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Parlamentarismus bei nur zwei Parteien?

Heute

erhielt ich wieder einmal willkommene Post vom Philosophie-Magazin, das oft die Themen trifft, die einen gerade am meisten bewegen:

Liebe Leserinnen und Leser,

nach dem Attentat auf Donald Trump ist die Sorge vor einer noch weiter zunehmenden Spaltung innerhalb der Bevölkerung in den USA groß. Bereits durch den Sturm aufs Kapitol, den Trump maßgeblich befeuert hatte, lag die Gefahr eines Bürgerkriegs in der Luft. Wird sie sich jetzt, da der Ex-Präsident selbst Opfer eines Anschlags wurde, potenzieren?

Es lohnt sich, vor diesem Hintergrund „Masse und Macht“ von Elias Canetti wiederzulesen. Im Kapitel über „Das Wesen des parlamentarischen Systems“ beleuchtet er, inwiefern der Bürgerkrieg in seiner psychologischen Struktur im Zwei-Parteien-System aufgehoben ist. So liegt für Canetti die Errungenschaft des Politischen gerade darin, dass – trotz harter verbaler Auseinandersetzungen – der Tod durch die Sublimationsleistung der Stimmabgabe überwunden und ausgeschlossen wird. Wird diese heilige Regel angetastet, besteht in der Tat großer Anlass zur Sorge, dass der Krieg zurückkehrt.

Unsere politisch hochnervösen Zeiten machen es schwer, in die Entspannung zu finden. Wie komme ich zur Ruhe? So lautet das Titeldossier der aktuellen Ausgabe des Philosophie Magazins, die jetzt – pünktlich zur Sommerpause – im Handel erhältlich ist. Meine Kollegin Theresa Schouwink stellt wegweisende philosophische Strategien von Seneca, Sextus Empiricus, Michel de Montaigne, Martin Heidegger und Simone Weil vor, die uns helfen, runterzukommen.

Ich werde mir gern zu sommerlicher Entspannung verhelfen, wenn das so einfach geht: zum Bahnhof fahren und in der Buch- bzw. Zeitschriftenhandlung nach der aktuellen Ausgabe fragen!

Mehr noch: vorher muss ich bei Elias Canetti nachgelesen haben, was es mit dem „Wesen des parlamentarischen Systems“ auf sich hat. (Ich bin stolz: meine recht zerlesene Ausgabe stammt aus dem Jahr 1982. Weniger stolz, dass ich kaum von selbst auf die Idee gekommen wäre, diese Seiten dort wieder aufzuschlagen.)

Quelle Elias Canetti: Masse und Macht / Fischer Frankfurt am Main 1982 – neu und schonend gescannt wie folgt:

17.07.24 15.00 Uhr. Ich war also am Bahnhof und in der Buchhandlung Jahn (neues Exemplar Canetti „Masse und Macht“  als Geschenk für Emi), – allerdings, was das Philosophie-Magazin angeht, erwies sich der Kauf als ein Fehlschlag: offenbar war der politische Dreh mit Trump und Weltpolitik im Zwei-Parteien-Parlamentarismus eine Irreführung aus aktuellen Gründen. Es gab plötzlich Wichtigeres als den Sommerurlaub und allgemeine Ruhefindung. Aber das Heft war halt schon fertig. Und es liest sich auch gut, erfüllt aber nicht die geweckten Erwartungen…

Inhaltsverzeichnis Philosophie-Magazin

Selbst Svenja Flaßpöhlers Editorial über das Einschlafen lese ich nun mit Widerspruch. Ihr mehrere 100 Jahre altes Haus in der Bretagne, mit den dicken Mauern und dem kleinen Fenster, das den Blick auf den mittelalterlichen Turm einer Stiftskirche freigibt, wirkt auf mich durchaus klaustrophobisch. Ich möchte meine völlig unphilosophische Einschlafmethode dagegensetzen, die sich auf das Atmen oder Nicht-Atmen stützt, also etwas Inneres, und dabei zwanglos einer methodisch einfachen, wiederholten  Zählpraxis von 1 bis 12 folgt.

(Fortsetzung folgt)

Nochmals: was ist mit dem Zwei-Parteien-System, dessen Schwachstelle doch in den USA offenzuliegen scheint? Die Spaltung der Gesellschaft scheint unheilbar, der Populismus hat leichtes Spiel. Selbst die Gefahr eines Bürgerkriegs ist offensichtlich, wie Canetti mit echten Toten statt mit Zahlen und Mehrheiten zu rechnen, scheint nicht absurd. Ich studiere wie immer zunächst, was Wikipedia über das Zwei-Parteien-System mitzuteilen hat: Hier.

Zudem sollte man sich über das Prinzip der Wahl überhaupt klar werden: Hier.

Auch z.B. über das in den USA geltende (problematische!) Wahlmännerverfahen.

Eine sehr hilfreiche Lektüre bietet der Wikipedia-Artikel über das „Politische Spektrum“, von dem man annehmen kann, dass es von der Überbewertung des Individuums bis zur Überbewertung der Masse als solcher reicht, von ganz rechts bis ganz links.  Natürlich ist es komplizierter.

Zum WIKIPEDIA-Artikel

Ein politisches Spektrum ist ein Ordnungssystem, das politische Ideologien mithilfe von geometrischen Achsen vergleicht. Ursprung und bis heute verbreitetste Anwendung ist die eindimensionale Unterscheidung in links und rechts. Zur genaueren Klassifikation politischer Ideologien werden heute aber auch verschiedene andere eindimensionale oder mehrdimensionale Klassifikationssysteme verwendet… (weiter a.a.O.)

(…)

Ein Hauptkritikpunkt ist die extreme Vereinfachung der politischen Landschaft durch die Projektion verschiedener programmatischer Unterschiede auf eine einzige Achse. Für den Philosophen Johannes Heinrichs ist zudem „[d]as Operieren auf der eindimensionalen Achse von Links und Rechts … heute nicht bloß überholt, auch nicht bloß untauglich, sondern friedensstörend und fortschrittsfeindlich.“  (weiter a.a.O.)

Wie allein bin ich?

Einzeln, einsam oder wirklich allein?

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Safranski bezieht sich auf Burckhardt

Jacob Burckhardt – das ist mein Italien (Michelangelo)

.    .    .    .    . Notiz im Buch

Meine Mutter hatte das hineingeschrieben, ein Geschenk also von Frieder Lötzsch, einem Klavierschüler meines Vaters, in dessen Todesjahr 1959. Er galt als intellektuelles Wunderkind, als er auf Langeoog mit den Älteren diskutierte; er belehrte sie alle und zitierte Aristoteles (Thema „Persönlichkeit“). Nach Jahrzehnten traf ich ihn bei einem Ehemaligen-Treffen in Bielefeld wieder, wir hatten uns nicht viel zu sagen. Seine Veröffentlichung des Jahres 2006 betraf einen unserer ehemaligen Lehrer, den Philosophen Helmuth Dempe, den ich erinnere dank eines heftigen „Gesprächs“, das zwischen ihm und meinem Vater entbrannte, beide recht intensive Rechthaber. Beim Kaffee im Freudental an der Sparrenburg-Promenade. Lauter typische Einzelne. Wie auch ich, im jüngeren Umfeld, zumal ich Geige spielte und klassische Musik ernst nahm. Sehr befremdend eigentlich, dass ich – obwohl Altsprachler und eher schüchtern – zum Schulsprecher gewählt wurde.

Es ist eigentlich immer dasselbe Problem mit den Anderen: ob man mehr vom Individuum her denkt – oder mehr von der Gesellschaft, der Gemeinschaft, der Freundschaft, den Außenbindungen her denkt. Man kann es überall herauslesen, wenn man will. Ein Beispiel: das aktuelle Spiegelgespräch:

Quelle Der Spiegel Nr.46 / 13.11.2021 Seite 96 (Gespräch Christiane Hoffmann mit Timothy Garton Ash).

Gab es nicht schon immer „Persönlichkeiten“? Leute mit bedeutender Ausstrahlung?

Renaissance, Wiedergeburt. Und Gegenwart.

Hannah Arendt nach Safranski

Das muss man verinnerlichen, den Satz von der „Balance zwischen Einheit und Vielheit“. Die Demokratie bewirke und bewege die Lebendigkeit der Gesellschaft dadurch, dass die Einzelnen einander dabei helfen, jeweils neu anzufangen. „Doch die damit einhergehende Nichtübereinstimmung der Individuen muss lebbar bleiben. Das leistet die Demokratie mit ihrem rechtsstaatlichen Regelwerk, das den Differenzen und der Pluralität einen Rahmen gibt. Nur so entsteht die Balance zwischen Einheit und Vielheit. “

Jeder kommt von einem anderen Anfang her und wird an einem ganz eigenen Ende aufhören.

Aber das ist im realen Leben eine zu abstrakte Formel. Denn das Kernproblem liegt heute anders: Wir leben in einer Kultur,

die getrieben ist von einem Konzept der Unendlichkeit, dem unerschütterlichen Glauben daran, dass alles für immer so weitergeht. Diese Kultur ist sehr erfolgreich. Aber wenn man es mit Endlichkeitsproblemen zu tun hat, ist es nicht ideal, keine Vorstellung von Endlichkeit zu haben. Und die Themen, die aus meiner Sicht das 21. Jahrhunderrt bestimmen – Artensterben, Klimawandel und alle anderen ökologischen Probleme – sind Endlichkeitsprobleme. Wenn die Insekten weg sind, sind sie weg. Und wir auch. Ganz einfach.

So Harald Welzer im Interview der Süddeutschen Zeitung (Johanna Adorján) am 13./14. November 2021 (Seite 56), und es wird konstatiert:

2020 hat die tote Masse auf diesem Planeten die Biomasse erstmals übertroffen. Das bedeutet, es gab auf der Welt mehr Menschgemachtes als Natur.

Mehr, mehr, mehr. Die Litanei der Ökonomen.

Wenn etwas Großes passiert ist wie die letzte Finanzkrise, stehen sie da und sagen: „Huch“. Dann schweigen sie drei Monate. Und wenn die Politik agiert hat, sagen sie: „Im nächsten Quartal rechnen wir mit einem Wachstum von soundso viel Prozent.“ Mehr Beitrag haben sie nicht. Auch bei Corona: keine einzige Idee. Nur Hochrechnungen, ab wann wieder mit Wachstum zu rechnen ist. (…)

Harald Welzer gibt einen interessanten Hinweis zur Sprachpraxis, nämlich, statt „Wachstum“ immer „gesteigerter Verbrauch“ zu sagen. Er sagt:

Man stelle sich nur mal vor, der Koalitionsvertrag, den wir bald sehen werden, beginnt mit der Aussage: „Wir werden für gesteigerten Verbrauch sorgen“. Klingt gleich ganz anders, oder? Dann wäre bestimmt ein anderes Bewusstsein dafür da, was diese wohlklingenden Wachstumsbeschwörungen in Wahrheit immer bedeuten. Vor allem für die Umwelt.

Das war am Wochenende zu lesen. Sehr interessant auch seine These, die an Ernst Bloch anknüpft: „Gott wurde säkularisiert, der Teufel aber nicht.“

Ja, die Aufklärung hat nur Gott für tot erklärt. Den Teufel – das Prinzip des Widersacherischen, wie es bei Bloch heißt – nicht. Und so kommt es, dass es bei jeder Katastrophe dieselbe riesige Überraschung gibt. Ein Amoklauf an einer Schule in Amerika: Na so etwas, wie konnte denn das passieren? Der Unfall, die Katastrophe, das Misslingen ist in unserer Gesellschaft systematisch nicht vorgesehen. Es wird immer als Unfall gesehen, als Abweichung von der Normalität, nicht jedoch als Teil der Normalität. (…) Ein Unglück, ein Terroranschlag, ein Erdbeben wird immer als einzelnes Phänomen betrachtet. Eine Art negatives Wunder, dass es überhaupt geschah. Es wird völlig überhöht, ist „tragisch“, „unvorstellbar“. Es muss dann auch immer ein Schuldiger gefunden werden, der das zu verantworten hatte. Dabei, und jetzt kommen wir wieder zum Thema Endlichkeit: Es kann nicht immer gutgehen. Es kann immer etwas passieren. Man muss sogar damit rechnen, dass schreckliche Dinge passieren.

Und heute liegt das Buch vor mir, „Nachruf auf mich selbst“ – einzelner geht es nicht:

Welzer: Nachruf auf mich selbst

dies bewegte mich 1980 / 1982 – die Unterstreichungen stammen von damals . . . rückblickend finde ich mich damals jung …

Die 90er Jahre?

Nach der „Jahrtausendwende“ – ein großer Sprung:

Berlin 2017 / 2019 München 2019

Donnerstag 18.11. 2021 – die neue ZEIT ist da: ich habe Zeit, sie zu durchblättern, schließlich bin ich nicht allein, der Kaffee ist längst fertig. Seelenlage: ausgeglichen.

Aber ich bin abgelenkt durch Artikel und Blickfang auf der nächsten Seite: Foto gemeinfrei. Denn der abgebildete Springer, ein junger Mann, war schon damals tot, sonst wäre dies kein antikes Grabmal.

Paestum um 480 v. Chr. s.a. hier

Zurück zu „Seelenlage: Schmerzlich“. Da heißt es zu dem Buch von Daniel Schreiber („Allein“):

Schreiber ist Experte für Tabus. Er hatte 2017 in dem schmalen Band Zuhause erzählt, wie er sich als schwuler Junge in einem ostdeutschen Kaff durch die Kindheit litt. In Nüchtern (2014) geht es um Sucht. Der Autor weiß, wie es sich anfühlt, randständig zu sein, beäugt und beurteilt zu werden. Alleinsein, schreibt er, ist etwas, was auch anderen Furcht einjagt, weil Einsamkeit als ansteckend wahrgenommen wird, sie ist mit Scham behaftet, wird versteckt.

Es ist die Selbstoffenbarung, die Schreibers Buch von dem Werk Rüdiger Safranskis gänzlich unterscheidet, auch wenn die Titel ähnlich sind. […] Hier nun: Start bei der Renaissance! Safranski arbeitet sich durch die Reformation über Rousseau zu Kiekegaard vor, verweilt bei Stefan George, Zwischenstopp bei Ricarda Huch und Hannah Arendt (niemand soll ihm sagen, wie beim Romantik-Buch, er habe die Frauen vergessen!), am Ende landet er bei Ernst Jünger – »Der Einzelne als Stoßtruppführer«

Es ist ein Fast Forward durch die Philosophie. Man kann sich vorstellen, wie so ein Buch zu Weihnachten an die Papas geht und wie wenig nach einem Cognac noch auffällt, wie grob es geschnitzt ist. »Wer als Einzelner erlebt, steht im Freien, ohne sich deshalb schon befreit zu fühlen.« Nun ja. Ob italienische Stadtstaaten sich »in der Arena des polyzentrischen Kräftespiels wie eigensinnige Individuen« verhielten? Sind die großen Künstler von Florenz vor allem »Darsteller des eigenen Ichs«? Eigentlich nein. Wohin führen solche Vereinfachungen? Mit Sicherheit weit weg vom Schmelzkern des Themas, einer eigenen Einsamkeitserfahrung.

Quelle DIE ZEIT 18. November 2021 Seite 72 „Seelenlage: Schmerzlich“ Daniel Schreiber und Rüdiger Safranski erkunden das vereinzelte Ich auf verblüffend verschiedene Weise / Von Susanne Mayer

Stadtstaat und Kosmopolitismus

Die großen Begriffe der italienischen Stadtstaaten uomo singolare, uomo unico“

Quelle Jacob Burkhardt: Die Kultur der Renaissance in Italien / Alfred Kröner Verlag Stuttgart 1952 (1860)

Siehe auch hier: http://s128739886.online.de/athen-und-florenz/

Sobald man das Individuum hervorhebt, ist es ein notwendiger Schritt zu bedenken, dass kein Individuum für sich allein existiert.

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Quelle Thomas Vašek: Philosophie! die 101 wichtigsten Fragen / Theiss/ Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2017

P.S. Ich verweise dankbar auf den Artikel, in dem ich wohl zum ersten Mal im Blog auf dieses schöne Lexikon hingewiesen haben (ebenfalls in der Vorweihnachtszeit, Thema SEELE): hier

Und was ist, was vermag eigentlich der einzelne schöpferische Mensch?

Hier war mir das Büchlein noch neu. Jetzt ist es mir aus einer veränderten Situation heraus von neuem wichtig geworden. Ich schaue nicht mehr als erstes auf die Tiere, auf die Natur, sondern auf den Menschen, der an die Stelle Gottes tritt. In der Kunst ebenso wie bei der Herstellung einer wohlgeformten Holzkelle oder eines Hauses. Da sollte ich den entscheidenden Sprung der Gedanken darstellen oder wiedergeben…