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Fehlerteufelsuchgerät

Was uns fehlt

Kürzlich ist mir folgendes passiert: ich hatte das neue Beethoven-Buch von Hinrichsen in der Buchhandlung Jahn bestellt und öffnete, bevor ich es abholte, nochmal den Computer, um den Namen „Hinrichsen“ einzugeben. Und zwar hier oben rechts in dem Blogfensterchen und fand tatsächlich auf Anhieb den Artikel, der sich auf diesen Musikwissenschaftler bezog. Aber als ich den Text überflog, fuhr mir ein Schrecken ins Gebein – „was ist das??? – – – das kann doch nicht wahr sein!!!“ – da stand das Wort Ebergetik – was soll das denn heißen? Hat mein Gedächtnis derart nachgelassen? Das lädt doch zu Wortspielen aller Art ein, und das soll ich selbst geschrieben haben?! Ich gab den Satzteil bei Google ein, eine Art Gegenprobe, ob das etwa auch öffentlich…. – und im Handumdrehen steht da mein Name im Fensterchen und auch unverkennbar das Wort Ebergetik, ich möchte im Boden versinken… Bitte versuchen Sie’s , das funktioniert womöglich heute noch. Ich aber habe es garantiert eben zum allerletzten Mal verschriftlicht. Es muss natürlich sooooo heißen:

Unter dem Streit um die angemessene Beschreibungssprache verbirgt sich allerdings einer um die Methodenhoheit. Die Richtungen, für die Bekker und Halm stehen, lassen sich weit ins 19. Jahrhundert zurückverfolgen: Bekkers Ansatz ist der einer Hermeneutik, die jeder Musik nur insofern Substanz zuerkennt, als sie „Ausdruck“ ist und einer „poetischen Idee“ folgt; Halm hingegen ist Teil einer Strömung, die Rudolf Schäfke und, ihm folgend, auch Carl Dahlhaus später als „Energetik“ bezeichnet haben und die alle Motive und Themen in einem musikalischen Funktionszusammenhang von „tönenden Formen“ zu verstehen versucht.

Sehen Sie, würde ich sagen, das war doch im Jahre 2015, kurz vor Weihnachten, da hatte ich einfach keine Zeit, nochmal alles gründlich durchzuschauen. Aber mein riesiger Freundeskreis, die 10.000 Follower, keiner liest es! Oder liest es und lacht sich ins Fäustchen. Oder jemand denkt nur, was ist das denn für ein Wort, na, bei dem weiß man nie, ob er nicht einen Scherz eingebaut hat. Nein, hatte ich nicht, es ist einfach nur zum Schämen! Themawechsel:

Wie man sieht, habe ich schon eine gewisse Empfindlichkeit, gerade wenn mir ein Text wichtig ist. Eigentlich. Und so vermerke ich jedenfalls,  auf welcher Seite in meinem neuen Buch „Hundert Jahre Einsamkeit“ der erste Druckfehler steht, der erste Schreibfehler sogar, möchte ich behaupten. Entweder „deren sterblichen Rest“ oder „deren sterbliche Reste“, nur eins von beiden kann gelten, aber keine Kombination. Sowas kann passieren, inzwischen habe ich einen zweiten Fehler, erst wenn ich fünf bemerke, sage ich, das ist unzureichend lektoriert. Aber eine Folge, wenn auch keinen Erfolg, gab es immerhin: ein leiser Argwohn, der mich beim ersten Missverständnis meinerseits die Schuld auf die andere Seite schieben ließ. ZITAT:

Was geschah? Es sollte eine Doppelhochzeit werden, auch Rebeca Bundía sollte ihren Pietro Crespi heiraten, da kam der Brief mit der Nachricht, dass seine Mutter im Sterben liege. Der Sohn fährt sofort los, genauer: er „fuhr (…) in die Provinzhauptstadt und unterwegs an seiner Mutter vorbei“, was ich als saloppe Ausdrucksweise dafür empfand, dass er sie auch noch sah, so wie wenn ich zuhaus sage: ich fahre zum Bäcker, aber auch noch bei Jahn vorbei. Es ist möglich, dass ich dort vorbeifahre, aber doch wahrscheinlicher, dass ich unterwegs wirklich Station mache und nachfrage, ob – sagen wir – das Grundgesetz eingetroffen ist. Also: für mich war klar, dass er die Mutter angetroffen hat, Unsinn also, dass sie zugleich am Ort der Hochzeit eine traurige Arie gesungen haben konnte. Als ob ich beim Bäcker neben dem Brot auch noch das bei Jahn bestellte Buch ausgehändigt bekomme. Und alldas nagte in mir weiter, bis mir auffiel, dass es zu Amaranta durchaus passte, einen Lügenbrief zu verfassen. Ich hätte es ahnen können, war aber durch die Fehldeutung des Wortes „vorbeifahren“ (was ja durchaus wörtlich, aber erst recht in entgegengesetzter Richtung geschehen kann)  dermaßen auf dem falschen Trip – obwohl ich an manche Hürde im Gewirr der Geschichte gewöhnt war -, dass ich fast die Geduld verloren hätte.

*    *    *

Und nun lese ich heute den SPIEGEL, eine Ausnahme (wegen der Wuhan-Titelgeschichte), und was entdecke ich nach 10 Minuten? Auch hier hat der Druckfehlerteufel gewütet. Der typische Teufel des Computerzeitalters, da bleibt einfach ein Text stehen, der eliminiert werden sollte, und er bleibt stehen, weil er genau so perfekt aussieht wie der neu eingefügte, das gute alte Durchstreichen des Misslungenen gibt es ja nicht mehr. Und die Löschtaste betätigen kann man ja immer noch. Oder auch nicht…

Ansonsten habe ich in der Frühe, weil ich das adäqat fand, Mozart gehört, wie so oft in letzter Zeit mit Elly Ameling, und gedacht: Mozart singt sie fast am schönsten, aber den Text verstehe ich nicht unbedingt, ich will „Abendempfindung“ (ich weiß, es ist Morgen) im Smartphone nachschauen, fand stattdessen ein anderes Lied, – aber kam das überhaupt bei ihr vor? Das Traumbild – es ist noch unwirklicher geworden…

Sonst fand ich die Adresse „oxford lieder“ immer ganz zuverlässig. Aber dieses Gedicht kann nicht stimmen, „Glatze in der Stadt“ usw., auch noch Schlimmeres, sobald man selbst die Reime zu verbessern beginnt. Nicht wahr? (Andere Quelle im Angebot hier.)

Und während ich mich von meinem Bildschirm verabschiede, sehe ich die Mail des Kölner Stadtanzeigers, da geht es um Corona-Ängste und um Erleuchtete, alles brandgefährlich, ich muss nochmal zurück, vielleicht gehört meine Fehlerteufelsuchgerätobsession auch in diesen Syndrom-Bereich. Ich dachte schon, es hat mit den Zaubermaschinen des legendären Zigeuner Melquíades zu tun, stand da nicht etwas von Kopfschütteltuch? Steckt in dem Wort Kopftschütteln ein geheimes Zeichen? Kopftschütteln? Geheimzeichen T. Auf jeden Fall, – ein paar Schlagzeilen zum Schluss können nicht schaden, jeder von Fehlern aufgewreckte Leser ist ein Gewinn für das geistige Klima unseres Landes.

Die Welt ist verrückt. Oder wir reagieren wir einfach zu verkopft – früher ein beliebter Vorwurf, wenn man nicht dem Mainstream folgte -, für mich ist es vielleicht gefährlich, einen Roman zu lesen wie „Hundert Jahre Einsamkeit“, der Erzählmodus steckt an. Infiziert zu werden, das fehlte noch. Wie komme ich sonst auf das Wort „Kopftuchschüttelmaschine“? Ein Foto des immer noch mit den Augen lächelnden, blau maskierten Ministerpräsidenten brachte mich auf den Gedanken, wie glücklich man doch sein kann, Ohren zu besitzen. Zeitungslektüre am Morgen, ZITAT  :

Die Demonstrationen der vergangenen Tage gegen die Einschränkungen der persönlichen Freiheit im Kampf gegen das Coronavirus wirken verstörend. Da ist von Verschwörungen die Rede, da bilden sich beängstigende Allianzen zwischen Rechten und Leuten, die Aluminiumhütchen tragen, um sich vor Strahlen zu schützen. Und als wollte er den Abwieglern, Ignoranten und Märchenerzählern den Rücken stärken, fällt der mächtigste Politiker der Welt wieder einmal aus der Rolle. (…) Aber die Verschwörungstheoretiker freut es. Sie sehen in Trump eine mächtige Galionsfigur für ihr unseliges Wirken. Dabei reicht deren Verfolgungswahn inzwischen so weit, dass Microsoft-Gründer und Großspender Bill Gates als leibhaftiger Fürst der Finsternis herhalten muss, dem die unfreien Zweifler ihr vermeintliches [Corona-]Gefängnis zu verdanken haben.

Soweit der Kommentar. Ich zitiere Gabriel García Márquez:

Er drückte mit den Fingern in seine Leber und fügte hinzu: „Hier sitzt der Schmerz, der mich nicht schlafen lässt.“ Daraufhin schloss Doktor Noguera unter dem Vorwand, es käme zu viel Sonne herein, das Fenster und erklärte ihm in einfachen Worten, warum es eine patriotische Pflicht sei, Konservative umzubringen. Mehrere Tage lang trug Aureliano ein Fläschchen in der Hemdtasche. Alle zwei Stunden holte er es hervor, legte drei Globuli auf die Handfläche, warf sie mit Schwung ein und ließ sie dann langsam auf der Zunge zergehen. Don Apolinar Moscote machte sich über seinen Glauben an die Homöopathie lustig, aber diejenigen, die am Komplott beteiligt waren, erkannten ihn als einen der Ihrigen. Fast alle Söhne der Gründungsväter gehörten dazu, keiner wusste jedoch konkret, was für eine Aktion sie da ausheckten. An dem Tag jedoch, als der Arzt Aureliano das Geheimnis offenbarte, setzte der sich von der Verschwörung ab. Obwohl er davon überzeugt war, dass das konservative Regime schleunigst abgeschafft gehörte, löste der Plan Grauen in ihm aus. Sein System beschränkte sich auf die Koordinaten einer Reihe von Einzelaktionen, bei denen in einem Meisterschlag von nationaler Reichweite die Funktionäre des Regimes mit ihren jeweiligen Familien liquidiert werden sollten, vor allem auch Kinder, um den Konservatismus im Keim zu vernichten. Don Apolinar Moscote, seine Frau und seine sechs Töchter standen natürlich auch auf der Liste. „Sie sind weder ein Liberaler noch sonst irgendwas“, sagte Aureliano in aller Ruhe. „Sie sind nichts als ein Schlächter.“ – „Wenn dem so ist“, erwiderte der Doktor ebenso ruhig, „dann gib mit das Fläschchen zurück. Du brauchst es nicht mehr.“

Quellen 

Gabriel García Márquez: „Hundert Jahre Einsamkeit“. Roman / Neu übersetzt von Dagmar Ploetz / Fischer Taschenbuch Frankfurt am Main, November 2019. (Seite 128f)

Leitartikel Solinger Tageblatt 13. Mai 2020 Seite 2:  „Trump und die Corona-Leugner / Mächtige Galionsfigur“ Von Lothar Leuschen.

Nachtarg 30.06.2020

Wenn man selbst einmal ein Gymansium besucht hat, schmerzt es einen, dass man nach ein paar Wochen oft nicht mehr sagen kann, warum man dies oder das geschrieben hat. Was hat mich da getrieben? Jetzt habe ich es überdeutlich eilgesehen, ich suchte Beispeile für die Allgemeingültigkeit der altamerikanischen Lebensweisheit: „Shit happens.“ Jeden kann es treffen! Jederzeit. Aber man muss es auch wirklich verduetlichen, weil  die Autokorrektur im Kopf oft allzu verlässlich arbeitet.

Verduetlichung: