Wie ich das Geige-Üben umfunktioniere
Da ich täglich übe, ob Geige oder Klavier, neige ich dazu, gedanklich an vorher Gelesenes anzuknüpfen. In diesem Fall an den seit dem 1. Februar erarbeiteten Artikel, der mir eine Freude war: kritische Auseinandersetzung verbunden mit Erinnerungen, die verjüngend wirken (ab hier gehört vor jedes Satzzeichen, ob Komma oder Punkt oder Doppelpunkt, ein lächelndes oder trauerndes Emoji-Gesicht). Die „kleinen“ Dont-Etüden (im Gegensatz zu den großen, recht schweren) wiederhole ich auf der Geige besonders gern, weil ich sie mit 15 zum ersten Mal erarbeitet habe, als ich zu einem neuen Lehrer kam und eine neue Stufe zu erklimmen glaubte. Seine kernige Schrift flößt mir immer noch Vertrauen ein, wie damals, – sein Name war Hans Raderschatt (Prof. in Weimar, Konzertmeister in Bielefeld; studiert hatte er in Köln bei Bram Eldering, was im Link übrigens vermerkt ist), eine Autorität.
Jetzt erstmal meine „indische“ Übung: ich versetze die Etüde – es ist nur die erste Hälfte, die ich mir dienstbar mache, imaginär nach E-dur (statt Es-dur) und ignoriere die Vorzeichen b, es, as und dann auch noch die E-dur- Vorzeichen cis und dis, ich verwende also konsequent die Skala E – Fis – Gis – A – H – C – D – E, und genau das ist die Skala von Charukeshi. Ich schicke der Etüde jedoch noch 3 Takte voraus, – warum, wird sich später ergeben, spiele jedenfalls danach nahtlos weiter, „notengetreu“ ab dem ersten gedruckten Takt bis in den letzten Takt, wo ich einen anderen Abschluss vorziehe, den ich handschriftlich nachtrage. Keine Modulation also. Warum? Ich will meinen Geist ganz von der erlernten Etüden-Tonart loslösen und neu einfärben, ja, „den Geist färben“ nichts anderes bedeutet das indische Wort „Raga“. – Also: in Verbindung mit dem Artikel „Raga Hören Üben„, den Sie geöffnet bereithalten sollten, wenn Sie mitlernen wollen. (Was auch auf Klavier, Akkordeon, Gitarre, Mandoline leicht möglich wäre… Vielleicht sogar Einzelphrasen mitsingend?)
Die Stimmung der Geige justiere ich beim Hören des ersten Beispiels von Jayanti Kumaresh, mein Ton E muss mit ihrem Grundton übereinstimmen, insbesondere die leere E-Saite.
Die Noten werde ich noch minimal anpassen, und sobald das alles sitzt, sollten wir uns sowieso vom Notentext lösen und nach dem Gehör imitieren, was das Zeug hält… Auf jeden Fall: man muss es tun – TUN ! – und üben – ÜBEN ! – nicht einfach sagen: „alles klar, hab ich längst kapiert“, – – – da wäre doch noch rein gar nichts umgefärbt. Immer noch dieselben Farben in Dur und Moll. Da warten Sie weiß Krishna vergebens auf indische Hilfe…
Die folgende Bearbeitung ist graphisch unschön und auch etwas überbezeichnet, sie dient ja nur zum Auswendiglernen. Und immer im Wechsel mit dem bloßen Hören der Charukeshi-Aufnahme, dabei stets die verwendeten Skalenabschnitte lokalisierend.
Als Einleitung verwende ich die beiden folgenden Takte, um das Gis-Fis-E-Gefühl zu stärken, die Basis:
Rück- bzw Vorschau „Purya“:
Beim letzten Beispiel geht es nur um ein tertium comparationis: wie unterschiedlich doch eine im Material gegebene Polarität des Ragas gedeutet werden kann. Man lese meinen ausführlichen Text zum Raga-Hören im Link.
Manfred Bartmann machte mich darauf aufmerksam, wieviel günstiger es sei, bei indischen Beispielen die Geige auch indisch einzustimmen: das ist richtig, aber ich will meiner Geige kein tägliches oder stündliches Umstimmen zumuten. In diesem Fall also mal eben zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, – was allerdings ebensowenig funktioniert wie das hier verwendete sprachliche Klischee…
(Fortsetzung folgt)
folgt: Skizze zur ersten Übung von Jayanthi Kumaresh… (nebenbei – wenn Sie schon auf Kaushiki schauen – ihr Grundton liegt ganz anders, nämlich eine verminderte Quart tiefer, die Skala wäre: B – C – D – Es – F – Ges – As – B , was natürlich nichts am Raga ändert, Charukeshi hier wie dort, nur für die Violine etwas unpraktischer).