Jede Zeitung, jede Illustrierte weiß irgendetwas darüber zu berichten und hat irgendwelche Experten an der Hand. Und ausgerechnet ich, der ich voller Skepsis war und bin, will mich nun auch noch einmal vergewissern, dass diese Erfahrung mit der Künstlichkeit auch ihr Gutes hat. Haben wir uns früher nicht auch ernsthaft gestritten, wenn es um neue Techniken des Übens ging, und hat nicht sofort jemand gehöhnt (und sei es ein innere Stimme): Ja ja, ihr vorbildlichen Deutschen, euch geht es immer nur um das rein Menschliche, ihr wollt nur Künstler sein, keine Virtuosen. Wie war das noch mit Hermann Hesse, nachdem Karlheinz Deschners „Kunst, Kitsch und Konvention“ erschienen war? 1962 erst??? Oder schon?? Zur Sache, keine blinde Schwärmerei… Im Lexikon Philosophie von Thomas Vašek von 2017 jedenfalls gab es noch keine KI im Namen der übermenschlichen Erkenntnis, wenn auch lauter gute Artikel zu Geist und Denken.
Lexikon „Philosophie!“ Theiss 2017
Zitat, gefunden beim Kurkurator JMR:
Die „Sorge vor … der Technisierung [des Organischen hat] auch ihre
Begründung … – aber dann richtet sie sich eher auf die Frage, wer über solche neue Macht der Menschen verfügen wird und wie sie auf das Wohl des Menschen eingegrenzt werden kann, als auf die andere Frage, ob ein vermeintliches Recht der Natur auf Enthaltung des Menschen von letzten Eingriffen dadurch verletzt würde.“ / The „concern about … the
mechanisation [of the organic] also has its justification … – however, it is directed more towards the question of who will have such new human power at their disposal and how it can be limited to the good of mankind, rather than the other question of whether a supposed right of nature to abstain from final interventions would thereby be violated.“
Und wie kam ich kürzlich auf diese neue Zeitschrift,- es war ein Hinweis in Facebook (Meta), vertrauenswürdig, mit respektablen Namen verbunden (Thomas Vašek ! , Daniel Martin Feige). Das wird keine kritiklose Beschreibung einer von menschlichen Schwächen befreiten Zukunft sein. Und nach einer unnötig langen Recherche im Internet fand ich das Heft (vorrätig) im nahen Buch- und Zeitschriftenladen des Haupt(!)bahnhofs Solingen.
von Daniel Martin Feige
(Fortsetzung folgt)
Neu (1.6.24) Florian Harms (t-online) hier zitiert zum Vormerken:
Während wir auf die aktuellen Nachrichten starren, vollzieht sich im Hintergrund eine grundstürzende Entwicklung, die alle anderen Technologien in den Schatten stellen kann, mit denen der Mensch es je zu tun gehabt hat: Die Künstliche Intelligenz ist drauf und dran, sich zur Superkraft aufzuplustern. Zur Gottheit des gesamten Universums.
Sie haben sicher schon manches über ChatGPT gehört, und vielleicht nutzen Sie es ja auch. Das wäre gut, denn wer diese Technologie nicht versteht und sie nicht anzuwenden weiß, könnte bald ein großes Problem bekommen. Generative Sprachmodelle werden unseren Lebens- und Arbeitsalltag umkrempeln, so viel dürfte feststehen.
Was sich in der KI-Entwicklung tut, geht aber weit über ChatGPT, Google Gemini, Perplexity und all die anderen Anwendungen hinaus, die gegenwärtig wie heilige Grale bejubelt werden. Künstliche Intelligenz hat das Potenzial, die ganze Welt zu verändern – zum Guten oder zum Schlechten. Führende KI-Experten haben diese Woche davor gewarnt, die Risiken Künstlicher Intelligenz zu unterschätzen: Sie bewerten deren Gefahren so hoch wie bei einem Atomkrieg.
Kann Künstliche Intelligenz die ganze Menschheit ausrotten? Oder beschwert sie uns ein herrliches Leben ohne Mühen? Diese Frage gehört nicht in einen Science-Fiction-Roman, sie gehört an jeden deutschen Küchentisch und in jedes Wohnzimmer. Um Ihnen einige Denkanstöße für Ihre Gespräche im Familien-, Freundes- und Kollegenkreis zu geben, haben Lisa Fritsch und ich einen der klügsten Köpfe zum Thema eingeladen: Fabian Westerheide zählt zu den führenden Experten für Künstliche Intelligenz und Zukunftstechnologien in Europa. In unserem Gespräch sagt er Sätze, über die man tagelang nachdenken kann. Wenn Sie wissen wollen, was auf Sie und Ihre Lieben zukommt: Schenken Sie uns ein paar Minuten Ihr Ohr. (Interview mit Fabian Westerheide)
„Die KI ist ein Werkzeug. Sie ist ein Ebenbild von uns, sie ist kulturbewahrend, sie verstärkt uns, was Vorurteile angeht, aber auch was Fortschritte in der Gesundheit angeht, in der Kriegsführung sehen wir zum Beispiel: sie nimmt Menschenleben, aber sie nimmt weniger Menschenleben als die Menschen vorher genommen haben. Also das Werkzeug ist ne Verstärkung von uns, die größte Gefahr sind die Menschen, die sie missbrauchen. Für Cyberangriffe, für Desinformation, für Deepfakes, für Wahlkampf, – also die KI ist erstmal unschuldig bis zu dem Zeitpunkt, wo sie durch uns Menschen missbraucht wird.“ [Weiter ab 2:26]
Ist der vorausgeschickte journalistische Text nur alarmierend? Bitte weiterhören, Länge 30’05, jedoch hoch interessant schon bis 4:40, – man kann nicht aufhören!)
Ich könnte meine Arbeiten einstellen, wenn sie nicht nebenbei auf meine Selbstbelehrung zugeschnitten wären, also auf meine persönlichen Defizite. Sonst könnte ich natürlich auch meine Kinder und Enkel befragen und mich „ein Stück weit“ entmündigen. (Ich bin gespannt, ob die KI auch schon diese beliebte Korrespondenten-Redeformel einbauen kann oder sie in Zukunft vermeiden hilft…)
Ich habe mich aber auch ein Stück weit bei einem sehr klugen Menschen kundig gemacht, bei Hans Brandeis, einem bekannten (Musik-)Ethnologen, absoluter Fachmann für alle Formen der Boot-Lauten auf den Philippinen. Hier seine (von mir gekürzten) Ausführungen:
HANS BRANDEIS (in Facebook Januar/Februar 2023)
BOAT LUTES AND ARTIFICIAL INTELLIGENCE (AI)
These days, there is a lot of talking about artificial intelligence (AI) and that certain program called „ChatGPT.“ I put the program to a test. I thought that, at least for me, the best topic would be Philippine boat lutes, because most of the published literature comes from me so that it’s easy for me to judge where the information of the AI chat program comes from.
I started with a very simple question: „Please, tell me something about Philippine boat lutes!“ The program started fiddling around telling me something about string instruments played by seafarers on boats and people living in coastal areas. This, of course, is totally wrong, as the name „boat lute“ is only applied to the instruments because of their boat-like shapes. Then, I told the program that boat lutes are never played on boats or in coastal areas, but usually in the mountains, etc. etc. It means that you have to feed the program with information to rely on, and it will provide you some nice summaries.
I asked the program: „What is a kuglung?“ The program answered that it does not know what a kuglung is and asked me to provide some information. Then I cut and pasted long portions of my article on the Philippine boat lutes and hala, it gave me an answer what a kuglung is.
I also asked about the number of strings, and the AI program fiddled around that there are lutes with 2, 3 or 4 strings. After I made clear that there are no Philippine boat lutes with three or four strings, I asked again about the number of strings. Then, the AI program correctly answered: „Philippine boat lutes typically have two strings.“ Me: „But there is one exemption: the boat lutes of the Alangan Mangyan people of Mindoro Island have only one string, instead of two.“ I asked for the number of strings again, and the program now answered: „Most Philippine boat lutes, such as the kudyapi and the Maguindanaoan kutyapi, have two strings. However, there is one exception: the boat lutes of the Alangan Mangyan people of Mindoro Island have only one string, instead of two.“
I was curious about the ability of the program to extract information from a kind of table and transform it into sentences. Therefore, I copied and pasted the following text (I gave the AI program the complete text, but I shortened it here, just to give a sample):
„The following is a list of all the ethnic groups using boat lutes in the Philippines. The name of each respective ethnic group can be read in the first line of each paragraph.
Mindanao
Higaonon (Plates 6-7)
Settlement area: Provinces of Misamis Oriental, Lanao del Norte and Bukidnon, Northern and Central Mindanao.
Local name of boat lute: kutiyapì.
usw. usw. die weitere Aufzählung überspringe ich an dieser Stelle
The AI chat program answered with the following summaries:
ebenso die verwirrte (?) Antwort des Systems.
Hans Brandeis:
It’s obvious that the AI program only picks up some names of ethnic groups, actually always the same names, but leaves out many others…
So far… this is just to give you an idea… all this is quite remarkable…
CONCLUSION: the system forgot about everything that I taught it before.
Jan Reichow:
Ich dachte, das System lernt besser…
Hans Brandeis:
Naja, eigentlich lernt das System ja ganz gut. Es ist nur so, dass es vom Informationszuwachs durch Nutzer offensichtlich abgeschnitten worden ist. Ich nehme an, in der Vorphase des Projekts, bis 2021, wurde das System mit einer Vielzahl von Quellen gefüttert, auf die es sich jetzt bezieht. Neue Quellen werden wahrscheinlich nur durch Mitarbeiter des Projekts zugeführt. Das ist auch verständlich, denn wer garantiert für die Qualität der Quellen, die von Nutzern eingespeist werden. Es gibt sicher eine ganze Reihe von Leuten, die das System mit irgendwelchen Fake-News und wissenschaftlichem Unsinn füttern würden. Schließlich gibt es ja auch eine Reihe von Leuten, die ein solches (oder auch jedes Projekt) – aus welchen Gründen auch immer – einfach nur zerstören wollen. Das soll natürlich unterbunden werden. Ein Nutzer – in diesem Falle also ich – kann aber zu jeder Reaktion des Systems einen Kommentar abgeben, der wahrscheinlich von den Projektmitarbeitern zur Verbesserung des Systems verwendet wird
Ich kenne mich mit diesem Zeug natürlich überhaupt nicht aus, nehme aber an, dass es im Wesentlichen auf Wahrscheinlichkeitsrechnung beruht. Das System kann ja schließlich nichts wirklich verstehen. Es werden ja nur Sprachobjekte miteinander verknüpft, die für das System keinerlei Bedeutung haben (können). Jedem Begriff und jeder Aussage werden wahrscheinlich eine Art „Relevanzwerte“ zugeordnet, die sie mit anderen Begriffen und Aussagen verbinden. Daraus baut das System dann irgendwelche Aussagen zusammen, deren „Wahrheitsgehalt“ sich aus Wahrscheinlichkeiten ergibt. Ich denke mir das nur so, habe aber eigentlich keine Ahnung von dieser Materie…
Jan Reichow:
Verstehe…absurd ist nur, dass das Ding Lyrik verfassen können soll. Natürlich nur für Leute, die Verse, die sie nicht verstehen, am ehesten für Lyrik halten.
Hans Brandeis:
Das ist halt „Kunscht“…Ich werde das System einmal fragen, ob es mir ein Gedicht über Bootslauten machen kann…
I asked ChatGPT: „Can you write me a poem about the boat lutes of the Philippines?“
ChatGPT: Sure, here’s a poem about the boat lutes of the Philippines:
Sailing on the waves of melody and rhyme,
The boat lutes of the Philippines chime.
With strings that dance to the rhythm of the sea,
They tell tales of love, loss, and mystery.
In the hands of skilled musicians they come alive,
Creating sounds that make the soul thrive.
Echoes of ancient songs and stories untold,
Resonating through the air, both young and old.
The lutes have seen the rise and fall of nations,
And played their part in historic celebrations.
From the depths of the sea to the mountaintops high,
Their music spreads its wings, soaring through the sky.
So let us cherish these instruments of the sea,
And keep their melodies alive for posterity.
For they are a part of the Philippines‘ soul,
A treasure to be protected and passed down, whole.
Jan Reichow:
Nicht schlecht für einen Automaten…
Lieber Herr Brandeis, darf ich Ihre Ausführungen als erhellenden Beitrag meinem Blog-Artikel über dieses Thema zuführen? (Mit Quellenangabe natürlich.)
Zu Hans Brandeis mit vielen interessanten Beiträgen über seine Forschungsthemen: HIER
I’m an ethnomusicologist by profession, with a main interest in the traditional music of the Philippines. In the 1980’s, my research focused on the musical culture, vocal and instrumental music, ceremonies and other traditions of the Higaonon (Bukidnon, Talaandig, Banwaon). My favorite musical instruments are the boat lutes (kutiyapi, kotapi, hegelung, faglung, kuglung, etc.), which can be found among nearly all the ethnic groups of Mindanao and Palawan.
If you want to know more about me, please, check out my websites on Philippine music and culture and other stuff:
https://www.facebook.com/boatlutesphilippines/?fref=ts hier
https://www.youtube.com/channel/UCXCTlyeMiixlGT56bLkdZIQ hier
ENDE
JR – Vorgemerkt
zur Kenntnisnahme:
Die spirituelle Sicht auf Bewusstsein und Künstliche Intelligenz (Aurobindo): Hier
ZITAT: In Indien wird die Angst vor ChaptGPT mit einem Lachen beantwortet. Es ist ganz klar, eine unumstößliche Gewissheit, dass die Computer keine Konkurrenz für die Seele sind, sie sind kraftvolle Werkzeuge, mehr nicht. Ich fragte ChatGPT neulich – nach einer längeren Konversation über Aurobindo, Deleuze und die Upanischaden – ob der Pfad der Upanischaden und der Meditation der KI zugänglich ist: [siehe unter dem angegebenen Link]
Bin ich (bei) ein Bewusstsein? Oder habe ich es nur?
Kaum hatte ich die Überschrift erfasst, wandte ich mich zur Vergewisserung um: ist das Buch noch griffbereit? meine Instanz seit 1995. Als man noch „Bewußtsein“ schrieb.
Geht also nur alles von vorne los? Auf einer neuen Ebene? Der oben plakatierte ZEIT-Artikel wird folgendermaßen eingeleitet: „Ein Google-Entwickler glaubt, ein Computerprogramm des Konzerns sei zum Leben erwacht. Die Maschine rede und fühle wie ein Mensch. Als er seine Beobachtung öffentlich macht, wird er gefeuert. Doch was, wenn er recht hat?“ Ein Artikel von Ann-Kathrin Nezik.
Ich will diese Geschichte nicht unbedingt im Detail memorieren, von Black Lemoine, dem Senior Software Engineer bei Google, der dort rausflog, aber immer noch mit dem Computerprogramm LaMDA redet, das er folgendermaßen kennzeichnet: es ist „empathisch und wissbegierig, wenn auch manchmal etwas unbeholfen. Wie ein Kind, das sich tastend durch die Welt bewegt. Er befürchtet allerdings, dass „sie der Maschine inzwischen alles Menschenähnliche, das sie entwickelt hatte, wieder genommen haben.“ Für ihn war es klar, dass der Computer Bewusstsein entwickelt hat.
Man kommt sicher bald auf das Leib-Seele-Problem, vermute ich, ja, und natürlich auf die Rolle der Perspektive: schaue ich von außen auf diese lebendige Sache oder erlebe ich sie von innen. Und da ist auch schon die berühmte Fledermaus:
Damals (1995) war ein anderes System im Gespräch, am Ende des Buches „Bewußtsein“ (herausgegeben von Metzinger) gab es den großen Aufsatz von Daniel Dennett und das Stichwort COG:
Im Internet konnte ich damals noch nichts vertiefen, heute rate ich mir (und anderen), z.B. den Artikel aus Planet Wissen zu lesen, hier, dann hätten wir schon eine Art Zweitmeinung:
Aber im Prinzip ist heute noch nicht klar, was den menschlichen Geist oder menschliches Bewusstsein eigentlich ausmacht. Vermutlich ist es eine Meta-Ebene, die in der Lage ist, die Informationsverarbeitungsvorgänge in den einzelnen Gehirnzentren übergeordnet zu betrachten und zu bewerten.
Vielleicht kommt der Großhirnrinde diese Funktion zu. Sie erhält Informationen aus den sensorischen und motorischen Arealen, die hauptsächlich in den Tiefen des Gehirns liegen.
Andererseits verweisen viele Forscher auch darauf, dass es eben rein strukturell ein übergeordnetes Zentrum im menschlichen Gehirn nicht gibt, sondern dass alle Areale parallel miteinander verschaltet sind.
Oder:
Ohne Körper, meint der Vater des humanoiden Roboters „COG“, Rodney Brooks, kann sich keine Intelligenz entwickeln. Intelligenz ist nur dann nötig, wenn sich ein Wesen in seiner sich ständig verändernden Umwelt behaupten muss. Dies sei die Triebkraft für die Intelligenz-Entwicklung.
Ich hätte auch oben (im METZINGER bzw. Dennett) einfach umblättern und weiterlesen können:
Über die Jahrhunderte hinweg ist jedes andere Phänomen, das anfänglich als „übernatürlich“ und geheimnisvoll erschien, einer nicht mehr umstrittenen Erklärung unter dem weiten Rock der Naturwissenschaften gewichen. Thales, der vorsokratische Proto-Wissenschaftler, glaubte, daß der Magneteisenstein eine Seele besäße, aber wir wissen es besser; der Magnetismus ist eins der am besten verstandenen physikalischen Phänomene, wie merkwürdig seine Erscheinungsweisen auch sein mögen. Sogar die „Wunder“ des Lebens und der Vermehrung werden heutzutage in der molekularbiologischen Analyse mit bekanntermaßen verwickelten Analysen erklärt. Warum sollte das Bewußtsein eine Ausnahme darstellen?
Wäre ich glücklicher? (Darum geht es nicht!!!)
Weniger positivistisch klingt es im letzten Aufsatz des Buches, wenn Dieter Birnbach über „Künstliches Bewußtsein“ schreibt (Achtung: Fledermaus!):
[Es sind …..) Zweifel daran erlaubt, ob sich die Bedingungen des Bewußtseins jemals so eindeutig aufklären lassen, daß die entsprechenden psychophysischen Verallgemeinerungen Gesetzesähnlichkeit beanspruchen können.
Die epistemischen Schwierigkeiten, die wir heute bereits mit exotischen Bewußtseinswesen (wie Thomas Nagels Fledermäusen) haben, würden sich für Maschinen noch verschärfen. Auch wenn wir uns vorstellen, daß wir uns Hirntransplantate einbauen lassen könnten, die an unser Zentralnervensystem „angekoppelt“, uns das Innenleben anderer, heute noch hermetisch verschlossener Wesen aufschließen, wäre das Problem nicht aus der Welt, wie sicher wir sein können, daß das, was wir mittels dieser Transplantate erleben, tatsächlich das ist, was Fledermäuse oder Maschinen erleben.
Quelle Dieter Birnbacher: Künstliches Bewußtsein (Seite 728) in: Bewußtsein / Beiträge aus der Gegenwartsphilosophie / herausgegeben von Thomas Metzinger (Verlag Ferdinand Schöningh Paderborn, München, Wien, Zürich 1995)
Übrigens kann man den Fledermaus-Text (1974) von Thomas Nagel vollständig im Internet nachlesen: und zwar hier. Des weiteren wäre empfehlenswert, auch wenn es vielleicht den aktuellen KI-Utopien zuwiderläuft:
Klappentext lesen: … ein Generalangriff auf die etablierte naturwissenschaftliche Weltsicht. Ihr Problem, so Nagels These, ist grundsätzlicher Natur: Das, was den menschlichen Geist auszeichnet, – Bewusstsein, Denken und Werte – , lässt sich nicht reduzieren, schon gar nicht auf überzeitliche physikalische Gesetze. Daher bleibt eine Theorie, die all dies nicht erklären kann, zwangsläufig unvollständig, ja, sie ist mit Sicherheit falsch.
Suhrkamp 2013
(Fortsetzung folgt: zurück zur neuen ZEIT)
Weiter im Artikel, aber mein Bewusstsein driftet ab: ich liebe es nicht, Wissensinhalte über Geschichten vermittelt zu bekommen (das hat Enzensberger schon früh als Charakteristikum des „Spiegel-Stils“ herausgestellt: im Erzählertonfall zu beginnen, um die Lesenden einzufangen, – captatio benevolentiae). Auf der zweiten ZEIT-Seite notiere ich mir das Wort „Simulation“, auch „Mimesis“ hätte als Merkwort dienen können: an den Körper und seine Imagination gebundene Vorstellungen. Die Assoziation, dass der Mensch durch seine Fähigkeit zu lügen vor den Tieren ausgezeichnet sei, wobei die Vorgeschichte der „Mimikry“ zu bedenken ist, Stichwort Signalfälscher. Dann die immer interessante Erfahrung der getäuschten Erwartung im Witz, quasi befreiend, und in der Tat – da kommt sie schon als Kriterium:
Als Witz erinnert das an die Kinderseite der Tageszeitung, wo bis zum Gehtnichtmehr, die Doppelbedeutung von Worten ausgenutzt wird, die keinem gewieften Wortspieler ein müdes Lächeln abringt. Leicht vorstellbar wie man diese minimalen Lacheffekte einprogrammiert. Und auf der nächsten Seite folgt auch erwartungsgemäß, aber spät, das Stichwort „Simulation“, die Anthropologie stand Pate:
Der Zweifel nistet sich ein, kaum abzuweisen: bin ich es, der schreibt? Verhalte ich mich wie ein künstlicher Mensch, der Bewusstsein simuliert? Ich nehme mir die Freiheit, zurückzuspringen, zu unterstreichen, zu assoziieren, ganze Blöcke zu überspringen:
An dieser Stelle könnte die Geschichte zu Ende sein. Es wäre die Geschichte eines Computerprogramms, das zweifellos ein erstaunliches Maß an Intelligenz erreicht, ohne dass man zweifelsfrei sagen kann, ob damit so etwas wie ein Bewusstsein einhergeht. Allerdings wäre es eine unvollständige Geschichte, weil die Frage nach dem Bewusstsein nicht die einzige Frage ist, die sich hier stellt. Es geht auch um etwas anderes: darum, ob LaMDA womöglich gefährlich ist. (…)
In seiner Wohnung in Montreal malt er sich Szenarios aus, die er durchaus für realistisch hält: Autokraten und Demokratiefeinde könnten mit Charbots wie LaMDA Propaganda wie am Fließband produzieren. »Es reicht, dem Programm zu sagen: Schreib mir eine Studie, warum Impfen schlecht ist. Oder warum Weiße allen anderen Menschen überlegen sind.« Jeder könnte mit LaMDA und vergleichbaren Programmen Wähler täuschen, Märkte manipulieren, Leute betrügen. Für Menschen mit bösen Absichten sei die Entwicklung von Chatbots wie die Erfindung des Maschinengewehrs für den Krieg. (…)
Quelle DIE ZEIT Dossier Seite 13 ff 12. Januar 2023 HAST DU EIN BEWUSSTSEIN? Ich denke schon, antwortet der Rechner / Ein Google-Entwickler glaubt, ein Computerprogramm des Konzerns sei zum Leben erwacht. Die Maschine rede und fühle wie ein Mensch. Als er seine Beobachtung öffentlich macht, wird er gefeuert. Doch was, wenn er recht hat? Von Ann-Kathrin Nezik
Das Virus wirkt weiter, verbreitet sich, auch in harmlosen Musikkritiken oder- Abschiedsartikeln, wandert in die Musiken selbst hinein. Wer hat da gesprochen, wenn man Schumann hört? Es spricht so zehrend und so menschlich, man kann alles hineinlegen. In der Musik verschwinden steht drüber, an den chinesischen Maler erinnernd, der in sein selbstgemaltes Landschaftsbild hineinsteigt und in der Ferne verschwindet. Hier zu Barenboims Abschied oder Weiterwirken- „am Ende allen Dauerkonzertierens, für das er berüchtigt war. Premiere in Berlin, rein in den Flieger, Konzert in Chicago, rein in den Flieger, Proben in Paris, Mailand oder Wien, so ging das ein Leben lang.“ Und weiter:
Herrlich, ja aufregend, wie Barenboim in Schumanns Klavierkonzert das Geschehen nun weitgehend Argerich und den ersten Philharmoniker-Pulten überantwortete, die prompt alles virtuose Rauschen und Gedonner fahren ließen. Ein seiner Außenhaut entkleideter Romantiker trat so zutage, mal störrisch, mal fahrig, mal feinster Gesang. Frei von eigenen Sentimentalitäten ließ sich das kaum miterleben, die Generation Argerich / Barenboim steht für eine Hochzeit der klassischen Musik, die es so wohl nie wieder geben wird.
Armer Schumann! Ohne Außenhaut! Mit ihm lässt sich alles behaupten, er spricht immer unüberhörbar, aus weiter Ferne ebenso tönend wie aus unserm eigenen Innern. Da muss man den ersten Philharmoniker-Pulten rein gar nichts unterstellen, nicht einmal die eigene Trauer über den Untergang einer Ära. Das würde kaum mit Reger oder Pfitzner funktionieren, bei denselben Interpreten, vielleicht geht das wirklich nur mit Schumann und Brahms.
Das zu feiern stärkt und erfreut. Nach der Pause, in Brahms‘ 2. Symphonie, macht Barenboim faktisch nichts mehr, kleine, kleinste Gesten genügen, oft ruht sein Taktstock ganz, wie bei vielen großen Alten vor ihm. Denn das ist die höchste Kunst: in der Musik zu verschwinden. Selbst die Blumensträuße, die man ihm am Ende reicht, rupft er und verteilt sie so akribisch an die Damen des Orchesters, bis von der floralen Pracht nur mehr Gemüse übrig ist.
Quelle DIE ZEIT 12. Januar 2023 Seite 43 In der Musik verschwinden Daniel Barenboim ist wieder da – mit Martha Argerich (von Christine Lemke Matwey).
Der letzte Satz allerdings könnte auch von einem LaMBDA-Programm stammen, das den eingestreuten Witz als Reiz anzuwenden gelernt hat. Für das Leser-Bewusstsein bleibt vorrangig die Erinnerung an das Wort „Gemüse“ und will und will nicht mehr verschwinden.
Und noch etwas: Was ist ChatGPT? Ich hatte Zweifel, ob der junge Mann, der hier mit uns spricht, real oder virtuell vorhanden ist (in der Welt da draußen), aber mir wurde klar, dass dies in der Schönen Neuen AI-Welt wirklich von nachrangiger Bedeutung ist.
Noch etwas: Hier (ein Grundkurs mit 5 Beispielen für die Verwendung des Chatbots)
Des weiteren hier (ein Testgespräch mit einem Open AI Chatbot)
Zu KI (oder AI =Artificial Intelligence) wie immer nützlich (auch betr. Für und Wider) nachzulesen bei Wikipedia HIER
Es liegt was in der Luft, KI – und mit Vorliebe wird in der Kunst herumgestochert, als sei es die letzte Bastion der Menschlichkeit, deren Verschwinden nun bald zu beklagen sein wird. Dabei gab es doch schon die künstlich erschaffene Zehnte von Beethoven in Bonn, ein Desaster erster Güte, das nur nicht heilsam wirkte, weil es doch genug Offizielle gab, die bestätigten, dass es irgendwie nach Beethoven klang; was ja kein Wunder ist, wenn man ausreichend „echten“ Stoff reingemischt hat. Kein Wort darüber. Es wird auch nicht richtiger, wenn es vom Philosophen Precht stammt, der sich wohl in KI auskennt, aber nicht in MUSIK.
Ich weiß nicht, ob der verdienstvolle Journalist Ulrich Schnabel nun die passenden Akzente setzt, wenn es um KI in Literatur, Prosa oder Lyrik geht.
DIE ZEIT 15. Dezember 2022
Ich erlaube mir aber, einen Abschnitt daraus zu zitieren, in dem es u.a. um Gedichte von Rilke oder Celan geht, vielmehr um deren Surrogat aus dem Ideen-Räderwerk der Künstlichen Intelligenz.
Lassen Sie es auf sich wirken!
Welcher Lyrikkenner würde denn im Traum glauben, dass eine so schwache Metapher („Berge wie Riesen“) von Rilke stammen könnte, der auch noch „die Kraft der Erde“ unter seinen Füßen fühlt. Gewiss, wer den Namen Celan und das Wort schwarz hört, denkt im gleichen Moment an die „schwarze Milch“ der Todesfuge, aber schon dieses Titelwort könnte die KI nur von Celan selbst abgeluchst haben und dürfte es übrigens kein zweites Mal verwenden. (Um nochmal auf Beethoven zurückzukommen: es ist völlig unrealistisch, dass er ein neues Opus aus Elementen vorheriger Werke zusammenbaut. Sein Geist war unberechenbar, von Werk zu Werk ebenso wie innerhalb eines Werkes.)
Wer sind denn die Versuchspersonen, die nur noch raten können, ob es sich um ein Original oder ein Maschinen-Gedicht handelt? Raten statt urteilen??? Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein Poet, wenn er sein Handwerk versteht, schreibt wie ein Roboter, aber unwahrscheinlich, dass diesem eine Strophe gelänge, die mit einer von Rilke austauschbar wäre.
Und etwas weiter im Text findet man die Sätze:
Eine weitere Kritik an den Sprachprogrammen lautet, dass sie häufig vorhersehbare, formelhafte Texte hervorbringen; zu echter Fantasie oder literarisch wertvollen Beiträgen sei der Algorithmus hingegen nicht in der Lage. Das stimmt. Die Sache ist nur die: Dasselbe gilt für uns Menschen. Auch der Großteil jener Texte, die wir tagtäglich produzieren, ist formelhaft und folgt vorhersehbaren Mustern – das gilt für die Hausaufgaben wir für Behördentexte, für Sprachnachrichten wie Politikerreden. Das eröffnet den Sprachprogrammen einen enormen Anwendungsbereich.
Aber wer will sich im Ernst darüber wundern, dass wir uns im täglichen Leben unzähliger Formeln und Redensarten bedienen? Es ist schlicht unnötig, sich permanent origineller oder preziöser Ausdrucksweisen zu bedienen. Daraus wird sich kein entspanntes (und inspiriertes) Gespräch entwickeln, wie es „normale“ Menschen lieben, die z.B. nicht miteinander im Wettkampf stehen, sondern – sich unterhalten.
Auch das Philosophie Magazin vom 14. Dezember 2022 beschäftigt sich mit diesem Thema und sieht gerade in dieser Normalität ein Problem:
ChatGPT – wenn Algorithmen fabulieren
Ein neues Sprachprogramm der Firma Openai sorgt im Netz seit einigen Wochen für Aufsehen. Der Grund ist, dass es eine Fähigkeit beherrscht, die bislang Menschen vorbehalten war: Das Erzählen von Geschichten.
Und nun heißt es:
Sogar die Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, die man lange als rein menschliche annahm, scheint die KI zu beherrschen. Einer jener Denker, der das Erzählen von Geschichten zum Vorrecht des Menschen erklärten, war Henri Bergson. In seinem 1932 erschienenen Werk Die beiden Quellen der Moral und der Religion erklärt der Philosoph, dass die Fähigkeit zu „fabulieren“ notwendigerweise mit der menschlichen Intelligenz verbunden und unerlässlich ist, um uns gesund und guten Mutes zu halten. Sie erfüllt in der Tat eine lebenswichtige Funktion, indem sie uns als potentes Werkzeug im Kampf gegen eine Niedergeschlagenheit zur Verfügung steht, die uns in unterschiedlicher Ausprägung jedoch schlussendlich alle betreffen wird.
(…)
Daran darf zum jetzigen Zeitpunkt mit Fug und Recht gezweifelt werden. Bergson erinnert uns nämlich auch daran, dass es nur möglich ist, den Nebenwirkungen unserer Vernunftbegabung mit Geschichten entgegenzuwirken, wenn die Geschichten von sich aus „vital“ sind. Also eine Kraft besitzen, die jenen Texten abgeht, die lediglich aus einer Vielzahl neu arrangierter, jedoch bekannter literarischer Gemeinplätze bestehen. (…)
Im Gegensatz dazu zeichnet sich das menschliche Fabulieren durch das Charakteristikum aus, mit Erwartungen zu brechen, im ersten Moment verwirrende Geschichten zu konstruieren, die sich schließlich doch zu einem Ganzen zusammenfügen.
Richtig! Niemand zweifelt aber auch, dass nette Kindergeschichten, wie ich sie einst für meine Enkelin erfand, ebenso von einem Computer stammen könnten. Die Kleine gab mir sogar zwischendurch Anweisung, wie es weitergehen sollte. Auf keinen Fall sollte der Hauptfigur etwas zustoßen. Niemals hätte sie protestiert, wenn der Inhalt allzu schematisch aufgebaut war. Die Geschichten sollten ja gewissermaßen einem heimlichen Muster folgen. Es war nicht schlimm, wenn es ausging wie am Abend zuvor. Andererseits gab es genügend Erfahrungen, dass ein Film oder eine geschriebene Geschichte, anders verläuft, als vom Kind gewünscht, ja, sogar mit Tränen endet. Lebenserfahrung, die auch dazu verleiten kann, endlich selbst den Weltlauf mitlenken zu wollen. Und wissen, was ein Scheitern bedeutet.
Heute würde Henri Bergson sich wahrscheinlich angesichts der Leistungen der KI etwas anders fassen. Aber im Prinzip lohnt es sich, vom „vitalen“ Kern auszugehen, der die Geschichte trägt. Und normalerweise beeinflusst kein Rezipient den Verlauf, die live erzählende Person allerdings ist ein Seismograph, der durchaus die Kräfte spürt, die wachgerufen werden.
* * *
Eine andere Idee, der nachzugehen wäre, hat mit dem Witz zu tun, bzw. unserer Fähigkeit, einen Witz zu verstehen oder gar wirkungsvoll (auf die Pointe hin) zu konstruieren. Das oft geradezu explosive Lachen über einen Witz wird ja in einem winzigen Moment ausgelöst, der einem Kurzschluss gleicht oder vielmehr dem Gegenteil: ein Kontakt schließt sich, ein Zusammenhang blitzt auf, ein Netz ist geschaltet. Auf einfachste Weise, wenn es sich um einen Wortwitz handelt, ein absichtlich herbeigeführtes Missverständnis, um eine Doppeldeutigkeit, die sich auflöst, und zwar durch die aktive Rück- oder Umdeutung. Es handelt sich nicht einfach um 2 Wörter, sondern um Bedeutungszusammenhänge, die aufgerufen werden. Eine allzulange Leitung vernichtet den Witz, nötige Erklärungen müssten „undercover“ vorausgeschickt werden. Denn der Funken der Pointe muss unmittelbar zünden. Ein Spiel mit dem Fassungsvermögen und dem aktiven Erlebnishorizont der beteiligten Menschen.
In dem Exemplar der ZEIT (15.Dezember) mit dem Schnabel-Artikel gibt es tatsächlich auf Seite 57 ein kleine Kolumne von Lars Weisbrod, wie hilflos das ChatGPT mit Humor umgeht, bei der Erfindung von Witzen etwa.
Anregend auf jeden Fall: hier. Man kann aber auch mal bei heise online vorbeischauen und den Schlussabsatz zum Ausgangspunkt nehmen:
ChatGPT stellt auch keine Nachfragen, wie der Nutzer etwas gemeint haben könnte – selbst wenn mehr Informationen seitens des Nutzers die Antwort stark verbessern würden. Die KI plappert einfach drauf los und versucht die aus Sicht der Maschine bestmögliche Antwort zu geben.
Schließlich hat der aktuelle Prototyp nur Daten bis 2021. Aktuelle Fragen kann er damit nicht beantworten.
(Ende der vorläufigen Recherche)
P.S. Einer Anregung folge ich jedenfalls: ich untersuche, inwiefern ich bei Henri Bergson fündig werde, was das Wesen des Witzes ausmacht.
Zudem sollte ich im Fall der Lyrik überprüfen, warum die Interpretation aus kundiger Hand wesentlich ist. Allein wenn es um einen Satz geht wie diesen: „Was aber schön ist, selig scheint es in ihm selbst.“ Mörike. (Scheint es so oder scheint letztlich doch die Lampe?) Und dann, wenn man das ganze Gedicht liest: wie harmlos dürfte es denn aufgefasst werden?
Sollen wir uns aus dem gleichen Stoff von ChatGPT etwa ein tiefsinnigeres Gedicht verfertigen lassen?
Wenn man sich Sorge macht, dass die KI eines Tages das Leben (des Geistes) vollständig simulieren kann, aber wohl kaum die lebendige Situation, in der ein Mensch oder die Gruppe explosionsartig – ohne Sinn und Verstand – in Lachen ausbricht: so kann man bei Bergson anknüpfen dort, wo er darstellt, dass die Komik immer aus der Erfahrung einer Mechanisierung resultiert. Woraus man folgern könnte, dass die KI (als eine Form der Mechanisierung) gerade auf diesem Auge blind ist.
Ich zitiere im folgenden ohne weitere Erläuterung einfach das, was mir genügend Anregung zu bieten scheint. Ohne damit eine ausreichende Zusammenfassung der Gedankengänge Bergsons geliefert zu haben.
Bergson Seite 36f
Und nun zur Gesellschaft. Da wir in ihr und durch sie leben, können wir sie nicht anders denn als lebendes Wesen behandeln. Komisch ist folglich ein Bild, wenn es uns an eine verkleidete Gesellschaft, eine soziale Maskerade denken läßt. Ein solches Bild entsteht, sobald wir an der bewegten Oberfläche der Gesellschaft etwas Lebloses, Fixfertiges, Fabriziertes bemerken. Wieder diese Steifheit, die so gar nicht zu der dem Leben innewohnenden geschmeidigen Grazie paßt. Im formellen Teil des Gesellschaftslebens muß demnach eine latente Komik stecken, die nur auf eine Gelegenheit zum Ausdruck wartet. Man kann sagen, das Zeremoniell sei für das soziale Gefüge, was das Kleid für den individuellen Körper: Es wirkt feierlich, solange es sich mit dem ernsthaften Zweck, dem es nach überliefertem Brauch zu dienen hat, zu identifizieren scheint; es verliert seine Feierlichkeit in dem Augenblick, da unsere Phantasie es von diesem Zweck trennt. Damit eine Zeremonie komisch werde, muß sich also unsere Aufmerksamkeit nur auf das richten, was zeremoniell an ihr ist. Wir sollen nicht an ihre Materie, wie die Philosophen sagen, sondern nur an ihre Form denken. (…)
Auch hier steigert sich die Komik, je mehr sie sich ihrer Quelle nähert. Wir müssen von der abgeleiteten zur ursprünglichen Vorstellung, von der Maskerade zum Mechanismus zurückkehren. Ein solches Bild vermittelt uns schon allein die abgezirkelte Form jedes Zeremoniells. Vom Augenblick an, da wir den ernsten Sinn einer Feierlichkeit oder Zeremonie vergessen, haben wir den Eindruck, die Teilnehmer bewegen sich wie Marionetten. Ihre Beweglichkeit ist auf die Unbeweglichkeit einer Formel abgestimmt. Es ist Automatismus. Vollkommen aber ist der Automatismus eines Beamten, der wie eine Maschine funktioniert, oder die Seelenlosigkeit eines Verwaltungsreglements. das mit unerbittlichems Zwang angewendet wird und das sich für ein Naturgesetz hält. Vor einigen Jahren ging ein großer Postdampfer bei Dieppe unter. Einige Passagiere retteten sich mit letzter Not in ein Boot. Die Zollbeamten, die ihnen mutig zu Hilfe geeilt waren, fragten sie als erstes, ob sie nichts zu verzollen hätten… Ähnlich, wenn auch subtiler, wirkt auf mich der Satz eines Abgeordneten, der nach einem in der Eisenbahn begangenen Verbrechen beim Minister interpellierte: «Nachdem der Mörder sein Opfer umgebracht hatte, muß er entgegen den geltenden Vorschriften rückwärts vom Zug abgesprungen sein.»
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(Molière) Soweit hier übrigens die komische Phantasie zu gehen scheint, die Wirklichkeit bringt es zuweilen fertig, sie zu übertreffen. Einem zeitgenössischen, äußerst streitbaren Philosophen wurde vorgehalten, seine makellos gezogenen Schlüsse hätten die Erfahrung gegen sich, worauf er die Diskussion kurzerhand mit dem Satz beendete: «Die Erfahrung hat unrecht.» Die Idee, daß man das Leben durch Vorschriften regeln könne, ist weiter verbreitet, als man denkt. Sie ist in ihrer Art natürlich, wiewohl wir sie zuvor künstlich zerlegt und wieder zusammengesetzt haben. Sie liefert uns gewissermaßen die Quintessenz der Pedanterie, und diese ist im Grunde nichts anderes als Kunst, die klüger sein will als die Natur.
So verfeinert sich der gleiche Effekt immer mehr – vom Eindruck einer künstlichen Mechanisierung des menschlichen Körpers bis zur Vorstellung von einer Verdrängung des Natürlichen durch das Künstliche. (…)
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Quelle Henri Bergson: Das Lachen / Ein Essay über die Bedeutung des Komischen / Im Verlag der Arche in Zürich 1972 / Aus dem Französischen übersetzt von Roswitha Plancherel-Walter
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Nachtrag
Sehr empfehlenswert ist in diesem Zusammenhang der aktuelle Blogbeitrag von Arno Lücker: HIER. Und auch da kommt das Lachen nicht zu kurz. Zitat:
Seit wenigen Wochen haben viele Menschen Spaß an „ChatGPT“. Ein Chat-Roboter, der scheinbar auf alles eine Antwort hat – und mehr noch: selbst Gedichte, kleine Geschichten, Geburtstagsreden, Rätsel und so weiter verfassen kann. Damit lässt sich durchaus mal zwei Stunden Spaß haben (verbringt aber dadurch weitere zwei Stunden seines Tages vor einem Bildschirm). Dabei funktioniert das Ganze nicht nur auf Englisch, sondern auch beispielsweise (allerdings wesentlich fehleranfälliger) auf Deutsch. Man gibt einfach eine „Arbeitsanweisung“ in ein Eingabefeld – und relativ schnell erscheint ein Text; grafisch wie „getippt“ gestaltet, vermutlich, damit dieses Spielzeug ganz typisch den Anschein von (genial schneller) Menschlichkeit vermittelt.
Bald schon entwickelte ich ein Leitmotiv, das seither alle meine Unternehmungen geprägt hat: Neue Technologien führen immer auch zu neuen Erkenntnissen. (…)
MacLuhan selbst brachte mich auf Warren Weavers und Claude Shannons Forschungsarbeit von 1949, die den Titel trug „Jüngste Beiträge zur mathematischen Theorie der Kommunikation“ und mit dem Satz begann: „das Wort Kommunikation wird hier in einem sehr weit gefassten Sinn verwendet, der sämtliche Vorgänge umfasst, durch die ein Geist auf einen anderen einwirkt.
Realität ist ein menschengemachter Prozess. Die Bilder, die wir von uns selbst und unserer Welt machen, sind zum Teil Modelle, die in den Erkenntnissen der Technologien wurzeln, die wir erschaffen. Obwohl viele von uns noch nicht bereit waren, betrachteten wir schon nach wenigen Jahren unser Gehirn als Computer. Und als wir die Computer zum Internet vernetzten, realisierten wir, dass unser Hirn kein Computer ist, sondern ein Netzwerk aus Computern.
Quelle Süddeutsche Zeitung Freitag 15. März 2019 Seite 11 John Brockmann: Der Geist der unbegrenzten Möglichkeiten / Von Kybernetik, Mensch und Menscmaschine – eine kurze Geschichte des Nachdenkens über künstliche Intelligenz. (Erster Beitrag einer SZ-Serie über Künstliche Intelligenz.)
Merken: Norbert Wiener: „Mensch und Menschmaschine – Kybernetik und Gesellschaft“ 1950.
ZITAT
Natürlich war das ein Torwartfehler. Natürlich gilt immer noch die Regel der Urväter, wonach ein Torwart, wenn er rauskommt, den Ball haben muss. Und Neuer war wirklich weit rausgekommen in dieser 26. Minute, und man sah seinen Lauf- und Irrwegen geradezu die Gedankenkollision in seinem Torwartkopf an: Die Situation da draußen im Gelände sah ganz anders aus, als er sich das drinnen im Tor vorgestellt hatte, und, huch, da war schon die Strafraumlinie, er durfte auf keinen Fall mehr Hand spielen jetzt, und foulen durfte er auch nicht, und jetzt, huch, … und dann flog der Ball auch schon in höhnischer Flugkurve in das verlassene Tor.
Wer Neuer auf die Anklagebank setzt, wird aber auch mildernde Umstände anerkennen müssen. Das vorwärts und rückwärts gespulte Bild zeigt, dass Fußball ein Teamsport ist, in dem selten einer alleine verliert, und so ist auch dieses 0:1 eher ein Dokument allgemeiner Desorientierung. Der lange Pass von Liverpools van Dijk führt nicht nur Rafinha vor, der sich von Mané übersprinten und übertölpeln lässt. Im Bild sieht man auch Niklas Süle und Mats Hummels, die erst zurücktraben und dann, fast im gleichen Moment, die Gefahr erkennen und Tempo aufnehmen; zu spät, um rechtzeitig am Unfallort einzutreffen.
Quelle Süddeutsche Zeitung Freitag 15. März 2019 Seite 27 Christof Kneer: Ein Fehler, der im Büro beginnt / Neuer patzt beim 0:1 – aber das Tor erzählt eine größere Geschichte.
Trotz des großen Forschungsbedarfs waren sich die meisten Entomologen in Halle aber einig, dass genug Wissen vorhanden ist, um schon jetzt zu handeln und etwas gegen den Schwund [der Insekten] zu unternehmen. Klar ist, dass die intensive Landwirtschaft eine der Hauptursachen für das große Sterben ist. „klar ist aber auch, dass das nicht allein das Problem der Landwirte ist,“ sagte Olaf Zimmermann vom Landwirtschaftlichen Technologiezentrum Augustenberg in Baden-Württemberg. Auch die Verbraucher müssten umdenken und in Kauf nehmen, dass insektenfreundlich produzierte Lebensmittel teurer sein werden. Und die Politik muss eine insektenfreundliche Bewirtschaftung der Felder auch finanziell belohnen.
„Das größte Problem der Insekten mit der intensiven Landwirtschaft ist nicht der Einsatz von Insektiziden“, sagt Gross. Viel schlimmer sei, dass in Deutschland auf riesigen Flächen nur noch einige wenige Pflanzen wie Mais und Weizen angebaut werden, mit denen die Insekten nichts anfangen können, da sie vom Wind bestäubt werden. Solche Flächen sind für viele Kerbtiere wie grüne Wüsten, in die sie gar nicht erst hineinfliegen. „Da braucht es gar keine Insektizide mehr, die Insekten verschwinden auch so“, sagt Gross.
Das zu verändern, wäre eigentlich gar nicht so schwer. [Weiterlesen: hier]
Quelle Süddeutsche Zeitung Freitag 15. März 2019 Seite 16 Summen am Feldrand Blühstreifen, Hecken, weniger Pestizide: Um das Insektensterben zu stoppen, würden schon einfache Maßnahmen helfen. Aber finden Entomologen mit ihren Forderungen Gehör? / Von Tina Bayer
Bittgesang eines noch nicht Genesenen?
ZITAT
Und sie können leiser spielen, als es manchem im Saal lieb ist. Wenn da ein Pianissimo steht (die drei Komponisten des Abends lieben diesen Leisigkeitsgrad), dann ist das halt doppelt so leise wie ein Piano – und schon in der vierten Reihe ziemlich am Rand der Stille. Was wohl davon noch ganz hinten im Saal zu hören ist?
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Am intensivsten und stimmigsten versenkt sich das Ensemble in die langsamen Sätze. Natürlich in Beethovens brütende Doppelvariation, die das langsame Zu-Kräften-kommen eines Kranken nachzuzeichnen vorgibt. Linien tauchen auf und brechen ab, Triller fluten dazwischen, Girlanden und Akkordakzente verschlingen sich, zuletzt zerbricht die Musik, entschwebt zart in die Höhe: War die Heilung nur eine Vision, meinte sie den Tod?
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Und die daraus resultierende Abschiedswehmut schwebte über dem ganzen Abend, sie schien erklären zu wollen, warum Kammermusik immer mehr aus dem Fokus der Öffentlichkeit schwindet.
Quelle Süddeutsche Zeitung Freitag 15. März 2019 Seite 12 Gleichberechtigter Genesungsgesang / Das Belcea-Quartett spielt Beethoven in München / Von Reinhard J. Brembeck
Schauen wir nach:
Zerbricht die Musik? … meinte sie den Tod?
Beethovens Titel lautet: Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit, in der lidischen Tonart. Zwischenüberschrift zum D-dur-Teil: Neue Kraft fühlend.
Nirgendwo bei Beethoven eine Stelle, die „das langsame Zu-Kräften-kommen eines Kranken nachzuzeichnen vorgibt.“ Hier scheint dagegen jemand ein sprechendes Beispiel geben zu wollen, warum Kammermusik immer mehr aus dem Fokus der Kritik schwindet.
Nachwort
Man könnte meinen, dass diesem Leser (ich versuche, mich distanziert zu sehen) an diesem speziellen Wochentag genau diese Artikel am wichtigsten waren; dass er sie am gründlichsten gelesen, bei ihnen am längsten verweilt hat. Das ist durchaus nicht so. Ich müsste auf die Brexit-Beiträge verweisen (zugleich auf den Überdruss am Thema), dann auf die gesamte Seite drei, auf der der Verlauf und das Umfeld eines Doppelmordes rekonstruiert wird. Lese-Motiv? Die Fotos: Blick aufs adrette Eigenheim, das gemeine Grün des Rasens, ein verklemmtes Paar auf dem Sofa. Der Beginn des Artikels:
Der musikalische junge Mann hat bisher kein Geständnis abgelegt, aber nach Lage der Dinge gibt es keinen vernünftigen Zweifel daran, dass Ingo P. seine Mutter und seinen Vater erschlagen hat.
Auf der Rückseite der politische Hauptkommentar, über Macron, leicht erschütternd, sagen wir irritierend: über den Liebling der Deutschen, Macron und seine Politik. Also Thema FRANKREICH. Die Republik erzieht / Von Nadia Pantel. Nachzulesen HIER.
Kein Kommentar von meiner Seite. Aber dies behalte ich im Gedächtnis, alles andere vielleicht nicht. Oder ich wollte mir (Ihnen?) was vormerken, z.B. die angekündigte Serie über Künstliche Intelligenz. Oder ich wusste es schon, z.B. die Sache mit den Insekten und der Landwirtschaft. Wollte es nur warmhalten (der Frühling kommt mit heftigen Sturmattacken). Auch die Fernsehsendung 12.03.19 über das Wetter mit Harald Lesch. Wirbelstürme. Siehe ZDF-Mediathek HIER. Und Musik, sowieso, immer.