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Aronstab

Warum Giftpflanze des Jahres 2019?

Ich kenne ihn im Garten seit mindestens 20 Jahren und verschone ihn (wie alles andere) , weil mir seine Blätter gefallen. Auch seine kostbar wirkende Blüte und sein Stab. Die Pflanze fühlt sich offensichtlich wohl an diesem Platz und kehrt immer prächtiger wieder. Ich werde sie das Jahr über im Auge behalten.

Wikipedia Aronstab hier

Warum Giftpflanze 2019 hier

Was gibts noch, wild und doch in Sichtweite und Griffnähe?

Globemaster (im Ernst). „Zierlauch“ Zwiebeln aus Texel 24. und 28. April im braunen Bereich (oben, vorne rechts, die rundliche Frucht, leider nur mein Stiefel). Was ich mir davon erwarte:

9.5. vor allem aber: Insektenfreundlichkeit…

Für alle, die sich wundern, warum ihnen solche Bilder, solche Notizen in einem Blog vorgesetzt werden, – in einer Zeit, die uns zwingt, ununterbrochen an den Krieg (und vorübergehend weniger an die Pandemie) zu denken -, müsste klar sein, dass es mir nicht anders geht als jenen. Die eigentliche (?) Aufgabe liegt neben mir, die Süddeutsche (29.04.), gekauft wegen Habermas. Auch die ZEIT von neulich (21.04. wegen Heinrich August Winkler 7 Mythen über Europa). Es sind nur Nachhilfen, die eine gewisse Eigentätigkeit erlauben, aber im Ganzen so wenig ändern wie Klavierüben, Konzertbesuch oder Gartenarbeit.

   SZ 29.04.22

SZ, dank der „Personen auf dem Fahrgleis“, später dank „Stau der verspäteten Züge vor Köln“ die Dauerlektüre auf der Bahnfahrt Solingen Köln 15.27 hin, nach Konzert Gleis 1 ab 22.52 zurück

Schlaflabor notiert (Alexander Schubert wg. Hegel, = nicht identisch)  -„Musik Amnesie Gedächtnis“ Das Gras wächst / weiter, erinnere dich – Stefan Fricke (Autor, s. hier). Mein durch Musik geläutertes Gedächtnis suggerierte mir später: das stand was über Ameise und Gras…

Am nächsten Morgen (Verurteilung des Habermas-Artikels – wie erwartet – Solinger Tageblatt)

Für die Aburteilung genügt 1 Satz (wie im Fall Kant, um ihn als Rassisten zu brandmarken, s. Alexander Schubert² betr. Hegel)

Man muss nicht etwa mühsam suchen, um in dem sehr differenzierten Essay von Habermas den zitierten Satzteil zu finden, er springt als Extra-Block in die Augen, aber nur bei einer sorgfältigen Lektüre  entdeckt man ihn im engeren Kontext, der keinesfalls eine tendenziöse Verkürzung gestattet: Habermas warne vor einer Eskalation des Krieges und

beklagt dabei fatalerweise das „ungestüme moralisierende Drängen der zum Sieg entschlossenen ukrainischen Führung“.

Es geht aber folgendermaßen weiter:

Und man sieht, dass Habermas nicht klagt, sondern denkt.

Um hier den berühmt-berüchtigten Begriff rechtmäßig zu gebrauchen: er denkt dialektisch. Und damit der Sachlage vollkommen angemessen. Man muss nur dem Text genau folgen, die Funktion von Worten wie „Dilemma“ erfassen, die penible Beschreibung der zwei Seiten, ihrer Asymmetrie, der völkerrechtlich definierten Schwelle, der roten Linie, der national oder eher postnational, postheroisch  geprägten Identitäten; bedrängt von der atomaren Drohung, der Konfusion gleichzeitig aufeinanderstoßender, aber historisch ungleichzeitiger Mentalitäten, all das kann nicht logisch in eine pragmatische Formel politischen Handelns münden. Es gibt keinen Ratschlag, keine leichtfertige Schlagzeile, keine „gordische“ Lösung. Daher kann es auch keinen kernigen Abschluss dieses Essays geben, sondern nur einen vagen Ausblick:

Macrons Wiederwahl markiert eine Galgenfrist. Aber zunächst müssen wir einen konstruktiven Ausgang aus unserem Dilemma finden. Diese Hoffnung spiegelt sich in der vorsichtigen Formulierung des Zieles, dass die Ukraine den Krieg nicht verlieren darf.

Quelle Süddeutsche Zeitung 29. April 2022 Jürgen Habermas: Krieg und Empörung / Schriller Ton, moralische Erpressung: Zum Meinungskampf zwischen ehemaligen Pazifisten, einer schockierten Öffentlichkeit und einem abwägenden Bundeskanzler nach dem Überfall auf die Ukraine.

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Weiteres zum Ukraine-Krieg HIER  (Dank an JMR)

Pressetext hr

Es wird Frühling. Und es ist Krieg. Der Zwiespalt ist kaum auszuhalten, sagt die Schriftstellerin Katja Petrowskaja. Sie lebt in Berlin und Tbilisi und blickt aus der Ferne auf die unfassbare Gewalt, auf getötete Kinder und Massengräber in ihrer Heimat, der Ukraine. Juri Andruchowytch ist mittendrin und verliert trotz allem seinen Humor nicht. Die Botschaft der beiden Schriftsteller*innen aber ist klar: Wenn ihr der Ukraine nicht helft, diesen Krieg zu gewinnen, dann kommt der Krieg morgen zu euch! Und was sagt der Historiker? Timothy Snyder analysiert die deutsche Sehnsucht nach historischer Unschuld, die zu schlimmen Fehlern führt – im perversen Versuch, Vergangenheitsbewältigung und Gasgeschäfte zu verbinden. Es sind drei verschiedene Perspektiven auf den russischen Krieg gegen die Ukraine, die Jagoda Marinic in dieser Folge von FREIHEIT DELUXE auslotet. Am Ende steht die Erkenntnis: Das russische Vorgehen gegen das Nachbarland ist zutiefst faschistisch. Das zu stoppen, kann nicht allein die Aufgabe der Menschen in der Ukraine sein. Hier hört ihr: – wie Katja den Frühling in Zeiten des Kriegs wahrnimmt (7:00) – wieviel Normalität im Krieg ist und wieviel Krieg in der Normalität (8:45) – warum wir alle für die Toten verantwortlich sind und warum Appeasement-Politik ein Fehler ist (18:35) – warum für Katja ein Satz von Richard David Precht das Ende des deutschen Humanismus markieren könnte (20:40) – warum die Menschen in Iwano-Frankiwsk scheinbar entspannt mit ihren Hunden spazieren gehen (44:30) – warum Juri mit einer Partisanengruppe auch in den Kampf ziehen würde (59:20) – warum Juri Schriftsteller und trotzdem nicht verrückt ist (1:05:20) und warum der Krieg schon morgen nach Deutschland kommen kann (1:06:20) – wie Deutschland versucht, Gasimporte und Vergangenheitsbewältigung zu verbinden (1:26:00) – warum Timothy glaubt, dass Scholz, Steinmeier und andere deutsche Politiker den Faschismus in Russland nicht sehen wollten (1:31:00) – wie man auf atomare Erpressung reagieren sollte (1:44:00) – und warum die Welt ohne den ukrainischen Widerstand viel düsterer wäre (1:58:20) Ein Transkript der Folge findet ihr hier: https://download.hr2.de/podcasts/freiheit_deluxe/ukraine-spezial-100.pdf

FREIHEIT DELUXE mit Jagoda Marinic ist eine Produktion des Hessischen Rundfunks und des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels.

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Zurück in den Garten: Sie wollen wissen, was es mit Arons Stab wirklich auf sich hat? In Arnold Schönbergs Oper „Moses und Aron“ erlebt man folgende Szene (darüberhinaus könnten Sie in die Bibel nachschauen, wie Aarons Stecken grünte, so im 4. Buch Moses Kapitel 17, – aber das ist eine andere Geschichte):

Quelle Karl H. Wörner: Gotteswort und Magie / Die Oper »Moses und Aron« von Arnold Schönberg / Verlaf Lambert Schneider Heidelberg 1959

Liebermann

Bilder einer Ausstellung (Düsseldorf Kunstpalast 22.04.22)

auf dem Weg

wer ist wer? Max Liebermann (Wikipedia)

Unten: Der Bürgermeister war verärgert über die realistische Darstellung.

 

 

Liebermann (Lafer?) im Prunkstillleben

der Schafmaler

Liebermann / Slevogt

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Sommerbesuch im Liebermann Garten 2009

Alle Fotos Handy JR

Aus Wikipedia: Wannseegarten, 1926. Das Spätwerk Liebermanns ist geprägt durch Rückzug ins Private und impressionistische Darstellungen seines Gartens.

2022 Noch ein Rundgang im Kunstpalast – sehen und lesen – HIER

Das Buch von Florian Illies gibt ein unglaubliches Panorama des psychologischen Klimas in der Zeit zwischen den Weltkriegen; ich dachte an meine Eltern, die sich 1937 kennenlernten, an die unguten Gefühle meiner kindlichen Welt, deren Hintergrund der Krieg war, auch an das später so ambivalente Idol meiner Primanerjahre, Gottfried Benn, dessen unheilbare Trauer ich liebte und auf seinen politischen Fehltritt bezog. Aber nichts über Max Liebermann, der den Absturz der letzten Jahre kompensierte, indem er sich in die Betrachtung seines paradiesischen Gartens vergrub. Anders als Victor Klemperer, der in seinen Tagebüchern 1937 auch den Tod des Malers bedachte, kurz und akribisch, wie er Seiten zuvor protokollierte, dass die Juden sich ihrer Haustiere zu entledigen hatten. Eine labyrinthische Lektüre, sowohl hier wie dort. Doppelt gespenstisch, da die Welt gerade wieder aus den Fugen geht.

Florian Illies

Victor Klemperer Tagebücher

Es war sehr unwahrscheinlich, dass in jener Zeit zwei Menschen, die aus entfernten Dörfern im Osten und Westen des damaligen Deutschen Reiches stammten, ausgerechnet im Sommer 1938 in Berlin aufeinandertrafen. Aber wo sonst? Artur R., geboren 1901 in Roggow bei Belgard, und Gertrud A., geboren 1913 in Lohe bei Bad Oeynhausen. Und die letztere hat zeitlebens immer wieder ihre Lebengeschichte rekapituliert und für jedes Kind separat noch einmal.

Der zuletzt genannte ältere Bruder Hans „mit seinem VW Käfer“ war schon arriviert.

In Greifswald wurde 1939 Bernd R. geboren und 1940 ich. Es war schon „im Krieg“.  Und niemand hätte gedacht, wie die Jahrzehnte dahingehen, und wie wir eines Tages in unsern Gärten stehen würden und wieder über Krieg nachdenken müssen, ob wir wollen oder nicht. Dies etwa würde ich heute meinen Enkeln erzählen, auch, warum ich den Botanischen Garten liebe, die Musik, die Bilder und natürlich die Blumen am Haus, andererseits dazu neige, in der ebenso nahen Wildnis unterzutauchen oder den ekstatischen Vogelstimmen des Frühlings  zuzuhören. Und wie sich das Autobahngeräusch von fern hineinmischt oder der Flugzeuglärm, der von Düsseldorf nach Köln zeigt – nach Frankfurt – in alle Richtungen der Welt.

Gendern!? Wie in der Musik darüber gedacht wird…

… sodass ich mich womöglich anschließe

Vielleicht mache ich es mir aber zu einfach, indem ich vormerke, was ich gestern und heute gelesen habe (wie vorher auch schon ähnlich von Navid Kermani, der nicht unbedingt zu den Musiker:innen zählt). Ich merke es mir vor, statt es still zu beherzigen oder mir gar eigene Gedanken zu machen, nachdem ich mir immerhin schon hier und hier etwas zum Thema vorsortiert hatte.

Diesmal handelt es sich um nicht weniger als

Die Wahrheit über Cancel Culture HIER

geschrieben von Moritz Eggert, gefunden in der NMZ online, die ich regelmäßig per Mail empfange und allen Musikinteressenten/tinnen empfehle; sie werden im Link auch eine Gelegenheit entdecken, sich zum regelmäßigen Bezug dieser Musiknachrichten einzutragen.

Darüberhinaus entdeckte ich als Abonnent von Musik & Ästhetik mit Verwunderung einen Artikel des Mitherausgebers Claus-Steffen Mahnkopf, weil darin wenig Musiktypisches zum Vorschein kommt, jedoch eben dieses Gender-Problem in allen möglichen Facetten.

Hier wäre Gelegenheit sich etwas einzulesen, vielleicht folgt der Entschluss, koste es was es wolle, den Rest an anderer Stelle weiterzuverfolgen:

Und außerhalb? Z.B. in der ZEIT 7. April 22 von Petra Gehring

4 Auffassungen von Geschlecht !

Quelle: Das gefühlte Geschlecht / Die britische Philosophin Kathleen Stock wurde wegen ihrer Transgender-Theorie stark angegriffen. Dabei ist ihr Buch »Material Girls« alles andere als ein Skandaltext / Von Petra Gehring [hier]

ZITAT

Harsch geht Stock nicht nur mit dem trans-aktivistischen Konzept des Geschlechts als »Gefühl« ins Gericht. Sondern sie schreckt bereits von der These zurück, das Geschlecht sei allein eine Sozialtatsache.

Philosophisch gesehen ist das keineswegs zwingend nötig, denn »gefühlt« ist etwas anderes als »geworden«, und das Gewicht einer durchlebten Geschlechtersozialisation macht sehr wohl aus einer Frau eine Frau. Deshalb ist auch Geschlecht im Sinne von Konzept 3, also seinem sozial bestimmten Charakter, derart real, dass es sich nicht per (Selbst-)Definition abstreifen oder nachträglich aneignen lässt. Und auch die Übereinstimmung von Identität und Geschlecht, also das, was im Trans-Jargon inzwischen  »cis« genannt wird, ist kein Phantom. Vielmehr steht es für eine Art Klassenlage, die tief in den Leib hineinreicht: für Gegebenheiten, die sich ganz ohne Berufung auf Biologie jedem Verdacht auf Beliebigkeit entziehen.

Quelle des hier thematisierten Buches: Kathleen Stock: Material Girls. Warum die Wirklichkeit für den Feminismus unerlässlich ist; Edition Tiamat, Berlin 2022; 384 S., 26,-€

Nachtrag 5.8.22 NZZ

In der Genderfalle: wenn es der öffentlichrechtliche Rundfunk niemandem recht machen kann

Deutsche Sprachwissenschafter fordern von den Anstalten eine Abkehr von Genderstern und Binnen-I. Doch sollten die Senderchefs flächendeckend verbindliche Regeln festsetzen, dürften sie bald selbst als Partei im Kulturkampf betrachtet werden.

Hier

Idiota de mente

Ein Sonderthema, das nichts mit Demenz zu tun hat

Schloss Bruneck (Wikimedia)

Hier  und Hier Etwas zum Lesen (für JR, mit Zusicherung meinerseits: die Lektüre des Originals ist von Bedeutung, wenn auch sehr alt; ein äußerer Anreiz für mich: es hat mit Brixen/Südtirol zu tun, ist assoziativ noch in statu nascendi, und es entgeht mir nicht, dass die Hausarbeit nicht sehr weit führt, wobei aber gerade das Manko produktiv wirkt).

Nikolaus von Kues (Wikipedia-Artikel) Von Kues an der Mosel nach Umbrien…

– Fortsetzung folgt –

Sie folgt, gewiss. Aber woran ich anknüpfe, sollte ich auch andeuten: private Abgründe, hier.

ZITAT

In dem Dialog Idiota de mente treffen die beiden erneut aufeinander. Diesmal aber kommt ein Philosoph hinzu, welcher durch den Redner von den unkonventionellen Gedanken des Laien erfahren hat und sich nun ebenfalls Erleuchtung durch ein Gespräch mit diesem erhofft. Der Redner und der Philosoph treffen den Laien bei seiner Arbeit in einem Kellergewölbe an, als dieser einen Löffel schnitzt. Während sich der Redner schämt, den Philosoph in solch eine Umgebung gebracht zu haben und fürchtet, was dieser nun von ihm denken könne, reagiert dieser mit weltoffener Sicht und kann nichts Schlechtes daran finden, dass der Laie der Kunst des Löffelschnitzens nachgeht8. Der Philosoph wünscht, über den menschlichen Geist belehrt zu werden und erfährt durch den Laien, ,,dass der Geist zum einen den Geist im Körper, die Seele, bezeichnet und zum anderen unendlicher göttlicher Geist ist.9 „Der Laie veranschaulicht am Löffel, wie die ,,mens humana“ Abbild des göttlichen schöpferischen Geistes ist. ,,Die gebildeten Begriffe kann der Geist für sich anblicken, etwa wenn er den Kreis als eine Figur erfasst, bei der alle vom Mittelpunkt zum Umfang gezogenen Linien gleich sind“.

Autorin: Lena Joana Bernotat (Hausarbeit 2020)

Die Wissenschaftlerin  Renate Steiger nennt in ihrer Einleitung zum Dialog „Der Laie über die Weisheit“ den Namen Raimund von Sabunde, aus dessen Wikipedia-Darstellung ein Satz zitiert sei:

Offenbarung (Bibel) und Natur stimmen in seinem Verständnis überein, da sie beide von Gott stammen. Der Naturerkenntnis (durch die von der Erbsünde befreite und vom Glauben erleuchtete Vernunft) gibt er den Vorzug, da sie nicht nur den Klerikern, sondern auch den Laien zugänglich sei und nicht verfälscht werden könne.

Ein erstaunlicher Hinweis, und erst im Fortgang wird ersichtlich, dass die Autorin (und Herausgeberin) mit Blumenbergs Sicht auf „den Cusaner“ kritisch verfahren wird. Die Grundlage des christlichen Denkens ist und bleibt ja ein Buch, an dessen Buchstaben nicht zu rütteln ist, auch wenn sie in Widerspruch mit unserer Erfahrung geraten, andererseits liegt die Natur (scheinbar) unvermittelt vor unseren Augen, beides kommt von Gott, das eine dank Offenbarung, das andere dank unmittelbarer Erfahrung. Eine speziell christliche Falle, – wenn man sich fragt, ob die Abstraktionen des Geistes wirklich ebenso existieren wie die Vielzahl der Dinge -, ist die der Dreifaltigkeit, die dogmatischerweise als Einzahl ebenso vernünftig erscheinen soll wie als Dreizahl: man hilft sich, indem man das Paradox selbst für gottgegeben (natürlich) erklärt. Per ordre de Mufti. Ein Trick wäre, zunächst die Welt der Dinge auch für ein Buch zu erklären, in Konkurrenz zum Buch der Bücher…

So etwa erkläre ich mir, dass man sich (vorläufig) wirklich noch mit dem auseinandersetzen muss, was unter dem Namen Nominalismus – in Abgrenzung vom Rationalismus – zu verstehen ist. Und warum zeitweise der Inhalt des einen Begriffes mit dem des anderen ausgetauschen werden muss. (Private Folgerung: GEDULD – bis endlich die Aufklärung zum Durchbruch bereit ist).

ZITAT Renate Steiger (Anmerkung in der Einleitung Seite XIII)

Siehe u.n. 4,8-10. Dazu H. Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, Frankfurt a. M.2 1983. Nach Blumenberg enthüllt die Metapher vom Buch der Natur »ihren rhetorischen Gehalt erst als Paradox in der Stoßrichtung gegen die Scholastik“, die Bücherwelt der Kleriker (S.58). Für den Cusaner sei – vorbereitet durch Raymund von Sabunde, von dessen Theologia naturalis Nikolaus sich 1450 eine Abschrift verschafft hat (cod. Cus. 196 I – der Laie eine Figur der Unmittelbarkeit (S. 60). »Der Laie ist der Sprecher der Weisheit, die nicht nur das Pathos der größeren Tiefe gegenüber der Wissenschaft vom scholastischen Typus angenommen hat, sondern … sich einen skeptischen, sogar polemischen Ton gegenüber allem zulegt, was Wissenschaft heißen will. Das hat immer zwei Seiten: Es moniert die Erfahrungsdistanz der scholastischen Begriffsspekulation, und es rekurriert auf den theologischen Hintergrund in den Formen einer schlicht gewordenen Mystik, für deren Typus die Devotio moderna steht.“ (S. 63)

So wird die Unmittelbarkeit der Erfahrung von Wirklichkeit vom bloßen Lesen oder Hörensagen über sie abgesetzt (s.u.n.19).

Autorin: Renate Steiger (1988)

Das Blumenberg-Buch, das sich seit 2021 in meiner wachsenden Blumenberg-Sammlung befindet, entstammt der 11. Auflage des gleichen, mehr als 400 Seiten langen Werkes, dessen Inhaltsverzeichnis einiges über „Die Lesbarkeit der Welt“ erahnen lässt.

Ein anderes, vom Volumen her eher unscheinbar, im Format eines Reclamheftes, lese ich seit jenem Urlaub auf Texel im August 2020 bis heute immer wieder, und ganz allmählich hat der Bezug auf Nikolaus von Kues auch bei mir eine so zentrale Stellung eingenommen, wie von Hans Blumenberg schon 1956 aufgedeckt. Je öfter ich mich in seinem Aufsatz „Nachahmung der Natur“ festlese, Untertitel: „Zur Vorgeschichte des schöpferischen Menschen“, desto wesentlicher erscheint es mir. Nicht nur als Wissenstoff, sondern als Lebensmittel. Und als geheime geistige Wunderwaffe habe ich ein Buch bereitgelegt mit dem schlichten Titel „Handwerk“. Ein anderes wird morgen früh um 11 Uhr bei dem Buchhändler meines Vertrauens eingetroffen sein und wird in kürzester Zeit hier abgebildet sein.

Aber was muss ich feststellen: der Dialog des Löffelschnitzers fehlt. Es muss noch einen anderen Band geben, und wirklich, jetzt erst entdecke ich ihn hier, kann aber immerhin, wenn ich die Funktion „Im Buch blättern“ wähle, einiges nachlesen, im oben angekündigten Kues-Dialog „Idiota de mente“ :

: (Screenshots)

Aber was nun? Soll ich endlich ganz von vorn beginnen? Statt darauflos zu recherchieren? Hier sind die Blumenberg-Seiten, die mich auf Nikolaus von Kues brachten, ihn unentbehrlich machten, so dass ich ihn „im Original-Kontext“ sehen und lesen musste:

Seit Aristoteles wird in Bezug auf Kunst (bzw. auf den schöpferischen Menschen) unablässig ein Thema mit unzähligen Variaten wiederholt: dass es sich um Nachahmung der Natur handelt. Und unter Natur kann man ebernso den Gottesbegriff verstehen, je nachdem welche weltanschaulichen Vorgaben herrschen. Mich begann Blumenbergs frühe Abhandlung zu faszinieren, nachdem mir die folgenden Sätze eingeleuchtet hatten, – mir fiel Leonardo ein, dessen schöpferisches Genie sich nicht nur in Abendmahl und Mona Lisa dokumentierte, sondern auch in Kriegsmaschinen und Fluggeräten, ohne dass man alldies zusammendenken mag:

„Es ist vor allem ein Phänomen der »Sprachlosigkeit« der Technik.“ Und vor allem: „Für die herankommende technische Welt stand keine Sprache zur Verfügung.“ Wenig später fällt der Name Leonardo da Vinci, aber verkappt kritisch, da er sich mit der alten Traumvorstellung von der Nachahmung des Vogelflugs beschäftigt hat, während das Problem schöpferisch nur mit einem absolut neuen Prinzip zu lösen war, der Verwendung einer Luftschraube, denn „rotierende Elemente sind von reiner Technizität“ . An dieser Stelle kommt Nikolaus der „Cusaner“ ins Spiel, und was sein Beispiel des löffelschnitzenden Laien hätte bedeuten können, des „Idiota“ (lat.). Mit meinem alten Griechisch-Lexikon kann ich leicht erklären, warum wir uns in der Schule gern schon mal mit der Anrede titulierten: Na, du gemeiner Soldat. Heute kaum noch zu belächeln.

Aber nun zur Sache:

Man kann die einzelnen Sätze gar nicht bedeutungsvoll genug nachlesen. Gott ist eine so selbstverständliche Grundlage alles „alten“ Denkens und Fühlens, dass wir es nicht mit einem Lächeln abtun können, um z.B. den Rationalismus des Bachschen Weltverständnisses mit unserm eigenen zu vermischen. Man verstehe nur, weshalb ein Bach-Jünger wie John Eliot Gardiner in seinem großen Buch von der „Himmelsburg“ ein ganzes Kapitel dem „Räderwerk des Glaubens“ widnete. Und nun einen solchen Satz (s.o.):

Aber die Berufung auf den schon vorhandenen und das Fluggeschäft gottgegebenerweise ausübenden Vogel hat gar nicht soi sehr die Funktion einer genetischen Erklärung. Sie ist vielmehr der Ausdruck für das mehr oder weniger bestimmte Gefühl der Illegitimität dessen, was der Mensch da für sich beansprucht. Der Topos der Naturnachahmung ist eine Deckung gegenüber dem Unverstandenen der menschlichen Ursprünglichkeit, die als metaphysische Gewaltsamkeit vermeint ist.

Erlauben wir uns einen Seitenblick auf J.S.Bachs „weltlichen“ Zeitgenossen Johann Mattheson, über den wir bei Wikipedia folgendes erfahren:

Im Gegensatz zum Zeitgeist zu Beginn des 18. Jahrhunderts vertrat Mattheson die Auffassung, dass die Musik nicht theologisch, sondern sozial sein sollte. Die Musik soll nach Mattheson ihren eigenen Regeln folgen und nicht von außen auferlegten kontrapunktischen Regeln unterliegen, die sie in ein scheinbar wohlgestaltetes Korsett zwängen. Sie soll nicht allein zu Gottes Ehre (Soli Deo Gloria) komponiert und gespielt werden, sondern vielmehr um den Menschen zu gefallen und sie u. a. zum Tanz zu bewegen. Mattheson prägte daher ein für seine Zeit untypisches, gesellschaftlich ausgerichtetes Musikverständnis – ganz nach dem Vorbild des in Frankreich aufkommenden galanten Stils, der dabei stets von einem elitären, exklusiven Menschenbild ausging.

Ziehen wir keine übertriebenen Rückschlüsse: offiziell wird Mattheson immer wieder den Zeitgeist bekräftigen. Man muss nur zur Kenntnis nehmen, mit welcher Emphase er den himmlischen Ursprung jeglicher Musik beschwört und sich darauf beruft, dass die Engel selbst sich der musikalischen Werkzeuge der Menschen bedienen. Spricht so ein großer Aufklärer in unserm Sinne?

Quelle: Johann Mattheson: Versuch einer systematischen Klang=Lehre wider die irrigen Begriffe von diesem geistigen Wesen, von dessen Geschlechten, Ton=Arten und auch vom mathematischen Musikanten nebst einer Vor=Erinnerung wegen der behaupteten himmlischen Musik / Hamburg 1748 / Nachdruck DDR Leipzig 1981 für Bärenreiter Kassel

Man bedenke, dass Nikolaus von Kues seine Schriften zum Lob des Laien als ein getreuer Kirchenmann, wenn auch nicht unangefochten, 300 Jahre vor Mattheson und Bach verfasst hat! Der aufklärerische Kern schlief im Innern der kirchlichen Lehre, und genau das will Blumenberg in allen Verästelungen nachvollziehen. Und wir können uns nicht darüber erheben und sagen: erst um 1800 oder seit der Französischen Revolution brach urplötzlich die Vernunft aus dem  wirren abendländischen Denken hervor, wie die Sonne aus der Nacht des Mittelalters. Neu war die Sprache, die man dafür entwickelte, was nicht bedeutet, dass es vorher keinen Sprache gab. Im Gegenteil:

Das Unformulierbare ist das Unvertretbare. Das Paradies war: für alles einen Namen zu wissen und durch den Namen sich geheuer zu machen.

Siehe im letzten Blumenberg-Text oben Seite 14 unten. – Was aber war nochmal „Nominalismus“ ?

(Fortsetzung folgt)

Gender-Fragen!

Ein ZEIT-Gespräch

„So blicken männliche Säuglinge im Schnitt länger auf Mobiles, Mädchen länger auf Gesichter. Und schon im Alter von zwei Jahren verfügen Mädchen über einen Vorsprung im Wortschatz. Später haben die Geschlechter deutlich unterschiedliche Präferenzen in der Berufswahl, und zwar unabhängig von der Sozialisation.“ (Korte)

Paula-Irene Villa-Braslavsky / Alexander Korte, LMU München (siehe u.a. bei Lisa Littmann)

DIE ZEIT 31.März 2022 Seite 33/34

ZEIT (Martin Spiewak): Am Ende landen Sie stets am selben Punkt: Der Naturwissenschaftler Korte bringt die Biologie in Stellung, die Soziologin Villa die Gesellschaft.

Korte: Ich versteh mich keineswegs nur als Naturwissenschaftler.

Villa: Und ich habe auch von Materialität und Körperlichem gesprochen! Wenn wir von Männern und Frauen reden, hängt aber so viel mehr dran als bloße Biologie. Warum reden wir im Sinne der Präzision nicht besser von Menschen mit Gebärmutter oder von Menschen, die Spermien produzieren?

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Korte: Die allermeisten Patienten sind biologische Mädchen, die sich als Transjungen selbstkategorisieren. ZEIT: Wie erklären Sie sich das? Korte: Da gibt es mehrere Gründe: Medienberichte, in denen eine Geschlechtsangleichung als unkompliziert dargestellt wird, spielen eine Rolle, aber auch neuartige Behandlungsangebote, die die Nachfrage fördern. Das ist beim Transthema nicht viel anders als sonst in der Medizin: Mehr Radiologen sorgen für mehr Röntgenaufnahmen.

Villa: Halt! Der wichtigste Grund für diese Entwicklung dürfte wohl sein, dass sich die Betroffenen heute eher trauen, Hilfe zu suchen. Insofern fände ich es verheerend, wenn es medizinische Angebote wie das Ihre nicht mehr gäbe. ZEIT: Frau Villa, wie erklären Sie sich, dass vor allem Mädchen mit ihrem Geschlecht hadern?

Villa: Das hat wohl damit zu tun, dass sie stärker eine Pflicht zur Selbstgestaltung spüren als Jungen. Das sieht man auch bei Mode und Kosmetik.

Korte: Wir Psychiater wissen seit Langem, dass Mädchen größere Schwierigkeiten mit dem Erwachsenwerden haben als Jungen. In Befragungen empfindet jedes zweite Mädchen den Eintritt der Pubertät als unangenehm, bei Jungen sind es unter fünf Prozent. Das Hadern mit dem sich verändernden Körper schlägt sich bei weiblichen Jugendlichen unter anderem in gehäuften Essstörungen nieder. Für mich deutet einiges darauf hin, dass der Hype um Transsexualität bei Jugendlichen eine neue Form der Hysterie sein könnte. ZEIT: Wie behandeln Sie denn diese Jugendlichen?

Korte: Jedenfalls nicht, indem ich möglichst rasch mit Medikamenten eine Transition einleite. Ich versuche erstmal in Gesprächen herauszufinden: Wie hat sich dieses Gefühl entwickelt, im vermeintlich falschen Körper zu leben? Wir geben keine Hormone, die die Pubertät blockieren. Das unterschiedet uns von anderen Kliniken. ZEIT: Warum hadern gerade die Mädchen so sehr?

Korte: Die erste Regelblutung markiert bei ihnen nicht selten einen schmerz- oder schamhaft besetzten Eintritt in die Geschlechtsreife, beim Jungen hingegen ist es die erste Ejakulation. Letztere geht mit einem sehr angenehmen, orgastischen Erleben einher. Ein grundlegender Unterschied!

Villa: Dass sie die weibliche Pubertät und Sexualität per se mit Schmerz und Scham verbinden, ärgert mich wirklich. Ich hoffe, meine Tochter bekommt es nie mit Ärzten oder Ärztinnen Ihrer Haltung zu tun. Ich kenne das übrigens aus dem Sexualkundeunterricht an einem bayerischen Gymnasium, wo die oberste Botschaft war: Bloß nicht ungewollt schwanger werden! Keine Lust, kein Spaß, kein Stolz! Wenn wir das mit Weiblichkeit verbinden, müssen wir uns nicht wundern, dass es vermehrt Mädchen sind, die ihr Geschlecht ablehnen.

*    *    *

Ich könnte sagen: Mit alldem habe ich nichts zu tun, alles klar: heterosexuell, verheiratet, zwei Kinder (Junge und Mädchen), nie im Leben anders orientierte physische Kontakte, oder doch: immer wieder „Kontakte“ mit anders orientierten Menschen, was zwangsläufig Distanzierung bedeutete. Trotzdem würde ich jederzeit auch die eigene sexuelle Sozialisation als Problem behandeln, angefangen mit der Kindheit, die bedeutend vom weiblichen Geschlecht geprägt war: Großmutter, Mutter, kindliche Gespielinnen und – ihre Puppen. Modelle des Menschen. Nicht zentral, aber deren An- und Auskleiden war ins Spiel integriert, und sie waren geschlechtslos; es gab kein Zusatzglied, und das war aus meiner Sicht ohne Zweifel vollkommener. Dieses Faktum war mir auch in früher Jugend nicht gleichgültig, das Gegenteil von Penisneid. Zum Glück sah ich in meinem älteren Bruder einen Verbündeten, auch wenn wir das nie verbalisierten. Später wurde das anders, er entwickelte sich, gab Hinweise , wenn auch mit einer gewissen Herablassung. Aber unser Vater, der über alles schwieg, hatte die Macht. Und ein entscheidender Punkt war, dass er sie auch impulsiv ausübte: er schlug zu. (Auch meinem Großvater mütterlicherseits wurde das nachgesagt.) Die Schlüsselszenen meiner Kindheit haben damit zu tun. Mit Macht und Demütigung. Übrigens auch nicht abgemildert durch unsere Mutter, sie hatte das System verinnerlicht und ein sekundäres – kitschig beschönigendes – Linnen darübergebreitet. (Nur die ferne Schwester meines Vaters war anders, mildtätig, lieb und allverzeihend.) Ich versuche eine Schlüsselszene etwa aus dem Jahr 1955 zu erzählen:

Es hatte ein Chorkonzert gegeben, – mein Vater leitete in Bielefeld „Die Leineweber“ -, mein Bruder, der den Stimmbruch längst hinter sich hatte, durfte mitsingen, hatte Chancen bei einer mitsingenden, etwas älteren Schülerin, die möglicherweise auch dem Dirigenten gefiel. Es gab einen gemütlichen Ausklang, ich war längst zuhaus, meine Eltern trafen ebenfalls ein, machten sich allerdings Sorgen um den Ältesten. Ich spitzte die Ohren. Das Mädchen hieß Waltraud Papke und trug die Haare wie Marina Vlady. Die beiden hatten nach dem Fest auf einer Bank im Park gesessen und waren sich näher gekommen. Mein Vater, ahnungsvoll, geriet außer sich, als er heimkehrte, schon beim ersten Erklärungsversuch schlug er auf ihn ein, Mutti schrie: nicht an den Kopf! – heftiger Wortwechsel. Ich hörte zum ersten Mal in meinem Leben das Wort „Nutte“, und das Mädchen war gemeint! Ich wartete im Kinderzimmer, es dauerte eine Weile. Als ich aufwachte, hörte ich meinen Bruder in seinem Bett schluchzen. – Zwei Jahre später war ein anderes Mädchen im Spiel, Sigrid T., sie gingen viel in der Natur spazieren, nach Ruheplätzen suchend, ich erfuhr von ihm – vertraulich – etwas über den Bedeutungsumfang des Wortes „Petting“, wobei für mich das Verwunderlichste daran war, dass auch auf der weiblichen Seite „Lust“ eine Rolle spielte. Ich dagegen fuhr mit einem Mann in Urlaub, der älter war, beim Landeskirchenamt arbeitete und schon einen VW besaß, – weite Fahrten, Urlaube, FKK, ohne die leiseste Berührung; erst sehr allmählich wurde mir hier wie auch in ähnlich gelagerten Fällen klar, welcher psychologische Hintergrund die Hauptrolle spielt. Ich dachte, es sei das gemeinsame Musikinteresse. Lästig nur, wie wirkungsvoll ich von begehrenswerten Mädchen abgeschirmt wurde. Hinzukam die lethale Erkrankung meines Vaters (†1959), der mich einstweilen von jedem Hausball, jeder Kellerparty per Telefon zurückbeorderte, bevor die wahre Nacht anbrach. Noch im Studium hat mich jedes Schrillen eines Telefons aufschrecken lassen: „Ach…., mein Vater!“ – Die Sperre betraf das ganz normale zwischengeschlechtliche Verhalten, die jugendliche Entgrenzung in den biologisch bekannten Grenzen. Das war vor rund 65 Jahren. Man kannte nicht einmal das Wort homosexuell, man sprach vieldeutig von einem warmen Bruder, oder einem vom anderen Ufer. Meiner gehörte nicht dazu. Im Gegenteil.

ZEIT: Selbst in der Medizin zweifelt niemand daran, dass es intersexuelle Menschen gibt. KORTE: Richtig, das ist aber kein Beleg dafür, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, im Gegenteil. Als intersexuell werden Menschen mit einer körperlichen Geschlechtsentwicklung bezeichnet, die von der Norm abweicht – das ist noch einmal etwas ganz anderes als eine Transsexualität. Mediziner kennen runbd 50 verschiedene Syndrome, von denen die meisten extrem selten sind. Und in der Regel ordnet sich die allergrößte Mehrheit dieser Menschen klar einem Geschlecht zu. Für mich ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts also leider ein Hinweis darauf, dass Ideologien selbst auf hohe Institutionen Einfluss nehmen.

ZEIT: Frau Villa, Sie dagegen haben mal geschrieben, die Zweigeschlechtlichkeit sei eine Ideologie. VILLA: Damit meinte ich zugespitzt, dass die Vorstellung von der Binarität der Geschlechter ideologisch motiviert ist. Alles, was da nicht hineinpasst – das Nichtbinäre, das Fließende – , wird als Ausnahme oder als zu therapierende Abweichung verstanden.

ZEIT: In Deutschland haben bisher weniger als 1000 Menschen ihr Geschlecht offiziell als divers angemeldet. Spricht das nicht doch für Ausnahmen? VILLA: Als psychische Realität, aber auch als praktische Erfahrung gibt es ohne Zweifel mehr als zwei Geschlechter. So, wie es innerhzalb der Geschlechter viele Varianten gibt. Genau das haben die Verfassungsrichter erkannt. ZEIT: Ich beschäftige mich seit bald 20 Jahren mit diesen Themen und beobachte, wie sich die Debatte immer weiter aufheizt. Warum ist das so?

KORTE: Das liegt auch daran, dass queere Strömungen, die auf eine Auflösung der Geschlechtsbegriffe hinarbeiten, in den Gender-Studies die Oberhand gewonnen haben. Der traditionelle Feminismus, der die strukturellen Ursachen der Benachteiligung von Frauen kritisiert, hat derweil an Einfluss verloren.

VILLA: Mit der Geschlechterdiskussion verbinden sich, wie wir gesehen haben, Ordnungsvorstellungen und Moralauffassungen. Wer das infragestellt, verursacht Verunsicherung und erntet teilweise heftige Kritik. Das kenne ich, solange ich mich mit dem Genderthema befasse. Ich bekomme alles: von gut gemeinten Korrekturvorschlägen bis hin zu Drohbriefen und Vergewaltigungsfantasien. ZEIT: Herr Korte, ich habe ein Jahr gebraucht, bis dieses Gespräch zustande kam. Von Medizinern uns Sexualwissenschaftlerinnen hagelte es Absagen: »Das gibt nur Ärger«, »Ich will keinen Shitstorm«. Sie fürchten offenbar keine Kritik? KORTE: Auch ich bekomme beleidigende E-Mails bis hin zu Drohungen. ZEIT: Wäre es nicht einfacher, wenn das Mannsein und Frausein weniger wichtig wären?

VILLA: In einer Gesellschaft, in der die Frage der Geschlechtsunterschiede nicht mehr diese große Bedeutung hat, verliert die Debatte an Schärfe – das wäre zumindest meine Hoffnung. Vielleicht gäbe es sogar das beschriebene bLeiden am falscxhen Geschlacht deutlich weniger, wenn wir an das Geschlecht weniger Erwartungen stellen würden. Zum Glück existieren dafür erste Hinweise: Die Zahl von Mednschen, die sich als genderfluid oder nonbinär bezeichnen, nimmt bekanntlich zu. KORTE: Ihre Hoffnung in Ehren, aber ich fürchte, das ist eher ein Problem und nicht die Lösung.

Das Gespräch führte Martin Spiewak.

Quelle DIE ZEIT 31. März 2022 Seite 33/34 Die Unordnung der Geschlechter Wie unterscheiden sich Frauen und Männer? Was ist biologisch festgelegt, was sozial beeinflusst? Ein Streitgespräch über die wissenschaftlichen Grundlagen einer endlosen Debatte.

Warum bedeutet mir dies alles etwas? Obwohl es mich scheinbar nicht betrifft? Ich denke an ein altes Bilderbuch, das ich vor drei Jahren schon mal kurz gestreift habe: hier (ganz am Ende). Weiteres hier. Was ich nie behandelt habe, war die Machtfrage bzw. die meiner kindlichen Ohnmacht. Schon mein Bruder, nur anderthalb Jahre älter, war deutlich mächtiger, er durfte manches für mich entscheiden, er stand jahrelang der Übermacht Mutter näher, ich war fast nichts. Er hatte Sinn für alles Technische, er ging mit Modellflugzeugen um und malte schnittige Autos (ich krückelige Kühe und Rehe), er hätte gewiss als Baby die Mobiles beobachtet, ich nur die sich nähernden Gesichter! Und dann war da ein Schlüsselerlebnis, das mich mit dem Begriff Wahrheit konfrontierte, mit Ausweglosigkeit, Verlassenwerden, Alleinsein: an der Wand, hinter einem Vorhang, nein, einem  großen Badetuch, das über einer blanken Stange zum Trocknen aufgehängt war.

Ich erzähle es lieber, als sei es die Geschichte eines fremden Kindes, etwa viereinhalb Jahre alt. Oder fünf? An der Wand über dem Doppelbett, in dem es lag, hing die Taschenuhr des Vaters, die er nicht mit in den Krieg nehmen wollte. Allein. Das Kind fühlte sich nicht mehr krank, ließ die Augen im Zimmer wandern, seitlich und hinter sich, über sich, – da war die Uhr. Wenn es aufstand und sich reckte, reichten die Fingerchen bis dort hinauf. Vor dem Haus hörte es die Stimmen der anderen Kinder, die spielten; jetzt rutschte die Kette der Uhr über den haltenden Nagel, auf die Ärmchen, das Kind umklammerte das tickende Etwas und raus aus dem Bett! War es so umsichtig sich anzukleiden? Vielleicht war Sommer, draußen brauchte man nichts Warmes. Woher kam der kleine Hammer, wir wissen es nicht, der Bruder fragte eindringlich: „Das ist nicht die Uhr von Papa?“ „Neinnein, ankucken! aufmachen!“ Gleich neben den Treppenstufen an der Mauer ließ sich das Ding gut anschauen und bearbeiten. Als die Mutter nach Hause kam, war nichts zu beschönigen, Glas kaputt, Silber platt, alles verbogen, heile machen ging nicht. Wer war das?! Der Kleine hat gesagt, es ist nicht die Uhr von der Wand! Nein, sagte der, ich war das nicht. Er wollte es nicht mehr sein. Das Strafgericht fand im Badezimmer statt, die Schläge taten weh, die Mutter war sehr böse, wer hat das gemacht? Sag die Wahrheit! Immer wieder: Sag die Wahrheit! Und der Kleine antwortete immer wieder: „Die Wahrheit!“ Wie sie’s wollte. Und wenn sie weg war, stellte er sich  mit dem Gesicht hinter das Badetuch, sie sah ihn sofort, und es gab wieder Schläge. Und wieder gehorchte das Kind und sagte „die Wahrheit“, immer wieder, sie wollte es doch! Die Mutter. Sie wusste, wer jetzt so lügt, wird zwangsläufig später auf die schiefe Bahn geraten. Es war Krieg, die Russen würden kommen. Und eines Tages begann sie dem Kind ihr eigenes Lieblingsbuch vorzulesen: „Wie Engelchen seine Mutter suchte“. War Engelchen wirklich ein Bübchen? Ich weiß es nicht. Jedenfalls schämte ich mich.

Gender-Fragen?

Von Blogthemen, die man sucht oder meidet

Es sind wohl solche, bei denen man sich festlegen muss, auf die man „festgenagelt“ werden kann, in denen man sich (oder andere) „bloßstellt“, deren man sich schämt, sobald man etwas mehr Abstand gewonnen hat. Oder solche, die sich auch in Gesprächen nicht bewährt haben, wo man am Ende ausgewichen ist, sagt: „es war nicht so gemeint“ oder „ich wollte dich nur testen“ (geht gar nicht!).  Man schreibt nicht unbedingt, was man schon weiß, sondern was man sich merken will. Was man ausbauen will und oft genug dann doch vergisst. Manchmal auch das, was unter den Nägeln brannte. Gute Gespräche entstehen allerdings nicht in Erregung, sondern dort wo Pausen möglich sind, wo Stille einfach still ist, wo Zeit bleibt für Assoziationen, auch für Zurücknahmen („ich habe eben übertrieben“). Peinlich meist, wo Pausen nach Peinlichkeit klingen, – als ob man etwas ungesagt lassen will. Also: Offenheit ist Grundvoraussetzung. Bei vielen Blogeinträgen bin ich geneigt drunterzuschreiben: „Fortsetzung folgt“. Sie sollen nicht apodiktisch klingen. Weiterbringen, aber nicht unbedingt ans Ziel. Andererseits: der selbstgefällige Klang, wenn einer sich zuviel Zeit lässt, die bloße Geschwätzigkeit oder der an sich sympathische Drang miteinander zu reden, ohne „sich zu produzieren“. Ein (scheinbar) künstlicher Vorsatz: nie länger als 1 Minute allein reden. Es sei denn, man kündigt ein Beispiel, eine Geschichte an. Im Blog redet man allein, man ist auch nicht verpflichtet, jedes mögliche Gegenargument, das einem einfällt, gleich mitzuliefern, als wolle man der Gegenseite signalisieren, dass Widerspruch zwecklos ist. Aber im Blog kann ich schreiben, so lange ich will, – wissend, dass Leser*innen bei Schriftlichem nach Belieben weiterspringen oder es nur überfliegen. Warum nicht?

Ich weiß, was man mir entgegenhalten kann, wenn ich am Donnerstag – wie heute – die neue ZEIT zitiere. Warum liest du nicht andere Blätter? – – – Ja, was denn??? Den Spiegel? Merkur? Die TAZ, die Junge Welt?

Die ZEIT ist nicht Ausdruck meiner bildungsbürgerlichen Grundhaltung. Ich lese auch mit Widerspruch, vieles aber auch gar nicht. Ich lese, um eigene Perspektiven zu ergänzen oder zu revidieren, oder auch nur um zu sehen, was heute „dran“ ist. Was hat mich vorhin besonders gefesselt? Einmal das Genderthema (weil 2 miteinander fremdelnde Gesprächspartner beteiligt sind). Dann vor allem eine Notiz zu den Bestsellern Sachbuch (Goulson neu s.a. hier). Nicht: das Netrebko-Thema, es interessiert mich überhaupt nicht. Im Laufe des Tages werde ich alles über den Ukraine-Krieg durchgehen. Die Zeitung bleibt auf dem Tisch, „Die Unordnung der Geschlechter“ auf dem Arbeitsplatz. Zum Blog gehört übrigens mal wieder der folgende (Nicht-)Abschluss:

(Fortsetzung folgt) … wirklich, siehe nächster Artikel …

Eine Zugabe (Radio) kam soeben per Mail:

HIER Lament for L14 as of today the sound art magazine Kurstrecke 120 (from about 43:29 to 54:37).

Auf Englisch gibt es dazu ein ausführliches MAKING-OF Interview , vgl.

WORLDS FALLING APART —
THE BOWED STRING INSTRUMENT ESRAJ
AMID A DEMOLITION SCENE
Pamalka Manjitha Karunanayake and Manfred Bartmann
in SIMP (Studia Instrumentorum Musicae Popularis, New
Series), 7. Edited by Gisa Jähnichen. Berlin: Logos, 53-66.
DOI: 10.30819/5319.04

Abstract
When working with Pamalka Manjitha Karunanayake in 2018, the two of us ended up recording
in Cult Studios (Colombo, Sri Lanka). There, I audio-recorded Pamalka’s rendering of some
marvelous samples all of which showcasing his deep understanding of the raga charukeshi.
Charukeshi is a highly ambivalent raga. As a result, the performance of a skilled player will
always convey joy as well as grief, and oscillate between emotional qualities.
On this December 4th 2018 none of us had any clue about the catastrophes that were in store. Nevertheless, I had field-recorded impressive sounds of some demolition machinery, tearing down an old building that had been used as an arts centre in Fulda, central-Germany. That was meant to gentrify the neighbourhood. I brought these somehow eerie recordings to my longtime colleague Bernie Rothauer in Salzburg to see what could be done with them in his Obaxe- studio. Bernie loves to work with weird soundscapes. My then working title was „Making a Trance.“ This contribution comes as a post-workshop interview about how that music came into being.

Dank an Manfred Bartmann!

Mehr davon

Sendungen vormerken

Um mich (und andere) leichter zu erinnern

Nachdem des öfteren fahrlässig und scheinmutig gefordert wurde, der Luftraum über der Ukraine sei zu „schließen“, schien mir ein Artikel in der ZEIT hilfreich, der im gleichen Blatt von kompetenter Stelle bestätigt wurde. Betrifft auch den renommierten Historiker Schlögel (s.a. hier).

 

Quelle DIE ZEIT 17. März 2022 Seite 45 und Seite 31  Den Himmel schließen? Intellektuelle und Dichter üben sich fatalerweise in der Sprache des Krieges / Von Adam Soboczynski // Der Realist Panzer, Kampfjets, Raketen – der Militärexperte Carlo Masala erklärt in diesen Tagen den Krieg. Dabei denkt er viel größer / Von Anna-Lena Scholz

*     *     *

Swetlana Geier ist die grösste Übersetzerin russischer Literatur ins Deutsche und eine charismatische Gestalt. 2008 beendete die 85-jährige ihr Lebenswerk mit der Neuübersetzung der fünf grossen Romane von Dostojewskij, die sie fünf Elefanten nannte. [Dank an JMR]

Svetlana Geier ab 42:33 „Über allen Gipfeln“

ZEIT Seite 44

Ich auch. Siehe hier im Blog.

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Bemerkenswert das Gespräch Giovanni di Lorenzo mit Desirée Nosbusch Hier

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Die folgende Sendung, die ich nur in Bruchstücken gesehen habe, könnte dazu anregen, aufs Neue das Buch von Bredekamp zu befragen.

GIGANTEN DER KUNST – MICHELANGELO Hier

Schon seine Zeitgenossen nannten ihn den „Göttlichen“. Was trieb Michelangelo an, der in seiner Zeit, der Renaissance, die Bildhauerei und Malerei in gigantische Dimensionen führte und in der Architektur neue Maßstäbe setzte? (u.a. mit Kia Vahland)

Verfügbarkeit: bis 13.03.2032

Zum Folgenden: 80er Jahre – kommen Erinnerungen?  (ich war fast täglich in Köln – was habe ich mitbekommen?) Yoga-Kurs bei Swami Dev Murti in Berlin 1960 s.a. hier, Indische Musik Uni Kuckertz seit 1967, Mahesh Maharishi von Anfang an suspekt, 1975 besondere Musik-Impulse durch Imrat Khan u.a., WDR Indien-Festival Hochschule 1985, Ravi Shankars Rolle, Distanzierung vom Bhagwan-Treiben. Die Musik blieb unangefochten.

1985 JR WDR Musikhochschule Köln

Bhagwan in Köln: Eine Stadt wird rot Hier

Von Indien trugen Bhagwans Anhänger seine Lehren nach Hause und gründeten überall in Europa Kommunen. Die größte Deutschlands entstand in Köln. In kürzester Zeit schufen die Sannyasin in der Rhein Metropole ein wahres Imperium aus angesagten Discotheken, vegetarischen Restaurants, Yoga- und Meditationszentren. Sie kauften Häuser und Geschäfte, gründeten Unternehmen und ließen sich als Ärzte und Steuerberater nieder. Damit machten sie sich in der Nachbarschaft und in der Stadt nicht nur Freunde.

Das große Versprechen endete ein paar Jahre später in einem Desaster. Die Deutschen finanzierten mit ihren beeindruckenden Umsätzen auch ein Guru-Wunderland in den USA. Dort umgab sich Bhagwan mit irrwitzigem Luxus und verlor zunehmend den Blick für die Realität. Statt der Welt zu entsagen, schmückte er sich mit teuren Uhren und sammelte Rolls-Royce.

Literaturclub Hier – Lebendiger als alles, was ich bisher kannte.

08.03.2022 Tell, Türkei und Tabubrüche: Neue Bücher von Joachim B. Schmidt, Orhan Pamuk, Bettina Flitner und Berthe Arlo

https://www.arte.tv/de/videos/091170-000-A/der-teppich-von-bayeux/ hier Wikipedia !!! HIER

Alles neu denken (und hören)

Jan Kopp, Reinhard Febel (Bach), Martin Tchiba

Die Auswahl dieser Komponisten ist rein zufällig. Oder soll ich sagen: ist alles andere als zufällig, hat vielmehr mit meiner persönlichen Biographie zu tun. Man muss das nicht wissen. Trotzdem werde ich am Ende etwas aus meiner Geschichte mit der Neuen Musik erzählen. Aber das wird ein privates work in progress und muss niemanden interessieren.

Über Musik sprechen? Und dann erst hören? Oder umgekehrt?

Hören???

Anklicken /Ansehen / Aussuchen

Alle diese Videos einzeln anschauen und einzeln bewusst hören hier

Die einzelnen Clips sind sehr kurz, zwischen 0:15 und 1:20, man kann den Vorgang des Hörens danach unmittelbar rekapitulieren, imaginativ. /  Oder wie in den folgenden drei Versionen als ein Kontinuum vorüberziehen lassen, sogar quasi nebenbei hören :

Playlist 1 (=Version 1) hier  / Playlist 2 (=Version 2) hier  / Playlist 3 (=Version 3) hier

Aber: was heißt nun HÖREN? Wie sollte man zuhören? Der Komponist Jan Kopp hat sich darüber viele Jahre lang systematisch Gedanken gemacht und das Ergebnis in dem folgenden Büchlein zusammengefasst. Sehr empfehlenswert.

Wolke Verlag → hier mit Einleitungstext im pdf.

Zusätzliche Erfahrung sammeln mit Klängen, die allen Klassik-Adepten vertraut sein dürften

  Reinhard Febel Wikipedia 2012 (Foto David Kilburn) – Im Booklet fehlt ein Foto des Komponisten…

Erfahrung zulassen – mit Klängen unbekannter Herkunft

Martin Tchiba:

klang collection ist meine musikalische Aufarbeitung der Corona-Zeit. Reflektiert werden vielfältige Klänge, Dinge, Orte, die mir 2020 und 2021 wichtig waren, die auf der Agenda gestanden hätten, aber aufgrund der Situation „unerhört“ blieben, ergänzt durch starke Reminiszenzen an die „Zeit davor“. Dennoch bleiben viele der Stücke abstrakt – in dem Sinne, dass sich die Referenzen nicht auf der Oberfläche, sondern eher aus der Anatomie der Textur erschließen. Überdies entwickeln die Kompositionen durchaus eine eigene, von den jeweiligen Bezugspunkten losgelöste innere Logik. Die drei „Abteilungen“ – places, dedications, images – können jeweils als eigenständige Werke betrachtet werden, deren einzelne Sätze (Tracks) ebenfalls als in sich geschlossene Stücke gehört werden können. Und natürlich gibt es auch den dramaturgischen Kontext der rund fünfzigminütigen Gesamtkomposition. Verarbeitet wurden überwiegend Klavierklänge, spontan improvisierte wie minutiös konstruierte, aber auch Synthetisches, Field Recordings – Sounds einer beklemmenden, aber nicht verlorenen Zeit.

Das ist der kurze Text, der auf der CD zu lesen ist. Man sollte ihn später – nach dem Hören? – durch den längeren, instruktiven Text ergänzen, der im Internet zu finden ist, und zwar unter http://www.tchiba.com/edition/klang-collection/ bzw. hier. So rät der Komponist selbst. Unbedingt, sobald sich – was beim Hören neuer Musik nicht selten der Fall ist – der Eindruck einstellt: was will der kreative Mensch mir eigentlich mitteilen? Ist es recht, wenn mir Assoziationen kommen, die nicht mit denen des Komponisten übereinstimmen? Will er überhaupt mit uns kommunizieren (ich bin mir dessen sicher: auch Selbstgespräche beziehen sich auf andere Menschen – oder quasi personifizierte, resonierende Dinge…), zumal ich erfahre, dass ihm manche akustische Erfahrungen selbst rätselhaft werden, und dass er in der Einsamkeit des Waldes an uns (!) denkt („wir“), an grazile Insekten oder an – Skrjabin.  Wir Lebewesen befinden uns alle in einer vergleichbaren Erfahrungswelt, auch wenn sie uns fremd wird, zahllosen Existenzen, die Gregor Samsa gleichen, dessen „Verwandlung“ Franz Kafka beschrieben hat.

(Fortsetzung folgt)

Sonderbeitrag Satire

Was darf sie, was kann sie? Hören Sie bitte:

die Sendung „Neues aus der Anstalt“ vom 8. März (gestern),

HIER

bzw. beginnen Sie mit den letzten 3 Minuten, springen Sie dann auf den Anfang, schauen Sie bis mindestens 4:50  und notieren Sie:

Im Ernst: Bitte anklicken!

Und wenn Sie wollen, schauen Sie in Ruhe weiter. Trotz der (absichtlich – und mit Recht – platten) Putin-Witze. Sie können gar nicht anders, – und sei es nur, um der Frage nachzugehen, ob Satire in dieser Form wirklich Wirkung tut. „Sinn macht“. Oder ob eine weitere Talkshow nützlicher gewesen wäre.

Mit freundlichen Grüßen (und Dank an JMR)

JR

P.S. … und heute bin ich froh, ein Pendant gefunden zu haben (10.03.22): man braucht nicht mehr (event. sogar viel weniger) als 55 Minuten. Weniger, wenn ich mich auf das Gespräch mit Christian Gerhaher beschränke. (Im folgenden Link unter „Wie neu muss Oper?“ gegen 32:00) Aber nicht immer ist weniger auch mehr. Nicht immer. Siehe also Hier  /  Inzwischen liegt sogar eine zeitsparende Abschrift des Gesprächs vor, siehe hier.

Und aus der Quelle Crescendo übernehme ich gern – ohne logische Begründung – den Ausklang des ganzen Beitrags:

Cookies (Info in eigener Sache)

Auch mich, den Autor des Blogs, stört das:

diese verdammte Schrift, die sich unten ins Bild schiebt, sehr störend, wenn man auf einem Handy recherchiert (bei manchen PCs hat man Glück):

This website stores cookies on your computer. These cookies are used to provide a more personalized experience and to track your whereabouts around our website in compliance with the European General Data Protection Regulation. If you decide to to opt-out of any future tracking, a cookie will be setup in your browser to remember this choice for one year.

Was sind (wären) Cookies, wozu dienen sie (wenn sie funktionieren)??? Siehe hier.

In meinem Fall aber handelt es sich um eine Fehlfunktion, die nichts bewirkt, deren Anzeige ich aber im Augenblick auch nicht verhindern kann. Die Alternative Accept oder Deny bewirkt hier nichts,- ein sinnloses, „kreisförmiges“ Abstellgeleis. Es wird eines Tages wieder verschwinden, wenn wordpress und Blog „upgedated“ werden. Ich verzögere das, weil bei einem solchen Vorgang vor einigen Jahren alles, was ich bis dahin geschrieben hatte (und was für mich von Bedeutung war), auf einer digitalen Müllhalde gelandet ist. Der Neuanfang danach sah so aus, als würde „der alte Blog“ als Archiv wieder verfügbar sein. Es ist uns nicht gelungen  (Foto von meiner alten Website):

hier. Und so ging es weiter, und nicht alles ist mir gleichermaßen wichtig geblieben, aber nichts möchte ich missen . . . erst recht nicht auf einer digitalen Halde wissen . . .

Damit die Kenntnisnahme dieser Erklärung für Leserinnen und Leser noch einen zusätzlichen Nährwert hat, lasse ich jetzt noch eine Information folgen, die ich gestern privat für einen Freund gescannt habe, aus der Frühzeit meiner Mitarbeit im WDR, die Ende der 60 Jahre begann.

Horst Hempel war auch für die Aufnahmen der Bach-Kantaten zuständig, bei denen ich (im Collegium musicum des WDR) als Geiger mitwirken durfte. Als Tonmeister hat die meisten Aufnahmen Dr. Alfred Krings durchgeführt, der dann Leiter der Abteilung Volksmusik wurde und mich sofort als freien Mitarbeiter anwarb (1976 wurde ich sein Nachfolger), auch weil er wusste, dass ich bei dem von ihm hochverehrten Prof. Marius Schneider Musikethnologie studierte (Promotion 1970). Das Wort „Volksmusik“ löste sich von den alten engen („tümlichen“) Vorstellungen, und die Musik aller Kulturen wurde subsumierbar.)

All das ist Geschichte, die erst Ende der 90er Jahre wirklich „Geschichte“ wurde.