Die Auswahl dieser Komponisten ist rein zufällig. Oder soll ich sagen: ist alles andere als zufällig, hat vielmehr mit meiner persönlichen Biographie zu tun. Man muss das nicht wissen. Trotzdem werde ich am Ende etwas aus meiner Geschichte mit der Neuen Musik erzählen. Aber das wird ein privates work in progress und muss niemanden interessieren.
Über Musik sprechen? Und dann erst hören? Oder umgekehrt?
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Die einzelnen Clips sind sehr kurz, zwischen 0:15 und 1:20, man kann den Vorgang des Hörens danach unmittelbar rekapitulieren, imaginativ. / Oder wie in den folgenden drei Versionen als ein Kontinuum vorüberziehen lassen, sogar quasi nebenbei hören :
Playlist 1 (=Version 1) hier / Playlist 2 (=Version 2) hier / Playlist 3 (=Version 3) hier
Aber: was heißt nun HÖREN? Wie sollte man zuhören? Der Komponist Jan Kopp hat sich darüber viele Jahre lang systematisch Gedanken gemacht und das Ergebnis in dem folgenden Büchlein zusammengefasst. Sehr empfehlenswert.
klang collection ist meine musikalische Aufarbeitung der Corona-Zeit. Reflektiert werden vielfältige Klänge, Dinge, Orte, die mir 2020 und 2021 wichtig waren, die auf der Agenda gestanden hätten, aber aufgrund der Situation „unerhört“ blieben, ergänzt durch starke Reminiszenzen an die „Zeit davor“. Dennoch bleiben viele der Stücke abstrakt – in dem Sinne, dass sich die Referenzen nicht auf der Oberfläche, sondern eher aus der Anatomie der Textur erschließen. Überdies entwickeln die Kompositionen durchaus eine eigene, von den jeweiligen Bezugspunkten losgelöste innere Logik. Die drei „Abteilungen“ – places, dedications, images – können jeweils als eigenständige Werke betrachtet werden, deren einzelne Sätze (Tracks) ebenfalls als in sich geschlossene Stücke gehört werden können. Und natürlich gibt es auch den dramaturgischen Kontext der rund fünfzigminütigen Gesamtkomposition. Verarbeitet wurden überwiegend Klavierklänge, spontan improvisierte wie minutiös konstruierte, aber auch Synthetisches, Field Recordings – Sounds einer beklemmenden, aber nicht verlorenen Zeit.
Das ist der kurze Text, der auf der CD zu lesen ist. Man sollte ihn später – nach dem Hören? – durch den längeren, instruktiven Text ergänzen, der im Internet zu finden ist, und zwar unter http://www.tchiba.com/edition/klang-collection/ bzw. hier. So rät der Komponist selbst. Unbedingt, sobald sich – was beim Hören neuer Musik nicht selten der Fall ist – der Eindruck einstellt: was will der kreative Mensch mir eigentlich mitteilen? Ist es recht, wenn mir Assoziationen kommen, die nicht mit denen des Komponisten übereinstimmen? Will er überhaupt mit uns kommunizieren (ich bin mir dessen sicher: auch Selbstgespräche beziehen sich auf andere Menschen – oder quasi personifizierte, resonierende Dinge…), zumal ich erfahre, dass ihm manche akustische Erfahrungen selbst rätselhaft werden, und dass er in der Einsamkeit des Waldes an uns (!) denkt („wir“), an grazile Insekten oder an – Skrjabin. Wir Lebewesen befinden uns alle in einer vergleichbaren Erfahrungswelt, auch wenn sie uns fremd wird, zahllosen Existenzen, die Gregor Samsa gleichen, dessen „Verwandlung“ Franz Kafka beschrieben hat.
wenn man mehr punktuelle Klarheit sucht,alshiergegeben…
Man lasse sich nicht abschrecken, – der Text insgesamt ist lesbar wie eben ein Gesetzestext, die schwierigen Sätze, die ich herausgreife, sind aus meiner Sicht auch exemplarisch gemeint. Zu vergegenwärtigen wäre, wo sie im Gesamtzusammenhang stehen: Erster Zusatz / Von der Garantie… (S.39)
Zum ewigen FriedenHIER TEXT (darin Bd. 11, Seite 218)
Ich habe also diesen Text und mein altes Reclam-Heft (Nov.1956) , das ausführliche (winzig klein gedruckte) Zusätze enthält, die aus einer nachträglichen Überarbeitung durch Kant selbst stammen. Davon gehe ich aus, ohne hier eine philologisch-textkritische Arbeit leisten zu wollen. Ich will das mir Gegebene lediglich grammatisch und inhaltlich verstehen. Es ist schwer genug. Nachhilfe zur Selbsthilfe. Zunächst durch äußere Gliederung und durch eine farbige (rote) Kennzeichnung des Grundgedankens. Blau sind in diesem Artikel meine persönlichen Anmerkungen gekennzeichnet. Das Wort „daedala“, dem man am Anfang des Textes bei der „Künstlerin Natur“ begegnet, sollte man sich lexikalisch erläutern (am besten hier), zumal Kant später mit dem Wort „ikarische Flügel“ darauf anspielt.(JR)
ERSTER ZUSATZ. Von der Garantie des ewigen Friedens
Das, was diese Gewähr (Garantie) leistet, ist nichts Geringeres, als die große Künstlerin Natur(natura daedala rerum),
aus deren mechanischem Laufe sichtbarlichZweckmäßigkeit hervorleuchtet,durchdie Zwietracht der Menschen Eintracht selbst wider ihren Willen emporkommen zu lassen, und darum, gleich als Nötigung einer ihren Wirkungsgesetzen nach uns unbekannten Ursache,Schicksal, bei Erwägung aber ihrer Zweckmäßigkeit im Laufe der Welt, als tiefliegende Weisheit einer höheren, auf den objektiven Endzweck des menschlichen Geschlechts gerichteten, unddiesenWeltlauf prädeterminierendenUrsache Vorsehunggenannt wird,
die wir zwar eigentlich nicht an diesen Kunstanstalten der Naturerkennen, oder auch nur daraus auf sieschließen, sondern (wie in aller Beziehung der Form der Dinge auf Zwecke überhaupt) nurhinzudenkenkönnen und müssen, um unsvonihrerMöglichkeit,nachderAnalogie menschlicher Kunsthandlungen, einen Begriff zu machen, deren Verhältnis und Zusammenstimmung aber zu dem Zwecke, den uns die Vernunft unmittelbar vorschreibt (dem moralischen), sich vorzustellen,eine Idee ist,
die zwar intheoretischerAbsicht überschwenglich, in praktischer aber (z.B. in Ansehung des Pflichtbegriffs vom ewigen Frieden, um jenen Mechanism der Natur dazu zu benutzen) dogmatisch und ihrer Realität nach wohl gegründet ist. –
Der Gebrauch des Worts Natur ist auch,
wenn es, wie hier, bloß um Theorie (nicht um Religion) zu tun ist,
schicklicher für die Schranken der menschlichen Vernunft (als die sich in Ansehung des Verhältnisses der Wirkungen zu ihren Ursachen, innerhalb den Grenzen möglicher Erfahrung halten muß),
und bescheidener, als der Ausdruckeiner für uns erkennbaren Vorsehung,
mit dem man sich vermessenerweise ikarische Flügel ansetzt,
um dem Geheimnis ihrer unergründlichen Absicht näher zu kommen.
Kurzfassung der zwei Sätze nach grammatikalischen Gesichtspunkten:
Das, was diese Gewähr (Garantie) leistet, [bedeutet]: die große Künstlerin Natur(natura daedala rerum), emporkommen zu lassen, und darum Schicksal undVorsehunggenannt wird, [zwei Begriffe] , deren Verhältnis und Zusammenstimmung sich vorzustellen, eine Idee ist, die z.B. in Ansehung des Pflichtbegriffs vom ewigen Frieden dogmatisch [verbindlich] und wohl gegründet ist. –
Der Gebrauch des Worts Natur ist schicklicher und bescheidener als der Ausdruck einer Vorsehung.
Mir scheint, dass ein in Klammern verstecktes Wort – es handele sich bloß um Theorie (nicht um Religion) – das entscheidende Movens dieses geschraubten Satzes ist. Kant will Häresie-Vorwürfen von Seiten der Kirche von vornherein die Luft aus den Segeln nehmen. Daher auch noch der spätere lange Einschub, der in einer überarbeiteten Fassung zu lesen ist (Reclam-Text, im digitalen Text oben aber auch im Anhang – unter Anmerkung 10 – wiedergegeben):
Anklicken!
Ich bin keineswegs sicher, dass ich den Kantschen Satz korrekt aufgelöst habe (wichtig zu erwähnen, dass im Reclam-Text ein Komma vorhanden ist, das im digitalen Text fehlt: sich vorzustellen, (!) eine Idee ist, die zwar intheoretischerAbsicht etc.) und werde gewiss öfter hierher zurückkehren, statt unwillig zu werden und den Stil des Autors zu schmähen. Nichts hindert mich, zuerst alles andere zu lesen, das leichter zu verstehen ist, in der Hoffnung, auch hier zur rechten Intuition zu kommen. Die deutsche Sprache entwickelte sich ja erst in diesen Jahrzehnten zur Biegsamkeit, und überall im Satzbau spürt man, dass es noch die lateinischen Konstruktionen sind, die beim Philosophieren vorbildlich wirken. Was uns jedoch – als dem Lateinischen entfremdete moderne Menschen – leicht entgeht…
Nach ausgiebiger Lektüre: Was ich schon damals als Schüler (Nov. 1956) falsch gemacht habe: ich wollte unbedingt den Original-Text lesen und habe die Einleitung verschmäht. Dabei hätte ich dort eine erste Übersicht gewonnen, ja grundsätzliche Klarheit. Autor: Theodor Valentiner.
Der Gedankenaufbau ist natürlich und eindrucksvoll. Es sind ganz konkrete ethische Forderungen, die den Präliminarartikeln zugrunde liegen. Der Staat ist eine Gesellschaft von Menschen, und Staaten untereinander sind in ihrem Verhalten wie Menschen anzusehen, die unter dem Sittengesetz stehen.
Als Unrecht gilt, wenn einer in dem andern nicht die freie Persönlichkeit achtet, wenn er bei Vereinbarungen geheime Vorbehalte macht, wenn er ihn nur als Mittel zum Zweck, als Sache behandelt, wenn er gewaltsam in die Rechte des anderen eingreift. Ohne Anerkennung dieser Forderungen ist weder zwischen Völkern nocht im Einzelleben ein friedliches Nebeneinander auf die Dauer denkbar. Niemals darf es zu Handlungen kommen, die ein künftiges Vertrauen der sich feindlich Gegenüberstehenden untergraben. Spezielle Forderungen über Abrüstung, wie sie uns heute geläufig, werden eingehend begründet.
Die drei Definitivartikel beschäftigen sich mit rechtlichen Fragen. Welche Verfassung ist für Erhaltung des Friedens am günstigsten? Natürlich diejenige, bei der die Entscheidung über Krieg und Frieden in den Händen der Hauptbeteilgten, das ist des ganzen Volkes, liegt. Das ist der Fall bei der republikanischen Verfassung, wobei die ausführende Gewalt von der gesetzgebenden getrennt und die gesetzgebende bei der Volksvertretung ist. Die nach kantischer Ausdrucksweise republikanische – nach heutigem Gebrauch demokratische* – Verfassung steht im Gegensatz zu der despotischen, bei der ein oder mehrere Machthaber, nicht aber das Volk über Krieg entscheiden.
Der zweite Definitivartikel fordert ein föderalistisches System, einen Friedensbund, der sich allmählich über alle Staaten erstrecken soll und die Aufgabe hat, den Freiheitszustand der Staaten gemäß der Idee des Völkerrechtes vorzubereiten.
Endlich verlangt der dritte Definitivartikel ein Weltbürgerrecht, das jedem Fremdling das Recht zusichert, bei der Ankunft auf dem Boden eines anderen von diesem nicht feindselig behandelt zu werden. Vermöge des Rechts des gemeinschaftlichen Besitzes der Oberfläche der Erde müssen sich alle nebeneinander dulden. Und da heute „die Rechtsverletzung an einem Platz der Erde an allen gefühlt wird“, so ist die Idee eines Weltbürgerrechtes ein notwendiger Bestandteil der allgemeinen Menschenrechte.
Die Präliminarartikel und die Definitivartikel stellen bestimmte Forderungen. Die nächste Frage wird sein: Ist denn Aussicht vorhanden, daß diese Forderungen erfüllt werden? Darauf antwortet zunächst der erste Zusatz. Er untersucht
Achtung: jetzt betrifft es genau den Satz, mit dem ich oben begonnen hatte!
Er untersucht, wieweit der Mensch in der Natur eine Hilfe findet, umd dem Zustand eines Dauerfriedens näherzukommen. Nun hatte die Kritik der Urteilskraft gezeigt, daß in der Natur nicht nur mechanische Kräfte wirken, sondern daß wir zu einer Erklärung der organischen Natur zweckmäßig wirkende Kräfte voraussetzen müssen. An diese Erkenntnis knüpft Kant an, wenn er im ersten Satz sagt, daß „aus dem mechanischen Naturlauf sichtbarlich Zweckmäßigkeit hervorleuchtet und daß die große Künstlerin Natur durch die Zwietracht der Menschen, selbst gegen deren Willen, Eintracht emporkommen läßt“. Die Natur hat dafür gesorgt, daß Menschen allerwärts auf Erden leben können. Dabei war ihr sogar der Krieg dienlich. Vor allem aber – und das ist wesentlich für die Absicht auf den ewigen Frieden – kommt die Natur dem zur Praxis so ohnmächtigen Vernunftswillen zu Hilfe, indem sie die selbstsüchtigen Neigungen der Menschen benutzt, daß sie sich unter Zwangsgesetze begeben, die den Zustand eines dauernden Friedens fördern. Kurz, sie werden gute Bürger, weil sie Vorteil davon haben, und nicht etwa aus moralischer Gesinnung.
Anm. zu nach heutigem Gebrauch demokratische* :
Das Hauptkriterium für Kants Republikanismus ist – wie man im Reclam auf Seite 28 lesen kann – „das Prinzip der Absonderung der ausführenden Gewalt (der Regierung) von der gesetzgebnden“. Mit anderen Worten: die Gewaltenteilung, die aus heutiger Sicht für die Demokratie bindend ist. Siehe Wikipedia hier :
Heute ist Gewaltenteilung Bestandteil jeder modernen Demokratie; ihre Ausprägung variiert jedoch stark von Land zu Land.
„Die Werbung sucht zu manipulieren, sie arbeitet unaufrichtig, und sie setzt voraus, dass das vorausgesetzt wird.“ (Quelle: s.u. „Kommentar“ Video zur Penny-Werbung bei 19:20)
Süddeutsche Zeitung / Zeit der Zärtlichkeit 27./28.Nov. 2021 Seite 17 / Autor: Max Scharnigg
Alles wegtanzen!
Wunschbild Mutter
Kommentar
Trost
CORONA ?
Ja, was man
auch noch sagen sollte,
wurde von Bernd Schweinar gesagt,
bemerkenswerterweise aus dem Pop-Bereich,
heute verbreitet durch den Newsletter der NMZ (Martin Hufner):
Sehr geehrte Newsletterabonnentinnen und -abonnenten,
eine quietschfidele Selbstblockade erleben wir gerade in der Politik Deutschlands. Was die Corona-Pandemie angeht. Man möchte nicht mehr länger zuschauen. Es rappelt und ruppelt mal wieder zwischen Überbrückungsgeld, wildem Gefuchtel mit halbherzigen Entscheidungen.
Ich möchte Sie nicht zu sehr langweilen und greife deshalb auf ein Statement des hochgeschätzten Künstlerischen Leiters der Bayerische MusikAkademie Schloss Alteglofsheim und den Bayerischen Rockintendanten Bernd Schweinar zurück. Der antwortete auf eine Anfrage der Deutschen Presse-Agentur:
„Kultur lebt seit jeher von der Polarisation! Ich bin groß geworden mit Themen wie Friedensbewegung und Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf. Bei beiden Themen haben zahlreiche Künstler:innen eindeutig und voluminös Position bezogen. Das vermisse ich in der heutigen Pandemieproblematik. Die Angst vor einer Spaltung der Gesellschaft beschwören vielfach nur jene herauf, die selbst die Spaltung betreiben. Kultur darf sich hier nicht einschüchtern lassen.Es geht um nichts weniger, als ein funktionierendes Kulturleben mit Publikum in der Zukunft. Und wer sich durch seine Impfverweigerung ausgrenzt bzw. Kultur damit schädigt oder unmöglich macht, den braucht die Kultur auch in Zukunft nicht mehr als Publikum! Diejenigen will ich persönlich auch gar nicht mehr in einem Konzert sehen. Zudem stelle ich die Fußballfrage auch in der Kultur. Ungeimpfte Künstler:innen brauchen unsere Bühnen nicht, weil sie diese Bühnen im Moment beschädigen! Wenn ungeimpfte Künstler:innen sich eigene Bühnen für ungeimpftes Publikum schaffen – mit eigenem finanziellen Risiko – dann sei ihnen das unbenommen.“
* * * *
Und noch etwas zum Lesen, eine Kolumne von Christoph Schwennicke über den wahren Grund für das deutsche Corona-Desaster:
Dieser Text verwunderte mich, – die Künstlerin war ja 2004 zur Zeit der Aufnahme erst 21, und sie spricht von prägenden Eindrücken, die noch 7 oder sogar 10 Jahre zurückliegen. Menuhin war ein Meister des Wortes, und das, was der weise alte Mann als Lehrer sagte, hat eben das Kind begeistert. Andere, die zugehört haben, waren ganz anderer Meinung, – und das war übrigens schon in meinen 1960er Jahren so –, sie aber sagt: „Nun, das bleibt Geschmacksache.“ Bei allem Respekt, das darf man heute (und auch 2004) so nicht in den Raum stellen. Jeder kann doch ohne weiteres anhand seiner vorliegenden Bach-Aufnahmen heraushören, was er gesagt haben könnte: und das ist keine Geschmacksache, sondern sehr altmodisch; er spielt Bach, wie eben ein großer Geiger spielt, mit großem Ton, konsistent, mal laut, mal leise. Ich habe ihn 1985 persönlich getroffen, es war eine nette Begegnung; ich schätzte ihn vor allem, weil ich eine unglaublich musikalische Platte aus seiner frühen Zeit kannte. Und: weil er die indische Musik so gefördert hat.
Und bei Glenn Gould gehen und gingen die Meinungen aus ganz anderen Gründen auseinander, ich ertrage ihn schwer. Auch er wird erwähnt, als gelte seine Auffassung heute wie damals. „Es war, als erwache Bach zu neuem Leben, als ob Gould alles neu entdeckt.“ Könnte doch sein!? Ja, sicher… „Sein Mut, neue Wege zu gehen“. Genau. Und so weiter: Die „Ciaccona“ in Busoni-Fassung gehört ohnehin zwei Zeiten (mindestens) an. Spielt Kissin sie wesentlich anders als Hamelin? Natürlich, aber das ist nicht wesentlich….
(Schnittfehler: 3 Töne am Anfang fehlen) Produzent: Paul Gordon / The film, entitled Concert Magic, and featuring other artists besides Menuhin, was shot in the last months of 1947 at the studio formerly used by the comedian Charles Chaplin. Released about a year later, it was reasonably well received, but never caught on. Television was beginning to take over this sort of territory, and as a medium it was better able to present musical performances with immediacy and flair. Concert Magic has been virtually unseen for many years.
Eine Anmerkung zur Gattungsbezeichnung des Werkes, das natürlich nicht Oper genannt werden soll, aber vielleicht auch nicht „Gesamtkunstwerk“. Wagner selbst hat es absichtsvoll bezeichnet, wie es im folgenden Textbuch überschrieben ist, als HANDLUNG (in der Sammlung „Richard Wagners Musikdramen / Sämtliche komponierten Bühnendichtungen“ Edmund E.F.Kühn Berlin 1914):
Das Wort „Handlung“ hat einen historischen Hintergrund, der in Vergessenheit geraten ist und wohl auch jede Neudeutung in eine unproduktive, mystizistische Ecke führen würde. Verständlich also, wenn sich Berthold Seliger in der oben verlinkten Rezension damit nicht aufhalten mag:
Die von Wagner fast schon ironisch so bezeichnete »Handlung« ist eher banal und kreist um Begriffe wie Ehre und Betrug. Eine erstarrte Gesellschaft bietet keine Lösungen jenseits ihrer Konventionen an, die Protagonisten, allen voran die Titelhelden, wanken und schwanken durch die Welt, ohne sich je gegen die Konventionen zu stellen, ohne auch nur einen Ausbruch zu versuchen.
Aber der große Carl Dahlhaus schrieb schon 1971 in seinem Buch „Richard Wagners Musikdramen“ (S.54):
Ich habe damals etwas besserwisserisch einen Namen drübergesetzt, der tatsächlich auf eine andere Fährte führt, und meine Quelle von 1962 hätte auch Dahlhaus zur Verfügung gestanden, – möglicherweise hat er den Autor Melchinger wegen seiner NS-Nähe gemieden. Aber das Faktum der Bedeutung Calderons für Wagner ist nicht zu ignorieren, wenn es auch in einem Beitrag über eine brandaktuelle, progressiv gedachte Tristan-Aufführung eher hinderlich wäre:
Quelle: Wieland Wagner (Hg.): Richard Wagner und das neue Bayreuth / Paul List Verlag München 1962 (S.108)
Es lohnt sich weiterzulesen, gerade im Kontrast und als Ergänzung zu Berthold Seliger:
⇑(Lesespuren JR: Juni 1964) ⇓(Screenshots JR 3.8.2021)
Eine Kritik, die ich nicht teile, aber anregend finde, betrifft am Ende die Regie. Dort kann ich den Gedankengang am wenigsten nachvollziehen (nebenbei: das inszenatorische Gebilde „franzt“ keinesfalls aus), ich bin vollkommen begeistert von dieser Aufführung und finde den Hinweis auf ein spirituelles Jenseits oder eine virtuelle Realität im wahrsten Sinne des Wortes abwegig.
ZITAT
Schlussendlich bleibt die Regie unbestimmt. Während der musikalische Strom in all seinen Läufen und Bewegungen verwoben ist, franzt das inszenatorische Gebilde aus, ehe Bezüge stark genug geknüpft sind. Damit sind komplexere Zusammenhänge kaum erzählbar. Ein so viel rezipiertes Werk bedarf einer strukturierten Anlage, denn viele der Assoziationen aus dem Flickenteppich sind schon etliche Male bemüht worden. Unter den verschwommenen Ansätzen am meisten von Interesse dürfte der Antagonismus zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit sein: Dass Potenzial in diese Richtung im Werk selbst steckt, wird spätestens deutlich, wenn die Hirtenweise erklingt – so fein und klar von Simone Preuin auf der Bühne gespielt. Doch was bildet hier den Gegensatz der Künstlichkeit? Im Anschluss an den Liebestod sinken alle zu Boden, doch in der Projektion schlagen Tristan und Isolde schlagen die Augen auf! Ob sie nun doch irgendwo vereint sind, ob in einem spirituellen Jenseits oder gar in einer virtuellen Realität?
Ein „Potential in diese Richtung“? Da stimmt kein Satz, abgesehen davon, dass es gut ist, das fabelhafte Orchester selbst pars pro toto auf der Bühne zu sehen. Trotzdem in den Assoziationen empfehlenswert, denn auch dieser Text ist vollständig nachzulesen – und mit einem großartigen klingenden Ausschnitt der Aufführung versehen nachzuvollziehen – hier .
Die doppelbödige Wirklichkeit, – das, was man wie von außen sieht, und die Imagination. Ich erinnere mich an den schrecklichen Tristan von Bayreuth, als am Ende, nach dem sogenannten Liebestod, König Marke die offenbar Überlebende ins Hinterzimmer zog (wohin auch immer), um seine Rechte einzufordern. Hier sieht man die beiden Protagonisten am Ende, ob tot, ob irgendwie lebendig, rücklings auf dem Bett liegen, und was bleibt, ist: dass sie einander anschauen und schließlich einander anlächeln. Mir scheint, die Idee dieses unglaublichen Kunstwerkes bleibt erhalten. Die Anspielung an Christus im letzten Akt der Handlung, die Wunde, behält ihre Bedeutung, die Schar der künstlichen, automatenhaften Wesen denunziert nicht den trügerischen Ideen-Individualismus, die Tafelrunde und die Zahl der Jünger, – ist das richtig? Ich denke an Gottfried Benn und sein großes Gedicht, das ich mir seit dem 16.9.59 aus dem Bändchen „Statische Gedichte“ aneignete, unverschämt mit dem gedruckten Text umging und ihn schlecht und recht interpretieren lernte, mit Hans Mauritz auf Langeoog diskutierte.
Über Richard Wagner lernt man nichts Neues in Bayreuth, sondern in München. Das wurde hier wieder exemplifiziert, als ein Aktionswirrkopf der 60er Jahre über die „Walküre“ noch einmal seine Farbkübel ausgießen durfte, fast synchron zur Verifizierung der Handlung „Tristan und Isolde“ in München.
Dass Benn in demselben Zusammenhang der Statischen Gedichte (1948) ein Gedicht mit der Überschrift „Liebe“ veröffentlichen konnte! Und nie vergesse ich die Wirkung der Berliner Aufführung 1960, als der „alte“ Ludwig Suthaus zum letzten Mal den Tristan sang, und wie Kerstin Meyer – die erst voriges Jahr mit 92 Jahren verstarb – das Habt-Acht-Wachlied im zweiten Akt gesungen hatte, und wie, für immer und immer wieder erschütternd, Tristan in all seinem Wahnsinn des dritten Aktes mit der Vision innnehält: „Ach, Isolde! Isolde! wie schön bist du!“ So simpel, so unverbesserlich, so indiskutabel klar.
Hier fehlt noch ein für mich persönlich fast tragischer Ausgang der Realisierung dieses Notenbildes im Blog. (Wie der Alltag einen unvermittelt – ohne Kunst des Übergangs – auf den Boden der Tatsachen zurück versetzt.) Ein Sturz auf die Knie, beim linken mit einem rundlich blutigen Effekt. Was soll man dazu sagen? Man holt das Handy und denkt an die Geschichte vom Philosophen, der in den Brunnen fällt. Ich zitiere sie lieber als das Märchen von den blutigen Knieen.
Und da im wirklichen Leben auf „Tristan und Isolde“ die „Meistersinger“ folgten, darf hier wohl das Originalzitat aus Peter L. Bergers Buch „Erlösendes Lachen / Das Komische in der menschlichen Erfahrung“ (Verlag Walter de Gruyter, Berlin New York 1998) stehen:
Im Geist folgendes: der Spazierweg nach dem großen Regen hier und vorher „Voi che sapete“ in „Mozart“ hier. Vielleicht auch das „Experiment mit Cosí“ hier. Schon wieder Mozart?
Warum also? Diese Behandlung, oder dieses Sammelbecken der musikalischen Ideen, wurde vorbereitet aus dem Alltag heraus; ich betone die Ernsthaftigkeit, weil es eine Komödie ist, zu der man sich heutzutage aufraffen muss. Die Handlung scheint uns unterhalten und lustig stimmen zu wollen, widerstrebt also eigentlich einer Versenkung, zu der die Schönheit der Musik zwingend hinführt. Es ist eine Freude zuzusehen, und es ist ein Ärgernis, nicht recht zu verstehen, was da gespielt wird. Wie seltsam ausgeklügelt. Man muss sich so intensiv vorbereiten, als gehe es um die Kunst der Fuge, es geht aber um ein Gesellschaftsspiel, dessen Regeln uns nicht einleuchten, wir sind gezwungen, uns historisch und handlungstechnisch bis ins Detail zu informieren und halten die Ränke und Verwicklungen insgeheim für albern. So geht oder ging es mir jedenfalls, und ich überwinde den inneren Schweinehund nur, weil die ganze Aufführung so liebevoll inszeniert und musiziert ist, dass man gern bei jedem Detail verweilt.
Liebevoll? Ich kann es mir leisten, kindlich vorzugehen, weil ich mit niemandem in Konkurrenz stehe. Auch eine professionelle Kritik, die auf ganz anderen Erfahrungen (und Verpflichtungen!) beruht, muss ich mir nicht zu eigen machen. Ich kann sie ohne Widerspruch zur Kenntnis nehmen. (Siehe unten nach der Ablaufliste).
Ah, mir ist zum Glück das Buch von Laurenz Lütteken eingefallen, das zu einer meiner regelmäßig wiederkehrenden Wellen der Mozart-Begeisterung gehört. (Siehe einst hier: Das Neue Jahr mit Mozart, 2017). Und jetzt Medias in res:
Quelle Laurenz Lütteken: MOZART Leben und Musik im Zeitalter der Aufklärung / C.H.Beck München 2017
ZITAT Seite 178f (rote Lesehilfen JR)
Die Repräsentation menschlicher Verhältnisse auf dem Theater bedurfte allerdings, dies die entscheidende Weiterung bei Mozart [gegenüber Beaumarchais], der Musik, weil man nur ihr, so der zentrale musikästhetische Paradigmenwechsel um 1780, zutraute, das Ungenaue, Unscharfe, Changierende dieser Verhältnisse für den Zuhörer, wenigstens im Augenblick des Erklingens, glaubhaft darzustellen. Genau dies führt aber zu einer Verdichtung, die weit über das Drama hinausreicht.
Ein wesentlicher Charakterzug des Figaro von Mozart und Da Ponte liegt in der bedingungslosen Zuspitzung der aristotelischen Einheit von Raum, Zeit und handlungt, weil die Repräsentation auf der Bühne keinerlei Lücken mehr kennt, dargestellte Zeit und Darstellungszeit vollständig deckungsgleich werden und ihre Dehnung im Sinne einer Seelenschilderung einzig der Musik verdanken. Dabei wird die Tradition der Opera buffa zwar heraufbeschworen, jedoch in einer seltsamen Distanz. Das wirkungsästhetische Potential der Buffa wird in dem Maße geltend gemacht, indem ihre Mechanismen in Frage gestellt werden. Das Irritierende dieses Neuansatzes wurde durchaus wahrgenommen, war der Figaro [auch] nicht ein Werk des sofortigen, sondern des langsamen, wachsenden Erfolgs, der erst in der besonders ungebundenen, für solche Konzepte empfänglichen Prager Gesellschaft geradezu esxplosionsartig hervortrat.
Ich werde noch mehr zitieren, ich erlaube mir das, denn ich werde nie aufhören, für dieses Buch die Werbetrommel zu rühren (siehe obigen Link zum Jahr 2017). Heute allein wieder die Tatsache nachlesen und einschätzen zu können, dass Haydn nachweislich von Mozarts Musik – vom Figaro – geträumt hat, und zwar in der Nacht zum 9. Februar 1790. Doch davon später.
Über die sog. Fandango-Szene am Ende des dritten Aktes: engl.Text hier (The Fandango Scene in Mozart’s Le nozze di Figaro / Author: Dorothea Link / Source: Journal of the Royal Musical Association, Vol. 133, No. 1 (2008), pp. 69-92 // s.a. Glucks Fandango.
Hier das Video der Aufführung in Aix, abrufbar bis 8. Januar 2022(Achtung, seit heute – 20.7.21 doch nicht mehr abrufbar – schade! – habe gestern noch damit arbeiten können, zum Glück für mich privat ist der TV-Mitschnitt ab 3.Akt noch da, bedauerlich trotzdem)
ERSTER AKT ab 2:50 (Ouv.beginn) 7:05 / 9:40 / 10:26 / 13:22 / 15:45 / 18:20 Szene 3 – 4 Dr.Bartolo / 19:35 „La vendetta“ / 22:50 / 23:50 Nr.5 Duettino Marcellina/Susanna: „Via resti servita, Madama brillante“/ 25:52 Cherubino 28:03 Nr. 6. Arie Cherubinos: „Non so più cosa son, cosa faccio“ / 31:23 / 35:05 Nr. 7. Terzett Graf/Basilio/Susanna: „Cosa sento! Tosto andate“ / 39:42 / 40:55 Nr. 8. [und Nr. 9.] Chor: „Giovani liete, fiori spargete“ / 42:00 / 43:44 Chor / 44:36 / 45:55 Nr. 10. Arie Figaros: „Non più andrai, farfallone amoroso“ / 49:48 ENDE ERSTER AKT
ZWEITER AKT 50:10 Szene 1–3 Nr. 11. Cavatine der Gräfin: „Porgi, amor, qualche ristoro“ / 53:24 / 57:53 Figaro ab / Cherubino 59:16 Nr. 12. Arietta Cherubinos: „Voi che sapete che cosa è amor“ / 1:01:52 / 1:03:19 Nr. 13. Arie Susannas: „Venite… inginocchiatevi“ / 1:06:20 Szene 4–9 / 1:10:50 Nr. 14. Terzett Graf/Gräfin/Susanna: „Susanna, or via, sortite“ / 1:14:46 / 1:16:12 Nr. 15. Duettino Susanna/Cherubino: „Aprite, presto, aprite!“ / 1:19:40 Nr. 16. Finale: „Esci, ormai, garzon malnato!“ / 1:27:38 / Szene 10–12 / 1:39:44 Applaus ENDE ZWEITER AKT Pause Gespräche mit den Protagonistinnen
DRITTER AKT 1:45:00 / 1:49:50 Nr. 17. Duettino Graf/Susanna: „Crudel! Perché finora farmi languir così?“ 1:52:36 / 1:55:20 Nr. 18. Arie des Grafen: „Vedrò, mentr’io sospiro“ 1:58:37 / 2:01:45 Nr. 19. Sextett: „Riconosci in questo amplesso“ / 2:06:40 Nr. 20. Rezitativ und Arie der Gräfin: „E Susanna non vien!“ / 2:10:55 „Dove sono i bei momenti“ 2:15:57 / 2:17:20 Nr. 21. Duettino Gräfin/Susanna: „Che soave zeffiretto“/ 2:20:15 / 2:20:40 Nr. 22. Chor: „Ricevete, o padroncina“ / 2:21:52 / !!! 2:25:40 Nr. 23. Finale: „Ecco la marcia, andiamo“ 2:27:38 / Fandango 2:28:49 bis 2:30:20 / 2:30:34 Chor: „Amanti costanti, seguaci d’onor“ 2:31:42 ENDE DRITTER AKT
(oben) Finale Dritter Akt unmittelbar weiter in:
VIERTER AKT 2:32:05 Nr. 24. Cavatine Barbarinas: „L’ho perduta… me meschina“ 2:33:42 / 2:36:25 Nr. 25. Arie Marcellinas: „Il capro e la capretta“ 2:40:07 / 2:41:44 Nr. 26. Arie Basilios: „In quegli anni in cui val poco“ 2:45:26 / 2:45:40 Nr. 27. Rezitativ und Arie Figaros: „Tutto è disposto“ – 2:47:00 „Aprite un po’ quegli occhi“ 2:49:42 / 2:50:58 Nr. 28. Rezitativ und Arie Susannas: „Giunse alfin il momento“ – 2:52:25 „Deh vieni non tardar, oh gioia bella“ 2:55:48 / 2:56:38 Nr. 29. Finale: „Pian pianin le andrò più presso“ 3:13:38 Musik-Ende // 3:19:04 ENDE
Scan JR Schluss-Tableau
Kritik an dieser Aufführung: nmz (Joachim Lange) 3.7.2021 hier
…oder man lese im vorhergehenden Kapitel „Inszenierungen“ über die Definition eines neuen Genres, insbesondere anhand der großen Marschszene im „Figaro“, dem Finale des ersten Aktes (Noten s.o.):
…das folgende Stück KV 19d wird erwähnt auf Seite 202
Es geht in diesem Kapitel letztlich um ein anderes ›Verstehen‹, eine ›Analyse‹, die keine ›Zergliederung‹ mehr ist:
Übrigens: alle Vorbehalte gegenüber dieser Oper (und auch andere betreffend) sind bekannt. Ich selbst bin ja kein notorischer Operngänger, sondern im Innersten: Instrumentalist. Was ich gegen Opern habe? Das Publikum. Und die Fachkritiker. (So mache ich mir keine Freunde, ich weiß, daher meine Anstrengungen, mich selbst zu bekehren, mit Mozart müsste es gehen. Früher war es – im Ernst – Wagner. Inbegriff einer psychologisch spannenden Oper: Tristan. Einer dramatisch zwingenden Oper: Tosca.) Im Figaro müssen wir uns das – in der damaligen Zeit – politisch Brisante mühsam rekonstruieren oder „übersetzen“. Und das unleugbar Erotische in unsere krasseren Verhältnisse transponieren: was sich eine moderne Regie nicht zweimal sagen lässt, wobei es eben auch „kaputt gehen“ kann. Vielleicht ist deshalb der Cherubino in seiner Unschuld so schwer zu interpretieren – in einer Zeit, wo das Pornografische grenzenlos alles Nackte dominiert. Weshalb es gern ins Lächerliche gezogen wird, zumal wenn hier z.B. die blonde Dame ins Bild gerückt wird, die mich irgendwie an Gottschalk erinnert.
Und so sitzt man doch nicht als Mädchen da, wie Barbarina auf dem Kubus!? Während zugleich die weiße Dame mit ihrem heraushängenden Stoffglied als Nahaufnahme sehr zu denken gibt usw. – die NMZ-Kritik fokussiert thematisch ähnlich.
Meine Mozart-Opern-Aufmerksamkeit wurde neu geprägt durch die HM-Produktion von 2003, die nicht auf der Opernbühne entstand, sondern als Hörfassung in der Stolberger Straße Köln – d.h. im WDR-Tonstudio – unter René Jacobs. Das umfangreiche Booklet enthält eine Fundgrube von Einsichten, das Titelbild allerdings evoziert eindeutig die galante Epoche der Andeutungen, abgesehen vielleicht vom Stier ganz oben. Oder ist es eine Kuh?
Ich folge jetzt dem Booklettext so, dass sich thematische Klärungen ergeben, wie wir sie oben kurz angesprochen haben. Zuerst die letzte Seite des historischen Textes von Andreas Friesenhagen, dann (rückwärts) René Jacobs. Eine Lektüre, die man gar nicht genau genug nehmen kann. Er weiß natürlich, woher der Fandango stammt und was es mit den Folkloreanteilen auf sich hat (Bordun) und wie schnell die Tempi aufzufassen sind. Wunderbar wie er hervorhebt, dass bei der Arietta „Vou che sapete“ die Zeit stillsteht, auch, dass das Pizzicato gegen Ende bei Susanna bedeutet, wie die Zeit (nicht) vergeht. Und vieles andere.
Text: Andreas Friesenhagen
Text: René Jacobs Text: René Jacobs Text: René Jacobs Text: René Jacobs Text: René Jacobs Anfang des Textes
Der folgende Ausschnitt gehört zu einer Sendung, die ich am 22. September 2004 für die Musikpassagen in WDR 3 produziert habe (das vollständige Skript finden Sie hier). Rekapituliert also am 7. Juni 2017. Und jetzt noch einmal, mit gutem Grunde, hoffe ich. Am besten, Sie hören vorweg aufmerksam das Schumann-Lied aus der „Dichterliebe“, falls Sie es noch nicht kennen. Mich hat es seit Jugendzeiten verfolgt, wie auch viele andere Lieder und die der „Dichterliebe“ ganz besonders. (Etwas Geduld, falls es nicht sofort „anspringt“: per Hand auf 14:43 einstellen:)
ZITAT (Ausschnitt Sende-Manuskript)
Meine Damen und Herren, passt es Ihnen überhaupt, wenn ich an dieser Stelle zurückkomme auf das Heine-Lied: „Ein Jüngling liebt ein Mädchen…“?
Seit ich es kenne, habe ich es immer nur in der Vertonung Robert Schumanns gehört, ich fand es toll – und habe doch immer verdrängt, dass mir die Logik der Aussage nicht ganz einleuchtete. Um wieviel Personen geht es da eigentlich?
18) Schumann/Heine Dichterliebe Tr. 11 Ein Jüngling liebt… 1’01“
Wieso war jetzt der Jüngling übel dran, er war doch längst aus dem Spiel?
Am vergangenen Freitag war ich in der Kölner Philharmonie, in einem der schönsten Chor-Konzerte, die ich je gehört habe. Mit dem Balthasar-Neumann-Chor. Es war aber nicht nur die Qualität dieses Chores, sondern auch die dramaturgische Gestaltung des Programms, die dichte Kombination von gesprochenen Texten, Chor- und Sololiedern. Michael Heltau sprach, und er sprach unter anderem dieses Heine-Gedicht „Ein Jüngling liebt ein Mädchen“, das ich bisher eigentlich nur in Schumanns Vertonung kannte und dessen zweite Strophe ich deshalb so gesprochen hätte:
Das Mädchen nimmt aus Ärger / den ersten besten Mann, /
der ihr in den Weg gelaufen; / der Jüngling ist übel dran.
So konnte ich das auch derartig falsch verstehen, als ob der Jüngling aus der ersten Strophe gemeint sei. Der war natürlich übel dran, aber warum jetzt schon wieder?!
Und nun las Michael Heltau folgendermaßen:
Das Mädchen nimmt aus Ärger / den ersten besten Mann, /
der ihr in den Weg gelaufen; / der Jüngling ist übel dran.
Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen: dieser „Mann“, der erstbeste, ist natürlich auch der zuletzt genannte Jüngling, natürlich. Auch er ein Jüngling. Und der muss nun lebenslang den ganzen Frust seiner Frau ausbaden, keineswegs der Jüngling aus der ersten Strophe, der hat vielleicht sogar noch einmal Glück gehabt.
Die Personenzahl bleibt gleich, fünf. Zwei Paare und der erste Jüngling
Sehen Sie, so kann man nach Jahrzehnten des Irrtums durch einen einzigen Gang in die Philharmonie messbar klüger werden!
Wem also bricht das Herz entzwei? Na, jedenfalls nicht uns Rechenkünstlern!
19) Schumann/Heine Dichterliebe Tr. 11 Ein Jüngling liebt… 1’00“
Robert Schumann, Heinrich Heine; vorhin mit Olaf Bär, jetzt mit Fritz Wunderlich.
Ende des ZITATS und freie Fortsetzung nach rund 15 Jahren, anhand eines Buches, das ich damals nicht recht zu schätzen wusste:
Marcel Reich-Ranicki: Ein Jüngling liebt ein Mädchen / Deutsche Gedichte und ihre Interpretationen / Insel-Verlag Frankfurt am Main und Leipzig 2001
Dieses Büchlein muss ich damals schon besessen haben, aber die Interpretation ergab nichts zu meinem (möglichen) Missverständnis, das der Verfasser offensichtlich nicht geteilt hätte; er kannte von vornherein den realen Hintergrund:
Die Sache ist längst geklärt: Der junge Heine liebte seine Hamburger Cousine Amalie, die von ihm nichts wissen wollte, da sie in einen anderen verliebt war; dieser wiederum gab einem anderen Mädchen den Vorzug – weshalb die verärgerte Amalie eiligst einen John Friedländer aus Ostpreußen heiratete. Heine ging leer aus und war, wie man sich denken kann, enttäuscht und verbittert. Er hat sich darüber in Briefen an Freunde mehrfach geäußert – nicht sehr ausführlich, doch unmißverständlich.
So auf Seite 54. Womit ich meinerseits nichts anfangen konnte, noch weniger mit Reich-Ranickis Vorbehalt gegenüber Robert Schumanns Vertonung; er sagt: „Den düsteren, den alarmierenden Hintergrund hören wir sowenig wie den Aufschrei des Liebenden. Die zwischen den Zeilen verborgene Dramatik hat Schumann übersehen. Da hilft auch nicht das Ritardando bei wem sie just passieret. Nach den letzten Worten kehrt die Begleitung sofort zum ursprünglichen Zeitmaß zurück, dem raschen, dem heiteren.“
Ja, wieso denn nicht?! Wäre ein Trauermarsch passender? Die verborgene Dramatik wird einem auch im gesungenen Text niemals entgehen, wenn man nur weiß, von welchem Jüngling die Rede ist. Beide Sänger, sowohl Bär als auch Wunderlich, dürften allerdings das Wörtchen dervor Jüngling etwas dehnen. Aber auf diese helfende Hervorhebung ist selbst Reich-Ranicki nicht gekommen, auch er denkt nicht nur, dass der Jüngling genau jener ist, mit dem das Gedicht anhebt, er weiß es sogar, und dementsprechend betont er in der Rezitation. Er meint: „Heine ging leer aus“. Der arme!
Und ich? Ich bin enttäuscht, denn ich war – mit Heltau – der felsenfesten Überzeugung, dass es ein John Friedländer aus Ostpreußen war, dessen Namen ich aber nicht kannte und auch jetzt nicht zur Kenntnis nehmen will. Es war ein weiteres Glied in der Kette derer, die – nicht gerade leer ausgehen – die aber ganz übel dran sind. Und am Ende bricht auch ihm das Herz entzwei, wenn auch weniger dramatisch.
Was sagen Sie? Das ist doch eine alte Geschichte!
Wikipedia folgt übrigens der Interpretation von Reich-Ranicki, lesen Sie hier. Dann bleibe ich eben allein mit Michael Heltau…
Und festzuhalten bleibt aus meiner Sicht auf jeden Fall: für die Interpretation von Lyrik spielt der reale (lokale) Ausgangspunkt überhaupt keine entscheidende Rolle. Da würde ich ausgehen von Walter Killy „Wandlungen des lyrischen Bildes“, – bezogen auf das Goethe-Gedicht: „Früh, wenn Thal, Gebirg und Garten…“, das sich wiederum auf den 5. September 1828 bezog, als Goethe etwa in meinem jetzigen Alter war. Einst von mir – einem Jüngling zweifellos – gelesen „im wunderschönen Monat Mai, als alle Knospen sprangen“: 1959. Könnte einem da nicht auch heute noch das Herz im Leib zerspringen?
Zum französischen Stil der Bach-Zeit oder: „Premier Concert Royal“ Interpretationen
Hier folgt etwas Studienmaterial. Das besagte Prélude nicht einmal vollständig; wer es einstudieren will, wird die Noten anderswo finden. Ein Kommentar eventuell später. Ich beziehe mich auf den neuesten Band Musik & Ästhetik. Eine Fußnote darin verweist auf den folgenden, hochinteressanten Essay, der mich bereits arbeitswillig genug stimmt. Mich fasziniert an dem ganzen Projekt das Ineinandergreifen von Musikwissenschaft und Praxis. Und all dies natürlich wie immer mit Blick auf Bach. (Auf die Französischen Suiten, auf die Solo-Partiten für Violine in h und E, auf das Thema der Goldberg-Variationen. Außerdem dachte ich vorübergehend an das Thema des Mittelsatzes im Brandenburg-Concerto VI.)
https://www.forschung.schola-cantorum-basiliensis.ch/de/publikationen/menke-franzosische-satzmodelle.html hier
Letztlich ist es dieser Artikel, der den Ausschlag gibt, der französischen „Klassik“ wieder größte Aufmerksamkeit zu widmen. Lully, Rameau, Campra, Marais, Couperin, zuletzt hier. Jetzt aber auch analytisch: Eine Harmonielehre, die dem Eigenwert der Akkorde gerecht wird und Dissonanzen nicht voreilig als bloße Vorhalte deutet, – was mir näher lag. Vielleicht fällt von hier ein neues Licht auf die Fama, dass Bach sich vom System Rameau distanzierte. (C.P.E. Bach bezeichnete bekanntlich die musiktheoretischen Grundsätze seines Vaters als „antirameauisch“, was aber nicht wirklich belegt ist. Er hatte französische Musik schon in Lüneburg kennen und spielen gelernt.)
Quelle: Musik & Ästhetik Heft 99 Juli 2021 Jörg-Andreas Bötticher und Johannes Menke: »D’une autre Espèce« Überlegungen zum Prélude aus dem Premier Concert Royal vonFrançois Couperin
Hörbeispiele – dem obigen Notenbeispiel entsprechend, aber etwas planlos aus dem Youtube-Angebot ausgewählt. Die Irritation beginnt schon dort, wo ich nicht sicher unterscheiden kann, ob die Melodiestimme – mit feinsten Verzierungen – von der Flöte allein gespielt wird oder im perfekten Einklang mit der Violine oder überhaupt anderen Instrumenten. Wie ist es gemeint?