahren, dass man von diesem eigentlich gar nicht sprechen kann. Es wird nämlich nur erschlossen. Es könnte dasein. Aber es ist nicht vorhanden…

Quelle Volker Gerhardt: Immanuel Kant – Vernunft und Leben / Reclam Stuttgart 2002

Ich lasse es dabei bewenden. Habe ich mich nicht schon früher mit der Welt an sich befasst? Immer wieder, hier zum Beispiel, aber ich muss diese Themen heute nicht mehr miteinander verknüpfen. An sich steht doch alles bei Kant, oder – wenn man einmal den Einstieg gefunden hat – in Volker Gerhardts Buch über Kant.

Lebendiges Denken erleben? Zum Beispiel in einer Runde, die 2004 im Nachtstudio zusammensaß, darin auch Volker Gerhardt:

Noch etwas weiter zurück (Gegner 1788 bzw. Anhänger 1798):

Rückbesinnung

Lesen als lebensnotwendiges Mittel

Vorläufige Merkzettel

Das „Gewühl“

Die Wiederentdeckung des Anfangs

 neues Buch über Beethoven

Beethoven unbeschreiblich?

 neues Buch von E. Coccia „Sinnenleben“

Baum Gehirn Musik

 ISBN 978-446-26572-1

(Das Wort „schillernd“ im Umschlagtext finde ich ganz unangebracht. „Glänzend“ wäre angemessener.)

Das „Gewühl“

Über Jaspers  endlich Kant begreifen…

Ich will es nicht lange begründen – weshalb gerade dieser Weg -, es hat sich bei mir bewährt, und daher will ich es festhalten. Auch wenn es scheint, dass ich mich zu lange im Vorhof des Denkens bewege, dort wo erst von bloßer Sinnlichkeit und noch nicht einmal von sinnlicher Anschauung die Rede sein kann. Alle Zitate stammen aus dem Jaspers-Buch „Plato Augustin Kant“, und darauf beziehen sich die nachgesetzten Seitenzahlen. Farbliche Hervorhebungen im Text sind von mir hinzugefügt, als subjektiv belebende Orientierungshilfe.

Kant spricht von zwei Ursprüngen, zwei Quellen, von dem Geburtsort und dem Keim des Erkennens.

Beide Ursprünge sind aufeinander angewiesen. Erst ihre Einheit bringt Erkenntnis. Das Grundphänomen der Spaltung in Subjekt und Objekt bedeutet, daß immer nur das Subjekt mit dem Objekt, das Objekt mit dem Subjekt Erkenntnis ermöglichen. Immer ist das Bewußtsein affiziert und rezeptiv, aber so, daß erst der ergreifende Denkakt die Affektion gegenständlich werden läßt. Immer ist das Bewußtsein denkend, aber so, daß erst anschauliche Sinnlichkeit dem Denkakt gegenständliche Bedeutung gibt.

Sinnlichkeit als solche ist unartikuliert, endlos, bedeutungslos. Nicht gegenübergestellt und darum nicht gedacht, bleibt sie ein gegenstandsloses Gewühl. Sie ist bloß Dasein, das noch nicht vor mir steht, das Unbestimmbare, das in der Fülle seiner Unmittelbarkeit doch wie nichts ist. Sie ist eine Realität, die, weil unbestimmt, noch keine Realität ist. – Verstand aber, der nur denkt, ohne sich geben zu lassen, ist ohnmächtig zur Erkenntnis. Wir sind angewiesen auf Sinnlichkeit.

Der Verstand bedarf der Anschauung, um nicht bloß Denken zu sein, sondern Erkenntnis zu gewinnen. Die Anschauung bedarf des Verstandes, um nicht bloß subjektives Gewühl zu sein, sondern gegenständlich zu werden und damit objektive Bedeutung zu gewinnen. Kurz: „Anschauungen ohne Begriffe sind blind, Begriffe ohne Anschauungen leer.“ (Seite 210)

*   *   *

Nachmittags bei Christian Schneider in Düsseldorf. Erneut das Staunen über seine Sammlung, die eine quasi biologische Evolution der Oboeninstrumente imaginieren lässt. Hier ein paar Ausschnitte:

 Klappensysteme!

Wie mein Jaspers/Kant-Material aussieht:

Und wie es weitergeht:

Lies weiter. (Auch hier: Wiederholungen, Varianten.)

Der Morgen danach: „Verflechtung“ (ist nicht „Gewühl“)

(…) Zweitens wird der Sprung zum Transzendentalen dadurch gefordert, daß im Text ständig die Übersetzung der einzelnen Ausdrucksweisen ineinander stattfindet. Der Leser kann sich verwirren und schwindlig werden, bis gerade aus diesem Schwindel jene Klarheit erwächst, die in keiner der gegenständlichen Bestimmtheiten gefaßt werden kann.

Nur in der Verflechtung kommt zur Geltung, was allein transzendental zu verstehen ist. Da Kant fest im Sinne behält, was er eigentlich will, geht er den von uns geschilderten Weg: Da jeder gegenständliche Ausdruck für das gegenständlich nicht mehr zu Greifende unangemessen ist, in jedem Augenblick aber nur gegenständlich gedacht werden kann, ergreift Kant die Reihe der vier gegenständlichen Ausdrucksmöglichkeiten, deren jede er durch die andere wieder rückgängig macht. Da er sie alle sich verflechten läßt, gelingt es ihm, dem verstehenden Leser jedes Festhalten an einem bestimmten Gedanken zu verwehren, ihn vielmehr zu veranlassen, vermöge des verschlungenen Gewebes der immer unangemessenen Vorstellungen indirekt das zu treffen, worauf es ihm ankommt.

(…) Die Bedeutung von Tautologie, Zirkel, Widerspruch: Ein zweiter methodischer Grundzug – wiederum von Kant nicht grundsätzlich angesprochen, aber faktisch vollzogen – ist eine logische Unstimmigkeit des Ausdrucks, die aber ihren guten und notwendigen Sinn hat.

Was muß ich tun, wenn ich des Umgreifenden inne werden will? Ich muß mit dem Faßlichen über das Faßliche hinausschreiten; ich muß das Faßliche zusammenbrechen lassen, so wie Leitern, die ich nicht mehr brauche, wenn ich die Höhe erklommen habe.

Dieses Zusammenbrechenlassen geschieht erstens auf die bisher erörterte Weise, daß jeder bestimmte Leitfaden des Ausdrucks durch die anderen in der Verflechtung aufgehoben wird, so daß in dem Gewebe jeder Faden zwar notwendig ist, aber ohne selber den Sinn des Ganzen darstellen zu können.

Zweitens geschieht es dadurch, daß das so Gedachte in seiner logischen Form gegenständlich unhaltbar ist. Weil das Ungegenständliche, das im Ursprung alles Gegenständlichseins (der Subjekt-Objekt-Spaltung) erhellt werden soll, ohne gegenständlich faßlich zu sein, doch nur gegenständlich gedacht werden kann, muß das so Gedachte, um nicht als falscher Gegenstand sich zu verfestigen, formal scheitern in Tautologien, Zirkeln und Widersprüchen. (Seite 226f)

Die Erfahrung beim ersten Lesen der Deduktion und der zugehörigen Abschnitte der Kritik (Schematismus und Grundsätze) ist: Es hält nicht ein einziger beweisender Gedanke Schritt für Schritt durch mit entschiedenen Positionen, die auseinander und aufeinander folgen. Vielmehr ist eine Verflochtenheit des Denkens, dazu im Kreisen und Wiederholen, daß man zunächst in Verwirrung gerät. Wir haben analysierend zu zeigen versucht: das ist nicht Nachlässigkeit der Form, sondern Ausdruck der Tiefe des schaffenden Denkens. Diese Verflochtenheit ist aus der Natur der Sache sinnvoll.

Wohl jeder spürt bei der Lektüre dieses Kernstücks der Kritik zuerst seinen inneren Widerstand und später das größte Interesse. Hier müssen die aus der Tiefe erhellenden Kantischen Gedanken gefunden werden. Nur Flachheit kann meinen, daß ein Irrlicht hier den Suchenden täusche. [Seite 243]

 Blick hinaus 31.01.19 9.00 Uhr

Quelle Karl Jaspers: Plato Augustin Kant – Drei Gründer des Philosophierens – R.Piper & Co Verlag München 1957 (Erworben 6.XII.61)

Keine Alternative:

Gerade der „Klartext“ verwandelt Philosophieren in Auflistung. Als Kontrast und  Ergänzung zu Jaspers aber durchaus nützlich. (Zahlreiche kleine Druckfehler machen mich skeptisch.) Wichtiger und klarer scheint mir heute der Wikipedia-Artikel KANT oder auch zur Kritik der reinen Vernunft hier , darin insbesondere der Abschnitt „Unterfangen der Kritik“ (Grundlage des Empirismus à la John Locke).

Als nächstes wäre nachzufragen, weshalb bei Michael Pauen (siehe auch hier und besonders hier) abgesehen von John Locke und Leibniz die großen Philosophen nach Descartes völlig ausgespart werden. Er verharrt offenbar naiv in der Subjekt-Objekt-Spaltung. Vermutlich hält er Kant für einen vorwissenschaftlichen Idealisten.

Man lese auch die Buchbesprechung hier. Daraus diese abschließenden Sätze:

Was man in diesem wie auch in vielen anderen vergleichbaren Büchern vermisst: Der Autor legt seine ontologischen Voraussetzungen in keiner Weise dar. Wer materialistisch argumentiert wie er, sollte erst einmal Rechenschaft über seinen Materiebegriff geben. Ist Materie für Pauen eine inerte, tote und ungeistige Substanz? Oder verfügt sie ihrerseits bereits über mentale oder vielmehr protomentale Eigenschaften? Was versteht der Autor unter neuronalen Prozessen, und wie hängen sie seiner Ansicht nach mit Bewusstseinsinhalten zusammen? Von diesen fundamentalen Fragen ist im vorliegenden Buch an keiner Stelle die Rede. So bewegt sich die Diskussion sozusagen im ontologisch luftleeren Raum, und man fragt sich, welchen Beitrag das Werk eigentlich zum Verständnis der Thematik liefert. Es ist eben nicht ganz einfach, sich am eigenen Schopf aus dem (philosophischen) Sumpf zu ziehen. [Eckart Löhr]

Ums Leben lesen

Wie sich die Lektüre von selbst vereinfacht: sie geht mich an, – oder nicht; sie bildet Zweiergruppen, die sich ergänzen oder widersprechen; sie begleitet mich eine Weile, – oder verschwindet in der Warteschleife.

Leben Wilson 1Leben Wilson Klappentext Leben Wilson rück

(Texte bitte anklicken)

Hätte ich den Klappentext gelesen, hätte ich mir das Buch vielleicht nicht gekauft. Ausschlaggebend war tatsächlich der Titel mit dem Zusatz „menschlichen“, denn Bücher mit dem Titel „Der Sinn des Lebens“ habe ich schon in ausreichender Zahl (z.B. Christoph Fehige u.a., Julian Baggini, Terry Eagleton). Man könnte mich einen Spezialisten für den Sinn des Lebens halten, wenn man nicht wüsste, dass ich sowieso gleich zur Musik übergehe. In Sachen Religion, von beiden Großmüttern mehr oder weniger intensiv bearbeitet, bin ich allerdings – mit Sigmund Freud zu sprechen – ziemlich unmusikalisch, der Sinn für Bach und – sagen wir – Monteverdi ist davon völlig unbeeinträchtigt. Aber unter meinen neueren Büchern ist keins, das den Lebenssinn von biologischer Seite angeht. Das kann ja auch nicht gutgehen, meine ich, Leben will einfach leben, das ist alles. Leider. Selbst wenn es sehr komplex dabei zugeht. Siehe Ameisen. Damit gibt sich Ameisenforscher Wilson offenbar nicht zufrieden. Will der kluge, alte Mann auch noch Philosoph sein? Plötzlich sehe ich eine Verbindung zu dem, was gerade in der ZEIT von Thomas Assheuer an KANT exemplifiziert wurde. Übrigens auch einen polemischen Bezug des Neodarwinisten Wilson auf den Naturwissenschaftler Richard Dawkins, darüberhinaus sehe ich den Vorsatz, die alte Kontroverse zwischen Natur- und Geisteswissenschaften beizulegen, die ich kürzlich von Thomas Nagel so glänzend bestätigt gefunden hatte, in dem Buche:

„Geist und Kosmos. Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist.“

Ein eher humoristisch formulierter Gedanke, aber sehr erhellend ausgeführt. Siehe auch den stellvertretenden Gegensatz in der Frage, was zur Bildung gehört: hier am Beispiel Schwanitz / Fischer.

(Fortsetzung folgt)

Paarweise die anderen derzeit (für mich) aktuellen Bücher:

Alan Rusbridger „:PLAY IT AGAIN:“ Ein Jahr zwischen Noten und Nachrichten / Secession Verlag für Literatur, Zürich 2015

WILLIE NELSON mit David Ritz „Mein Leben: Eine lange Geschichte“ / Wilhelm Heyne Verlag München 2015

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„Man braucht ein ganzes Leben, um jung zu werden“ Ausgewählt von Ursula Gräfe / Insel Verlag Berlin 2010 / 2013

Hannelore Schlaffer: Das Alter. Ein Traum von Jugend. Bibliothek der Lebenskunst. Suhrkamp Frankfurt am Main 2003

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Goethe Lieder