Mehr über Tony Cragg hier und über den Kunstpalast hier
Zum erstenmal: Bildwerke berühren!
Tony Craggs Werkstatt
(Alle Fotos von JR, bis auf drei – von ER)
Wenn Sie folgender Zeitungsbeilage begegnen, – studieren sie doch das NRW-Blättchen, es lohnt sich!
Nicht nur wegen Kunstpalast, – es ist lebendig aufgemacht und erschließt aktuell lauter interessante Projekte.
Ich liebe Zeitsprünge, vielleicht um die Jahrzehnte in meiner Hand zu fühlen: wenn Sie noch etwas Zeit haben, mir auf einen Sprung zu folgen, lesen Sie doch dort noch etwas weiter:
Noch etwas zum Kunstpalast Düsseldorf: es gibt einen phantastischen Bildband zum gesamten Museumsbestand (außerhalb der Cragg-Ausstellung). Exzellente großformatige Wiedergaben, und separat, in kleinformatigen Bildreihen, jeweils nach Großepochen gegliedert, dazu Kommentare von Felix Krämer (Felicity Korn und Westrey Page), – hier mit meiner Tageszeitung zum Maßstabvergleich (=latentes Bekenntnis zur Region).
19./20.04.24 Süddeutsche Zeitung
In dem schönen Bericht gibt es zwei Missverständnisse: da ist der Hinweis auf John Bergers Buch „Sehen“, als gehöre zu der Thematik des Sehens (Das Bild der Welt in der Bilderwelt) implizit der Hinweis „Anfassen verboten“. In Wahrheit war sie eng verbunden mit der Entwicklung der Ölmalerei, die das Sehen unerhört intensivierte, – als sei der Gegenstand dargestellt, die Haut, das Fell, die Kleidung real berührbar, zum Greifen nah. Darin lag durchaus eine sexuelle Komponente, die neuerdings sogar krass vordergründig aufgefasst werden könnte: „Darf ich jetzt hemmungslos die Genitalien streicheln?“ Ah, falsch verstanden: im Fall der Skulptur des „Sitzenden Knaben“ ist nur die Rede davon, „dass man ihr unweigerlich wie aufmunternd über den Kopf streicheln möchte“. Die glänzenden Stellen der bronzenen Nacktskulpturen in Indien und anderswo verraten andere Vorlieben, die sich vielleicht nur im banalen Alltag äußern.
Als blutige Laien in der Kunstbetrachtung haben wir immer ein schlechtes Gewissen, wenn wir ein Gemälde oberflächlich nach seiner Lebensähnlichkeit beurteilen; andererseits beginnt man sofort zu spotten, wenn einer dagegenhält mit Bemerkungen zum strukturellen Aufbau des Werkes. Ich erinnere mich, dass zeitweise ein impressionistisches Kalenderbild an der Wand über dem Schreibtisch meines Vaters hing, in das ich mich „verliebte“, während er, der sich gerade Hamanns große dickleibige Kunstgeschichte zugelegt hatte, offenbar einen rein sachlich-ästhetischen Zugang suchte. Die farbenfroh schöne Frau von Renoir oder Monet hatte sogar einen Namen, sie war einmal „real“ (gewesen). Als mein Freund zu Besuch kam, führte ich ihn wie zufällig zum Porträt, beiläufig murmelnd „findichschön“, worauf er knallhart entgegnete: „hat viel Holz vor der Hütten“, und damit war sie schlagartig entweiht. Ja, entweiht. Alerdings hatte ich schon ein ungutes Gefühl, wenn ich auf dem Cover meiner ersten Concert Hall Schallplatten las: „Hohe Lebensstunden weihet mit Musik“. Auch Musik sollte etwas mit dem wirklichen Leben zu tun haben. Einmal legte ich ein Bild auf das Notenpult und versuchte, auf der Violine die irgendwie geforderten oder unterstellten „überströmenden Gefühle“ zum Ausdruck zu bringen. Da trat überraschend mein Vater ins Zimmer trat und rief „das ist viel zu schnell“, während ich eiligst mit dem Geigencorpus das kompromittierende Bild verdeckte. –
Eines Tages kam meine 5 Jahre ältere Cousine auf der Durchreise mit ihrer Freundin zu uns, beide Kunststudentinnen in Basel, wir schauten gemeinsam den Prachtband „Europäische Meisterbilder“ an, – einige kannte ich allzugut -, mir schwante Unheil, plötzlich hielten sie inne, allerdings nicht dort, wo ich mich auskannte: sondern beim Jesus am Kreuz. Sie bewunderten die „Formauffassung“, die (attraktive?) Freundin legte den Finger auf die Reihe fein ausgearbeiteter Bauchfalten, oberhalb des Lendentuches. Mir stockte der Atem, und sie sagte: „wie fein ausgearbeitet!“ Gott sei Dank, beide waren vom Fach und bemerkten nicht die Röte in meinem Gesicht.
So etwa begann meine Pubertät, von der ich wenig wusste. Meine Mutter bemerkte nur verdächtig oft: „Die Flegeljahre bleiben bei ihm aus!“ Hat mich die Klassik gezügelt? Eine unendlich lange Zeit verging, ehe ich die Mentaltät der 50er Jahre in all ihrer Verklemmtheit durchschaute, die 6oer Jahre, die ich als Befreiung erfuhr, auch kunstästhetisch umsetzte. Erste Erleuchtungen (nach André Malraux‘ „Das Imaginäre Museum“ 1963): das Bändchen vom „Sehen der Welt in der Bilderwelt“ von John Berger (1974).
Derlei Dinge gingen mir durch den Kopf, als ich heute einer Anregung von Wilfried Schaus-Sahm folgte und mich mit der folgenden Betrachtung von Kia Vahland beschäftigte.
https://www.stadtmuseum-duisburg.de/leonardo-da-vinci-und-die-frauen/ hier
https://www.nationalgeographic.de/geschichte-und-kultur/2019/09/die-malerei-leonardo-da-vincis-ist-weiblich hier
https://de.wikipedia.org/wiki/Anbetung_der_K%C3%B6nige_aus_dem_Morgenland_(Leonardo_da_Vinci) hier
https://de.wikipedia.org/wiki/Bildnis_der_Ginevra_de%E2%80%99_Benci hier
https://de.wikipedia.org/wiki/Cecilia_Gallerani hier
https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Verk%C3%BCndigung_(Leonardo_da_Vinci) hier
Zitat Vahland: vom Kuss
3:44 „Leonardo da Vinci hat ganz außergewöhnliche Frauen gefunden, die einen heute noch überraschen. Er malt erstmal natürlich viele Marien, da wissen wir nicht, wer die Modelle sind. Dann aber malt er noch als junger Mann Ginevra de‘ Benci (…). Er möchte, dass sich die Leute in seine Bilder verlieben. Er erzählt eine Geschichte, wie die Leute Bilder mit weiblichen Heiligen zurückbringen in die Werkstatt und ihn bitten, die Heilgenscheine zu übermalen, damit sie die Bilder besser küssen können. Und das ist ganz genau in Leonardos Sinn. Das heißt, er nutzt die Stärke der Frauen, er nutzt die Verführungskraft der Frauen, um seine Kunst, um die Malerei zu stärken. Die Malerei ist so verführerisch wie die Frauen, die er malt. Und stark, so unabhängig und so klug wie diese. Dafür müssen es natürlich selbständige Objekte sein und keine Objekte, über die man einfach verfügt. Und die Frauen auf den Bildern liefern sich den Betrachtern nie aus. Das sind immer ganz, ganz eigenständige Wesen. Denn sie stehen für Leonardo auch für die Malerei an sich. Schon seit der Antike ist das Bild einer schönen Frau auch das große Meisterwerk eines Malers, an dem er seine Kunst zeigt, und so ist es eben auch bei Leonardo da Vinci. Denen gehört seine Sympathie, auf die lässt er sich ein, mit denen tritt er in einen Dialog.“ 5:11
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(Abstrakte) Kunst in der Realität, was nicht unbedingt bedeutet: die neue Irrealität dank Caspar David Friedrich. Jedoch auch Düsseldorf (20 Minuten entfernt, nächste Woche):
https://www.kunstpalast.de/de/event/tony-cragg/#Ausstellung hier
Video mit Cragg – siehe bei 6:40 von Menschen, – „die streicheln meine Arbeit„.
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13.04.24 Noch etwas ganz Neues aus dem Kunstpalast in Düsseldorf: ! Blumen ! HIER .
16.04.24 Ich war dort, im Kunstpalast Düsseldorf Ausstellung Tony Cragg, hier „Die Welle“: