Archiv der Kategorie: Musik

Von der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen

Linearität und „Musik im Delta“

Einige Anregungen zu musikhistorischen Fragen, die sich – direkt und indirekt – bei der Lektüre des Buches von Gunnar Hindrichs („Die Autonomie des Klangs“) ergeben, – wenn man gewöhnt ist, die Systeme zu wechseln. Etwa: von der Affektenlehre im Barock zur Bedeutung der „Rasas“ in indischer Musik – vielleicht letztlich in beiden Fällen auf Aristoteles zurückgehend. (Verbindung über Hellenismus in Baktrien, vgl. Lutz Geldsetzer „Nagarjuna“ Hamburg 2010, Vorwort ab Seite XII).

Das Hintertürchen, das Adorno für Komponisten offenhält, die nicht in sein Schema passen: etwa Janáček oder Bartók, – im Gegensatz zu Elgar oder Sibelius, die keine Gnade finden.

Aus meinem Exemplar der „Philosophie der Neuen Musik“ von Theodor W. Adorno (Europäische Verlagsanstalt Frankfurt am Main 1958), studiert ab 13.V.1960 in Berlin):

Adorno Philosophie Janacek

Bei Hindrichs nun scheint problemlos Platz für alle. Einige Umwege sind unvermeidlich, auch dank des Verdachtes einer kryptisch-theologischen Hermeneutik (seit Hegel eine gute philosophische Tradition,  vielleicht die Grundlage aller Philosophie).

Eine Assoziation* sei an dieser Stelle eingefügt; ich werde ihr nachgehen, sobald ich mich wieder an meinem Schreibtisch befinde.

Carlo Ginzburg über Italiens kulturhistorische Situation etc s.a. hier. Siehe zunächst die Quelle zum Thema Ungleichzeitigkeit bei Bloch !!! Hier

Was in der Szene der „neuen Neuen Musik“ gegen Gunnar Hindrichs vorzubringen ist, lässt sich gut bei Stefan Hetzel verfolgen. Siehe HIER. Wobei der Respekt durchaus zum Vorschein kommt:

Hindrichs ist ein äußerst ernst- und gewissenhafter, zudem ehrgeiziger intellektueller Arbeiter, das ist wohl kaum in Frage zu stellen. Schreiben kann er auch, das Buch hat zweifellos Stil und der Autor ist in der Lage, auch über längere Strecken Gedankenfäden auf abstrakter Ebene zu spinnen, die sogar – so man denn Spaß am Umgang mit Abstrakta hat und die Prämissen des Autors akzeptiert – eine deutliche Sogwirkung entfalten: eine echte Seltenheit! So gesehen, ist “Die Autonomie des Klangs” ein gut, ja sogar hervorragend gemachtes Buch. Aber mir sind nun mal Inhalte wichtiger als Form – und was die betrifft, hockt der Text im allerverstaubtesten Dachkämmerchen des Elfenbeinturms und wünscht sich zurück in eine heile Welt absoluter, metaphysisch legitimierter Autorität.

(Stefan Hetzel a.a.O.= s. den Link oben)

Im Blick auf die bedeutende Musik anderer Kulturen interessiert mich weniger die im § 26 des Hindrichs-Buches im Anschluss an Doflein hervorgehobene Spielmusik, die von der Linearität eines Materialfortschritts nicht erfasst würde – womit etwa die Linie von Bach über Beethoven zu Brahms/Wagner und Schönberg gemeint wäre – , dennoch ist der Gedanke grundsätzlich festzuhalten:

ZITAT

Der Hauptangriffspunkt gegen die Theorie von der Tendenz des musikalischen Materials bildet ihre vermeintliche Verpflichtung auf die Annahme von Linearität. Wenn es eine Tendenz des Materials gibt, dann scheint sich die Musikgeschichte einer Linie gemäß zu vollziehen. Das schneidet die Mannigfaltigkeit musikalischer Entwicklungen ab.

Im Hintergrund dieses Einwandes steht oft das Ressentiment gegen „die Moderne“ oder „das Neue“. Daneben aber gibt es auch reflektierte Stimmen. Einer der ersten wichtigen Einsprüche erfolgte von Erich Doflein. In ihm ist der Hauptgedanke aller späteren Gegenargumente vorweggenommen. Es lautet: Statt der Linearität eines Materialfortschritts sei die Vielfalt der neuen Musik anzuerkennen. Dofleins Titel für diese Vielfalt hieß „Musik im Delta“. Das Delta der neuen Musik umfaßte in seinen Augen neben dem obligaten Stil einer vollständigen Durchdringung des Tonsatzes, der zur Zwölftontechnik geführt habe, auch spielerische Formen, das Laienmusizieren, die Stücke der Musikpädagogik oder die Linie Reger-Hindemith-Orff. Die Regionen dieser auseinanderstrebenden Leitbilder bilden die Provinzen der Musik, die sich nicht mehr miteinander verständigen können. Sie alle aber besitzen in ihren regionalen Grenzen Legitimität.

Dofleins Gedanke einer Vielfalt von Formen statt eines einfachen Fortschritts des Materials – „Delta“ statt „Linie“ – läßt sich unabhängig von seiner Entfaltung in die Musikwelt des Adenauer-Deuschlands betrachten. Er beruht auch nicht auf dem Ressentiment gegen die Moderne. Statt dessen führt er die Konzeption regionaler Legitimitäten ins Feld. Zwar stellt der von ihm behauptete Gegensatz von obligatem Stil und Spielmusik keinen Gegensatz gleichrangiger Entwicklungen dar; diese inhaltliche Bestimmung des Deltas ist zeitgebunden und muß aufgegeben werden.

Quelle Gunnar Hindrichs: Die Autonomie des Klangs / Suhrkamp Berlin 2014 (Seite 56 f)

Die Anhänger neuester Strömungen, denen das „Delta“ gleichgültig ist, interessieren sich auch in geringem Maß für das Faktum, dass klassische Musik, – also Musik einer vergangenen Epoche, einer abgelebten Gesellschaft -, den heutigen Menschen weiterhin etwas zu sagen hat. Eine vergleichbare Situation: Wer sich für Musik fremder Kulturen begeistert, scheint sich in eine vor-industrielle, mythisch befangene Gesellschaft zurückzusehnen. Er ist nicht „auf der Höhe der Zeit“. Auch das ist Quatsch, – was aber nicht ganz leicht nachweisbar ist.

*Assoziation: das oben verlinkte Buch über Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen / Fünf Studien zur Geschichte Italiens / edition suhrkamp 991 / Frankfurt am Main 1980 / Siehe dazu den späteren Artikel, – wobei ich beim Thema Italien immer das große Thema Indien mitdenke:

Italien Storia

Italien Storia Aufsätze

Zugabe in gleichzeitigen Naturalien

Texel Paal 19 a  Texel Paal 19 c

Texel Paal 19 d Texel Paal 19 d'

Texel Paal 19 HandyFotos: JR

Nachtrag 6. April 2016

Im April-Exemplar des Magazins „Musik & Ästhetik“ (Heft 78) äußert sich Christian Utz zu einem Kongress-Beitrag von Gunnar Hindrichs und bringt zum Vorschein, was in der zeitgenössischen Diskussion gegen diesen Autor vorgebracht wird.

Hindrichs (…) möchte zeigen, dass musikalische Form als „Antwort auf Notwendigkeiten des Materials“ eine normativ verstandene „ästhetische Wahrheit“ begründet, die unabhängig von einzelnen Interpretationen und deren Geschichte bestehe. Vor diesem Hintergrund wird die Musikgeschichte für Hindrichs lesbar als Werden auf ein Noch-nicht-Vollkommenes hin. Hindrichs‘ zum Apodiktischen neigender ontologischer Zugang, der auch aus Anlass seines Buchs Die Autonomie des Klangs (2014) vielfach kritisiert worden ist, mag aus einer gewissen Tradition philosophischer Denkfiguren in der deutschsprachigen Philosophie begründbar sein, kann aber gerade auf einem derartig kontrovers und intensiv debattierten Feld wie der Musikgeschichtsschreibung kaum darüber hinwegtäuschen, dass sein Modell den Stand der Diskussion verfehlt. Wenn – der postmodernen Skepsis an „Meta-Narrativen“ zum Trotz oder gerade durch diese beflügelt – Fragen der Globalgeschichte, die Historizität nicht-westlicher Musikformen oder eine integrierte Diskussion von Kunst- und Popularmusik zur Sprache kommen, wird ein Diskursfeld geöffnet, vor dessen Hintergrund Hindrichs‘ Argumentation als zirkulär und eindimensional erscheint. Aber auch zu einem im engeren Sinn musitheoretischen Diskurs vermag die fragwürdige Denkfigur einer „Einbahnstraße“ vom Material zur Form kaum etwas beizutragen.

Quelle „Gegliederte Zeit“ / Der 15. Jahreskongress der Gesellschaft für Musiktheorie (GMTH) an der Hochschule für Musik Hanns Eisler und der Universität der Künste Berlin, 1.-54. Oktober 2015 / Von Christian Utz / in „Musik & Ästhetik“ (s.o.)

Dem soeben aufgeführten Zitat folgt ein Satz, der unbeabsichtigt, aber in willkommener Weise den Titel dieses Blogbeitrags stützt (en passant erinnere ich an die Tatsache, dass Brahms auf einem virtuellen Kongress, den etwa Wagner dominierte hätte, durchaus vorteilhaft die Ungleichzeitigkeit mancher Zeitgenossenschaften exemplifiziert hätte) :

Waren somit durch die Hauptvorträge eher gewisse „Ungleichzeitigkeiten“ des Diskurses sichtbar geworden, so brachte das sonstige Kongressprogramm ein sehr facettenreiches Spektrum von „zeit“-bezogenen Fragestellungen zur Sprache, gerade auch unter spezifischer theoretischen Gesichtspunkten (…).

Auch sonst ist diese Ausgabe von „Musik & Ästhetik“ besonders zu empfehlen, weil sie gerade den hier angesprochenen Beitrag von Hindrichs enthält („Musikalische Eschatologie“), aber auch dank der Texte „Zum Tod von Pierre Boulez“ (Larson Powell) zur Qualitätsfrage (Claus-Steffen Mahnkopf) oder über „1001 Mikrotöne“ (Hans Peter Reutter) und andere mehr. Siehe hier:  https://www.musikundaesthetik.de/.

Pauschalurteile zur Musik

Ein letztes (?) Wort von Nikolaus Harnoncourt

Vorgestern, am 8. März, stand in der Süddeutschen Zeitung ein Interview mit dem Dirigenten und Pionier der „Alten Musik“, und da er gerade verstorben ist, hat es (zu Unrecht!) den Charakter eines „letzten Wortes“, obwohl es schon zwei Jahre alt ist und aus unerfindlichem (oder durchaus gutem) Grund in der Schublade verblieben war.

Also Lully ist ein wirklich schlechter Komponist, der in Italien, wo er herkommt, unmöglich reüssieren konnte. Dann ist er nach Frankreich gegangen, und da hat er genau die Form gefunden, die für die französischen Musik gut war. Wie die gestutzten Hecken, die es ja in Italien noch nicht gegeben hat. Für mich eine Non-Musik.

Schlechte Musik? Von schlechten Komponisten? Kurz vorher hat er gesagt:

Das ist vielleicht nicht einfach schlecht zu finden, aber Mahler könnte ich nicht aufführen, Berlioz könnte ich nicht aufführen, Bruckner könnte ich nicht aufführen. Lully könnte ich nicht aufführen.

Hatte er die von ihm aufgeführten, auf CD eingespielten und mit großem Tamtam von der Kritik propagierten Bruckner-Sinfonien vergessen?

Jean-Philippe Rameau?

Das ist große Musik, und wenn Bruckner, dann Rameau. Denn Bruckner versucht so zu schreiben wie der Rameau, und das gelingt ihm nie.

War er recht bei Verstand? Waren solche Sätze verantwortlich dafür, dass dieses Gespräch unter Verschluss geblieben ist? Muss man es ausgerechnet jetzt hervorholen, um den verstorbenen Meister lächerlich zu machen? Hatte er je sein Placet zum Abdruck gegeben?

Gustav Mahler?

Immer“Ich!“ Das ist etwas, was mir unangenehm ist. Wenn ein Künstler immer von sich spricht. Ich hab das Gefühl, alles, jeder Ton von ihm heißt „Ich“. Das Gleiche wie bei Berlioz. Eklig.

„Ich hab das Gefühl“?? Ich, ich, ich? Entsetzlich. Oder wie soll man sagen? Jedenfalls: Mahler – „eklig“???

Kaum ein Wort, das man in größerem Zusammenhang nicht zumindest schon etwas differenzierter gehört hätte, insgesamt ein Interview (alle Originalzitate in Rot), das wie ein schlechtes Kondensat wirkt, wenn man es mit älteren, sorgfältiger ausgearbeiteten Texten vergleicht, zum Beispiel mit dem Spiegel-Interview aus dem Jahre 2007: Schön durch Schmutz / Von Kronsbein, Joachim / Der Dirigent Nikolaus Harnoncourt über seine Liebe zu Alter Musik, über Ego-Komponisten und musikalische Genies in DER SPIEGEL 45/2007 vom 5.11.2007 – siehe HIER.

Zu Mahler sagt er hier immerhin noch folgendes:

Harnoncourt: Am auffallendsten ist der Ego-Bezug bei Berlioz und Mahler. Jetzt kann ich natürlich nicht sagen, dass Mahler schlechte Musik ist. Ich habe nur keine Beziehung dazu.

SPIEGEL: Auch nicht zu den berührenden Liedern?

Harnoncourt: Dazu müsste ich mich zu sehr verändern. Die „Lieder eines fahrenden Gesellen“ haben mich sehr ergriffen. Ich habe selbst im Orchester gespielt, als Fischer-Dieskau sie sang. Und das ging unter die Haut. Und dann frage ich mich: Will ich das aufführen? Und ich sage sofort: Nein. Ich kann nicht genau sagen, warum.

Das ist ehrlich und relativ differenziert. Damals äußerte er sich auch noch über Bruckner ziemlich angemessen:

Harnoncourt: Nehmen Sie Bruckner und Schubert: Das sind zwei Komponisten, die beide keine Vorgänger und keine Nachfolger haben.

SPIEGEL: Wie Bach und Mozart.

Harnoncourt: Das sind zwei Gipfel, die aus der Musikgeschichte herausragen.

Viel ist damit auch nicht gesagt, aber immerhin, die Geistesverwandtschaft zwischen Schubert und Bruckner wird angedeutet. Sehr erfreulich auch die Würdigung der Lebensleistung Leopold Mozarts.

Besonders merkwürdig jedoch im SZ-Interview die Herabminderung der Bedeutung des Wissens in der Musik. Wie er dem Irrationalismus zuarbeitet, indem er zuerst sagt:

Für mich war es immer wichtig, alles zu wissen, was man wissen kann, was man erreichen kann. Um dann alles vergessen zu können, wenn es um die Aufführung geht. Denn wenn ich das Wissen höre, dann ist es eine schlechte Aufführung.

Und dann der absurde Vergleich:

Man hört, es wirkt studiert. Das finde ich auch, wenn ein Philosoph eine Rede hält. Kann mich sehr interessieren. Aber wenn ich den Denkvorgang verfolgen muss, das mag ich nicht.

Philosophie wäre also etwas anderes als ein Denkvorgang? Zweifellos ist das altersbedingt, und es ist vielleicht nicht in Ordnung, so etwas zu veröffentlichen. Harnoncourt war nicht mehr auf der Höhe seiner früheren Argumentation. Von daher vielleicht wird auch die Fehlleistung verständlich, den Schein-Pianisten Lang Lang in das letzte Mozart-Projekt einzubeziehen, als sei das alles im Vorübergehen lehr- und lernbar. Ausgerechnet bei Mozart, dem der Kollege Haydn vor allem höchste Kompositionswissenschaft bescheinigte.

Wie erfrischend ist es da, einen wachen Geist wir Reinhard Goebel über die Notwendigkeit des Wissens in der Musik reden zu hören, wie kürzlich im VAN-Magazin:

Für mich ist die Musik wie ein verschlüsseltes Bild, das man nach der Nomenklatur des 18. Jahrhunderts rückentwickeln kann. Sie können die Brandenburgischen Konzerte mit dem Kantatenwerk Johann Sebastian Bachs vergleichen und Strukturen aufbauen. Was ist los, wenn wir ein Horn hören? Dann denken wir an Jagd. Was ist los, wenn wir eine Trompete hören? Dann denken wir an Fama. Was ist los, wenn wir Blockflöte hören? Dann denken wir an pastorale Güte. Was ist los, wenn wir Gamben und Bratschen hören? Dann denken wir an Trauermusik, dann denken wir ans Sterben. Das sind die objektivierbaren raisons d’être der Musik. Meine Student/innen müssen in der Lage sein, ein Stück aus sich heraus hermetisch abgeschlossen zu diskutieren: was zeigt ihnen die Partitur über die Manier des Spielens, wie ist die Beweisführung, wenn in Takt 16 das steht und in Takt 18 aber das? (…)

Diese junge Generation, die ist zum Teil so maßlos unbeschlagen, dass es schon fast wehtut. Es ist ihnen nie vorgemacht worden, etwas erklären zu müssen, außer sich selbst. „Ich will das so, also machen wir es jetzt so.“ So fängt das an. Die Selbstverliebtheit und Selbstvernarrtheit der Musiker. Und das ist ein völliges Fehlbild, was Komposition oder Kunst anbelangt, das muss ich jetzt sagen. Wenn man das nicht grundsätzlich gelernt hat, dann ist es unter Umständen später schwer, es nachzuholen. Deswegen versuche ich allen klarzumachen: suchen Sie sich irgendein Spezialgebiet, und sei es nur, weil Sie eine Meise haben. Wir brauchen ja irgendwelche Synapsen, Wachheit. Eine Studentin, eine große Virtuosin, kam einmal völlig entleert zu mir, „ich weiß nicht mehr, warum ich Musik mache, ich weiß nicht mehr wo vorne und hinten ist.“ Da habe ich gesagt, „nehmen Sie doch mal ein Buch zur Hand“. Und dann kam sie drei Tage später zurück und meinte, „das hat am Anfang so weh getan im Kopf.“ Da fiel mir ein, wie ich als Zehnjähriger meine ersten Lateinvokabeln lernen musste, irgendetwas zu lernen, wo wir keine Verbindung zu haben. Agricola, der Bauer, ara, der Altar, avia, die Großmutter, das hat so wehgetan, ich habe gebrüllt zu Hause. Bei meiner Studentin hat das dann aber total angeschlagen, heute gewinnt sie jeden Preis, kann Wissen mit Können verbinden, eine hinreißende Mischung, der kann man sich gar nicht entziehen, die spielt zehnmal so gut Geige wie der Goebel ever und hat Charme und eben Wissen!

Am schönsten Goebels Antwort auf die Frage, OB ES SCHADEN KÖNNE, ZU VIEL ZU WISSEN:

Das kann nicht sein, das Wissen ist doch die Quelle der Inspiration! Das ist atemberaubend. Im letzten Semester bin ich von Lexikon zu Lexikon gestiegen auf der Suche nach einer Erklärung eines Satzes, der gegen Johann Sebastian Bach ist. Es hat mich elementar glücklich gemacht, als ich sie gefunden habe. Das Wissen kann berauschen. Und das Mehr-Wissen berauscht noch mehr.

Quelle „Leute, ich weiß es immer noch am besten“. Ein Interview mit Reinhard Goebel. (Autor: Hartmut Welscher) in: VAN Magazin 2.3.2016 online nachzulesen HIER.

Kölner Phase (unrepeatable)

Steve Reich hören lernen

In der Kölner Philharmonie hat sich ein Skandal ereignet, endlich mal, da muss man nicht immer wieder von dem Skandal 1913 beim „Sacre du printemps“ anfangen, oder ich mit meinem Lieblingsbeispiel, das ich 1960 nur vom Tonband eines Freundes gehört habe: Moses und Aron in Berlin unter Hermann Scherchen. Die Proteste bei der Uraufführung waren offenbar live über den Sender gegangen: als Scherchen den protestierenden und randalierenden Zuschauern zurief: „…dann muss ich Sie denen zurechnen, die meine Autoreifen zerschnitten haben und die gedroht haben, mir Vitriol ins Gesicht zu schütten!“ – Ich eilte zu Beginn meines Studiums sofort in eine Aufführung, die ruhig verlief, sehr eindrucksvoll (mit Josef Greindl), mir schien auch, dass nicht Schönbergs Musik die Menschen so erregt hatte, sondern der Tanz ums Goldene Kalb, die Nacktheit der tanzenden Menschen in ihren fleischfarbenen Trikots, ihre bacchantisch zur Schau gestellte, überzeugend gespielte Lüsternheit.

Nichts von alledem in Köln! Im Konzert des Ensembles Concerto, offenbar vor einem Publikum, das gewöhnt ist, in Konzerte Alter Musik zu gehen und das sich dieser Tatsache auch im Verlauf des Konzertes bewusst bleiben will, geschah das Unglaubliche: es wurde das gespielt, was im Programm vorgesehen und auch während des Konzertes im Programmheft nachzulesen war. Was dann aber passiert ist, muss ich nicht aufschreiben, man kann es leicht nachlesen: in Spiegel online, (jedoch: nicht „abgebrochen“, sondern „unterbrochen“!), man studiere auch die Kölner Medien (und klicke sich darin weiter) z.B. hier und vor allem die Beiträge von Seiten des Ensembles Concerto auf Facebook, klicke in den Bericht des Solisten („Noisy dissent disrupts a harpsichord recital“) und in die Stellungnahme des Cellisten Alexander Scherf hier.

Ein Jahr bleibt nun Zeit, die Schande wieder gut zu machen und am 1. März 2017 bestens präpariert aufs neue in die Kölner Philharmonie zu wandern. Mahan Esfahani: auch ich will dabeisein! Im Namen der persischen Musik! Und im Namen der Mbira-Musik Zimbabwes! Im Namen des Bach-Kanons auf dem Haussmann-Porträt!

Es ist nur ein kleiner Ausschnitt – aber keine Kapitulation vor dem Publikum – ein Appetizer – man kann die CD erwerben und die „Piano Phase“ nicht nur vollständig hören, sondern vor allem das Hören üben. Es ist nie falsch, das Hören auch als eine Aufgabe zu betrachten, Musik ist nicht nur eine Bringschuld des Interpreten, sondern ebenso eine Holschuld der Rezipienten. Wenn sie nicht hören (wollen), was da vor sich geht, können sie es nicht dem Interpreten anlasten, der sein Bestes gibt.

Dem Programmheft wäre übrigens durchaus Anregendes zum Prinzip „Wiederholung“ zu entnehmen gewesen:

Auch wenn sie mit ihren Phasenverschiebungen mitunter sehr spielerisch erscheint, ist sie doch eng mit geistigen und spirituellen Fragen verknüpft. Für Piano Phase trifft das in besonderer Weise zu. Einerseits ist es sehr reizvoll, dem musikalischen Verlauf aufmerksam zu folgen, andererseits rufen die Klänge bei entsprechender Einlassungsbereitschaft einen Zustand meditativer Versenkung hervor – wobei beides gleichzeitig erfolgen kann. Steve Reich abstrahiert in Piano Phase von Annäherung und Entfremdung, indem er eine einheitliche Melodiesequenz subtil auseinanderdriften lässt.

(Egbert Hiller)

Wenn man die Struktur auch technisch besser versteht, hätte man die Chance, eine besondere Wahrnehmungsweise zu entdecken. Und ich schwöre: wer es genau weiß, wird mit höchster Aufmerksamkeit, ja, mit Spannung zuhören, was nicht heißt: das Stück hat die gleiche Relevanz wie ein Bach-Konzert. Darum geht es nicht. Nein, ohne dieses Werk wäre unsere Alte Musikkultur nicht in Gefahr. Aber mit der plumpen Verweigerung ist keinesfalls das Abendland verteidigt, – sondern die schiere Dummheit hätte wieder einmal gesiegt.

Als Ziel meiner Überredungskunst noch ein spezieller Hinweis, von besonderem Interesse für Klavierspieler, die imstande sind, mit ihren zwei ineinanderwirkenden Hände eine einfache Tonfolge einzustudieren. Zwei Seiten aus Hans Peter Reutters Satzlehre HIER.

Und hier die Nutzanwendung:

Ausführende: Tinnitus Piano Duo / Tine Allegaert & Lukas Huisman

Nachtrag 3. März 2016: Das seltsame Echo des Kölner Eclats

Kölner Skandal im ST 160303

Ein so großer Bericht auf Seite 3 einer ganz gewöhnlichen Tageszeitung über ein außergewöhnliches Konzert? Ja, und von einem Journalisten, der sonst politische Kommentare schreibt (lesenswerte). Ich vermute, dass also übergeordnete Gründe zum Tragen kommen sollen, keine musikalischen. Das Bild ist ein Blickfänger, die Unterzeile suggeriert jedoch, dass der Musiker auf eine „erzwungene Unterbrechung seines Konzertes“ in dieser Weise reagiert habe: nämlich provokativ schlafend. Verachtung zeigend. War es so? Ist es nicht eins der üblichen Künstlerfotos, die den Interpreten in ungewöhnlichen Posen zeigen, um eine allzu biedere Sicht auf die Podiumssituation zu unterlaufen? Wie hier zum Beispiel:

Mahan Esfahani kl Foto: Marco Borggrefe 2009

Ärgerlich wird es, wenn der längere Teil des verbalen Berichtes unter dem Stichwort „Argwohn des Kulturbetriebes gegen das eigene Publikum“ steht und dann ausgerechnet Handkes programmatische „Publikumsbeschimpfung“ aus dem Jahre 1966 heranzieht. Damals war die Provokation unmissverständlich künstlerisches Ziel der Veranstaltung, wie auch oft bei den Happenings jener Zeit. Es ist aber einfältig, im Zusammenhang mit der aktuellen Situation zu schreiben: „Misstrauen und Verachtung des Publikums gehörte immer schon zur intellektuellen Folklore.“

Im Kölner Konzert wurde ein heute durchaus normales Programm präsentiert, nicht provokativer als etwa Beethovens „Eroica“. Und wenn ein Segment des Publikums – zur Kaffeezeit am Sonntagnachmittag – deutlicher als sonst zeigt, dass es vom Ernst des Spieles auf der Bühne noch nie gehört hat, kann das eigentlich niemanden erschrecken. Aber erst recht nicht zur freundlichen Verständigung mit diesem Segment ermuntern. Ich habe ein ähnlich – sagen wir – kühn aufgebautes Programm an einem Abend (!) in der Kölner Philharmonie erlebt (mit dem Kelemen-Quartett ) und habe nicht nur über die Interpreten, sondern auch über das hoch motivierte, ja, ideale  Kölner Publikum gestaunt.

Nachtrag 19. März 2016

Ein verspätet veröffentlichter Leserbrief im Solinger Tageblatt erinnert mich an die Möglichkeit, Steve Reich im Konzert eines Ensembles, das mit der engagierten Interpretation Alter Musik bekannt geworden ist, ganz anders wahrzunehmen, als es mir, der ich nicht dort war, einleuchtend erschien. Und auch anders als es dem Briefschreiber, mit gutem Grund, berichtenswert erscheint:

Cembalo Philharmonie ST 160318 Solinger Tageblatt 18/03/2016

Steve Reichs „Piano Phases“ (1967) ist ein fast 60 Jahre altes Stück, das immer wieder zu einer Ohren-Übung einlädt, aber es ist alles andere als ein Klassiker, den man immer wieder zu hören wünscht, sagen wir: wie Ligetis „Atmosphères“ (1961). Es gibt – wenn man es einmal kennt -keine neuen Facetten daran zu entdecken. Und wenn die Einführung des Cembalisten etwa (ich weiß es nicht!) den Eindruck erweckt hat, dass das Publikum vorweg eine Nachhilfestunde braucht, kann man sich einen gewissen Unmut erklären, der auch durch einen zu Hilfe eilenden Herrn aus dem Publikum nicht unbedingt gemindert wird.

Um nicht die falsche Klientel zu bedienen, habe ich übrigens im Artikel ganz andere (von mir durchaus gewünschte) Heiligtümer einer öffentlichen Aufführung beschworen:  „Im Namen der persischen Musik! Und im Namen der Mbira-Musik Zimbabwes!“ Und mit der Erwähnung des Bach-Kanons (BWV 1072) meinte ich eine Wiedergabe in perpetuo, die ihn wie (!) eine minimalistische Musik wirken lässt (vgl. u.a. auch Conlon Nancarrow).

Aber ich bin nicht überzeugt, dass man ein typisches Publikum der Alten Musik im Konzert erwecken muss, – übrigens erst recht nicht mit einem Stück von Górecki.

Der punktierte Auftakt

Zum Anfang der Marseillaise

Marseillaise Anfang

Als ich mir kürzlich die syrische Nationalhymne anhörte, geriet ich ins Grübeln: wie auch viele andere Hymnen ist sie mehr ein Kampflied als eine Hymne, jedenfalls will sie aktivieren, nicht zum Tanzen, sondern zum Marschieren. Erkennbar vor allem an dem „punktierten Rhythmus“, allerdings anhebend nur mit einem bloßen Sechzehntel-Auftakt: trotzdem frage ich mich, ob nicht in all diesen Fällen als Vorbild die „Marseillaise“ mit ihrem erweiterten Auftakt gelten kann (der dann im weiteren Verlauf als punktiertes Achtel plus Sechzehntel fortwirkt). Aber woher kommt er, wann hat man die hinreißende Wirkung dieses Anfangs erkannt? Die energetische Ausstrahlung ist anders als in den Tanz-Auftakten der alten barocken Suiten. Bei Wikipedia steht, dass der Anfang eines Boccherini-Quintetts die melodische Anregung gegeben haben könnte. (Jetzt brauchten wir noch den Hinweis, das Roger de Lisle, der Schöpfer der Marseillaise, Flöte gespielt und mit Vorliebe genau dieses Quintett geübt hat…)

Boccherin Marseillaise

Dem Auftakt fehlt jedoch das entscheidende rhythmische Detail, ansonsten: der Zielton der hohen Oktave auch hier – wenn auch Schritt für Schritt wie in „Ein Männlein steht im Walde“, erst der kühne Sprung gäbe den Charakter -, dann immerhin der fallende Dur-Dreiklang und seine Fortführung im a-moll-Dreiklang samt rhythmischer Komprimierung: die Vergleichbarkeit geht bis zum Anfangston des nächsten Taktes. Ja, selbst der Ton f“ auf der Zählzeit 2 des zweiten Taktes entspräche noch dem in der Marseillaise durch Aufwärtssprung erreichten Ton (siehe oben, Zeile 2, 5.Ton). – Auch die syrische Hymne verlässt sich auf die klare Wirkung des Dur-Dreiklangs (von einem arabischen Flair kann nicht die Rede sein) und auf den punktierten (nicht erweiterten) Rhythmus. Der neue Ansatz auf h-moll in der dritten Zeile zeigt jedoch, dass die Melodie im übrigen ganz anders angelegt ist

Syrische Hymne Anfang

Quelle der beiden Hymnen: Reclam Nationalhymnen – Texte und Melodien / Philipp Reclam jun. Stuttgart 2007 (Seite 50 und 188)

Es geht mir aber nicht um einen typologischen Vergleich der Melodien, sondern um den rhythmischen Effekt, den es in dieser Form wohl nicht vor der Französischen Revolution gegeben hat. Vielleicht hat er in der Ausprägung der Marseillaise rein textlichen Ursprung, schwer genug rhythmisch präzise zu artikulieren. Wenn die Trompeten ihn nicht retten, ist der erste Einsatz ist bei Massenaufführungen, z.B. im Fußballstadion, kaum zu erkennen („Allons enfants“), es sind immerhin vier Silben!

Die Märsche seit der Französischen Revolution sind gekennzeichnet durch vorwärtstreibende und punktierte Rhythmen, wie in den Revolutionshymnen und -märschen (Marseillaise) und in der Oper außerhalb Frankreichs, vor allem bei Spontini.

Quelle Riemann-Musiklexikon Sachteil / Schott’s Söhne Mainz 1967 Art. Marsch

Eine Variante, die den Anfang der Marseillaise-Melodie jeden Schwungs beraubt, zitiert Ulrich Schmitt („Revolution im Konzertsaal“ Schott Mainz 1990 Seite 204). Er bezieht sich dabei auf Wilhelm Tappert Wandernde Melodien Berlin 1889 S.59ff. :

Marseillaise Variante 

Um noch einen historisch bemerkenswerten Auftakt in Erinnerung zu rufen:

Beethoven VII Auftakt Beethoven VII: Wo beginnt das Thema?

Gewiss, es ist ein anderer Rhythmus, der diesen Satz beherrscht. Doch auch der, von dem oben die Rede war, kann einen ähnlich obsessiven Charakter annehmen und gerade auf dieses Weise den  Gestus des Kampfes merkwürdig transzendieren. Aber das ist einfach gesagt: Joachim Kaiser war es, der überzeugend auseinandergesetzt hat, wie schwer der Satz zu interpretieren ist, wie wenig ihm manche Pianisten oder Komponisten (Strawinsky) abgewinnen konnten („Beethovens Klaviersonaten“ Fischer 1979, 1994 Seite 483f). Um so deutlicher setzt Jürgen Uhde ihn in einen größeren Zusammenhang. Es soll hier in der Kopie nur angedeutet sein, das Buch gehört zumindest in jede Musikerbibliothek:

Uhde Beethoven

Quelle Jürgen Uhde / Renate Wieland „Denken und Spielen“ Bärenreiter 1988 Seite 56f

An anderer Stelle (in „Beethovens Klaviermusik III“ S. 355) sagt Uhde:

Schon Riezler verglich solche kraftvollen Gebilde mit Gestalten Michelangelos, die eigentlich fest auf dem Boden stehen müßten, sich aber doch schwebend, also gegen die Schwerkraft, verhalten.

Damit bezieht er sich, wie er sagt,  u.a. auf die „Flucht durch die Tonarten im 2. Teil, wie die späteren Triolen, die abseitige Welt des ganz und gar marschfernen Trios.“

Walter Riezler (Beethoven 1936 Seite 239) jedoch sprach allgemeiner vom Spätwerk Beethovens und insbesondere davon, dass „diese Musik auch in Momenten gewaltigster Kraft und Wucht des Ausdrucks mit ‚vergeistigenden‘ Elementen durchsetzt ist. Eines der wichtigsten und häufigsten Geschehnisse hierbei ist, daß die Ganzschlüsse, die der frühere monumentale Stil Beethovens als die tragenden Pfeiler des Baus immer besonders betont, nun sehr oft verhüllt werden.“

Ich zitiere das nur als Andeutung der Schwierigkeiten, die sich beim Hören ergeben, und aus denen eine gewisse Ratlosigkeit resultieren kann, – trotz der durchgehend „revolutionären“, entschlossenen Rhythmen. Ich meine dies als Ermutigung, und nur in diesem Sinne zitiere ich ausgerechnet die folgende Passage aus Joachim Kaisers Buch („Beethovens 32 Klaviersonaten und ihre Interpreten“ / Frankfurt am Main 1979, 1994 Seite 487f):

So leicht, so überschaubar in seiner Dreiteiligkeit der B-Dur-Mittelteil des alla Macia auch ist, so zart eingeschlossen in eine rhythmische Sechzehntel-Figur, die am Anfang und am Schluß als „Vorhang“ erscheint, der aufgeht und wieder zugezogen wird: gerade dieses kurze Musikstück läßt eine Grenze erkennen, von deren Vorhandensein auch mal die rede sein muß. Es ist die Grenze des Verbalisierens musikalischer Phänomene. Wie weit reichen Worte? Kurz und grob: viele Jahre lang hielt ich dieses – gar nicht so ungeheuerlich schwierige, manuell oder intellektuell anspruchsvolle – B-Dur-Stück für reizlos, für langweilig, für höchstens bläßlich hübsch. Ich begriff auch, trotz mannigfacher Interpretationen großer Pianisten und kluger Autoren, Beethovens „dolce“-Vorschriften überhaupt nicht. Heute – die Noten haben sich nicht geändert – begreife ich wiederum nicht mehr, was da eigentlich nicht zu begreifen war. Aber hilft es dem Leser, wenn immer dort, wo ich vor fünfzehn Jahren „trocken“ oder „abweisend-abstrakt“ gesagt hätte, nun – in welchen Wendungen auch immer  „innig“, „wunderbar-verhalten-exzentrisch“ umschrieben würde?

Beethoven Trio op 101 Editio Musica Budapest „EMB Study Scores“

Man höre den 2. Satz der Klaviersonate op. 101, im folgenden Video mit Emil Gilels von 4:19 bis 10:22 (das von Kaiser beschriebene und im Notentext wiedergegebene Trio beginnt bei 7:26).

Wenn sich eine unbezwingliche Lust einstellt, das Gesamtwerk zu hören, was fast unvermeidlich ist, – möglichst ohne weitere theoretische „Indoktrination“ -, könnte ein Kurzleitfaden von Jürgen Uhde nicht unnütz sein:

Ein Zustand des Für-Sich-Seins, ebenso stiller, wie leidenschaftlicher Bewegung, der „innigsten Empfindung“ also, wird durch die Fanfaren „Lebhaft. Marschmäßig“ nicht nur unterbrochen, sondern auch zerstört. Wir wissen nicht, wer oder was hier marschiert, jedenfalls ist es eine sehr mächtige Gegenkraft. „Sehnsucht“ prägt den 3. Satz, sie richtet sich deutlich erkennbar rückwärts auf die sanfte Balance der Ausgangslage im 1. Satz, aber auch schon vorwärts auf das Ziel. Dieses indessen ist nur mit größter Anstrengung, mit höchster „Entschlossenheit“ im Finale erreichbar.

Quelle Jürgen Uhde: Beethovens Klaviermusik III / Reclam Stuttgart 1974 / 1991 ISBN 3-15-010151-4 (Seite 336)

Nachtrag 28.06.2016

Wie konnte ich das nur vergessen: der Rhythmus des „Scherzando vivace“, Streichquartett op. 127, dritter Satz. Ganz am Schluss präsentiert er sich sozusagen als Formel:

Beethoven Rhythm op 127

Aber man kommt nicht auf die Idee zu behaupten, er sei durch den Anfang der Marseillaise inspiriert. – Was ich heute beim Wiederlesen allerdings übersah, war die Tatsache, das in dem oben wiedergegebenen Auszug aus dem Buch „Denken und Spielen“ auch dieser Satz aus op. 127 zitiert ist. Man muss die Doppelseite nur nach dem Anklicken nach links rücken, damit die rechte Seite sichtbar wird, – beginnend mit dem Zitat aus der „Großen Fuge“ – als von Beethoven gestifteter Topos schwerelosen Marschierens, selbst im ungeraden Takt.

Nachtrag 30.06.2016

Beethovens Lied „Der Kuss“ op.128 (!) s.a. hier

Rhythmus Der Kuß op 128

Musik im Märchen

Von der Erschaffung der Geige

Musik im Märchen Tüpker

(Aus dem JR Blog-Archiv 2012)

Musik im Märchen, – ein Thema, das durchaus mit der Realität der Musik zu tun hat. Und auch die Realität des Märchens ist nicht so märchenhaft, wie sie uns vielleicht einmal vorkam. Meist erinnern wir uns an ein paar Märchen der Brüder Grimm, für Kinderohren ausgewählt. Aber Passagen wie die folgenden hätte unsere Oma wohl nicht durchgehen lassen:

„… der Kleine, [der sich nichts mehr wünschte, als Kraft zu gewinnen], ging zu der zweiten Schwester. Aber da verwandelte sich die […] Hexe in ein Mädchen und lief ihm nach. In ein sagen wir – sechzehnjähriges, zwanzigjähriges Mädchen, sehr schön, nur im Bikini, in einem ganz kleinen Badeanzügchen, und sie tanzte um ihn herum: „Janku, Janku, dreh dich um, bin ich schön?“

„Lass mich in Ruhe. Ich bin ein neugeborenes Kindchen.“

„Schau mich an, wie schön ich bin, wie nackt ich bin! Mach keine Ausreden. Komm zu mir!“

Aber er ging weiter. Er war doch noch zu jung für solche Sachen. Das nächste Mal sprang sie zu ihm und wiederholte ihre Worte, aber er gab ihr eine solche Ohrfeige, dass sie zu Wagenschmiere wurde.

Der Kleine wusste genau, dass das die Hexe war. Er lief schnell zurück in ihre Hütte. Dort sah er einen Säbel, der von selbst tanzte und herumsprang und wie der Vollmond glitzerte. Er nahm den Säbel: „Jetzt kann ich die ganze Welt umbringen“. Da holte ihn schon sein Vater ein [und] versetzte ihm so einen Fußtritt in den Arsch, dass er bis nach Hause flog, direkt der Mutter in die Arme.“ (S.102)

Jawohl, ein Märchen. Manchmal sind es also durchaus keine Geschichten für die gute Stube, wo die Kinder lernen, ruhig zu sitzen und sich gesittet zu benehmen. Nebenbei vielleicht auch das Fürchten lernen. Ich habe durch das Buch von Rosemarie Tüpker neues Interesse für die Märchenwelt entwickelt, weil diese Welt offenbar noch von zahllosen Motiven und Wesen erfüllt ist, die ich aus meiner Kinderzeit nicht in Erinnerung habe.

Und im Rückblick erscheinen nun auch „die deutschen Hausmärchen“ in neuem Licht. Allerdings geben sie für die Musik vielleicht weniger her als etwa die Märchen der Roma, zu denen auch die wunderbare Geschichte von der „Erschaffung der Geige“ gehört, die eine zentrale Stellung einnimmt.

Doch der Reihe nach:

Das Buch behandelt zunächst in aller Kürze den Stand der Märchenforschung und ihren Zusammenhang mit Psychologie und Pädagogik, z.B. auch die bedeutsame Wende, die 1977 dank Bruno Bettelheims Buch „Kinder brauchen Märchen“ erfolgte.

Der erste Hauptteil bietet drei tiefenpsychologische Märchenanalysen, beginnend mit der „Erschaffung der Geige“, was letztlich bedeutete: „Wie die Musik entstanden ist“. Dann folgt das (von den Brüdern Grimm bekannte) Märchen vom „Eselein“, das die Laute spielt; es geht um Identitätsfindung und Selbstwerdung, aber auch um die Assoziation eines behinderten Kindes. Niemand traut dem Tier zu, mit diesen Hufen eine so feine Kunst zu erlernen.

Und schließlich das Roma-Märchen vom „Sohn, der gegen seinen Vater kämpft“: die Musik schafft hier „die Verbindung zwischen zwei sozial getrennten Welten, der Königswelt und der armen Welt der Zigeuner.“  Es geht um Libido und Todestrieb, aber die Musik „ist das, was über das Lebensnotwendige hinausgeht, steht für einen doppelten Gewinn: Lust und Kultur.“ Die Pointe der Geschichte besteht dann gerade darin, dass es nicht im Glanz der höfischen Sphäre gipfelt, sondern: „Die Prinzessin verlässt den Königshof und beide leben fortan als Roma.“ Interessanterweise wird diese Umkehrung der märchenhaften Wunschvorstellungen den Zuhörern meist gar nicht bewusst: „Das heißt, es gelingt der Erzählung durch die Musik und [durch] die mit ihr verbundene Figuration von Liebe, Freiheit, Verbundenheit, dass diese Umkehrung der üblichen Verhältnisse ohne Widerstand oder auch nur Verwunderung mitvollzogen wird.“ (S.133)

Durch das ganze Buch von Rosemarie Tüpker, die an der Universität Münster u.a. Vergleichende Musiktherapie lehrt, zieht sich diese Vertrautheit mit lebendigen Zuhörern, und so sind Leser und Leserinnen ausdrücklich nicht nur zum Nachvollzug der Märchen, sondern ebenso zur eigenen Ergänzung und Weiterentwicklung aufgefordert. Man erhält Einblick in eine bisher wenig genutzte intersubjektive Forschungsmethode.

Dem zweiten Teil des Buches „liegt eine textanalytisch vergleichende Analyse von 300 europäischen Volksmärchen zugrunde“, wobei die Musik sich als das Bewegende (also das, was in Bewegung setzt) und als das Verbindende zwischen zwei Welten erweist, auch als das Fremde, als das Begehrte, als Zeugin und Identitätsstifterin wird sie aus dem vielfältigen Material herausgearbeitet. Es gibt einerseits die kulturhistorische Perspektive, zum anderen die psychologischen Perspektiven. Besonders interessant der Zusammenhang von Musik und Identität, der in einer kleinen Gruppe von Märchen ausprägt:

„Die Musik steht dabei für das, was durch den Verlust von Stellung, Rolle und äußerer Erscheinung hindurch als Eigenheit und als ‚eigentliches Wesen’ der Person bewahrt wird. Die Schönheit der Musik steht für die Güte der Person, was sich nach Art der Märchen oft zugleich in ihrer königlichen Abstammung symbolisiert. „Die Musik steht dann für die inneren Werte, die innere Schönheit, das wahre Wesen einer Person, die an ihrer Musik erkannt werden kann. Diese Musik berührt, löst Gefühle und Wünsche aus (…). Charakteristisch ist darüber hinaus, dass jemand Musik für sich allein spielt – dabei aber dann gehört und erkannt wird.“

In einem griechischen Märchen, das im Jahre 1864 aufgezeichnet wurde, findet sich dieses Motiv mehrfach, und gerade die musikalischen Fähigkeiten verweisen auf königliche Abstammung. Zuerst ist es eine Flöte, später tatsächlich ein…, – hören Sie nur:

„In einem Zimmer aber stand ein Klavier, und als er eines Tages glaubte, dass ihn niemand hört, da fing er an und spielte darauf leise, leise und summte ein Liedchen dazu. Die Prinzessin aber belauschte ihn, und als sie ihn so schön spielen und singen hörte, da wurde sie noch mehr in ihrem Glauben bestärkt, dass hinter ihrem Diener ein großes Geheimnis steckte.“ (S.264)

Und wie gehts weiter? Ob Sie’s glauben oder nicht: Die Prinzessin nahm bei ihm Klavierunterricht und über weitere Komplikationen hinweg kam es schließlich zu einer glücklichen Ehe der beiden.

„Das Märchen ist aber damit noch nicht zu Ende, sondern in Gestalt der Tochter wiederholt sich das Schicksal des Schiffbruchs und des Verloren-Gehens von Heimat und Identität in der nächsten Generation.“

Wo auch immer man dieses Buch aufschlägt, liest man sich fest:

Neben der Resonanz, der Widerspiegelung der Gefühle durch die Musik, zeigt das Märchen zugleich eine Umformung von Gefühlen in Musik: Lachen und Weinen werden verwandelt in schöne Musik.

Obwohl immer wieder angemahnt wird, dass die Musik beide oder alle Gefühlsseiten aufzunehmen und auszudrücken vermag, drehen sich die meisten Einfälle doch um die Seite der Trauer. (…) Die durch die Musik ausgelösten Tränen bedeuten eine Transformation. Und auch im Märchen überwindet die Trauer einen früheren Zustand. Es geht darum, zu seinem inneren König zu kommen und da muss man durch Zustände der Dunkelheit und der Trauer hindurch.

Dies ist überhaupt die umfassendste Sammlung europäischer Märchen, in denen Musik vorkommt. Das Buch ist eine Fundgrube für Märchenforscher, Musikwissenschaftler und Psychologen. Und ein Lesevergnügen.

Es hat auch seinen Preis, da helfen keine Heinzelmännchen: 39,80 ¬ .

Rosemarie Tüpker: Musik im Märchen / zeitpunkt musik Reichert Verlag Wiesbaden 2011 ISBN 978-3-89500-839-9

Musik im Märchen Inhalt 1  Musik im Märchen Inhalt 2

Dieser Text wurde im März 2012 als Beitrag zur Sendung „Musik aktuell“ in SWR 2 gesendet.

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Immer wenn ich wieder einmal in Rosemarie Tüpkers Buch gelesen habe, kehre ich auch in die Märchen-Sammlung meiner Kindheit zurück. Die Märchen der Brüder Grimm in der Ausgabe von 1937 mit Bildern von Ruth Koser-Michaels. Zahlreiche Bilder haben uns Kinder so bewegt, dass wir sie nachgezogen und mit Kohlepapier durchgepaust haben. Das vom Juden nicht. Aber vor allem dieses Buches wegen habe ich auch die Schrift lesen gelernt, genauso früh wie die Schreibschrift in der Schule. (Siehe Fraktur oder „deutsche Schrift“ hier). Ich vermute, dass in neueren Ausgaben das Märchen „Der Jude im Dorn“ gar nicht mehr enthalten ist. Es hat mich fasziniert und zugleich abgestoßen, hat mich aber in keiner Weise in meinem dringenden Wunsch beeinflusst, eines Tages Geige zu lernen. Allerdings hielt ich sie für eine Art Zauberkasten, und als ich endlich eine Dreiviertelgeige mit wunderbar rötlichem Lack geschenkt bekam, war ich enttäuscht, dass sie innen hohl war.

Der Jude im Dorn 1 Der Jude im Dorn 2

Der Jude im Dorn 3 Der Jude im Dorn 4

Der Jude im Dorn 5

Zu diesem antisemitischen Märchen siehe Wikipedia HIER.

Die Welt der Violine – nicht ganz weltumspannend

Kaum hatte ich die Süddeutsche durch, war auch schon das Violin-Buch bestellt. Es konnte sich nur um eine riesengroße Wiedergutmachung handeln. (In Wahrheit um ein riesengroßes Missverständnis meinerseits.) Ich muss die Rezension wiedergeben, sie ist so gut und überredsam geschrieben, zumal unterschrieben von Harald Eggebrecht, dessen Werk über „Große Geiger“ (München, Zürich 2000) ich immer wieder gern konsultiere:

SZ Violine Eggebrecht 02-16

Wiedergutmachung wieso? Weil das frühere Buch über „Die Violine. Kulturgeschichte eines Instrumentes“ von Yehudi Menuhin (1996 im gleichen Verlag) im letzten, wichtigsten Teil durch einen grotesken Übersetzungsfehler entstellt war: inmitten eines Textes über die Musik Indiens, mit Fotos von Ravi Shankar und z.B. dem virtuosen südindischen Geiger S. Subramaniam, war hartnäckig von Indianern statt von Indern die Rede. Immerhin: 20 Seiten über die „Violinen der Welt“ deuteten an, was dieses Instrument und die Geschichte des Streichens außerhalb Europas für eine Bedeutung hatte. Man hätte sofort in eine neue, korrigierte Auflage des repräsentativ aufgemachten Werkes investieren müssen. Menuhin starb 1999, er hätte es noch erleben können!

Violine Menuhin

10 Jahre sind vergangen, und eine Großtat ähnlichen Formats wird angekündigt. Man liest es in der SZ mit Vorfreude: „Eine Kulturgeschichte des vielseitigsten Instruments der Welt“. Vielleicht überfliegt man das Detail, saugt aber begierig Hinweise auf wie diese: „…nicht nur in Italien, sondern in Europa und in aller Welt bis heute“, ja, da folgt auch noch ein „und und und …“, am Ende sogar etwas zur Frage, „warum es relativ wenige schwarze Geiger gibt; oder wie rasch es asiatische Talente schafften, weltweit erfolgreich zu sein“, ach, hätte ich besser nicht so viel zwischen den Zeilen lesen sollen? Nein, es lohnt sich ja, das Buch zu besitzen. Mag es auch selbst mit falschen Lockungen arbeiten, wie auf dem Klappentext: „Die Violine ist vielleicht das vielseitigste Instrument, das je erfunden wurde. Für Weltmusik, Tanzmusik und Indie-Rock ebenso geeignet wie für Bach und Beethoven, wir es seit jeher im Stehen oder Sitzen gespielt (…)“ – schon sehe ich den Inder auf dem Podium vor mir sitzen, die Geige an den Brust und gegen den Fuß gestützt. Und wenn ich nur ein paar Seiten aufblättere, sehe ich sie tatsächlich: zwei junge indische Geiger und ihnen zur Seite ein Tabla-Trommler. Also nordindische Musik, nicht wahr?

Violine Schoenbaum b SZ ViolineSchoenbaum b

Unter dem Bild der indischen Geiger steht, dass sie „karnatische Musik“ Südindiens spielen, was kaum möglich ist, denn sonst würden sie nicht von einer Tabla, sondern von einer Mrdangam begleitet. Es ist überhaupt ein außerordentlich wirres Kapitel, in dem ich zwar erfahre, dass mein Freund Reinhard Goebel, „Ende des 20. Jahrhunderts ein Meister der Alten Musik“ – „unter einem Karpaltunnelsyndrom litt“, ansonsten kein weiteres Wort über ihn im 730 Seiten schweren Werk. Ein einziges Mal (auf Seite 8) kommt das Wort kamanche vor, aber nur in einem offenbar unverstanden eingefügten Zitat aus Grove’s Dictionary: „Im Iran ist die Violine das einzige westlich Instrument, das ohne Bedenken zur traditionellen Musik zugelassen wird, weil es möglich ist, das gesamte kamanche Repertoire darauf zu spielen.“  (Gerade deshalb kann man es ja auch – wie es meistens geschieht – weiterhin auf der Kamancheh spielen.)

Wahrscheinlich soll auf Biegen und Brechen die Überschrift des Einleitungskapitels gerechtfertigt werden: „Das weltumspannende Instrument“. Vielleicht um die Verwirrung sinnvoller zu machen, steht da auch: „Paradoxerweise kann niemand genau sagen, wann und wo die Geschichte der Violine beginnt.“ Kann niemand sagen? Man kann das aber ganz gut nachlesen:

Nach heutiger Kenntnis entstand die Violine während des frühen 16. Jahrhunderts im oberitalienischen Raum. Spätestens um 1530 dürfte, nach den ikonographischen Zeugnissen zu urteilen, die konzeptionelle Phase im wesentlichen abgeschlossen sein. (…) Bis in die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts dauerte die Standardisierung der Maße.

Quelle MGG (neu) Musik in Geschichte und Gegenwart / Sachteil Bd.9 Kassel 1998 Art. Violine Sp.1606 f (Thomas Drescher)

Weniges in der Musikgeschichte ist so klar, wie die Entstehung der Violine.  Anders steht es allerdings mit der Frage nach dem Beginn und der Verbreitung des Streichinstrumentenspiels (siehe hierzu Werner Bachmann „Die Anfänge des Streichinstrumentenspiels“ Leipzig 1966). Nur wenn man die beiden Fragen miteinander vermischt, entsteht ein solches Kuddelmuddel wie in diesem ersten Kapitel bei David Schoenbaum.

Arabisches Melisma

Wie es begonnen hat und was ich heute noch daran finde

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Orient Tournee 1967 b kl Ein Teil der Orient-Tournee, die mein Leben änderte.

Marius Schneider, Professor für Vergleichende Musikwissenschaft, drückte mir einen Stapel alter 78er-Schallplatten in die Hand: „Hören Sie sich das mal an, es soll aus Syrien sein!“ Ich wollte eine Arbeit über arabische Musik schreiben, es war im Mai 1967, nach einer Tournee durch viele arabische Länder zwischen Casablanca und Kabul. Bei der Nachfeier eines Konzertes in Tripoli (Libanon) hatte der Leiter des Goethe-Instituts, Dr. Schindler, unsern Dirigenten Günther Kehr gefragt, wer wohl geeignet sein könnte, sich mal zwei Jahre lang um das Musikleben in Tripoli zu kümmern. Kehr zeigte auf mich: Der studiert jetzt Musikwissenschaft. Was denn? „Ich will eine Arbeit über Wagners Tristan schreiben.“ „Ach, Quatsch“, sagte der ziemlich forsche Mann, „bleiben Sie hier, fahren Sie in die syrische Wüste und kümmern Sie sich um Beduinenmusik, – viel interessanter als jeder Wagner!“ Syrische Wüste – das saß. Und so meldete ich mich gleich nach meiner Rückkehr im Musikwissenschaftlichen Institut, ethnologische Abteilung. Der arabisch-israelische Junikrieg 1967 machte zwar bald darauf mein Vorhaben in Tripoli zunichte, aber da hatte mich längst das immerwährende arabische Fieber gepackt. Zuerst war es genau diese Stimme und diese Melodie, die man hier ganz oben im Blogbeitrag hören kann, dann folgten andere große Namen, vor allem die ägyptische Sängerin Oum Kalthoum. Von ihr hatten wir schon damals im Taxi gehört, als wir durch die Straßen von Kairo zum Konzertsaal bugsiert wurden. Mit leuchtenden Augen vermittelte uns der Chauffeur die Botschaft, dass nur auf seiner Cassette die wahre Musik lief. Recht hatte er! Vier Jahre Notenschreiben standen mir bevor, eine ziemliche Plackerei; die arabische Musik will ja gar nicht notiert werden, aber für die Wissenschaft ist nur glaubwürdig, was auf dem Papier objektiviert wurde.

Libanesische Qaside Transkr JR

Ich wollte aber gar nicht meine Geschichte erzählen, sondern vor allem die des Sängers, von der ich damals noch nichts wusste. Als ich ihm endlich begegnete – 1969 – lag sein Ruhm schon 30 Jahre zurück, und er war regelrecht totgeschwiegen worden, seine Schallplatten zerbrochen, vielleicht hatten nur diese Exemplare überlebt, dank Marius Schneiders Berliner Zeit im Phonographischen Institut und nun in der Kölner Musikwissenschaft.

Auf den Punkt gebracht: letztlich war es ein Melisma, das mich von Anfang an ergriff und nicht losließ. Weder Libanon-Gebirge noch der im Gedicht genannte Berg Sannin (2628 m) konnten mich irre machen: Die Formel am Anfang und Ende der Strophe  und das aus dieser Kadenzwendung entwickelte und weiterweisende Melisma, – für mich war es der minimale Ausdruck der gigantischen Wüste im Hintergrund.

Einziger Hinweis auf die Identität des Sängers war der Name „Youssef Dahertage“, der auf dem Etikett der Baidaphon-Schallplatte steht und der zu Beginn der Aufnahme angesagt wird, wie auch der Name des Dichters „Michèl Trad“, über den ich nur herausfinden konnte, dass er sehr berühmt und im libanesischen Zahlé zuhaus war. Daher meine Idee, dass ich durch ihn den Sänger finden könnte. (Ein Fehlschluss, denn der Sänger verdankte seine Texte der Tradition und dem Zufall, Trads Text hatte er in der Zeitung gefunden und aufbewahrt.) Dank einer glücklichen Verbindung zum Verfasser des großen Arabisch-Lexikons, Prof. Dr. Hans Wehr, – meine Eltern kannten ihn aus Greifswald, wo er 1939 als Dozent begonnen hatte (damals war er in der Arbeit an seinem Lexikon, so hieß es, schon beim Buchstaben K angelangt) -, kam ich schließlich weiter: Er entdeckte das Gedicht, das auch keiner der syrischen Studenten, die ich befragt hatte, so recht verstehen konnte, in einer Sammlung libanesischer Dialektdichtung und überließ mir seine wunderschöne Übersetzung samt einer arabischen Fassung in Umschrift. (Siehe auch in der Transkription oben! Hier das Original aus der Hand von Prof. Wehr:)

Wehr Al tariq orig Wehr Al tariq Übersetz

Wehr Al tariq Übersetz letze Str

Heute ist das Recherchieren in vieler Hinsicht leichter als damals; inzwischen habe ich auf Youtube einen arabischen Film über den Dichter gefunden, wenn auch in fragwürdiger technischer Qualität. Zudem bin ich außerstande, die inhaltlichen Aussagen zu beurteilen. (Keine Haftung!) Nur eins weiß ich mit absoluter Sicherheit: der Dichter rezitiert an einer Stelle genau dieses Gedicht (leider nur Strophe I bis III), und man erkennt sogar, dass sich sein Dialekt von dem des Sängers unterscheidet!

Am besten Sie beginnen das folgende Youtube-Video bei 15:36, so dass Sie den rezitierenden Dichter in seinem Ambiente sehen (mit Klavier in seinem Rücken). Unser Gedicht folgt, wenn anschließend ein Bach dahinrieselt und der Blick sich (vermutlich) zum Berg Sannin hin öffnet: HIER https://www.youtube.com/watch?v=pnwfot2oXm0 (ab 16:05). LEIDER NICHT MEHR ABRUFBAR! [Es gibt nur noch „A tribute to the Lebanese Poet Michel Trad“ mit seinen Lebensdaten (1902-1998), Bildern aus seinem Dorf und vielleicht der authentischen Rezitation eines seiner Gedichte hier.] S.a. hier, hier und hier.

Die Bildeinstellung mit dem Bach könnte darauf hindeuten, dass sich die erste Zeile doch nicht auf das Trippeln (der Frauenfüße) bezieht, sondern (wie Wehrs Bleistift-Notiz in Betracht zieht: „Tröpfeln“, „Brodeln“) auf das murmelnde Wasser.

Die Strophe II mit Youssef Dahertage:

Dies ist die kurze Biographie des Sängers Youssef Dahertage, die ich verfasst habe, nachdem ich ihn Anfang 1969 bei meinem Libanon-Aufenthalt wiedergefunden hatte. Damals ging es mir vor allem darum, ihn und seinen Sohn Bahjat zu bewegen, mir auf Band zu singen; ich hatte vor meiner Reise noch mit Mühe um die Weihnachtszeit ein Nagra-Gerät im WDR entleihen können, im Anschluss an die Reise sollte ich meine erste Radiosendung bekommen! Ich war also stolz und glücklich, als ich meine Aufnahmen im Kasten hatte. Heute aber fixiere ich mich auf einen einzigen Satz im Lebenslauf, der mich damals kaum bewegt hat: was war das für eine Partei, die P.P.S., die für den Sänger zum Verhängnis geworden war? Le „Parti Populaire Syrien“…

Youssef Dahertage Bio a Youssef Dahertage Bio b

Ich finde diese Abkürzung, die man mir damals genannt hatte, gar nicht im Internet, sondern in erster Linie „PSNS“, und diese Buchstabenfolge hätte mich schon damals stutzig machen können; immerhin hatte ich das Jahr der 68er-Studenten nicht ganz verschlafen, über meiner Dissertation (und dem Druck, eine Familie zu ernähren, obendrein mit allerhand Konzerten) . Was ich heute mit zwei Klicks finde, ist die folgende Seite, und was zuerst ins Auge springt, ist das furchtbare Logo der Partei. Kein Zweifel: „Le Parti …  connu aussi sous le nom donné par la France de Parti populaire syrien (PPS)“…

Natürlich glaube ich nicht, dass der Mann, der in den 30er Jahren mit Eseln Getreide über die syrisch-libanesische Grenze schaffte, immer nur singend, dass dieser Mann ein gefährliches Parteimitglied war, – vielleicht störte ihn nur die Grenze zwischen den Ländern? Habe ich selbst nicht erst 1968, 10 Jahre nach dem Tod meines Vaters, dringender nachgefragt, wie er sich eigentlich in den 30er Jahren verhalten hat? Er war mit Musik – Klavierüben, Dirigieren – und mit Familiengründung beschäftigt, – wie ich im selben Alter. Er war übrigens nur drei Jahre jünger als Youssef Dahertage.

Vater & Sohn: Youssef & Bahjat Dahertage, am 12. Januar 1969 im Orient-Institut Beirut:

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Dahertag-Aufnahmen 1969 aDahertag-Aufnahmen 1969 b Das alte Material

Marius Schneider an JR a Marius Schneider an JR b Marius Schneider Dez. 1968

Dahertag-Aufnahmen 1969 Die neuen Aufnahmen Jan. 1969

Orient-Institut Beirut kl

Oben: Der Aufnahmeort (Foto: „Sing“ Wiki Commons)

Damals hieß es wohl noch Institut der Morgenländischen Gesellschaft. Über den Aufenthalt hier habe ich bereits aus anderem Anlass berichtet (siehe hier). Aber einen Kulturschock besonderer Art habe ich da ausgespart. Es gab ja einerseits die Begegnung mit dem Kreis um Marius Schneider, die Teilnahme an den „Maqam-Beratungen“, andererseits mein persönliches Interesse an dem Sänger, den ich hier dank Madame Succar in Broumana fand und mit seinem Sohn nach Beirut holen konnte. Es war die merkwürdig angespannte Atmosphäre, die im Institut von jungen Wissenschaftlern ausging, deren Interessenlage und Forschungsansatz mir völlig neu waren. Sie machten auch keinen Hehl daraus, dass sie von Musik wenig verstanden, jedoch Schneiders grenzüberschreitende Forschungen methodisch absurd fanden. Er verteilte damals einen Sonderdruck mit dem Thema „Pukku und Mükku“, wenn ich mich nicht irre, ein Deutungsversuch zur afrikanischen Mythologie. Und ich erlebte am Rande, wie sie darüber spotteten, als habe das mit Wissenschaft weniger zu tun als mit blühender Phantasie. Ein tiefer Graben tat sich auf. Ich konnte das nicht ignorieren, weil ich Einblick bekam, wie streng die Maßstäbe waren, die sie an die eigene Arbeit anlegten. Was daraus wurde, ist durchaus recherchierbar, denn die Namen habe ich nie vergessen: Vor allem Heinz Gaube und Otto Jastrow. Andererseits der Zweifel, ob diese Arbeitsweise auf die Musik übertragbar wäre. Jastrow verschwand täglich in der Altstadt oder ich weiß nicht wo, um Menschen zu treffen, die seltene Dialekte sprachen; er sprach mit ihnen und nahm sie auf. Manchmal kehrte er verärgert heim, wenn irgendeine aramäisch sprechende alte Dame, auf die er baute, „falsche“ Worte verwendet hatte (ihr Sprachschatz also nicht vertrauenswürdig war). Dann musste er neue Probanden suchen. Er kannte alles, sprach unfassbar viele Sprachen und Dialekte. Meine Sympathie für ihn war damals „begrenzt“ (Erinnerung an die in einer Streichholzschachtel gefangene Kakerlake), meine Bewunderung heute ist riesengroß. Gerade habe ich entdeckt, dass alles, was er gesammelt hat, per Internet abrufbar ist: HIER.

Zurück zur oben erwähnten Partei… hier… Im Internet lese ich auch, dass ihr Gründer Antun Sa’ada in „Brummana“ zur Schule gegangen ist, in der Stadt also, in der Youssef Dahertage zu Hause war. Hier fand ich ihn Anfang 1969. Vielleicht hatte er schon früh den 6 Jahre Jüngeren beobachtet, der mit solcher Energie nach oben strebte? Der von sich reden machte, der in Broumana viele Anhänger hatte, dem man eine große Zukunft voraussagte? Als er 1949 nach der Vollstreckung des Todesurteils bei uns im SPIEGEL stand, las ich noch keine Zeitung: Hier.

***

Wie auch immer dieser Artikel weitergeht: ich setze schon mal ein persönliches Ergebnis ein, das mir damals genug Lohn für alle Mühe war, nämlich ein kleiner Platz in einem großen Artikel, den der bedeutende Musikethnologe Harold S. Powers für das Lexikon The New Grove (1980) einbrachte; er betraf alle Facetten des Konzepts Modus , also auch Raga, Maqam, Patet usw.

Grove Maqam Sikah JR

Wie ich das Balkan-Blech lieben lernte

Eine Rückblende von Jan Reichow

Blechmusik klang in meiner Kindheit vom Friedhof in Bethel herüber: der Posaunenchor spielte Bach-Choräle, die Essenz der westlichen Kirchenmusik, Musik der Trauer und des Trostes, letzte Botschaften. Später wurden mir die Trompeten und die Hörner des Weihnachtsoratoriums zum Inbegriff der Freude. Aber wenn mich jemand fragte, wie ich als klassisch ausgebildeter Geiger eigentlich zu den Blasorchestern des Balkan fand, müsste ich eine lange Geschichte erzählen, könnte aber auch mit der Gegenfrage kontern: Kennen Sie denn „Ciocârlia “ noch nicht? Und ihm eine bunte CD in die Hand drücken.

Wahrscheinlich käme dann allerdings doch noch meine Geschichte: wie jeder Geiger, der an eine virtuose Zukunft glaubt, hatte ich mich früh auf Sarasates „Zigeunerweisen“ gestürzt, hielt sie für ein glänzendes Phantasieprodukt, nicht ahnend, dass der Komponist das Notenbuch eines ungarischen Roma-Komponisten ausgeschlachtet hatte. Und einige Jahre später hatte ich fürs Examen u.a. „Tzigane“ von Ravel vorbereitet, ein Konzertstück, das in meiner Einschätzung wiederum den Sarasate auf eine neue Ebene hob, nach Ansicht des vorsitzenden Geigen-Gurus Max Rostal aber nichts als Blendwerk war, ein Verrat an der wahren Zigeunermusik, die nämlich improvisiert sei. Rostal war ein Schüler des großen Violinpädagogen Carl Flesch, der berichtete, Sarasate habe einmal bei der rumänischen Königin Gelegenheit bekommen, die beste Zigeunerkapelle des Landes zu hören, was er mit den Worten quittierte: „Mais, c’est mauvais ça!“ Allmählich wuchs die Empfindlichkeit, es gab jedoch auch ganz andere Maßstäbe als die des bürgerlichen Konzertsaals. Wer hat „Hora staccato“ komponiert? Oder improvisiert? Grigoraș Dinicu war es, der aus einer hochmusikalischen Roma-Familie stammte, am Konservatorium in Bukarest Geige studierte und zwar – bei Carl Flesch, dessen Professorenlaufbahn hier begonnen hatte. Dinicu bekam ein Stipendium für die Wiener Musikuniversität, durfte es aber nicht wahrnehmen, so hieß es, weil er ein Roma sei. Jascha Heifetz erklärte ihn später für den besten Geiger, den er kannte, und sorgte für die vielgespielte Bearbeitung des „Hora Staccato“.

Die andere weltweit berühmte Komposition „Ciocarlia“ (Die Lerche), mit deren „Vogelstimmen“-Imitation heute jeder Salongeiger zu brillieren versucht, stammt von Dinicus Großvater Angheluș, der sie allerdings für die rumänische Panflöte schrieb. Genauso habe ich das Stück 1972 erlebt: mit dem rumänischen Virtuosen Gheorghe Zamfir, am Anfang seiner Karriere Gast des WDR, unter einem steinernen Rundbogen im Römisch-Germanischen Museum Köln. War dies der Beginn meiner Liebe zur rumänischen Volksmusik? Sieben Jahre später reiste der inzwischen festangestellte Redakteur für den WDR in die entlegensten transylvanischen Dörfer bis hinauf nach Cornereva (dorthin allein wegen des legendären Dudelsackspielers Nicolae Nemes-Munteanu), hinüber nach Ost-Serbien, wo ihn die Geiger des Dorfes Jabukovac und im Nachbardorf ein Blech-Orchester elektrisierten. Als er dieses wenig später – wie auch die Geiger – nach Köln einladen wollte, hatten sie alle umgesattelt: vom Blech auf E-Gitarren. Die Faszination ließ ihn nicht los: 1984 besuchte er das Trompeten-Festival im serbischen Guča, unvergesslich, wenig später wurde das dort preisgekrönte Ensemble Bakija Bakić aus Vranje beim WDR-Folkfestival am Kölner Dom bejubelt. 10 Jahre später entfachte das Taraf de Haydouks aufs Neue die große Rumänien-Begeisterung, ach, den Purismus à la Bartók – bei aller Verehrung – habe ich nie teilen mögen, und wenn ich meine liebsten Musikstücke nennen sollte, dann wäre darunter ein bestimmtes Liebeslied von Romica Puceanu, aber auch, um wieder froh zu werden, ein paar „Reißer“ der Fanfare Ciocarlia, das eine zum Sterben schön, die anderen – wo auch immer – zur Wiederauferstehung. Vielleicht im Dorf Zece Prăjini? Oder – warum nicht – da oben auf dem Mars? Wenn nur auch die Fanfara sich dort einfindet, um mir ein paar der „Devil’s Tales“ vorzutragen.

Der Horizont hatte sich nicht erst 1997 nach allen Seiten geöffnet, aber das WDR Folkfestival, das damals seit über 20 Jahren existierte, hieß nun Weltmusikfestival, und wenn die finanzielle Frage immer wieder aufgerollt wird: es gab ja ein Gesamtbudget, inbegriffen vielleicht eine Stargage, aber die entscheidenden Entdeckungen lagen auf anderer Ebene und – in den besonderen Interessen der Redaktion. Ich erinnere nur an den bis dahin völlig unbekannten Zulu-Chor „Ladysmith Black Mambazo“, der aus Südafrika geholt werden musste. Es gibt übrigens nur eine einzige Begegnung, die ich missen möchte, die mit dem eiskalten Management eines sehr prominenten sozialistischen Sängers aus Griechenland. Was ich nie vergessen werde, ist ein Blick aus meinem Bürofenster auf den Kölner Domplatz, wo schon der Probenaufbau begonnen hatte: da schien sich eine etwas verstreute Besuchergruppe zu nähern, gleich lauter Spionen undercover, Herren mit Hut und dunklem Anzug, auf dem Weg zur Bühne, und plötzlich sah ich, dass sie Instrumente hielten, Klarinettentöne waren zu hören, und Sekunden später ein wildbewegter Ensembleklang, der mich vom Bürosessel hob: unglaublich, die Fanfara Ciocarlia war tatsächlich eingetroffen! Und übertraf alle Erwartungen! Es ist nicht selbstverständlich, dass das, was im Dorf aufregend klingt, auch im Herzen der Großstadt funktioniert. Die Begeisterung war groß.

Und nach 20 Jahren immer noch, und wenn heute jemand sagt, das ist aber keine echte Zigeunermusik mehr, die haben doch einen Komponisten: so benennt man letztlich die Weltoffenheit ihres Dorfes, das nur seinen Namen einer engen Grenzziehung verdankt: Zece Prăjini, d.h. Zehn Felder, – die ihnen einst ein rumänischer Fürst zugestand, als die Einwohner noch Leibeigene waren.
Der Komponist Koby Israelite hat sich dem „Blues from elsewhere“ verschrieben, man spricht auch gern vom „Balkan Blues“, um Außenstehenden die besondere Stimmung der „Zigeunermusik“ anzudeuten; von Komponisten wie Grigoraș Dinicu war schon die Rede. Jede gute Musik wurde ja von einem begabten Menschen erfunden, auch wenn er anonym bleibt und seine Stücke sich im Gebrauch verwandeln. Die Interpreten selbst sagen:

„Die Bauern, auf deren Festen wir gespielt haben, waren keine Zigeuner. Wir haben gespielt, was diese Leute hören wollten, ihre traditionelle Musik, Sirba und Hora, aber auch Manele, Stücke mit orientalischem Einschlag. Wir übernehmen diese Melodien, geben ihnen aber dann unsere ganz spezielle zigeunerische Note, d.h. mehr Wärme, mehr Farbe, mehr Glanz. Wir improvisieren, ändern den Rhythmus…“

So erzählte es Ion Ivancea, der 2006 verstorbene Chef des Ensembles, der Journalistin Regina Lessner, und der Tubaspieler fügte hinzu, mit ihrer Geschwindigkeit könne es ohnehin keiner aufnehmen, und Tubaspieler wie er, Monel, hätten sich am Ende eines Hochzeitsfestes, – 20 Stunden Blasmusik kämen da immer zustande -, hätten sich manchmal gefühlt, als ob sie von morgens um acht bis zum Morgen des nächsten Tages Luftmatratzen aufgeblasen hätten. Aber ich bin sicher: auch dann klang es immer noch hinreißend wie am frühen Morgen des ersten Tages. Und heute noch wie damals, auf dem Platz am Kölner Dom!

Ausblick März 2016

Ciocarlia Screenshot 2016-02-11 12.01.15 echter Link nur HIER

Tourneeübersicht und anderes HIER. (Terminauswahl: 1.3. Köln / 3.3. Ravensburg / 6.3. Karlsruhe / 8.3. Regensburg / 9.3. Hannover / 12.3. Worpswede / 13.3. Berlin)

Neu (26.02.2016)

Ciocarlia CD Mars Booklet

Ciocarlia CD Mars Titelseite

A propos Max Reger

Zu den Streichtrios

Anfang der Neunziger Jahre wurde ich – dank der Firma Intercord – für kurze Zeit zum „Reger-Spezialisten“. Wenn ich zurückdenke, fallen mir zuerst die Choralphantasien ein, dann aber genau dieses quasi mozartische Thema, das Sie hören, wenn Sie hier anklicken. Die CD ist mit der Firma vom Markt verschwunden, aber die Arbeit an dem Text und mit der Musik habe ich nie vergessen, und so soll das Ergebnis auch der Außenwelt dokumentiert bleiben. Vielleicht überträgt sich etwas von der Zuneigung, die Regers Musik nicht „automatisch“ auslöst? Bei mir begann es Ende der 50er Jahre mit den Mozart-Variationen, genau genommen mit einer einzigen daraus (Variation VIII), die ich unzählige Male wiederholt habe. Dann kam die Böcklin-Suite (vor allem „Der geigende Eremit“ & „Die Toteninsel“). Der Streichtrio-Text endet mit einer Verbeugung vor dem „Deutschen Streichtrio“, von dem allerdings nie die leiseste Reaktion kam. Was an meiner positiven Meinung natürlich nichts änderte, – aber die hier auf youtube auffindbare ist mir genauso lieb.

Reger Streichtrios Faksimile Reger Streichtrios 1 Reger Streichtrios 2 Reger Streichtrios 3Reger Streichtrios 4  Reger Streichtrios 5

Reger Streichtrios 6 Reger Streichtrios 7

Reger Streichtrios Sätze Trackliste der alten Intercord-Aufnahme

Hier jedoch die anderen Sätze (I-III) und noch einmal der oben bereits zitierte Satz IV der Youtube-Aufnahme mit Mitgliedern des Mannheimer Streichquartetts:

Sostenuto – Allegro agitato / Larghetto / Scherzo. Vivace / Allegro con moto

Bei Gelegenheit suche ich auch noch eine schöne Aufnahme des Trios op. 141 b …

Nachtrag 20.02.2016

Geschenk B.S. im Andenken an Richard

Reger Trio Faksimile