Zu den Impromptus
die 4 Impromptus, die ich erst jetzt in Rot nach Entstehungsdaten nummeriert habe. Dabei wurde mir klar, dass mein Lieblingsstück von Jugend her, das Fantaisie-Impromptu, das schlecht beleumundete (von W. Georgi) und wohl auch von Chopin zurückgesetzte, das früheste war. Nun scheint mir, dass der Komponist sich zeitlebens daran erinnert hat und immer wieder die gleichen Momente neu ausgearbeitet hat, zentral ein Melodietypus (?), auf den Tadeusz A. Zielinski aufmerksam gemacht hat. (Früher hieß es, diese Melodiebildung komme vom Vorbild Bellini, – ganz im Gegenteil, behaupte ich!) „Chmiel“ ist sein Stichwort, „Hopfen“, wohl ein Hochzeitslied, bezogen auf die Themenbildung des Fis-dur-Impromptus, die mir rätselhaft geblieben ist, aufs neue, seit ich das Stück zur Wiedergewinnung einer gewissen Virtuosität seit zwei Monaten übe, neben dem in Cis-moll. (Die Noten habe ich – wie fast alles von Chopin – 1960/61 in Ostberlin im polnischen „Pavillon“ erstanden, die Paderewski-Ausgabe.) Vorschlag: höre die polnischen Volksmusikaufnahmen so oft wie möglich, prüfe die Ähnlichkeit, und sei es nur im Gestus… zuerst Bordun identifizieren, dann die wechselnden Melodietöne (Skala?), gerade die mehrfach (wie oft?) wiederholte Phrase mitsingen.
Quelle Tadeusz A. Zielinski: Chopin / 1999
↑ Bordun mit Quinte, Melodie umkreist den oberen Grundton, kein „Leiteton“. Wiederholformel mit gerade diesem Ton (unter Grundton)
↑ Beginnt mit Sprung der Melodie in die kleine Sexte. + Abstieg zum Grundton. + 3-Ton-Formel
↑ Merke: diese Version beginnt nach der Einführung des Borduntones mit dem Intervall der None (wie Chopin in Fis: None Cis/dis)
↑ diese Melodie gleicht vollkommen der ersten Version, aber deutlich langsamer.
Jetzt erst habe ich entdeckt, dass auch Jürgen Uhde sich Gedanken gemacht hat über dieses Fis-dur-Thema, wie immer analytisch klug, aber (natürlich) ohne Bezugnahme auf die Volksmusik, insofern doch defizitär. Mein Problem bestand darin, wie ich die Wiederholungsformel der linken Hand gestalte, diese „archaische“ Polyphonie, die auch eine andere dynamisch Gestaltung verlangt oder zu verlangen scheint als die Melodie der rechten Hand, obwohl sie jener doch „irgendwie“ nachgeformt ist. Aus früheren Jahren liegt in den Chopin-Noten noch ein Relikt meiner schriftlichen Versuche, dem Stück näherzukommen, der harmonischen Fortspinnung – letztlich ergebnislos. Jedenfalls was die dynamische Gestaltung angeht. Nebenbei rätselte ich über die Beziehung dieser Melodie zu der im Mittelteil des As-dur-Impromptus, dort in F-moll (rechte Seite).
↑ So beginnt der – wie immer – nachdenkenswerte Hinweis bei Jürgen Uhde / Renate Wieland („Denken und Spielen“ s.a. hier), dessen einziges Manko ist, dass er zu keiner Assoziation mit der polnischen Volksmusik führt:
Ein wesentlicher Zug scheint mir, dass der 3. Takt der Oberstimme linke Hand den Takt 9, also den 3. Takt der Melodie rechte Hand wörtlich vorwegnimmt, also „ankündigt“, und dass diese Formulierung in den folgenden Takten 10 und 11 der linken Hand wiederholt wird, um erst in Takt 12, nachdem die Oberstimme zu Ruhe gekommen ist, in einen Halbschluss zu führen. Es ist diese Windung der Töne, die in den 4 Impromptus immer wieder tonangebend ist, so in diesem Impromptu für die sich erweiternde technische Formel leggiero ab Takt 82 (wo man oben in der linken Ecke auch sieht, wie oft ich in meinem Leben mich schon dran abgearbeitet habe).
Es ist die gleiche Formel, aus der er einst das ganze Fantaisie-Impromptu entwickelt hatte, inclusive Cantabile-Mittelteil, dessen herrliches Thema offensichtlich auch mit dem des Fis-dur Impromptu zusammenhängt, während diese „technische Formel“ natürlich auch im Anfang der restlichen zwei Impromptus steckt. (Im folgenden Beispiel 4 Kreuzchen als Vorzeichen mitdenken!)
Zurück zu meinem Versuch betr. F-moll-Mittelteil im As-dur-Impromptu (oben): etwas Entscheidendes habe ich nicht bemerkt. Oder zähneknirschend hingenommen. Die widersinnige Begleitung der linken Hand. Ich hätte mich anders entschieden, wenn ich schon Grzegorz (Greg) Niemczuk’s Erläuterung gekannt hätte. Hören Sie ihn (von vorn und dann besonders) über die von mir abgeschriebene Stelle, ab 8:32, dann vor allem der Schluss, die Kurzformel vom Abschluss des ersten Teils (Takt 31-32) und die fragmentarische Wiederkehr (Abschied) des Mittelteil-Themas (in meiner Abschrift die Melodietöne Takt 2 bis 5 g – as – b – c):
Ich finde es wunderbar, wie er beim Spielen und im Demonstrieren erzählt, was in der Musik geschieht, ungeachtet der Fehler, die ihm unterlaufen. Er analysiert nicht wie ein Wissenschaftler, sondern wie ein wacher, übersprudelnder Musiker. Er denkt nicht daran, uns eine sauber geschnittene Beispielsammlung zu präsentieren, ihm liegt es am Herzen, seine Begeisterung für die Komposition auf uns überspringen zu lassen. Das finde ich unbezahlbar! Ich wollte, mein Vater hätte so mit mir über Musik gesprochen, statt dem auf „stumm“ präparierten Flügel endlos seine Fingerübungen und Rolltechniken abzuringen. Mittagsruhe! Aber immerhin: er spielte die E-dur-Etüde auf Familienfesten, klangschön wie einen Gesang, und den weitgriffigen chromatischen Höhepunkt mit allen Tönen (trotz seiner kleinen Hände). Falls ich das damals beurteilen konnte!
(Fortsetzung folgt)
Um mein Lob etwas zu relativieren: ich glaube im Fall des „Chmiel“-Impromptus war „Greg“ auf dem falschen Dampfer. Doch davon später…
Noch vormerken: Mazurka op. 68, Nr.3 https://www.chopinvillage.eu/ hier oder hier ↓