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Kritik an Musik

Journalistenlob und -laber

Dass man bestimmte Zeitungen besonders gerne liest, bedeutet nicht, dass sie sich immer mit der eigenen Meinung decken, im Gegenteil, über einzelne Kritiker ärgere ich mich immer aufs neue. Das war im Fall der Süddeutschen ganz besonders in den 70er/80er Jahren der Fall, als sie sich durch besondere Rückständigkeit auszeichneten; berühmte Namen, die ich nicht nennen muss. Heute dagegen will deren Nachhut so weit vorne stehen, dass auch die Avantgarde erschrickt. Ich weiß nicht, ob Herr Brembeck die Inszenierung der Tosca (Aix 2019) loben würde, die vor ein paar Tagen in ARTE gesendet wurde, – es wäre ihm zuzutrauen. Ich misstraue ihm vielleicht grundlos, wenn er Daniel Harding („überwältigende Spiellust“) so dringend als Nachfolger für Mariss Jansons empfiehlt und folgerichtig in einem weiteren Konzert mit den BR-Sinfonikern den Konkurrenten Franz Welser-Möst unter dem Titel „Die Romantik der Schlaftablette“ abserviert. Aber es ist nicht Sache eines schwachen Rezensenten, kulturpolitisch so ehrgeizig wie kleinkariert zu agitieren, als habe er wirklich etwas zu melden. Es wäre nicht der Mühe wert, dieses Abwägen zwischen Harnoncourt und imaginären Liebhabern der „Karl-Böhm-Zeit“ auch nur für einen Augenblick ernstzunehmen, wenn dann nicht wieder Igor Levit auftauchte und einerseits auffällig geschont, andererseits mit sehr seltsamen Worten abqualifiziert wird: er habe sich „in den letzten Jahren zum letztgültigen Reichsverweser Beethovens hochgespielt“. Ich weiß nicht, woran mich der Ausdruck „hochgespielt“ erinnert, bei „Reichsverweser“ kommt mir allerdings die „Reichsklaviergroßmutter“ in den Sinn – oder wie nannte man sie? – und der im letzten „Reich“ ebenfalls hochgeschätzte Wilhelm Backhaus. Das hat Levit nicht verdient.

Mag sein, dass der Rezensent sich wirklich die überwältigende Wirkung eines hingehauenen Akzents und die erotische Wirkung eines lasziv gespielten Laufs irgendwie zusammenreimt, ein esoterisch verklärendes Moment dagegen von pathetisch auf Außenwirkung zielenden Passagen weniger eingelöst findet, obwohl der Pianist „sich in Langsames durchaus hineingrübeln“ kann, –  mir scheint, da hört jemand gar nicht zu, sondern greift gedankenarm in den Wortwirkungswürfelkasten.

Er weiß um die überwältigende Wirkung eines überraschend hingehauenen Akzents genauso wie um die erotische Wirkung eines lasziv gespielten Laufs. Er kann sich in Langsames beeindruckend hineingrübeln. Immer wieder aber kommt in sein Beethoven-Spiel aber auch ein esoterisch verklärendes Moment. Dann behauptet er nicht nur in pathetisch auf Außenwirkung zielenden Passagen einen Tiefsinn, der pianistisch nicht eingelöst wird.

Ja, wie denn dann? Misslingen ihm die auf Tiefsinn getrimmten Passagen pianistisch oder gedanklich? Es hat einfach keine Logik, ebensowenig wie das doppelte „aber“ im vorhergehenden Satz des Kritikers. Es ist schlampig formuliert und labert nur wolkig daher, vorgebend, ein dreifaches „nie“ ziele nun glaubwürdiger auf Ungesagtes, Existenzielles…

Welser-Möst ist Levit zudem kein adäquater Partner. Nie fordert der Dirigent den Pianisten heraus, nie ist er ihm Widerpart, nie lockt er ihn ins Ungesagte, ins Existenzielle. Und so versandet dies Konzert im Braven.

Und überhaupt:

Welser-Möst fehlt eine zündende Idee. Er lässt die Musik laufen, er bringt sie nie zum Strahlen, er elektrisiert in keinem Moment, er unterfordert seine Musiker konsequent.

Das ist etwa auf dem Niveau der vornehmen Dame, die ihren Begleiter im Konzert eines berühmten Dirigenten fragt: „Sagen Sie mir bitte, wenn er zu faszinieren beginnt!?“

Quelle Süddeutsche Zeitung 11./12. Juli 2020 Seite 19 Die Romantik der Schlaftablette Franz Welser-Möst unterfordert BR Sinfoniker / Von Reinhard J. Brembeck

Bayreuther Dilemma

Nur ganz kurz

Nach einer lang nachwirkenden, frühen Begeisterung für Wagner (50er/60er Jahre, beginnend mit Vorspiel und  Einzelszenen Lohengrin, Tannhäuser nach Klavierauszug, dann Ring und vor allem Tristan, auch Parsifal), blieb später immer noch der musikalische Sog, der einsetzte, sobald auch nur ein Fetzen Nibelungen-Sound aus dem Lautsprecher tönte: Heute drängen sich starke Antipathien hinein, live auch – dank der Text-Anzeigetafeln – der störende Eindruck, wie schlecht er dichtete…

Niemals hätte ich eine Tannhäuser-Aufführung in Bayreuth besucht. Die ersichtlich gewordenen Taten der Musik (?) haben keine rechte Anziehungskraft mehr. Meine Schuld, zweifellos, denn sie klingen nicht anders als früher. Die Rezension in der Süddeutschen habe ich sorgfältig gelesen, das Foto fesselte mich. Aber ist nicht sowieso klar, dass es wieder auf einen Lobpreis fürs Regietheater hinausläuft? Ich wäre vielleicht auch begeistert, wenn es sich um ausgedehnte Filmsequenzen (ohne Wagners Musik, oder mit ihr als konterkarierendem Soundtrack) gehandelt hätte… Aber was mich auf die Palme bringt, ist der winzige, dann doch musikbezogene Schlussteil der Kritik, der mit ein paar Sätzen eigentlich nur den Dirigenten erledigen soll, und dies gleichsam von allerhöchster Warte. Mein Gott, das große Leidenschaftsdrama und der hölzerne, analytische Klang, – wo soll das denn gewesen sein?!

 einen hölzernen Klang?

Quelle: Süddeutsche Zeitung 27./28. Juli 2019 Seite 17 Song Contest Ein Kampf zwischen Hoch- und Subkultur: Zur Bayreuth-Premiere wird Wagners „Tannhäuser“ mit höchster Lust ins Heute gespielt.

Nie und nimmer hat da jemand mit wachem Ohr auf den realen Orchesterklang reagiert. Möglicherweise hatte er schlimme Gerüchte im Hinterkopf, die er nicht benennen mochte, und begnügte sich damit, eine rein musikalische Begründung zu konstruieren.

Ich hatte die Kritik schon gestern früh gelesen und spät nachts nur noch die letzte Stunde der Bayreuther Aufführung erwischt. Was ich hörte, war doch ziemlich schöne Musik, das Zerreißen der Tannhäuser-Partitur fand ich übertrieben, die Ausdruckweise „mit höchster Lust“ hätte ich allerdings eher einem Tristan vorbehalten. Aber war das denn ansonsten wirklich ins HEUTE gespielt? Klar, alle reden vom Wetter und von einer Temperatur bis 50 Grad im Festspielhaus-Auditorium. Ich ahnte schon, dass ich kein Wort der vernichtenden Minimusikkritik nachvollziehen können würde. „Nächstes Jahr soll Gergiev angeblich nicht mehr dabei sein.“ … angeblich … soll … können… würde…  Er muss außerhalb der Bayreuther Szene etwas verbrochen haben. (Vielleicht sogar Schlimmeres als Wagner?) Wer die Wahrheit wissen will, muss danach in einer anderen Zeitung suchen.

Das habe ich heute morgen am Computer erledigt. Und mein Wissensdurst ist gestillt. Diesen Namen merk ich mir, nicht den anderen. Dank an die ZEIT. HIER lesen Sie, was wirklich los war…

Nachlese 1. August 2019

Der Musik wegen in die Oper?

 Hölzernes auch hier…

Quelle Süddeutsche Zeitung 1. August 2019 Seite 9 Statt Seelenschau nur Fernsehrealismus In Salzburg inszeniert Simon Stone Luigi Cherubinis Oper „Médée“ am Kern der Tragödie vorbei

Leiden für die Oper?

Zitat aus DIE ZEIT:

(…) starre ich auf die Wetter-App in meinem Handy. Bayreuth, 33 Grad im Schatten und 45 Grad in der Sonne, die Festspiele finden trotzdem statt. Auf meinem kurzen Fußmarsch zum Grünen Hügel versuche ich, die Wärmestrahlung von 1974 Wagnerianern auszurechen, so viele Besucher fasst der Zuschauerraum. Oben angekommen, habe ich das Gefühl, mir haute jemand mit einem Hammer auf den Kopf. (…)

Es wird gelacht an diesem Abend in der Bayreuther Gluthitze, auch unter Niveau, etwa wenn zu Tannhäusers gefürchteten „Erbarm dich mein!“-Rufen Ende des zweiten Akts (drei hohe As hintereinander!) die Festspielleiterin persönlich im Bild erscheint und 110 wählt. (…)

(…) Beim Duschen entdecke ich zwei blaue Flecken auf meiner Wirbelsäule. Die habe ich immer, wenn ich in Bayreuth war, das Gestühl ist für weniger Beleibte einfach zu hart. Und die Leihkissen wärmen.

Quelle DIE ZEIT 1. August 2019 So viel draußen war nie Die Oper mischt sich ein in die Klimawandelwelt: Eine Sommerfestspielreise nach Bayreuth zu Wagners „Tannhäuser“, nach München zu Händels „Agrippina“ und nach Salzburg zu Mozarts „Idomeneo“ und zu Cherubinis „Médée“ / Von Christine Lemke-Matwey

Noch ein Zitat aus demselben Text (Schluss):

Dass diese Passagen ohne Gesang und Musik, also ohne „Oper“, bewegender sind als der ganze Cherubini mit seiner strengen, etwas hölzernen Dramatik, zielt sicher mehr auf Öffnung und Erklärung als auf eine Kritik am Stück.

Der Grat ist hier definitiv schmaler als bei Mozart oder Wagner. Und sie steht ja auch immer mit auf dem Spiel, die Frage, wie lange wir von den Ressourcen unserer alten Partituren noch werden zehren können, ohne Raubbau zu treiben.

Der Sommer 2019 hat darauf nachhaltige Antworten gegeben.

ENDE 

Doch noch eine Fortsetzung… nagelneue Argumente… à propos Salzburger „Idomeneo“. Da schreibt Egbert Tholl u.a.:

Darf man das, in die Werkgestalt eingreifen, Arien, deren Inhalt man nicht erträgt, durch andere ersetzen, die meisten der ohnehin enervierend trögen [???] Secco-Rezitative streichen? Die Salzburger Festspiele sind ein Branchentreffen in vielerlei Hinsicht, so lernt man hier Kollegen kennen, bewundernswürdige Koryphäen der musikalischen Analyse beispielsweise, die die derzeitigen Aufführungen von „Idomeneo“ als persönlichen Anschlag auf ihre Ehre und ihr Seelenheil betrachten. Hört man dem Publikum zu, so ist dieses in Teilen eher davon genervt, auf einem 400-Euro-Sitzplatz in der Felsenreitschule mit Klimawandel und Umweltzerstörung konfrontiert zu werden und sich nicht einfach genüsslich zurücklehnen zu dürfen.

Darf man also machen, was Sellars und Currentzis taten? Man darf, ja man muss sogar. Man muss hier gar nicht noch einmal die Diskussion führen, dass Oper als Kunstform nur überlebt, nur ein neues, jüngeres Publikum anzieht, wenn diese Kunstform in irgendeinem Bezug zur Gegenwart steht – deshalb ist die Inszenierung als mahnende Installation zur Umweltzerstörung wichtig

Quelle Süddeutsche Zeitung 10./11. August Seite 15 Momente für die Zukunft Salzburger Festspiele Von Egbert Tholl

Wo aber bleibt nur das neue junge Publikum mit den 450-Euro-Sitzplatz-Karten? Es hat keine Zeit!

 12. August 2019

17.08.2019 Noch einmal: das Ende – das Ende…

ZITAT

Es gibt wenige Dirigenten, die sich derart in ein Werk hineingraben

Valery Gergiev gehört einerseits zu jenen viel beschäftigten Dirigenten, die gefühltermaßen an drei Orten gleichzeitig präsent sind; es gab Jahre, da flog er nachts von Salzburg zum Weiße-Nächte-Festival nach Petersburg und am nächsten Tag wieder zurück zu Proben im Festspielhaus. Andererseits gibt es wenige Dirigenten, die sich derart in ein Werk hineingraben und dabei die ausführenden Musiker ebenso genau studieren wie die Partitur. Da wird die Probenarbeit zu einer echten Entwicklungsphase, die in der Aufführung ihren Höhepunkt findet. Menschlich stressfrei, warmherzig, fachlich hoch konzentriert.

Gergiev genügen dann kleinste Signale in die Instrumentengruppen, um das gewünschte Klangergebnis zu erzielen. Das war an diesem Abend wirklich herausragend. Die Wiener Philharmoniker schienen sich mit dem Dirigenten und dem Werk geradezu verschworen zu haben, leuchteten in jeden versteckten Klangwinkel, spielten ihre ganze Souveränität und Opernerfahrung aus. Und das, obgleich sie keineswegs im Vordergrund standen und auch nie versuchten, sich dorthin zu spielen, sondern weitestgehend den Sängerdarstellern dienten, dazwischen ebenso dezent wie intensiv Stimmungen zauberten. Keine Tonangeberei. Kein vorlautes Blech. Keine gewitternden Streicher. Stattdessen Klanghochkultur und Klangverständnis, Musikdrama und eine differenzierte Basis für den Gesang.

Quelle Süddeutsche Zeitung 17.08.2019 Maria hilft Verdis Politoper „Simon Boccanegra“, dirigiert von Valery Gergiev bei den Salzburger Festspielen, ist musikalisch ein Ereignis / Von Helmut Mauró