Archiv der Kategorie: Globalisierung

Zwei neue Bücher!

Phantom Afrika

Ich zitiere die Ankündigung, die am Ende meines Artikels vom 23.05.22 stand:

Nur noch etwas zum Vormerken: MICHEL LEIRIS: Phantom Afrika / Rezension F.A.Z lesen ! HIER dazu vorweg:

Produktbeschreibung (Durchgesehene und erweiterte Neuausgabe)

Michel Leiris wird gerade wieder neu entdeckt: als Kronzeuge kolonialer Raubkunst. Tatsächlich wird man kaum einen Autor finden, der die fragwürdigen Praktiken bei der Aneignung von Objekten durch Ethnografen in Afrika – Rettung durch Raub – so freimütig aus der Täterperspektive schildert. Die Ethnologen haben ihn nach diesen Enthüllungen zuerst als unseriösen »Literaten« verunglimpft, um Phantom Afrika (1934) später zum Vorbild für eine experimentelle Ethnografie in der ersten Person zu erklären. Aus heutiger Sicht bietet das von Surrealismus und Psychoanalyse inspirierte Tagebuch des Sekretärs der legendären, staatlich finanzierten Forschungs- und Sammlungsreise von Dakar nach Djibouti (1931-1933), der ersten und größten dieser Art, vielleicht noch grundlegendere Einsichten in die Paradoxien der Feldforschung im kolonialen Zeitalter. Denn der Surrealist mit Tropenhelm ist vor allem eins: schonungslos. Genauso wie die Methoden der Wissenschaftler seziert er seine Widersprüche und Obsessionen, dokumentiert seine exotistischen und kolonialistischen Vorstellungen. Zum Antikolonialisten wurde Leiris erst durch diese Erfahrung. So wird der Leser Zeuge, wie ein weißer europäischer Mann, der sich in Afrika auf die Suche nach Grenzerfahrungen macht, am Ende vor allem seine inneren Dämonen kennenlernt – nicht die schlechteste Voraussetzung, um die Geister und die Poesie der »Anderen« zu erforschen.

In den 1980er Jahren Kultbuch der bundesrepublikanischen Ethnoboom-Generation, war die deutsche Übersetzung von L’Afrique fantôme seit Langem vergriffen. In dieser u. a. um Leiris‘ Briefe an seine Frau erweiterten Neuausgabe wird das so singuläre wie epochale Zeugnis der Widersprüche des Kolonialismus zwischen Gier nach Besitz und Sehnsucht nach Besessenheit nun endlich wieder verfügbar.

Die Ankündigung der neuen Ausgabe also, die ich mir nicht bestellt habe, weil ich jemanden kenne, der mir nahesteht und sie in Kürze besitzen wird. Warum soll ich nicht (zum Vergleich) die alte Ausgabe vorziehen, die zum Kultbuch der 80er Jahre wurde, als ich versäumt habe, am Kult teilzunehmen? Zumal sie (antiquarisch) weniger als die Hälfte der neuen kostet… und das Vorwort von Hans-Jürgen Heinrichs stammt.

Tage des Durchblicks

Beispiele aus dem Leseleben

Es ist vielleicht so, dass man es nun mal braucht, in Tagen größter Verunsicherung eine höhere Aktivität zu entfalten, auch in Bereichen, die jeder Außenstehende für abseitig halten wird, und ich könnte nicht einmal zugeben, dass es nur zur eigenen Versicherung geschieht. Niemand bedarf meiner Arbeit an der Bach-Fuge BWV 865 (seit Dezember 2021!), und nur ich möchte diese Erfahrung nicht missen, wie ich meinen eigenen Widerstand, mein Missfallen, meine Blindheit des Gehörs  ganz allmählich überwunden habe.

glorreiches Ende – wer spricht von Siegen?

Es passt: die störende Cookies-Banderole am unteren Bildrand dieses Blogs, die ich nicht heraufbeschworen habe und auch nicht beseitigen kann, und wenn man sie anklickt,  ärgert sie einen doppelt durch sinnloses Bedauern.

Seit einer Woche die fortwährende parallele Beschäftigung mit dem Ukraine-Krieg, die Skrupel, sich überhaupt mit ferner liegenden Themen zu beschäftigen. Was bedeuten mir Tonleitern auf der Geige? Technische Grundlagen? Und was aus anderem Blickwinkel? Nichts. (Wenn jemand das hört? jämmerlich! Strickleitern!) Ich gehe durchs Haus, viele Stufen, ich kann Treppensteigen, abwärts, aufwärts, ich lebe noch. Das Klavier will belebt werden. Chopins E-dur-Etüde im legatissimo. Ich kenne die schweren Stellen der Bach-Fuge, die an sich eine Zumutung ist. Er war ein junger Mann, als er sie schrieb, rücksichtslos in seinen Forderungen, wieso muss er alle kontrapunktischen Künste durchziehen, alle auf einmal, und nachher klingt es nach Berserker, aber man freut sich, es endlich in den Griff zu bekommen. Wozu?

1988

Wann hatten wir das Nagasvaram-Ensemble aus Madras auf dem Domplatz zu Gast? Was für ein Sieg des Fremden über die Fernsehästhetik. Von wegen „näselnd“. Psychologisch steht die Zurna eher in der Nähe unserer Trompete. Auf der Seite der Sieger.

Ich beschäftige mich immer noch mit Oboen, „Reeds“ heißt die CD, die ich auflege, wenn ich die „Ohrwürmer“ hinter mir habe. Und Christians Bücher, die mich herausfordern. Alles wie neu. Und mit der ZEIT geht es noch weiter zurück, WDR 70er Jahre, der große Bericht von/über Désirée Nosbusch, die Redaktion Kinderfunk, da sah doch alles nach Aufbruch aus, Krings sprach mit leuchtenden Augen von Georg Bossert, –  alles sollte anders werden, besser natürlich, aus „Volksmusik“ sollte gerade  „Musik der Völker“ werden -, auch Lieder für Kinder spielten eine Rolle. Ich wusste bis heute nicht, dass der eben erwähnte, damals so provozierend jugendbewegte Mann 1995 von seinem Sohn erstochen worden ist.

Resilienz beginnt damit, dass man seine eigene Gesellschaft kennt. Wie man sagt, sinken große Schiffe auf dem Meer nicht wegen des Wassers um sie herum, sondern wegen des Wassers, das in sie eindringt. Gesellschaften können auf unterschiedliche Weise verwundbar sein, die gefährlichste ist es aber, wenn eine Regierung ihre eigene Gesellschaft falsch versteht und auf ihre eigene Propaganda hereinfällt. Putins Krieg in der Ukraine entwickelt sich zu einem klassischen Beleg dafür.  Der russische Präsident ist felsenfest überzeugt, dass Russen und Ukraine ein Volk sind, hat aber die Ukrainer nie dazu befragt. In Putins Fantasie sieht seine »Spezialoperation« wahrscheinlich wie die Wiedervereinigung Deutschlands 1990 aus. Aber die Teilung der Ukraine ist das genaue Gegenteil der Einheit. Und die Ukrainer wehren sich, sie kämpfen um ihre Freiheiten und ihre Unabhängigkeit.

Ivan Krastev

Heute ist der Tag, an dem in aller Frühe die ZEIT im Briefkasten steckt, und mir scheint, das voluminöse Blatt kam nie gelegener. Ich werde die wesentlichen Artikel gleich auflisten, in der Rangordnung ihrer Wesentlichkeit.

Alexander Kluge Der wichtigste Artikel heute.

»Sieger ist nicht, wer die Schlachten gewinnt« Der Krieg ist zurück in Europa. Ein Gespräch mit Alexander Kluge über das Böse und die Möglichkeit eines Frieden. Interview: Peter Neumann

Fritz Habekuss: Der Zweifel Schwächelnder Homo Sapiens (Seite 39)

Tobias Hürter: Da und gleichzeitig nicht da Werner Heisenberg revolutionierte die Physik mit seiner Unschärferelation. Sein Einfluss reicht bis in die Zukunft

Stefan Schmitt: Was für immer verloren geht, ist für immer verloren. Naturschutz verträgt keinen Aufschub. (Seite 1)

Giovanni di Lorenzo: Wie können wir uns wehren? Von einem Tag auf den anderen scheint das Land politisch ein anderes geworden zu sein. Die Frage aber ist, ob die Gesellschaft da mitgeht. (Seite 1)

Alexander Kluge:

Wir können auf keinen Fall eine Übersichtsposition für uns beanspruchen: so als könnte jeder ein Richter in dieser Sache sein. Mir kam es natürlich auch bizarr vor, wie Putin da mit Macron oder Scholz an diesem langen Tisch zusammensitzt. Oder wie er seinen eigenen Geheimdienstchef abkanzelt. Aber ist es Theater, ist es Darstellung von Macht wie im 18. Jahrhundert, ist es Verrücktheit oder Kalkül? Das kann ich nicht beurteilen. Als Jurist weiß ich, dass der Rechtsprechung, dem Urteil von zwanzig Zeilen, oft dreißig Seiten Sachverhalt vorausgehen. Und die haben wir nicht.

Man muss den ganzen Apparat resetten. Und zwar auf beiden Seiten.

Sieger ist nicht, wer die Schlachten gewinnt – Sieger ist, wer einen Frieden herstellt.  (Beispiel:)

JR Ich hatte noch etwa eine lange Seite weiter abgeschrieben, während das Räsonnieren in mir immer lauter wurde: „Er versucht das flammende Unrecht zu relativieren“, und ich las alles aufs neue, versuchte ihn besser zu verstehen und wusste am Ende: es ist mir unmöglich, neutral zu verhandeln, wenn sozusagen der Teufel im Gerichtssaal gleiches Stimmrecht oder auch nur Mitspracherecht haben soll. Ich bin ungeeignet. Ich will mich gar nicht einigen. Ich will einen Schuldspruch, sofort. Ich gebe noch einen Teil der Abschrift, bevor ich pausiere:

Das Völkerrecht ist entstanden im Umkreis von Münster und Osnabrück 1648. Dort wird damals ein achtzigjähriger Krieg zwischen den Niederlanden und Spanien und zeitgleichg ein dreißigjähriger Krieg in Mitteleuropa in einem fünf Jahrer dauernden Verhandlungsprozess beendet. Das Entscheidende an diesem Westfälischen Frieden ist die Feststellung des »Normaljahrs«. Man einigt sich darauf, dass der evangelische und katholische Besitzstand so bleiben odfer wiederhergestellt werden soll, wie er am 1. Januar 1624 war. Dies ist der Schnittpunkt der Schmerzlinie für alle Parteien, der einzige Zeitpunkt, an dem nicht die eine Seite mehr gesiegt hatte als die andere. Dieser Punkt ist ein kleiner Möglichkeitsraum. Diesen Möglichkeitsraum zu finden und auszuverhandeln, das war der Schlüssel zum Frieden. (Was heißt das in Bezug auf den Krieg in der Ukraine?)

Zuerst: keine Politik oder Redeweise der Selbstgewissheit. In der derzeitigen Debatte behauptet jede Seite, jedes Gremium, die Übersicht zu haben. Die gibt es aber gar nicht. Wir sprechen mit dem großen Kriegstheoretiker Carl von Clausewitz von den »Nebeln des Krieges«. Sowie der Krieg ausbricht, ist alles unbestimmt. Dieses Nebelhafte, dieses Unbestimmtheitsfeld, ist die Herausforderung, auf die wir antworten müssen. Und deswegen können wir mit einer Psychologisierung Putins oder mit einer moralischen Haltung, die wir im Westen alle teilen, keine Sicherheitsstruktur gewinnen. Immanuel Kant hat einmal sehr schön gesagt: Selbst eine Welt von Teufeln, sofern sie die Regeln der Vernunft anwenden, könnte eine Republik gründen. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich bin in keiner Frage gleichgültig. Meine Urteilsbasis ist: Wo wäre selbst für einen Verrückten oder einen Bösen der Punkt, an dem er sich aus Realitätsgründen einigen kann? (…)

Die Hoffnung auf einen gerechten Frieden verengt den Möglichkeitsraum. Der Krieg ist ein Monster. Sein erstes Element ist, wie gesagt, die Nebelhaftigkeit.

Soweit Alexander Kluge. (DIE ZEIT SEITE 59)

Liegt der Fall heute nicht ganz anders? Es geht nicht in Richtung Republik, sondern David gegen Goliath, und diesmal zum Nachteil des ersteren. Wie es Giovanni di Lorenzo in seinem Leitartikel sagt:

Es sind nicht »wir«, die Frieden in die Ukraine oder nach Russland oder an irgendeinen anderen Ort der Welt tragen müssten. Den Krieg führen doch Putin und seine Soldaten. Es ist nicht nur für Deutschland, aber besonders für die Menschen hier, eine brutale Konfrontation mit der Realität. Was tun, wenn jemand weder durch gute Worte noch durch gute Taten, noch durch Konzessionen zu besänftigen ist? Wenn er aus Machtstreben und Verblendung das Böse in die Welt trägt? Wenn er Völker überfällt, Menschen tötet und ihre demokratisch gewählten Vertreter von tschetschenischen Killerbanden jagen lässt? (…)

Der Korrespondent der BBC in Moskau, Steve Rosenberg, hat (…) gerade in einem fulminanten Text dargelegt, wie Putin bislang alle Drohungen wahr gemacht hat, obwohl sich das im Westen keiner vorstellen wollte. Und dass er bereits 2018 kundgetan hat, mit schärfsten Waffen auf jeden »Entschluss« zu reagieren, »Russland zu vernichten« – was auch immer er darunter versteht. Putin sagte damals: »Ja, das wäre eine Katastrophe für die Menschheit und die Welt … Aber warum bräuchten wir eine Welt ohne Russland?« Man kann nur hoffen, dass Putins Ankündigung dieses Mal wirklich nur eine Drohung ist, obwohl er mit einiger Sicherheit davon ausgehen kann, dass der Westen selbst auf einen Nuklearschlag militärisch nicht reagieren würde. Er weiß, was von einer Welt übrig bliebe, die sich mit Atomwaffen bekriegte.

Quelle DIE ZEIT 2.3.22 Seite 1 Giovanni di Lorenzo Wie können wir uns wehren? Von einem Tag auf den anderen scheint das Land politisch ein anderes geworden zu sein. Die Frage aber ist, ob die Gesellschaft da mitgeht.

Seltsam, wie man dazu neigt, nach solchen aktuell bezogenen Artikeln alles andere auch damit im Zusammenhang zu sehen. Was uns droht, ist absolut anders als zu Napoleons oder Hannibals Zeiten, und auch die Tabula rasa nach dem Dreißigjährigen Krieg sah immerhin noch nach Zukunft aus.

Und so lese ich den Habekuss-Artikel als eine Wende der Evolutionsgeschichte:

Bisher deuteten fast alle Funde darauf hin, dass Homo sapiens vor 43.000 bis 45.000 Jahren auf dem Kontinent ankam. Der war damals Heimat der Neandertaler, die kurz darauf ausstarben. Die Schlussfolgerung lautete: Der moderne Mensch war dem Neandertaler haushoch überlegen, sodass er ihn binnen kurzer Zeit verdrängte. Es war nicht gerade eine Erzählung der Bescheidenheit.

Nun zeigen Funde in einer Höhle in Südfrankreich ein viel komplexerer Bild. In der Grotte Mandrin, von der aus man das Rhônetal überbvlickt, fanden die Archäologinnen und Anthropologen in verschiedenen Schichten Steinwerkzeuge und Zähne. Die meisten stammen von Neandertalern, einige jedoch von modernen Menschern. Das Besondere: Die Funde wechseln einander ab. Vor 80.000 Jahren lebten hier Neandertaler, bis vor 54.000 Jahren Homo sapiens auftauchte – wenngleich nur für 40 Jahre. Dann übernahmen erneut Neandertaler. Rund 10.000 Jahre später lassen sich wieder Homo-sapiens-Spuren nachweisen.

Diese Forschungsergebnisse datieren die Ankunft des modernen Menschen in Europa gut 10.000 Jahre nach vorn – ein gewaltiger Sprung. Das heißt, seine Ausbreitung ging langsamer vonstatten und war weniger geradliniug als vermutet. Homo sapiens scheint sich zunächst so schwergetan haben im neuen Lebensraum, dass er wieder verschwand. Die Funde sind spannend, weil sie zeigen, dass die Welt nie so simpel gewesen ist, wie es uns die Erzählung von Homo sapiens in Europa glauben machen wollte. Kein Zweifel: die kommenden Jahre werden das Bild noch weiter verfeinern.

Quelle Fritz Habekuss: Der Zweifel Schwächelnder Homo sapiens / DIE ZEIT 2.3.22 Seite 39

Siehe auch Wikipedia die Grotte Mandrin, Artikel zuletzt bearbeitet am 13. Februar 2022.

Was will ich als nächstes notieren? Heisenbergs Physik der Unschärferelation oder die Geschichte von Désirée Nosbusch, die im WDR begann, weltenfern, aber nicht weit von den Eckpunkten meiner Arbeitswelt, die damals durch Budengasse, Heinzelmännchenbrunnen, Musikhaus Tonger, Wallrafplatz, Funkhaus, Sendesaal, Domplatz und Hauptbahnhof bezeichnet werden konnte.

Die Theorie bestimmt, was man beobachten kann. Wenn nun die Quantenmechanik eine prinzipielle Grenze dafür setzt, wie genau sich Ort und Geschwindigkeit eines Teichens messenb lassen, dann sind diese Größen eben unbestimmt: Es ist nicht nur so, dass man sie nicht genau kennt. Die Welt selbst verschwimmt. Nicht nur unser Blick auf sie. Das ist der unerhörte Kern jener Formel, die Heisenberg damals hinschreibt: die Unschärferelation. (…)

Auch der Begriff Unschärfe lässt Spielraum für die Antwort auf die Schlüsselfrage: Was ist unscharf? Unser Bild von der Welt? Oder die Welt selbst? Hat das Elektron in Heisenbergs Gedankenversuch tatsächlich keinen eindeutigen Ort und keine eindeutige Geschwindigkeit – oder kennt die Beobachterin diese Größen nur nicht?

Für einige Kollegen Heisenbergs ist die Vorstellung, die Welt sei irgendwie unscharf und die Kausalität außer Kraft gesetzt, nicht akzeptabel. »Wenn schon, dasnn möchte ich lieber Schuster oder gar Angestellter einer Spielband sein als Physiker«, erklärt Albert Einstein. Er und Erwin Schrödinger, die beide an der Entstehung der Quantenmechanik mitgewirkt hatten, werden zu Dissidenten. Einstein versucht jahrelang, die Unschärferelation zu widerlegen und eine »schärfere« Beschreibung der Welt zu finden. Vergebens.

Die Quantenmechanik ist so erfolgreich, dass sich auch Wissenschaftler anderer Disziplinen darum bemühen, von ihrem Erfolg zu profitieren. So gab es Versuche, die Unschärferelation in die Anthropologie und die Filmtheorie zu übertragen. Die Anwesenheit ethnografischer Beobachter beeinflusst die beobachteten Menschen. Die Präsenz einer Kamera beeinflusst die gefilmten Ereignisse.

Physiker sind selten erfreut, wenn ihre Unschärferelation zweckentfremdet wird, um Trivialitäten wie »Alles ist irgendwie ungewiss« Gewicht zu verleihen. Sie reagieren alleergisch auf jede Form von »Quantenpoesie«. Aber sie sind nun mal das Vorbild dafür, wie man sich in einer unscharfen Welt zurechtfindet.

Quelle DIE ZEIT 2.3.22 Seite 46 Tobias Hürter: Da und gleichzeitig nicht da / Werner Heisenberg revolutionierte die Physik mit seiner Unschärferelation. Sein Einfluss reicht bis in die Zukunft.

Ganz neu ist mir das alles nicht, vorn in dem Heisenberg-Band steht der Eintrag: August 1956. Gekauft wohl in den Ferien auf Langeoog. Unsere Welt galt uns als harmonisch, wie man sieht, – auch das ein unscharfes Bild:

Unter Brüdern

Heute ist sie auseinandergefallen. (Andererseits: sie bildet sich neu, und es blieben Kinder und EnkelInnen.)

Am Klavier

Bachs Lamentoformel

Ein Vortrag von Wilibald Gurlitt 1950

Nicht zu verwechseln mit Cornelius, dem Neffen: Erinnerung also an Wilibald Gurlitt . Er nannte es nicht Lamento-Formel, das kam erst viel später auf. Aber hätte ich davon schon in den 50er Jahren gewusst (wäre mein Leben anders verlaufen), nein, so wollte ich es nicht sagen.  Aber ich kannte es doch schon früh von Bachs Invention  f-moll, „O Haupt voll Blut und Wunden“ und – von Carl Orff (Die Kluge „Oh, hätt ich meiner Tochter nur geglaubt„.)

Aber da es schon längst auf eine Formel gebracht worden war, hätte ich vielleicht auch schon früher auf den arabischen Maqam Kurdi kommen können, statt erst 1967. Oder zu einer Obsession wie in der Sendereihe von der „Reise des Ohrs“, und dort am 23. Mai 1987:

Immerhin war ich Anfang der 50er Jahre schon mit Kara ben Nemsi durchs wilde Kurdistan gereist. Ich kann genau sagen wie: wenn man heute von der Autobahnabfahrt Exter nach Bad Oeynhausen fährt, die gewundene Detmolder Straße hinab, dann kommt man in Lohe zu der Abbiegung eines breiten, heute asphaltierten Weges, der zur Rossittener Straße führt oder selbst schon so heißt, und genau dort, an der Ecke rechts, gab es einen Schreibwarenladen mit Leihbücherei und darin jede Menge Lesestoff, ja, und ich begann dann, im Haus Nr. 171 arabische Sätze abzuschreiben, die ich später vielleicht sogar bei meiner Orienttournee 1967 hätte anwenden können, wenn man mich rechtzeitig in der Aussprache unterwiesen hätte. So aber ist das Wissen meiner Kindheit untergegangen, und nach Selbsteinschätzung nahm es erst in Bielefeld festere Formen an, als ich die kleine Chronik der Anna Magdalena Bach in die Finger bekam, womöglich gleichzeitig mit „Quo vadis“ und „Die Kreuzritter“ von Sienkiewicz.

Bach-Forschung 1950

Und jetzt also 1950, Leipzig, Bach-Tagung, mit einer Reihe illustrer Referenten…

und alles in Licht und Schatten getaucht (aus meinem Scanner):

Quelle Bericht über die wissenschaftliche Bachtagung Leipzig 23. bis 26. Juli 1950 / Im Auftrag des Bach-Ausschusses 1950 / Herausgegeben von Walther Vetter und Ernst Herrmann Meyer / Bearbeitet von Hans Heinrich Eggebrecht ( C.F.Peters Leipzig

Musik und Allmacht

Lieber das Buch lesen oder ein solches Gespräch hören?

Je länger, desto motivierter. Und erst recht, wenn die beiden Protagonisten auf die Musik zu sprechen kommen, – der die grenzenlose Verfügbarkeit Schaden zufügt. Es sind wohl Pop-Hörer, aber was sie sagen, gilt auch in der Klassik.

Pressetext Suhrkamp

Unverfügbarkeit

Das zentrale Bestreben der Moderne gilt der Vergrößerung der eigenen Reichweite, des Zugriffs auf die Welt: Diese verfügbare Welt ist jedoch, so Hartmut Rosas brisante These, eine verstummte, mit ihr gibt es keinen Dialog mehr. Gegen diese fortschreitende Entfremdung zwischen Mensch und Welt setzt Rosa die »Resonanz«, als klingende, unberechenbare Beziehung mit einer nicht-verfügbaren Welt. Zur Resonanz kommt es, wenn wir uns auf Fremdes, Irritierendes einlassen, auf all das, was sich außerhalb unserer kontrollierenden Reichweite befindet. Das Ergebnis dieses Prozesses lässt sich nicht vorhersagen oder planen, daher eignet dem Ereignis der Resonanz immer auch ein Moment der Unverfügbarkeit.

Mit dem Resonanz-Phänomen hatte ich mich damals auseinandergesetzt. Kritisch? Rat an mich also: noch einmal ansehen, präparieren, repetieren:

Resonanz

Subreption

Unruhe und rasender Stillstand

Ethnologie im Alltag

Musikbezug ab 34:50 (Umgang mit CD, physischen „Konserven“ ↔ Spotify, youtube u.ä):

Oder hier:

https://www.zdf.de/gesellschaft/precht/precht-236.html hier

ZDF Pressetext

Was macht das mit unserem Bewusstsein von der Welt und von uns selbst? Bekommen wir das Leben durch diese digitale Welterweiterung besser in den Griff oder verlieren wir es aus dem Blick? Macht die digitale Technik uns freier und mächtiger oder abhängiger und ohnmächtiger? Darüber spricht Richard David Precht mit dem Soziologen Hartmut Rosa.

Plädoyer für „Unverfügbarkeit“

Hartmut Rosa beschäftigt sich als Wissenschaftler und Autor mit der digitalen Moderne und hält ein leidenschaftliches Plädoyer für die „Unverfügbarkeit“, wie er es nennt. Unverfügbar sind all die Dinge in unserem Leben, die sich nicht nur unserer, sondern auch der digitalen Kontrolle entziehen können.

Das zentrale Versprechen moderner Technologie sei doch die Bequemlichkeit, so Richard David Precht im Gespräch mit Hartmut Rosa. Mit ihr können wir mühelos über uns und die Welt verfügen und sie kontrollieren. Wir sehnen uns danach, eine immer komplexere Wirklichkeit beherrschbarer und zugänglicher zu machen. Das sei doch das natürliche Streben des Menschen, spätestens seit er vom Jäger zum Sammler wurde.

Trügerisches Gefühl von Allmacht und totaler Kontrolle

Entscheidend dafür, dass die Wahrnehmung der Welt wirklich glücken kann, hält Hartmut Rosa dagegen, sei eine lebendige Resonanz zu den Menschen und Dingen. Diese Wechselbeziehung gehe verloren. Viele dieser ursprünglich lebendigen Verbindungen werden in unserem modernen digitalen Lebensgefühl immer indirekter und eindimensionaler. Und wir wiegen uns, so befürchtet Rosa, in einem trügerischen Gefühl von Allmacht und totaler Kontrolle, das uns letztlich von der Welt zu entfremden droht.

Wir sind immer weniger auf andere Menschen angewiesen und verlernen dadurch, mit dem Unberechenbaren umzugehen. Wie zum Beispiel Touristinnen, die eine Kreuzfahrt mit „Polarlichtgarantie“ oder eine Safari mit „Löwengarantie“ buchen und ihr Geld zurück haben wollen, wenn die versprochenen Naturereignisse ausbleiben. Sie haben ein anderes Verhältnis zum Leben und zur Welt als ein Mensch, der sich darüber freuen kann, dass plötzlich und unerwartet der erste Schnee fällt.

Scheinbar immer weniger angewiesen auf andere, machen wir uns gleichzeitig immer abhängiger von einer Technik, die jederzeit funktionieren und verfügbar sein soll. Trotz des enormen technischen Fortschritts bekommen wir aber weder globale Krisen wie den Klimawandel noch die Corona-Pandemie in den Griff. Hier droht für Hartmut Rosa die Unverfügbarkeit ins Monströse umzuschlagen, in einen völligen Kontrollverlust.

Ganz in der Tradition der kritischen Theorie sucht und forscht der Soziologe und Politikwissenschaftler Hartmut Rosa nach Gegenkonzepten zu unserer allgegenwärtigen Erfahrung der Entfremdung und Beschleunigung. In seinem Buch „Unverfügbarkeit“ macht er das moderne Streben nach vollkommener Verfügbarkeit und Kontrolle für ein Verstummen der Welt verantwortlich. Wie die menschliche Beziehung zur Welt glücken könnte, hat er in seinem Werk „Resonanz: Eine Soziologie der Weltbeziehung“ untersucht.

Das Buch ist da:

Zeitung Berlin 1935

Ein Zufallsfund

„Liebe in Zeiten des Hasses – Chronik eines Gefühls 1929-1939“ (Florian Illies). Viele Episoden spielen in Berlin. Als Ergänzung zum Buch sollte man vielleicht die Filme, das Herzenslied mit Marta Eggerth oder auch nur die eine Zeitungsseite jener Jahre ganz ernst nehmen, so zufällig das alles aussieht…

Eine Zeitungsseite, die sich in einem alten Buchexemplar von Curt Sachs befand, dem Handbuch der Musikinstrumentenkunde (1920), aus dem ich – es an beliebiger Stelle aufschlagend – etwas ganz Neues lernte, „wie vom Blitz getroffen“: woher kommt das Wort „Inventionshorn“? Bitte eine schnelle Antwort. Nachfrage: was hat es – sagen wir – mit einer Bach-Invention gemeinsam? Antwort: (natürlich nichts, nein, noch weniger!) siehe ganz am Ende dieses Artikels.

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Alle Namen und Filme sind im Internet greifbar, u.a. der Zeitungsmacher Scherl, der Schachmeister Friedrich Sämisch, natürlich auch Hans Hickmann (!) oder der Sänger Leo Slezak, den mein Vater in seiner Berliner Zeit als Korrepetitor am Klavier begleitet hat. (Vielleicht nur beim Üben? Jedenfalls hat der ihm die Bücher „Meine sämtlichen Werke“ und „Der Wortbruch“ mit Widmung überreicht.)

Hier noch eine Geldüberweisung von Artur an seine Schwester Ruth in Berlin, die einst meine liebe Patentante werden sollte, die ihm damals wohl das Göschen-Buch über die „Technik der deutschen Gesangskunst“ von Hans Joachim Moser (!) nach Belgard (an der Persante) übersandt hatte; und den Beleg konnte er als Erinnerungs- und Lesezeichen verwenden.

Moser war in den 5oer Jahren durchaus Gesprächsthema bei uns zuhaus, ich studierte seine Bücher, mein Vater „flachste“ über seinen „blumig-barocken“ Sprachduktus (1954), sie lasen Mosers Liebesroman über Robert Schumann und Clara, von Tante Ruth bekam ich die Musikgeschichte (1), die ich sorgfältig zu studieren versuchte, von meinen Eltern die „Musikgeschichte in hundert Lebensbildern“ (2), – aber niemals gab es bei uns das Thema NS-Zeit, die noch nicht weit zurücklag, in fernster Ferne.

(1) (2)

Das Fragezeichen am Rand des zweiten Buches stammt von mir, ich wurde gerade 14, die Seitenzahl 167 bezieht sich auf einen lächerlich ähnlichen Satz im Monteverdi-Artikel:

Im Sommer 1643 besuchte er zum Abschiednehmen die Stätten vergangener Tage in Cremona und Mantua, kehrte dann nach Venedig zurück und schlummerte nach neuntägigem Krankenlager im Spätherbst in das Reich jenseitiger Harmonien hinüber.

Ja, der Musikwissenschaftler Moser war durchaus ein Romantiker. Aber seine Tätigkeit im untergegangenen diesseitigen Reich holte ihn doch immer wieder ein…

Und ich blieb ziemlich ahnungslos, obwohl ich Dostojewskij (und Tolstoi) las. Aber das war ja ein ganz anderes Jahrhundert…

*     *     *

Was war nun mit dem Horn bei Curt Sachs? Folgt gleich, aber es gab noch viel mehr. In dem Buch fand sich nicht nur die Zeitungsseite, die jemand aufbewahrt hat, sondern auch noch eine Postkarte, die ich ablichte, um nun Sie zu veranlassen nachzuschauen, wer Hermann Diener ist, – geht er uns was an??? Ist es wichtig zu wissen, dass er kurzzeitig bei Bram Eldering (s.a. hier) Violinunterricht hatte, jedoch in Berlin 1955 infolge eines Unfalls beim Schlittschuhlaufen gestorben ist? Oh Gott, ich fürchte, dass es auf dem Schlachtensee geschah, den ich kennenlernte, als ich 1960 bei Doris Winkler Gesangsunterricht hatte, der Lehrerin von Elfride Trötschel, die ich vom „Dulcissime“ der Carmina Burana-Platte kannte, die mir mein Onkel Hans geschenkt hatte. Alt, und ohne Hülle. Jeder Punkt eine Geschichte für sich…

 

Ich fürchte auch, dass diese Geschichte kein Ende nehmen will, – die Karte gehört, wie der Poststempel erzählt, schon ins Zeitalter der Werktätigen, warum schreibt denn Hermann Diener an Dr. Peter Wackernagel?

Soll ich aufhören? Das Buch stammt dem Besitz meines Freundes Christian Schneider, der es von seinem Vater geerbt hat, Prof. Michael Schneider, und diese Spur führt nach Berlin, wo er von 1958 bis 1965 lehrte, bevor er nach Köln kam…

Und nun ist der Inhalt der aufklappbaren Postkarte fällig, eine Einladung folgenden Inhalts:

Ewald Vetter und Paul Bildt

Das Collegium Musicum Hermann Diener dient … ja, mein Gott! er dient und dient u.a. der Verbindung von  Musik und Malerei, und das Thema erwischt mich auch nicht zum ersten Mal. Gestern allerdings ganz ohne Musik, nur eben dieselbe Zeit beschwörend. Oder vielmehr – die der Generation vorher, Aufbruchszeit des großen Musikwissenschaftlers Curt Sachs, der seine Dissertation über Andrea del Verrocchio geschrieben hat. Formenwelt der Musik und der Malerei. Gemeinsamkeit! HIER.

Wie allein bin ich?

Einzeln, einsam oder wirklich allein?

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Safranski bezieht sich auf Burckhardt

Jacob Burckhardt – das ist mein Italien (Michelangelo)

.    .    .    .    . Notiz im Buch

Meine Mutter hatte das hineingeschrieben, ein Geschenk also von Frieder Lötzsch, einem Klavierschüler meines Vaters, in dessen Todesjahr 1959. Er galt als intellektuelles Wunderkind, als er auf Langeoog mit den Älteren diskutierte; er belehrte sie alle und zitierte Aristoteles (Thema „Persönlichkeit“). Nach Jahrzehnten traf ich ihn bei einem Ehemaligen-Treffen in Bielefeld wieder, wir hatten uns nicht viel zu sagen. Seine Veröffentlichung des Jahres 2006 betraf einen unserer ehemaligen Lehrer, den Philosophen Helmuth Dempe, den ich erinnere dank eines heftigen „Gesprächs“, das zwischen ihm und meinem Vater entbrannte, beide recht intensive Rechthaber. Beim Kaffee im Freudental an der Sparrenburg-Promenade. Lauter typische Einzelne. Wie auch ich, im jüngeren Umfeld, zumal ich Geige spielte und klassische Musik ernst nahm. Sehr befremdend eigentlich, dass ich – obwohl Altsprachler und eher schüchtern – zum Schulsprecher gewählt wurde.

Es ist eigentlich immer dasselbe Problem mit den Anderen: ob man mehr vom Individuum her denkt – oder mehr von der Gesellschaft, der Gemeinschaft, der Freundschaft, den Außenbindungen her denkt. Man kann es überall herauslesen, wenn man will. Ein Beispiel: das aktuelle Spiegelgespräch:

Quelle Der Spiegel Nr.46 / 13.11.2021 Seite 96 (Gespräch Christiane Hoffmann mit Timothy Garton Ash).

Gab es nicht schon immer „Persönlichkeiten“? Leute mit bedeutender Ausstrahlung?

Renaissance, Wiedergeburt. Und Gegenwart.

Hannah Arendt nach Safranski

Das muss man verinnerlichen, den Satz von der „Balance zwischen Einheit und Vielheit“. Die Demokratie bewirke und bewege die Lebendigkeit der Gesellschaft dadurch, dass die Einzelnen einander dabei helfen, jeweils neu anzufangen. „Doch die damit einhergehende Nichtübereinstimmung der Individuen muss lebbar bleiben. Das leistet die Demokratie mit ihrem rechtsstaatlichen Regelwerk, das den Differenzen und der Pluralität einen Rahmen gibt. Nur so entsteht die Balance zwischen Einheit und Vielheit. “

Jeder kommt von einem anderen Anfang her und wird an einem ganz eigenen Ende aufhören.

Aber das ist im realen Leben eine zu abstrakte Formel. Denn das Kernproblem liegt heute anders: Wir leben in einer Kultur,

die getrieben ist von einem Konzept der Unendlichkeit, dem unerschütterlichen Glauben daran, dass alles für immer so weitergeht. Diese Kultur ist sehr erfolgreich. Aber wenn man es mit Endlichkeitsproblemen zu tun hat, ist es nicht ideal, keine Vorstellung von Endlichkeit zu haben. Und die Themen, die aus meiner Sicht das 21. Jahrhunderrt bestimmen – Artensterben, Klimawandel und alle anderen ökologischen Probleme – sind Endlichkeitsprobleme. Wenn die Insekten weg sind, sind sie weg. Und wir auch. Ganz einfach.

So Harald Welzer im Interview der Süddeutschen Zeitung (Johanna Adorján) am 13./14. November 2021 (Seite 56), und es wird konstatiert:

2020 hat die tote Masse auf diesem Planeten die Biomasse erstmals übertroffen. Das bedeutet, es gab auf der Welt mehr Menschgemachtes als Natur.

Mehr, mehr, mehr. Die Litanei der Ökonomen.

Wenn etwas Großes passiert ist wie die letzte Finanzkrise, stehen sie da und sagen: „Huch“. Dann schweigen sie drei Monate. Und wenn die Politik agiert hat, sagen sie: „Im nächsten Quartal rechnen wir mit einem Wachstum von soundso viel Prozent.“ Mehr Beitrag haben sie nicht. Auch bei Corona: keine einzige Idee. Nur Hochrechnungen, ab wann wieder mit Wachstum zu rechnen ist. (…)

Harald Welzer gibt einen interessanten Hinweis zur Sprachpraxis, nämlich, statt „Wachstum“ immer „gesteigerter Verbrauch“ zu sagen. Er sagt:

Man stelle sich nur mal vor, der Koalitionsvertrag, den wir bald sehen werden, beginnt mit der Aussage: „Wir werden für gesteigerten Verbrauch sorgen“. Klingt gleich ganz anders, oder? Dann wäre bestimmt ein anderes Bewusstsein dafür da, was diese wohlklingenden Wachstumsbeschwörungen in Wahrheit immer bedeuten. Vor allem für die Umwelt.

Das war am Wochenende zu lesen. Sehr interessant auch seine These, die an Ernst Bloch anknüpft: „Gott wurde säkularisiert, der Teufel aber nicht.“

Ja, die Aufklärung hat nur Gott für tot erklärt. Den Teufel – das Prinzip des Widersacherischen, wie es bei Bloch heißt – nicht. Und so kommt es, dass es bei jeder Katastrophe dieselbe riesige Überraschung gibt. Ein Amoklauf an einer Schule in Amerika: Na so etwas, wie konnte denn das passieren? Der Unfall, die Katastrophe, das Misslingen ist in unserer Gesellschaft systematisch nicht vorgesehen. Es wird immer als Unfall gesehen, als Abweichung von der Normalität, nicht jedoch als Teil der Normalität. (…) Ein Unglück, ein Terroranschlag, ein Erdbeben wird immer als einzelnes Phänomen betrachtet. Eine Art negatives Wunder, dass es überhaupt geschah. Es wird völlig überhöht, ist „tragisch“, „unvorstellbar“. Es muss dann auch immer ein Schuldiger gefunden werden, der das zu verantworten hatte. Dabei, und jetzt kommen wir wieder zum Thema Endlichkeit: Es kann nicht immer gutgehen. Es kann immer etwas passieren. Man muss sogar damit rechnen, dass schreckliche Dinge passieren.

Und heute liegt das Buch vor mir, „Nachruf auf mich selbst“ – einzelner geht es nicht:

Welzer: Nachruf auf mich selbst

dies bewegte mich 1980 / 1982 – die Unterstreichungen stammen von damals . . . rückblickend finde ich mich damals jung …

Die 90er Jahre?

Nach der „Jahrtausendwende“ – ein großer Sprung:

Berlin 2017 / 2019 München 2019

Donnerstag 18.11. 2021 – die neue ZEIT ist da: ich habe Zeit, sie zu durchblättern, schließlich bin ich nicht allein, der Kaffee ist längst fertig. Seelenlage: ausgeglichen.

Aber ich bin abgelenkt durch Artikel und Blickfang auf der nächsten Seite: Foto gemeinfrei. Denn der abgebildete Springer, ein junger Mann, war schon damals tot, sonst wäre dies kein antikes Grabmal.

Paestum um 480 v. Chr. s.a. hier

Zurück zu „Seelenlage: Schmerzlich“. Da heißt es zu dem Buch von Daniel Schreiber („Allein“):

Schreiber ist Experte für Tabus. Er hatte 2017 in dem schmalen Band Zuhause erzählt, wie er sich als schwuler Junge in einem ostdeutschen Kaff durch die Kindheit litt. In Nüchtern (2014) geht es um Sucht. Der Autor weiß, wie es sich anfühlt, randständig zu sein, beäugt und beurteilt zu werden. Alleinsein, schreibt er, ist etwas, was auch anderen Furcht einjagt, weil Einsamkeit als ansteckend wahrgenommen wird, sie ist mit Scham behaftet, wird versteckt.

Es ist die Selbstoffenbarung, die Schreibers Buch von dem Werk Rüdiger Safranskis gänzlich unterscheidet, auch wenn die Titel ähnlich sind. […] Hier nun: Start bei der Renaissance! Safranski arbeitet sich durch die Reformation über Rousseau zu Kiekegaard vor, verweilt bei Stefan George, Zwischenstopp bei Ricarda Huch und Hannah Arendt (niemand soll ihm sagen, wie beim Romantik-Buch, er habe die Frauen vergessen!), am Ende landet er bei Ernst Jünger – »Der Einzelne als Stoßtruppführer«

Es ist ein Fast Forward durch die Philosophie. Man kann sich vorstellen, wie so ein Buch zu Weihnachten an die Papas geht und wie wenig nach einem Cognac noch auffällt, wie grob es geschnitzt ist. »Wer als Einzelner erlebt, steht im Freien, ohne sich deshalb schon befreit zu fühlen.« Nun ja. Ob italienische Stadtstaaten sich »in der Arena des polyzentrischen Kräftespiels wie eigensinnige Individuen« verhielten? Sind die großen Künstler von Florenz vor allem »Darsteller des eigenen Ichs«? Eigentlich nein. Wohin führen solche Vereinfachungen? Mit Sicherheit weit weg vom Schmelzkern des Themas, einer eigenen Einsamkeitserfahrung.

Quelle DIE ZEIT 18. November 2021 Seite 72 „Seelenlage: Schmerzlich“ Daniel Schreiber und Rüdiger Safranski erkunden das vereinzelte Ich auf verblüffend verschiedene Weise / Von Susanne Mayer

Stadtstaat und Kosmopolitismus

Die großen Begriffe der italienischen Stadtstaaten uomo singolare, uomo unico“

Quelle Jacob Burkhardt: Die Kultur der Renaissance in Italien / Alfred Kröner Verlag Stuttgart 1952 (1860)

Siehe auch hier: http://s128739886.online.de/athen-und-florenz/

Sobald man das Individuum hervorhebt, ist es ein notwendiger Schritt zu bedenken, dass kein Individuum für sich allein existiert.

.    .    .    .    .

Quelle Thomas Vašek: Philosophie! die 101 wichtigsten Fragen / Theiss/ Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2017

P.S. Ich verweise dankbar auf den Artikel, in dem ich wohl zum ersten Mal im Blog auf dieses schöne Lexikon hingewiesen haben (ebenfalls in der Vorweihnachtszeit, Thema SEELE): hier

Und was ist, was vermag eigentlich der einzelne schöpferische Mensch?

Hier war mir das Büchlein noch neu. Jetzt ist es mir aus einer veränderten Situation heraus von neuem wichtig geworden. Ich schaue nicht mehr als erstes auf die Tiere, auf die Natur, sondern auf den Menschen, der an die Stelle Gottes tritt. In der Kunst ebenso wie bei der Herstellung einer wohlgeformten Holzkelle oder eines Hauses. Da sollte ich den entscheidenden Sprung der Gedanken darstellen oder wiedergeben…

Ausflug Hoorn

Eine glückliche Stunde

Abschied von Texel?

Oder: Wie man aus Urlaubsträumen geweckt wird

Ein herrlicher Platz

Denkmal für einen Mann der Geschichte, nebst Distanzierung von ihm:

Fotos JR

Wer war denn Jan Pieterszoon Coen? Wikipedia hier (s.a. Eva Ment und Sara Specx)

200 Jahre später: ein Beispiel der deutschen Kolonialgeschichte hier

Also: es geht auch uns an, und wie! Hier ein Ausschnitt aus einem ZEIT-Artikel vom 16. September, Seite 1 / Autor Hanno Rauterberg: Dummerweise verdrängt Das Stadtschloss bringt keinen Frieden:

ZEIT 160921

Nachtrag: Noch deutlicher in der ZEIT 30. September 2021 (Seite 57): »Wer hat das Recht, den anderen auszustellen?« / Wenn Europa seinen eigenen Idealen gerecht werden will, darf es nicht länger geraubte Kunstschätze in seinen Museen zeigen / von Chimamanda Noozi Adichie

Abschied von Hoorn (Korte Achterstraat):

und weiter hier

P.S. Es ist nicht ganz einfach, eine Erklärung für den fliegenden Mann zu finden, der wohl nur einen – liegenden Mann (1990) darstellt, nachzulesen am ehesten hier. Da viele Leute drüber nachdenken, möchte man jedoch vielleicht Näheres über die „Schaffenden“ (gendergerechtes Wort) wissen, bitteschön: Florian Göttke und (!) Sabine Käppler.

Raub, Kolonisation, Menschenverachtung

Sehen, Hören & Lernen!

 

Katalog und Arbeitsbuch Herausgegeben von der Kölnischen Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit 1988

FILME ARTE DOKUMENTATIONEN

Obiges Video im externen Fenster hier.

Stichworte: Haiti Geschichte hier / Anténor Firmin s.a. hier / Paul Broca 19:15 Kongo Kautschuk Alice Sealey Harris Fotos 25:10 Deutsch SW-Afrika HERERO 26:27 Mengele 28:00 Sport in Brit. Kolonien / Calcutta Mohun Bagan 30:00 Fußball (1911) /  La Force Noire (1916) 33:00 Senghor / Kenia Nairobi Harry Thuku

*    *    *

HEUTE: Afrikanische Kunst im europäischen Museum?

ZITAT

So landete die Schau just in jenem Museum, das von seinen Beständen her am tiefsten in der Klemme sitzt. Denn unweigerlich stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage von Kulturgutbesitz und eventueller Rückgabe in die Ursprungsgebiete. Ein im Katalog dokumentiertes Begleitprogramm zur Ausstellung befragte alle beteiligten Künstler nach ihrem Verhältnis zu Afrika und zur Restitutionsproblematik. In der Vielfalt der Antworten spiegelt sich die Komplexität dieses Themas. Er sei gegen die Rückgabe, erklärt unumwunden der plastische Künstler Calixte Dakpogan aus Benin, denn die Werke hätten außer Landes einen größeren Wert. Eher, als museale Kunsträume in ihrem Land zu schaffen, sollte man die dort noch lebendigen Kulturoasen der Dörfer und Regionen vor zerstörerischen Entwicklungsprogrammen schützen, erklärt ihrerseits die Gabunerin Myriam Mihindou.

Quelle Süddeutsche Zeitung 29. Juni 2021 Die Epoche Post-Primitivismus / Eine Pariser Ausstellung will mit den Klischees über das afrikanische Kunsterbe aufräumen / Von Joseph Haniman / abrufbar SZ online hier.

Zugang HIER oder medias in res (wie folgt)

Energie!

Sterben wir doch nicht?

Der Glaube an ein Leben danach hat sehr viel an Boden verloren, insbesondere seit das Christentum kontinuierlich seine ethisch-moralische Glaubwürdigkeit verspielt. Da soll doch niemand mehr durch ewiges Leben belohnt sein. – Rückt dafür der Okkultismus nach, ein Verschwörungszauber für Zurückgebliebene? Oder darf man auf die Überzeugungskraft der philosophischen Methoden bauen, auf Klarheit und Mut zum Denken! Falls sich nicht ein Wahrheitsprinzip schon überzeugend aus der Naturwissenschaft ergibt. Was heute Harald Lesch ist, war früher Hoimar von Dithfurt, der große Aufklärer, und als er älter wurde, – man hatte es schon geahnt – folgte auf all seine wissenschaftsnahen Bücher endlich: „Wir sind nicht von dieser Welt“. Letztlich ohne logische Grundlage.

Den Philosophen Wilhelm Schmid habe ich auch damals schon zur Kenntnis genommen, wir waren zum gleichen Kongress in Dresden eingeladen, 2004, und er hat mich irgendwie als Person beindruckt (mit seinem kleinen Sohn), ohne dass ich seinen Beitrag gehört hätte, und ich hatte auch seine Bücher nicht so verfolgt. Was ich sah, schien mir zu sehr dem Genre Lebensberatung zugeordnet, und damit war ich dank einiger Safranski-Lektüre ausreichend versorgt. Und schauen Sie sich nur die Liste seiner Veröffentlichungen seit 2004 an (hier), – muss man das mitmachen, wenn man im WDR unter Stress steht und ohnehin bald pensioniert wird?

Nun gab es ein unverhofftes Wiedersehen, ich schaltete das Fernsehen in dem Moment ein, als die dunkle Dame begann, von ihrer Jenseitserfahrung zu berichten. Unter den Gästen der Talkshow erkannte ich währenddessen das Gesicht von Wilhelm Schmid und fragte mich, wie er die Erzählerin wohl auf den Boden der Tatsachen zurückführen würde.

Hier ist die SENDUNG Nachtcafé, wenn Sie wollen, beginnen Sie bei Minute 32:00 (bis etwa 36:00), ich habe notiert, was ich seltsam fand:

Beatrice Herbold (heimliche Geliebte von Helmuth Kohl) erzählt:

2004 war ich 30 Minuten nicht mehr auf dieser Welt. Ja, ich hatte vor, ein Bad zu nehmen, und ich hatte auch schon das Wasser einlaufen lassen, hatte meinen Bademantel angezogen, und kurz davor – bin ich umgefallen. Das war so, als ob Sie n Lichtschalter einknipsen oder anknipsen, ich war in einer anderen Welt, die war so schön, dass ich gar nicht wieder zurückgehen wollte. Ich habe gesehen, wie sie aussehen, ich habe das ganze Umfeld, ich habe meinen Großvater gesehen, meinen Onkel usw., und ich hab dann immer gesagt: ich bleib hier. Und mein Großvater hat gesagt: Nein, du musst gehen. Und ich sag: warum? dieses Leben hier ist viel schöner. Und er sagte damals zu mir, nein, du musst zurück, du hast noch was zu erledigen, oder du hast ne Aufgabe, das weiß ich nicht so ganz genau. Ja, und ich kam dann wieder zurück, also ich weiß, dass es das gibt, und das kann ich wirklich bestätigen. Das ist eine sehr sehr schöne Welt, aber ich kann eins noch dazu sagen: Selbstmord – da kommt man nicht dorthin, wo man sonst hinkommen würde. Also kann ich jedem davon abraten, das weiß ich.

Moderator: Also das ist ja erstaunlich, was Sie alles wissen! [lacht freundlich] ich glaube, dieses Wissen ist vielen noch nicht zugänglich, und ich glaube, dass viele auch sagen werden, also: kann ich mir gar nicht vorstellen, passt nicht in meine Art zu denken, passt nicht in meine Logik, warum haben viele Probleme, sich sowas vorstellen [zu] können, und lehnen das auch ab, Herr Schmid ? (Vorrednerin: Ich hatte übrigens die gleiche Vorstellung, ich konnte mir das auch nicht vorstellen.)

Der Philosoph Wilhelm Schmid:

Das Schöne bei Ihnen ist ja, – Sie machen jedenfalls einen sehr rationalen Eindruck. (etwas Lachen) es wäre glaube ich für viel leichter, wenn wir mit nem Wirrkopf zu tun hätten, weil dann lässt sich das auch schnell abtun. Aber offenkundig … sehr rational aufgenommen … und auch durchdacht und behandelt, das bringt uns dann eher ins Überlegen. Könnte es nicht tatsächlich so sein, könnte nicht tatsächlich was dahinterstecken? Und ich gehör eher zu denen, die davon ausgehen, eh … natürlich haben wir vor unserem Leben schon etliche Leben hinter uns, und natürlich werden wir noch einige Leben vor uns haben. Und ich meine es wirklich natürlich. Also nicht im Sinne von Spekulation, auch nicht unbedingt im Sinne von beweisbarer Wahrheit, (hmhm) aber was ist denn das Eigentliche an uns Menschen? Ist das unser körperliches Dasein? Offenkundig nicht. Denn wenn wir tot sind, sind wir auch körperlich da, aber wir können nichts mehr. Also muss etwas anderes das Wesentliche an uns sein, und ich vermute, dass es Energie ist, (genau!) Energie in einem ganz rationalen Sinne, elektrische Energie, Wärmeenergie, die man messen kann. Das ist nichts Geheimnisvolles, und Energie hat nun mal die Eigenart, dass sie von Form zu Form umgewandelt werden kann, aber niemals vernichtet werden kann. (Nicken) Energieerhaltungssatz! Also: kann ich mir vorstellen, dass es entweder die gesamte Energieballung, die mich jetzt leben lässt, vorher schon mal gegeben hat und nachher wieder geben wird oder Teile dieser Energieballung. Und dann ist vorstellbar, dass wir auf irgendeine Weise, die ich noch nicht gut erklären kann, eine Erinnerung an frühere Leben haben. Möglicherweise ja auch schon eine Vorahnung (lacht, andere kichern), was da mal kommen könnte. (Lachen)

[Moderator:] Also, Herr Schmid hält auch vieles für möglich, vorstellbar war ja auch ihr Wort, (34:00) nun ist ja ihres ein positives Beispiel, in Ihrer Wahrnehmung kommen Sie ja zurück, um Buße zu tun, und tun ja was Gutes. Ich stell mir mal so vor, da kommt mal jemand und sagt: ich war mal ein Diktator in der Vergangenheit und komm jetzt, um mein Volk wieder zu befreien oder sowas etc.etc.

(Nähere Informationen zu dieser Sendung hier.)

Ich breche ab, ist das zu glauben??? Ist das mein Fehler? Habe ich das Gesetz von der Energieerhaltung so falsch verstanden, dass ich dies als Kurzformel gelten lassen kann?

Wie immer – nachschauen, was Wikipedia anbietet:  Hier – und überlegen, ob ich auch ein Beispiel etwa für klanggewordene Energie beibringen könnte… (ich brauche Farbe). Traumsequenzen EINER Welt der unterschiedlichsten Kulturen, im Programmheft stand Goethes Gedicht Gingko biloba, bezogen auf die (mindestens) janusköpfige Gestalt der Violine.

Dunkle Energie (Plakat 1989 WDR/Heinz Edelmann)

Da steht es gleich (ich meine bei Wikipedia) im ersten Satz, dass dies Gesetz von der Erhaltung der Energie nur in geschlossenen Systemen gilt. Aber ist hier nicht gerade die Rede davon, dass die Dame von einem System in das andere wechselte? Wie kann ich erwarten, die beiden Systeme seien ein und dasselbe, etwa nur, weil ich mich hier wie da als ein Ich wahrnehme, die beiden für identisch halte und sogar von meinem Großvater erkannt werde. Falsch. Meine Zweifel und deren Behebung im ausweglosen Sinn datieren aus dem Jahr 1989. Am Anfang stand für mich das dritte Kölner Geigenfestival, gedämpfte Energie, ein Epos aus Konzerten, ein offenes, durchlässiges System der Weltmusik, das Jahr war gut, da draußen wurde Helmuth Kohl Kanzler der Deutschen Einheit, das Jahrzehnt des Waldsterbens, am Ende war ich doch erst 49, zum Geburtstag diese beiden Bücher:

(Was mich heute erschüttert: das Buch von Peter Kafka wirkt praktisch ungelesen. Wollte ich mich damals partout nicht aufrichten lassen? Ich werde es zur Wiedergutmachung am Ende dieses Artikels ausführlich zitieren. Es ist unglaublich, hätte ich damals doch wenigstens über das Wort „Gemächlichkeit“ zu staunen begonnen! Was schreibe ich??? Sie können gleich hier zu lesen beginnen!)

Wir waren also beim Thema Energie. Ein Wort, das  zweifellos je nach Zusammenhang seinen Sinn verändert, sein Prestige aber aus der Physik bezieht. Gern wird auch ein Schlaffi, der sich mühsamst zusammenrafft, davon profitieren. Und kaum wiederzuerkennen ist es zum Beispiel, wenn man das Wort Cottbus dazusetzt. Wenn Sie heute nicht sicher sind, was Sie von einer Sache halten sollen, sind Sie in einer anderen Situation als ich im Jahre 1989: es gibt das Internet und seit März 2001 die Enzyklopädie Wikipedia auf deutsch, 20 Jahre der Erprobung und Erweiterung. Falsifikation im Schnellverfahren. Wenn ich mich also über eine Heilkunst wundere, die einen Radionischen Energietest anbietet, dazu eine Autorin, die vor 50 Jahren mehrere Radio-Sendungen für mich gemacht hat, was tut man? Dann informiert man sich als erstes über Radionik , z.B. hier, und siehe da: per Fernheilung ist man in Sekundenschnelle für immer kuriert.

Übergangslos wende ich mich einem anderen Gebrauch des Wortes Energie zu, und zwar bei Peter Bieri, einem Philosophen, zu dem ich Vertrauen habe, seit ich durch den Film „Nachtzug nach Lissabon“ auf ihn gekommen bin (Bitte folgen Sie doch dem eben gegebenen Link: der dort gegebene Zeitsprung ist verblüffend, ich erlebe ihn ständig, ohne Lateinlehrer zu sein.) Dieser Autor weiß, wovon er spricht, wenn er vom Schreiben schreibt und wie man das Wort Energie dafür ganz unprätentiös gebraucht.

ZITAT

Ein Autor, indem er eine fiktive Geschichte entwickelt, versucht herauszufinden, wie genau er die Welt und sich selbst erlebt. Daß er dazu die Fiktion braucht, wo es doch um eine wirkliches Erleben geht, ist nur scheinbar paradox. Was Fiktion möglich macht, ist Verdichtung von Erfahrung, wie es sie im realen Strom des Erlebens selten gibt. Das Schreiben einer erfundenen Geschichte, könnte man sagen, schafft Laborbedingungen, um auf einen Teil der unübersichtlichen Innenwelt mit dem Mittel der dramatischen Zuspitzung ein ungewöhnlich helles und klares Licht zu werfen. Und wenn man es so sieht, ist es nicht mehr paradox, wenn einer, um sich selbst zu verstehen, einen anderen, Fremden erfindet.

Das erklärt auch unser unersättliches Bedürfnis nach fiktiven Geschichten. (…)

Ob jemand eine Geschichte ganz aus sich selbst heraus schreibt, ob er sie um ein reales Ereignis herum rankt oder gar einen historischen Roman schreibt: Nie ist es Zufall, was er sich aussucht. Es bedarf enormer seelischer Energie, um eine Geschichte zu schreiben, und man kann gar nicht anfangen, wenn man nicht spürt, daß der Stoff einen in einer Tiefe berührt und beschäftigt, aus der heraus die nötige Energie fließen wird.

Quelle Peter Bieri: Wie wollen wir leben? / Aus der Reihe »UNRUHE BEWAHREN« Residenz Verlag St.Pölten – Salzburg 2011 6. Auflage 2012 (Zitat S. 48 u 49)

Zum weiteren Nachdenken: das Bieri-Trilemma hier

Wikipedia zu Peter Bieri hier

Zurück zu der Frage, wie denn andernorts ein Philosoph auf ein vorsichtig aufgeblasenes Phantasiegebilde reagieren kann mit der Rede von einer „Energieballung, die mich jetzt leben lässt, vorher schon mal gegeben hat und nachher wieder geben wird oder Teile dieser Energieballung.“

Vielleicht weil die Seelenwanderung nun einmal in der Welt ist und durch die Jahrtausende geistert? Da braucht es keine Beweise mehr, die Energie ist schon da, überall. Siehe HIER.

Man muss sich nur einmal mit Träumen befassen. Oder mit der Kraft der Imagination. Und der Vermischung von „wahrgenommenen“ Bildern mit „eingebildeten“. Wie man von Erinnerungen heimgesucht werden kann. Wie allein die gedankliche Verbindung verschiedener Fakten eine neue Realität schafft, die man verstärkt, indem man sie erzählt und sich zum Kronzeugen aufwirft. „In den Monaten, bevor mein Vater 1959 starb, erschien in unserm Garten eine weiße Amsel, offenbar das Albino einer Schwarzdrossel. In dem Jahr danach war sie nicht mehr da.“ (JR) So war es wirklich, zweifellos ein auffälliges Phänomen, aber noch wirklicher sind die Assoziationen, die daraus einen bedeutungsvollen Zusammenhang machen wollten. Besonders wenn die Menschen drumherum dazu tendieren, dem eigenen Leben und Überleben einen höheren Sinn zuzuschreiben. Ich denke oft an meine Mutter und meinen Vater, ja, und auch mein Großvater „erscheint“ mir gern, bedeutungsvoll raunend. Ich muss nur an ihn denken. Schall und Rauch! In der Zeit, in der wir die weiße Amsel sahen, spielte Goethes Faust eine prägende Rolle für mich. Behaupte ich heute… (siehe hier).

Hier ist der Zeitpunkt, von einem anderen Autor zu sprechen, den ich beeindruckend finde, weil er mit großer Geduld und Intelligenz viele Hirngespinste auflöst, die sich hartnäckig in den allmächtigen Mythen des Alltags forterben und durch das Gewicht der Jahrhunderte nicht wahrer werden, sondern platter. Kein Zweifel, was Frau B.H. erlebt hat (oder erlebt haben will), könnte als ein sogenannter „Klartraum“ bezeichnet werden. Merkwürdig daran ist eigentlich nur, dass er inhaltlich so dürftig ist. Und dann eine entsprechend dürftige philosophische Einordnung findet. Das muss am Phänomen der Talkshow liegen, die es einfach allen recht machen will. Der Autor, auf den ich mich jetzt beziehe, heißt Douwe Draaisma, sein Buch „Wie wir träumen“ erschien auf deutsch im Jahr 2015.

ZITAT Seite 159:

Eine der ältesten Beschreibungen eines Klartraums findet sich in einem Brief von Augustinus aus dem Jahr 415. Der Träumer war ein gewisser Gennadius, ein Arzt, der in Karthago arbeitete, sich zur Zeit des Traums jedoch noch zur Ausbildung in Rom aufhielt. Er zweifelte an der Möglichkeit eines Lebens nach diesem Leben. Wie konnte die Seele weiterbestehen, wenn der Körper gestorben war? In seinem Traum erscheint ein junger Mann, der ihn befragt. Wo befindet sich dein Körper jetzt? In meinem Bett, antwortet Gennadius. Weißt du, dass die Augen in diesem deinen Körper jetzt geschlossen sind und dass du mit diesen Augen nichts siehst? Das muss er bestätigen. Aber mit welchen Augen siehst du mich denn jetzt? Gennadius muss die Antwort schuldig bleiben. Er schweigt. Und dann erklärt ihm die Erscheinung, dass es so auch nach dem Sterben sein wird: Die körperlichen Augen sind für immer geschlossen, aber es wird noch immer Augen geben, mit denen du wahrnehmen kannst. Der luzide Traum war für Augustinus die perfekte Analogie für ein Weiterleben der Seele nach dem Tod des Körpers. Fünfzehn Jahrhunderte später war dies für den trauernden Van Eeden noch immer der Fall.

Und damit verweist er zurück auf den Anfang dieses großen 6. Kapitels, Überschrift: Wissen, dass man träumt. Über luzide Träume. In diesem Buch:

Der entscheidende Punkt aber in diesem Traumbericht ist das Wort Analogie und im Hintergrund: das Phänomen der Imagination. Einerseits „die körperlichen Augen“ und andererseits die Augen der Imagination, die analog funktionieren, aber nicht existieren. Im philosophischen Denken gehört es zu den Grundübungen, dass man ähnliche Dinge oder Vorgänge nicht miteinander verwechselt. Oder in meiner Vorstellung taucht mein Großvater auf und spricht mit mir, genau so, wie ich ihn in Erinnerung habe, als Person, – er tut es, weil ich es so will, – weil ich ihn imaginiere. Er ist mein Geschöpf, meinem Großvater analog. Peter Bieri sprach von „seelischer Energie“. Es ist meine Energie, egal woher die Stoffe kommen.

Berühmt ist das Rätsel des Tschuangtse: er träumte, er sei ein Schmetterling, ist sich aber nach dem Erwachen nicht mehr sicher, ob er ein Mensch sei, oder ein Schmetterling, der träumt, er sei ein Mensch. – Als Dichter hat er ein schön verwirrendes Bild geschaffen, als Mensch könnte ihm geholfen werden. Mit dem Buch von Draaisma zum Beispiel.

Zu den gängigsten Verwechslungen gehört allerdings die der Worte, die eine große Bedeutungsbreite haben und doch so gebraucht werden, als seien sie eindeutig. Das Wort Energie zum Beispiel. Aber auch ganze Szenen können als Muster wiederkehren, Filme als Metaphern, – mich hat die Erzählung der Frau B.H. an Berichte über Nahtoderlebnisse erinnert, und ich habe in einem anderen Buch von Douwe Draaisma nachgeblättert, das mir vor vielen Jahren das Rätsel der „Déjà-vue“-Erlebnisse aufgelöst hat. Da erfährt man im Schlusskapitel viel über die Rolle von Fotos und Filmen in unserem Erinnerungsvermögen, auch über die Wirkung des Buches von Raymond Moody über Nahtoderlebnisse, Life after life (1975), das gewissermaßen einen Kanon der Nahtoderfahrungen geschaffen hat: er trieb „auf der Thermik östlicher Mystik….ins kollektive Bewusstsein“ (Draaisma S.312). Plausible Theorien gibt es aber schon sehr viel früher, seit Ende des 19. Jahrhunderts. ZITAT Draaisma:

Wenn die Sinnesorgane ausgeschaltet oder durch monotone Reize betäubt werden und die Nahrung von außen wegfällt, stellt sich das Gehirn eine Notration zusammen. Es wendet sich an Reize, die in der Vergangenheit gespeichert wurden, und verarbeitet diese erneut. Das geschieht mit so großer Intensität, daß der Sterbende denkt, er schaue von außen drauf, als würde es sich vor seinen Augen abspielen. Wo man normale Erinnerungen ›von innen‹ erfährt, als würde man sie ›im Kopf‹ sehen, haben die Bilder der Panoramaerinnerung eine Schärfe und Lebendigkeit, die unter normalen Umständen nur Bilder  ›von außen‹ haben.

Des weiteren scheint gut erklärbar, weshalb die erinnerten Bilder „mit dem heiteren Gefühl, alles sei in bester Ordnung“ einhergehen (endogene Morphine, die ein Gefühl von Wohlbefinden erzeugen).

Quelle Douwe Draaisma: Warum das Leben schneller vergeht, wenn man älter wird. Von den Rätseln unserer Erinnerung. Piper München u Zürich 2006

Ich sage nicht, dass alles erklärbar sein muss, aber es beruhigt mich doch, wenn dafür nicht Energien herhalten müssen, die sich zusammenballen und unberechenbar wiederkehren, womöglich aus moralischen Gründen oder um uns noch irgendwelche Aufgaben erledigen zu lassen.

Da gefällt mir die pragmatische Behandlung des Wortes besser, weil sie kein immaterielles Missverständnis heraufbeschwört:

Soweit ich weiß, geht es allein um den Körper. Ich kenne das nur aus einer Talkshow und habe therapeutisch keinerlei Erfahrung. Vielleicht kommt diese erst mit dem fortschreitenden Alter. (Aus welcher Talkshow? natürlich reiner Zufall, dass ich den Link habe: hier.)

Als Kind hat mich beeindruckt zu hören, dass eine Katze 7 Leben hat. Sie weiß es nicht, schläft viel, kennt aber kein Müdigkeitslabyrinth. Es ist wohl auch nur eine Metapher. Rechnet man 1 Katzenleben für 10 Jahre, so bin ich leider schon weit darüber hinaus.  Andererseits habe ich da auch wieder etwas verwechselt, nämlich Lebensspanne und Lebenskraft im Sinne von Überlebensenergie oder so. Kurz und gut, ich hoffe, dass ich dieses Tier noch mehrmals wiedersehe … und zwar in diesem, meinem einzigen Leben.

Foto E.Reichow (Völs am Schlern 2021)

Wie aktuell ist dieses Buch – heute?

Zurück zum Thema

Der Anfang des Buches „Grundlagen des linearen Kontrapunktes / Bachs melodische Polyphonie“ von Ernst Kurth / Verlag Krompholz & Co. Bern 1948 (1956)

ZITAT Carl Dahlhaus

Musik ist – nach einer communis opinio, an der niemand zu zweifeln scheint – tönende Bewegung; und die Erfahrung, daß sie es ist, bildet den Ausgangspunkt der Theorien einiger Musikästhetiker des 20. Jahrhunderts, die Rudolf Schäfke „Energetiker“ nannte (Geschichte der Musikästhetik in Umrissen, 1934, 394), da sie – halb Phänomenologen und halb Metaphysiker – den Bewegungseindruck, der von Tonfolgen ausgeht, auf eine hypothetische Energie zurückführen, die – von August Halm „Wille“ und von Ernst Kurth „Kraft“ genannt – als Agens in der Musik  wirksam sei und ihr verborgenes Wesen ausmache. So unabweisbar sich jedoch beim musikalischen Hören die Vorstellung einer Bewegung aufdrängt, so schwierig ist es, sie zu beschreiben und zu analysieren, ohne in die verwirrende, betäubende Sprache Ernst Kurths zu verfallen, eine Sprache, in der sich psychologische und musiktheoretische Einsichten mit einer teils physikalischen, teils lebensphilosophischen Metaphorik mischen. (…)

Auch fällt es schwer, sich eine Bewegung ohne Träger vorzustellen. Der musikalischen Beweguung aber scheint das Substrat zu fehlen. Denn zu nehaupten, daß es der Ton sei, der sich im Tonraum bewegt, wäre eine fragwürdige Hypothese. Ein höherer Ton, der einem tieferen folgt, ist eher ein „anderer“ Ton als „derselbe“ an anderer Stelle. Der erste Ton wechselt, wenn die Melodie fortschreitet, nicht seine Lage, sondern wird durch einen zweiten abgelöst. Andererseits ist der Versuch Ernst Kurths, die Bewegungsenergie, welche die Musik „durchströmt“, zu einer Wesenheit zu hypostasieren und die Töne zu bloßen Durchgangspunkten herabzusetzen, zu gewaltsam und auch zu tief in Metaphysik verstrickt, um als das letzte Wort gelten zu können.

Es scheint, als seien die Schwierigkeiten, in die der Versuch einer Beschreibung und Analyse des Tonraums und der musikalischen Bewegung gerät – Schwierigkeiten, die manchmal labyrinthisch anmuten -, erst entwirrbar, wenn man von der Hypothese ausgeht, daß in dem Komplex von Raum- und Bewegungseindrücken der Rhythmus – und nicht, wie Kurth annahm, die Melodie – das primäre Moment darstellt. Rhythmische Bewegung, im System der Taktrhythmik durch die Dauer, den Nachdruck und den Charakter der Zählzeiten bestimmt, ist von melodischer unabhängig – oder kann es wenigstens sein -, aber melodische ist nicht von rhythmischer abtrennbar. Und daß ein Rhythmus ohne Tonfolge, eine Tonfolge jedoch nicht ohne Rhythmus denkbar ist, besagt, daß der Rhythmus das fundierende Moment des musikalischen Bewegungseindrucks bildet. Die Zeit, der zum temps espace verfestigte temps durée, ist die primäre Dimension des Tonraums, die Vertikale die sekundäre.

Quelle Carl Dahlhaus: Musikästhetik / Musikverlag Hans Gerig Köln  1967 (Seite 117 u. 119) JR NB: le temps und la durée siehe dazu hier Abschnitt „Bergson“.

ENDE

P.S. 10. Juli

Ich hatte versprochen, am Ende noch ausgiebig Peter Kafka zu zitieren, dessen Buch ich vor 40 Jahren sträflich ignoriert habe, obwohl ich es besaß. Ich muss ihn nicht weiter zitieren, weil man ihn oben per Link schon ausreichend leicht weiterlesen konnte, nein, ein zweites Mal werde ich ihn gewiss nicht vergessen. Noch ein abschließender (?) Blick auf sein Lebenswerk, siehe Wikipedia ⇒ https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Kafka_(Astrophysiker).

(Endgültiges Ende)

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Dieser Film ist bemerkenswert und kann noch ein Jahr lang abgerufen werden (bis 14.5.2022): HIER (Dauer 37 Minuten)

Pressetext (ergänzt v. JR):

Ein Film von Hannah K. Friedrich

Die klassische Musikszene gibt sich gern weltoffen und divers. Und auf den ersten Blick scheint es tatsächlich nur wenige Orte zu geben, an denen Menschen verschiedener Nationalität und Hautfarbe so harmonisch zusammenwirken wie etwa in einem Sinfonieorchester oder Opernensemble. Der zweite Blick aber zeigt, dass hier eine Farbe fehlt. Gibt es deshalb so wenige Schwarze Dirigenten und Instrumentalisten, weil die Barrieren zu hoch sind? Sind Vorbilder aus anderen Bereichen zu mächtig? Oder liegt es an einem strukturellen Rassismus, der Schwarzen Musikerinnen und Musikern die „hohe klassische Kunst“ nicht zutraut – ein Rassismus, der vielen in der Branche vielleicht gar nicht bewusst ist?

Schwarze Klassikstars bilden absolute Ausnahme

Sheku Kanneh-Mason (ab 8:35 und 32:23) ist als Schwarzer Cello-Star absolut solitär in der Szene. Doch auch er hat in seiner noch jungen Karriere schon versteckte rassistische Anfeindungen erlebt. Auch der Dirigent Kevin John Edusei (ab 27:40 zunächst über Dean Dixon, Roderick Cox) erfährt regelmäßig Rassismus: Ein „Obama für München“, titelte die Presse, als er 2014 Chef der Münchner Symphoniker wurde – für ihn eine rassistische Stigmatisierung, und zwar noch eine der harmloseren Art. Immer wieder, so erzählt er, werde er aufgrund seiner Hautfarbe als Reinigungskraft angesprochen. Stardirigent Christian Thielemann würde sich deutlich mehr Diversität in den Orchestern wünschen. Wie weit der Weg dahin sein kann, weiß die Geigerin Midori Seiler (ab 23:05) nur zu gut. Denn auch Musikerinnen und Musiker asiatischer Herkunft waren und sind immer noch rassistischen Vorurteilen ausgesetzt. Dennoch kann heute kein Orchester mehr auf sie verzichten. Diesen Weg haben Schwarze Musiker noch vor sich – so wie der 22-jährige Flötist Matthew Higham (ab 4:44). Er ist der einzige Schwarze Musiker im hr-Sinfonieorchester. Auch er erlebt immer wieder rassistische Diskriminierung und beklagt das Fehlen von Vorbildern, die bei jungen Schwarzen ein Interesse für klassische Musik wecken könnten. Schwarze Musiker, davon ist Higham überzeugt, könnten der Klassikbranche ganz neue Impulse geben.

ab 20:30 Jonathan Heyward

Ab 25:36 über das Londoner CHINEKE! Orchestra und Gründerin Chi-Chi Nwanoku

Beachten Sie – als Ergänzung – doch bitte auch diesen Beitrag :

  hier

Ich nutze diese Gelegenheit, auch einen anderen Film greifbar zu halten, der sich mit der Geschichte der Globalisierung befasst. Allerdings nicht im Zusammenhang mit Musik, sondern an einem bestimmten Beispiel der bildenden Kunst: VERMEER, der sich schon bei Marcel Proust als Pfadfinder „auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ nützlich zeigte. Die ganze Welt in einem Bild: Vermeers spätes Vermächtnis Doku (2020), zur Zeit noch abrufbar auf ARTE (bis 14. Juli 21), danach zumindest noch als Youtube-Video hier.

Screenshots von Anfang und Ende des Films

Und mein eigener Rück-Blick auf die Globalisierung? Hier mein ältester Pfadfinder, auf aktuellem Lesestoff ruhend oder daran lehnend.

Foto: JR