Archiv der Kategorie: Ästhetik

Chromatische Irritationen bei Chopin

Sinnlose Fragen zur Etüde op. 25 Nr. 6

Man kann sich an dieser phantastischen Etüde (gerade im langsamen Tempo) begeistern, die Reibungen und Querstände genießen, die Unabhängigkeit der chromatischen Girlanden über den links vorgegebenen Akkordpunkten, und man kann in jeder Zeile kindliche Warum-Fragen stellen. Warum nicht? Es ist eine schöne Übung, darauf kindliche Antworten zu finden. (Ich nutze aber den Vorteil des Notenschreibens.)

Das Abbremsen der chromatischen Abwärtsfahrt

Chopin Chromatik Ende  Chopin Chrom Ende JR

Der leere Klang als Ziel

Chopin Chromatik Ende leer  Chopin Ende leer x  56/57 & 52/53                                 Vorschlag zur Verschlimmbesserung

Geballte Parallelen

Chopin Chromatik Parallelen  Chopin Parallelen rot falscher Fehler…

Chromatik als Aufhebung harmonischer Logik

Wieviel Töne der chromatischen Girlande passen zum Akkord? Im Grunde muss nur der Ausgangspunkt und der Zielpunkt zum Bass passen, in Takt 8 ergibt der Basston mit der Terz h/dis der rechten Hand die gis-moll-Tonika. Und dass dieselbe Terz im nächsten Takt erst auf der Zählzeit 2 erreicht wird, während die linke Hand den Tonika-Dreiklang bereits auf der 1 anschlägt, wird als reizvolle Schwerpunkt-Differenz empfunden.

Takt 7: Ganzton- oder Halbtontriller? siehe dazu die Diskussion im Forum CLAVIO

Ich glaube, dass hier das letzte Vorzeichen (ais) außer Kraft gesetzt ist, also ein „a“ gespielt werden muss. Nirgendwo in der Etüde gibt es einen Terzen-Triller, bei dem das Intervall zwischen der unteren Note und der oberen mehr als eine reine Quarte umfasst. (Abgesehen von der kleinen Ausnahmestelle in der Mitte der Takte 52 und 56.) Mein Argument ist also nicht identisch mit dem, das im Revisionsbericht steht. Ich höre die Stelle als cis-moll, obwohl es sich (auch) um die Unterdominante von gis-moll handelt; aber das „a“ in der linken Hand ist ganz sicher nicht als „Überraschung“ einzuschätzen.

Chopin gis Komm

Sehr schön ist die Bemerkung zu den Quintenparallelen („denn jene klingt monoton“), zumal wenn man an die schon oben erwähnte Quinten- plus Oktavenparallele denkt. Die Autonomie der Stimmen in ihren Einzelschritten liegt hier überhaupt nicht im Focus der Aufmerksamkeit.

Der Revisionsbericht meiner Paderewski-Ausgabe (Polnischer Musikverlag 1956) stammt von Ludwig Bronarski und Josef Turkzynski.

Übrigens: auch der oben erwähnte „leere Klang“ ist keine Notlösung, sondern ein wunderbarer Einfall! Die Klarheit, die der seltsam gezwirbelten plagalen Kadenz folgt!

Nachtrag 21.08.15

Irrtum: es ist keine „Quinten- plus Oktavenparallele“, nur Quinten und Terzen parallel. Wenn man aber das andere sucht, auch dafür gibt es eine schöne Stelle (Etüde op. 25 Nr.8):

Chopin Quinten & Oktaven

Natürlich ist das besonders reizvoll, ein Hauch Impressionismus. – Ich erinnere mich an den ersten Harmonielehreunterricht bei meinem Vater, der mir also beigebracht hatte, dass man Oktav- und Quintparallelen zu vermeiden hat. Und wie ich ihm mit verhaltener List zeigte, dass in einer Partitur von Johann Christian Bach am Anfang alle Instrumente in Oktaven spielen (unisono!). Die Regel der verbotenen Oktaven und Quinten gilt nur im „strengen Satz“, sagte er. Weil sonst die Vierstimmigkeit aufgehoben ist, die beiden parallel geführten Stimmen verschmelzen „aus Versehen“. Im Anfang dieser Partitur sollen sie aber alle sozusagen mit einer Stimme sprechen. Sobald es um den „Effekt“ der Parallelen geht oder um die besondere Klangfarbe, sind sie natürlich erlaubt. An der Hochschule in Köln, wo Theorie u.a. von  Heinrich Lemacher und Hermann Schroeder unterrichtet wurde, deren Kompositionsstil man im Schatten Stockhausens und und B.A. Zimmermanns gern bespöttelte, wusste um 1960 jeder, wer mit den Spitznamen „Quinten-Heinrich“ und „Quarten-Hermann“ gemeint war. Natürlich galten in ihrem Theorie(!)-Unterricht dieselben Regeln des „strengen Satzes“ wie anderswo.

Wie heteronom sind Ich …

… und wenn ja, wie viele von mir?

So vor uns hinplappernd, improvisieren wir heute gern über die private Kernspaltung und ziehen dann doch am Automaten nur eine Fahrkarte, als seien wir Einzelfahrer. Denn unser Alltag befindet sich selten auf derart hohem Niveau, dass Artaud, Derrida oder Castorf daran Wohlgefallen hätten.

Ivan Nagel drückte es einmal – 1994 in einer Laudatio auf den letztgenannten – folgendermaßen aus:

Diese Regie sehe die „Heteronomie des Wirklichen“. Weil Autonomie des Subjekts nur „fiktiv und lügenhaft“ zu haben sein, bedeute der Weg zu „Wirklichkeit und Wahrheit […] das Verbot, uns eine einheitliche Welt und einen sie wahrnehmenden, begreifenden, einheitlichen Menschen vorzutäuschen“. Die Rezeptionsperspektive bleibt somit als einzige verbindliche Instanz: Alles setzt sich frei und unterschiedlich im Kopf des Zuschauers zusammen – aus heteronomen Faktoren. Die Aufführung versteht sich demzufolge nicht als Wiedergabe, sondern als Tat im emphatischen Sinn.

Quelle Stephan Mösch: Die Krokodile sagen alles / Frank Castors Bayreuther Ring und die „Dynamisierung des Originals“. In: Musik & Ästhetik 19. Jahrgang, Heft 75, Juli 2015 Klett-Cotta Stuttgart (Seite 77) [die Anführungsstriche innerhalb des zitierten Textes bezeichnen Wortfolgen von Ivan Nagel].

Ja, die „Tat im emphatischen Sinn“ – dagegen kann man seit Goethes Faust nichts mehr einwenden, statt „Wiedergabe“ könnte ich allerdings auch „Wiederkäuen“ sagen, und so weiß ich ohne nachzudenken, was ich zu wählen und was ich zu lassen habe.

Wenn es so desolat um die Wirklichkeit steht, und gewissermaßen zur Strafe auch noch um die zweite Wirklichkeit des Kunstwerkes, was soll ich mit Leuten anfangen, die vom Individuum sprechen, ohne uns gleichzeitig darüber zu informieren, dass es doch auch nicht weniger „fiktiv und lügenhaft“ zu haben ist als die Autonomie des Subjekts; ich verweise auf Artikel wie SUBJEKT oder INDIVIDUUM und zitiere dann unverdrossen den Philosophen Rüdiger Safranski:

Goethe, der genau wußte, was für die Bildung eines Individuums erforderlich ist, schreibt in „Wilhelm Meisters Lehrjahren“:

Der Mensch ist zu einer beschränkten Lage geboren; einfache, nahe, bestimmte Ziele vermag er einzusehen und er gewöhnt sich, die Mittel zu benutzen, die ihm gleich zur Hand sind; sobald er aber ins Weite kommt, weiß er weder, was er will, noch was er soll, und es ist ganz einerlei, ob er durch die Menge der Gegenstände zerstreut oder ob er durch die Höhe und Würde derselben außer sich gesetzt werde. Es ist immer sein Unglück, wenn er veranlaßt wird, nach etwas zu streben, mit dem er sich durch eine regelmäßige Selbsttätigkeit nicht verbinden kann.

Goethe hat, wie so oft, auch hier das Richtige getroffen. Es gibt eine Reichweite unserer Sinne und eine Reichweite des vom Einzelnen verantwortbaren Handelns, einen Sinnekreis und einen Handlungskreis. Reize, so kann man mit großer Vereinfachung sagen, müssen irgendwie abgeführt werden. Ursprünglich in der Form einer Handlungs-Reaktion. Handlung ist die entsprechende Antwort auf einen Reiz. Deshalb sind auch der Sinnenkreis, worin wir Reize empfangen, und der Handlungskreis, in den sie abgeführt werden, ursprünglich miteinander koordiniert. Aber eben nicht gut genug koordiniert. Auch hierbei sind wir Halbfabrikate. Wir müssen nämlich selbst ein Filtersystem entwickeln, das Reize, auf die man gar nicht angemessen zu reagieren braucht, wegfiltert. Unsere Sinne sind vielleicht zu offen. Unser diesbezügliches Immunsystem ist nicht ausreichend. Auch das gehört zur Arbeit an unserer zweiten Natur: die Entwicklung eines kulturellen Filter- und Immunsystems.

(Fortsetzung folgt)

Quelle Rüdiger Safranski: Wieviel Globalisierung verträgt der Mensch? Frankfurt am Main 2004 (S. 77f):

Genau dies ist es offenbar, was Castorf anstrebt: So viele Reize zu schaffen, dass unser Filtersystem außer Kraft gesetzt wird. Gleichgültig, ob wir dadurch tat-mächtiger werden oder wie gelähmt in uns zusammenfallen. Hauptsache, er war Herr seiner Tat und unser aller Herr. „Fiktiv und lügenhaft“ könnte es dann erst recht sein zu behaupten: „Alles setzt sich frei und unterschiedlich im Kopf des Zuschauers zusammen – aus heteronomen Faktoren.“ (s.o.)

Nichts setzt sich zusammen. Das was an geistigem Knochengerüst vorhanden war, auch die Musik, die einen gewissen Zusammenhang zu bilden schien, wird gnadenlos dekonstruiert, allein durch die offenbare Missachtung und Ignoranz. Was machen wir mit den psychologischen Bruchstücken? Wie schütteln wir sie ab?

(Fortsetzung Safranski:)

Was geschieht mit Reizen, die nicht mehr handelnd beantwortet und abgeführt werden? Der Abgebrühte hat sie vielleicht durch Abbrühen unschädlich gemacht. Aber auch bei ihm werden diese Reize Spuren hinterlassen. Wenn sie nicht weggefiltert werden, lagern sie sich irgendwo in uns ab, in einem neuen Bereich des Unbewußten, einem Unruheherd mit frei beweglicher Erregungsbereitschaft, nur lose mit ihren jeweiligen Gegenständen verbunden. Man wird, wie Goethe feststellte, zerstreut. [JR: dekonstruiert?] Aber es handelt sich um eine erregte Zerstreuung – wie nach einer Explosion. Man muß sich das so vorstellen: Jeder ist zunächst in seiner Arbeit und sonstigen Lebenstätigkeit konzentriert, zusammengedrückt; wenn dieser Druck nachläßt, in der sogenannten Freizeit, bersten diese vom Druck Befreiten auseinander und stürzen sich auf die tausend Bilder von Ereignissen, die sie eigentlich nichts angehen. Wie auch immer, der Medienkonsument erlebt die globale Welt als Schauplatz seiner Erregungen auf der Suche nach immer neuen Gelegenheiten. Globalisierung, die über die Medien nach innen schlägt, begünstigt latente Hysterie und Panikzustände.

Quelle Safranski a.a.O. Seite 79 f.

Nachwort 5. August 2015

Wagner erleben … bedeutet nicht Frei-Zeit? und noch weniger Freiheit.

Vielleicht brauche ich aber in Richard Wagners Werk nicht eine weitere Explosion auf der Bühne, sondern erst nach dem Schlussakkord und dem Verlassen des Festspielhauses – im Kopf, auf dem Nachhauseweg und im stillen Kämmerlein?

Früher sprach man allzu leicht von Bewusstseinserweiterung. Aber könnte man wirklich bei einer Sprengung – sagen wir – des Dionysos-Mosaiks in Köln von einer Mosaikerweiterung sprechen?

Nachwort 6. August 2015

Die neue ZEIT ist da! Pflichtlektüre und als erstes zu lesen: „Bayreuther Assoziationen / Eine Reise zu den Festspielen“ Von Peter Sloterdijk. Eine hinreißende, würdige Nachfolge der Schriften Nietzsches zum „Fall Wagner“. 

ZITAT

Ein Wort über die Walküre dieses Sommers soll nicht fehlen. Dass der Regisseur ein Zyniker und ein Schlamper ist, weiß man nicht erst, seit er am Hügel seine Visitenkarte abgab. Der aktuelle Kulturbetrieb benutzt Zyniker und Schlamper als Informanten über das, was als Nächstes kommt. Wer ärger schlampt als andere, prägt die nächste Saison. Wer das Publikum heftiger verachtet als andere gelernte Verächter, wird weitergereicht in die nächste Runde.

Es war das Glück dieser Walküre, dass dem Regisseur zu ihr nichts einfiel, außer dass er dem maßlos monologisierenden Wotan ungefähr zur Halbzeit seiner polemischen Tirade einen Stuhl unterschieben ließ. Man hatte ansonsten Lust, ihm zu gratulieren, wie wenig er die Sänger behinderte. Gegen das Stück war er gleichgültig genug, um Kunstaugenblicke zuzulassen. Fast war man bereit, für seine Lustlosigkeit dankbar zu sein. Sie ließ Raum dafür, dass der Dirigent zum Blühen brachte, was Paul Bekker einst die „instrumentalen Instinkte“ Wagners genannt hatte.

Ein Wort noch zu dem Publikumsverachtungsstandort Bayreuth. Gegen die kondensierte Verehrung der Besucher kommt hier niemand auf. Keine Herabsetzung vermag dort (…)

Ich breche ab: wer nie im Leben DIE ZEIT gelesen hat, vielleicht weil er/sie Musiker/in ist und üben muss, – heute sind die Seiten 39 – 40 hilfreicher als ein ganzer Etüden-Band. Es ist eine Übung des musikalischen Denkens par excellence. Und ein Königsweg, Wagner trotz Bayreuth zu lieben.

Fragen an Beethoven

Eine Übung

Es ist eigentlich Leonidas Kavakos, der mich mit seinen mustergültigen Interpretationen der Beethoven-Violinsonaten darauf brachte, dass mir zwei davon lebenslang fast unbekannt geblieben sind. Obwohl ich sie in meiner Studienzeit mehr als einmal gehört, allerdings nie selbst gespielt habe, auch nie den Drang dazu gespürt habe. Im Gegenteil, ich habe sie gemieden, und das war dumm: Die Sonate Nr. 6 A-dur op. 30, 1 und die Sonate Nr. 10 G-dur op. 96.

Merkwürdigerweise sieht Kavakos in seiner verbalen Einführung gerade diese beiden Sonaten innerlich verbunden. Es ist alles sehr hörenswert, was er sagt, aber man gehe auf youtube direkt an die Stelle, die der Sonate Nr. 6 gewidmet ist: HIER – ab 10:36 bis 14:51.

Leider findet man man von dieser Sonate nur den 2. und 3. Satz in der Interpretation mit Leonidas Kavakos und Enrico Pace auf youtube. Ich nehme aber gern vorlieb mit der alten Oistrach-Aufnahme HIER. Man kann auch die Einzelsätze anklicken, was später ganz nützlich ist, wenn man Kavakos wirklich an einem der größten Violinisten der Geschichte messen möchte.

Der zweite Satz mit Kavakos: HIER,
und der dritte: HIER.

Es ist sehr merkwürdig: man muss bei dieser Sonate ehrlicherweise über etwas reden, was sie unattraktiv macht! Und das tut Kavakos auf beachtliche Weise. Er sagt, dass sie keine wirkliche Melodie hat, kein wirkliches „Statement“. (Er spielt sie an: sachlich, non espressivo, setzt das Thema der Frühlingssonate dagegen.)  Es ist eher wie eine Kontemplation. Das sei wie in der Sonate 10, die beginnt wie eine „Unanswered Question“ (Ives), kontemplative Atmosphäre, – Kavakos lässt einen mit fragmentierten Sätzen spüren, dass es schwer zu sagen ist: es ist auch in der Sonate nicht klar, „dies ist das Statement, dies ist die Verarbeitung“ – gewiss, alles ist da (er springt an den Schluss, den er spielt, indem er mimisch zeigt, wie es da offen bleibt: „ist es eine Antwort, ist es eine Frage? Niemand kann es sagen.“) Und dann sagt er: das sei irgendwie magisch, dass Beethoven den ersten Satz beendet auf eine (unspektakuläre) Weise, ja … okay … lasst uns sehen, wie das läuft… und dann kommt der langsame Satz, der zusammen mit dem der Frühlingssonate zu den melodischsten Sätzen Beethovens gehört. Es ist dies Moment der Ruhe, des Nicht-Vorwärtsdrängens, diese höhere Macht („superior power“). Relaxation. A moment of calmness. (Gelassenheit!) Das sind seltene Momente in der Musik! Und wenn das kommt …, dann ist das von machtvoller Wirkung. Den letzten Satz (die Variationen!) nennt Kavakos ein „Rondo“, und das ist kein Lapsus linguae, auch die Interpretation, die ich gleich zitieren werde, spricht über „Rondo-Momente“: Da heißt es: „Gleich die erste Variation läßt eher auf eine kontrastierende Episode [wie in einem Rondo] als auf eine motivisch-thematische Veränderung schließen.“ Es ist fast, als habe Kavakos diese Ausführungen gelesen: Peter Ackermann in: „Beethoven. Interpretationen seiner Werke“ / Herausgegeben von Albrecht Riethmüller, Carl Dahlhaus, Alexander L. Ringer / Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1996 / Bd. I S. 242 ff. Und hier wird auch daran erinnert, dass der ursprünglich vorgesehene Finalsatz des Werkes — in die Kreutzer-Sonate gewandert ist.

Doch deutet sich in der Substituierung des Finales zugleich ein Problem der kompositorischen Integrität des Werks an. Nicht auf die zyklische Striktur insgesamt, sondern auf Details der inneren musikalischen Logik bezogen sieht Alexander Wheelock Thayer markante Schwächen der A-Dur-Sonate. Im Vergleich mit den beiden anderen aus op. 30 stünde sie an „natürlichem Fluß, an zwingender Notwendigkeit der Entwicklung entschieden zurück. Der erste Satz zerbröckelt in zu viele gegen einander abgeschlossene kleine Sätzchen und läßt mehrfach die modulatorischen Einschiebsel, welche die Tonartordnung erfordert, unliebsam hervor treten […]. Trotz aller aufgewandten Kunst und alles fein empfundenen Detail (sic!) bleibt der Gesamteindruck der eines mosaikartigen Zusammensetzens der ganzen Sonate.“

Zur schnellen Orientierung ein Link zum (historischen) Notentext: HIER.

Dann kommt der Kommentator auf den wesentlichen Punkt (den er eher als gattungsgeschichtliche Notwendigkeit der Violin-Klavier-Sonate behandelt): die Polyphonie.

Daß die A-Dur-Sonate, den von Thayer attestierten Schwächen zum Trotz, einen entscheidenden Schritt in dem gattungsgeschichtlichen Prozeß von der Klaviersonate mit Violinbegleitung zur Sonate für zwei gleichberechtigte Instrumente darstellt, tritt an einem zentralen Merkmal zutage. Das Hauptsatzthema des ersten Satzes ist in diesem Sinne geradezu programmatisch. Drei zwischen Klavier und Geige polyphon verflochtene Linien heben die satztechnische Unterscheidung in Haupt- und Nebenstimme, in Melodie und Begleitung auf, Polyphonie selbst wird zum Signum des integralen Zusammengehens der beteiligten Instrumente.

Es ist durchaus möglich, dass Beethoven die heimliche politische Botschaft der gleichberechtigten Stimmen assoziierte und in der emanzipatorischen Tendenz dieser Jahre seinen entscheidenden Fortschritt sah. So wäre es kein Zufall, dass er gerade dieses dreigeteilte Opus, mit dieser Sonate als Auftakt, dem neuen König von Russland widmete, Alexander I., der für seine aufklärerische Haltung (seine Erziehung nach den Prinzipien Rousseaus) bekannt war.

(Fortsetzung folgt)

Die griechische Statue

Der Interpret spricht über den Interpreten

ZITAT

Im fünfzehnten der Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen, nachdem uns gerade versichert wurde, dass das freie ästhetische Spiel Begründer einer neuen Lebenskunst wäre, stellt uns Schiller imaginär vor eine griechische Statue, die als die [N.N.] bekannt ist. Die Göttin, sagt er uns, ist in sich selbst eingeschlossen, untätig, frei von jeder Sorge und jedem Zweck. Weder befiehlt sie, noch widersteht sie. Wir verstehen, dass diese „Abwesenheit von Widerstand“ der Göttin den Widerstand der Statue bestimmt, ihre Äußerlichkeit in Bezug auf die normalen Formen der sinnlichen Erfahrung bestimmt. Weil sie nichts will, weil sie außerhalb der Welt des befehlenden Denkens und Willens steht, weil sie alles in allem „unmenschlich“ ist, deswegen ist die Statue frei und präfiguriert eine Menschheit, die wie sie von den unterdrückenden Bindungen des Willens befreit ist. Weil sie stumm ist, weil sie nicht zu uns spricht und sich nicht für unsere Menschheit interessiert, kann die Statue „dem Ohr der Zukunft“ das Versprechen einer neuen Menschheit „anvertrauen“. Das Paradox des Widerstands ohne Widerstand äußert sich also in seiner ganzen Reinheit. Der Widerstand des Kunstwerks, welches die Göttin darstellt, die nicht widersteht, ruft ein kommendes Volk an. Aber er ruft es in dem Maße an, indem das Werk in seiner Distanz, seiner Entfernung von jedem menschlichen Willen beharrt. Der Widerstand der Statue verspricht den Menschen, die, gleich ihr, aufhörten zu widerstehen, die aufhörten ihr Leid und ihre Klagen zu übersetzen, eine Zukunft.

Quelle Jacques Rancière: Ist Kunst widerständig? Merve Verlag Berlin 2008 (Seite 22 f)

Ich lese mit großer Zustimmung und glaube, die Statue vor meinem inneren Auge zu haben. Ich sehe die Göttin in lässiger Haltung dasitzen, mit seitlich ruhenden Armen, sehe die fließenden Falten ihres Gewandes, ihren Blick – an mir vorbei – auf den Horizont gerichtet.

Alles passt. Aber mein Bild ist falsch. Warum?

(Fortsetzung folgt, ich werde zunächst bei Schiller nachlesen…, dann das von mir eingefügte Kürzel N.N. durch den wahren Namen ersetzen.) Bei Schiller nachlesen? Bitte! (Gutenberg, Spiegel-Texte.)

Und so finde ich die Stelle in meiner wohlfeilen Ausgabe aus dem Jahr 1954, vom Schulgebrauch gezeichnet:

Schiller Juno Ludivisi

Ist es nun eine Statue? Ist es ein „Antlitz“ oder „die ganze Gestalt“? Oder wäre das ganz gleichgültig? Eine „Statue“ ist eine frei stehende Plastik, die einen Menschen oder ein Tier in ganzer Gestalt darstellt, sagt der Duden. Bei der Juno Ludovisi aber handelt es sich nun mal um einen Kopf. Ändert sich dadurch die Argumentation? Siehe auch bei Wikipedia hier, insbesondere dort, wo es Schillers Freund Goethe betrifft.

Und plötzlich spüre ich einen Keim des Misstrauens: was hat es eigentlich mit dem Wort „Menschheit“ auf sich? Ist das denn nicht die Gesamtheit aller Menschen? Aber was soll dann die Differenzierung „unsere Menschheit“? Ist es die der Gegenwart unserer Zeit – im Gegensatz zu der der alten Griechen? Oder geht es darum, dass „unserer Menschheit“ in diesem Fall eine Gottheit gegenübersteht? Ist es das richtige Wort? Was sagt denn der Franzose, wenn er „Menschheit“ unterscheiden möchte von „Menschlichkeit“ oder „Menschentum“? Immer nur „humanité“?

Es ist auch von einer neuen Menschheit, einem kommenden Volk die Rede…

Soll ich abbrechen? Weiterlesen und abwarten, welche Konnotation sich im Gesamttext herausbildet? Das französische Original besorgen? (Ich habe weitergelesen, kursiv gelesen bis zum Schluss.)

Was mich stört: dass der Autor sich unentwegt auf der Ebene der Abstraktion bewegt, die sinnlichen Einzelheiten – wie eben diese „Statue“ – sind nur als Begriffe vorhanden. Wie Meinungsplaketten. Dass er andererseits eine eigene Nomenklatur benutzt, die man nur versteht, wenn man nicht nur ihn, sondern auch die von ihm bevorzugten Autoren kennt (Deleuze, Lyotard, Baudrillard). Er zitiert Voltaire, mehrfach, aber nur mit einem einzigen Satz: „Der Mensch von Geschmack hat andere Augen, andere Ohren, einen anderen Takt als der grobe Mensch.“ Dazu keinen Thorsten Veblen, keinen Nietzsche. Man hat den Verdacht, dass er auch nur den einen Brief von Schiller kennt; erst im Gespräch mit dem Herausgeber wird von diesem die Quelle in „Sämtliche Werke“ angegeben, die Rancière sicherlich nicht benutzt. Es ist ihm egal, ob er vom widerständigen Stein der Pyramiden oder vom Marmor der Statue spricht, die in Wahrheit eine Büste bzw. ein Haupt (mit Hals) ist.

Er benutzt Kennmarken, keine sinnlich angeschauten oder vergegenwärtigten „Rüschen am Kleide“ (Benjamin), – so scheint mir. Mag er auch vom „Käfer im Zimmer Gregor Samsas“ sprechen oder vom Künstler „mit den geröteten Augen“.

Juno bei Goethe

JUNO bei Goethe Quelle: Wikimedia (Ausschnitt)

Eyecatcher: Die Götter Griechenlands

Schöne Welt, wo bist du? – Kehre wieder,
Holdes Blüthenalter der Natur!
Ach, nur in dem Feenland der Lieder
Lebt noch deine fabelhafte Spur.
Ausgestorben trauert das Gefilde,
Keine Gottheit zeigt sich meinem Blick,
Ach, von jenem lebenwarmen Bilde
Blieb der Schatten nur zurück.

Die Eyecatcher des Modeunternehmens Prada – ehrlich, interessieren mich heute zum ersten Mal. Dank eines Artikels von Thomas Steinfeld in der am Bahnhof „händisch“ erworbenen Süddeutschen Zeitung. Angeblich finde ich ihn und sie auch im Internet, aber falls jemand vom kostenlosen 14-Tage-Angebot Gebrauch machen will (der Link folgt), – mir ist es nicht gelungen. Es genügt einstweilen, die Bilder durchzuklicken und den Wunsch nach Lektüre des ganzen Artikels im Herzen zu bewahren: Hier.

ZITAT

Warum aber stellten die Alten ihre Skulpturen reihenweise her, immer dieselben, in verschiedenen Größen, Ausstattungen und Formaten? War nicht ihr Glaube, weit entfernt vom Universalismus des Christentums, an jeweils einzelne Orte und Umstände gebunden, so dass sich die Welt der Götter und Heroen als großes Gewimmel individueller Gestalten darstellte? So mag es zuerst gewesen sein. Doch mit der Herausbildung der Flächenstaaten im Hellenismus, die vor dem örtlich Gebundenen keine Scheu mehr empfanden, kann diese heroische Welt nicht mehr gegenwärtig gewesen sein, sondern muss zu einem Gegenstand des bewundernden Gedenkens geworden sein.

Quelle Süddeutsche Zeitung 2. Juli 2015 Seite 11 Götterfabriken Was eigentlich interessiert Prada an antiken Statuen? Die Serienfertigung. Ein ungewöhnliches Ausstellungsprojekt in Mailand und Venedig / Von Thomas Steinfeld

Merkwürdig, ich glaube, dass es dem Autor zu simpel war, an Walter Benjamins Schrift „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“ anzuknüpfen. Sie liegt jedoch schon neben mir (siehe Nachtrag hier), dazu eine Schrift über afrikanische Masken und eine andere über „die Welt der Reisenden im Souvenir“. Und dann interessierte mich, was es eigentlich kostet, sich – sagen wir – einen Herkules in den Garten zu stellen. Je nachdem! In der Größe von 60 cm (was ich für einen Giganten recht klein finde) weniger als 100 Euro, wesentlich größer, aber doch etwas kleiner als meine Person (was ich ganz angemessen finde): 1.199 Euro. In 14 Tagen könnte er in meinem Garten stehen und respektheischend zum Nachbarn hinüberschauen. Siehe hier.

Sie werden die Vergrößerungsmechanismen (+) sicher angewendet haben, nicht wahr, und so darf ich hinzufügen, dass der größere, teurere Herkules im Geschlechtsbereich doch sehr vereinfacht ist, was die alten Griechen, soweit ich weiß, nicht zugelassen hätten…

ZITAT

Für exakte Wiederholungen reichten weder die technischen Möglichkeiten der Antike noch die der Renaissance aus. Aber avisiert wurde die Serie schon früh, und die Methoden zur Übertragung von Proportionen waren, obschon handgemacht, schon der Industriefertigung analog, indem sie die identische Replik ansteuerten. (Steinfeld a.a.O.)

Was hat aber nun die Firma Prada davon, die klassischen Kultfiguren bzw. deren Kopien – „Portable Classic“ oder „Serial Classic“ – mit der Mode zu assoziieren? Will sie zeigen, „wie weit hinauf in die höheren Sphären der Kunst man es mit Serienproduktion treiben kann?“ fragt Thomas Steinfeld.

ZITAT

Weil die  Firma Prada, wie alle Hersteller teurer tragbarer Markenartikel, jeden Tag mit Millionen Kopien konfrontiert ist, die genauso aussehen wie die eigenen Produkte, aber nicht Teil des Sinnversprechens sind, das nur die Originale liefern? Weil die Antike offenbar Gelegenheitsgötter für jeden Anlass und für jeden Ort herstellte, und die großen Modeunternehmen heute etwas Ähnliches tun?  (Steinfeld a.a.O.)

Der Anblick der Skulpturen – gerade in ihrer Vervielfältigung – gibt Anlass daran zu erinnern, dass die „Originale“ anders ausgesehen haben. Da führt auch Steinfelds anregender Artikel ein wenig in die Irre, wenn er glauben macht, dass „die antike Plastik von vornherein auf ihre Vervielfältigung hin angelegt war:

ZITAT

Die verlorene Einmaligkeit beruhte auf einem Gewerbe. Die Schönheit wurde in Formen gegossen und nach exakten biometrischen Messungen von Werkstück zu Werkstück übertragen, so dass sie schließlich überall herumstehen konnte – was sie offenbar tat. (Steinfeld a.a.O.)

Hat denn im frühen Zeitalter der Originale niemand gesehen, dass sie farbig waren,  oder hat niemand diesem Umstand einen Wert beigemessen? Konnte denn eine farblose Kopie von vornherein die Erinnerung an die lebhafte Farbigkeit verblassen lassen?

Farbiger Torso glyptothek_muenchen siehe Wikipedia hier!

Noch ein andere Aspekt taucht auf, wenn wir den Blick ins heutige Afrika (nach Indonesien, Neuseeland oder wohin auch immer) richten, Kunstobjekte betrachten und nach „Authentizität“ fragen.

ZITAT

Die Vorstellungen der Europäer und ihre Sammeltätigkeit hatten also bereits früh Einfluss auf die materiellen Kulturen afrikanischer Gesellschaften, und schufen mancherorts auch einen wirtschaftlichen Anreiz, bestimmte Objekte herzustellen, auf bestimmte Weise zu gestalten und an die Europäer zu verkaufen.

Diese wirtschaftliche Motivation zur Herstellung von Objekten schmälert jedoch in der europäischen Wahrnehmung deren „Authentizität“. Dem Anspruch eines Objekts, das von einem afrikanischen Hersteller zum Gebrauch in der eigenen Gesellschaft hergestellt wurde, und in diesem Handlungszusammenhang auch zur Anwendung gelangte, kann ein zum Verkauf an Europäer hergestelltes Artefakt nicht genügen.

Neben dem rein zeitlichen Raster der „Authentizität“ gilt der tatsächliche Gebrauch eines Objekts in seiner Herkunftsgesellschaft als weiteres Merkmal für seine „Echtheit“. Um der zeitlich festgelegten Dichotomie von „echt“ und „falsch“ ein differenziertes Schema entgegenzusetzen, formulierte der britische Kunsthistoriker Frank Willett 1976 anhand der Kriterien Herkunft, Stilistik, Intention des Produzenten und des Gebrauchs seines Produkts in traditionellen Zusammenhängen ein abgestuftes Modell der „Authentizität“ (…). Als „authentischste“ Objekte gelten bei ihm solche, die im lokalen Stil hergestellt und im einheimischen Kontext des Herstellers verwendet worden sind. Objekte, die vor ihrer Verwendung an Sammler verkauft wurden, gelten ihm als weniger authentisch. Darunter angesiedelt sind solche Artefakte, die zwar im einheimischen Stil von einem einheimischen Hersteller produziert worden sind, jedoch von vornherein für den Verkauf an Ausländer bestimmt waren. Es folgen Objekte, die im Auftrag von Europäern von Afrikanern in ihrem eigenen Stil hergestellt worden sind; solche, die im Auftrag von Europäern durch afrikanische Hersteller in einem anderen als ihrem eigenen Stil produziert worden sind; bis schließlich als wirkliche „Fälschungen“ solche Stücke bezeichnet werden, die von Ausländern in einem afrikanischen Stil und zum Verkauf an andere Ausländer als „authentische“ Objekte hergestellt worden sind (Willett 1976:8)

Quelle Alexis Malefakis: Fremde Dinge: Die Rezeption Afrikanischer Kunst als kulturelle Aneignung, In: Münchner Beiträge zur Völkerkunde 13, 2009 / Verlag des Staatlichen Museums für Völkerkunde München Seite 93 bis 116 (Zitat S.103 f.)

Wir befinden uns also unversehens im Reich der Souvenirs. Während die römischen Relikte im Garten ebenso wie die buddhistischen oder aztekischen als ein kulturelles Bekenntnis gewertet werden können, signalisieren Souvenirs am ehesten Weltläufigkeit: ich muss nur sagen können, wo sie herkommen und dass ich dort war. Vielleicht noch die Versicherung, dass es sich keineswegs um Flughafen-Kunst handelt.

ZITAT

Käufliche Souvenirs sind Massenprodukte, auch wenn sie manuell gefertigt sind. Sie sind so beschaffen, daß sie für viele interpretierbar, also verstehbar sind. Schon durch den massenhaften Absatz beweisen sie, daß sie an den kulturellen Hintergrund des Käufers adaptiert sind, des westlichen Käufers, auch wenn sie aus einem Entwicklungsland stammen. Der Souvenirhandel unterliegt – wie der Tourismus – den ökonomischen Mechanismen der Gesellschaft der Reisenden, nicht jenen der Gesellschaft der Bereisten. Angeboten wird nur, was gekauft wird, was nicht verkäuflich ist, wird nicht mehr produziert. Welches Stück Touristen erwerben und welches nicht, ist demnach eine wissenssoziologische Frage, abhängig nicht nur von den Vorstellungen und Kenntnissen über das Reiseland, sondern auch vom sozio-kulturellen Hintergrund und individueller Befindlichkeit, von Faktoren wie Bildung, Beruf, sozialem Umfeld, Lebensstil, Geschmack, finanziellen Möglichkeiten. Somit reflektieren Souvenirs nicht nur kulturelle Elemente des Reiselandes, sondern auch kulturelle Elemente des Herkunftslandes des Touristen. Man könnte noch weiter gehen: Im Souvenir versteckt sich, unter dem vordergründigen, fremden anderen, dessentwegen es scheinbar gekauft wird, Kultur und Lebenswelt des Touristen. Dies soll im folgenden aufgezeigt werden.

Quelle Thurner, Ingrid: Kunst für Touristen: die Welt der Reisenden im Souvenir. In: Sociologus : Zeitschrift für empirische Ethnosoziologie und Ethnopsychologie 44 (1994), 1, pp. 1-21. Internet-Quelle: HIER.

Faszination der geschwungenen Linie

Geige Cremona Decke

die Menge der Werkzeuge

Cremona Werkzeuge

und die Zahl der Arbeitsschritte. Einblicke:

HIER  – und ein Werbefilm über Geigenbau in Cremona, darin im Zeitraffer 3 Minuten, wie eine Geige zusammengesetzt wird (ab ca. 4:30 bis 7:30) HIER 

Dank an Wolfgang Hamm! 

Strad F-Loch-Zeichnung

Quelle Die akustischen Rätsel der Geige / Die endgültige Lösung des Geigenproblems / Für Physiker, Geigenbauer und Musiker / Dargestellt von Prof. Dr. Karl Fuhr / Bielefeld 1926

In Beziehung zu setzen mit

Line of Beauty and Grace (William Hogarth 1753) siehe dazu auch: Wolfgang Ullrich „Was war Kunst?“ Frankfurt a.M. 2005

und

Aby Warburg: Schlangenritual / Ein Reisebericht / Mit einem Nachwort von Ulrich Raulff (Wagenbach Berlin 1995)

Texel-Türen und -Tiere

Den Hoorn: Variationen mit Reprise

Tür 1 Tür 2Tür 3 Tür 4 Tür 5 Tür 6 Tür 7 Tür 8

Ruhe vor der Kirchenwand

Texel Kirchenwand Bank

Begegnung im nahen Naturschutzgebiet

Pferdebegegnung Texel 26 Mai 2015 Bitte anklicken!

Highland-Begegnung Texel 26 Mai 2015  Und anblicken!

Hab-Acht-Stellung oder ein gewisses Wohlwollen? Vielleicht durfte ich keinen halben Meter näher treten…

Handyfotos JR 26.Mai 2015

Nein, ich glaube nicht, dass es gefährlich war. Aber es wurde dokumentiert, schon für den Fall, dass mein Handy den Augenblick meines letzten Stündchens nicht übersteht. (Fotos ER)

Texel JR & Pferd ER kl Texel JR & Rind ER kl-

(siehe zum anderen auch – alles gehört zusammen, falls es sich nicht um um einen Joke handelt, aber dann erst recht – die Verbindung zum Beitrag vom letzten Jahreswechsel HIER)

(und eine Verbindung zur Spiegellektüre „Böse Geister sind Realitäten“ – der Blick auf einen Acker mit dem Riesenschild: „Het Eiland voor de Heiland“ – und quer durch Europa in den Stuttgarter Raum: HIER) … und jetzt der wirkliche Themenwechsel: Abschied. Alles vorbei.

Voorbij de horizon

Texel Grab ohne Stein x Texel Grab mit Stein x Texel Kinder Hinter dem Horizont    Texel Abschied Möven 27 Mai 2015 27.Mai 2015 11.15 Uhr

Das Ideal der Maschine

Ich will niemandem etwas verkaufen. Und wenn Sie die im folgenden Beispiel angegebene Web-Adresse anklicken, tun Sie es auf eigene Initiative. Ich wähle dieses Video nur, weil man hier ein etüdenartiges Stück hört, das man in Noten mitverfolgen kann und dessen Wiedergabe nicht den geringsten Versuch einer Beseelung erkennen lässt. Spielt nicht sogar ein Automat? Trotzdem ist natürlich zu erkennen, dass es eine gute Komposition ist.

Auch die Abwesenheit jeglichen Gefühls im romantischen Sinne schließt ein ästhetisches Erlebnis nicht aus. (Ich erinnere an Strawinskys Äußerung über Czerny. Siehe hier.)

Wie schon angedeutet: ich empfehle durchaus nicht, aus solchen Noten Meisterwerke zu erarbeiten. Dafür gibt es Urtext-Ausgaben, ergänzt durch Fingersätze, historische Einordnung und Kommentare zum Gebrauch des Pedals oder zur Ausführung der Ornamente. Trotzdem ist die Reduktion der Informationen auf einen einzigen (rein technischen oder mechanischen) Zweck nicht ohne Erkenntniswert. Was es mit dem „Solfeggietto“ des Bach-Sohnes  auf sich hat, erfährt man leicht, wenn man dieses Wort mit dem Zusatz „Wiki“ googelt. Warum nicht?

Aber ein Vergnügen besonderer Art ist es, wenn man erlebt, wie sich das Stück in bloß mechanischer Vervielfältigung ausnimmt. Wobei man nicht fehlgeht zu vermuten, dass dieser Pianist das Werk in der Urfassung auch mit seinen 10 Fingern interpretieren kann und ebenfalls in einem atemberaubenden Tempo. Empfehlenswert wäre darüber hinaus, sich ein wenig über den Komponisten Conlon Nancarrow informieren.  Und über den fabelhaften Pianisten Marc-André Hamelin.

Aber hören und sehen Sie nur genau hin. Was geschieht hier nun wirklich?

Mehr davon? Siehe auch den Link zu Pop. Und die Übersicht bei Jürgen Hocker HIER. Und zur Bedeutung von Jürgen Hocker HIER (Denhoff-Nachruf).

„… they all used the superhuman possibilities of the Player Piano…“ (Jürgen Hocker)

Nachtrag 27. Mai 2015

Inzwischen ist die CD, die ich natürlich „physisch“ besitzen musste, bei mir eingetroffen. Was für ein Glück!  Player Piano 6 Original Compositions in the Tradition of Nancarrow. Musikproduktion Dabringhaus und Grimm. MDG 645 1406-2.

MDG Hocker- Hamelin-CD Cover

„Conception, Instruments and Piano Rolls by Jürgen Hocker“. Ebenso die Texte und die Fotos (Dr. Jürgen Hocker & Beatrix Hocker). Im Zusammenhang mit dem oben behandelten Solfeggietto nach C.P.E. Bach ist vor allem die Auflösung spannend: wie die Fassung von Marc-André Hamelin nun wirklich gearbeitet ist, sofern wir es wenigstens einigermaßen mit dem Ohr nachvollziehen wollen. Eine Überraschung!!! Hier ist seine eigene Beschreibung (in der Übersetzung von Beatrix Hocker):

(…) im Fall des Solfeggiettos, bei dem sich fünf Stimmen allmählich akkumulieren, ist es die Wahrnehmung der Entwicklung und Verwandlung, die meiner Meinung nach das Stück besonders interessant macht. Für mich war es besonders faszinierend zu sehen, welche Wirkung die fünfte (oberste) Stimme auf die gesamte Struktur hat, wenn sie endlich einsetzt; gerade diese Passage macht auf ideale Weise deutlich, dass – wenn die Grundharmonien stark genug sind – die Musik selbst dann tonal klingt, wenn das vorherrschende Element (in diesem Fall die oberste Stimme) vollständig atonal ist. Ich darf noch hinzufügen, dass jeder einzelne Kontrapunkt in diesem Stück durchkomponiert ist, ohne sich auf Muster oder irgendwelche Wiederholungen von Bausteinen zu stützen.

Ich gestehe: ein bisschen beschämt bin ich doch, wie schlecht ich all dies bisher mit dem Ohr erfasst habe; auch die von mir oben gegebenen Hinweise sind defizitär (um es vornehm auszudrücken). Es handelt sich also keineswegs um eine Addition des Immergleichen in verschiedenen Oktaven (wobei ich die höchst kompakte Wirkung der Additionen der etwas „verschobenen“ Klavierstimmung anzulasten bereit war. Ich sollte noch einmal von vorne beginnen. Den Einsatz der 5. Stimme merke ich mir vor: bei 3:08.

Was der Produzent Werner Dabringhaus (MDG) über seine Sicht des „modernen“ Player Pianos schreibt, sollte als Einführung in den Sinn dieser CD-Geschichte allgemein zugänglich und vor allem: besser lesbar sein, daher lasse ich es hier kurzerhand in vergrößerter Form folgen:

CDMDG Dabringhaus Prolog Player Piano bitte anklicken!

Pop-Stenogramm

„Take me to Church“ (Eine Übung)

Buchstaben A bis I nacheinander anklicken

A Lena Meyer-Landrut (Cover-Version)

B Hozier (Original)

C Englischer Text

D Deutsche Übersetzung

E Hozier-Biographie

F Hozier-Interview (+ Live-Version „Church“)

G Ed Sheeran (Cover „Church“)

H Kiesza (Cover „Church“)

I Zur Interpretation Text & Video

Zurück zu A ? (Nein!)

Diese Übung wird gelöscht, wenn sie ihre Aufgabe erfüllt hat.

(Aber zunächst soll noch eine Notenskizze folgen. Und danach kann ich mich vermutlich nicht mehr trennen. Zumal erst damit der analytische Vergleich zwischen den verschiedenen Versionen auf festeren Füßen steht.) Was den überwältigenden Erfolg des Stückes ausmacht, wird natürlich durch keine musikalische Analyse verdeutlicht; der entscheidende Punkt war wohl das Video: die Botschaft, Homosexualität betreffend. Zu dieser persuasiven Haltung passt der fast leiernde Parlando-Ton der Melodie, das Auf- und Abwogen, das erst allmählich eine rein melodische, fast hymnische Wirkung entfaltet; aus dieser ökonomischen Anordnung weniger Töne entsteht Hozier’s Glaubwürdigkeit. Der Text – oder jedenfalls die Explikation des Inhalts – scheint mir völlig zweitrangig. Das „Amen“ sogar albern. Ein Manko im Fall Lena ist vielleicht die unverkennbare Blasiertheit, im Fall Kiesza trotz allen Engagements das allzu hoch gesteckte „Kunst“-Ziel.

Hozier Noten aa

Hozier Noten b''

Dank an Eos!

Was eine afrikanische Sängerin erzählt

Kenya Ogoya Ehepaar

Ogoya Nengo, [siehe auch hier], der preisgekrönte Edelstein der Dodo-Musik in Kenya, ist im Begriff, ihren Kreis zu vollenden. Nach mehr als einem halben Jahrhundert auf der Bühne scheint Nengo gerade erst ihre Karriere zu starten, sich ihren Weg hineinzusingen in die Herzen der vielen Menschen in den Dörfern und großen Städten rund um die Welt. Bobastles Nondi plauderte mit ihr vor dem Auftritt im Goethe-Institut Nairobi am 4. April 2009.

Wer ist Ogoya Nengo?

Ogoya Nengo ist Musikerin, Interpretin, Großmutter, Pflegekraft und Ehefrau, auch wenn mein Mann inzwischen verstorben ist.

Ist Ogoya Nengo dein richtiger Name?

Mein Name ist Anastasia Oluoch Akumu. Akumu ist mein Ehemann. Ogoya Nengo ist mein Bühnenname und so werde ich auch in dem Dorf genannt, wo ich geheiratet habe. Ogoya ist abgeleitet von Magoya, dem Dorf, wo ich geboren bin, es liegt nahe bei dem Fluss Nzoia in der Provinz Nyanza in West-Kenya. Du weißt: wo ich herkomme, werden Frauen selten bei ihrem Namen genannt. Die Leute nennen dich nach dem Namen, den dein Clan trägt, dein Stamm, das Dorf, der Distrikt, nach geographischen Besonderheiten wie Bergen, Seen oder Ebenen, nach deinen prominenten Verwandten oder prominenten Leuten in deinem Dorf und später nach deinen Kindern. Es wird als respektlos angesehen, eine Frau bei ihrem realen Namen zu nennen, wenn sie verheiratet ist.

Nengo meint andererseits ganz einfach „der Preis“. Ogoya Nengo soll daher bedeuten „die mit einem Preis bedachte Tochter des Magoya“.

Warum nennt man dich „die mit dem Preis bedachte“?

Erstens bin ich eine Frau und jede Frau hat einen Wert. Wie hoch oder niedrig dein Wert ist, hängt davon ab, wie du dich selbst einschätzt. So auch in meinem Fall: schon als junges Mädchen wusste ich, dass ich „hochpreisig“ war. Zweitens galt schon seit meinen frühen Tagen, dass man etwas zu zahlen hast, wenn man mich für eine Aufführung bekommen will. Und in den Dörfern konnte jede Sache, die mit einem kleine Preis verknüpft war, als kostspielig wahrgenommen werden, einfach wegen der allgemeinen Armut der Bevölkerung.

Wann hast du dein Talent entdeckt?

Vor langer Zeit, als ich noch ein kleines Mädchen war! Das ist schon mehr als 50 Jahre her. Als wir noch kleine Mädchen waren, hatten wir unsere Mutter oder ältere Verwandte zum Fluss zu begleiten, um Wasser zu holen oder um zu baden. Wir fühlten uns eigentlich wie auf einer Vergnügungsreise, wir spielten, sangen und tanzten den ganzen Weg über und auch am Ufer des Flusses, vor oder nach dem Baden. Als Kinder konnten wir aus vollem Herzen singen und tanzen bis wir völlig außer Atem waren. Und auch wenn wir zu den Feldern gingen, um nach dem Vieh zu sehen: wenn das Vieh graste, war alles, was wir taten – spielen, singen und tanzen. Aber immer und überall war man einhellig der Meinung, dass meine Stimme hervortrat aus all den Mädchen, von denen einige meine Schwestern waren, und sie wuchsen auch auf, um große Dodo-Sängerinnen zu werden. So befand ich mich, als ich eines Tages die Pubertät erreichte, schon in einer Position, dass ich in öffentlicher Funktion sang. Das war in den 1950er Jahren.

Es ist also richtig zu sagen, dass du dich selbst durch die Spiele der Kindheit entdeckt hast?

Nicht wirklich! Selbst als Kinder waren wir keine Krachmacher. Wir ahmten gewöhnlich ältere Frauen und Männer nach, die bei Begräbnissen sangen, oder bei Trink-Parties, Hochzeits-Zeremonien und vielen anderen familiären oder sozialen Anlässen im Dorf. Dabei waren meine Mutter und mein Vater beide schon von sich aus perfekte Sänger. Ich muss also sagen: das Singen liegt in unserm Blut. Ich bin die zuletzt geborene, und all meine fünf Schwestern und der einzige Bruder waren schon Interpreten.

Soll das heißen, dass Dodo-Singen etwas ist, das in diesem Teil der Welt weithin von verschiedenen Leuten praktiziert wird?

Ja und nein! Ja: weil es damals, als ich aufwuchs und sogar bis weit in die 1980er Jahre, viele solche Funktionen gab, zu denen Interpreten verschiedenster Formen eingeladen waren. Wir hatten sogar Wettbewerbe. Die Leute befassten sich allgemein damit. Das Land war übersät mit traditionellen Interpreten. Aber die Dinge haben sich seitdem geändert. Jetzt gibt es nur noch wenige Anlässe, bei denen man etwas aufführt. Und das hat den Wettbewerb viel höher gepuscht, umgekehrt auch manche Interpreten für immer von der Bühne runtergepuscht.

Was hat dich fähig gemacht, all das erfolgreich durchzustehen?

Meine Stimme und die Komposition meiner Lieder. Siehst du: du kannst eine große Stimme haben, aber wenn das, worüber du singst, ohne Relevanz für die Gemeinschaft ist, oder wenn du eine schlechte Sprache verwendest, werden sich die Leute von dir abwenden. Als Dodo-Sängerin weiß ich sogar, dass es eine gewisse Klasse von Leuten ist, die meine Musik hört. Ich muss ihre Sprache zu sprechen, ich muss ihre Themen berücksichtigen, muss ihren Stil tanzen. Und ich muss schon sagen: Dodo Fans sind eine sehr spezielle Sippschaft in der Gesellschaft.

Traditionelle Musik, insbesondere des Luo Volkes, wird assoziiert mit schlechter Sprache und einem gewissen Grad von Vulgarität. Kann Dodo sehr unterschiedlich sein?

Es hängt davon ab, wo du herkommst und in welchen Funktionen du zuhaus bist. Alles wird in einem Kontext gesehen und beurteilt. Dodo ist in dieser Hinsicht nichts völlig Außergewöhnliches. Du hast eben deine Gedanken zu jedem besonderen Zeitpunkt mit deinem Publikum zu verbinden.

Worüber singst du?

Ich singe über alles! Ich singe über das Leben, wie ich es sehe und lebe, ich singe über Leute, die ich treffe und mit denen ich zu tun habe. Ich singe über politische Dinge, wie sie sich für mich darstellen. Ich singe über alles, einschließlich dem Aufstieg des US-Präsidenten Barack Hussein Obama; Obama wuodwa (Obama, unser Sohn). Ich singe über Dinge, wie sie um mich herum geschehen.

Was sind einige deiner Lieblingsthemen und was sagst du darüber?

Gare Matatu, das bedeutet „Autobus“, insbesondere die Autobusse, die auf Kenyas Straßen berüchtigt sind, da stehen die Passanten einander auf beiden Seiten gegenüber, und der Einstieg ist von hinten, und das beleuchtet die dunkle Seite des Fahrgasttransports und die Belästigung, denen Frauen ausgesetzt sind, in einer solch unkontrollierten Gesellschaft. Passagiere besteigen diese Wagen von hinten, und wenn du Frau bist, stößt dich der männliche Kartenverkäufer oder Chauffeur nach hinten, so dass du rüber steigen musst, um reinzukommen. Manchmal ist der Wagen gefüllt bis zur Tür, wobei die Frauen hinten wieder rausgestoßen werden und Männer, die ausgestreckt drüberhängen, reiben sich gegen die Rückseiten der Frauen, so wie der Wagen schlingert und schleudert. Und das sind Männer, die deine Söhne oder Schwiegersöhne sein könnten. Es passiert heute noch.

Dhiang Okelo Masira (die Kuh ist Ursache all dieser Leiden), das erzählt von der Notlage der Frauen nach der Heirat, wie sie über die Jahre hinweg in Gebrauchsartikel verwandelt werde. Es ist wie mit Kühen.

Wenn einmal eine Kuh als dein Brautpreis bezahlt ist, hörst du auf, ein eigenes Wesen zu sein, stattdessen bist du in eine Sache für den Mann verwandelt, der dich oft genug wie eine Fußmatte behandelt. So befindest du dich in der Ehe, statt für das eigene Glück und das der Familie, ganz einfach in der Situation der Kuh, die wahrscheinlich längst geschlachtet oder verkauft wurde von deinen Leuten.

Die meisten Dodo-Sängerinnen sind auf ihre Dörfer eingeschränkt. Wie hast du den Weg hinaus zur Stadt gefunden?

Wieder: durch meine Stimme und den Zufall! Die Leute suchen mich für Aufführungen bei Begräbnis-Zeremonien, Hochzeiten und andere soziale Zeremonien, politische Funktionen und Kampagnen, Graduiertenfeiern und vieles andere. So kam dann dieser Tag, an dem ich eingeladen war, einen Ehrengast zu unterhalten (den Schwiegersohn) in Alego, im Siaya District, und das Schicksal wollte, dass der Ehrengast sich als Musikproduzent aus Nairobi entpuppte, William Tabu Osusa vom Katebul Production House [s. Anmerkung am Ende dieses Beitags]. Ich hatte keine Ahnung, dass ich für meinen nächsten Boss sang! Tatsächlich, wenn ich das gewusst hätte, hätte ich mich wirklich auf bestmögliche Weise präsentiert. So, aber nach diesem Treffen kam Tabu ins Dorf, um nach der alten Frau zu schauen, die sich auf ihre Art in sein Herz gesungen hatte, und er fragte, ob sie bei ihm Aufnahmen machen könnte. Ich sah, wie sich eine neue Welt für mich öffnete.

Während ich in den Katebul Studios des GoDown Arts Centre in Nairobi war, hörte ein anderer möglicher Interessent namens Opiyo Okatch, ein zeitgenössischer Tänzer, meine wunderbare Stimme, während er seinen Tanz probte, und er verliebte sich auf der Stelle. Er dachte einfach, dass dieser Tanz besser gehen würde, wenn er ihn zu dieser Stimme tanzen würde. So nahm er Kontakt auf, und ich, als die Musikerin, die ich bin, gab ihm eine Chance, und gut: Tabu Osusa verstand es.

Und die Dinge liefen dann sogar noch besser, wie du hier sehen kannst, ich bin flankiert von einer jüngeren Generation von Männern: Olith Ratego und Makadem [das sind die zwei Ketebul Afro-Fusion Musiker, die im Augenblick Ogoya Nengo in der Stadt begleiten und bei ihrer Goethe-Instituts-Tour als ihre Interpreten arbeiten].
Mit Katebul und Opiyo Okatch bin ich durch Kenya (speziell Nairobi), Uganda, South Africa, Mozambique, Deutschland, Frankreich und Brasilien getourt. Ich habe auch ein Album mit Katebul aufgenommen, es sollte bald heraus sein. Sie haben das Mädchen in mir wiedererweckt!
Mit diesem Album hoffe ich, auch auf Video produziert zu werden; ich wünsche auch mich selbst auf der Leinwand zu erleben wie andere Musiker.

Was hat sich über die Jahre verändert in deiner Welt der Musik?

Sehr viel hat sich verändert in der Musikwelt. Zum Beispiel wurden wir, als wir anfingen, nicht direkt bezahlt. Stattdessen wurden wir von unseren Zuhörern mit Beweisen ihrer Wertschätzung bedacht: das konnten Maiskörner sein, Sorghum, Hirse, Erbsen oder dergleichen; Ziegen, Schafe, Kühe und Bullen und solche Sachen. Dann begannen sich die Dinge zu ändern und wir fragten nach ganz bestimmten Sachen. Und dann wurden wir mit Geld bezahlt.

Eine andere Sache, die passierte, ist, dass soviel Lärm in die Musik eingeführt wurde. Zum Beispiel hatten wir immer Ohangla, Tung, Orutu, Nyatiti und sogar Grammophone dabei, was alles laut genug war. Noch konnten wir also mit unseren puren Stimmen singen neben diesen Instrumenten auf einer konkurrenzfähigen Bühne, wo jeder sein Publikum erreichen und sogar die Aufmerksamkeit der Mehrheit gewinnen konnte. Wir konnten klar inmitten dieser Musikformen herausgehört werden. Das gelang uns, weil jeder seine Musik spielte und das Publikum so sehr auf musikalische Qualität, nicht auf Quantität ausgerichtet war.

Aber heutzutage kannst du nur eingeladen werden auf eine Bühne, wo du in Konkurrenz trittst mit Lastwagenladungen von Sound-Systemen, so dass es, wenn die angeschaltet sind, nicht nur deine Stimme verschlingt, sondern dir auch Kopf, Herz und Magen umdreht und Schmerzen verursacht. Das ist Lärm!

So viele Dinge sind in unsere Musik eingeführt worden. Dodo-Musik wurde eigentlich nur mit Poko (Kürbis), Peke (Bottle-Tops), Kayamba und Whistle gespielt. Aber man sagte mir, dass jetzt die meisten Instrumente und viele andere Effekte von einer Maschine produziert werden können, was bedeutet, dass einige von unsern Leuten, die diese Instrumente spielen, überflüssig werden, wenn wir diesen Weg mitmachen.

Was ist gleich geblieben?

Die Hörerschaft. Ob in den Dörfern von Kenya oder in den großen Städten der Welt, – du findest immer noch ein passioniertes Publikum, das nach deiner Musik verlangt und dir Aufmerksamkeit schenkt.

Was würdest du gern ändern, wenn du fortfährst mit Musik?

Den Lebensstil der Musiker in meiner Kategorie! Siehst du, wenn die Leute sehen, wie du überall herumreist, in Flugzeugen, wie du umgehst mit den Hohen und Mächtigen, schwarz und weiß, dann erwarten sie, dass du Geld hast. So viel Geld, dass du in einer Position bist, mit ihnen zu teilen! Aber das ist nicht der Fall.

Wieder ist es so, wenn die Leute kommen und mich in meinem Haus besuchen, sollten sie ein wunderschönes Haus finden, das dem Status eines Musikers zukommt, von dem sie hören und lesen. Aber das ist nicht der Fall.

Wie könnte dies deiner Meinung nach geändert werden?

Indem man für uns viele Jobs schafft und viele Tourneen vermittelt, durch die wir gutes Geld bekommen können. Auf diese Weise muss ich mich nicht  um die Bewirtschaftung meines Landes sorgen, wofür ich ja jemanden beschäftigen könnte, während ich mich auf die Musik konzentriere.

Wir können sogar mit einer großen Band voller traditioneller Musikinstrumente auftreten, die wir in unseren Shows einsetzen, und wir werden gemietet, wenn wir nicht gerade irgendwo beschäftigt sind.

Ich denke, die Leute lieben es, alte Frauen als Entertainer zu erleben, wann immer sie in die Tage von früher zurückkehren wollen; die älteren jedenfalls. Und die jüngeren könnten auch den Weg der Erinnerung gehen, sehen und hören, was für eine Musik ihre Vorväter und Mütter gemacht haben.

Gibt es irgendetwas Negatives über Musik zu berichten?

Es hängt alles davon ab, wie du dich außerhalb der Bühne und auf der Bühne benimmst. Wenn du dich selbst in einer Weise aufführst, die dich als negativ kennzeichnet, wird die Musik negativ für dich sein. Aber wenn du es ernst nimmst als Karriere, wird die Musik dich ebenfalls mit Respekt behandeln.
Sicher, – überall gibt es Leute, die Musikern und besonders Frauen mit Verachtung begegnen. Aber daher kommt gerade der Unterschied. Traditionelle Musik wird doch weithin mit Respekt und Würde behandelt. Und ganz besonders Dodo hat ein erstklassiges Publikum. Wir bringen eine besondere Unterhaltung für besondere Leute bei besonderen Gelegenheiten. Das bringt uns durchaus einen gewissen Level von Respekt.

Was können wir von dir in kommenden Tagen erwarten?

Musik, Musik und noch mehr Musik! Ich werde gerade immer besser!

Kenya Ogoya Frauengruppe

Quelle Fotos: Sven Kacirek und Stefan Schwander 2013 / Text: Bobastles Nondi in dem Journal Artmatters (Kenya, Nairobi) am 8. April 2009 / Übersetzung JR

ZITATE aus der Wissenschaft

In einer mit anderen traditionellen Kulturen kaum vergleichbaren Weise wird Musikkultur in afrikanischen Gesellschaften vom einzelnen Musiker geprägt. Gemeint sind hier Gesellschaften mit oraler oder besser gesagt auraler Tradition, denn die musikalische Tradierung von einer Generation zur nachfolgenden ist überwiegend aural oder verbal. In traditionellen afrikanischen Musikkulturen wird Musik im Spannungsfeld zwischen den Musikern und der Gesellschaft gestaltet, wobei der eine Teil nicht ohne den anderen existieren kann. Die Gesellschaft kennt verbindliche Verhaltensmuster, denen sich keiner entziehen kann, auch nicht der traditionelle Musiker. Die auf dieser Basis bestehende ’sonische Ordnung‘ ist für alle Beteiligten verbindlich und erst dann gefährdet oder im Wandel begriffen, wenn sich einige der sie prägenden Voraussetzungen, vor allem die sozialen Bedingungen, geändert haben. Diese Entwicklung ist in Afrika durch den Kolonialismus und dessen Folgen wie die später einsetzende Urbanisierung eingeleitet worden.

(…)

Jede Musik besteht in einem kulturellen Kontext. In der Vergangenheit haben manche Autoren die hohe ‚Funtionalität‘ der Musikpraxis in Afrika als diskriminierendes Merkmal gegenüber der Kunstmusik Europas hervorgehoben. Solche Perspektiven beruhen jedoch auf einer Fehleinschätzung und gehen darauf zurück, daß vielen abendländischen oder abendländisch geschulten Beobachtern die ähnlich hohe Funktionalität der europäischen Musikpraxis und ihre Einbettung in einen komplexen sozio-kulturellen Rahmen längst unbewußt geworden war. Bezüglich Afrika kann daher die Frage nach dem kulturellen Kontext nur danach ausgerichtet sein, zu untersuchen, welche spezifischen Kontexte in den einzelnen Musikkulturen und für einzelne Musikgenres hier verbreitet sind. Es geht nicht darum, ein Mehr oder Weniger von Kontext im Vergleich zu anderen Weltkulturen festzustellen.

Quelle MGG (Musik in Geschichte und Gegenwart, neue Fassung, Sachteil Band I 1994) Afrika südlich der Sahara, Sp. 131 f und Sp. 121 f Autoren: Artur Simon, Gerhard Kubik.

Einblicke in den Kontext der Dodo-Musik, – sie gehört zum Volk der Luo. Dazu siehe die Wikipedia-Artikel zur Ethnie,zur Sprache und zur Gliederung der Luo-Sprachen.

Anmerkung zu William Tabu Osusa vom Katebul Production House 

I’ve recently moved to Nairobi and so earlier this week had the pleasure of visiting the Ketebul offices in the downtown industrial area and meeting the super-cool team. Tucked away in an unassuming street, Ketebul is situated in the Go Down Arts Centre, a graffited music enclave of made up of some seriously hip outlets.

Fortsetzung HIER („Meeting Katabul: an interview mit Tabu“) http://www.singingwells.org/meeting-ketebul-an-interview-with-tabu/

Siehe auch den am 18.08.2014 veröffentlichten Youtube Film:

Dodo Group feat Ogoya Nengo – The Singing Wells project

Recorded on the 28th November 2011 in Rang’ala village, Nyanza, Kenya, as part of the Singing Wells field trip to record the music of the Luo of Kenya.

Welche Menschen stecken hinter dem Projekt? Wie sehen sie aus? Bitte weiterklicken – HIER.