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Luther als Herr und Knecht

Ein Merkzettel

Es gibt (für mich) mehrere Gründe, diesen Kommentar so zu verwahren, dass ich ihn im Internet wiederfinde (hier einstweilen über Bezahlschranke), denn zum Sammeln und Abheften reicht meine Energie nicht: erstens weil ich alles von Prantl gründlich lese, meistens zustimmend, zweitens weil ich in dem Buch von Bergner über die Bach-Präludien gestern (hier) im Anhang (über „Die geisteswissenschaftlichen Implikationen des Bachschen Formbegriffs“ Seite 144f) auf das Kapitel „Luthers Musikverständnis “ gestoßen bin, drittens weil ich bei dem Begriffspaar „Herr und Knecht“ (wie sicher auch von Prantl bezweckt) als erstes an Hegel denke, dann an einen eigenen Artikel zu diesem Thema, den ich fünftens genau vor einem Jahr geschrieben habe, ohne an Luther zu denken. Und sechstens: weil ich mich bemüßigt fand, in ein (wie bei mir häufig) über 50 Jahre altes Buch zu schauen, das ich als jederzeit wieder lesenswert in Erinnerung habe, damals aber meiner (im Gegensatz zu mir) lutherfrommen Mutter zu Weihnachten 1968 schenkte: „Luther. Sein Leben und seine Zeit“ von Richard Friedenthal / Verlag R.Piper & Co München 1967. Um dort jetzt nachzulesen, was es mit den um 1520 veröffentlichten  Schriften auf sich hatte, darunter „Von der Freiheit eines Christenmenschen“, die 500 Jahre später Heribert Prantl für die SZ noch einmal reflektiert hat. Jedoch bei Friedenthal etwas nachzulesen, bedeutet unweigerlich, dass man davon nicht mehr loskommt… hoffen wir, dass der Kreis sich schließen lässt…

Hatte ich nicht früher schon…? Nein, da ging es nicht um die konstantinische Schenkung, sondern um die dionysische Vertauschung: hier. Ich kann verstehen, dass Prantl in diesem Fall dergleichen nicht erwähnt hat, er verfährt schon kritisch genug mit seinem Luther. Zur Sicherheit schaue ich trotzdem nach, ob er eigentlich unabhängig genug ist – und nicht etwa im Evangelischen Kirchenrat sitzt, laut Wikipedia ist da nichts zu vermelden, – stopp: nur im Kölner Domradio (an dessen Schaufenstern ich früher immer vorbeikam, wenn ich zum WDR strebte) gibt es eine auf ihn bezogene theologische Meldung. Ja, das hätte ich auch gern, aber nur im Fach Bach oder wenigstens als Bergner-Laudator.

Kurz und gut, – der Argwohn bleibt: an diesem Artikel stimmt etwas nicht. Da werden Konsequenzen vermieden, Widersprüche beschwichtigt. Schon im Gebrauch des Wortes Dialektik, als habe Luther im Traum daran gedacht. Da gibt es Gott und den Teufel, unklar bleibt, ob innen oder außen. „Für Luther war Gott ein selbstverständliches Gegenüber, mit dem er sprach, rang, bisweilen an ihm verzweifelnd. Das ist heute selbst für die, die sich Christen nennen, nur noch selten so, und der Teufel ist erst recht ein Hirngespinst. Aber das heißt nicht, dass es keine Mächte gibt, denen sich der säkulare Mensch ausgeliefert fühlt. Aus den Ansprüchen Gottes sind Selbstansprüche geworden. Die Teufeleien heute haben andere Namen: Sie heißen Egoismus, Individualismus, Profitismus, Marktradikalismus, Nationalismus, Rassismus. Die Frage heute ist nicht die nach einem gnädigen Gott, sondern nach gnädigen Verhältnissen.“

Ja, wir sind selbst schuld, und wenn wir dieses allesumspannende Wir gebrauchen, stellen wir uns ruhig, das ist gängige Praxis: in unserer Ohnmacht bescheiden wir uns. Und wenn es Gott gibt, dann als ein Gegenüber. Hier müsste vom Mechanismus der Projektion die Rede sein. Eine kurze Anspielung auf die Fleischarbeiter bei Tönnies, auf die Missstände in Pflege- oder Flüchtlingsheimen und auf „Black lives matter!“ hilft wenig.

„Luthers eindringliche Unterscheidung zwischen Leib und Geist hat emanzipatorische Kraft entfaltet, sie hat die Gewissen vieler Zeitgenossen davon befreit, vor geistlichen oder weltlichen Ordnungen zu ducken. Aber Luthers Vernachlässigung der ganz materiellen äußeren Freiheit hat auch Emanzipation gehemmt. So radikal wie die aufständischen Bauern wollte er die Befreiung doch nicht.“

Er hat dank seiner „eindringliche[n] Unterscheidung“ die Möglichkeit offengehalten, leichter von einem Lager ins andere überzuwechseln, ohne dass man die Dialektik durchdringt, die bei Luther lediglich im blanken Wortgebrauch von Herr und Knecht liegt; sie folgt einem beliebten christlichen Paradox: die Ersten werden die Letzten sein (und natürlich auch umgekehrt). Oder weniger abstrakt: der Stein, den die Bauleute verworfen haben, ist zum Eckstein geworden. Und es klingt derart leiblich, körperlich, dass der Geist seine helle Freude dran hat.

Natürlich weiß Heribert Prantl das genau, und deshalb verstehe ich seine Luther-Dialektik nicht. Das Jahr 1492 liegt halt noch nicht lange zurück.

Kritik an Musik

Journalistenlob und -laber

Dass man bestimmte Zeitungen besonders gerne liest, bedeutet nicht, dass sie sich immer mit der eigenen Meinung decken, im Gegenteil, über einzelne Kritiker ärgere ich mich immer aufs neue. Das war im Fall der Süddeutschen ganz besonders in den 70er/80er Jahren der Fall, als sie sich durch besondere Rückständigkeit auszeichneten; berühmte Namen, die ich nicht nennen muss. Heute dagegen will deren Nachhut so weit vorne stehen, dass auch die Avantgarde erschrickt. Ich weiß nicht, ob Herr Brembeck die Inszenierung der Tosca (Aix 2019) loben würde, die vor ein paar Tagen in ARTE gesendet wurde, – es wäre ihm zuzutrauen. Ich misstraue ihm vielleicht grundlos, wenn er Daniel Harding („überwältigende Spiellust“) so dringend als Nachfolger für Mariss Jansons empfiehlt und folgerichtig in einem weiteren Konzert mit den BR-Sinfonikern den Konkurrenten Franz Welser-Möst unter dem Titel „Die Romantik der Schlaftablette“ abserviert. Aber es ist nicht Sache eines schwachen Rezensenten, kulturpolitisch so ehrgeizig wie kleinkariert zu agitieren, als habe er wirklich etwas zu melden. Es wäre nicht der Mühe wert, dieses Abwägen zwischen Harnoncourt und imaginären Liebhabern der „Karl-Böhm-Zeit“ auch nur für einen Augenblick ernstzunehmen, wenn dann nicht wieder Igor Levit auftauchte und einerseits auffällig geschont, andererseits mit sehr seltsamen Worten abqualifiziert wird: er habe sich „in den letzten Jahren zum letztgültigen Reichsverweser Beethovens hochgespielt“. Ich weiß nicht, woran mich der Ausdruck „hochgespielt“ erinnert, bei „Reichsverweser“ kommt mir allerdings die „Reichsklaviergroßmutter“ in den Sinn – oder wie nannte man sie? – und der im letzten „Reich“ ebenfalls hochgeschätzte Wilhelm Backhaus. Das hat Levit nicht verdient.

Mag sein, dass der Rezensent sich wirklich die überwältigende Wirkung eines hingehauenen Akzents und die erotische Wirkung eines lasziv gespielten Laufs irgendwie zusammenreimt, ein esoterisch verklärendes Moment dagegen von pathetisch auf Außenwirkung zielenden Passagen weniger eingelöst findet, obwohl der Pianist „sich in Langsames durchaus hineingrübeln“ kann, –  mir scheint, da hört jemand gar nicht zu, sondern greift gedankenarm in den Wortwirkungswürfelkasten.

Er weiß um die überwältigende Wirkung eines überraschend hingehauenen Akzents genauso wie um die erotische Wirkung eines lasziv gespielten Laufs. Er kann sich in Langsames beeindruckend hineingrübeln. Immer wieder aber kommt in sein Beethoven-Spiel aber auch ein esoterisch verklärendes Moment. Dann behauptet er nicht nur in pathetisch auf Außenwirkung zielenden Passagen einen Tiefsinn, der pianistisch nicht eingelöst wird.

Ja, wie denn dann? Misslingen ihm die auf Tiefsinn getrimmten Passagen pianistisch oder gedanklich? Es hat einfach keine Logik, ebensowenig wie das doppelte „aber“ im vorhergehenden Satz des Kritikers. Es ist schlampig formuliert und labert nur wolkig daher, vorgebend, ein dreifaches „nie“ ziele nun glaubwürdiger auf Ungesagtes, Existenzielles…

Welser-Möst ist Levit zudem kein adäquater Partner. Nie fordert der Dirigent den Pianisten heraus, nie ist er ihm Widerpart, nie lockt er ihn ins Ungesagte, ins Existenzielle. Und so versandet dies Konzert im Braven.

Und überhaupt:

Welser-Möst fehlt eine zündende Idee. Er lässt die Musik laufen, er bringt sie nie zum Strahlen, er elektrisiert in keinem Moment, er unterfordert seine Musiker konsequent.

Das ist etwa auf dem Niveau der vornehmen Dame, die ihren Begleiter im Konzert eines berühmten Dirigenten fragt: „Sagen Sie mir bitte, wenn er zu faszinieren beginnt!?“

Quelle Süddeutsche Zeitung 11./12. Juli 2020 Seite 19 Die Romantik der Schlaftablette Franz Welser-Möst unterfordert BR Sinfoniker / Von Reinhard J. Brembeck

Was bewirkt guter Journalismus?

Er beflügelt

Nie im Leben hätte mich „Vom Winde verweht“ interessiert. Jetzt nach den empörenden Bildern aus Amerika ist der Film (und das Buch) ins Gerede gekommen. Ad acta, denkt man. Aber darüber hinaus bedarf es eines intellektuellen Funkens, der eben aus den ernsthaft arbeitenden Medien kommt, mehr oder wenig durch Zufall: weil man sich plötzlich mehr Zeit nimmt als geplant. Hier und heute zum Beispiel:

   Hier

Ich weiß, dass man über die Verlinkung an eine Bezahlschranke kommt, soweit reicht meine Aktivierung nicht, aber ich habe den Artikel in Papier gelesen (gestern Abend bei REWE gekauft) und werde ihn eines fernen Tages auch digital wiederfinden. Warum er mich beflügelt? Ehrlich gesagt: es liegt am ersten Absatz und an den beiden schönen Menschen.

Nein, an den vielen Denkanstößen.

Ich überlege, wie ein nichtrassistischer Film aussehen müsste, wieviel schwarz, wieviel weiß, wie schwarzweiß dürfte er zeichnen, wie heftig mit dem neutralen Zaunpfahl winken. An welches Publikum müsste er sich richten? Wie ließe es sich motivieren, bei der Sache zu bleiben? Wie langweilig dürfte das Gleichgewicht aller mit allen wirken?

Was habe ich heute getan, ehe ich mich meinen privaten Vorhaben widme? (Beethoven, Kant, Hinrichsen, Gartenarbeit). In Wikipedia über „Vom Winde verweht“ (das Buch) nachgeschaut, was wird dort über Schwarz und Weiß gesagt? Ich muss einiges festhalten:

Anders als das Lesepublikum der 1950er und 1960er Jahre war der deutsche Literatur-Nobelpreis-Träger Heinrich Böll von dem Roman wenig angetan. Das Buch habe „jenen unbestimmbaren flutschigen Inhalt, der sich nicht genau definieren läßt, niemals genau zu definieren sein wird.“[7]

Die Darstellung der historischen Abläufe im Roman erfolgt aus der Perspektive der Protagonisten, also der der besiegten weißen Südstaatler. Alan T. Nolan kritisiert daher in The Myth of the Lost Cause and Civil War History, dass die Darstellung einem einseitig prosüdlichen Narrativ folge. Die Sklaverei und die Rolle des Ku Klux Klan nach dem Sezessionskrieg würden beschönigt, die Reconstruction und die nordstaatlichen Soldaten dagegen negativ dargestellt. Der Roman folge in diesem Sinne den typischen Topoi des Lost Cause und gebe nicht die historischen Tatsachen wieder.[8]

Sonja Zekri beurteilt den Roman als „modern in der Frauenfrage und archaisch im Verhältnis zwischen Schwarz und Weiß“: Mit der repressiven Idealisierung der Südstaatenfrauen habe Mitchell nichts anfangen können, das zeige schon ihre Protagonistin. Scarlett O’Hara habe sie als eine lebenshungrige, unzerstörbare, mehrfach verheiratete, erfolgreiche Geschäftsfrau gezeichnet, habe ironisiert „die übliche männliche Enttäuschung darüber, dass eine Frau über ein Gehirn verfügt“ (so Mitchell). – Auf der anderen Seite sei es ein rassistisches Buch. Entgegen entschuldigender Rede sei die Sklaverei durchaus Thema gewesen. Ausgerechnet in einer Zeit, in der der Süden die Rassentrennung gesetzlich verankerte, habe Mitchell den Weißen alle Schuldgefühle genommen. In Form einer „Romancing Slavery“ strahle Sklaverei im warmen Licht einer idealen Gemeinschaft. Mammy, Pork und die anderen Sklaven wüssten die Geborgenheit und Fürsorge der weißen Besitzer zu schätzen und fürchteten nichts so sehr wie die Yankees. „Die Besseren unter ihnen verschmähten ihre Freiheit und litten genauso wie ihre weiße Herrschaft“, so Mitchell.[9]

Die französische Autorin Annie Ernaux bezieht sich in ihrem Lebenswerk Die Jahre wiederholt positiv auf den Roman, der wenige Jahre vor ihrer Geburt erschienen war und dessen Lektüre sie immer wieder beeindruckt hat.[10]

Das ist genug Wikipedia-Stoff, um mich beim Rekapitulieren dieses Blog-Artikels zu motivieren. Bölls Wort „flutschig“ ärgert mich ebenso wie seine resignierende Weigerung, genau das genauer zu definieren.

Und es stört mich, dass Annie Ernaux, die mich so beeindruckt hat (hier und hier), von diesem Kitsch-Roman so beeindruckt gewesen sein soll. Ihr Buch „Der Platz“ steckt heute noch zwischen den Papieren auf meinem Schreibtisch, weil ich mich nicht trennen konnte. „Eine lebensverändernde Lektüre“ (Didier Eribon) steht auf dem Umschlag, und ich frage mich, ob ich das eigentlich bestätigen kann. Da muss ich erst wieder ein bisschen rekapitulieren…

Und bei allem Lob des guten Journalismus, muss ich erwähnen, dass die Klassik-Kolumne zum Stichwort Venedig auf der Rückseite desselben Blattes der SZ mich so geärgert hat, dass ich sie auf keinen Fall genauer bezeichne.

Etwas ganz anderes: wenn Sie sich für investigativen Journalismus interessieren und erfahren wollen, weshalb man sich nicht nur ständig über Trump aufregen muss, sondern mindestens ebenso über gewisse Zustände und Vorkommnisse im eigenen Land (Stichworte: FLEISCH und AMTHOR), dann widmen Sie sich doch der Lanz-Sendung von gestern Abend. Die Zeit wäre sehr sinnvoll angelegt: HIER

16 Minuten Weg zwischen den Generationen

Coccia, Plessner, Gehlen, Adorno

Es war die aufgeschriebene Vision eines alten Mannes, die mich am vergangenen Donnerstag stark berührt hat, heute die eines jungen Mannes, dessen munteres Daherreden auf youtube genau meine Themen betraf. Zum Beispiel die Linie zwischen Außen und Innen, die mich schon oft beschäftigt hat.

Zwischen David Johann Lensing (*1989) und Edgar Reitz (*1932)

Private Höhle und öffentlicher Raum

 Direkt vom Papier ins Medium:

 Quelle: DIE ZEIT

DIE ZEIT 4. Juni 2020 No.24 Seite 50 Warum wir das Kino brauchen / Die Coronakrise zeigt, dass das Kino als Ort der Zuflucht und des Rückzuges umso wichtiger wird. Aber dafür muss es sich verwandeln. Von Edgar Reitz.

Das Innen und das Außen  13:13 / Anthropologie der Sinne

 Zum Nachlesen HIER

(Fortsetzung folgt)

Zuviel Zeit für die ZEIT?

Eine Berichtigung ohne Richtigstellung

Quelle: DIE ZEIT No.24 am 4. Juni 2020 Seite 8 STREIT

Quelle: DIE ZEIT No.23 am 28. Mai 2020 Seite 10 STREIT Darf man zum Impfen zwingen? Darüber streiten Menschen nicht erst seit Corona. Seit März verpflichtet ein Gesetz Eltern, ihre Kindern gegen Masern immunisieren zu lassen. Richtig so, sagt der Präsident des Kinderschutzbundes – eine Mutter widerspricht. [Heinz Hilgers, Angelika Müller, Moderation: Charlotte Parnack und Marc Widmann]

Was also hat die Berichtigung zu bedeuten? Ist es ein bloßer Scherz? (Thema zu ernst.) Durfte die Abwertung des Wahrheitsgehaltes durch Frau Müller einfach nicht unwidersprochen bleiben? Vielleicht hat Herr Hilgers darauf bestanden? Ich könnte im Paul-Ehrlich-Institut nachfragen, – aber dafür habe ich keine ZEIT. Soviel zur wissenschaftlichen (und journalistischen) Sorgfalt. Mein Vertrauen [zur ZEIT] ist zur Zeit ganz ungebrochen. Zudem gibt es gleich neben der Kurzkorrektur auf Seite 9 einen Riesenartikel, dem ich viel Zeit widmen möchte:

Und es lohnt sich wie immer, Thea Dorn zuzuhören. Man kann den Artikel nicht ohne weiteres digital abrufen. Ich zitiere einen kleinen Abschnitt:

Im Sommer 2019 erschien im Spiegel unter der zugespitzten Überschrift „Die Menschheit verliert die Kontrolle über den Zustand der Erde“ ein Essay des renommierten Klimaforschers Stefan Rahmstorf über das Korallensterben. Dort war zu lesen: „Den Kollaps dieses Ökosystems einfach zuzulassen, wäre nicht nur völlig inakzeptabel. Es wäre der Beginn eines Kontrollverlustes, das Fallen eines ersten Dominosteines in einem eng verflochtenen lebenden Erdsystem, in dem alles miteinander verbunden und voneinander abhängig ist.“

Der Vorteil dieses Taschenspielertricks: Die Furcht vor einem hyperkomplexen, unkontrollierbaren System – wie es etwa unser Erdklima ist – wird in die Furcht vor dem Menschen verwandelt, der dieses System ruiniert. Dank der selbstanklägerischen Furchtverschiebung darf Kontrolle in Aussicht gestellt werden – wenn sich der Mensch nur seinerseits brav als Dominostein in einem mechanistischen System begreift, der keinesfalls wackeln, wanken oder gar aus der Reihe tanzen darf. Menschliches Handeln wird als quasi-physikalischeGröße behandelt, dessen Folgen sich dann vermeintlich ebenso präzise berechnen und zuverlässig vorhersagen lassen wie die Umlaufbahnen von Planeten.

Natürlich hat Thea Dorn recht, aber als oberflächlicher Leser kommt man leicht zu dem Schluss, dass auch die wissenschaftlichen Analysen des Korallensterbens  auf Taschenspielertricks beruhen, also: legen wir die Sache doch ad acta, – was ganz falsch wäre. Auch die Auseinandersetzung des Virologen Christian Drosten mit der Bild-Zeitung über die Rolle der Kinder in der Pandemie ist nicht kurzschlüssig gegen ihn zu wenden, obwohl Thea Dorns Folgerung sicher berechtigt ist: „Für die Wissenschaft ist dieser Zwang zum Rechthabenmüssen eine Katastrophe.“ Die breite Öffentlichkeit allerdings kann mit jeglicher vorläufigen oder von vornherein ambivalenten Differenzierung schwer umgehen. Letztlich überlässt uns die Autorin einfach unserm „Schicksal“, bzw. der Metaphysik. Denn die Wissenschaft „kann keine Antwort geben, wie der Mensch mit seiner Angst vor dem Ungewissen, seiner Angst vor dem Tod umgehen soll, wie er seinen Frieden mit der Tatsache machen kann, dass er nicht nur Herr seines Schicksals, sondern durch seine Sterblichkeit letzten Endes ein radikal Unterworfener ist.“

Aber glücklich macht uns das nicht, – was ja auch niemand verlangt hat. Die Gefahr liegt in apathischen Reaktionen. (Wenn die Sicherheit durch Wissenschaft nicht möglich ist, dann hat eben alles keinen Zweck.)

Doch zurück zum Thema. Haben Sie es bemerkt? Oder ist es Ihnen wie mir ergangen? Ehrlich gesagt habe ich den Sinn der Richtigstellung erst spät erkannt. Unmittelbar vor dem rot gekennzeichneten Satz ist von Masernimpfung die Rede, nicht von Masernerkrankung, – auf die sich die Zahl des Risikos bezöge. Und dieses Risiko würde sich also infolge einer Masernimpfung minimieren. Ist es so richtig?

*    *    *

(Forts. Th.D. betr. Lit.Qu.)

Fehlerteufelsuchgerät

Was uns fehlt

Kürzlich ist mir folgendes passiert: ich hatte das neue Beethoven-Buch von Hinrichsen in der Buchhandlung Jahn bestellt und öffnete, bevor ich es abholte, nochmal den Computer, um den Namen „Hinrichsen“ einzugeben. Und zwar hier oben rechts in dem Blogfensterchen und fand tatsächlich auf Anhieb den Artikel, der sich auf diesen Musikwissenschaftler bezog. Aber als ich den Text überflog, fuhr mir ein Schrecken ins Gebein – „was ist das??? – – – das kann doch nicht wahr sein!!!“ – da stand das Wort Ebergetik – was soll das denn heißen? Hat mein Gedächtnis derart nachgelassen? Das lädt doch zu Wortspielen aller Art ein, und das soll ich selbst geschrieben haben?! Ich gab den Satzteil bei Google ein, eine Art Gegenprobe, ob das etwa auch öffentlich…. – und im Handumdrehen steht da mein Name im Fensterchen und auch unverkennbar das Wort Ebergetik, ich möchte im Boden versinken… Bitte versuchen Sie’s , das funktioniert womöglich heute noch. Ich aber habe es garantiert eben zum allerletzten Mal verschriftlicht. Es muss natürlich sooooo heißen:

Unter dem Streit um die angemessene Beschreibungssprache verbirgt sich allerdings einer um die Methodenhoheit. Die Richtungen, für die Bekker und Halm stehen, lassen sich weit ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen: Bekkers Ansatz ist der einer Hermeneutik, die jeder Musik nur insofern Substanz zuerkennt, als sie „Ausdruck“ ist und einer „poetischen Idee“ folgt; Halm hingegen ist Teil einer Strömung, die Rudolf Schäfke und, ihm folgend, auch Carl Dahlhaus später als „Energetik“ bezeichnet haben und die alle Motive und Themen in einem musikalischen Funktionszusammenhang von „tönenden Formen“ zu verstehen versucht.

Sehen Sie, würde ich sagen, das war doch im Jahre 2015, kurz vor Weihnachten, da hatte ich einfach keine Zeit, nochmal alles gründlich durchzuschauen. Aber mein riesiger Freundeskreis, die 10.000 Follower, keiner liest es! Oder liest es und lacht sich ins Fäustchen. Oder jemand denkt nur, was ist das denn für ein Wort, na, bei dem weiß man nie, ob er nicht einen Scherz eingebaut hat. Nein, hatte ich nicht, es ist einfach nur zum Schämen! Themawechsel:

Wie man sieht, habe ich schon eine gewisse Empfindlichkeit, gerade wenn mir ein Text wichtig ist. Eigentlich. Und so vermerke ich jedenfalls,  auf welcher Seite in meinem neuen Buch „Hundert Jahre Einsamkeit“ der erste Druckfehler steht, der erste Schreibfehler sogar, möchte ich behaupten. Entweder „deren sterblichen Rest“ oder „deren sterbliche Reste“, nur eins von beiden kann gelten, aber keine Kombination. Sowas kann passieren, inzwischen habe ich einen zweiten Fehler, erst wenn ich fünf bemerke, sage ich, das ist unzureichend lektoriert. Aber eine Folge, wenn auch keinen Erfolg, gab es immerhin: ein leiser Argwohn, der mich beim ersten Missverständnis meinerseits die Schuld auf die andere Seite schieben ließ. ZITAT:

Was geschah? Es sollte eine Doppelhochzeit werden, auch Rebeca Bundía sollte ihren Pietro Crespi heiraten, da kam der Brief mit der Nachricht, dass seine Mutter im Sterben liege. Der Sohn fährt sofort los, genauer: er „fuhr (…) in die Provinzhauptstadt und unterwegs an seiner Mutter vorbei“, was ich als saloppe Ausdrucksweise dafür empfand, dass er sie auch noch sah, so wie wenn ich zuhaus sage: ich fahre zum Bäcker, aber auch noch bei Jahn vorbei. Es ist möglich, dass ich dort vorbeifahre, aber doch wahrscheinlicher, dass ich unterwegs wirklich Station mache und nachfrage, ob – sagen wir – das Grundgesetz eingetroffen ist. Also: für mich war klar, dass er die Mutter angetroffen hat, Unsinn also, dass sie zugleich am Ort der Hochzeit eine traurige Arie gesungen haben konnte. Als ob ich beim Bäcker neben dem Brot auch noch das bei Jahn bestellte Buch ausgehändigt bekomme. Und alldas nagte in mir weiter, bis mir auffiel, dass es zu Amaranta durchaus passte, einen Lügenbrief zu verfassen. Ich hätte es ahnen können, war aber durch die Fehldeutung des Wortes „vorbeifahren“ (was ja durchaus wörtlich, aber erst recht in entgegengesetzter Richtung geschehen kann)  dermaßen auf dem falschen Trip – obwohl ich an manche Hürde im Gewirr der Geschichte gewöhnt war -, dass ich fast die Geduld verloren hätte.

*    *    *

Und nun lese ich heute den SPIEGEL, eine Ausnahme (wegen der Wuhan-Titelgeschichte), und was entdecke ich nach 10 Minuten? Auch hier hat der Druckfehlerteufel gewütet. Der typische Teufel des Computerzeitalters, da bleibt einfach ein Text stehen, der eliminiert werden sollte, und er bleibt stehen, weil er genau so perfekt aussieht wie der neu eingefügte, das gute alte Durchstreichen des Misslungenen gibt es ja nicht mehr. Und die Löschtaste betätigen kann man ja immer noch. Oder auch nicht…

Ansonsten habe ich in der Frühe, weil ich das adäqat fand, Mozart gehört, wie so oft in letzter Zeit mit Elly Ameling, und gedacht: Mozart singt sie fast am schönsten, aber den Text verstehe ich nicht unbedingt, ich will „Abendempfindung“ (ich weiß, es ist Morgen) im Smartphone nachschauen, fand stattdessen ein anderes Lied, – aber kam das überhaupt bei ihr vor? Das Traumbild – es ist noch unwirklicher geworden…

Sonst fand ich die Adresse „oxford lieder“ immer ganz zuverlässig. Aber dieses Gedicht kann nicht stimmen, „Glatze in der Stadt“ usw., auch noch Schlimmeres, sobald man selbst die Reime zu verbessern beginnt. Nicht wahr? (Andere Quelle im Angebot hier.)

Und während ich mich von meinem Bildschirm verabschiede, sehe ich die Mail des Kölner Stadtanzeigers, da geht es um Corona-Ängste und um Erleuchtete, alles brandgefährlich, ich muss nochmal zurück, vielleicht gehört meine Fehlerteufelsuchgerätobsession auch in diesen Syndrom-Bereich. Ich dachte schon, es hat mit den Zaubermaschinen des legendären Zigeuner Melquíades zu tun, stand da nicht etwas von Kopfschütteltuch? Steckt in dem Wort Kopftschütteln ein geheimes Zeichen? Kopftschütteln? Geheimzeichen T. Auf jeden Fall, – ein paar Schlagzeilen zum Schluss können nicht schaden, jeder von Fehlern aufgewreckte Leser ist ein Gewinn für das geistige Klima unseres Landes.

Die Welt ist verrückt. Oder wir reagieren wir einfach zu verkopft – früher ein beliebter Vorwurf, wenn man nicht dem Mainstream folgte -, für mich ist es vielleicht gefährlich, einen Roman zu lesen wie „Hundert Jahre Einsamkeit“, der Erzählmodus steckt an. Infiziert zu werden, das fehlte noch. Wie komme ich sonst auf das Wort „Kopftuchschüttelmaschine“? Ein Foto des immer noch mit den Augen lächelnden, blau maskierten Ministerpräsidenten brachte mich auf den Gedanken, wie glücklich man doch sein kann, Ohren zu besitzen. Zeitungslektüre am Morgen, ZITAT  :

Die Demonstrationen der vergangenen Tage gegen die Einschränkungen der persönlichen Freiheit im Kampf gegen das Coronavirus wirken verstörend. Da ist von Verschwörungen die Rede, da bilden sich beängstigende Allianzen zwischen Rechten und Leuten, die Aluminiumhütchen tragen, um sich vor Strahlen zu schützen. Und als wollte er den Abwieglern, Ignoranten und Märchenerzählern den Rücken stärken, fällt der mächtigste Politiker der Welt wieder einmal aus der Rolle. (…) Aber die Verschwörungstheoretiker freut es. Sie sehen in Trump eine mächtige Galionsfigur für ihr unseliges Wirken. Dabei reicht deren Verfolgungswahn inzwischen so weit, dass Microsoft-Gründer und Großspender Bill Gates als leibhaftiger Fürst der Finsternis herhalten muss, dem die unfreien Zweifler ihr vermeintliches [Corona-]Gefängnis zu verdanken haben.

Soweit der Kommentar. Ich zitiere Gabriel García Márquez:

Er drückte mit den Fingern in seine Leber und fügte hinzu: „Hier sitzt der Schmerz, der mich nicht schlafen lässt.“ Daraufhin schloss Doktor Noguera unter dem Vorwand, es käme zu viel Sonne herein, das Fenster und erklärte ihm in einfachen Worten, warum es eine patriotische Pflicht sei, Konservative umzubringen. Mehrere Tage lang trug Aureliano ein Fläschchen in der Hemdtasche. Alle zwei Stunden holte er es hervor, legte drei Globuli auf die Handfläche, warf sie mit Schwung ein und ließ sie dann langsam auf der Zunge zergehen. Don Apolinar Moscote machte sich über seinen Glauben an die Homöopathie lustig, aber diejenigen, die am Komplott beteiligt waren, erkannten ihn als einen der Ihrigen. Fast alle Söhne der Gründungsväter gehörten dazu, keiner wusste jedoch konkret, was für eine Aktion sie da ausheckten. An dem Tag jedoch, als der Arzt Aureliano das Geheimnis offenbarte, setzte der sich von der Verschwörung ab. Obwohl er davon überzeugt war, dass das konservative Regime schleunigst abgeschafft gehörte, löste der Plan Grauen in ihm aus. Sein System beschränkte sich auf die Koordinaten einer Reihe von Einzelaktionen, bei denen in einem Meisterschlag von nationaler Reichweite die Funktionäre des Regimes mit ihren jeweiligen Familien liquidiert werden sollten, vor allem auch Kinder, um den Konservatismus im Keim zu vernichten. Don Apolinar Moscote, seine Frau und seine sechs Töchter standen natürlich auch auf der Liste. „Sie sind weder ein Liberaler noch sonst irgendwas“, sagte Aureliano in aller Ruhe. „Sie sind nichts als ein Schlächter.“ – „Wenn dem so ist“, erwiderte der Doktor ebenso ruhig, „dann gib mit das Fläschchen zurück. Du brauchst es nicht mehr.“

Quellen 

Gabriel García Márquez: „Hundert Jahre Einsamkeit“. Roman / Neu übersetzt von Dagmar Ploetz / Fischer Taschenbuch Frankfurt am Main, November 2019. (Seite 128f)

Leitartikel Solinger Tageblatt 13. Mai 2020 Seite 2:  „Trump und die Corona-Leugner / Mächtige Galionsfigur“ Von Lothar Leuschen.

Nachtarg 30.06.2020

Wenn man selbst einmal ein Gymansium besucht hat, schmerzt es einen, dass man nach ein paar Wochen oft nicht mehr sagen kann, warum man dies oder das geschrieben hat. Was hat mich da getrieben? Jetzt habe ich es überdeutlich eilgesehen, ich suchte Beispeile für die Allgemeingültigkeit der altamerikanischen Lebensweisheit: „Shit happens.“ Jeden kann es treffen! Jederzeit. Aber man muss es auch wirklich verduetlichen, weil  die Autokorrektur im Kopf oft allzu verlässlich arbeitet.

Verduetlichung:

Eine große Zeitung

Daran erkenne ich sie:

 .    .    .    .

Sie passt nicht nur zu Silvester, sondern auch zum Neujahrsmorgen. Und im Streiflicht, das man gern als erstes liest, erscheint sogar, wie von vielen Menschen gewünscht, die inzwischen bekannte rhetorische Jahresendfigur als Satire: „Heute ist die Oma der weiße alte Mann unter den Frauen.“

Andere Themen, die uns zu Beginn eines neuen Jahrzehnts unter den Nägeln brennen, lassen sich in neuer Beleuchtung nachlesen. Ich hatte mir längst ein Büchlein ans Bett gelegt, um bei plötzlich auftauchender nächtlicher Melancholie gewappnet zu sein. (Ehrlich gesagt: das erste, was mir heute beim ersten Sonnenstrahl – den gab es wirklich!!!! – einfiel, war die Frage, warum das Schubertlied vom Heideröslein mir in meiner Kindheit viel weniger gefallen hat als das Volkslied und weshalb das ganze Schulmusikstudium, bei dem solche Vergleiche immer zugunsten der Klassikerversion ausfielen, nicht geholfen hat, bis dann Elly Ameling kam und alles zugunsten Schuberts wendete. Noch mehr durch das Lied „Frühlingsglaube“: Nun muss sich alles wenden…)

Man wird wieder sagen, dass ich die Holländer bevorzuge, und das vielleicht nur wegen meines Vornamens, den mein Vater gegen meine Mutter durchgesetzt (ihr war der Name zu kurz). Habe ich erwähnt, dass ich Elly Ameling schon einmal zum Hotel Solitude fahren durfte? Vielleicht hier? Und im Neuen Jahr werde ich wieder nach Domburg fahren. Um aber auf das anfangs erwähnte Büchlein zurückzukommen, das wirklich hervorragend ist und auch das im Titel genannt Problem zufriedenstellend löst:

Aber ich würde auch Hartmut Rosa nicht vergessen, – war es nicht ein Gespräch mit Richard David Precht? Jawohl, siehe hier, dafür habe ich ja den (das) Blog: damit ich behalte, was ich vergesse!

Falls ich an diesem Eintrag noch weiterschreibe (das schöne Neujahrswetter lockt in die nahgelegne Ohligser Heide), also: falls, – so sollte es dem „Heideröslein“ gelten. Und nicht der Vergänglichkeit.

Von antiken Facebook-Menschen

Nachrichten aus Platos „Staat“

Nie und nimmer hätte ich gedacht, dass mich ein Zeitungsbericht über die Wirkung des Internets einmal dazu bringen würde, Platons „Staat“ hervorzuholen, in dem ich Ende der 50er Jahre gestrandet bin. Es war mit schlicht zu langweilig. Dabei trägt der vorangehende Dialog „Phaidon“ allerhand Gebrauchsspuren. Ich kannte ihn, wie andere Dialoge, auch aus anderen Ausgaben seit Dezember 1955. (Ich bitte um Nachsicht: mir liegen diese autobiographischen Abrundungen am Herzen.)

Dies war der aktuelle Auslöser – Justus Bender in FAZ online (5.10.2019) -, ich zitiere mitten aus dem Text:

Das Internet birgt eine besondere Ironie. Es ist die größte informationstechnische Revolution in der Geschichte der Menschheit. Ausgerechnet auf Demokratien hat es aber einen rückschrittlichen Einfluss, mit dem Mob, der destruktiven Debatte und dem Trommelfeuer von Falschnachrichten. Es hat die mäßigend wirkende Parteiendemokratie, den Pluralismus und die auf Versachlichung angelegten Parlamente geschwächt.

Das Ende der Vormundschaft

In der Antike galt der Mob als unlösbares Grundproblem der Demokratie. Platon lehnte die Demokratie ab, weil er sie für den sicheren Weg in die Tyrannei hielt. Grob folgt er in „Der Staat“ der These, dass Menschen in Demokratien eine Sucht nach Freiheiten entwickeln, die ihnen auch gewährt werden. Sie beginnen, ihren Selbstwert zu empfinden und Autoritäten zu hinterfragen, die Eltern, die Lehrer, die Regierung. Alle Bürger werden mit der Zeit gleich, der Sklave wie der Großgrundbesitzer, die Frau wie der Mann, ganz so, wie es in einer Demokratie sein soll.

Doch diese Haltung steigert sich immer mehr. Platon beschreibt antike Shitstorms, „gegenseitige Anklagen“ und „Kämpfe“. Er beschreibt Bürger, deren Seelen im Freiheitsrausch so „zart“ werden, dass sie keine Autoritäten mehr ertragen. So entstehen Vorwürfe gegen alle Bessergestellten, Teil eines Establishments zu sein. Die Bessergestellten wehren sich und machen so den Vorwurf wahr: Sie treten als ein Block auf. Schnell kommt ein Politiker empor, der den Menschen verspricht, sie von dieser Herrschaft der „Volksfeinde“ zu befreien.

Es ist der spätere Tyrann, der zu dieser Zeit noch von Freiheit redet. Die antiken Facebook-Menschen wählen ihn. Ist er aber erst einmal an der Macht, wird er seinen Kampf gegen die „Volksfeinde“ fortsetzen. Er wird die Opposition unterdrücken, weil sie dem wahren Volkswillen entgegensteht, den er verkörpert. Und dann werde „das Volk, beim Zeus, wohl sehen, was für ein Früchtchen es sich erst erzeugt und dann gehegt und gepflegt hat“, schreibt Platon.

Quelle Frankfurter Allgemeine online (aktualisiert 5. Oktober 2019, abgerufen hierDie Wiederkehr des Populismus : Im Namen des Volkes / Von Justus Bender

Diese Lesart war mir neu, der Sache musste ich nachgehen. Zunächst bot sich Wikipedia an – natürlich trotz des großen Negativartikels über das bewährte Online-Lexikon, letztens in der Süddeutschen (hier) -, die virulente Skepsis genügt:

Das Hauptmerkmal der demokratischen Gesinnung, der unbeschränkte Freiheitswille, wird den Demokraten letztlich zum Verhängnis, da sich die Freiheit zur Anarchie steigert. Der demokratische Bürger ist nicht gewillt, eine Autorität über sich anzuerkennen. Die Regierenden schmeicheln dem Volk. Niemand ist bereit sich unterzuordnen. Ausländer sind den Stadtbürgern gleichberechtigt, Kinder gehorchen nicht, sie respektieren weder Eltern noch Lehrer, und sogar Pferde und Esel schreiten frei und stolz einher und erwarten, dass man ihnen aus dem Weg geht.

Dieser Zustand der höchsten Freiheit schlägt schließlich in die härteste Knechtschaft um. Den Ausgangspunkt der Wende bildet der Gegensatz zwischen Armen und Reichen, der weiterhin besteht, aber nun nicht mehr wie in der Oligarchie von der herrschenden Doktrin legitimiert wird. Die Vermögensunterschiede stehen im Gegensatz zum demokratischen Gleichheitsdenken. Die Masse der relativ Armen ist sich ihrer Macht im demokratischen Staat bewusst. Gern folgt sie einem Agitator, der eine Umverteilung des Reichtums fordert, die Reichen einer oligarchischen Gesinnung beschuldigt und entschlossene Anhänger um sich schart. Dadurch sehen sich die Besitzenden bedroht, sie beginnen tatsächlich oligarchische Neigungen zu entwickeln und trachten dem Agitator nach dem Leben. Dieser lässt sich nun zu seinem Schutz vom Volk eine Leibwache bewilligen, womit er sich eine Machtbasis verschafft. Die Reichen fliehen oder werden umgebracht. Der Weg zur Alleinherrschaft des Agitators, der nun zum Tyrannen wird, ist frei.

In der Anfangsphase seiner Herrschaft tritt der neue Tyrann volksfreundlich auf. Er verhält sich milde, erlässt Schulden, verteilt konfisziertes Land und belohnt seine Anhänger. Nachdem er seine Herrschaft stabilisiert und einige Gegner beseitigt hat, ist sein nächster Schritt, einen Krieg zu beginnen. Damit lenkt er die Aufmerksamkeit auf einen äußeren Feind, demonstriert seine Unentbehrlichkeit als Befehlshaber und verhindert, dass sich eine Opposition gegen ihn formiert. Mögliche Gegner räumt er aus dem Weg, indem er sie an die Front schickt. Jeder Tüchtige, ob Freund oder Feind, erscheint ihm als Gefahr, die beseitigt werden muss. Da sich in der Bürgerschaft zunehmend Hass auf den Tyrannen ansammelt, verstärkt er seine Leibgarde mit Söldnern und ehemaligen Sklaven, die ihm persönlich ergeben sind. Der Unterhalt dieser Truppe verursacht hohe Kosten. Zu deren Deckung werden zunächst die Tempel geplündert, dann Steuern erhoben. Das Volk ist aus der maßlosen Freiheit in die übelste und bitterste Sklaverei geraten.

Quelle (wie immer habe ich Anmerkungszahlen, Klickmarkierungen und eine Zwischenüberschrift eliminiert)  Artikel „Politeia“ HIER

Danach hatte ich Lust, den Bücherschrank hinter mir zu konsultieren, die Anmerkungen verwiesen mich auf die Kennziffer 565 ff in der Ausgabe „Rowohlts Klassiker“ (Schleiermacher-Übersetzung), hier das Ergebnis. Mithilfe der Maustaste lässt sich das schwer leserliche Textformat in einen angenehmen Bereich transportieren, so, als seien meine Augen, die doch so vieles gesehen, noch jung wie ohne Brille vor 60 Jahren.

Wie schön! Wie gemächlich der Gedankengang dahinschreitet, angesichts der laufenden Bestätigungen durch den Gesprächspartner. Eine andere Übersetzung findet man übrigens online hier , ebenfalls unter der blauen Kennziffer 565, die dann auch zum griechischen (und lateinischen) Originaltext durchzuklicken erlaubt.

Oder versuchen Sie doch einfach, den journalistischen Text mit Platos sinnlichem Verstand zu ergreifen:

Soziale Netzwerke werden ihr Angebot so gestalten, dass weder der Algorithmus noch die anderen Nutzer Trolle belohnen. Mit Nacktfotos funktioniert das schon, sie werden auf Facebook mit großem Aufwand blockiert. Die Trolle [über den Troll in der Netzkultur siehe hierwiederum, die Provokateure des Internets, werden ihre Wirkung verlieren. Man wird sich an sie gewöhnen, wie an den Verrückten in der Fußgängerzone, der ein Schild mit der Ankündigung des Weltuntergangs hochhält.

Auf der Straße beachtet ihn niemand. Im Internet hingegen bilden sich Trauben um solche Leute: Die Verrückten sind dort die Debattenführer, weil ihre Inhalte spektakulär sind. So wie der Irre sich im Gemeindesaal blamiert, wenn er Irres von sich gibt, so wird sich in einer unbestimmbaren Zukunft auch der Troll blamiert sehen, wenn er das im Internet tut. Die Sonderstellung des Netzes wird sich nicht halten. Es wird eine Gewöhnung geben. Gefährlich sind immer nur die Umbruchzeiten wie die zehner Jahre – auch die zwanziger Jahre werden es vorerst bleiben.

Quelle siehe oben FAZ, im Anschluss an den roten Text, abzurufen also als vollständiger Text  hier.

  Eine Geschichte für sich…

Zu den Ursachen des Hasses (aus der ZDF-Sendung Markus Lanz am 8. Oktober 2019 mit u.a. Natascha Kampusch – bis November noch abrufbar – HIER):

ZITAT (Abschrift JR)

ab 11:26 (Lanz: Ist das richtig, was Frau Milborn da schildert? Also Opfer müssen sich wie Opfer benehmen, sonst gefällt uns dieses Bild nicht…)

Der Jugendpsychiater Prof. Dr. Michael Schulte-Markwort antwortet: (…) Wenn solche unerhörten Grenzüberschreitungen stattfinden, so löst das immer Projektionen aus, und zwar in allen möglichen Richtungen. Das Unerhörte darf es eigentlich nicht geben, das kann es nicht geben, aber wir wissen dann am Ende doch , dass es in der Normalität verborgen ist. Die Normalität heißt: wir sind es alle selbst. Und das wollen wir nicht hören, und deswegen projizieren wir all diese ganze unangenehme Gefühle auf die Opfer, auf die Täter, das ist sehr unterschiedlich je nach Konstellation und bringen da drin unter, was wir eigentlich mit uns selber nicht verarbeiten können. Dass wir nämlich selber potentiell zu dieser Grenzüberschreitung in der Lage wären. (Und dann kommt so eine massive Ablehnung, dieser Hass, ist das für Sie plausibel?) Das ist für mich absolut plausibel (Warum?) das zeigt ja nur, dass offensichtlich bestimmte Menschen in der Gesellschaft – und das ist nicht nur eine kleine Minderheit – so ein Ventil braucht, um mit dem eigenen Druck umzugehen. Und man kann – wir nennen das einen projektiven Mechanismus, nur weil ich mir jetzt vorstelle: sie kucken mich jetzt besonders wütend an, und ich fange an, Sie zu beschimpfen, dann ist das eine Projektion. Ja, dann bringe ich in Ihnen was unter, was mit Ihnen in dem Moment gar nichts zu tun hat, ich bringe etwas unter, was eigentlich zu mir gehört. Nämlich meine eigene Aggression Ihnen gegenüber. So funktioniert so eine Mechanismus, der ist ubiquitär, das können wir alle, das machen wir auch alle in bestimmten Situationen, (das verstehe ich, aber warum mit einer jungen Frau wie ihr, mit jemand, der das durchlitten hat) Weil es eine so unerhörte Grenzüberschreitung ist, die nicht sein darf, die sich natürlich nicht gehört, die aber trotzdem stattfindet, und die Tatsache, dass sie trotzdem stattfindet, in der Normalität nicht nur der österreichischen Gesellschaft, das muss man eben dazusagen, dann darf das nicht sein. Und dann bring ich, weil ich das nicht aushalte, dass das nicht sein darf, weil das ja stattfindet, bringe ich es im Opfer unter. 13:27 (Lanz an C. Milborn: Wie haben Sie das erlebt, wann begann das, wann kippte das?)

Corinna Milborn: Ganz ganz schnell, nach einer Welle der Hilfsbereitschaft – das hat aber nur wenige Wochen gehalten, wenn nicht nur Tage, nach ein paar Wochen ist das ins Gegenteil gekippt. Und ich hab sehr viel darüber nachgedacht, was da in den Leuten ausgelöst wurde, es hat viel mit dem Internet zu tun, aber vielleicht sprechen wir ja noch drüber, weil das neue Buch ja auch davon handelt. Es hat auch damit zu tun, dass das vielleicht auch in den Menschen drinnensitzt. Wenn man sich so ein bisschen zurückerinnert, wie das vor 100 oder 150 Jahren war, dann hatten junge Frauen überhaupt keinen Platz an der Öffentlichkeit, das war nicht vorgesehen, dass sie sich hinstellen und über ihre Geschichte sprechen und zu sich selbst stehen, und schon gar nicht, wenn sie betroffen waren von sexueller Gewalt. Da gibt’s diesen Begriff, diesen hässlichen Begriff „Schändung“, wo die Schande am Opfer, nicht am Täter klebt, und wo Frauen, die Opfer von sexueller Gewalt werden zu sowas wie Nutzgegenständen geworden sind im klassischen patriarchalischen Zusammenhang. Und ich glaub, dass das vielleicht noch tief sitzt. Und wenn man eine junge Frau sieht, die sich Raum nimmt, dann ist es an sich schon eine Provokation für viele, – das merkt man schon, wenn Frauen sich Raum nehmen und nicht nur dekorativ sind, sondern mehr als das, und wenns dann noch jemand ist, der sich nicht an die Opferrolle hält, dann löst das tatsächlich Aggression aus, so das Gesellschaftsgefüge, das ganz tief drinnen sitzt, ein bisschen ins Wanken bringt, und deshalb feiere ich Natascha Kampusch jeden Tag, weil sie es ins Wanken gebracht hat. 15:02

Vormerken die Bücher „Cyberneider. Diskriminierung im Internet“ (Dachbuch Verlag, Wien, 192 Seiten, 19,99 Euro) und das frühere im Brandstätter-Verlag hier.

Sehr wichtig ist auch – aus meiner Sicht – die ZDF Lanz Sendung gestern, mit den folgenden Gästen: Journalist Olaf Sundermeyer, Politiker Gerhart Baum, Autorin Deborah Feldman, Extremismus-Forscherin Julia Ebner und Schauspieler Christian Berkel, bis 9. November 2019 abrufbar HIER.

Gibt es die Natur?

Der neue Ansatz

Man kennt vielleicht zur Genüge die Argumentation: die Natur ist doch nicht da draußen, ich selbst gehöre dazu, wir alle, – egal, wie wir uns abschirmen. Es beginnt mit der Subjekt-Objekt-Spaltung, aus der sich automatisch („natürlicherweise“) eine Distanzierung ergibt. Aus der Distanzierung (Abgrenzung) ergeben sich Feindbilder, aber auch verlockendes Neuland. Usw. usw., andererseits verwandelt sich alle Natur, mit der wir uns abgeben, – wohlgemerkt: ohne jeden Vorsatz, sie in gefühlloses Material zu verwandeln -, in Kultur. Es gibt also keinen Gegensatz zwischen Natur und Kultur? Was sagt die Philosophie? Aufs neue begegnet mir als Helfer Bruno Latour, wie damals, nachzulesen hier, und zwar im Gewand einer neuen (oder neu gestalteten) Zeitschrift der Philosophie. Beginnen wir doch damit, offen für alles zu sein, auch wenn es im Video daherkommt wie eine Werbekampagne, die irgendwie im Ansatz verfehlt erscheint, weil… weil… Philosophie doch irgendwie anders daherkommen sollte … nicht wie das modische Produkt eines garantiert jungen Teams … dabei gibt es viele Philosophen, die mindestens oder ungefähr so alt sind wie ich, Bruno Latour zum Beispiel, oder Alain Badiou, ganz zu schweigen von Jürgen Habermas.

Jedenfalls hat Bruno Latour in diesem Philosophie-Magazin Gelegenheit gehabt, seine Gedanken über das Anthropozän darzulegen, das manchen Anhängern einer romantischen Auffassung von der Allmutter Natur keine Freude machen wird. Und er bemüht dafür das Kunstwort „Nat/Cul“, das die unlösbare Verschränkung von Natur und Kultur akzeptiert oder sogar voraussetzt. Er bezieht sich auf die alte Gaia-Hypothese, die James Lovelock in den 70er Jahren entwickelt hat, und er distanziert sich zugleich davon.

ZITAT

Die Abkürzung „Nat/Cul“ steht für „Nature/Culture“. Mein Gedanke ist, dass wir ein anderes Konzept als das problematische Konzept der Natur brauchen. Wenn man sagt, dass ein Phänomen natürlich ist oder man „in der Natur“ ist, schließt man sich selbst aus, man zählt sich nicht selbst zur Natur. Erstes Problem. Andererseits geht man bei der Natur von einer Entität aus, die seit dem Big Bang vermeintlich unveränderlichen Gesetzen gehorcht; man wirft den Entwicklungszyklus der Raupe, die Wolkenbildung oder die Entstehung der Sterne in denselben Topf. Zweites Problem. Auf der einen Seite schließt die Natur also die Kultur aus. Auf der anderen Seite hat der Begriff den Anspruch, alle Phänomene zu vereinheitlichen, die seit 14 Milliarden Jahren an allen Orten des Universums stattgefunden haben, was zu viele Dinge über einen Kamm schert. Und dann wird der Naturbegriff oft politisch missbraucht, zum Beispiel wenn man sagt, dass Homosexualität widernatürlich sei oder dass es eine natürliche Ungleichheit zwischen den Rassen gäbe. Wir brauchen einen Begriff, der sowohl Natürliches als auch Menschliches bezeichnet: wie Nat/Cul. Mit diesem Wort können Sie das bezeichnen, was von der Natur oder von der Kultur abhängt oder von beidem. Nehmen wir den Fall einer außergewöhnlichen Dürre oder starker Regenfälle, die durch den Klimawandel verursacht wurden, also durch menschliche Aktivitäten. Ist das ein Naturphänomen? Nein! Ist es ein Kulturphänomen? Nein! Es ist typisch Nat/Cul.

Dementsprechend heißt es in dem Magazin, für den Philosophen sei die Natur kein Gegenstand, über den es zu verhandeln gälte, kein passives Etwas, das der Mensch sich zunutze macht. Warum, fragt Bruno Latour, sitzen eigentlich bei Klimakonferenzen nur Repräsentanten der Länder am Tisch und nicht Vertreter der Wälder, der Gewässer, der Gletscher? Er vertritt – im Anschluss an den Biophysiker James Lovelock – die sogenannte Gaia-Hypothese: Die Erde ist ein Lebewesen, mächtig und gebärend wie die Große Mutter der griechischen Mythologie. Latour fordert mithin nicht weniger, als dass der Mensch sein Verständnis der Natur radikal überdenke: Für den französischen Philosophen ist sie weder klar von der Kultur zu trennen, noch ist sie an sich gut, wie Umweltschützer gern glauben. Wie aber wäre dann mit ihr umzugehen? Ein Gespräch über eine der größten Herausforderungen unserer Zeit.

Um nicht weiter abzuschreiben aus dem Artikel, der ja als Ganzes nachzulesen ist, nämlich hier, verweise ich lieber noch einmal auf das Buch von Emanuele Coccia, auch mich selbst aufrufend, da ich es ja mehrfach programmatisch behandelt habe. Um es ja nicht zu vergessen. Ich glaube, es hatte hier angefangen, hatte hier eine Fortsetzung gefunden, wurde hier einbezogen und kehrt hier assoziativ wieder. Und nun heute, während ich vordergründig Bruno Latour im Interview erlebe:

Philosophisch stelle ich den Gegensatz zwischen Natur und Kultur infrage. Gestatten Sie mir, konsequent zu sein und die politischen Schlüsse zu ziehen, die sich daraus zwingend ergeben: In meinen Augen ist es nicht normal, dass in der Politik nur die Menschen vertreten werden beziehungsweise die Kultur. Es braucht also außer einem Rat, der die Menschen vertritt, einen Rat, der die Nichtmenschen vertritt, zumal das Leben der einen aufs Engste mit dem Leben oder dem Zustand der anderen verknüpft ist! Um ein Parlament der Dinge einzusetzen, müsste man im Prinzip damit beginnen, die Gebiete zu kartografieren, die sich im Konflikt befinden, eine Aufgabe, für deren Umsetzung sich viele mit mir gemeinsam engagieren. Man muss also erkennen, welche entgegengesetzten Kräfte es gibt und welche Gebiete ihnen zugehören. Und dann die Sitzverteilung festlegen.

 Wie gesagt: aufzufinden HIER 

Zur Diskussion des technologischen Arguments:

Der Harvard-Professor David Keith schlägt vor, jedes Jahr 250 000 Tonnen Schwefelsäure in der oberen Atmosphäre zu versprühen, um das Klima für das gesamte 21. Jahrhundert zu stabilisieren.

Wir können die Nebenwirkungen solcher Operationen nicht vorhersehen. Aber das Schlimmste ist: Geo-Engineering gibt der Industrie und der Politik Argumente dafür, nichts verändern zu müssen. Verschmutzen wir die Umwelt ruhig weiter und stoßen Treibhausgase aus, Business as usual! Denn die Technik hat am Ende eine Lösung. Ich halte das für eine Strategie, um uns nicht die richtigen Fragen stellen zu müssen, nämlich solche, die uns zu Veränderungen in der Energiepolitik oder in unserer Art des Konsums führen könnten.

 Foto ZDF / Link zum Anklicken folgt:

Achtung: zum eben angerissenen Thema (Mehr Technologie statt Umkehr) sollte man auch einen Vertreter des Managements hören, der hinreißend spricht; gerade der Widerstand kann davon lernen: siehe LANZ ZDF am 24. September (Frank Thelen und Anja Kohl) HIER ab 36:50 (wenn es um Greta Thunberg geht – und um technische Innovationen).

Männer!

Das typische Vorurteil.

Sage ich, wenn eine Frau diesen für Frauen typischen Klageruf ausstößt.

Und freue mich (gebe vor, mich zu freuen), wenn eine Frau etwas ganz anderes erzählt, zum Beispiel dieses:

Frauen sind nun mal so, von Natur aus. Sie sind warmherzig und lächeln viel, sie können gut mit Menschen umgehen und gut zuhören. Sie wiegen Risiken besser ab und machen deshalb weniger Dummheiten. Andererseits quatschen sie ein bisschen viel und einparken können sie auch nicht.

Haha! Frauen!! Sie sagen es selbst! Kathrin Werner jedenfalls. (Hat nebenbei ein Komma vergessen.) Und dann fährt sie fort:

Wer es nicht gemerkt hat: das war Ironie. Kaum jemand würde solch plakative Klischees heute noch ohne Widerspruch stehen lassen. Doch Klischees gibt es noch immer. Und manchmal werden Männer, die sie äußern, sogar dafür gefeiert.

Irritiert Sie das? Gewiss doch. Nur wissen Sie jetzt nicht, in welche Schublade Sie mich, den Zitierenden, stecken sollen? Dann sind Sie reif für den ganzen Artikel, den Sie (hoffentlich) leicht an anderer Stelle nachlesen können, nämlich hier. (https://www.sueddeutsche.de/karriere/frauen-karriere-klischees-1.4592127 )

Das hat zudem den Vorteil, dass Sie von einzelnen Behauptungen aus zu deren Grundlagen durchklicken können. Und ich habe weniger Arbeit. Männer überlassen die Kleinarbeit lieber anderen, bevorzugt Frauen, die sich in der dienenden Rolle recht wohl fühlen, wie jeder weiß.

Interessant ist, dass viele Menschen keine Probleme haben, typische Eigenschaften von Männern und Frauen zu definieren, das Gleiche aber politisch inkorrekt finden, wenn es um Hautfarbe oder Sexualität geht. „Schwarze Menschen sind nun mal so“, würde kaum jemand sagen. Genauso wenig wie: „Schwule Männer sind so und so…“ Das liegt daran, dass Menschen hinter den Unterschieden zwischen Frauen und Männern biologische Fakten vermuten – auch wenn es für sie meist keine Beweise gibt.

Aus Platz- und Copyright-Gründen gebe ich nur noch die Quelle an; allein die Irreführung zweiten Grades ganz am Anfang stammte von mir, die andere diente der Autorin selbst als Blickfang oder verbaler Eyecatcher.

Quelle Süddeutsche Zeitung 9. September 2019 Seite 15 Rollenklischees / So sind sie halt / Von Kathrin Werner.

Noch ein Zitat zur bleibenden Erinnerung:

Wer wahre Diversität will,

muss zulassen, dass Menschen

anders sind als die Klischees.