unter Berufung auf Ernst Cassirer und Susanne K. Langer
Die folgenden rot hervorgehobenen Sätze haben sich mir eingegraben, sie strahlen Zuversicht aus bis in die Gegenwart. Schwieriger wird es, wenn ich sie im Detail ausführen soll. Der „Kern“ dürfte aus mehreren Stichworten bestehen, nur dass ich mich nicht von allen guten Geistern verlassen führe. Also voran: eine Übung! Mit längeren Lesestücken zum Überfliegen.
… die Idee, etwas mit einem Namen zu belegen, ist der fruchtbarste Gedanke aller Zeiten; sein Einfluß mag durchaus imstande gewesen sein, das gesamte Leben und Fühlen der Gattung binnen weniger Generationen zu verwandeln. (…) Kaum war der erste Funken geschlagen, so war auch das Licht der Vernunft entzündet; ein Zeitalter phänomenaler Neuerungen, Veränderungen, vielleicht sogar zerebraler Entwicklungen hatte begonnen, als aus der nichtigen Affenkreatur, die er gewesen, der Mensch hervorging.
Natürlich nicht von mir erdacht, immer nur aufs neue entdeckt, – was eben den Wunsch erweckt, das Phänomen in einigen Formeln jederzeit präsent zu habe. Nicht zum ersten Mal versuche ich das, es hat ja in gewisser Weise geholfen, nicht auf unnütze Nebengeleise zu geraten. Aber es bedarf immer neuer Übungen, so des Cassirer-Originaltextes, der mir in dem Reclamband begegnete: „Texte zur Kulturtheorie und Kulturwissenschaft“ (Stuttgart 2010 / Reclam 18715), den ich mir an anderem Ort und in anderer Situation wohl nicht erschlossen hätte. Mir ginge es sicher wie vielen anderen Leserinnen und Lesern: diese von mir verunstaltete Form, die sich beim oftmaligen Lesen von selbst eingestellt hat, hätte mir nicht geholfen, wenn sie nicht mit Denkpausen verbunden gewesen, in denen sich einzelne Worte und Sätze mit Bedeutung gefüllt hätten, die mich an frühere „Offenbarungen“ erinnerten und die ich hier rekapitulieren will. Zunächst der strapazierte Reclam-Text:
Neu war mir der Ansatz bei Herder, ausgerechnet ihn als Antipoden Hegels zu erfassen, und gleichwohl von einer „Phänomenologie des Geistes“ zu sprechen. Wobei es alsbald nicht mehr einfach um die „Natur der Sprache“ geht, sondern unvermerkt um „die Frage der Wirklichkeitserkenntnis“, die eine immer komplexere Gestalt annimmt und eine immer reichere Gliederung erfährt. Von dieser Stelle an möchte ich dem Text Satz für Satz folgen, ihn abschreiben, an einzelnen Stellen innehalten, um sie mir vollkommen anzueignen.
ZITAT (Texte zur Kulturtheorie … Seite 136f)
Jetzt wird deutlich und unverkennbar, dass diese Frage nicht nur nicht gelöst, sondern in ihrem eigentlichen und vollen Sinne nicht einmal gestellt werden kann, solange die „physischen“ Gegenstände das einzige Thema und das einzige Ziel der Betrachtung bilden. Der physische Kosmos, das Universum der Naturwissenschaften, bildet nur nnoch einen Sonderfall ud ein Paradigma für eine viel allgemeinere Problemstellung. Diese Problemstellung ist es, die jetzt an die Stelle jenes Ideals der Pan-Mathematik, der Mathesis universalis tritt, das seit Descartes das philosophische Denken beherrscht hatte. Der mathematische und der physikalische-astronomische Kosmos ist nicht der einzige, in dem die I d e e des Kosmos, die Idee einer durchgreifenden Ordnung, sich darstellt. Diese Idee ist nicht auf die Gesetzlichkeit der Naturphänomene, auf die Welt der „Materie“ eingeschränkt. Sie tritt uns überall entgegen, wo an einem Mannigfaltigen und Verschiedenen ein bestimmtes einheitliches Strukturgesetz sichtbar wird. Das Walten eines solchen Strukturgesetzes: das ist der allgemeinste Ausdruck für das, was wir im weitesten Sinne mit dem Namen der „Objektivität“ bezeichnen.
Man könnte fragen, was mit dem Ideal der Pan-Mathematik gemeint ist (man ahnt es), am deutlichsten wird es in den Worten Heideggers, der laut Wikipedia „in Descartes den Schlüssel zur Wissenschaftsgenese der Neuzeit [sieht]. Durch die (anti-aristotelische) Einklammerung der Qualitäten des Organischen und durch Fixierung auf die Quantifizierung der Objektwelt stelle seine Philosophie den Beginn der unheilvollen technischen Beherrschung der Welt dar.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Philosophie_der_symbolischen_Formen hier
ZITAT (Texte zur Kulturtheorie … Seite 137)
Um dies für uns zu voller Deutlichkeit zu erheben, brauchen wir nur an jene Grundbedeutung des Begriffs „Kosmos“ anzuknüpfen, die schon das antike Denken festgestellt hatte. Ein „Kosmos“, eine objektive Ordnung und Bestimmtheit, ist überall dort vorhanden, wo verschiedene Subjekte sich auf eine „gemeinsame Welt“ beziehen und denkend an ihr teilhaben. Dies ist nicht nur dort der Fall, wo wir uns durch das Medium der sinnlichen Wahrnehmung das physische Weltbild aufbauen. Was wir als „Sinn“ der Welt erfassen, das tritt uns überall dort entgegen, wo wir uns, statt uns in die eigene Vorstellungswelt zu verschließen, auf ein Über-Individuelles, Allgemeines, für alle Gültiges richten. Und nirgends tritt diese Möglichkeit und diese Notwendigkeit der Durchbrechnung der individuellen Schranke so fraglos und so deutlich hervor wie im Phänomen der Sprache. Das gesprochene Wort geht niemals im bloßen Schall oder Laut auf. Es will etwas bedeuten; es fügt sich zum Ganzen einer „Rede“ zusammen, und diese Rede „ist“ nur, indem sie von einem Subjekt zum andern hingeht und beide im Wechselgespräch miteinander verknüpft.
Man vergegenwärtige sich den Inhalt des Satzes „Das gesprochene Wort geht niemals im bloßen Schall oder Laut auf.“ Das gilt auch in scheinbar urtümlichen Fällen, wenn man darauf verweisen will, dass etwa das Wort (?) „Kikeriki“ sehr wohl mit Schall oder Laut etwas aussagt. Es kann Schall und Laut in etwas verwandeln, das über seine onomatopoetische Erscheinung hinaus etwas bedeutet, und nicht etwa nur den individuellen Schrei eines mir gut bekannten Haushahnes, nämlich den Schrei aller Hähne und schließlich diese Tiere selbst in ihrer Allgemeinheit. So wie das Wort „Hirsch“ die Allgemeinheit aller Hirsche meint, den Hirsch schlechthin.
Ich greife jetzt vor, also in dem Text, dem ich folge, dort, wo es um SPRACHTHEORIE geht, die eine Vorbedingung der ERKENNTNISTHEORIE ist. (Im folgenden zunächst Anspielung auf „Pan-Mathematik“, siehe oben.)
ZITAT (Texte zur Kulturtheorie … Seite 138)
Wer die Kritik der Erkenntnis erst mit der Wissenschaftstheorie, mit der Analyse der Grundbegriffe und Prinzipien der Mathematik, der Physik, der Biologie, der Geschichte beginnen lässt, der setzt den Hebel gewissermaßen zu hoch an. Aber ebenso verfehlt derjenige den richtigen Ansatz, für den das Wissen nichts anderes als eine einfache Konstatierung dessen ist, was uns in den Elementen der Sinnesempfindung unmittelbar gegeben ist. Auch die psychologische Analyse lässt, sofern sie ohne erkenntnistheoretische Vorurteile getrieben wird, diesen Sachverhalt klar hervortreten. Denn sie zeigt uns, dass die Sprache durchaus nicht der einfache Abdruck von Inhalten und Beziehungen, die uns die Empfindung unmittelbar darbietet. Ihre Ideen sind keineswegs, wie es das sensualistische Dogma verlangt, die bloßen Kopien von Impressionen. Die Sprache ist vielmehr eine bestimmte Grundrichtung des geistigen Tuns: ein Inbegriff psychisch-geistiger Akte, und in diesen Akten erst schließt sich uns eine neue Seite der Wirklichkeit, der Aktualität der Dinge auf.
Achtung: … die uns die Empfindung unmittelbar darbietet… denke an „das Gewühl“ (Jaspers)
ZITAT (Texte zur Kulturtheorie … Seite 138f)
… eine neue Seite der Wirklichkeit, der Aktualität der Dinge auf. Wilhelm von Humboldt, der zugleich der Schüler Herders und der Schüler Kants ist, hat für diesen Sachverhalt den Ausdruck geprägt, dass die Sprache Funktion, nicht Affektion sei. Sie ist kein einfaches Produkt, sondern ein kontinuierlicher, sich ständig erneuernder Prozess, und in dem Maße, als dieser Prozess fortschreitet, zeichnen sich für den Menschen die Umrisse seiner »Welt« immer klarer und bestimmter ab. Der Name wird somit nicht einfach an die fertige und vorhandene gegenständliche Anschauung, als ein äußeres Kennzeichen, angefügt, sondern in ihm drückt sich ein bestimmter Weg, eine Weise und Richtung des Kennen-L e r n e n s aus.
Ein wenig zurück im Text…
ZITAT (Texte zur Kulturtheorie … Seite 137f)
Von der Vernunft, die in der Sprache investiert ist und die sich in ihren Begriffen ausdrückt, führt der Weg zur wissenschaftlichen Vernunft weiter. Die Sprache kann mit den ihr eigentümlichen Mitteln die wissenschatliche Erkenntnis nicht erzeugen oder auch nur erreichen. Aber sie ist eine notwendige Etappe auf dem Wege zu ihr; sie bildet das Medium, in dem allein das Wissen um die Dinge entstehen und sich fortschreitend ausbauen kann. Der Akt der Benennung ist die unentbehrliche Vorstufe und die Bedingung für jenen Akt der Bestimmung, in dem die eigentümliche Aufgabe der Wissenschaft besteht. Es ergibt sich hieraus, dass und warum die Sprachtheorie ein notwendiges und integrierendes Moment im Aufbau der Erkennnistheorie bildet. Wer die Kritik der Erkenntnis erst mit der Wissenschaftstheorie, mit der Analyse der Grundbegriffe und Prinzipien der Mathematik, der Physik, der Biologie, der Geschichte beginnen lässt, der setzt den Hebel gewissermaßen zu hoch an. [siehe oben]
(Fortsetzung folgt S.139 Kindersprache, Tier, Instinkt, Merkwelt, Wirkwelt, Bildwelt)
JR „Bos en Duin“ Texel 22.09.2024